Haftmechanismen von 1K-PUR-Klebstoffen auf lackierten Oberflächen Grenzflächenchemische Untersuchungen zur Haftung und Enthaftung auf automobilen Multischicht-Lacksystemen Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades Dr. rer. nat. der Fakultät für Naturwissenschaften der Universität Paderborn vorgelegt von Alexander Daniel M.Sc. geboren in Stuttgart Paderborn, März 2016 Die folgende Arbeit wurde in der Zeit von November 2012 bis März 2016 im Fachbereich„Coating Materials& Polymers“ unter der Betreuung von Herrn Prof. Dr. rer. nat. Wolfgang Bremser angefertigt.­ Erstgutachter Prof. Dr. rer. nat. Wolfgang Bremser Zweitgutachter Prof. Dr.-Ing. Hans-Joachim Warnecke Tag der Einreichung: 29.03.2016 „Inmitten der Schwierigkeiten liegt die Möglichkeit.” Albert Einstein(1879–1955) Danksagung Danksagung VII Die allseitige Unterstützung zahlreicher Personen ermöglichte es mir, meinen eigenen Weg in der Wissenschaft zu finden. Danke, dass ihr mich auf diesem Weg begleitet, ausgebildet, motiviert und/ oder bespaßt habt. An erster Stelle danke ich Prof. Dr. Wolfgang Bremser für die Betreuung der Arbeit, die besondere Zusammenarbeit und die freundliche Aufnahme in den Arbeitskreis Coating Materials& Polymers (Uni Paderborn). Zudem danke ich Prof. Dr.-Ing. Hans-Joachim Warnecke, für die Bereitschaft das Zweitgutachten zu erstellen. Meinen Kollegen der Daimler AG gilt ebenso großer Dank. Für die Aufgabenstellung und die Organisation der Doktorandenstelle in der TF/VBT danke ich Dr. Rolf Specht, Katja Strelzyk und Dr. Julia Schuchardt. Für den riesigen Einsatz und die Motivation während meiner gesamten Promotionszeit, die vielen Stunden am Whiteboard und die interessanten Einblicke in andere Projekte danke ich meinem fachlichen Betreuer im Team Entwicklung Prozessstoffe Dr. Gunter Kranz. Die gemeinsamen Diskussionen mit Dr. Gunter Kranz und Dr. Michael Schmücker waren stets interessant und produktiv. Sie eröffneten mir neue Blickwinkel, Erkenntnisse und Denkimpulse. Reinhold Leitz möchte ich herzlich für die Unterstützung und den analytischen Beistand zum Promotionsthema als auch in anderen Projekten danken. Fatih Terzi, Iris Christens-Duppel, Cornelia Reindl, Robert Martinazzo, Eugen Dettling danke ich für die vielseitige Unterstützung im Labor. Des Weiteren danke ich den Kollegen der Lackentwicklung Dr. Thomas Gruber und Rita Bitzer, die mir mit ihren Ideen und fachlichem Wissen zur Seite standen. Bei den mich während meiner Promotionszeit begleitenden Studenten Milad Rahimi, Florian Pusch, Gert Krauss und Taylan Süngerli möchte ich mich für die tatkräftige Hilfe bedanken. Gleiches gilt für die Kooperationspartner des Promotionsprojektes. Der Fa. Eftec AG, insbesondere Klaus Kresser, Matthias Schwierz, Yvonne Scholta und Juan Perez danke ich für die Klebstoff-Versorgung sowie den offenen Gedankenaustausch, der stets für konstruktive Impulse sorgte. Christian Weiher und seinem Team(Fa. BASF Coatings GmbH) danke ich für die lackseitige Unterstützung, Tipps zur Oberflächenanalytik und die Einblicke in Münster. Das Arbeitsklima im Arbeitskreis Coating Materials& Polymers(Uni Paderborn) ist unschlagbar erheiternd, das schafft positiven Tatendrang und bietet Möglichkeiten für Neues. Das kam sogar im fernen Süddeutschland an. Für die Akzeptanz der„Unehelichen“ während der Uniaufenthalte oder auf Seminaren danke ich den Paderbornern herzlich. Für die Hilfe bei AFM-Aufnahmen danke ich Alexander Kröger, Nadine Buitkamp und Anna Becker. Mein größter Dank gilt meiner Familie und meinen Freunden für die anhaltende Unterstützung während meiner Studien- und Promotionszeit.  Abstract IX Adhesive technology becomes increasingly common in automotive engineering and contributes to lean production and lightweight designs. However, complex interrelationships between the substrates and the adhesives are still undefined. Especially adhesive bonding on coated surfaces remains challenging. The sensitivity of an adhesive compound can be exemplified by the transition from cohesive to adhesive fracture patterns within one paint system. Different bonding strengths suggest changes in surface properties of the clearcoat. This effect is observed by process-induced fluctuation of curing conditions, or within the range of basecoats. The introduction of new integrated paint processes has further intensified these observations. Unlike in the conventional process, the basecoat and the primer surfacer are applied wet-onwet and cured together. The adaption of the basecoat solvent system was necessary to realize advanced flash-off characteristics. The final performance of the total coating system is influenced by cross-layer interactions. In this work, two different types of basecoat(i.e. for conventional or wet-on-wet processing) were chosen for the study of the clearcoat/adhesive interface. The substitution of co-solvents of the basecoat has been analyzed. These significantly affect the clearcoat surface properties. Depending on their reactivity and boiling ranges, the basecoat co-solvents can interfere the clearcoat hardening reaction to different extent. The formation of dangling chains results in a lower crosslinking density of the clearcoat­.­ Thus the final crosslinking density of the clearcoat is adjustable. Basecoat-dependent surface properties such as adhesion can be explained in this way. The correlation between the degree of cure of the clearcoat and its adhesiveness was subsequently confirmed. A diffusion-controlled mechanism for adhesive bonding on coated surfaces is proposed. A higher degree of crosslinking hinders more effectively the interdiffusion processes between the PUR adhesive and the clearcoat layer. A test model was designed. Reactive OH-/NH x groups of the clearcoat were blocked by acetyl groups unto defined depth of the clearcoat layer. Both functionalities can be considered to be reaction partners for PUR adhesives(isocyanate). To prevent adhesion deeper areas of the clearcoat layer must be modified. Fluctuations in adhesiveness of clearcoat surfaces were of special interest. A correlation of adhesiveness and the near-surface residual functionalities OH/NH x is possible. The labeling of functional groups with a subsequent XPS analysis enables a quantification of near-surface OH and NH x groups. For excellent adhesiveness to one-component polyurethane-adhesives an OH/NH x concentration of ≥ 0.5 at% is required. The adhesion forces measured by special AFM modes correlate in qualitative terms with the macroscopic peeling test results(e.g. HarmoniX mode). This provides useful information on the adhesion properties of coated surfaces in advance. Practical advantages offer the analysis of adhesion on e-coat/clearcoat samples. Thus critical clearcoats­­are identified. On the one hand surface-influencing basecoats are excluded, i.e. the clearcoat crosslinking proceeds unhindered and the highest degree of cure is detected. On the other hand this clearcoat surface corresponds to the„worst-case“ regarding adhesive bonding properties. The adhesion values provide information on adhesion across the entire color range of a paint system. X  Even today highly crosslinked, inert paint surfaces are a challenge for one-component polyurethane adhesives. If the production process requires adhesive bonding on paint, the use of surface pretreatment therefore guarantees the maximum level of flexibility and reliability for production. Solvent-free pretreatment methods, e.g. atmospheric-pressure plasma, of clearcoat surfaces in combination with polyurethane adhesives demonstrate excellent performance. The use of alternative pretreatment-free adhesive systems or(enzymatic) adhesive modifications for optimized adhesion to clearcoats is discussed as well.  Kurzfassung XI In der Fahrzeugendmontage schafft die Klebtechnik notwendige Flexibilität für die Umsetzung neuer Modulstrategien. Geklebt wird hierbei karosserieseitig auf die lackierte Fahrzeugstruktur. Komplexe Wechselwirkungen zwischen Klebstoff und Lackoberfläche machen die Haftung abhängig von den Lacksystemen sowie den Prozessgrößen der Lackierung. Die Ziele der Lackentwicklung sind darüber hinaus konträr zu den Erfordernissen einer langzeit­ stabilen Klebung: Hochkratzfestigkeit oder Beständigkeit gegen aggressive Medien sind gefordert und führen zu hochvernetzten Lacken. Häufig unbekannt ist der Beitrag einzelner Lackschichten zu den mess- und beobachtbaren Eigenschaften des Gesamtaufbaus. Die Haftung zu einem Klarlack verändert sich z. B. auch in Abhängigkeit des Basislacks. Die Einführung neuer integrierter Lackierprozesse intensivierte insbesondere den Effekt der vermeintlich farbtonabhängigen Haftung. Im Gegensatz zum konventionellen Prozess werden Basislack und Füllerschicht„nass-in-nass“ appliziert und gemeinsam ausgehärtet. Dies erfordert angepasste Applikationseigenschaften der Basislacke. Zur Reduzierung der Ablüftzeiten und Verarbeitungstemperaturen werden z. B. niedrig- oder mittelsiedende Lösungsmittel anstatt typischer Hochsieder verwendet. Diese Arbeit untersucht den Einsatz zwei verschiedener Basislackarten die für den integrierten bzw. den konventionellen Lackierprozess entwickelt sind. Neben den Gesamteigenschaften der Multischichtaufbauten galt das besondere Interesse der veränderten Klarlack/Klebstoff-Grenzfläche. Vergleichende Untersuchungen zeigten, dass eine Basislackmodifikation großen Einfluss auf die Oberflächenchemie der Klarlackschicht hat. Exemplarisch wurde dies durch den Austausch der Co-Lösungsmittel(Glykolether) demonstriert. Hydroxyfunktionelle Lösungsmittel des Basislacks können unter Ausbildung sogenannter dangling chains in die Klarlackaushärtung eingreifen. Vernetzungsstellen des Klarlacks werden reduziert. Entscheidend für das Ausmaß dieser Wechselwirkung sind das Molekulargewicht, der Siedebereich, die Migrationsneigung sowie die Stellung der Hydroxygruppe des verwendeten Glykolethers. Da sich diese Glykolether zwischen den Basislackformulierungen wesentlich unterscheiden, werden Klarlackschichten mit verschiedenem Vernetzungsgrad ausgebildet. Basislackabhängige Oberflächeneigenschaften, z. B. die Klebstoffhaftung, lassen sich damit erklären. Ein höherer Vernetzungsgrad der Lackschicht erschwert Diffusionsvorgänge zwischen Klebstoffund Lackschicht. Durch die verringerte Größe der Grenzphase sinken die Wechselwirkungsmöglichkeiten. Die Wechselwirkungsvorgänge zwischen den beiden Materialien werden erschwert. Der Nachweis einer diffusionsgesteuerten Haftung erfolgte durch ein Versuchsmodell: Auf einer Klarlackoberfläche wurden potenzielle Reaktionspartner für einen Isocyanat-basierenden Klebstoff abgesättigt. Dies erfolgte schrittweise bis in zunehmende Schichttiefen. Eine Klebstoff/Klarlack-Grenzphase wird angenommen, da der Haftaufbau erst verhindert wurde als tiefere Schichten abgesättigt waren. In einem weiteren Schritt wurden verschiedene Methoden zur Vorhersage der Haftung auf Lacksubstraten überprüft. Die Markierung funktioneller Gruppen ermöglicht durch anschließende XPS-Messungen eine Quantifizierung von oberflächennahen OH- und NH x -Gruppen. Für alle geprüften Klarlacke stellte eine OH/NH x -Konzentration unter 0,5 At% eine haftungskritische Oberfläche dar. XII  Die Rasterkraftmikroskopie bietet die Möglichkeit neben der Topographie weitere Informationen bezüglich der mechanischen Oberflächeneigenschaften zu liefern(HarmoniX-Mode). Hierzu zählt auch die Adhäsion. Versuche demonstrieren die Fähigkeit dieser AFM-Methode durch den Vergleich mit makroskopisch bestimmten Haftfestigkeiten. Für eine schnelle Risikobewertung der Klebstoffhaftung wurden Klarlacke direkt auf KTL-beschichtete Bleche aufgebracht. Für diese KTL/Klarlack-Proben werden Basislackabhängigkeiten ausgeblendet. Gleichzeitig entspricht der Oberflächenzustand dem ungünstigsten Fall bezüglich der Klebstoffhaftung. Die Klarlackvernetzung verläuft ungehindert und erreicht den höchsten Aushärtegrad. Die Ergebnisse ermöglichen Aussagen zur Haftung über den gesamten Farbfächer eines Lacksystems. Haftungskritische Klarlacke werden zudem schnell identifiziert. Hochvernetzte inerte Lackoberflächen werden schon heute zur Herausforderung für Polyurethan-Klebstoffe. Wird prozessbedingt ein Kleben auf Lack gefordert, gewährleistet der Einsatz einer Oberflächenvorbehandlung die größtmögliche Flexibilität und Sicherheit für die Produktion. Lösungsmittelfreie Vorbehandlungsmethoden von Klarlackoberflächen, wie z. B. das Atmosphärendruck-Plasma, bieten die Möglichkeit Polyurethan-Klebstoffe auf chemisch inerten Klarlackoberflächen einzusetzen. Darüber hinaus werden alternative Klebstoffsysteme und neue Möglichkeiten lackspezifischer Klebstoffmodifikationen(durch Enzyme) für die Anwendung auf Klarlacken diskutiert. Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis XIII Danksagung............................................................. VII Abstract................................................................. IX Kurzfassung.............................................................. XI 1. Einleitung ......................................................... 1 2. Motivation und Zielsetzung ........................................... 4 3. Stand der Technik ................................................... 6 3.1 Automobile Serienlackierung........................................... 6 3.1.1 Aufbau und Vernetzung von 2K-............................. 7 3.1.2 Hochkratzfeste.............................................. 10 3.1.3 Mechanische Eigenschaften von.............................. 11 3.1.3.1 Die........................................... 12 3.1.3...................................................... 13 3.2 Kleben in der Fahrzeugendmontage..................................... 15 3.2.1 Klebstoffe in der.................................... 16 3.2.1.1 Aufbau und Vernetzung von.......................... 16 3.2.2 Klebkonzepte in der Fahrzeugendmontage:..................... 21 3.3 Haftung und Enthaftung an Polymer/Polymer-Grenzflächen.................. 22 3.3.1 Mechanisches......................................... 24 3.3................................................... 25 3.3.3 Elektrostatische............................................... 25 3.3.4 Thermodynamische Adhäsionstheorie.................................... 25 3.3.5 Chemische........................................... 26 3.3.6 Diffusions- oder Interdiffusionstheorie.................................... 26 4. Analytische Grundlagen ............................................. 28 4.1 Röntgenphotoelektronenspektroskopie.................................. 28 4.2 Infrarot-Spektroskopie............................................... 31 4.3 Rasterkraftmikroskopie.............................................. 32 4.4 Bestimmung der Glasübergangstemperatur............................... 34 4.5 Dielektrische Analyse............................................... 36 4.6 Zugversuch von freien Lackfilmen...................................... 39 4.7 Bewertung der Klebstoffhaftung........................................ 42 4.7..................................................... 43 4.7................................................... 45 XIV Inhaltsverzeichnis 5. Ergebnisse und Diskussion ........................................... 46 5.1 Adhäsionsphänomene auf Klarlackoberflächen............................ 46 5.1.1 Einfluss der............................................ 49 5.1.1.1 Einfluss der Zeit.................................................... 51 5.1.1.2 Einfluss der........................................ 55 5.1.2 Suchstrategie: Externe Einflussfaktoren................................... 55 5.1.2.1 Der..................................................... 55 5.1.2.2 Selektion der haftungsbestimmenden.......................... 56 5.1.2.3 Wirksame Bestandteile der................................ 57 5.1.3 Basislackabhängige Klarlackeigenschaften................................. 59 5.1.3.1 Gehinderte Klarlackvernetzung......................................... 59 5.1.3.2 Störung der Klarlackvernetzung durch Glykolether........................... 60 5.1.3.3 Schichtübergreifende BC-/CC-.............................. 63 5.1.3.4 Alternative Co-Lösungsmittel: Vernetzungskontrolle.......................... 67 5.1.4 Untersuchungen zur.................................... 70 5.1.4.1 FT-IR...................................................... 70 5.1.4.2 Bestimmung der thermischen und mechanischen Eigenschaften (Anteil an Dangling Chains)............................................ 73 5.2 Beitrag zur Adhäsionsdebatte: Haftmechanismen auf lackierten Oberflächen...... 75 5.2.1 Diffusionsprozesse und kovalente............................... 75 5.3 Vorhersage der Haftung.............................................. 78 5.3.1 Farbtonunabhängige Risikobewertung: KTL/CC-Prüfmethode................... 79 5.3.2 Markierung oberflächennaher Reaktionspartner............................. 5.3.2.1 Auswertung mittels FT-IR-................................... 83 5.3.3 AFM-HarmoniX............................................ 84 5.3.4 Zerstörende Prüfmethoden: Einflussfaktoren und.................. 85 5.3.4.1 Rollenschälversuche................................................. 86 5.3.4..................................................... 86 5.4 Strategien zur verbesserten Haftung auf Lack............................. 88 5.4.1 Alternative............................................ 89 5.4.2 Das PUR-Klebstoff Haftpaket:......................... 90 5.4.2.1 Effekt einer gezielten Schädigung der....................... 90 5.4.2.2 Effekt alternativer Metallkatalysatoren.................................... 94 5.4.3 Lösungsmittelfreie Vorbehandlung von Lackoberflächen....................... 97 5.4.3.1 Charakterisierung der modifizierten............................. 98 5.4.3.2 Zeitliche Beständigkeit der................................ 100 5.4.3.3 Haftung auf modifizierten................................... 101 6. Fazit ........................................................... 104 Inhaltsverzeichnis XV 7. Experimentelles .................................................. 107 7.1 Materialien und Probenherstellung.................................... 107 7.1..................................................... 107 7.1..................................................... 107 7.1......................................................... 109 8. Verwendete Chemikalien und Geräte .................................. 111 8.1 Chemikalien...................................................... 111 8.2 Geräte.......................................................... 111 9. Anhang ......................................................... 117 9.1 Rollenschälversuche............................................... 117 9.2 Farbtonunabhängige Prüfung der Haftung............................... 118 9.3 Physikochemische Oberflächenvorbehandlung........................... 119 Abkürzungsverzeichnis..................................................... 121 Publikationen............................................................ 123 ........................................................ 124 Eidesstattliche Erklärung.................................................... 131 1. E i n l e i t u n g 1. Einleitung 1 Klebstoffe gehören zum alltäglichen Leben und begegnen uns in unterschiedlichsten Bereichen – wie z. B. das Etikett auf einer Getränkeflasche, die Haftnotiz am Kühlschrank, die geklebte Schuhsohle oder die Tapete an der Wand. In vielen Industriezweigen ist das Kleben als Fügeverfahren zu einem festen Bestandteil in der Produktion geworden. Neben der Möbel-, Bekleidungs-, Papier- und Verpackungs­ industrie profitiert zunehmend der Automobil- und Flugzeugbau von den ständigen Weiterentwicklungen der Klebtechnik. Abbildung 1.1 zeigt, wie Mitte des 19. Jahrhunderts erste wissenschaftliche Erkenntnisse zum Thema Klebstoffe und Adhäsionsmechanismen gemacht wurden. Durch die gesellschaftliche Akzeptanz bzw. Nachfrage nach immer neuen und innovativen Problemlösungen sind dank intensiver Forschung bis heute große Fortschritte zu verbuchen. Schnell wurden die wesentlichen Vorteile der modernen Klebtechnik für industrielle Fügeprozesse erkannt[1, 2]: • Gleichmäßige Spannungsverteilung über die gesamte Klebfläche • Verbindung unterschiedlicher Materialien • Gewichtsersparnis • Designfreiheiten • Geringe thermische Belastungen der Bauteile während des Fügens • Kurze Taktzeiten und saubere Applikation • Korrosionsinhibierende Wirkung durch isolierende Eigenschaften des Klebstoffs • Schwingungsdämpfende Eigenschaften flexibler Klebstoffschichten Abbildung 1.1: Veröffentlichungen mit den Themen„Adhesion Mechanism“, nach Publikationsjahr aufgetragen[3]. Die zahlreiche Verwendung von Klebstoffen im Endprodukt ist für den Laien oft nicht mehr zu erkennen. Der Fahrzeugbau liefert eindrucksvolle Beispiele für die Leistungsfähigkeit der Klebtechnik. Bis zu 70% der Gesamtstruktur werden im Flugzeugbau klebtechnisch verbunden(Fokker-F27-Friend­ ship, ca. 550 Komponenten)[4, 5]. Abbildung 1.2 zeigt die Entwicklung des potenziellen Klebstoff­ einsatzes für Anbauteile seit dessen Einführung in der Automobil-Serienfertigung. 2 1. Abbildung 1.2: Meilensteine des Klebens im Automobilbau und Historie der Direkteinglasung am Beispiel der Mercedes-Benz S-Klasse[6–9]. Ursprünglich stellten mechanische Schraubverbindungen und Schweißverfahren die wesentlichen Fügetechniken dar. Maßnahmen der ressourcenschonenden Leichtbauweisen führen zu den heutigen funktionsoptimierten Multi-Material-Designs – komplexe Konstruktionen aus verschiedenen Werk- 1. Einleitung 3 stoffen und Werkstoffkombinationen. Fügetechniken werden vor neue Herausforderungen gestellt [10]. Das Kleben wird mit zunehmendem Materialmix zum Fügeverfahren der Wahl[11, 12]. Alle technisch nutzbaren Werkstoffe wie Kunststoffe, Metalle und Gläser lassen sich durch geeignete Klebstoffe miteinander verbinden ohne diese dabei zu verändern. Das Kleben wird häufig als das Aufbringen eines Klebstoffs auf die zu verbindenden Bauteile wahrgenommen. Dahinter verbirgt sich jedoch ein Prozess, der mit der klebgerechten Konstruktion und Herstellung der Fügeteile beginnt, gefolgt von der Auswahl eines geeigneten Klebstoffes, der Vorbehandlung der Oberflächen und dem Fügeprozess selbst. Der Prozessablauf ist in Abbildung 1.3 zusammengefasst. Die Qualitätsprüfung der Klebverbindung am fertigen Produkt schließt den Prozess ab. Die zerstörungsfreie Qualitätsprüfung stellt ein weiteres Thema dar, welches großen Entwicklungsbedarf aufzeigt[13, 14]. • Konstruktion • Design • Prozessplanung • QM-Planung Fügeteilherstellung Oberflächenvorbehandlung • Qualitätssicherung • Reinigung • Vorbehandlung • Klebstoff Auswahl /Anlieferung/ Mischen/ Dosieren • Klebstoff Applikation • Fügen • Fixieren • Klebstoff Aushärtung Fügeprozess Prüfung/ Freigabe • Vertrieb • Recycling Abbildung 1.3: Umfang des Klebprozesses, mit vor- und nachgelagerten Prozessen. Neben der Klebtechnik ist die Haftung in vielen anderen Technologiebereichen von zentraler Bedeutung, beispielsweise in der Oberflächenvergütung, der Lackierung oder der Verbundwerkstoffproduktion. Diese Anwendungsbereiche werden als„grenzschichtbestimmte Technologien“ bezeichnet, da sie sehr stark mit den Aspekten der Haftung und Struktur der Phasengrenzen verknüpft sind. Die Oberflächenchemie der Grenzflächen beeinflusst maßgeblich Faktoren wie die katalytische Aktivität, Korrosionsraten, Hafteigenschaften oder die Benetzbarkeit. Oberflächen prägen daher viele wichtige Eigenschaften der jeweiligen Materialien[15]. Grenzschichtbestimmte Technologien sind jung. Aufgrund der Komplexität von fachübergreifenden Grundlagen der Haftung haben diese Technologien viel Potenzial für Weiterentwicklungen und Entdeckungen[16]. Im Moment basiert die anwendungsnahe Entwicklung von Verbundsystemen meist auf empirischen Ansätzen und langen, kostenintensiven Untersuchungen, die eine gezielte Weiterentwicklung verzögern[17]. 4 2. Motivation und Zielsetzung 2. und Zielsetzung Für strukturelle Klebungen werden bei Mercedes-Benz Cars karosserieseitig die relevanten Bereiche vor dem Lackieren maskiert, z. B. Scheibenflansche. Nach der kathodischen Tauchlackierung(KTL) wird eine temporäre Abdeckmaske aufgebracht. Erst unmittelbar vor dem Klebstoffauftrag im Montagesektor wird diese wieder entfernt. Die dadurch lackunabhängige und saubere Oberfläche garantiert eine höchst belastbare und langzeitstabile Bauteilverklebung. Nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen wird das Kleben direkt auf Decklack als Alternative zur Klebung auf KTL diskutiert. Auch die Integration neuer Fertigungsverfahren und Multi-Material-Strukturen erfordert Anpassungen der Klebkonzepte: insbesondere die Verlagerung von Fügeschritten in die Fahrzeugendmontage, d. h. nach erfolgter Lackierung, wird zunehmend durchgeführt[18, 19]. Während mechanische Eigenschaften von Lackklebungen bzw. die Zwischenschichthaftung der Lackaufbauten intensiv untersucht wurden[20, 21], sind Studien zum Thema Haftung auf Multischicht-Lacksystemen kaum zu finden. Aufgrund komplexer Lackrezepturen und Vernetzungsprozessen zeigen Multischicht-Lackaufbauten häufig unerwartete Eigenschaften. Die ablaufenden Prozesse in Multischicht-Lacksystemen werden nicht immer im Detail verstanden[22]. Es fehlen Kriterien zur Abschätzung des Beitrags einzelner Lackschichten zu den mess- und beobachtbaren Eigenschaften des Gesamtaufbaus[23, 24]. In Bezug auf die Decklackhaftung von Klebstoffen werden paradoxe Phänomene regelmäßig beobachtet, z. B. vermeintliche Farbtonabhängigkeiten. Im ersten Teil der Arbeit soll das Verständnis bezüglich haftungsrelevanter Einflussfaktoren und deren Größe verbessert werden. Dieses Verständnis dient der Gewährleistung einer hohen Prozess­ sicherheit beim Kleben auf Klarlackoberflächen. Im Mittelpunkt steht der Einfluss von Basislacken auf die Oberflächeneigenschaften der Klarlackschicht. Frühere Studien betrachteten insbesondere die Klarlackschicht als eigenständiges System [25]. Oft unbeachtet blieben die unteren Schichten des Lackaufbaus und ihr Einfluss auf die Oberflächeneigenschaften. Um basislackabhängige Oberflächeneigenschaften zu verstehen, müssen zunächst charakteristische Unterschiede der Basislack-Zusammensetzung(z. B. Lackierprozessabhängig­) verstanden werden. Mittels Basislack-Modellsystemen und-Variationen soll der Mechanismus aufgeklärt und der Eingriff auf die Klarlackvernetzung bzw. dessen chemische Struktur und Oberflächenchemie verdeutlicht werden. Ein anerkanntes Messverfahren für die Vorhersage der Haftung oder die zerstörungsfreie Prüfung von Klebverbindungen existiert derzeit nicht[26]. Daher sollen entscheidende Faktoren für die Haftung von PUR-Klebstoffen auf Klarlacken detektiert werden. Dieser Haftmechanismus soll die Vorhersage der Haftung von Klarlack/Klebstoff-Systemen zulassen. Neue Methoden der Analytik werden dafür einer Eignungsprüfung unterzogen, indem die Messergebnisse mit makroskopischen Hafttestergebnissen verglichen werden. In einer weltweit angelegten Marktforschungsanalyse wurde das Kundeninteresse hinsichtlich der Eigenschaften zukünftiger Lackgenerationen untersucht. Die Themen Easy-to-Clean und höchstkratzfeste Lacke erhielten die höchste Benotung bezüglich Attraktivität und Kundennutzen[27]. Die Ent- 2. und Zielsetzung 5 wicklung multifunktionaler Lacke wird daher intensiv verfolgt. Dementgegen werden zunehmend Anwendungen von Klebstoffen auf diesen„Anti-Haftbeschichtungen“ angestrebt – ein Zielkonflikt. Aufgrund der zunehmend niedrigen freien Oberflächenenergien und des chemisch inerten Verhaltens von aktuellen und zukünftigen Klarlackoberflächen werden die Grenzen einkomponentiger Polyurethan-Klebstoffsysteme(1K-PUR-Klebstoffe) erreicht. Um auch in Zukunft die Lackentwicklung(z. B. schmutzabweisende Oberflächen) nicht einzuschränken, sind Struktur-Eigenschafts-Prinzipien der Gesamtklebeverbindung inklusive aller Lackschichten(und deren Prozesshistorie) für die gezielte Klebstoffentwicklung im Vorfeld nützlich. Weiterhin soll im Rahmen dieser Arbeit die Verbesserung der Adhäsion durch intrinsische Modifikationen des Klebstoffs aufgezeigt werden. Das besondere Interesse gilt der Frage, ob sich die Eigenschaften eines PUR-Klebstoffs durch Modifikation so beeinflussen lassen, dass(lackspezifische) Klebstoffsysteme mit einer hohen Bindungstendenz an Automobil-Klarlackoberflächen formuliert werden können. Geeignete Modellklebstoffe sollen zur Beantwortung dieser Fragestellung durch Zusatz verschiedener Katalysatoren hergestellt und ihre neuen Eigenschaften anhand von praktischen Klebtests beurteilt werden. Geeignete Alternativen zu PUR-Klebstoffen und lösungsmittelfreie Vorbehandlungsmethoden für Lackklebungen sollen darüber hinaus vorgestellt werden. 6 3. Stand der Technik 3. Stand der Technik Dieses Kapitel beinhaltet die Prozesse und Materialien, die für diese Arbeit von Bedeutung sind. Es ist in zwei Abschnitte unterteilt. Der erste Teil befasst sich mit dem Material bzw. Haftgrund„Lack“. Im zweiten Abschnitt wird das Thema„Kleben“ vorgestellt. Dabei werden typische Klebstoffarten sowie Theorien der„Adhäsion“ erläutert. 3.1 Automobile Serienlackierung Im Automobilbereich haben sich aufgrund der extremen Anforderungen an den Lackiervorgang und an das Lackierergebnis verschiedenste Lackierprozesse entwickelt. Komplexe und hoch automatisierte Prozesse sind das Ergebnis. Diese variieren zwischen den Automobilherstellern, aber auch intern zwischen Werken eines Herstellers. Zwei wesentliche Ziele werden mit dem Beschichtungsvorgang verfolgt. Die grundlegende Motivation ist der Schutz des Substrats vor aggressiven Umwelteinflüssen, wie Sonneneinstrahlung und Feuchtigkeit. Gleichzeitig sollen Farbe und Effekte dem Substrat eine dekorative und ästhetische Optik verleihen. Die Exposition durch permanente sowie temporäre Umweltfaktoren(Sonneneinstrahlung, Regen und Luftfeuchtigkeit bzw. saurer Regen oder verschiedene biologische Substanzen) über die Lebensdauer der Beschichtungen führen mit der Zeit zum Abbau der genannten Eigenschaften und zur Abwertung des Fahrzeugs. Um die Vielzahl an Anforderungen zu erfüllen, sind moderne Automobillacke mehrschichtige Systeme­.­ Mindestens drei, zunehmend vier bis fünf aufeinander abgestimmte Lackschichten haben vordefinierte Funktionen, die gemeinsam die unterschiedlichen Anforderungen erfüllen. Wie Abbildung 3.1 darstellt, wird zunächst durch Phosphatierung eine Konversionsschicht aufgebracht. Diese verbessert die Haftung der folgenden Lackschicht(Epoxidharz-Amin basierend), welche mittels kathodischer Tauchlackierung(KTL) darauf abgeschieden wird. Die KTL-Schicht stellt den Korrosionsschutz des metallischen Substrats sicher; auch Hohlräume werden beschichtet. Der anschließende Lackierprozess sieht für den Schutz gegen mechanische Verformungen(z. B. Steinschlag) eine Polyester-Melamin-basierende Füllerschicht vor. Farb- und Spezialeffekte bewerkstelligt die Basislackschicht, die typischerweise auf pigmentierten Acryl-Melaminharzen aufbaut. Um den Basislack zu schützen, wird ein nicht-pigmentierter Klarlack über diese Schicht aufgetragen. Moderne Klarlacke für die Automobillackierung müssen maximalen Oberflächenglanz und Tiefenwirkung bieten. Neben diesen ästhetischen Funktionen müssen sie die darunterliegenden Schichten vor UV-Strahlung sowie chemischem- oder mechanischem Angriff schützen. 3.1 Automobile Serienlackierung 7 Abbildung 3.1: Aufbau automobiler Lacksysteme(links: Schwarz uni, rechts: Schwarz metallic); 1= Stahlsubtrat, 2= Phosphatierung, 3= KTL, 4= Füllerschicht, 5= Basislack, 6= Klarlack. 3.1.1 Aufbau und Vernetzung von 2K-Klarlacksystemen Klarlacke bilden die Oberfläche der Mehrschicht-Decklacke. Die Lackindustrie bietet eine Vielzahl von Lacktypen an, deren Grundgerüst auf unterschiedlichsten Polymeren und deren Kombinationen basiert. Alkydharze, Trockenöle oder Vinylharze mögen altmodisch erscheinen, sind jedoch kostengünstig und effektiv. Polyester, Acrylate, Epoxide, Polyurethane, Phenolverbindungen und Silikone bieten ein sehr umfangreiches Eigenschaftsprofil. Hybrid-Technologien, wie z. B. Urethan-Acrylate, Epoxid-Acryle, Silan-Acryle etc. werden für spezifische Anforderungen entwickelt. Als Vernetzer kommen ebenfalls unterschiedlichste Materialien zum Einsatz, wobei Melamine und Isocyanate am verbreitetsten sind. Über die Vernetzungsreaktionen(Netzwerkdichte und-struktur) werden die finalen Klarlackeigenschaften beeinflusst. Hochreaktive Isocyanate bilden in Verbindung mit Hydroxy- und Amino-funk­ tionellen Substanzen Polyurethane bzw. Polyharnstoffe aus. Die Reaktionen werden gleichzeitig durch weitere chemische und physikalische Prozesse entscheidend beeinflusst. Komplexe Strukturen, Löslichkeitsparameter und sterische Zugänglichkeiten der funktionellen Gruppen erschweren bei der Formulierung die Vorhersage von Endeigenschaften. Der Effekt von einzelnen Parametern ist messtechnisch nicht nachvollziehbar. Neben der Ausbildung der gewünschten Verbindungen sind stets Nebenprodukte in unterschiedlichem Umfang zu erwarten, weshalb in der Regel die gesamte Formulierung bewertet wird(vgl. Abbildung 3.2)[26]. Typische einkomponentige melaminvernetzte Klarlacke für die Automobilindustrie zeigen Schwächen in Bezug auf Säureätzung. Die in dieser Arbeit untersuchten 2K-Klarlacke basieren auf der Vernetzung mit Melamin und/oder Isocyanat. Sie zeichnen sich durch höchste Beständigkeit gegen Chemikalien und Kratzer aus. 8 3. der Technik Mögliche Vernetzungsreaktionen der OH-funktionellen Acrylatharze mit Melaminformaldehydharzen wurden in der Vergangenheit intensiv untersucht[28, 29]. In diesem Vernetzungssystem konkurrieren mehrere Reaktionen: Die Co-Kondensation zwischen dem Melaminformaldehydharz und dem OH-Acrylat als Reaktionspartner(Abbildung 3.2B) verläuft parallel zur Selbstkondensation des Melaminformaldehydharzes(Abbildung 3.2C). Das Verhältnis zwischen Co-Kondensation und Selbstkondensation nimmt großen Einfluss auf die Eigenschaften der ausgehärteten Beschichtung. Isocyanate haben ein hartes(IPDI) oder ein flexibles(HDI) Grundgerüst. Die Urethangruppe oder Harnstoffgruppe schafft harte Verknüpfungspunkte und erhöht die Glasübergangstemperatur T g . Melaminharze steigern mit ihrem steifen Gerüst und den vielen Reaktionsmöglichkeiten T g und Vernetzungsdichte. Im Fall der Selbstkondensation des Melaminharzes ergeben sich durch die verstärkte Bildung von Methylen-Ether-Brücken Schwachstellen hinsichtlich der Ätzbeständigkeit. Andererseits zeigen selbstkondensierte Melaminformaldehydphasen positive Auswirkungen auf einige mechanische Eigenschaften der Klarlackschicht, z. B. Abriebfestigkeit und Oberflächenhärte. Abbildung 3.2 fasst die Reaktionsmöglichkeiten dieses Klarlacksystems zusammen. Abbildung 3.2: Vernetzungsreaktionen eines 2K-Klarlacks basierend auf OH-funktionellen Acrylatharzen, die mit aliphatischen Polyisocyanaten und ggf. Melaminharzen vernetzt werden. 3.1 Automobile Serienlackierung 9 Die Reaktionswahrscheinlichkeiten zwischen Melaminharzen und OH-Acrylatharzen zeigt Tabelle 3.1. Weiteren Einfluss nehmen das Katalysatorsystem, sowie der Temperatureintrag. Während die Co-Kondensation hauptsächlich bei niedrigeren Härtungstemperaturen(95–130°C) stattfindet, wird die Selbstkondensation durch höhere Härtungstemperaturen begünstigt. Ein relativ schneller Anstieg des Speichermoduls(Vernetzungsdichte) mit der Temperatur ist typisch für Melamin-Formaldehyd-vernetzte Klarlacke. Insgesamt entstehen bei höheren Härtungstemperaturen jedoch inhomogene Strukturen, wodurch die lineare Beziehung zwischen der Vernetzungsdichte und dem Speichermodul gestört wird[30]. HMMM HMMM oder OH-funktionelles Bindemittel (Abspalt-) Produkt Reaktionstyp* geschw. Mel-NH-H Mel-NH-CH 2 -OH Mel-NH-H Mel-NH-CH 2 -O-CH 3 Mel-NH-CH 2 -OH Mel-NH-CH 2 -OH R-OH Mel-NH-CH 2 -OH Mel-NH-CH 2 -O-(CH 2 ) x -CH 3 R-OH Mel-NH-CH 2 -O-(CH 2 ) x -CH 3 Mel-NH-CH 2 -OH Mel-NH-CH 2 -O-CH 2 -NH-Mel Mel-NH-CH 2 -NH-Mel+ H 2 O ↑ Mel-NH-CH 2 —NH-Mel+ CH 3 -OH ↑ Mel-NH-CH 2 -O-R+ H 2 O ↑ Mel-NH-CH 2 -O-CH 2 -Mel+ H 2 O ↑ Mel-NH-CH 2 -O-R+ CH 3 -(CH 2 ) x -OH ↑ Mel-NH-CH 2 -O-CH 2 -NHMel+ CH 3 -(CH 2 ) x -OH ↑ Mel-NH-CH 2 -NH-Mel+ HCHO ↑ SK SK Co SK Co SK Hoch Mel-NH-CH 2 -OH Mel-NH-H+ HCHO ↑ Niedrig Tabelle 3.1: Reaktionen bei der Vernetzung von Melaminharzen und Hydroxygruppen enthaltendem Bindemittel;(*Typ: Co= Co-Vernetzung, SK= Selbstkondens­ ation)[31]. Neue, melaminfreie Klarlacksysteme basieren auf der Vernetzung von OH-Acrylatharzen mit nicht-­ blockierten Polyisocyanaten. Hierbei handelt es sich um eine Polyadditionsreaktion; beim Einbrennen entstehen keine Abspaltprodukte. Der große Vorteil dieser Systeme ist der definierte, nachvollziehbare Vernetzungsprozess. Die Ausbildung von Urethan-Strukturen ist die einzig mögliche Vernetzungsreaktion zwischen den beiden Komponenten(entspricht Abbildung 3.2A). Klarlacke, welche auf dieser Vernetzungschemie beruhen, sind für sehr gute Säure- und Ätzbeständigkeit bekannt. Durch die Integration von harten, glasartigen Silanstrukturen in das Polymergrundgerüst kann zusätzlich die Oberflächenhärte gesteigert werden(vgl. Kapitel 3.1.2). Die Vernetzung von OH-Acrylatharzen mit Polyisocyanaten beginnt bereits bei Temperaturen von ca. 75°C. Diese Vernetzungsreaktion ist jedoch langsamer als die Reaktion der Melaminharze. Dies reflektiert ein langsamerer Anstieg des Speichermoduls während der Aushärtung. Die Glasüber- 10 3. der Technik gangstemperatur der gehärteten Klarlackschicht korreliert direkt mit der gewählten Einbrenntemperatur. Auf moderne 1K-Klarlacksysteme werden die Vorteile einer guten Säure- und Ätzbeständigkeit der beschriebenen 2K-Systeme mithilfe blockierter Polyisocyanate übertragen. Dabei ist die Vernetzungstemperatur stark von der Art des Blockierungsmittels abhängig. Zudem kann die Härtungstemperatur durch die Wahl der funktionellen Gruppen gesteuert werden. Allgemein reagieren Amine schneller als Alkohole und primäre Hydroxygruppen reagieren schneller als die sekundären Hydroxygruppen[32]. 3.1.2 Hochkratzfeste Klarlacke Die Ablösung der Einschicht-Decklack-Systeme durch Multischicht-Systeme führte zu enormen Verbesserungen vieler Lackeigenschaften. Neben dekorativen Funktionen werden aktuell neuartige Eigenschaften des Lacks gefordert, z. B. schmutzabweisende Oberflächen[33]. Mercedes-Benz tritt mit seinem kratzbeständigen Klarlack als Vorreiter auf[34]. Eigenschaften, wie hohe Kratzfestigkeit und Beständigkeit gegen aggressive Medien, steigern langfristig die Attraktivität der Fahrzeuge und bieten dem Kunden so einen Mehrwert. Insbesondere der Schutz vor mechanischen Verletzungen wurde in den letzten Jahren deutlich verbessert. Um kratzfeste Klarlacke zu erhalten, wird allgemein die Vernetzungsdichte möglichst hochgehalten. Dies erhöht den Modul und die elastische Rückstellkraft. Eine hochkratzfeste Klarlackvariante setzt Silika-Nanopartikel ein. Diese SiO 2 -Partikel(ca. 20 nm Teilchengröße) sind durch fest auf der Oberfläche gebundene und sehr flexible Polymere(Siloxan-Polyole) funktionalisiert. Diese Polymere verfügen wiederum über reaktive Hydroxygruppen, welche die Partikelintegration durch die Ausbildung von Knotenpunkten ermöglichen. Während der Aushärtung reichern sich die Nanopartikel an der Oberfläche an; es bildet sich eine glasähnliche, extrem harte sowie widerstandsfähige Schicht aus(vgl. Abbildung 3.3C). Die Lackoberfläche wird dadurch gegenüber dem chemikalienbeständigen Bulk mechanisch verstärkt. Aus der Erhöhung des elastischen Moduls, sowie der Nanopartikeldiffusion an die Oberfläche resultiert eine gesteigerte Kratzbeständigkeit. Andere hochkratzfeste Klarlacktypen setzen auf eine Modifikation der konventionellen Lacktechnologie durch Silan-Verbindungen. Die klassische Vernetzung des OH-Acrylatharzes mit einem Isocyanat-Vernetzer kann durch Katalysatoren gut gesteuert werden. Der Isocyanatvernetzer ist durch Alkoxysilan-Einheiten(Polymer-Si(OR) 3 ) modifiziert. Beim Einbrennprozess läuft somit parallel zur Isocyanat-OH Vernetzung, die Kondensation der Alkoxysilanfunktionen unter Abgabe von Alkoholen ab. Dabei kommt es in situ zur Ausbildung glasartiger Silikat-Cluster(Polymer-Si(OR) 2 -O-Si(OR) 2 Polymer), welche als hoch belastbare Knotenpunkte im PUR-Netzwerk fungieren[35, 36]. Ein nano­ skalig strukturiertes Verbundmaterial wird geschaffen, das harte, glasartige und weiche polymerartige (nieder T g -Segmente) Zonen aufweist. Die Silikat-Cluster von ca. 10 nm Größe sind homogen in der Schicht verteilt und bilden keinen Gradienten aus(vgl. Abbildung 3.3B). Die kovalent gebundenen flexiblen Ketten in der SiO 2 -Struktur bieten trotz hoher mechanischer Beständigkeit ausreichend Flexibilität­­um plastische Verletzungen wiederherzustellen[37]. Abbildung 3.3 verdeutlicht den Unterschied zwischen den beschriebenen kratzfesten Klarlack­ typen. 3.1 Automobile Serienlackierung 11 Abbildung 3.3: Typische Methoden um eine hohe Kratzfestigkeit zu erzielen (eigene Untersuchungen mittels TEM): A: Vernetzungsgrad erhöhen durch den Einsatz von Co-Vernetzern(wie z. B. Melaminharze)./ B: Hybrid-Materialien, bestehend aus Polymermatrix mit relativ geringem Vernetzungsgrad(Reflow-Eigenschaften) und anorganischen Cluster(-Si-O-)./ C: SiO 2 -Nanopartikel werden in das Polymernetzwerk integriert und sammeln sich an der Oberfläche an. 3.1.3 Mechanische Eigenschaften von Lackschichten Das Verständnis der Zusammenhänge zwischen der Materialzusammensetzung und den mechanischen Eigenschaften schafft die Basis für neuartige Formulierungen, welche den vielseitigen Automobilanforderungen gerecht werden[32]. Mechanische Eigenschaften wie die Dehnbarkeit, die Härte, 12 3. der Technik die Elastizität, die Plastizität, die Relaxation oder die Schlagfestigkeit sind von entscheidender Bedeutung für die Schutzwirkung einer Lackierung[38]. Die wesentlichen Stellhebel stellen die Vernetzungsdichte sowie die Struktur des Netzwerkes dar. Diese werden nach den individuellen quantitativen und qualitativen Gebrauchsanforderungen angepasst. Die Vernetzungsdichte stellt dabei eine Schlüsselvariable für die Ausbildung des mechanischen Eigenschaftsprofils dar[29]. Die Einbrennbedingungen, die reaktiven Komponenten und das stöchiometrische Stammlack/Härter-Verhältnis beeinflussen jedoch die Vernetzungsdichte. Ziel der Lackaushärtung ist die molekulare Vernetzung. Umgekehrt liefert die Bestimmung der dynamisch-mechanischen Eigenschaften wertvolle Informationen über diese Vernetzungsreaktionen. Mechanische Eigenschaften von Lackfilmen sind komplex. Ein Grund ist, dass Beschichtungen als dünne Filme auf ein Substrat appliziert werden und Wechselwirkungen mit dem Substrat auftreten können. Wenn Beschichtungen in industriellen Prozessen ausgehärtet werden, können weitere Effekte Einfluss auf die mechanischen Eigenschaften nehmen – z. B. kann die Ofentemperatur abschnittsweise oder temporär variieren. Die Aufheizrate und die maximale Objekttemperatur können von der Substratstärke abhängen. Die Objekttemperatur auf dem Blechdach eines Autos kann schneller erreicht werden als in Falzbereichen mit dickeren Metallstärken. Um die gewünschten Eigenschaften der Lackschicht zu sichern, wird ein Prozessfenster definiert. Die minimale und maximale Zeit bei bestimmten Temperaturen wird angegeben. Wird die Obergrenze des Prozessfensters erreicht, führt das sogenannte Überbrennen zu einem sehr hohen Vernetzungsgrad. 3.1.3.1 Die Glasübergangstemperatur Die Glasübergangstemperatur( T g ) wird als Temperaturbereich definiert, in welchem die Umwandlung eines amorphen, glasartigen Polymers in ein gummiartiges bis zähflüssiges Polymer stattfindet[39, 40]. Die T g ist kein scharf definierter thermodynamischer Übergang, sondern eher ein Temperaturbereich, über den die Beweglichkeit der Polymerketten zunimmt. Ursache dieses Übergangs ist das Einfrieren bzw. Auftauen der Brownschen Molekularbewegungen längerer Kettensegmente. Wird die Glasübergangstemperatur über- oder unterschritten tritt eine drastische Eigenschaftsveränderung des Polymers ein. Die chemische Vernetzung wärmehärtender Lackharze verhindert ein Schmelzen oder Fließen bei Erwärmung nach erfolgter Härtung. Allerdings zeigen vernetzte Materialen ein leichtes Erweichen bei erhöhter Temperatur, welches ebenfalls als T g bezeichnet wird. Der Glasübergangsbereich von Lackschichten hängt maßgeblich vom Grad der chemischen Vernetzung ab. Ferner nehmen die chemische Struktur, die Molmasse, die Flexibilität der Polymerketten sowie der Umgebungsdruck Einfluss. Die Glasübergangstemperatur steigt mit zunehmender Bindungsenergie, welche z. B. durch inter- oder intramolekulare Wasserstoffbrückenbindungen erhöht wird. Langkettige Substituenten führen durch eine Behinderung der Bindungsrotation der Hauptkette zu einer Erhöhung der Glasübergangstemperatur. Ebenso behindern polare Substituenten die Bindungsrotation, weshalb z. B. Polyacrylnitril eine signifikant höhere Glasübergangstemperatur aufweist als Polypropylen(~90°C bzw.~0°C). Die Nitrilgruppen(-CN) sind aufgrund der höheren 3.1 Automobile Serienlackierung 13 Elektronegativität von N gegenüber C polar. Diese starken zwischenmolekularen Kräfte verleihen dem Material Härte und Steifigkeit. Flexible Substituenten begünstigen dagegen die Bindungsrotation und erniedrigen die T g . Für vernetzte Systeme, z. B. 2K-Klarlacke, steigt die T g mit zunehmender Vernetzung, da die Bindungsrotation erschwert wird. Verzweigungen im Molekül können die T g zusätzlich durch Verringerung der Packungsdichte erhöhen[41]. Welche Faktoren die Breite des T g -Übergangs bestimmen ist nur ansatzweise aufgeklärt. Häufig wird als Ursache für zunehmend breite Glasübergangsbereiche die Heterogenität des Polymermaterials genannt. Thermoplastische Polymerblends zeigen oft zwei verschiedene T g -Werte; vermutlich aufgrund von Phasenseparation. Für vernetzte Polymersysteme ist der T g -Übergangsbereich im Allgemeinen breiter als für Thermoplaste. Zudem kann die Breite erheblich variieren. Die Kettenlängenverteilung zwischen den Vernetzungspunkten ist ausschlaggebend für die Breite des T g -Übergangs. Reaktionsharze und Mischungen aus beispielsweise Acryl- und Polyesterharzen, zeigen in der Regel nur einen, sehr breiten T g -Übergang[42, 43]. Im Hinblick auf das Eigenschaftsprofil wird Materialien mit breiten und/oder mehreren Glasübergangsbereichen eine bessere Stoßfestigkeit zugeschrieben, als vergleichbaren Polymeren mit einem einzigen, scharfen T g [32]. 3.1.3.2 Viskoelastizität Die Art der Verformung aller Festkörper kann elastisch und/oder viskos sein. Bei ideal elastischer Verformung verhält sich die elastische Verformung proportional zur einwirkenden Belastung. Dieses sog. Hookesche Verhalten veranschaulicht eine Stahlfeder. Sobald die Belastung gelöst wird, kehrt das Material nahezu ohne Verzögerung in die Ursprungsform zurück. Ein ideal viskoses Material, ein sog. Newtonsches Fluid, verformt sich ebenso proportional zur auf ihn ausgeübten Belastung. Im Gegensatz zu ideal elastischen Materialen kehrt es nach Entlastung nicht in den ursprünglichen Zustand zurück; die Verformung ist permanent. Dieses Verhalten kann durch einen Dämpfungszylinder veranschaulicht werden. Materialien, die sowohl viskose als auch elastische Anteile aufweisen, werden als viskoelastisch bezeichnet. Typische Beispiele hierfür sind Lackfilme. Dies zeigt die genaue Betrachtung ihrer mechanischen Eigenschaften. Bei thermoplastischen Beschichtungen findet eine teilweise irreversible Deformation statt, da sich der viskose Anteil permanent verformt. In vernetzten Beschichtungssystemen ist die selbstständige Rückführung der Deformation in den Ausgangszustand möglich, auch wenn teilweise viskoses Fließen auftritt. Die Belastung der Vernetzungspunkte liefert die Kraft, um die viskose Strömung umzukehren. Dies gilt insbesondere für Materialien ohne Fließgrenze. Liegt eine Fließgrenze vor, erfolgt die Wiederherstellung der ursprünglichen Dimensionen nur teilweise bzw. unvollständig(vgl. Abbildung 3.4). 14 3. der Technik AC Dehnung Dehnung t 1 t 2 t 1 t 2 BD Dehnung Dehnung t 1 t 2 t 1 t 2 Abbildung 3.4: Funktionsverläufe des Kriechverhaltens[32]. Eine konstante Belastung wird zum Zeitpunkt t 1 angelegt. Das Verhalten nach Entlastung( t 2 ) für einen ideal elastischen Festkörper(A), eine Newtonsche Flüssigkeit(B), eine vernetzte, viskoelastische Probe, welche eine vollständige Rückbildung erreicht(C) und eine viskoelastische Probe, welche nur eine unvollständige Erholung erreicht, wird angezeigt(D). Wird das E-Modul als Funktion der Temperatur aufgezeichnet, werden diese Zusammenhänge sichtbar. Dies ermöglicht beispielsweise die dynamisch mechanische Thermoanalyse. Hierbei wirkt eine sinusförmige, oszillierende Kraft auf die Materialprobe und die resultierende Deformation wird gemessen[44, 45]. Aus den erhaltenen Messwerten werden die viskoelastischen Eigenschaften des Materials als Funktion von Zeit und Temperatur erfasst. Neben der Glasübergangstemperatur T g sind dies der Speichermodul E’ und der Verlustmodul E’’ der Probe[46]. Der im Material gespeicherte Energieanteil nach Deformation(elastischer Anteil) wird als Speichermodul E’ bezeichnet. Der bei diesem Vorgang als Hitze verbrauchte Energieanteil(viskoser Anteil) wird durch das Verlustmodul E’’ beschrieben. Die Moduln E’ und E’’ sind abhängig von der Deformationsgeschwindigkeit und der Temperatur. Diese Abhängigkeiten sind für jeden Stoff charakteristisch und geben Auskunft über die Beweglichkeit der Molekülketten(Abbildung 3.5). Unterhalb der Glasübergangstemperatur T g nimmt die Beweglichkeit der vernetzten Molekülketten­­ drastisch ab(hohes Speichermodul E’). Die Beschichtung verhält sich glasartig. Anwendungs­ technische Eigenschaften, wie z. B. die Schlagzähigkeit, können eingeschränkt werden. 3.2 Kleben in der Fahrzeugendmontage 15 Abbildung 3.5: Dynamische Eigenschaften eines hochvernetzten Acryl-Klarlackfilms. Die roten Linien zeigen die Werte E‘(min) und T g an. Diese geben Auskunft über den Aushärtegrad, da E‘(min) und T g tendenziell mit zunehmender Vernetzung­ steigen[47, 48]. 3.2 Kleben in der Fahrzeugendmontage Die Automobil- und Flugzeugindustrie untersucht Klebstoffe und die damit verbundenen Adhäsionsmechanismen seit mehr als 50 Jahren[49]. Der erste Einsatz von Klebstoffen im Automobil war das Einkleben der Scheiben im Jahr 1963[50]. Unter allen Fügeverfahren bietet nur das Kleben den technischen Vorteil, dass auch unterschiedliche Werkstoffe stoff- und kraftschlüssig ohne Wärmeeintrag verbunden werden können. Kleben ermöglicht daher moderne Mischbauweisen(Multi-Material-Design) und leistet einen Beitrag zur Entwicklung moderner Leichtbaukonzepte im Karosseriebau[11]. Eine hohe Automatisierbarkeit, Qualität und Reproduzierbarkeit sowie geringe Kosten machen das Kleben zudem nutzbringend[7, 51]. Für die Integration moderner Klebstoffanwendungen in laufende Produktionslinien, wurden verschiedene Prozessketten-Modelle entwickelt[2]. Vor allem die zu erreichende Verbundfestigkeit entscheidet über die Eingliederung des Klebprozesses. Der klassische Produktionsablauf der Automobilherstellung umfasst drei Hauptbereiche: die Rohbauarbeiten, den Lackierprozess und die Endmontage(vgl. Abbildung 3.6). Der Rohbau ist in das Presswerk und die mechanische bzw. thermische Fügetechnik untergliedert. Im Presswerk findet die Komponentenfertigung, z. B. durch Tiefziehen, Extrudieren oder Metallguss statt. Das Fügen einzelner Komponenten und Baugruppen zu einer Rohbaukarosserie geschieht im Anschluss durch Laser- oder Punktschweißen sowie die Anwendung von 2K-Strukturklebstoffen(auf Epoxid- oder PUR-Basis). Der anschließende Lackierprozess umfasst die Tauchapplikation der KTL-Grundierung und deren Trocknung. Weitere Trockner dienen der Aushärtung der darauf aufgebrachten Materialien, d. h. 16 3. der Technik Strukturklebstoffe, Akustikmaterialien, Nahtabdichtungsmaterial und der Grund- und Deckfarb­ beschichtung. Abschließend werden im Endmontagebereich hauptsächlich Anbauteile mittels mechanischer Verbindung oder Verklebung gefügt. Die bekannteste Anwendung in der Endmontage stellt das Einkleben der Front-, Heck- und aller feststehenden Seitenscheiben mit 1K-PUR-Klebstoffen dar. Eingeklebte Scheiben übernehmen heute zusätzliche Funktionen. Sie erhöhen die Karosseriesteifigkeit und eröffnen neue Möglichkeiten im Fahrzeugdesign, z. B. die Reduktion des A-Säulenumfangs. Dieses Konzept wird auch für verschiedene Dachausführungen häufig übernommen. Abbildung 3.6: Klassischer Produktionsablauf der Automobilherstellung[8]. 3.2.1 Klebstoffe in der Fahrzeugendmontage Hauptsächlich 1K-Polyurethanklebstoffe finden in der Fahrzeugendmontage für die Verbindung von Bauteilen zur Karosserie Anwendung. Als Beispiele seien die Windschutzscheibe, die Heckscheibe, das Dach und die Ersatzradmulde genannt. 1K-Polyurethanklebstoffe zeichnen sich durch leichte Verarbeitbarkeit und die hohe Duktilität aus. Die elastischen Klebfugen können Bewegungen der Fügeteile ausgleichen. Dies ist für den automobilen Anwendungsbereich, speziell für das Fügen von Werkstoffen mit unterschiedlichen Ausdehnungskoeffizienten wichtig. Bei Temperaturwechsel können aufgrund der unterschiedlichen thermischen Ausdehnungskoeffizienten der Materialen Spannungen entstehen[52, 53]. 3.2.1.1 Aufbau und Vernetzung von Polyurethanklebstoffen Polyurethane entstehen durch den Mechanismus der Polyaddition von Isocyanaten und Alkoholen. Die Addition des Alkohols ist in Abbildung 3.7A dargestellt. Der Wasserstoff der Hydroxygruppe bindet sich an den Stickstoff und die R 2 -O-Gruppe an den Kohlenstoff des Isocyanats. Die hohe Reaktivität der Isocyanate gegenüber Nucleophilen entsteht durch den positiven Ladungscharakter des Kohlenstoffs(vgl. Abbildung 3.7B), der zum Aufspalten der Doppelbindung zwischen dem Stickstoff und dem Kohlenstoff des Isocyanats führt. 3.2 Kleben in der Fahrzeugendmontage A Isocyanat Alkohol B C Urethan 17 Abbildung 3.7: A: Polyurethanreaktion./ B: Mesomere Grenzstrukturformeln der Isocyanatgruppe; Bildung der positiven Partialladung des Kohlenstoffatoms im kumulierten Doppelbindungssystem –N=C=O./ C: Aufbau und Herstellung von 1K-PUR-Klebstoffen. Die Schritte von der Herstellung bis zum ausgehärteten PUR-Klebstoff sind in Abbildung 3.7C zusammengefasst. Durch den Einsatz von überschüssigem Isocyanat mit einer Polyol-Verbindung entsteht zunächst ein Isocyanat-terminiertes Urethan. Der Begriff Präpolymer trifft somit ebenfalls auf 1K-Poly­ urethanklebstoffe zu[54]. Die Vernetzungsreaktionen dieser Klebstoffklasse sind in Abbildung 3.9 dargestellt. Um die gewünschten Eigenschaften eines Hochleistungs-Automobil-Klebstoffes zu erreichen werden höhermolekulare vernetzte Polymere eingesetzt. Typischerweise werden daher Isocyanatverbindungen mit di- oder polyfunktionellen Hydroxyverbindungen umgesetzt – z. B. hydroxy­terminierte Polyester oder Polyether. Das Erhöhen der Funktionalität der Hydroxyverbindung oder der Isocyanate auf drei oder mehr führt zu verzweigten oder vernetzten Polymernetzwerken. Die Reaktivität der verschiedenen Verbindungen unterscheidet sich maßgeblich, wie in Tabelle 3.2 gezeigt wird. Diese wird über die sterische Hinderung des Isocyanats oder der Hydroxyverbindung beeinflusst. Wie Tabelle 3.2 beschreibt, zeigen primäre Alkohole die höchste Reaktivität, während diese für sekundäre, tertiäre und aromatische Alkohole abnimmt. Die Reaktion mit Aminen verläuft prinzipiell analog der Umsetzung mit Alkoholen. Da diese jedoch im Sekundenbereich abläuft, ist sie für Klebstoffanwendungen nur indirekt von Bedeutung[55]. 18 3. der Technik Wasserstoffverbindung Primäres, aliphatisches Amin Sekundäres, aliphatisches Amin Primäres, aromatisches Amin Primäre OH-Gruppe Sekundäre OH-Gruppe Tertiäre OH-Gruppe Phenol Wasser Struktur R-NH 2 R 2 -NH Ar-NH 2 R-CH 2 -OH R 2 -CH-OH R 3 -C-OH Ar-OH H-O-H Reaktivität Hoch Niedrig Tabelle 3.2: Vergleich der Reaktivität verschiedener Funktionalitäten[56, 57]. Je nach Reaktivität der Ausgangsmonomere können Systeme mit unterschiedlichen Topfzeiten hergestellt werden. Die Reaktionen verlaufen unter milden Bedingungen ohne die Verwendung von Katalysatoren; der Einsatz von Beschleunigern kann zudem Reaktionszeiten verkürzen. Die Wirkung der Katalysatoren basiert auf der Komplexbildung mit den Reaktionspartnern. Die Aktivierungsenergie der Additionsreaktion wird dadurch herabgesetzt[58]. Zwei Katalysatortypen begünstigen die nukleophile Addition der Alkohole an das elektrophile Isocyanat. Eine dementsprechende elektrophile Katalyse durch spezielle Metallverbindungen ist typisch. Erhöht wird die Elektrophilie von Isocyanaten z. B. durch Lewis-Säuren wie Dibutylzinndilaurat oder Bleioleat. Auch eine Basenkatalyse mit tertiären Aminen(Lewis-Basen), wie Triethylamin oder Diazobicylco[­­ 2.2.2]octan(DABCO) ist möglich. Hierbei wird die Nukleophilie der Polyole erhöht. Während beide Katalysatortypen somit die NCO-OH-Reaktion bzw. NCO-Wasser-Reaktion katalysieren, treiben insbesondere die Amin-Katalysatoren zusätzlich die Isocyanat-Oligomerisierung voran. Nach Abbildung 3.8 gehen tertiäre Amine über freie Elektronenpaare am Stickstoff eine Wasserstoff-Brückenbindung mit einem Hydroxy-Proton des Polyols ein. Dadurch wird das HydroxySauer­stoffatom stärker negativ polarisiert und bildet eine Bindung zum positiv polarisierten Isocyanat-Kohlenstoff aus. Der Isocyanat-Stickstoff erhält einen negativen Ladungscharakter. Mit einem seiner freien Elektronenpaare bindet er das Hydroxy-Proton, wodurch sich schließlich eine Urethanbindung bildet. Die Wasserstoff-Brückenbindung zum Amin-Katalysator wird gelöst, somit steht er für die nächste Reaktion zur Verfügung. 3.2 Kleben in der Fahrzeugendmontage 19      Abbildung 3.8: DABCO-katalysierte Reaktion des Polyols mit Isocyanat, gefolgt von der Umlagerun­g­­eines Protons, unter Entstehung einer Urethanbindung. Ebenso werden viele Eigenschaften einer Klebschicht bereits bei der Klebstoffherstellung bestimmt. Die Wahl der Monomere beeinflusst die Festigkeit, die Elastizität, das deformationsmechanische Verhalten und die Beständigkeit[55]. Als Bausteine für die PUR-Klebstoffe werden meist aromatische Isocyanate eingesetzt. Typisch sind Toluoldiisocyanat(TDI), 4,4-Diphenylmethandiisocyanat(MDI) und polymeres MDI(pMDI)(vgl. Abbildung 3.9). Vielfältiger sind die Variationsmöglichkeiten bei den eingesetzten Polyolen. Für die Herstellung von Polyetherpolyolen existiert eine breite Palette an großtechnisch zugänglichen Monomeren. Als Ausgangsmaterialien dienen hauptsächlich Ethylenoxid und Propylenoxid, sowie vereinzelt Tetra­ hydrofuran. Im industriellen Maßstab erfolgt die Herstellung der Polyetherpolyole meist über die anionische ringöffnende Polymerisation. Di- und trifunktionelle Alkohole, wie Ethylenglykol, Propylenglykol, Tetramethylolpropan oder Glycerin werden zudem als Startermoleküle verwendet um höhere Funktionalitäten in den Polyetherpolyolen zu erreichen. Hergestellt werden Polyesterpolyole mittels Polykondensation aus mehrfunktionellen Carbonsäuren und Hydroxyverbindungen. Als Dicarbonsäuren kommen Phthalsäure bzw. Phthalsäureanhydrid, Adipinsäure und Maleinsäure zum Einsatz. Als Alkohole werden wiederum das zuvor genannte difunktionelle Ethylen- und Propylenglykol oder die höherfunktionellen Moleküle Trimethylolpropan oder Penthaerythrit eingesetzt. Die Polyole bilden das Grundgerüst und sind entscheidend für das Eigenschaftsprofil der Poly­ urethane. Kurzkettige(400–1000 g/mol) und hochverzweigte Polyole mit Funktionalitäten von drei bis sechs werden für harte Werk- und Schaumstoffe verwendet. Dagegen werden langkettige Polyole (1200–8000 g/mol) mit geringeren Funktionalitäten von zwei bis drei zu flexiblen Schaumstoffen und Elastomeren verarbeitet[39, 59]. Der Reaktionsmechanismus einkomponentiger Polyurethanklebstoffe basiert, wie in Abbildung 3.9 dargestellt, auf dem Zutritt von Luftfeuchtigkeit unter CO 2 -Abspaltung und Harnstoffbildung. Neben dieser chemischen Vernetzung ist die Ausbildung von reversiblen Nebenvalenzbindungen möglich, z. B. über Wasserstoffbrückenbindungen. Der Anteil bzw. die Stärke dieser Nebenvalenzvernetzung nimmt vom Urethan zum Harnstoff zu[31]. 20 3.StandderTechnik Abbildung 3.9: Exemplarische Auswahl an häufig verwendeten Monomeren für PUR-Klebstoffe, sowie Vernetzungsreaktionen dieser Klebstoffklasse[55, 60, 61]. Wie Abbildung 3.9 zudem zeigt, können eine Reihe von komplexen Reaktionen parallel auftreten. Diese Nebenreaktionen zeigen Auswirkungen auf die Viskosität und die thermische Stabilität des Endproduktes[60, 62]. Andererseits sind gewisse Mengen freier Isocyanat-Gruppen für die kovalente Bindungen mit aktivem Wasserstoff des Substrates nötig[63]. Zusätzlich sind Systeme mit sogenannten latenten Härtern im Einsatz. Bei Zutritt von Feuchte spalten diese Härter Verbindungen ab, welche zur Vernetzung führen, z. B. Amine. Eine ausreichend hohe Luftfeuchtigkeit ist für diese bei Raumtemperatur ablaufenden Reaktionen erforderlich(> 40 % relative Feuchte wird empfohlen)[61]. Die Aushärtung verläuft anisotrop, d. h. von außen nach innen, mit einer Geschwindigkeit von wenigen Millimetern pro Tag. Das Einsetzen der Härtung wird daher durch die Filmbildungszeit charakterisiert. 3.2 Kleben in der Fahrzeugendmontage 21 2K-PUR-Klebstoffe finden nur für spezielle Fälle Anwendung. Die notwendige Applikationstechnik ist aufwändig und führt zu hohen Kosten(präzise Dosieranlagen). 2K-Systeme werden gewählt wenn die Luftfeuchtigkeit für eine Härtung nicht ausreicht, z. B. bei verdeckten Klebfugen. Durch den Einsatz von unpolaren, hydrophoben Polyolen erreichen 2K-PUR-Klebstoffe außerdem höchste Hydrolysebeständigkeiten[55]. 3.2.2 Klebkonzepte in der Fahrzeugendmontage: Lackklebungen Für die erfolgreiche Umsetzung von Lackklebungen eignen sich folgende Klebkonzepte(vgl. Abbildung 3.10): 1. Maskieren der Klebflächen nach der kathodischen Tauchlackierung Dieses Verfahren repräsentiert höchste Prozesssicherheit. Die KTL-Schicht stellt einen guten, reproduzierbaren Haftgrund dar. Hierfür sind jedoch zwei nicht-wertschöpfende Arbeitsschritte notwendig, das Maskieren und das Demaskieren. Daher wird dieses Konzept nur bei wenigen Fahrzeugherstellern angewendet. Das Kleben direkt auf Decklack wird nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen als Alternative zur lackentfernenden Vorbehandlung(Klebflanschmaskierung) regelmäßig diskutiert. Auch neue Fertigungsverfahren sowie der Einsatz neuer Multi-Material-Strukturen erfordern Anpassungen der bisherigen Klebkonzepte. Das Kleben in der Endmontage, d. h. nach erfolgter Lackierung, gewinnt zunehmend an Bedeutung. 2. Einsatz von Haftprimern Durch den Einsatz eines schichtbildenden Haftvermittlers wird eine lackunabhängige Klebfläche geschaffen. Die Realisierung eines robusten Klebprozesses wird dadurch enorm vereinfacht. Die Anwendung in Großserien unterstreicht die Prozesssicherheit dieser Methode. Selbst schwer kleb­ fähige Lackoberflächen lassen sich durch die Kombination aus„anquellendem“ Lösungsmittel und der erhöhten Oberflächenfunktionalität erschließen. Mit Haftprimern ist das Kleben auf heutigen Lackgenerationen uneingeschränkt möglich. Dies zeigen eigene Versuche. Die Lösungsmittelbelastung stellt jedoch einen Nachteil dar. Haftprimer oder andere Haft-Vorbehandlungen erzeugen aktive Zentren sowie polare, reaktive Gruppen. Diese verbessern die Benetzbarkeit und die Chemisorption im Folgeprozess. Die Wirkungsweise der Haftvermittlung beruht auf deren Bifunktionalität. Als Haftprimer eignen sich bifunktionelle, niedermolekulare Substanzen, welche aufgrund chemischer Reaktionen den Klebstoff an der Oberfläche fixieren. Vorteilhaft sind demnach Haftvermittler, deren Gruppen unterschiedlich reaktiv sind oder nach verschiedenen Reaktionstypen reagieren. In diesem Fall kann eine Gruppe gezielt mit reaktiven Gruppen der Oberfläche reagieren, während die Zweite mit dem Klebstoff reagiert. 3. Kleben auf gereinigtem Decklack Kleben auf gereinigtem Decklack entspricht dem Serienstand einiger Automobilhersteller. Grundvoraussetzung für dieses Konzept ist eine starke Standardisierung der verarbeiteten Materialien im Lackier- und Klebprozess. Eine weitere Bedingung ist die qualitätssichernde Prüfung und Reinigung der Klebflansche. Haftungsverringernde Verunreinigungen durch Wachse(Hohlraumkonservierung) 22 3. der Technik und Montagefette können häufig nicht verhindert werden. Darüber hinaus wird vor der Einführung neuer Lacktechnologien die Klebfähigkeit geprüft und ergebnisabhängig deren Weiterentwicklung beeinflusst. Neben dem hohen Absicherungsaufwand wird somit eine Weiterentwicklungsstufe des Klebstoffs für die nächste Lackgeneration vorausgesetzt. Die Minimierung von Fehlerquellen durch Prozessvereinfachung und die Lösungsmittelreduktion stehen dem gegenüber. 4. Einsatz alternativer Klebstoffe Klebstoffe basierend auf silanmodifizierten Polymeren(SMP) haften ohne Vorbehandlung auf vielen Lackoberflächen. Applikationseigenschaften, Festigkeiten und das Durchhärteverhalten dieser Klebstoffe können an bewährte PUR-Systeme angepasst werden. Aufgrund der deutlich höheren Kosten finden SMP-Klebstoffe jedoch kaum Anwendung in der Fahrzeugendmontage[64]. Abbildung 3.10: Übersicht gängiger Varianten für Klebprozesse in der Fahrzeugendmontage. 3.3 Haftung und Enthaftung an Polymer/Polymer-Grenzflächen Bei der Adhäsion handelt es sich um verschiedene Wechselwirkungskräfte in der Grenzfläche Klebstoff/Oberfläche. Die Güte einer Verklebung hängt demnach nicht allein vom chemischen Aufbau der Klebstoffe ab, sondern ebenso vom chemischen Aufbau und besonders von der Oberflächenbeschaffenheit der zu verklebenden Materialien. Als Grundvoraussetzung für die Ausbildung adhäsiver Bindungen wird die Benetzung zwischen Klebstoff und Oberfläche angesehen. Weitere Bedingungen für eine einwandfreie Haftung sind nur in wenigen Fällen bekannt. Aussagen zur Adhäsion sind durch die Charakterisierung der zu verklebenden Oberflächen kaum möglich. Kommt es zu adhäsiven Versagen, kann der Grund dafür weder mithilfe einer definierten Suchstrategie präzise bestimmt werden, noch der Enthaftungsmechanismus aufgeklärt werden. Eine Vorhersage der Adhäsion oder„Verklebbarkeit“ aufgrund mechanischer, chemischer oder physikalischer Bindungen ist nicht möglich[26]. Die Adhäsion ist ein multidisziplinäres Thema: Oberflächenchemie, Physik, Rheologie, Polymerchemie, mechanische Materialeigenschaften, Polymerphysik und die Bruchmechanik haben hierfür eine Bedeutung. Den Mechanismus der Haftung auf einfache Art zu beschreiben ist aufgrund dieser Komplexität bisher nicht gelungen[49]. In der Literatur stehen derzeit einige Adhäsionsmechanismen 3.3 Haftung und Enthaftung an Polymer/Polymer-Grenzflächen 23 zur Debatte, welche unter anderem auf diffusionsbasierten, mechanischen, molekularen, chemischen und thermodynamischen-Phänomenen aufbauen[65, 66]. Die Adhäsion definiert sich als Zustand einer Grenzflächenschicht, die zwischen in Kontakt tretenden kondensierten Phasen entsteht. Sie zeichnet sich durch den mechanischen Zusammenhalt der beteiligten Phasen aus, der durch molekulare und atomare Wechselwirkungen hervorgerufen wird. Es hat sich gezeigt, dass Haupt- und Nebenvalenzbindungen als Ursache für Adhäsionsphänomene anzusehen sind[67, 68]. Die möglichen Wechselwirkungen in der Grenzfläche sind in Tabelle 3.3 zusammengestellt[69]. In der Praxis werden meist deutlich geringere Adhäsionskräfte gemessen; Spannungsspitzen und Fehlstellen im Klebstoffilm oder der Grenzfläche werden als Ursache angesehen. Diese können z. B. durch Benetzungsfehler, Volumenänderungen während der Klebstoffhärtung oder Verformungen des Feststoffes und der Klebstoffschicht beim Prüfvorgang hervorgerufen werden. Kräfte Nebenvalenz­ bindungskräfte Typ – Permanente Dipole – Induzierte Dipole – Dispersionskräfte Reichweite[nm] 0,3–0,5 Bindungsenergie [kJ/mol] – 20 – ≤ 2 – 0,1–40 Theoretisch berechnete Adhäsionskräfte[MPa] – 200–1750 – 35–300 – 60–360 Experimentell gemessene Adhäsionskräfte[MPa] 15–25 Wasserstoffbrückenbindungen 0,3–0,5 ≤ 50 500 15–25 Hauptvalenz­ bindungskräfte – Kovalent – Ionische 0,1–0,2 – 60–700 – 600–1000 – 5000–17500 – 30-5000 15–25 Tabelle 3.3: Mögliche Wechselwirkungen in der Grenzschicht[70, 71]. Neben molekular scharfen Grenzflächen wird auch die Entstehung von Grenzphasen diskutiert[65]. Diese Grenzphasen werden grob definiert, als ein Bereich zwischen den zwei in Kontakt gebrachten Feststoffen, der sich in Struktur und Eigenschaft von diesen unterscheidet. Ein Hinweis für Diffusionsvorgänge an der Grenzfläche Lack/Klebstoff unter Ausbildung einer Interdiffusionsphase, welche die Haftungseigenschaften bestimmt, wird in dieser Arbeit vorgestellt und als Adhäsionsmechanismus vorgeschlagen. Im Folgenden wird auf einige theoretische Modelle der an Klebstoff-Substrat-Phasengrenzen ablaufenden Prozesse eingegangen. Die komplexen atomaren und molekularen Wechselwirkungen bei der Adhäsion sind seit dem vergangenen Jahrhundert Gegenstand intensiver Forschungsarbeiten. In Abbildung 3.11 sind bisher bekannte Modelle zusammengefasst. Die Anwendbarkeit und Gültigkeit dieser Modelle ist stark von dem jeweils betrachteten Verbundsystem abhängig. Jahrhundert Gegenstand intensiver Forschungsarbeiten. In Abbildung 3.11 sind bisher bekannte Modelle zusammengefasst. Die Anwendbarkeit und Gültigkeit dieser Modelle 2 is 4 t stark von dem jeweils betrachteten Verbundsystem abhängig. 3. der Technik Modelle zur Interpretation der Adhäsionstheorien Mechanisches Adhäsionsmodell Spezifische Adhäsionsmodelle Molekularphysikalische Interpretation der Grenzflächenvorgänge Polarisationstheorie nach De Bryne(1935) Elektrostatische Theorie nach Derjagin(1950) Diffusionstheorie nach Vojuckij (1960) Dipolcharakter der Moleküle - Transport elektrischer Ladungen - Entstehung einer elektischen Doppelschicht - Beweglichkeit der Moleküle - Diffusion von Molekülsegmenten Thermodynamische Interpretation der Grenzflächenvorgänge Nach Zisman, Fowkes, Good und Wu(1963): Thermodynamik der Phasengrenzen Ausbildung chemischer Bindungen bei der Adhäsion (1960) - Chemisorption - kovalente und ionische Bindungen - Ober- und Grenzflächenenergie - Struktur der Grenzflächenschicht - Adsorption - Dispersionskräfte Abbildung 3.11: Übersicht bestehender Theorien zur Interpretation der Adhäsion. Abbildung 3.11: Übersicht bestehender Theorien zur Interpretation der Adhäsion. 3.3.1 Mechanisches Adhäsionsmodell Diese wahrscheinlich älteste Adhäsionstheorie betrachtet Haftung als das Ergebnis des mechanis 3 c . h 3 e . n 1 In M ein e a c nd h e a rg n re i i s fe c n h s e ein s e A s K d le h b ä st s o i f o fs n in sm Por o en d u e n l d l andere Unebenheiten an der Oberfläche. Es entstehen formschlüssige Verbindungen zwischen dem ausgehärteten Klebstoff und dem Substrat ( D D ie ru s c e kk w n a o h p r f s ef c f h ek e t i ) n . li D c i h e R äl a t u e h s e te it A un d d hä Po s r io o n si s tä th t e d o er ri S e u b bs e t t r r a a t c e h s t i e nd t H im af A tu ll n g g em a e ls ine d n as die E e rg n e ts b c n h i e s id d e e n s den F m a e kt c o h r a en i f s ü c r h d e e n n I H n a e f i t n a a u n fb d a e u r . g E re in if e e g n u s te e B in e e n s etz K u le n b g s z t w of i f s s ch in en P K o le re b n sto u ff n u d n a d n F d ü e g r e e tei U lo n b e e b rf e lä n c h h e e it b e i n ldet d a i n e G d ru e n r dv O or b a e u r s f s l e ä t c z h u e n . g d E af s ür, e d n as ts s t d e e h r e f n lüss f i o g r e m K s le c b h s lü to s f s f i i g n e die V P e o r r b en in d d e u s n S g u e b n stra z t w s e is in c d h r e in n gen de k m ann. I a n u wD s ai g er e wü h be ä eitr rt dh e iei t n e ma n ue K sch l l e ea b ins s tise to cnh ff de u iAe n dV d heä d rgs e iro m önße S zru u ur b nG s g t e r ds a ea t rm ( w D tai r dr u kh c sä k as k mio n en o n p bO f e e ibt f r f e e ärgf k lt t ä, ) c . ihs D te, i s e csho R ww a ei u er h ae e bin i z t eu u sm n c d höäg P tlizc o eh r n o e. s V it e ä r t änd d e e r r un S g u d b e s s tr o a b te erf s lä in c d hen im ene A rg llg et e is m ch e e in n e Z n us d ta ie nd e s n e t i s n c e h n e B id e e it n ra d g en zur Fa A k d t h o ä r s e io n n. fü M r it d d e e n m H m a e ft c a h u a f n b i a sc u h . en A E u in fr e aue g n u o t d e er c B h e m ne is t c z h u e n n g Auf z q w u i e s l c le h n e v n on O K b le e b rf s lä to ch ff en u la n s d sen s F ic ü h ge h t ö e h il e o r b e e V r e f r lä bu ch nd e fest b ig il k d e e i t en d e i r e ziel G en ru . n M d i v t o d r e a m us A s b e tr tz ag u e n n g de d r a O fü b r e , rf d lä a c s h s e w d i e rd r a f b lü e s r s a i u g c e h K gl l e e i b ch s z to ei f t f ig in ein d e ie Rei P n o ig r u e n n g u d n e d s „ S A u kt b iv s i t e ra ru ts ng“ der Oberfläche erreicht. Die mechanische Adhäsion sollte daher nicht isoliert und unabhängig von c e h in e d m r i i s n c g h e e n n k u a n n d n p . h In ys w ik ie a w lis e c i h t e d n ie W m ec e h c s h e a lw n i i r s k c u h n e ge A n dh in äs d i e o r n G z re u n r z G sc e h s ic a h m t t g a e d s h e ä h s en ion we b r e d i e tr n ä . g D t, a is g t ute H sc a h ft w er e g r eb a n b i z s u se sc a h u ä f tz n e ah n e . zu glatten Fügeteiloberflächen erzielt werden, wird deutlich, dass dieses M Da od rü e b ll e n r icht in u a n u i s ver l s e e i l s l t a e n n zu d w ie nd V e e n rg is r t ö . ß D e e r s u h n a g lb g d e e lt r en w w ir e k i s te a r m e e A n dhä O si b o e n r s f m lä o c d h e e l , le, s d o ie wi m e ol e k in u e larp m h ö y g si l k ic a h li e sch V e, e t r h ä e n r d m e o r d u y n n g am d is e c s he o u b n e d rf c l h ä e c m he is n c e h n e e V r o g r e g t ä i n sc ge he e n rfas Z se u n st u a n n d ds die e z i w ne ei n te G B r e u i p tr p a e g de z r u s r pez A i d fi h sc ä h s e i n on A . dh M äs i i t ons d m em odel m le e b c il h d a en n . ischen Aufrauen oder chemischen Aufquellen von 29 3.3 Haftung und Enthaftung an Polymer/Polymer-Grenzflächen 25 3.3.2 Polarisationstheorie Polare Atomgruppen der in Kontakt zu bringenden Oberflächen sind laut Polarisationstheorie für feste adhäsive Bindungen notwendig. Ist diese Voraussetzung gegeben, bewirken Dipolkräfte die Adhäsion des Verbundes. Beim Kontakt von Fügeteil und Klebstoff sollen weitere Dipole induziert werden, die dann zur Bildung von Wasserstoffbrückenbindungen beitragen. Studien belegen, dass polare Gruppen, wie z. B. Hydroxy- oder Amino-Gruppen die Klebstoffhaftung auf Metalloberflächen verbessern[72]. Eine Erklärung bzw. Vorhersage für die Adhäsion bei unpolaren Substraten liefert die Polarisationstheorie jedoch nicht. 3.3.3 Elektrostatische Theorie Bei dieser Theorie wird die Ausbildung einer sogenannten elektrischen Doppelschicht(EDS) in der Kontaktzone für die Haftung verantwortlich gemacht. Diese EDS bildet sich durch eine thermodynamische Potenzialdifferenz der in Kontakt zu bringenden Grenzphasen und führt zu einer Ladungsträgerdiffusion. Die Anziehungskraft der entgegengesetzten Ladungen innerhalb der EDS entspricht der Adhäsion. Hohe Haftfestigkeiten zwischen unähnlichen Werkstoffen wie beispielsweise in Metall-Polymer-Verbundmaterialien können mithilfe der elektrostatischen Theorie erklärt werden. Bei ähnlichen Werkstoffen sollte die erzielbare Haftung dementsprechend geringer ausfallen. 3.3.4 Thermodynamische Adhäsionstheorie Auf Basis der thermodynamischen Theorie wird die Adhäsion als Benetzungsvorgang betrachtet. Grundlegendes dieser Theorie stammt von Zismann, Fowkes, Good. Gegenstand der Untersuchungen waren die spezifischen Ober- und Grenzflächenenergien der kontaktierenden Phasen. Die wichtigste Kenngröße bei der Anwendung dieser Theorie ist die Oberflächenenergie. Diese wird als benötige Arbeit zur Vergrößerung der Oberfläche um eine Flächeneinheit definiert. Wird eine feste Oberfläche mit anderen Stoffen in Kontakt gebracht, verringert sich die Energie der Atome an der Phasengrenze durch Absättigung ihrer freien Valenzen. Zu den energiereichen, chemisch reaktiven Oberflächen zählen Metalloxidoberflächen. Kunststoffe und andere organische Festkörper besitzen im Allgemeinen energiearme Oberflächen. So ist die Phasengrenze Metall-Kunststoff durch eine energiereiche Metalloberfläche in Verbindung mit einer vergleichsweise energiearmen Kunststoffoberfläche gekennzeichnet. Ist die jeweilige Oberflächenenergie bekannt, lassen sich quantitative Rückschlüsse auf die Adhäsionsenergie ziehen. Der dispersive Bestandteil der Oberflächenspannung liefert Informationen über die unpolaren London-Dispersionswechselwirkungen und der polare Anteil korreliert zu allen Nichtdispersionswechselwirkungen(d. h. Debye und Keesom- und Wasserstoffbrücken- Wechselwirkungen). Diese Art der Aufspaltung lässt qualitative Aussagen über die wechselwirkenden Kräfte zu. Die Benetzung der Fügeteiloberfläche mit dem Klebstoff ist eine wesentliche Voraussetzung für gute Adhäsion[73]. Gleichzeitig ist eine gute Benetzung keine hinreichende Bedingung für die Ausbildung hoher Haftfestigkeiten. Über die Art der ausgebildeten Bindungen liefert die Benetzung keine Informationen. 26 3. der Technik 3.3.5 Chemische Adhäsionstheorie Neben den bisher betrachteten physikalischen Wechselwirkungen in der Grenzschicht werden auch chemische Bindungen in der Grenzschicht diskutiert. Die Ausbildung kovalenter Bindungen ist ein irreversibler Vorgang. Dies unterscheidet die sogenannte Chemisorption von den physikalischen Wechselwirkungen. Molekulare- oder chemische Bindungsmechanismen erfordern einen innigen Kontakt zwischen den beiden Substraten. Für die Ausbildung kovalenter Bindungen zwischen kompatiblen funktionellen Gruppen der unterschiedlichen Phasen ist ein maximaler Abstand von 0,2 nm gefordert. Zum Vergleich sind Reichweiten und Bindungsenergien anderer Wechselwirkungsarten in Tabelle 3.3 zusammengefasst. Gleichzeitig wird durch die Ausbildung chemischer Bindungen höchste Verbundfestigkeit erwartet. Jedoch ist aufgrund der Anwesenheit von Defekten, Rissen und Luftblasen ein enger Kontakt allein oft nicht ausreichend für eine gute Haftung an der Grenzfläche. Die berechneten Adhäsionskräfte – basierend auf physikalischen und chemischen Wechselwirkungen – sind daher im Allgemeinen deutlich höher als die experimentell bestimmten Adhäsionskräfte. Diese Abweichung ergibt sich, da die theoretische Betrachtungsweise von statischen und reversiblen Vorgängen ausgeht; die real ablaufenden Prozesse sind aber dynamischer und irreversibler Art. Beispielsweise werden die reaktiven Gruppen des Klebstoffs für zwei Vorgänge simultan verbraucht. Neben der Chemisorption in der Grenzphase findet die Aushärtung des Klebstoffs statt. Kritische Defektlängen in der Grenzschicht des Klebstoffs(„weak boundary layer“), welche die Festigkeit des Verbunds herabsetzen, sind folglich zu erwarten[74, 75]. Um die Haftfestigkeit zwischen dem Klebstoff und dem Substrat durch chemische Bindungen zu verbessern, hat sich der Einsatz sogenannter Haftvermittler( coupling agents) und/oder geeignete Oberflächenvorbehandlungen etabliert. Haftvermittler basierend auf Silan-Molekülen sind weit verbreitet im Einsatz. Allgemein können solche Haftvermittler an beiden Enden chemisch reagieren, wobei das Substrat auf der einen Seite und das Polymer auf der anderen Seite koppelt und somit eine Art chemische Brücke an der Schnittstelle entsteht. 3.3.6 Diffusions- oder Interdiffusionstheorie Nach dieser Theorie entsteht Adhäsion durch die gegenseitige Interdiffusion von Makromolekülen, Polymerketten oder-segmenten entlang der Grenzfläche. Diese Interdiffusionsschicht besitzt eine materialabhängige Dicke von 1–100 nm[76]. Pravatareddy et al. demonstrierten, dass die Interdiffusion optimal ist, wenn die Löslichkeitseigenschaften der beiden Polymere gleich sind[77]. Zudem konnte bestätigt werden, dass eine Zunahme der Kontaktzeit und-temperatur die Adhäsion begünstigen. Eine zunehmende Verzweigungsdichte der Polymere wirkt hingegen negativ auf das Adhäsionsverhalten. Darüber hinaus hat die Kettenlänge der Makromoleküle signifikanten Einfluss auf die Mobilität der Polymerketten. Die Kettenlängen sind somit entscheidend für den Ablauf eines Interdiffusionsprozesses bzw. die resultierende Haftfestigkeit des Verbunds[1, 78]. Der Interdiffusionsprozess zwischen zwei identischen Polymeren stellt unter einem konstanten Anpressdruck eine Funktion der Temperatur und Kontaktzeit dar. Er folgt dem Fickschen Gesetz, wonach die durchschnittliche Interpenetrationstiefe x nach Gleichung 3.1 mit der Diffusionsaktivie- 3.3 HaftungundEnthaftunganPolymer/Polymer-Grenzflächen 27 rungsenergie E, der Kontaktzeit t, der molaren Gaskonstante R und der Temperatur T. beschrieben werden kann. (Gleichung 3.1) Die Anwendung des Modells beschränkt sich jedoch auf die Adhäsion kompatibler Polymere sowie das Schweißen thermoplastischer Kunststoffe. Für Polymer-Metall-Verbunde ist dieses Adhäsionsmodell nur von Bedeutung, wenn eine Haftvermittlerschicht(Primer) verwendet wird, sodass zwischen den beiden Polymeren z. B. KlebstoffPrimer-Diffusionsvorgänge möglich sind. 28 4. Analytische Grundlagen 4. Grundlagen Für grenzschichtbestimmte Technologien wie die Klebtechnik ist der Oberflächenzustand der jeweiligen Fügeteile entscheidend. Zur Charakterisierung der Fügeteiloberflächen kamen folgende oberflächensensitive Methoden zum Einsatz: • die Röntgenphotoelektronenspektroskopie(XPS), • die Kontaktwinkelmessung zur Bestimmung der Oberflächenenergie, • die FT-IR-Spektroskopie, • die Mikrohärte-Messung(nach Martens) und • die Rasterkraftmikroskopie(AFM). Um Kenntnisse über die schichtübergreifenden Prozesse in Multischicht-Lacksystemen zu gewinnen, wurden weitere Methoden eingesetzt. Praxisorientierte, lacktechnologische Prüfungen der Flexibilität, Härte und Chemikalienbeständigkeit liefern Informationen über den Zustand nach erfolgter Vernetzung. Die dynamisch mechanische Analyse(DMA), sowie quasistatische Zugversuche geben einen Einblick in Netzwerkstrukturen der Klarlackschichten. Die Vernetzungsdichte bzw. die Glasübergangstemperatur kann Änderungen der Polymerstruktur signalisieren[38]. Die Kenntnis über ablaufende Vernetzungsprozesse ermöglicht die Anwendung spezieller Methoden für Lackmaterialien, z. B. die dielektrische Analyse. Erfahrungsgemäß hilft die kombinierte Analyse bei der Korrelation der Struktur-EigenschaftsBeziehungen­mit Endanwendungseigenschaften, z. B. der Klebfähigkeit der Lackoberfläche[79, 80]. Die Klebfähigkeit der Lackoberflächen wird anwendungsbezogen mittels Raupenschältest( peel test) ausgewählter Klebstoffe geprüft. 4.1 Röntgenphotoelektronenspektroskopie Die XPS erlaubt eine quantitative Elementaranalyse von Oberflächen[81–83]. Das Messprinzip beruht nach Gleichung 4.1 auf dem photoelektrischen Effekt. E kin : h ∙ u : E B : f : E kin = h ∙ u – E B – f (Gleichung 4.1) gemessene kinetische Energie des Photoelektrons Energie des eingestrahlten Röntgenlichtes Bindungsenergie des Photoelektrons, bezogen auf das Fermi-Niveau E F Energie zwischen E F und Vakuumniveau, Austrittsarbeit(bekannte Größe) Bei der Behandlung einer Festkörperoberfläche mit elektromagnetischer Strahlung(Röntgenstrahlung, meist K α 1,2 -Strahlung von Magnesium oder Aluminium) kommt es zu Wechselwirkungen dieser energiereichen Strahlung mit den Elektronen der oberflächennahen Atome des Festkörpers. Ist die Energie h ∙ u höher als die Bindungsenergie E B und die Austrittsarbeit f , besteht die Möglichkeit für Elektronen, sich aus dem Atomverband abzulösen und ins Vakuum einzutreten. Diesen sogenannten Photoelektronen verbleibt eine kinetische Energie E kin , mit welcher das Elektron die Probe verlässt. E kin ist charakteristisch für das chemische Element, aus welchem es freigesetzt wurde. Die 4.1 Röntgenphotoelektronenspektroskopie 29 Oberflächensensitivität des XPS(Informationstiefe ca. 5–10 nm) ist durch die geringe mittlere freie Weglänge der Photoelektronen begründet. Sie gibt die durchschnittliche Weglänge an, die ein Photoelektron ohne Wechselwirkung mit anderen Elektronen bzw. Atomkernen zurücklegt. Tritt also ein Photoelektron aus„tieferen“, oberflächenfernen Schichten aus, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit von inelastischen Wechselwirkungen. Der damit verbundene Verlust an kinetischer Energie verhindert den Austritt aus dem Material oder die inelastisch gestreuten Photoelektronen erscheinen nach ihrer Detektion nur als Untergrund im Spektrum. Darüber hinaus kann der Bindungszustand des jeweiligen Atoms aus sogenannten Detailspektren der Elektronenenergie erfasst werden. Neben der atomaren Oberflächenzusammensetzung können somit auch molekulare Baugruppen quantitativ erfasst werden. Je nach Oxidationszahl bzw. Bindungspartner verschiebt sich die Elektronendichte am Atom, was mit einer Veränderung der benötigten Austrittsenergie eines Elektrons verbunden ist. Eine geringere Elektronendichte bewirkt eine höhere effektive Kernladung und demzufolge eine höhere Ablösearbeit(Erhöhung von E B ). Gleichermaßen verringert sich die Ablösearbeit durch eine höhere Elektronendichte. Im Speziellen für Kunststoffoberflächen können durch eine geeignete Zerlegung der C 1s-Spektren Aussagen über die Art und Anzahl funktioneller Gruppen im Oberflächenbereich gewonnen werden. Abbildung 4.1 zeigt eine Übersicht der Bindungsenergien von Kohlenstoffspezies für verschiedene Sauerstofffunktionalisierungen[84, 85]. Da sich deren Bindungsenergien teilweise überlagern, lassen sich die aufgeführten funktionellen Gruppen mittels XPS nicht einzeln detektieren. Somit begrenzt sich die XPS auf eine Strukturgruppenanalyse. Folglich können bestimmten Bindungsenergien immer nur die gleiche Anzahl an Bindungen der Kohlenstoffspezies mit dem Sauerstoff zugeordnet werden. Wie Abbildung 4.1 darstellt, sind die (–C–O)-Spezies(z. B. Hydroxy- oder Ethergruppen) durch eine Einfachbindung, die(–C=O)-Spezies (z. B. Carbonylgruppen) durch zwei Einfachbindungen oder eine Doppelbindung und schließlich die(–COO)-Spezies(z. B. Carboxyl- oder Estergruppen) durch eine Einfach- und eine Doppelbindung oder drei Einfachbindungen charakterisiert. Für die genaue Aufschlüsselung einzelner Gruppen ist eine nachfolgende chemische Derivatisierung notwendig[86]. Phenylgruppe Methylgruppe,-CH 2 β-C -C-O-CHydroxygruppe, C-OH-C-O-(C=O)Epoxygruppe Ketone, C=O O-C-O O-C=O COOH O-(C-O)-O Carbonat 284 CH x -C-OC=O -COO286 288 290 Bindungsenergie[eV] Abbildung 4.1: XPS-Bindungsenergien für ausgewählte Kohlenstoffspezies mit und ohne Sauerstofffunktionalisierung[87, 88]. 30 4. Grundlagen Das Verfahren der Derivatisierung beruht auf einer spezifischen Reaktion zwischen der zu analysierenden funktionellen Gruppe und einem Reagenz, das ein Markierungselement(z. B. Fluor) aufweist, welches kein Bestandteil der betrachteten Oberfläche darstellt. Um eindeutige Aussagen über die vorliegenden funktionellen Gruppen an der Oberfläche treffen zu können, wurden die Hydroxy- und Amin-Gruppen mit Trifluoressigsäureanhydrid(TFAA) bzw. 2,3,4,5,6-Pentafluorbenzaldehyd(PFBA) derivatisiert[89–91]. Das jeweilige Reaktionsschema ist Abbildung 4.2 zu entnehmen. Dank des hohen eingebrachten Fluorgehalts je Funktionalität(3 bzw. 5 F-Atome je Funktionalität) kann die Funktionalitätendichte mittels XPS auch bei kleinen Gehalten bestimmt werden[92]. Über die Detektion und Auswertung der Markierungselemente sind somit signifikante Verringerungen der Nachweisgrenze gegeben. Auf ähnliche Weise erfolgt das Derivatisieren von Carbonylgruppen mit Pentafluorphenylhydrazin (PFPH) nach Abbildung 4.2C. Katalysiert wird diese Reaktion durch Zugabe von N,N’-Di- tert-Butyl­ carbodiimid­. A 15 min Substrat B Substrat 60 min Substrat Substrat 4.2 Infrarot-Spektroskopie C 31 60°C, 5 h Substrat Substrat Abbildung 4.2: A: Derivatisierung einer Alkoholgruppe mit Trifluoressigsäureanhydrid(A); Derivatisierung einer Amingruppe mit Pentafluorbenzaldehyd(B); Derivatisierung einer Carbonylgruppe mit Pentafluorphenylhydrazin(in Ethanol mit N,N’-Di- tert-Butylcarbodiimid)(C). 4.2 Infrarot-Spektroskopie Aufgrund der einfachen Handhabung, der hohen chemischen Bindungsinformationen und zerstörungsfreien Durchführbarkeit ist die FT-IR-Spektroskopie eine der am häufigsten verwendeten analytischen Techniken zur Identifizierung funktioneller Gruppen organischer und biologischer Materialien. Durch Absorption von elektromagnetischer Strahlung im infraroten Bereich werden in der IR-Spektroskopie Bindungen in Molekülen zu Schwingungen und Rotationen angeregt. Für die organische Chemie ist der Bereich zwischen 4000 und 400 cm –1 entscheidend. Aufgrund vieler charakteristischer Absorptionen funktioneller Gruppen ist eine Identifikation von Molekülen bzw. Molekülklassen möglich[93]. In der IR-Spektroskopie sind allerdings nicht nur qualitative, sondern auch quantitative Messungen durchführbar. Grundlage dieser Methode ist der lineare Zusammenhang zwischen Absorption von Strahlung und Konzentration der absorbierenden Moleküle. Ein Vergleich der IR-Strahlungsintensität einer definierten Wellenlänge vor und nach dem Durchgang durch das Material( I 0 bzw. I) ermöglicht daher quantitative Aussagen[94]. Den genauen Zusammenhang beschreibt das Lambert-Beer-Gesetz nach Gleichung 4.2. Es ermöglicht die Berechnung der transmittierten Intensität I nach einer Länge l an einer bestimmten Stelle im Material[95]. I= I 0 e al (Gleichung 4.2) Zur Analyse oberflächennaher Schichten eignet sich insbesondere die Messung mit abgeschwächter Totalreflexion( attenuated total reflection, ATR). Das Messprinzip der ATR-IR beruht auf der Licht- 32 4. Grundlagen reflexion an der Grenzfläche zweier Medien(ATR-Kristall und Probe) mit unterschiedlichem Brechungsindex. Die Totalreflektion ergibt sich beim Übergang des einfallenden Lichtstrahls von einem optisch dichteren Medium(ATR-Kristall) in ein optisch dünneres Medium(Probenoberfläche). Das Licht dringt nur teilweise in die Probe ein, wodurch die ATR-Methode oberflächensensitiver ist. Die exakte Eindringtiefe des Lichtstrahls ist abhängig von der Wellenzahl, der Brechungsindizes und vom Einfallswinkel[96]. In dieser Arbeit werden FT-IR-Messungen für die Vernetzungskontrolle von 2K-PUR-Klarlacken eingesetzt. Jede Stoffeigenschaft, die eindeutig mit der Konzentration einer Substanz zusammenhängt, kann Grundlage einer quantitativen Analyse mittels IR-Spektroskopie sein. Für eine Normierung eignen sich Banden der Harz- und Härterkomponente, die nicht durch den Vernetzungsprozess verändert werden. Voraussetzung ist, dass die Bande eindeutig im Spektrum ermittelt werden kann; d. h. möglichst freistehend ist und nicht durch andere Banden überlagert wird. Um Messungenauigkeiten zu reduzieren sollte die Bande zudem eine vergleichsweise hohe Absorption aufweisen. Auf die Extinktionswerte dieser Bande werden die anderen Banden des Spektrums normiert. Damit werden die Aushärtevarianten untereinander vergleichbar und der Reaktionsablauf nachvollziehbar. Unterschiede der Vernetzungsreaktionen können bei der Auswertung abgeleitet werden. Schwächen der FT-IR-Spektroskopie zeigen sich insbesondere bei Fragestellungen zur Hydroxygruppe. Einflüsse benachbarter Strukturen führen zu Überlagerungseffekten und erschweren die Auswertung. Bessere, quantitative Ergebnisse zur oberflächennahen Detektion dieser Gruppen werden in der Regel durch Einsatz anderer Techniken erzielt, z. B. mit der XPS. 4.3 Rasterkraftmikroskopie Das Rasterkraftmikroskop( Atomic Force Microscope, AFM) gehört in die Kategorie der Rastersondenmikroskopie. Die zu untersuchende Oberfläche wird dabei mittels einer Sonde( Tip) abgetastet und die Wechselwirkungen zwischen Sonde und Oberfläche aufgezeichnet. Aus diesem Grund stellt die AFM-Technik eine wichtige Methode zur Charakterisierung von Oberflächen dar. Die typische Auflösung liegt dabei zwischen 0,1 und 10 nm. Das AFM ist ein wichtiges Bindeglied bezüglich der Auflösung zwischen der optischen und der Elektronenmikroskopie. Bei der Messung wird mittels eines Piezoelektrischen-Elements eine an einer Blattfeder( Cantilever) befestigte Sonde über eine Probe gerastert. Durch die auftretenden Kräfte zwischen Probe und MessSonde kommt es zu einer Verformung der Cantilever. Ein Laser, der auf den Cantilever gerichtet ist, wird von der Oberfläche des Cantilevers reflektiert, wobei die Änderung des Winkels des reflektierten Strahls mithilfe einer Photodiode gemessen wird. Die durch den Detektor generierten Signale werden an den Computer übertragen und mithilfe der Software in ein Höhen- und Phasenbild der Oberfläche umgewandelt. Die Oberflächen können mit unterschiedlichen Messmodi untersucht werden. Diese Betriebsarten sind in Abbildung 4.3 schematisch dargestellt und werden im Folgenden erläutert. 4.3 Rasterkraftmikroskopie Tip und OF in Kontakt „repulsive regime“ Großer Abstand zwischen Tip und OF; keine Auslenkung 33 Kraft 0 Tip wird Richtung OF angezogen „ attractive regime“ Distanz zwischen Tip und Probenoberfläche AB C Abbildung 4.3: Betriebsarten der AFM: A: Kontaktmodus; B: Nichtkontaktmodus; C: Dynamischer Modus[97–99]. a) Kontaktmodus: Die Messsonde steht in stetigem Kontakt mit der Probe. Dabei werden ungeregelter( constant height mode) und geregelter( constant force mode) Modus unterschieden. Im ungeregelten Modus verbiegt sich die Cantilever entsprechend der Oberflächenstruktur der Probe. Die Informationen über die Oberflächenbeschaffenheiten sind in dem Auslenkungssignal enthalten. Im geregelten Kontaktmodus wird über die Messung der zwischen Probe und Messsonde wirkenden Kraft durch Regulieren der z-Position die Verbiegung der Cantilever möglichst konstant gehalten. Die Cantilever wird dabei durch ein Piezo-Element entlang der z-Achse bewegt. Aus dem Regelsignal des Piezoelements und dem Auslenkungssignal der Blattfeder wird ein Topographiebild der Probe erzeugt. Da die Belastung der Probenoberfläche in diesem Messmodus sehr hoch ist, kann es deswegen besonders auf weichen Oberflächen, z. B. auf Polymeroberflächen, zu Zerstörungen der untersuchten Strukturen kommen. b) Nichtkontaktmodus: Die Cantilever wird durch ein Piezoelement zum Schwingen angeregt. Die Anregungsfrequenz liegt dabei oberhalb der Resonanzfrequenz der Cantilever. Nähert sich die Messspitze der Probenoberfläche, wird durch anziehende Kräfte zwischen Probe und Messsonde die Schwingung des Systems gedämpft und somit die Amplitude und Frequenz der Schwingung reduziert. Wird die Amplitude des Systems durch die Steuerung des Systems berücksichtigt und mithilfe des Piezoelements konstant gehalten( constant amplitude mode) berührt die Messspitze die Probenoberfläche im Idealfall nicht. Dieser Modus ist sehr schonend für die Oberfläche. Jedoch sind die Anforderungen dieses Modus an das Messsystem hoch, wodurch die Messgeschwindigkeit sehr gering ist und die resultierenden Aufnahmen meist unscharf sind. c) Dynamischer Modus( Tapping Mode): Im Gegensatz zum Nichtkontaktmodus werden geringere Amplituden-Sollwerte, d. h. Werte nahe der Resonanzfrequenz, eingestellt. Dadurch kommt es zu repulsiven Wechselwirkungen. Bei diesem Modus tritt lediglich ein kurzer Kontakt zwischen Probe und Sonde auf. Des Weiteren wird abhängig vom Amplituden-Sollwert in den Light Tapping Mode(großer Amplituden-Sollwert) und den Hard Tapping Mode(kleiner Amplituden-Sollwert) 34 4. Grundlagen unterteilt. Ersteres dient der Charakterisierung von Oberflächentopographien. Chemische und mechanische Eigenschaften der Oberfläche können im Hard Tapping Mode bestimmt werden. Allgemein erlaubt der dynamische Modus die Kombination der Vorteile aus Kontakt- und Nichtkontaktmodus. Es wirken geringe Kräfte auf die Probenoberfläche bei zufriedenstellender Auflösung und höheren Messgeschwindigkeiten[100]. Neben der Topographie können aus der Phasenverschiebung zwischen Anregungs- und Antwortfrequenz ein Phasenbild erstellt werden. Diese Phasenverschiebung ist abhängig von der Materialzusammensetzung der Substratoberfläche. Materialeigenschaften wie Adhäsion, Viskoelastizität, E-Modul und Reibungseigenschaften haben Einfluss auf die Phasenverschiebung. Während im Standard Tapping Mode nur relative Informationen(Änderungen zu einer Referenzprobe) der Oberflächeneigenschaften gewonnen werden, bieten erweiterte Varianten dieses Messmodus die Möglichkeit absolute Kennwerte zu generieren. Hierzu zählen beispielsweise der HarmoniX® Mode(Fa. Bruker) und der Peak Force QNM® Mode (Fa. Bruker). Die Eignung des HarmoniX Mode zur Charakterisierung der Adhäsionseigenschaften von Klarlackoberflächen wurde in dieser Arbeit geprüft[101, 102]. Im HarmoniX Mode wird durch spezielle Cantilever mit versetzt positionierter Spitze das Signal zu Rausch Verhältnis verbessert, wodurch eine quantitative Auswertung von Oberschwingungen(sog. Harmonics, Schwingungen oberhalb der Cantilever Resonanzfrequenz) möglich wird. Die absoluten Werte für Adhäsion, E-Modul, Dissipation und Deformation sind weiterhin abhängig von der Kraft des Tip-Oberflächenkontaktes. Mittels Kalibriermessungen auf Normsubstraten sind Absolutwerte zugänglich[103]. Im PeakForce QNM Mode wird die Anregungsfrequenz des Piezo-Elements speziell gesteuert. Im Oberflächenkontakt wird die Amplitude auf eine Maximalkraft(Auslenkung des Cantilever) beschränkt. Das Abklingen der Resonanzfrequenz des Cantilever nach Kontaktverlust mit der Oberfläche ermöglicht, ähnlich dem HarmoniX Mode, eine quantitative Auswertung durch verbesserte Signal zu Rausch Verhältnisse. Ebenfalls können hier simultan Werte für Adhäsion, E-Modul, Dissipation und Deformation generiert werden[104]. 4.4 Bestimmung der Glasübergangstemperatur Die Glasübergangstemperatur T g hängt in hohem Maße von der thermischen Vorbehandlung des Prüfmaterials ab. Die Bestimmung der Glasübergangstemperatur liefert daher wichtige Informationen über die thermische Vorgeschichte, Verarbeitungsbedingungen oder das Fortschreiten chemischer Reaktionen. Sie fungiert zudem als Anzeige für den Aushärtegrad warmhärtender Materialien[105]. Für die Bestimmung der Glasübergangstemperatur haben sich in der Kunststoff- und Lackbranche insbesondere zwei Methoden etabliert. Dies stellt zum einen die dynamische Differenzkalorimetrie( differential scanning calorimetry, DSC) dar. Mithilfe der Kalorimetrie wird die Wärmemenge bestimmt, die bei einer physikalischen oder chemischen Umwandlung eines Stoffes entsteht oder aufgebracht werden muss. Dementsprechend ändert sich die innere Energie des Stoffes, die bei konstantem Druck als Enthalpie H bezeichnet wird. Bei der DSC besteht die Messzelle aus einem„Zwillings-Kalorimeter“ mit zwei Heizelementen. Die Probe wird zusammen mit einem Referenztiegel nach einem vorgegeben Temperaturprogramm 4.4 BestimmungderGlasübergangstemperatur 35 aufgeheizt. Zeitgleich wird die Temperatur beider Messstellen kontinuierlich gemessen. Temperaturdifferenzen führen über den Regelkreis zu einer Änderung der Heizleistung und damit zu einem ständigen Temperaturausgleich. Die Änderung des Wärmestroms Q, d. h. die Wärmemenge pro Zeiteinheit, wird in Abhängigkeit der Temperatur bestimmt und aufgezeichnet. Für den Übergang in den gummiartigen Zustand muss Energie zugeführt werden. Das Aufschmelzen ist eine endotherme Zustandsänderung. Der Glasübergangsbereich ist daher als Stufe im Wärmestrom zu erkennen, wobei der Wendepunkt als T g angegeben wird(vgl. Abbildung 4.4)[106]. -0,1 Wärmestrom [W/g] -0,2 -0,3 -0,4 70° C T g = 88° C 105° C -0,5 -50 0 50 100 Temperatur[° C] 150 Abbildung 4.4: DSC-Diagramm einer vernetzten Klarlackprobe zur Bestimmung der T g . Umgekehrt führt eine mögliche Kristallisation zu einem exothermen Peak. Die Fläche unter dem Schmelzpeak ist der Schmelzenthalpie ∆ H m proportional. Der Kristallisationsgrad lässt sich somit aus dem Verhältnis der gemessenen Schmelzenthalpie zu einer theoretischen Schmelzenthalpie ∆ H m (Kristallisationsgrad 100 %) ermitteln[107]. Eine andere häufig angewandte Methode ist die Dynamisch-mechanische Analyse( dynamic mechanical analysis, DMA). Bei der DMA wird eine Probe oszillierend sinusförmig belastet und gleichzeitig die Deformation des Materials gemessen. Dabei wird sowohl die Amplitude, als auch die Phasenverschiebung der Deformation als Funktion der angelegten Kraft aufgezeichnet. Daraus können viskoelastische Eigenschaften des Materials in Abhängigkeit von Zeit und Temperatur bestimmt werden. Außerdem lassen sich Aushärtevorgänge von Lacken und Klebstoffen verfolgen und Informationen über die rheologischen Eigenschaften des Materials gewinnen. Mithilfe der DMA ist die Messung einer Vielzahl physikalischer Kennwerte durchführbar. Speichermodul E’, Verlustmodul E’’, Verlustfaktor tan δ und die Glasübergangstemperatur T g können bestimmt werden. Der Speichermodul E’ ist ein Maß für die aufgebrachte mechanische Energie, die nach der Beanspruchung zurückgewonnen werden kann. Bei Newtonschen Flüssigkeiten(z. B. Wasser) ist dieser Wert nahezu null. Der Verlustmodul E’’ dagegen kennzeichnet den Anteil der in ein System eingebrachten mechanischen Energie, der irreversibel in Wärme umgewandelt wird. Einen weiteren wichtigen Kennwert stellt der mecha- 36 4. Grundlagen nische Verlustfaktor tan δ dar. Der Verlustfaktor beschreibt somit das Verhältnis des Energieverlustes durch innere Reibung zur Energiespeicherung(siehe Gleichung 4.3). Er gibt das Verhältnis zwischen dem viskosen und dem elastischen Anteil des viskoelastischen Deformationsverhaltens an[108]. tan δ = EE’’’ (Gleichung 4.3) Bei idealelastischem Verhalten dominiert E’ vollständig über E’’, d. h. δ = 0° bzw. tan δ = 0. Idealviskoses Verhalten wird durch δ = 90° bzw. tan δ = ∞ beschrieben, da hier E’’ vollständig über E’ dominiert. Liegt viskoses und elastisches Verhalten ausgeglichen vor( E’= E’’), wäre δ = 45° bzw. tan δ = 1. Für identische Materialien werden methodenabhängig zum Teil große Unterschiede festgestellt. Zusätzlich werden bei der Auswertung von DMA Kurven verschiedene Verfahren herangezogen[109]. In vielen Arbeiten wird das Maximum der tan δ -Kurve der Glasübergangstemperatur zugeordnet, während einige andere Autoren bevorzugt das Kurvenmaximum des Verlustmoduls E‘‘ der Glasübergangstemperatur zuweisen. Auch hierdurch können signifikante Unterschiede auftreten. Wird der Hochpunkt der Verlustmodulkurve herangezogen, ist das Ergebnis gewöhnlich näher an der mittels DSC bestimmten Glasübergangstemperatur. Werden experimentell bestimmte Glasübergangstemperaturen verglichen, gilt es also vorsichtig zu sein. Ein zusätzlicher Faktor, der die mechanischen Eigenschaften von Polymermaterialien beeinflussen kann, ist die Breite des Glasübergangsbereichs. In DSC-Kurven ist materialspezifisch die Steigung des Übergangsbereichs steil und eng bzw. flach und breit definiert. Der gleiche Effekt kann in tan δ -Plots der DMA-Messung beobachtet werden, welcher materialabhängig verschiedene Breiten aufweist. Die Breite des Übergangsbereichs lässt beispielsweise Rückschlüsse über die Homogenität und Komplexität des Probenmaterials zu[32, 46, 79, 110]. 4.5 Dielektrische Analyse Die Bestimmung der dielektrischen Eigenschaften eines Polymers liefert neben Informationen zur Isolationswirkung auch Kenntnisse zur chemischen und physikalischen Struktur des Polymernetzwerks. Daher bietet sich die dielektrische Analyse(DEA) zur Untersuchung des Aushärtungs- und Verarbeitungsverhalten von Polymeren bzw. Lacken in Echtzeit an[111]. Die Messung baut auf dem Prinzip eines Kondensators auf. Das zu untersuchende Material befindet sich in direktem Kontakt mit dem dielektrischen Sensor, d. h. zwischen zwei Elektroden. Wird nun eine sinusförmige Wechselspannung mit konstanter Anregungsfrequenz angelegt, fließt ein elektrischer Strom durch diese Anordnung. Polymere sind zwar prinzipiell Dielektrika und nicht elektrisch leitfähig, dennoch wird an der zweiten Elektrode ein Antwortsignal in Form einer Spannung empfangen. Dieses Messsignal ist durch den Einfluss der Probe sowohl abgeschwächt als auch phasenverschoben(vgl. Abbildung 4.5). 4.5 Dielektrische Analyse 37 Abbildung 4.5: Phasenverschobenes Anregungs- und Messsignal bei der dielektrischen Messung­[112, 113]. Der Stromfluss wird durch die Leitfähigkeit von Ionen und Effekte der Orientierungspolarisation von im Material befindlichen Dipolen ermöglicht. Durch die angelegte Spannung baut sich ein elektrisches Wechselfeld auf, dessen Feldlinien in das zu untersuchende Material eindringen. Die zunächst regellos angeordneten Ladungsträger richten sich aus. Entlang der Feldlinien finden sowohl Ionenwanderungen als auch Dipolschwingungen statt. Dipole und Ionen sind bestrebt der wechselnden Polarität des elektrischen Feldes zu folgen. Der Vorgang der Ionenpolarisierung und der Orientierungspolarisierung der Dipole ist in Abbildung 4.6 dargestellt. Diese Vorgänge erfordern in Polymeren eine gewisse Zeit und führen zur materialspezifischen Phasenverschiebung zwischen Spannung(Anregungssignal) und Strom(Messsignal) bzw. einem Energieverlust. 38 4. Grundlagen Abbildung 4.6: Dipol- und Ionenpolarisierung in einem Dielektrikum bei Anlegen eines elektrische­n­ ­Feldes, in Anlehnung an[112, 113]. Bei DEA-Untersuchungen von Vernetzungsvorgängen wird typischerweise der zeitliche Verlauf der Verlustzahl und die Ionenviskosität bei einer Anregungsfrequenz von 1 Hz bis 1000 Hz analysiert. Ähnlich der DMA-Analyse erfolgt die Auswertung durch die Bestimmung der Phasenverschiebung. Bei steigendem Aushärtungsgrad sinkt demnach die Molekülbeweglichkeit und damit der Energieverlust durch inelastische Schwingungsbewegung. Die Schwingungen folgen dem Erregersignal direkter, d. h. die Phasenverschiebung nimmt rapide ab. Ein weiterer wichtiger Kennwert bei der DEA ist die Dielektrizitätszahl, welche die Permittivität, d. h. die Durchlässigkeit eines Materials für elektrische Felder, beschreibt. Die Dielektrizitätszahl ε ist ein Maß für die reine Kapazitätserhöhung, welche durch das Dielektrikum hervorgerufen wird. Sie kann mit dem Produkt der Permittivität des Vakuums und der relativen Permittivität berechnet werden[114, 115]. ε = ε 0 ∙ ε r (Gleichung 4.4) mit ε 0 : Dielektrizitätskonstante im luftleeren Raum(0,08854 pF/cm) ε r : relative Dielektrizitätszahl(Materialabhängige Konstante) 4.6 Zugversuch von freien Lackfilmen 39 Die relative Permittivität ε r wiederum ist eine Materialkonstante und wird aus dem Verhältnis der Kapazität des Kondensators mit Dielektrikum C zu der Kapazität eines Kondensators im Vakuum C 0 definiert. ε r = C C 0 (Gleichung 4.5) Wie auch schon bei der DMA spricht man in diesem Zusammenhang von einem Verlustfaktor tan δ (dissipation factor). Aus ihm ergibt sich nach Gleichung 4.6 die Verlustzahl ε r ’’( loss index). ε r ’’= ε r ∙ tan δ (Gleichung 4.6) Die Verlustzahl ε r ’’ beschreibt die dielektischen Verluste durch Umwandlung elektrischer Energie in Wärme. δ gibt den Verlustwinkel an, um welchen die Phasenverschiebung zwischen Strom und Spannung von 90° abweicht. Außerdem kann die Ionenbeweglichkeit u mittels DEA sehr genau bestimmt werden. Im Verlauf der Vernetzung eines Reaktivharzes fällt diese innerhalb des Materials rapide ab. Diesen Prozess beschreibt die Ionenviskosität µ i ( ion viscosity), welche mit abnehmender Ionenbeweglichkeit natürlich zunimmt. Die Ionenviskosität µ i berechnet sich nach Gleichung 4.7. µ i =( u∙[C]∙q) –1 (Gleichung 4.7) mit u: Ionenbeweglichkeit [C]: Konzentration der beweglichen Ionen q: Ladung der Ionen Der zeitliche Verlauf von Ionenviskosität µ i und Verlustzahl ε r ’’ ermöglicht Aussagen zum Vernetzungsprozess. 4.6 Zugversuch von freien Lackfilmen Der Zugversuch ist ein grundlegendes mechanisches Verfahren, um das Zugverformungsverhalten von Probekörpern zu untersuchen. Die Kennwerte Zugfestigkeit und Zugmodul, sowie andere Gesichtspunkte der Zugspannungs-/Dehnungs-Beziehung werden unter festgelegten Bedingungen ermittelt[116]. Es handelt sich um ein quasistatisches, zerstörendes Prüfverfahren. Der Probekörper mit definierter Querschnittsfläche wird entlang seiner größten Hauptachse bei konstanter Geschwindigkeit gedehnt, bis er bricht oder bis die Spannung(Kraft) oder Dehnung(Längenänderung) einen vorgegebenen Wert erreicht. Während dieses Vorgangs, der gleichmäßig und stoßfrei erfolgen muss, werden die vom Probekörper getragene Belastung und die Längenänderung gemessen. Die allgemeinen Grundsätze und Parameter zur Bestimmung der Zugeigenschaften sind in der DIN EN ISO 527 hinterlegt. Beim Zugversuch wird die Kraft in Abhängigkeit der Längenänderung gemessen, es resultiert daraus ein Kraft-Weg-Diagramm, welches mittels Gleichungen 4.8 und 4.9 in ein Spannungs-Deh- 40 4. Grundlagen nungs-Diagramm umgerechnet wird. Die Spannung wird meist in Megapascal[1 MPa= 1 N/mm 2 ] angegeben. Die Dehnung wird als Größe in Prozent[%] angegeben. σ = F b 0 ∙d 0 = F A 0 (Gleichung 4.8) ε = ∆l l 0 ∙ 100%(Gleichung 4.9) mit: σ : Spannung[MPa] ε : Dehnung[%] F: Kraft[N] ∆ l: Längenänderung[mm] b 0 : Breite des Probekörpers[mm] d 0 : Dicke des Probekörpers[mm] l 0 : Ausgangslänge A 0 : Querschnittsfläche des Probekörpers[mm 2 ] Bei der Transformation des Kraft-Weg-Diagramms in ein Spannungs-Dehnungs-Diagramm wird vereinfacht angenommen, dass die Kraft stets auf die gleiche Querschnittsfläche A 0 wirkt. Dies entspricht jedoch nur einer Näherung. Der wirkliche Querschnitt verkleinert sich während des Zugversuchs, da es zu Querkontraktionen und Einschnürungen kommen kann. Vor allem bei Proben aus duktilen Materialien ist diese Verformung deutlich sichtbar und zu berücksichtigen, da sich die tatsächlich auf den Prüfkörper wirkende Spannung( σ real ) von der nominellen Spannung( σ nominell ) unterscheidet. Die Zugfestigkeit ist als die Maximalspannung definiert, die der Probekörper während eines Zugversuchs trägt. Die Zugfestigkeit ist jedoch nicht die wahre Spannung, sondern ist geringer als die Spannung, die der Probekörper maximal erfährt. Ergebnisse des Zugversuchs sind das Spannungs-Dehnungs-Diagramm und die daraus entnommenen Werkstoffkennwerte. In Abbildung 4.7 ist eine typische Spannungs-Dehnungskurve eines Werkstoffes mit Streckgrenze dargestellt. Spannung σ [MPa] 4.6 Zugversuch von freien Lackfilmen 𝜎𝜎 𝑀𝑀 𝜎𝜎 𝑂𝑂𝑂𝑂 𝜎𝜎 𝑈𝑈 𝜎𝜎 𝑛𝑛𝑛𝑛𝑛𝑛𝑛𝑛𝑛𝑛𝑛𝑛𝑛𝑛𝑛𝑛 41 𝜀𝜀 𝐺𝐺 𝜀𝜀 𝑀𝑀 𝜀𝜀 𝐵𝐵 𝜀𝜀 𝑇𝑇 Dehnung ε[%] Abbildung 4.7: Spannungs-Dehnungs-Diagramm mit Streckgrenze. Abbildung 4.7 zeigt folgende Parameter: σ M : Zugfestigkeit[MPa](Die Maximalspannung, die der Probekörper während eines Zugversuchs trägt) σ O b : Obere Streckgrenze[MPa](Der erste Spannungswert, bei dem ein Zuwachs der Dehnung ohne Steigerung der Spannung auftritt) σ U : Untere Streckgrenze[MPa] σ B : Bruchspannung[MPa](Die Spannung beim Bruch des Probekörpers) ε G : Gleichmaßdehnung[%] ε M : Dehnung bei der Zugfestigkeit[%](Die Dehnung bei der Maximalspannung) ε B : Bruchdehnung[%](Die Dehnung beim Bruch des Probekörpers) ε T : Gesamte Dehnung bei Bruch[%] E T : Elastizitätsmodul[Pa](Materialkennwert, er stellt ein Maß für die Steifigkeit des Materials dar. Der E-Modul ist als Steigung des Spannungs-Dehnungs-Diagramms bei sehr geringer Dehnung innerhalb des linear-elastischen Bereichs definiert.) Spannungs-Dehnungs-Diagramme von Festkörpern können in drei Bereiche eingeteilt werden. Zu Beginn, im linear-elastischen Bereich, steigt die Kurve linear an. Im gezeigten Beispiel endet dieser Bereich mit dem Erreichen der oberen Streckgrenze. Das Material reagiert auf die Spannung wie ein elastischer Feststoff. Bei Entlastung in diesem Bereich, nimmt der Festkörper spontan wieder vollständig seine Ursprungsform an. Die rein elastische Verformung ist auf spontane Abstandsänderungen von Atomen und Valenzwinkelverzerrungen der chemischen Bindungen zurückzuführen. Das 42 4.AnalytischeGrundlagen Elastizitätsmodul wird in diesem Bereich nach Gleichung 4.10 als Steigung der Hookschen Gerade berechnet. E T = ∆F∙∆l A 0 ∙l 0 = ∆ σ ∆ ε (Gleichung 4.10) Mit fortschreitender Beanspruchung und zunehmender Dehnung folgt der linear-viskoelastische Bereich(vgl. Abbildung 4.9). Dabei steigt die Verformung unter Belastung zunehmend geringer. Bei Entlastung verhält sich die Rückverformung umgekehrt. Sie beginnt schnell und wird bis zur vollständigen Rückbildung langsamer; ist also reversibel zeitverzögert. Bei der zeitabhängigen viskoelastischen Verformung benötigen die Moleküle oder Molekülgruppen eine gewisse Zeit, um durch Molekülumlagerungen eine den einwirkenden Spannungen entsprechende Verformung einzustellen. Es kommt zur Kettenstreckung und Orientierung. Bei Entlastung gehen die Molekülketten in die thermodynamisch günstige Knäuelform zurück. An den linear-viskoelastischen Bereich grenzt der nicht-lineare viskoelastische Bereich. Es stellt sich eine irreversible viskose Verformung ein, die bei Entlastung nicht wieder zurückgeht. Dieser Bereich endet beim Erreichen der oberen Streckgrenze. Nach Erreichen der Streckgrenze kommt es zur Einschnürung des Materials und zum plastischen Fließen. Dabei gleiten die Molekülketten aneinander ab und es kommt zu einer Verschiebung mit Schwerpunktsverlagerung. Bei duktilen Materialien kann es zu einem konstanten Fließen ohne Spannungsänderung kommen. Es folgt die Dehn- oder Zugverfestigung, d. h. ein erneuter Anstieg der Spannung. Dieser Anstieg ist auf die Kraft zurückzuführen, welche zum Bruch einzelner Atom-/Molekülbindungen nötig ist. Die Messung wird schließlich bis zum Bruchversagen durchgeführt. 4.7 Bewertung der Klebstoffhaftung Prüftechnisch erfassbar ist ein summarischer Wert der mechanischen Festigkeit, da weder die Anzahl der wirklichen Kontaktstellen pro Flächeneinheit, noch die Größe der an diesen Stellen wirkenden Kräfte bekannt ist. Aus diesem Grund wird zur Charakterisierung der Klebverbunde anstelle der Haftung die Verbundfestigkeit gewählt. Als Maß für die Festigkeit eines geklebten Materialverbunds wird im Allgemeinen eine äußere Kraft F gemessen, die zum mechanischen Versagen des Materialverbundes führt. Diese Messgröße wird stark von den Prüfbedingungen und vom physikalisch-chemischen Eigenschaftsprofil der gefügten Werkstoffpaarung beeinflusst. Um Endanwendungseigenschaften, z. B. die Verklebbarkeit der Lackoberfläche bzw. die praktische Anwendbarkeit der Klebstoffe auf verschiedenen Lacksystemen oder Lackzuständen nachweisen zu können, wird die Haftfestigkeit zwischen Klarlackoberfläche und ausgewählten 1K-PUR-Klebstoffen mittels Raupenschälprüfung untersucht. Die Haftfestigkeit exemplarisch ausgewählter 1K-PUR-Klebstoffe auf den untersuchten lackierten Blechen wurde nach DIN 55657[117] mittels Raupenschältest, d. h. unter schälender Belastung beurteilt. Auf das Substrat wird eine Klebstoffraupe mit einer Dreiecksdüse(8 mm breit, 12 mm hoch) aufgetragen, anschließend mit einer Polyethylenfolie abgedeckt und auf eine Höhe von 5 mm verpresst. Die PE-Folie wird nach Aushärtung des Klebstoffes vorsichtig abgezogen. Die Aushärtung des Klebstoffes erfolgt über 14 Tage unter Normklima. Zum Schälen( Peel) wird die Raupe am Ende knapp über der Klebefläche eingeschnitten. Das eingeschnittene Ende der Raupe wird mit einer Zange fest- 4.7 BewertungderKlebstoffhaftung 43 gehalten und vom Untergrund gezogen. Dies geschieht durch vorsichtiges Aufrollen der Raupe auf die Zangenspitze unter Einschneiden der Klebstoffraupe senkrecht zur Raupenabzugsrichtung bis auf den Untergrund. Beurteilt werden die nach dem Abziehen der Raupe auf dem Untergrund zurückbleibenden Klebstoffreste(Kohäsionsbruchanteile). Das Benotungssystem ist in Tabelle 4.1 angegeben. Haftnoten Note 1 0 % Haftung/Kohäsionsbruch, 100% Adhäsionsbruch Note 2 Ca. 25 % Haftung/Kohäsionsbruch, 75% Adhäsionsbruch Note 3 Ca. 50 % Haftung/Kohäsionsbruch, 50% Adhäsionsbruch Note 4 Ca. 75 % Haftung/Kohäsionsbruch, 25% Adhäsionsbruch Note 5 100 % Haftung/Kohäsionsbruch, 0% Adhäsionsbruch Beispielbilder vorher nachher Beschreibung 1. Substrat 2. Beschichtung 3. Klebstoffraupe 4. Klebstoffrückstand 5. Abschälkraft 6. Zugrichtung 90-160° 7. Einschnitte 2 5 3 6 47 1 Tabelle 4.1: Benotungssystem zur Beurteilung der Klebstoffhaftung nach DIN 55657[117]. Darüber hinaus wurde die Haftung der Klebstoffe auf den unterschiedlich lackierten Oberflächen über die Bestimmung der Zugscherfestigkeit und den Winkelschälversuch bewertet. 4.7.1 Zugscherversuch Für die Prüfung der Verbundfestigkeit ist der Zugscherversuch das am häufigsten eingesetzte Prüfverfahren[70]. Der nach DIN EN 1465 definierte Zugscherversuch dient zur Ermittlung der Zugscherfestigkeit. Wie in Abbildung 4.8 dargestellt, wird die Klebverbindung zweier einschnittig überlappter Fügeteile einachsig in Richtung der Klebefläche belastet. Hierbei wird die äußere Kraft F a gemessen, 44 4. Grundlagen welche pro Einheit der geometrischen Oberfläche A g aufgewandt werden muss, um den Materialverbund zu zerstören. Abbildung 4.8: Schematische Darstellung des Zugscherversuches. Angegeben sind die Fügeteilbreite b, die Überlappungslänge Ü, sowie die Zugrichtung der äußeren Kraft F a . Die damit ermittelte Verbundfestigkeit σ V wird in[N/mm 2 ] angegeben und ist wie folgt definiert: σ V = F a A g (Gleichung 4.11) Ergebnisse des Zugscherversuches sind das Spannung-Dehnungs-Diagramm bzw. Kraft-Weg-Diagramm und die daraus entnommenen Werkstoffkennwerte. In Abbildung 4.9 ist ein charakteristisches­­ Kraft-Weg-Diagramm einer Klebverbindung dargestellt. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Maximalkraft F max . Die als Klebfestigkeit definierte Schubspannung T B berechnet sich aus F max dividiert durch die Klebfläche. Die in Abbildung 4.9 grau dargestellte Fläche unterhalb der Kurve bis zur Bruchdehnung s max kennzeichnet die maximale Energieaufnahme W max der Klebung. Anhand des Zugscherversuches lassen sich Aussagen über die Klebfestigkeit treffen. Während des Zugscherversuches treten abhängig von Fügeteilwerkstoff, Klebstoff und Klebflächengeometrie Schub- oder Normalspannungsspitzen an den Überlappungsenden auf. Diese sollten durch Anpassungen der Probekörper möglichst ausgeschlossen werden. 4.7 Bewertung der Klebstoffhaftung 45 Abbildung 4.9: Kraft-Weg-Diagramm mit charakteristischen Kennwerten des Zugscher­versuche­s­. Damit ist zur Ermittlung der Verbundfestigkeit eine Analyse des Bruches erforderlich. In der Praxis liegen reine Adhäsionsbrüche nur sehr selten vor, da auch Kohäsions- und Mischbrüche auftreten. Die Bruchart muss also bei der Interpretation mechanisch-technologischer Prüfungsbefunde immer besonders berücksichtigt werden, da sie sich nicht zwingend in der Verbundfestigkeit widerspiegelt. 4.7.2 Winkelschälversuch Bei dem Winkelschälversuch nach DIN EN 28510 wird der Widerstand von Klebungen gegen abschälende, senkrecht zur Klebschicht angreifende Kräfte ermittelt(vgl. Abbildung 4.10). Die Ergebnisse dienen vorwiegend dazu, vergleichende Aussagen über Klebstoffe oder Oberflächenbehandlungsmaßnahmen zu treffen. Unterschiede im adhäsiven oder kohäsiven Verhalten können mit dieser Methode sehr gut ermittelt werden[61]. Abbildung 4.10: Schematische Darstellung des Winkelschälversuches. Angegeben sind die Fügeteilbreite b, die Abschällänge l, sowie die Zugrichtung der äußeren Kraft F a . 46 5. Ergebnisse und Diskussion 5. und Diskussion Das Ergebnis-Kapitel unterteilt sich in vier Abschnitte. Zunächst werden im Kapitel„Adhäsionsphänomene auf Klarlackoberflächen“ die haftungsbestimmenden Faktoren der Lackverarbeitung aufgezeigt und eingegrenzt. Darauf aufbauend werden Wechselwirkungstheorien zwischen Klebstoff und Klarlackoberfläche aufgestellt. Diese werden im zweiten Abschnitt„Untersuchungen zum Haft­ mechanismus auf Lack“ geprüft. Abschließend bewerten Kapitel drei und vier Zusammenhänge zwischen Adhäsions- und Lack­ eigenschaften. Im Abschnitt„Vorhersage der Haftung“ werden die haftungsbestimmenden Ober­ flächeneigenschaften charakterisiert. Dies ermöglicht Aussagen zur Haftfähigkeit der Klarlackoberfläche durch Methoden der instrumentellen Analytik. Zuletzt werden„Strategien zur verbesserten Haftung auf Lack“ erörtert. Möglichkeiten der lackspezifischen Klebstoffentwicklung werden aufgezeigt. Alternativ werden lösungsmittelfreie Vorbehandlungsmethoden für Klarlackoberflächen vorgestellt. 5.1 Adhäsionsphänomene auf Klarlackoberflächen Tabelle 5.1 gibt exemplarisch die unterschiedliche Haftung von einkomponentigen Polyurethan(1KPUR) Scheibenklebstoffen auf Multischicht-Lackaufbauten nach integrierter(IP-BC/CC), sowie konventioneller(KP-BC/CC) Lackapplikation wieder. Von einer schlechten Haftung ist die Rede bei adhäsivem Versagen des Klebstoffs auf der Klarlackoberfläche, d. h. der Klebstoff lässt sich(nach Aushärtung) rückstandsfrei von der Oberfläche entfernen. Lackoberflächen(Probenbezeichnungen) für welche dies zutrifft sind in den folgenden Abschnitten rot gekennzeichnet. Im Falle eines kohäsiven Bruchs in der Klebstoffmatrix hingegen, ist die Haftung in Ordnung. Diese Proben werden grün markiert. Lackdelamination, d. h. ein Versagen der Zwischenschichthaftung im Lacksystem, tritt als Bruchart nicht auf und wird nicht weiter diskutiert. Lediglich 1K-PUR-Klebstoffe mit einem Schubmodul von maximal 3,5 MPa werden eingesetzt. Wie sensibel eine Klebverbindung sein kann, zeigen unterschiedliche Haftfestigkeiten eines Klebstoffs auf einem Klarlacksystem. Der Lackierprozess, geringe Änderungen der Lack-Einbrennbedingungen oder die Variation des Farbtons/Basislacks beeinflussen scheinbar die Haftung. Zusammenhänge zwischen solchen Beobachtungen und den tatsächlichen Ursachen für Haftung oder Nichthaftung sind nur in wenigen Fällen bekannt. Die Prüfung der Klebstoffhaftung auf einem Lacksystem muss daher unter Berücksichtigung des gesamten Prozessfensters der Lackierung stattfinden. Ebenso ist die Prüfung des kompletten Farbfächers bisher unvermeidbar, obwohl die farbgebende Basislackschicht und der Klebstoff immer durch eine ca. 40 μm starke Klarlackschicht voneinander getrennt sind. Werden in der Praxis Schwierigkeiten der Haftung auf bestimmten Lackoberflächen festgestellt, so beginnt die Suche nach dem„Verursacher“. Die heutigen Lackformulierungen stellen komplexe Mischungen dar, in der Regel mit 15 bis 20 verschiedenen Komponenten. Die Hauptbestandteile einer jeden Formulierung sind Harze, Co-Polymere und Lösungsmittel. Allerdings werden zahlreiche Additive hinzugefügt, um optimale Applikations- und optische Eigenschaften einzustellen: Pigmente, Dispergiermittel, Verlaufshilfsmittel und Mattierungsmittel. 5.1 Adhäsionsphänomene auf Klarlackoberflächen 47 Jacobasch und Mitarbeiter zeigten, dass die Anwesenheit von Additiven, wie Trennmitteln zu Haftdefekten der Klebverbindung führt[118]. Für die Sicherstellung einer hohen Haftfestigkeit ist daher die Kenntnis über das Diffusionsverhalten der eingesetzten Additive nötig. Die resultierende Zusammensetzung der äußersten Oberflächenschicht des zu verklebenden Substrats ist entscheidend [25, 119]. Aufgrund der Studien von Leadley et al., Perruchot et al. und Horgnies et al. wird häufig die Oberflächenanreicherung einer separierenden Lackkomponente vermutet[120–123]. Mittels röntgenphotoelektronischer Spektroskopie(XPS) zeigte Perruchot et al. wie Diffusionsvorgänge von Klarlackadditiven die Oberflächenchemie beeinflusst. In welchem Maßstab solche Diffusionsvorgänge möglich sind veranschaulichte Hinder et al.[124]. Es wurde nachgewiesen, dass Silikon-basierende Additive aus dem Basislack durch eine 20 µm dicke Klarlackschicht migrieren. Selbst wenn der Basislack vor der Klarlackapplikation thermisch vernetzt vorliegt, kommt es zu Diffusionsvorgängen der Basislack-Additive bis an die Klarlackoberfläche. Auch die im Folgenden beschriebene Suchstrategie konzentrierte sich zunächst auf die Oberflächenanreicherung haftvermindernder Substanzen. Ein Einfluss oberflächenaktiver Additive auf die Haftung, wie bei Horgnies et al. in der Literatur beschrieben[25], wurde mithilfe einiger Modell-Aufbauten für das geprüfte Lacksystem ausgeschlossen. Die Konzentrationserhöhung oberflächenaktiver Additive/Netzmittel(Reduzierung der Oberflächenspannung durch Surfynol 104, Fa. Air Products) im Klarlack führte zu keinen Änderungen der gemessenen Haftfestigkeit der Klebverbindungen. Einen weiteren Anhaltspunkt dafür, dass keine Oberflächenbelegung die Enthaftung auslöst, lieferte der Vergleich einer„haftungsfreundlichen“(KP-BC/CC) mit einer„haftungsunfreundlichen“ (IP-BC/CC) Probe. Eine Oberflächenreinigung vor der Klebstoffapplikation mit polaren bzw. unpolaren Lösungsmitteln(2-Propanol bzw. n-Heptan) führte zu keinen Veränderungen der Haftfestigkeiten. Auch die Oberflächenenergie beider Proben war vor und nach dem Reinigungsschritt nahezu identisch(vgl. Tabelle 5.1). Die Oberflächenenergie wird als wichtiges Maß für die Beurteilung der Haftfähigkeit einer Klebstoffschicht, Lackierung oder Beschichtung angesehen. Ist die Oberflächenenergie eines Fügeteils zu gering, gilt es als„haftungsunfreundlich“. Die Ergebnisse der Lackaufbauten IP-BC/CC und KP-BC/ CC zeigen jedoch, dass das Thema Haftung zu komplex ist und keine eindeutige Korrelation der Haftung mit Oberflächenenergien zu erwarten ist. 48 5. und Diskussion PU1 PU2 PU1 PU2 Bruchflächen nach Durchführung der Peelprüfung Oberflächenenergie [mN/m] Unbehandelt (Referenz) n-Heptan Isopropanol IP-BC/CC 36,4(±0,1) 34,8(±0,1) 37,7(±0,1) KP-BC/CC 37,5(±0,1) 34,6(±0,2) 37,9(±0,1) Tabelle 5.1: Bruchflächen nach Durchführung der Raupenschälprüfung auf Klarlack mit zwei verschiedenen Basislackgenerationen. Geprüft wurde mit 1K-PUR-Klebstoffen. Vergleich der Oberflächenenergie der Klarlackoberflächen nach entsprechender Reinigung. Die in Tabelle 5.2 zusammengefassten Ergebnisse der XPS-Messungen zeigen darüber hinaus, dass sich die atomare Zusammensetzung der Oberflächen kaum unterscheidet und keine klarlackfremden Substanzen vorliegen. Trotz abnehmender Silizium-Konzentrationen nach Reinigung der Oberflächen blieben die Haftwerte unverändert gering(IP-BC/CC) bzw. hoch(KP-BC/CC). Probe IP-BC/CC unbehandelt IP-BC/CC gereinigt KP-BC/CC unbehandelt KP-BC/CC gereinigt C 76,7 75,0 77,6 74,8 Oberflächenzusammensetzung[At%] O N Si F 15,1 5,5 2,7 – 16,7 7,9 0,4 – 14,5 5,1 2,9 – 17,3 7,2 0,7 – P – – – – Tabelle 5.2: Elementzusammensetzungen der mittels XPS analysierten Oberflächen. Die Reinigung­ ­­erfolgte durch einen zweistufigen Reinigungsprozess mit 2-Propanol und n-Heptan. Abbildung 5.1 gibt einen Überblick der analysierten Variablen einer Lackklebung. Die haftungsbestimmenden Kriterien werden im Folgenden eingegrenzt und definiert. Um ein Überlagern verschiedener Effekte zu verhindert, wird zunächst die eigenständige Klarlackschicht betrachtet. Dies geschieht durch die direkte Applikation des Klarlacks auf kathodisch tauchlackierte Prüfbleche(KTL-Bleche). Prozess- bzw. Basislackeinflüsse werden dadurch ausgeblendet. 5.1 Adhäsionsphänomene auf Klarlackoberflächen 49 Abbildung 5.1: Übersicht möglicher Einflussfaktoren der Klebstoffhaftung auf Klarlack­oberflächen. 5.1.1 Einfluss der Klarlackschicht Verschiedene Versuche zeigen auf, dass der Aushärtegrad der Klarlackschicht die Klebstoffhaftung wesentlich beeinflusst. Der Aushärtegrad lässt sich auf zwei Arten regulieren: Die Einbrenntemperatur sowie das Stammlack/Härter-Verhältnis stehen in direktem Zusammenhang. Je höher die Einbrenntemperatur bzw. die Härterkonzentration, desto höher ist der Vernetzungsgrad[125]. In beiden Fällen nimmt die Klebstoffhaftung mit zunehmendem Vernetzungsgrad ab(vgl. Abbildung 5.2). 50 5. und Diskussion A B Abbildung 5.2: Abhängigkeit der Haftung vom Vernetzungsgrad der Klarlackschicht. Dieser wird über die Einbrenntemperatur- und Zeit(A), sowie das Härter/Stammlack-Verhältnis(B) variiert. Diese Versuchsreihe wurde mit einem melaminfreien 2K-PUR-Klarlack CC4 durchgeführt. Dieses Phänomen ist auf weiteren 2K-PUR-Lacksystemen ebenfalls festzustellen. Abbildung 5.3 zeigt die Glasübergangstemperaturen( T g ), die Härte und die Haftergebnisse drei unterschiedlicher Serien­-Klarlacksysteme(CC1, CC2, CC3). Die Aushärtung der Klarlackschicht erfolgte jeweils unter „idealen­“­ Einbrennbedingungen(nach Herstellervorgaben: 140°C, 30 Min) sowie unter ÜberbrandBedin­gungen(150°C, 60 Min). Allgemein zeigen geringere Glasübergangstemperaturen bzw. eine geringere Härte der Klarlackschicht höhere Haftfestigkeiten. Die Klebstoffhaftung steht mit dem Vernetzungsgrad indirekt in Verbindung. CC1 zeigt die höchsten Glasübergangstemperaturen und die geringsten Haftfestigkeiten. Für CC3 ist dies umgekehrt. Zudem ist die Abhängigkeit des Vernetzungsgrads von den gewählten Einbrennbedingungen für die Haftfestigkeiten entscheidend. In Abbildung 5.3 ist dies durch Pfeile gekennzeichnet. Wird der Ver- 5.1 Adhäsionsphänomene auf Klarlackoberflächen 51 netzungsgrad durch die Variation der Einbrennzeit und-temperatur stark beeinflusst, kann dies zur Enthaftung führen. Während das Ändern der Einbrennbedingungen für CC1 und CC2 zu deutlichen Veränderungen der Materialeigenschaften führt, bleiben die Messergebnisse für CC3 konstanter. Das Überbrennen erhöht die Glasübergangstemperatur und die Härte für CC1 um 10°C bzw. 10 N/mm²; für CC3 ändern sich diese Werte lediglich um 4°C bzw. 5 N/mm². Abbildung 5.3: Übersicht der gemessenen Glasübergangstemperaturen, Martenshärte und Haftnoten für drei Serien-Klarlacksysteme(CC1, CC2, CC3). 5.1.1.1 Einfluss der Zeit Die Zeitspanne zwischen Klarlackeinbrand und Klebstoffauftrag beschreibt das sogenannte„Lack­ alter“. Mit zunehmendem Alter der Klarlackoberfläche nehmen die Haftfestigkeiten ab. Exemplarisch zeigt dies Abbildung 5.4 für Klarlack CC1 im integrierten(IP-BC/CC), sowie konventionellen(KP-BC/CC) Lackaufbau. 52 5. und Diskussion Abbildung 5.4: Abhängigkeit der Hafteigenschaften einer Klarlackoberfläche(BC/CC1) vom Zeitpunkt der Verklebung. FT-IR-Messungen zeigen mit zunehmendem Alter der Lackoberflächen die Abnahme der NCO-Bande (vgl. Abbildung 5.5A). Dies ist auf Nachvernetzungsvorgänge in der Klarlackschicht zurückzuführen. Daher kann dieser Vorgang nur beobachtet werden, sofern die Vernetzung nach Einbrand nicht vollständig abgeschlossen ist: In Abbildung 5.5A am deutlichsten nach der Härtung bei 140°C für 30 Minuten zu sehen. Auch das Erhöhen der Einbrenntemperatur und-zeit führt zu deutlich geringeren Konzentrationen an Rest-Isocyanat(vgl. Abbildung 5.5B). 5.1 Adhäsionsphänomene auf Klarlackoberflächen A 53 B Abbildung 5.5: A: Abhängigkeit der verbleibenden NCO-Konzentration der Klarlackschicht (KTL/CC1) vom Alter der Lackschicht und den Einbrennbedingungen./ B: Übersicht der FT-IR-Spektren. Die Messung erfolgte ein Tag nach Lackeinbrand(links) und 21 Tage nach Lackeinbrand(rechts). Detailausschnitt: Isocyanat-Bande. Während im Klebprozess üblicherweise das maximale Alter der Lackoberfläche vorgegeben wird, sind die Vorgaben einer Mindestwartezeit bis zum Klebstoffauftrag nicht definiert. Die Zeitabhängigkeit der Haftung besteht jedoch in beide Richtungen. Ein minimales und maximales Alter der Lackoberfläche muss vorgeschrieben werden. Wird die Verklebung unmittelbar nach dem Lackeinbrand(Lackalter< 2h) durchgeführt, wird keine Haftung erzielt(Abbildung 5.6A). Dies zeigt sich im Speziellen bei melaminhaltigen Klarlacken. Eine Ursache hierfür sind Diffusionsprozesse innerhalb der Klarlackschicht. Abspaltprodukte(z. B. 54 5. und Diskussion 1- Butanol von teilverethertem Melaminharz) emittieren auch nach abgeschlossenem Lackeinbrand aus der Lackschicht. Dies bestätigen Emissionsmessungen ausgehärteter Lackschichten(Luftanalyse mit Tenax-Adsorptionsrohr bei 90°C; Auswertung mittels GC-MS). Das GC-MS-Chromatogramm der emittierten Bestandteile zeigt einen signifikanten Anteil an 1-Butanol(vgl. Abbildung 5.6B). Bereits geringe Konzentrationen an 1-Butanol blockieren die reaktiven Isocyanat-Gruppen des Klebstoffs an der Grenzfläche Klarlack/Klebstoff. Der Haftmechanismus wird somit gestört bzw. die Enthaftung festgestellt. Dieser Mechanismus wird durch die nachfolgenden Versuchsergebnisse der Arbeit gestützt. Oberflächenspezifische Methoden(z. B. XPS, ToF-SIMS) sind aufgrund des benötigten Hochvakuums für die oberflächennahe Detektion dieser flüchtigen Bestandteile nicht geeignet. A B Abbildung 5.6: A: Haftungsprüfung auf KTL/CC1 Proben nach Überbrennen; Klebstoffapplikation nach 2 h und 14 d im Vergleich./ B: GC-MS-Chromatogramm der emittierten Bestandteile aus der ausgehärteten Klarlackschicht(BC/CC1). Die ersten 24 Stunden nach dem Klebstoffauftrag sind für den Haftaufbau der feuchtigkeitshärtenden 1K-PUR-Klebstoffe entscheidend. Dies bestätigen zeitabhängige infrarotspektroskopische Untersuchungen an Klebstofffilmen. Zeitaufgelöste Messungen verfolgen den Reaktionsverlauf der Scheibenklebstoffe PU4 und PU8 bei Raumtemperatur. Den grenzschichtnahen Abbau der reaktiven NCO-Gruppen zeigt die Bande der NCO-Valenzschwingung bei 2260 cm –1 . Für PU4 wird nach 23,5 Stunden eine vollständige Umsetzung beobachtet. Bei PU8 tritt dies bereits nach 21,2 Stunden ein (vgl. Abbildung 5.7). Für eine erfolgreiche Verklebung muss das Nachdiffundieren reaktionskompatibler Lackbestandteile ausgeschlossen werden. Vor der Klebstoffapplikation ist ein stabiler Ober­ flächenzustand der Klarlackschicht sicherzustellen. 5.1 Adhäsionsphänomene auf Klarlackoberflächen AB 55 Abbildung 5.7: Zeitabhängige infrarotspektroskopische Untersuchungen der Substrat/ Klebstoff­-Grenzfläche. Exemplarisch wurden(A) PU4 und(B) PU8 analysiert. Detailausschnitt: Isocyanat-Bande. 5.1.1.2 Einfluss der Klarlackschichtdicke Ein Effekt der Klarlackschichtdicke des Klarlacks CC1 auf die Haftung von 1K-PUR-Klebstoffen konnte nicht festgestellt werden. Die Trockenfilmschichtdicken wurden zwischen 20 und 70 µm variiert. Dies wurde durch Keilaufbauten und durch Anpassung der Applikationsparameter realisiert. Bei der anschließend durchgeführten Raupenschälprüfung sind keine Unterschiede der Haftung aufgefallen. Die Erkenntnisse des Kapitels 5.1.1 Einfluss der Klarlackschicht lassen sich wie folgt zusammenfassen: • Der Aushärtegrad der Klarlackschicht korreliert indirekt mit der Haftung von PUR-Klebstoffen. • Weitere Hinweise für einen diffusionsbasierenden Haftmechanismus unter Ausbildung kovalenter Bindungen werden gefunden. • Die Ausbildung einer größeren Grenzphase Klarlack/Klebstoff, sowie„unverbrauchte“ Hydroxygruppen des Stammlacks fördern die Klebstoff/Klarlack-Adhäsion. Ein geringerer Aushärtegrad bietet dem Klebstoff somit mehr Interaktionsmöglichkeiten. Genauere Untersuchungen hierzu werden in Kapitel 5.2 diskutiert. 5.1.2 Suchstrategie: Externe Einflussfaktoren Während im vorausgehenden Abschnitt die isolierte Klarlackschicht untersucht wurde, dienen die folgenden Versuche der Detektion weiterer Einflussfaktoren auf die beobachteten Adhäsionsphänomene. Das strategische Vorgehen soll die haftungsbestimmenden Parameter bzw. Lackbestandteile in Multischicht-Lackaufbauten eingrenzen. 5.1.2.1 Der Lackaufbau Auch der Lackaufbau hat sich als vermeintliche Einflussgröße auf die Adhäsionseigenschaften der Klarlackschicht dargestellt(vgl. Tabelle 5.1). Wird ein identischer Klarlack im integrierten und konventionellen Lackierprozess eingesetzt, können Unterschiede der Haftung beobachtet werden. Im beschriebenen Fall weisen die Klebstoffe nur auf Proben des integrierten Prozesses keine Haftung auf. 56 5. und Diskussion Um einen Einfluss des Lackaufbaus zu untersuchen, wurden die jeweiligen Füller- und Basislackmaterialien in einem Kreuzversuch prozessfremd eingesetzt; im Anschluss die Haftung auf Klarlack mittels Raupenschältest geprüft. Als Ergebnis kehrt sich die Haftung durch den Austausch der Füller- und Basislackmaterialien um: Nun zeigen Proben des konventionellen Lackierprozesses geringere Haftfestigkeiten. KP-BC/ CC-Aufbauten führen hingegen auch mit Einbrennparametern des integrierten Prozesses zu hohen Haftfestigkeiten. Dem Lackierprozess bzw. den jeweiligen Ablüft- und Einbrennzeiten der einzelnen Lackschichten wird eine untergeordnete Rolle auf die Klebstoffhaftung zugeschrieben. 5.1.2.2 Selektion der haftungsbestimmenden Lackschichten Welche Materialien des 4-schichtigen Lacksystems(KTL/Füller/BC/CC) Einfluss auf die Haftung bzw. die Klarlackoberfläche nehmen, zeigt die Klarlackapplikation auf die jeweiligen Zwischenschichten. Den Versuchsaufbau stellt Abbildung 5.8 dar. Als Referenz wurde der Klarlack auf eine Glasplatte appliziert. Die weiteren Proben wachsen wie folgt um jeweils eine Zwischenschicht: • KTL/CC: Der Klarlack wurde direkt auf einem KTL-Blech ausgehärtet. • KTL/Füller/CC: Der Klarlack wurde auf die Füllerschicht appliziert(ohne Basislack). • KTL/Füller/BC/CC: Vollständiger Multischicht-Lackaufbau. Für die Füller- und Basislackschicht kamen Materialien des integrierten und konventionellen Lackierprozesses zum Einsatz. Beurteilt wurde die Haftung ausgewählter PUR-Klebstoffe auf den Klarlackoberflächen. Das Ergebnis ist ebenfalls in Abbildung 5.8 dargestellt und wird hier zusammengefasst: • Keine Haftung zum Klarlack wird auf den Substraten Glas und KTL erreicht. • Keine Haftung wird auf dem Klarlack in Kombination mit Füllermaterialien festgestellt. • Keine Haftung zum Klarlack zeigt sich nach dem Einsatz von Basislacken des integrierten Prozesses(IP-BC/CC). • Gute Haftung wird ausschließlich erreicht, nachdem ein Basislack des konventionellen Lackierprozesses den Untergrund der Klarlackschicht bildet(KP-BC/CC). Basislacke des integrierten Prozesses(IP-BC) führen zu keiner Verbesserung der Haftung. 5.1 Adhäsionsphänomene auf Klarlackoberflächen 57 Abbildung 5.8: Schematische Darstellung des Versuchsaufbaus. Die Einbrennbedingungen der Lackschichten sind angegeben. Unterschiede der Lackierprozesse sind rot (IP) bzw. grün(KP) gekennzeichnet. Die Ergebnisse der Raupenschälprüfungen dienen der Auswahl der Lackschichten, welche Einfluss auf die Klarlack/ Klebstoff­-Grenzfläche nehmen. Um die haftungsfördernde Wirkung des Basislackmaterials KP-BC zu bestätigen, werden wiederum Mischaufbauten angefertigt. Der Basislack IP-BC wird im integrierten Applikationsprozess durch KP-BC ersetzt und umgekehrt. Ausschließlich der Einsatz des Basislacks KP-BC führt zu hohen Haftfestigkeiten der PUR-Klebstoffe auf Klarlack CC1. Die Mischaufbauten veranschaulichen zum einen den haftungsfördernden Effekt des KP-BC und zeigen nochmals auf, dass die darunterliegenden Schichten(KTL, Füller) keinen signifikanten Einfluss auf die Haftung der PUR-Klebstoffe nehmen. 5.1.2.3 Wirksame Bestandteile der Basislackschicht Die Migration von Lackadditiven führt häufig zur Enthaftung. Dies wurde durch XPS-Messungen und Kontaktwinkelmessungen ausgeschlossen(vgl. Kapitelanfang 5.1). Die untersuchten Lackaufbauten zeigen keine derartigen Oberflächenanreicherungen. Gegen eine Separation von Lackadditiven als Grund der Enthaftung sprechen zudem Reinigungsversuche mit anschließenden Haftunter­suchungen. Die Haftfestigkeit wird durch die Oberflächenreinigung nicht gesteigert, sodass die Haftung anderweitig beeinflusst wird. 58 5. und Diskussion Als Hauptbestandteile eines Basislacks zählen Bindemittel, Pigmente sowie Lösungsmittel. Der Vergleich zwischen IP-BC und dem haftungsfördernden KP-BC soll Hinweise über die wirksamen Bestandteile liefern. Die Bindemittel der Basislacke wurden FT-IR-spektroskopisch analysiert(vgl. Abbildung 5.9). Gemäß dieser Analyse ist die chemische Bindemittelbasis der betrachteten IP-BC und KP-BC vergleichbar. Sie setzt sich in beiden Basislacken aus Polyesterharz, Aminoharzen(Melamin), Poly­ urethan und Acrylatharz zusammen. Effekte auf die Klebstoffhaftung durch die Basislackbindemittel werden aufgrund der Gleichartigkeit nicht weiter untersucht. Abbildung 5.9: FT-IR-Spektren der Basislack-Bindemittel. Die Proben KP-BC und IP-BC ­(Farbton­­schwarz) wurden in THF homogenisiert. Der Feststoffanteil wurde durch Zentrifugation entfernt; das Lösungsmittel der überstehenden Lösung abgedampft. Der organische Rückstand wurde analysiert. Die Interaktion zwischen Pigment und den Klarlackharzen als Ursache der Haftunterschiede wurde auch untersucht. Die Wahl der Pigmente kann den Härtungsprozess beeinflussen. Dies zeigte Perera anhand pigmentierter Decklacksysteme sowie Pulverbeschichtungen. Die Aushärtung wurde durch bestimmte Pigmente vollständig unterbunden[126]. Auszuschließen ist der Pigmenteinfluss jedoch für die untersuchten Multischicht-Systeme. Unabhängig von der Pigmentierung führt der Einsatz von IP-BC zu geringen Haftfestigkeiten auf Klarlack CC1; das jeweilige KP-BC Pendant führt zu höchsten Haftfestigkeiten. Die Effekte der eingesetzten Lösungsmittel wurden in einem weiteren Schritt untersucht. Lösungsmittel der Basislackschicht wurden vor der Klarlackapplikation entfernt. Damit ist eine spätere Diffusion in die Klarlackschicht ausgeschlossen. Das Trocknen der KTL/Füller/BC Aufbauten(ohne Klarlack) bei 150°C für 60 Minuten sollte Diffusionsvorgänge mobiler Bestandteile zwischen der Basislack- und Klarlackschicht verhindern. Die Klarlackaushärtung erfolgte im Anschluss ebenfalls bei 150°C. Dieses Vorgehen führt zum Verlust der haftungsfördernden Wirkung des KP-BC. Die Haftfestigkeiten der PUR-Klebstoffe auf den Klarlackoberflächen sinken. Es werden nun keine Unterschiede der 5.1 Adhäsionsphänomene auf Klarlackoberflächen 59 Klebstoffhaftung zwischen KP- und IP-Aufbauten festgestellt. Es werden ausschließlich Haftnoten im Bereich 1–2 gemessen. Flüchtige Bestandteile der Basislackschicht(z. B. Lösungsmittel) werden als haftungsbestimmender Einflussfaktor angesehen. Es müssen wesentliche Unterschiede dieser Bestandteile zwischen KP-BC und IP-BC vorliegen. 5.1.3 Basislackabhängige Klarlackeigenschaften Basislackabhängige Hafteigenschaften werden seit der Umstellung auf Multischicht-Lacksysteme festgestellt. Besonders deutlich ist die Bedeutung der unteren Lackschichten mit der Einführung neuer, integrierter Lackierprozesse(„nass-in-nass Lackierung“) aufgefallen. Bestehende Klarlacksysteme werden auf neue Basislackgenerationen appliziert. Das Ablüften der Füller(ersatz)- und Basislackschicht kann zuvor energieeffizient in einem Schritt erfolgen. Die Variation der unteren Lackschichten und die Anpassung derer Verarbeitungsparameter führten zu drastischen Unterschieden der Klebstoffhaftung obwohl der abschließende Klarlackauftrag und-einbrand stets identisch erfolgt. Modifizierte Basislacke wurden mit der Umstellung auf integrierte Lackierprozesse eingeführt. Abbildung 5.10 zeigt die Verschiebung der Lösungsmittelkomposition exemplarisch für Basislacke eines integrierten(IP-BC) sowie konventionellen(KP-BC) Lackierprozesses. Auffällig ist die Substitution hochsiedender Lösungsmittel(KP-BC) durch niedrig- oder mittelsiedende Alternativen(IP-BC). Hierdurch wird auch in Vernetzungsreaktionen des Klarlacks eingegriffen. Dies wird im Folgenden nachgewiesen und erläutert. Abbildung 5.10: GC-MS-Chromatogramme der Basislackbindemittel IP-BC(rot) und KP-BC (grün). 5.1.3.1 Gehinderte Klarlackvernetzung Klarlack-Basislack-Interaktionen verursachen das Phänomen der basislackabhängigen Haftung auf Klarlackoberflächen – der Aushärtegrad der Klarlackschicht wird beeinflusst. Diffusionsprozesse(auch zwischen verschiedenen Lackschichten) spielen eine wichtige Rolle beim Einbrennvorgang des Lacksystems[24, 123, 127–130]. Bestandteile des Harzes und des Vernetzungsmittels aus dem Klarlack diffundieren in den Basislack und umgekehrt. Als eine mögliche Folge entstehen über die Schichtdicke Gradienten bestimmter Eigenschaften, wie bspw. der Vernetzungsdichte oder Lösungsmittelkonzentration. Bemerkbar ist 60 5. und Diskussion dies durch einen sehr breiten Glasübergangsbereich der Klarlackschicht, welcher in den durchgeführten DSC-Messungen festgestellt wird. Die Reaktivität und die Konzentration der funktionellen Gruppen des Gesamtsystems bestimmen die Kinetik der Netzwerkbildung. Bekannt beim Filmbildungsprozess ist darüber hinaus ein Übergang zu einer Kinetik, in welcher die Segmentmobilität die Netzwerkbildung steuert. Darüber hinaus können Additive mit geringem Molekulargewicht zwischen dem Klarlack und der Basislackschicht wandern – z. B. UV-Absorber oder Radikalfänger. Diese Vorgänge beeinflussen zum einen die Alterungsbeständigkeit der Decklackschicht, aber auch die mechanischen, adhäsiven sowie die optischen Eigenschaften der Lackoberfläche werden verändert. Grundlegende Untersuchungen und Modelle zur basislackabhängigen Eigenschaftsbildung der Klarlackschicht fehlen jedoch noch. Die durchgeführten Versuche geben einen Einblick und eine Datengrundlage für vorhandene lackschichtübergreifende Abhängigkeiten. 5.1.3.2 Störung der Klarlackvernetzung durch Glykolether Im folgenden Abschnitt werden die Besonderheiten der Netzwerkbildung in Abhängigkeit funktioneller Co-Lösungsmittel beschrieben. Klassifiziert werden die Lösungsmittel nach dem jeweiligen Siedebereich: Niedrigsieder(< 100 °C), Mittelsieder(100–150°C), Hochsieder(> 150°C). Die Verdunstungszahl eines Lösungsmittels ermöglicht Aussagen zur Flüchtigkeit und Verdunstungszeit. Sie wird relativ zu Butylacetat(Verdunstungszahl= 1) angegeben. Die Klassifizierung nach schwerflüchtig(< 0,8), mittelflüchtig(0,8-3,0) und leichtflüchtig(> 3,0) spiegelt unterschiedliche Verdunstungszeiten wider. Zu den Hauptaufgaben der Co-Lösungsmittel gehört die Einstellung der Verlaufseigenschaften der Lackschicht. Mit leichtflüchtigen Lösungsmitteln niederer Verdunstungszahlen wird eine schnelle Antrocknung umgesetzt. Mittel- und schwerflüchtige Lösungsmittel sorgen für ein„Offenhalten“ der Schicht und erleichtern das Entweichen von Reaktionsprodukten[131–133]. Exemplarisch werden für die folgenden Versuche zwei Glykolether als Co-Lösungsmittel ausgewählt. Nach Abbildung 5.10 sind diese für Basislacke des integrierten bzw. konventionellen Lackierprozesses typisch. Der in Basislack IP-BC eingesetzte 1-Propoxy-2-propanol(PnP) ist als Mittelsieder insbesondere für integrierte Lackierverfahren interessant. Eine schnelle Ablüftzeit und schnelles Antrocknen des Basislacks wird ermöglicht. PnP regelt die Verdunstungszeit der Lacke. Der Hochsieder Butyldiglykol (BDG) ist einer der Co-Solventien des Basislacks KP-BC. Dieser ist weitverbreitet im Einsatz und übernimmt wegen seiner sehr geringen Flüchtigkeit zusätzlich die Funktion eines Verlaufsmittels. Die Eigenschaften der beiden Glykolether sind in Tabelle 5.3 zusammengefasst. 5.1 Adhäsionsphänomene auf Klarlackoberflächen Strukturformel 1-Propoxy-2-propanol Butyldiglykol 61 Siedepunkt[°C] Dampfdruck[mbar] Verdunstungszahl ( n-Butylacetat= 1,0) Allgemeine Eigenschaften Verwendet in BC-Typ 138 750(bei 140°C) 0,21 + hohe Flüchtigkeit + kurze Ablüftzeiten IP-BC 231 82(bei 150°C) <0,01 + geringe Flüchtigkeit + Verlaufsmittel KP-BC Tabelle 5.3: Physikalische Daten der eingesetzten Glykolether[134]. Beide Glykolether werden zunächst in verschiedenen Konzentrationen direkt in das Klarlackmaterial hinzudosiert. Da ein Eingriff der Basislackschicht simuliert werden soll, wurde das Stammlack/Härter-Verhältnis konstant gehalten: Dem Klarlackhärter werden zusätzliche OH-Gruppen für Reaktionen angeboten. Nebenreaktionen und Einflüsse durch andere Basislackbestandteile sind durch dieses Vorgehen ausgeschlossen. Probe 5 Gew% PnP 10 Gew% PnP 15 Gew% PnP 20 Gew% PnP 5 Gew% BDG 10 Gew% BDG 15 Gew% BDG 20 Gew% BDG Referenz Oberflächeneigenschaften und Zugfestigkeit Martenshärte [N/mm 2 ] T g (DMA) [°C] Isocyanat Konz. [Peakhöhe: 2262 cm –1 /1720 cm -1 ] Zugfestigkeit (freier Lackfilm) [N/mm²] 129,3 ± 0,6 99 0,12 53,6 ± 3,4 129,2 ± 1,2 97 0,12 52,7 ± 1,5 131,1 ± 0,5 99 0,16 50,7 ± 0,6 130,3 ± 0,5 102 0,14 48,6 ± 1,3 128,6 ± 0,5 94 0,10 41,5 ± 2,5 125,5 ± 0,9 87 0,07 39,1 ± 1,9 124,0 ± 0,9 87 0,07 38,3 ± 2,1 118,1 ± 0,8 83 0,04 36,8 ± 2,6 148,0 ± 0,5 104 0,13 68,3 ± 1,8 Tabelle 5.4: Übersicht der durchgeführten lacktechnologischen Untersuchungen. Die Referenzp­ robe enthält keine Zusätze. Die Klarlackhärtung erfolgte jeweils bei 150 °C für 30 Minuten. Enthält die Basislackschicht BDG, so nimmt BDG Einfluss auf die Eigenschaften der Klarlackschicht. Die Härte, die T g und die Rest-Isocyanatkonzentration sinken im Vergleich zur Referenzprobe 62 5. und Diskussion (Tabelle 5.4). Im Gegensatz dazu führt der Zusatz von Glykolethern mit sekundären OH-Gruppen (PnP) kaum zu Veränderungen. Die oberflächennahen, freien Isocyanatgruppen sowie die T g bleiben nahezu konstant. Diese Eigenschaften der Klarlackschicht als Funktion der zugegebenen Glykol­ ethermenge sind in Abbildung 5.11 dargestellt. Die Kurven der FT-IR- bzw. DMA-Messungen zeigt Abbildung 5.12. Abbildung 5.11: Abhängigkeit der T g und der Restkonzentration an freiem NCO von Art und Konzentration der eingesetzten Glykolether. Die Zugfestigkeitswerte werden auf identische Weise beeinflusst: Bereits die Zugabe von 5 Gew% BDG führt zu deutlich geringeren Zugfestigkeiten des ausgehärteten Beschichtungsfilms als die gleiche Menge PnP(41,5 N/mm 2 bzw. 53,6 N/mm 2 ). Die höchste Zugfestigkeit erreicht die Referenzprobe (68,3 N/mm 2 ). Dies spiegelt die Wechselwirkung zwischen Klarlack und Glykolethermolekülen bzw. die damit verbundene Eigenschaftsänderung wider. 5.1 Adhäsionsphänomene auf Klarlackoberflächen A 63 B Abbildung 5.12: A: Einfluss ausgewählter Glykolether auf die Rest-Isocyanatkonzentration der Klarlackschicht CC1(vergrößert: Isocyanat-Bande)./ B: DMA-Kurven freier Klarlackfilme nach PnP bzw. BDG Zugabe. 5.1.3.3 Schichtübergreifende BC-/CC-Wechselwirkung Durch die Variation des Co-Lösungsmittels im Wasserbasislack werden die Verarbeitungs- und Materialeigenschaften des Gesamt-Lacksystems verändert. In Modellversuchen werden Basislacke durch die Einführung verschiedener Glykoletherverbindungen mit unterschiedlicher Reaktivität und Siedetemperatur gelenkt. Dies zeigt den direkten Zusammenhang mit den jeweiligen Klarlackeigenschaften auf. Der zuvor beschriebene Prozess ist übertragbar(vgl. Kapitel 5.1.3.2). Ähnliche Ergebnisse werden gefunden, wenn sich lediglich die Basislackzusammensetzung ändert. In Anlehnung an das vorausgegangene Experiment unterscheiden sich diese Basislacke durch die Lösungsmittelkomposition, d. h. die Substitution der Glykolether. In dieser Basislack-Musterrezeptur entspricht der Anteil des Glykoletherzusatzes 7 Gew%. Da einige Komponenten der Modellrezeptur nur in bestimmten Lösungsmitteln vordispergiert vorlagen und weiterverarbeitet werden konnten, enthalten beide Modell-Basislacke einen gewissen Anteil an identischen Hydroxy-funktionellen Solventien­.­­ Die weiteren Bestandteile sind in Tabelle 5.5 aufgelistet. 64 5. und Diskussion Bezeichnung/ Abkürzung Harz Glykoletheranteil[Gew-%] Anteil weitere Lösungsmittel [Gew-%] Festkörperanteil[Gew-%] PnP-Basislack Dispersion PnP-BC Melaminformaldehyd/ Polyester/ PUR 7 5 22 Tabelle 5.5: Spezifikationen der Basislack-Muster. BDG-Basislack Dispersion BDG-BC Melaminformaldehyd/ Polyester/ PUR 7 5 22 Ein identischer Klarlack(CC1) wurde auf den unterschiedlichen Modell-Basislacken ausgehärtet. Die Bestimmung der Glasübergangstemperatur mittels DSC erfolgte an Proben der Klarlackschicht. Diese wurden durch Mikrotomschnitte vom Basislack getrennt und separiert analysiert. Wie in Tabelle 5.6 zu sehen ist, verursacht die Anwendung verschiedener Basislacktypen einen Unterschied in den thermischen und mechanischen Klarlackeigenschaften. Die Ergebnisse sind vergleichbar mit den Erfahrungen aus Kapitel 5.1.3.2„Störung der Klarlackvernetzung durch Glykolether“. PnP-BC/CC zeigt eine höhere T g (um 8°C) und eine höhere Härte(um ca. 8 N/mm 2 ) als die BDG-BC/CC-Probe. Des Weiteren werden die höchsten Werte der T g und der Härte bei der Referenzprobe(KTL/CC) gemessen. Dieser Wert zeigt einen idealen bzw. ungehinderten Vernetzungsprozess des Klarlacks an und wird im Folgenden als Referenz des maximal erreichbaren Vernetzungsgrades angesehen. Probe Referenz (KTL/CC) PnP-BC/CC (black) BDG-BC/CC (black) Martens Härte [N/mm 2 ] 148,0 ± 0,5 131,7 ± 0,3 123,4 ± 0,8 Oberflächeneigenschaften und Zugfestigkeit T g (DSC) [°C] Chemikalienbeständigkeit* Isocyanat Konzentration [Bandenhöhe] Zugfestigkeit [N/mm²] 107 – 0,13 68,3 ± 1,8 94 74 0,080 45,0 ± 2,2 86 63 0,031 30,4 ± 2,6 Log Ionenviskosität** [Ohm·cm] 10,4 10,1 9,7 * Zerstörung mit H 2 SO 4 ** nach 22 Minuten Aushärtung bei 150°C Tabelle 5.6: Auswirkung verschiedener Basislacktypen auf diverse Klarlackeigenschaften. Ein schichtübergreifender Prozess für die Basislack-abhängige Ausbildung der Klarlackeigenschaften ist in Abbildung 5.13 dargestellt. 5.1 Adhäsionsphänomene auf Klarlackoberflächen 65 PnP-BC beeinflusst die Vernetzungsreaktion der Klarlackschicht kaum. Der Hauptanteil des PnPZusat­zes(Siedetemperatur 138°C) verflüchtigt sich während der Klarlackaushärtung bei 150 °C. Zusätzlich weist PnP sekundäre Hydroxygruppen auf. Diese reagieren langsamer mit Vernetzermolekülen als primäre Hydroxygruppen des Acrylat-Harzes oder BDG. Die Klarlackvernetzung des PnP-BC/CC-Systems erreicht höhere Vernetzungsdichten. Ist BDG(Siedetemperatur 231°C) im Basislack enthalten, verbleibt dieses auch nach Aushärtung im Beschichtungssystem. Die primären Hydroxygruppen des BDG und des Acrylat-Harzes konkurrieren bei der Reaktion mit Vernetzermolekülen. Effektiv stehen somit weniger Vernetzermoleküle dem Acrylat-Harz zur Verfügung. Die Beteiligung von BDG an der Klarlack-Vernetzungsreaktion führt zu einer geringeren Vernetzungsdichte. T g und Härte der Klarlackschicht nehmen ab(Tabelle 5.6). Die Beteiligung der Glykolether an der Klarlackvernetzung führt zu einer geringeren Vernetzungsdichte. Da diese monofunktionell sind wird eine Weiterreaktion verhindert. Dies zeigen die tenden­ ziell schlechteren lacktechnologischen Messergebnisse sowie die geringere Ionenviskosität. Abbildung 5.13: Einfluss der im Basislack enthaltenen Co-Lösungsmittel BDG bzw. PnP auf die Vernetzung der Klarlackschicht. Des Weiteren wurden für die Bestimmung der Zugfestigkeit freie Filme des 2-Schicht-Aufbaus BC/ CC hergestellt. Für die Bestimmung der Zugfestigkeit und der T g wird auf eine Separation der Klarlackschicht verzichtet, da sich Bindemittel und Feststoffbestandteile dieser Basislacke nicht unterscheiden. Vergleichende Untersuchungen dieser freien Filme des T g mittels DMA unterstreichen die Messergebnisse der vorigen DSC-Messung. Der Einsatz von BDG im Basislack führt zu einer Ver- 66 5. und Diskussion schiebung der Glasübergangstemperatur des 2-Schichtaufbaus um 5°C. Die mittels DMA bestimmten Glasübergangstemperaturen ergeben 69°C für die PnP-BC/CC bzw. 64°C für die BDG-BC/CC-Probe (vgl. Abbildung 5.14A). Gleiche Tendenz zeigt die Zugfestigkeitsbestimmung und der Vergleich der Spannungs-Dehnungs-Diagramme in Abbildung 5.14B. Es ergeben sich mittlere Festigkeiten von 45,0 ± 2,2 N/mm 2 und 30,4 ± 2,6 N/mm 2 der PnP-BC/CC bzw. BDG-BC/CC-Variante. A B Abbildung 5.14: A: DMA-Kurven der Komplettlackaufbauten mit Modell-Basislacken(freier Lackfilm BC/CC)./ B: Spannungs-Dehnungs-Diagramme freier Lackfilme. Als Referenz dient der freie Klarlackfilm ohne Basislack. Diese Ergebnisse bestätigen, dass für die Haftung auf Klarlackoberflächen deren Aushärtegrad entscheidend ist. Dies deckt sich mit den Ergebnissen der isolierten Klarlackschicht(vgl. Kapitel 5.1.1). Der Einsatz des Co-Lösungsmittels PnP führt zu einem hohen Aushärtegrad der Klarlackschicht. Die Diffusion der Klebstoffmoleküle in die Klarlackmatrix wird erschwert. Gleichzeitig verbleiben durch eine ungestörte Klarlackvernetzung verhältnismäßig weniger Hydroxygruppen des Stammlacks für vorstellbare Folgereaktionen mit Klebstoffen. Dies provoziert die schlechten Haftfestigkeiten auf PnP-BC/CC-Proben. Abbildung 5.15 demonstriert den Einfluss der im Basislack enthaltenen Co-Lösungsmittel. Die Zugabe von BDG in einen PnP-BC Basislack führt zu Nebenreaktionen während der Klarlackvernetzung. Der verringerte Aushärtegrad verbessert in diesem Fall die Haftung der Klebstoffe auf der Klarlackoberfläche. Genauere Untersuchungen hierzu folgen in Kapitel 5.2. 5.1 Adhäsionsphänomene auf Klarlackoberflächen 67 Abbildung 5.15: Einfluss von BDG auf die Haftfähigkeit der Klarlackoberfläche. Exemplarisch sind die Ergebnisse des Raupenschältest der 1K-PUR-Klebstoffe PU2 und PU3 dargestellt. 5.1.3.4 Alternative Co-Lösungsmittel: Vernetzungskontrolle Um die Auswirkungen weiterer Glykoletherverbindungen auf die Eigenschaftsausbildung ableiten zu können, werden weitere Glykolether getestet. Erneut führen lediglich Co-Lösungsmittel mit primären Hydroxygruppen zu veränderten Klarlackeigenschaften. Neben der Reaktivität der Hydroxygruppen wirken sich die Parameter„Siedebereich/Dampfdruck“ und„mono-/di-Funktionalität“ auf die finalen Lackeigenschaften aus. Darunter auch die Haftung zwischen Klarlackoberfläche und PUR-Klebstoffen. In den vorausgegangenen Versuchen wurde festgestellt, dass sich PnP nicht an der Klarlackvernetzung beteiligt. Dies ergeben zwei Eigenschaften von PnP: Eine geringe Siedetemperatur(unterhalb der Klarlack-Einbrenntemperatur) sowie die geringe Reaktivität(sekundäre Hydroxygruppen). BDG hingegen zeigt signifikanten Einfluss auf die Klarlackeigenschaften. Dies wird der hohen Siedetemperatur und der Konkurrenzreaktion zum OH-Acrylatharz des Klarlacks(primäre Hydroxygruppen) zugeschrieben. Diese Mechanismen sind übertragbar. Um dies darzustellen, wurden im Folgenden Glykoletherverbindungen gewählt, welche ein möglichst breites Eigenschaftsspektrum abdecken(vgl. Tabelle 5.7). Die Glykolether wurden vor der Härterzugabe in den Klarlack-Stammlack hinzudosiert. Das Stammlack/Härter-Verhältnis wurde stets konstant gehalten um den Basislackeinfluss zu simulieren. Der Einfluss niedrigsiedender Glykolether mit sekundären bzw. primären Hydroxygruppen wurde verglichen(Methoxypropanol bzw. Ethylenglykolmonopropylether). Die Auswirkungen eines Hochsieders mit sekundären Hydroxygruppen(Dipropylenglykol- n-butylether) wurden den Ergebnissen von BDG gegenübergestellt. Zusätzlich wurde das difunktionelle Ethylenglykol getestet. 68 5. und Diskussion Sekundäre-OH Methoxypropanol Dipropylenglykol- n-butylether (DPnB) Primäre-OH Ethylenglykol-monopropylether Ethylenglykol Struktur­ formel Siedepunkt [°C] 120 Dampfdruck [mbar] 13,3(20°C) Verdunstungszahl ( n-Butylacetat = 1,0) 0,7 Einfluss auf die Klarlackeigenschaften – kein Eingriff in CC-Vernetzung 230 0,08(20°C) 0,01 – verbleibt im System kein Einfluss auf T g 150 1,7(20°C) 0,2 – hohe Flüchtigkeit – geht kaum Reaktionen mit Lackharz ein – kein Einfluss auf T g 197 0,053(20°C) 0,004 – Difunktionell – verbleibt im Lacksystem – reduziert T g Tabelle 5.7: Physikalische Eigenschaften der untersuchten Glykolether[135–137]. Die Wahl der Glykoletherverbindung verändert den Ablauf der Klarlackvernetzung. Der Vernetzungsgrad ist durch die Auswahl der Verbindung steuerbar. Werden Glykolether mit primären Hydroxygruppen eingesetzt, zeigt sich deren Siedebereich als ausschlaggebender Faktor. Ist dieser nahe der Einbrenntemperatur des Klarlacksystems(z. B. Ethyl­ englykolmonopropylether: 150°C), so minimiert sich der Eingriff in die Klarlackvernetzung. Anhand der T g bzw. der Rest-Isocyanatkonzentration lassen sich keine Wechselwirkungen feststellen. Im Vergleich zur Referenzprobe(0 % Zusatz) führt die Zugabe von Ethylenglykolmonopropylether zu ähnlichen oder leicht erhöhten T g -Werten(vgl. Abbildung 5.16A). Durch den Aggregatzustandswechsel (verdampfen) wird Ethylenglykolmonopropylether verstärkt durch die Klarlackschicht diffundieren. Dies führt zur lokalen Viskositätserniedrigung der Klarlackschicht und begünstigt das Fortschreiten der Vernetzungsreaktionen. Beim Einsatz difunktioneller Glykolether(Ethylenglykol) verläuft die Abnahme der T g mit zunehmender Konzentration ähnlich der hochsiedenden, monofunktionellen Verbindung(BDG). Trotz der möglichen Quervernetzung stehen dem Acrylat-Harz weniger Vernetzermoleküle zur Verfügung. Interessanterweise zeigt der Einsatz der difunktionellen Verbindung ebenso einen positiven Effekt auf die Klebstoffhaftung. Unabhängig vom jeweiligen Siedebereich des Lösungsmittels gehen Glykolether mit sekundären Hydroxygruppen kaum Reaktionen mit dem Klarlack-Vernetzer ein. Der Hochsieder DPnB verbleibt während bzw. nach der Lackaushärtung in der Klarlackschicht. Die Messungen der Rest-Isocyanat- 5.1 Adhäsionsphänomene auf Klarlackoberflächen 69 konzentration und der T g zeigen jedoch eindeutig, dass dieser auch bei höheren Konzentrationen (20 Gew%) keine Reaktionen mit dem Klarlack-Vernetzer eingeht. T g und die Restkonzentration an freiem Isocyanat bleiben konstant(vgl. Abbildung 5.16A). Allgemein ist eine direkte Korrelation der Klebstoffhaftung mit dem Vernetzungsgrad der Klarlackschicht zu beobachten(vgl. Kapitel 5.1.1). Teilweise beeinträchtigen die eingesetzten Glykolether die optischen Klarlackeigenschaften. Für diese Grundlagenversuche und die Haftungsprüfungen wurde hierfür keine Bewertung vorgen­ ommen. A B Referenz Methoxypropanol 20% DPnB 20% Ethylenglykolmono- Ethylenglykol 20% (30 Min, 140° C)(30 Min, 140° C) (30 Min, 140° C) propyleter 20% (30 Min, 140° C) (30 Min, 140° C) Klebstoff/ Haftnote PU1 1 PU2 1 PU3 2 Klebstoff/ Haftnote PU1 1 PU2 1 PU3 1 Klebstoff/ Haftnote PU1 1 PU2 1 PU3 4 Klebstoff/ Haftnote PU1 1 PU2 1 PU3 4 Klebstoff/ Haftnote PU1 3 PU2 5 PU3 5 Abbildung 5.16: A: Einfluss ausgewählter Glykolether auf die Rest-Isocyanatkonzentration bzw. T g der Klarlackschicht. Die Klarlackhärtung erfolgte jeweils bei 140°C für 30 Minuten./ B: Einfluss verschiedener Glykolether auf die Haftungseigenschaften der Klarlackoberfläche. Mit der durchgeführten Versuchsreihe sind Prognosen möglich. Hydroxyfunktionelle Bestandteile werden anhand des Siedebereichs und der Art der funktionellen Gruppe bewertet – als Verursacher einer Konkurrenzreaktion der Stammlack-Härter-Vernetzung. Anschließend ist eine Einstufung der Vernetzungsstörung nach Tabelle 5.7 möglich. Ethylenglykol-mono- n-hexylether( n-Hexylglykol) dient als Fallbeispiel: Die Siedetemperatur (210 °C) sowie die Molekülstruktur mit primären OH-Gruppen ermöglichen den Verbleib im ausgehärteten Lacksystem. Während der Aushärtung kommt es zur Ausbildung kovalenter Bindungen mit Isocyanatvernetzern. n-Hexylglykol verringert somit den Aushärtegrad der Klarlackschicht. Kontrollmessungen belegen dies: Die Zugabe von 5 Gew% n-Hexylglykol in den Stammlack, führt nach Vernetzung zu einer Abnahme des T g um 5°C. Die Konzentration an verbleibendem Isocyanat sinkt um 30 %. 70 5. und Diskussion 5.1.4 Untersuchungen zur Netzwerkbildung 5.1.4.1 FT-IR Analyse FT-IR-Messungen wurden durchgeführt, um eine kovalente Bindung zwischen den Glykolether- und Härtermolekülen zu verifizieren. Treten Nebenreaktionen des Härters auf(z. B. durch hydroxyfunktionelle Lösungsmittel), sinkt die Restkonzentration an freiem Isocyanat. Für die Verfolgung der Härtungsreaktionen wurde daher die charakteristische, antisymmetrische Valenzschwingung der Isocyanatbande ausgewählt. Die Intensität der Isocyanatbande ist ein Maß für den verbleibenden, unvernetzten Härter. Hat die Bande keinerlei Intensität, wird die Vernetzungsreaktion als vollständig abgeschlossen angesehen. Jedoch sind meist auch in vollständig vernetzten Klarlackproben noch Restanteile des Härters zu detektieren[138]. Bei der Vernetzung werden durch die Reaktion zwischen Polyol und Isocyanat, neben den Isocyanatgruppen auch die Hydroxygruppen des Polyols„verbraucht“(vgl. Polyurethanreaktion, Abbildung 5.17A). Im FT-IR-Spektrum ist die für Hydroxyverbindungen charakteristische Valenzschwingung(3650–3000 cm –1 ) aber nicht eindeutig zu identifizieren. Überlagert wird diese Bande von der anwachsenden NH-Valenzschwingung(3500–3300 cm –1 ) der Polyurethangruppe. Ein klarer Peak ist für die Hydroxygruppe nicht zu detektieren. Die Isocyanatbande hingegen ermöglicht eindeutige sowie quantitative Aussagen. Diese wurde daher für die Auswertung herangezogen. Die Abnahme der Isocyanatbande bei 2262 cm –1 hat nach Abbildung 5.17A eine Zunahme der Carbonylbande bei 1720 cm –1 zur Folge. Die Carbonylgruppe ist Teil der entstandenen Urethangruppe. Alle Angaben der Isocyanat-Bandenhöhe wurden relativ zur Höhe der Carbonylbande angegeben, d. h. durch diese dividiert. Äußere Einflüsse der Messmethode werden somit ausgeschlossen – z. B. der Anpressdruck der Proben. Im Folgenden werden drei Proben verglichen. Der identische Klarlack wurde auf den zwei unterschiedlichen Basislacken BDG-BC und PnP-BC ausgehärtet. Als Referenz wurde ein KTL-Blech mit diesem Klarlack beschichtet. Ein Eingriff unterer Lackschichten auf die Klarlackaushärtung wird für die Referenz-Probe ausgeschlossen. FT-IR-Messungen eines identischen Klarlacks(CC1) auf verschiedenen Basislacken signalisieren einen Unterschied im Umsatz der Vernetzungsreaktion. Auffällig ist die Schwankung der Bandenintensität bei einer Wellenzahl von 2262 cm –1 , welche die Isocyanatgruppe beschreibt. Damit lässt sich ein unterschiedlicher Aushärtegrad der Klarlackschicht ableiten. Wie das FT-IR-Spektrum(vgl. Abbildung 5.17A) offenlegt, zeigt das basislackfreie Referenzsystem den höchsten Rest-Isocyanatgehalt, während die beiden 2-Schicht-Aufbauten BC/CC reduzierte Isocyanatkonzentrationen aufweisen. Die Isocyanatkonzentration in der BDG-BC/CC-Probe liegt um ca. 40 % unterhalb der gemessenen Konzentration im PnP-BC/CC-Aufbau. 5.1 Adhäsionsphänomene auf Klarlackoberflächen A 2262 cm -1 Isocyanat Alkohol 1720 cm -1 Urethan 71 B Abbildung 5.17: A: Messung der Isocyanat-Konzentration im 2K-Klarlack nach der Härtung bei 150°C mit ATR-FT-IR-Spektroskopie; Detailausschnitt: Isocyanatbande (2262 cm –1 )./ B: Vergleich der Rest-Isocyanatkonzentration des Klarlacks auf BDG-BC(grüne Linien) bzw. PnP-BC(rote Linien). Parallel zur Abnahme der Isocyanatbande bleiben die Extinktionen der Carbonylbanden bei 1682 cm –1 und 1720 cm –1 konstant. Damit resultiert die Abnahme der Isocyanatbande nicht alleine durch die Reaktion zwischen Klarlack-Stammlack mit Vernetzer. Diese ist vielmehr das Ergebnis einer Nebenreaktion – die Hauptreaktion(Polyurethanreaktion) hätte anwachsende Carbonylbanden zur Folge. Die in Tabelle 5.6 zusammengefassten lacktechnischen Untersuchungen korrelieren ebenfalls mit dem Vernetzungsgrad, decken sich aber nur indirekt mit der gemessenen Rest-Isocyanatkonzentration. Eine geringe Rest-Isocyanatkonzentration(welche einen höheren Reaktionsumsatz suggeriert) entspricht demnach bei den untersuchten Gesamtaufbauten nicht einem hohen Vernetzungsgrad bzw. einer höheren Härte oder Chemikalienbeständigkeit. 72 5. und Diskussion Die Beteiligung von Basislackbestandteilen an der Härtungsreaktion wird hiermit bestätigt. In den FT-IR-Spektren zeigen dies sinkende Rest-Isocyanatkonzentrationen an(vgl. Tabelle 5.4 und Tabelle 5.6). Ursache hierfür sind Reaktionen zwischen Glykolether mit dem isocyanathaltigen Klarlackvernetzer. Die Vernetzungsreaktion des 2K-Klarlacks zwischen Isocyanatvernetzer und Acrylat-Polyol verläuft langsamer als die Reaktion zwischen Isocyanatvernetzer und Glykolethern(mit primären Hydroxygruppen). Dies wird durch zwei Mechanismen hervorgerufen: Zum einen weisen die Glykolether ein deutlich geringeres Molekulargewicht auf als das Acrylat-Polyol. Die Glykolether sind somit während der Aushärtung mobiler und deren OH-Gruppen verfügbarer für den NCO-Vernetzer. Das höhere Molekulargewicht des OH-Acrylats führt zu einer niedrigeren Kettenbeweglichkeit. Dies bedeutet einen sterischen Vorteil für die Glykolether bzw. eine sterische Hinderung für die Klarlack„eigenen“ Hydroxygruppen bei der Aushärtung. Zweitens reduzieren die niedermolekularen Glykolether die Viskosität der Klarlackschicht. Weitere Bindungen mit niedermolekularen OH-funktionellen Basislackbestandteilen werden daher ermöglicht, trotz fortgeschrittener Aushärtung. Die erhöhte Kettenmobilität der Acrylat- und Vernetzer-Ketten(durch die Viskositätserniedrigung) macht diese reaktionsfreudiger. Diese Ergebnisse weisen ebenfalls auf eine höhere Konzentration verbleibender Hydroxygruppen des OH-Acrylats hin(durch den BDG-initiierten Kettenabbruch). Das wirkt sich positiv auf die Decklackhaftung der PUR-Klebstoffe aus(vgl. Kapitel 5.3.2). Die Pigmentierung der Basislacke PnP-BC und BDG-BC wurde im nächsten Schritt variiert, um den spezifischen Einfluss der Glykoletherverbindungen zu validieren. Abbildung 5.17B fasst diese Ergebnisse zusammen. Der vorgeschlagene schichtübergreifende Mechanismus der Aushärtung wird farbtonübergreifend(schwarz, weiß, silber) wiedergefunden. Weiterhin zeigt der Klarlack auf allen geprüften Basislacken des PnP-Typs eine höhere Rest-Isocyanatkonzentration als der jeweilige Farbton der BDG-Basislacke. Dieser Prozess findet weiterhin unabhängig vom gewählten Klarlackmaterial statt. Zur Bestätigung wurden die Versuche mit zwei weiteren Klarlacken(CC2 und CC4) durch­geführt. Die FT-IR-Spektren werden in Abbildung 5.18 dargestellt. Die Auswertung bestätigt das festgestellte Muster und ergibt die gleiche Tendenz der Basislack-abhängigen Rest-Isocyanatkonzentration bzw. Eigenschaftsbildung des Klarlacks. 5.1 Adhäsionsphänomene auf Klarlackoberflächen 73 Abbildung 5.18: Vergleich weiterer 2K-Klarlacke nach der Härtung bei 150°C mit ATR-FT-IR-Spektroskopie; links: alternativer Klarlack CC2, rechts: alternativer Klarlack CC4. Monofunktionelle Glykolether des Basislacks werden über eine Einfachbindung in das Klarlacknetzwerk integriert und bilden sogenannte„dangling chains“(DCs) aus. Ähnlich einer Seitenkette sind DCs einseitig eingebunden. Die Reaktion mit monofunktionellen Molekülen verhindert die weitere Kettenverlängerung[38, 139]. Der DC-Anteil im Netzwerk kann nicht direkt bestimmt werden, er korreliert aber mit den dynamisch-mechanischen Eigenschaften. Im Wesentlichen führt der Einbau von DCs zu einem geringeren Vernetzungsgrad. Obwohl sie als Defekt der Netzwerkstruktur bezeichnet werden, verbessern DCs bestimmte Eigenschaften; z. B. wird die Rückstellkraft des Netzwerks erhöht[140–142]. Dies verleiht dem Lacksystem selbstheilende Eigenschaften. 5.1.4.2 Bestimmung der thermischen und mechanischen Eigenschaften(Anteil an Dangling Chains) Die Ergebnisse der dielektrischen Analyse(DEA) belegen den schichtübergreifenden Mechanismus in praxisnahen Versuchsaufbauten. Für die Proben KTL/CC und BDG-BC/CC zeigt Abbildung 5.19 typische Kurven für die Härtung eines 2K-Klarlacks. Die Ionenviskosität steigt zunächst stark an. Mit fortschreitender Vernetzung nimmt diese Steigung ab, bis eine annähernd gleichbleibende Ionenviskosität erreicht wird. Typisch für die Aushärtung von Lackfilmen ist der Übergang des Systems in den glasartigen Zustand. Wird dieser Zustand erreicht, ist die weitere Vernetzung durch Translationsbewegungen der Härter- und Harzmoleküle stark eingeschränkt. Nur noch die Segmentbeweglichkeit kann reaktive Gruppen zusammenführen und weitere Reaktionen ermöglichen. Die Geschwindigkeitskonstante und die Reaktionsgeschwindigkeit nehmen ab diesem Zeitpunkt stark ab, bis die Reaktion zwischen Klarlackharz und-härter zum Stillstand kommt. Zu diesem Zeitpunkt haben noch nicht alle funktionellen Gruppen des Klarlacks reagiert. Der Verlauf der DEA-Messkurve von Probe PnP-BC/CC weicht hiervon anfänglich ab. Nachdem die Proben im Ofen platziert wurden(0 Min), kommt es im Fall der PnP-BC/CC-Probe zunächst zu einem 74 5. und Diskussion Abfall der Ionenviskosität. Mit steigender Temperatur beginnt PnP zu verdampfen und durchdringt die Klarlackschicht. Die Viskosität der Klarlackschicht nimmt beim Aushärten mit einem solchen Basislacktyp ab, bis ihre Viskosität als Folge der weiteren Trocknung/Vernetzung stark ansteigt. Gesteuert werden die(schichtübergreifenden) Diffusionsvorgänge durch die Diffusionskoeffizienten der einzelnen Moleküle bzw. die Vernetzungsdichte des sich bildenden Netzwerks. Diese Parameter bestimmen schließlich die Reaktionskinetik und finale Struktur des Netzwerks[143]. Auch die zwei Mechanismen, welche die Integration von BDG bzw. die Schaffung von DCs unterstützen, sind online mittels DEA wiederzufinden. Im Vergleich zur Referenzprobe KTL/CC verringert sich die Steigung der Ionenviskositätskurve durch das Eingreifen von PnP oder BDG in die Klarlack-Härtung. Dies wird besonders deutlich zwischen Minute 5–10. Hier ist zu erwarten, dass die Aktivierungstemperatur der Vernetzungsreaktion erreicht ist. Einerseits macht das geringere Molekulargewicht der Glykolether diese beweglicher und verfüg­ barer als das Polyol-Acryllackharz. Insbesondere nachdem die Mobilität des Klarlack-Harzes durch den Viskositätsanstieg eingeschränkt wird. Die Umsetzung des Härters mit dem Acryl-Polyol(Harz) ist daher als schwieriger anzusehen als die Reaktion mit OH-funktionellen Glykolethern. Andererseits führt die Integration der niedermolekularen Bestandteile in das Klarlacknetzwerk zu einer gewissen Viskositätserniedrigung. Die endgültige Höhe der Ionenviskosität wird somit verringert, d. h. BDG-BC/CC weist die geringste Ionenviskosität nach dem Härtungsprozess auf. Dies verbessert wiederum die Mobilität der Polymerketten. Die Reaktionsfähigkeit mit zusätzlichen Glykolether-Molekülen wird über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten und durch den anhaltenden Temperatureintrag gefördert. Klebstoff/ Haftnote PU2 1 PU3 1 PU2 1 PU3 2 PU2 5 PU3 5 KTL/CC PnP-BC/CC BDG-BC/CC Abbildung 5.19: DEA-Messkurven(Frequenz 1 Hz) mit 115 µm-Kammsensoren für die Härtun­g­ des 2K-Klarlacks CC1. Die Ofentemperatur betrug 150°C. Die Einbrenn­ bedingungen der gezeigten Proben des Raupenschältest entsprechen 150°C, 30 Minuten. Die Beteiligung der Glykoletheranteile aus dem jeweiligen Basislack PnP-BC bzw. BDG-BC stellt Abbildung 5.20 schematisch dar. Hinsichtlich der Klebstoffhaftung auf der Klarlackoberfläche ist ein klarer Zusammenhang mit der Vernetzungsdichte des Klarlacks zu erkennen. Die schlechten Haft- 5.2 Beitrag zur Adhäsionsdebatte: Haftmechanismen auf lackierten Oberflächen 75 festigkeiten beim Einsatz des Basislacks PnP-BC verursachen die erschwerte Diffusion der Klebstoff­ moleküle in die Klarlackmatrix(da ein höherer Vernetzungsgrad vorliegt). Genauere Untersuchungen hierzu folgen in Kapitel 5.2.1. Abbildung 5.20: Postulierter Mechanismus des Basislackeinflusses auf die Eigenschaftsaus­bildung der Klarlackschicht. 5.2 Beitrag zur Adhäsionsdebatte: Haftmechanismen auf lackierten Oberflächen 5.2.1 Diffusionsprozesse und kovalente Anbindung Die Hauptaufgabe der Beschichtung liegt darin, eine perfekte Barrierewirkung gegenüber äußeren Einflüssen aufzuweisen. Hingegen muss der Klebstoff für die Entwicklung einer Haftung zur Lackschicht eine gewisse Permeabilität/Diffusion zu dieser erreichen, um Interaktionen zu ermöglichen. Die Ausbildung einer Grenzphase Klarlack/Klebstoff wurde untersucht. Für den Nachweis einer diffusionsgesteuerten und-basierenden Haftung wurde ein Versuchsmodell entworfen. Mögliche Reaktionspartner eines 1K-PUR-Klebstoffs, welche auf einer Lackoberfläche vorliegen können, werden vor dem Klebstoffauftrag abgesättigt und damit blockiert. Alkoholgruppen binden innerhalb weniger Sekunden mit Essigsäureanhydrid[144]. Primäre Amingruppen binden ebenfalls mit Essig­ säureanhydrid[89, 145]. Die jeweiligen Reaktionsgleichungen und der Versuchsaufbau werden in Abbildung 5.22 dargestellt. Abhängig von der Derivatisierungsdauer werden unterschiedliche Schichttiefen erreicht und reaktive OH-/NH x -Gruppen durch Acetylgruppen geblockt. Die Derivatisierungsdauer entspricht der Zeit, in welcher die Lackschichten in der Gasphase verbleiben. Die erreichten Schichttiefen wurden durch Tiefenprofilmessungen mittels XPS belegt. Wegen der besseren Nachweisbarkeit wurde für diesen 76 5. und Diskussion Nachweis TFAA anstelle des Essigsäureanhydrids eingesetzt. Bei einer 10-minütigen Derivatisierung mit TFAA erreicht der Fluor-Wert nach 15 nm einen konstanten Wert< 0,5 At%. Wird die Derivatisierungsdauer auf 12 Stunden erhöht, so erfolgt eine Unterschreitung der Konzentrationsgrenze erst nach 35 nm(vgl. Abbildung 5.21). Die Oberflächenstruktur der Lackfilme blieb bei den gewählten Reaktionsbedingungen unverändert. Dies wurde mit AFM-Messungen kontrolliert. AB C Abbildung 5.21: XPS-Tiefenprofilmessungen nach 10 minütiger TFAA-Derivatisierung(A); nach 12 stündiger TFAA-Derivatisierung(B) sowie Detailansicht der Fluorkonzentration­(C). Das Ergebnis der Haftungsprüfung ist in Abbildung 5.22 dargestellt. Erst ab einer 12-stündigen Derivatisierung verwandelt sich eine ursprünglich„haftungsfreundliche“ Klarlackoberfläche in eine„haftungsunfreundliche“ Oberfläche. Die geprüften PUR-Klebstoffe bauen keine Haftung mehr auf, nachdem die oberflächennahen Hydroxygruppen auf der Lackoberfläche blockiert wurden. Der Klebstoff muss in der Lage sein bis mindestens 15 nm in das Lackmaterial zu diffundieren. Dies signalisieren die festgestellten hohen Haftfestigkeiten nach 10-minütiger Derivatisierung: Haftnote 5, kohäsiver Bruch. Auf Basis der zuvor vorgestellten Ergebnisse werden kovalente Bindungen als wahrscheinlich eingestuft. Gleichzeitig zeigt der Versuch die Existenz einer Grenzphase auf. Alle gemessenen Haftergebnisse dieser Arbeit unterstützen diese Theorie. Ein höherer Vernetzungsgrad der Lackschicht erschwert Diffusionsvorgänge zwischen Klebstoff und Lack. Die Ausbildung der Grenzphase Klarlack/Klebstoff wird im Fall der Enthaftung verhindert. Gleichermaßen sinken die Wechselwirkungsmöglichkeiten bzw. Wechselwirkungsvorgänge zwischen den beiden Schichten[146]. Die Ergebnisse der DEA weisen ebenfalls auf diesen Effekt hin(vgl. 5.1.4.2). Eine höhere Ionenviskosität entspricht besseren Barriereeigenschaften der Klarlackschicht. In Anlehnung an das XPS-Experiment wird die Grenzphase solch hochvernetzter Systeme in einer Größenordnung< 35 nm erwartet. Die spektroskopische oder optische Detektion dieser Grenzphase ist aufgrund der sehr ähnlichen Materialzusammensetzungen(Klebstoff und Lack je auf PUR-Basis) nicht gelungen. Die Permeabilität und Barriereeigenschaften von Beschichtungen sind prinzipiell gegensätzliche Vorgänge, werden jedoch durch die gleichen Parameter bestimmt. Generell ist die Permeabilität für 5.2 Beitrag zur Adhäsionsdebatte: Haftmechanismen auf lackierten Oberflächen 77 eine eindringende Substanz in das Polymer von vielen Faktoren abhängig: von der„Natur“ des Polymers, der Schichtdicke der Beschichtung, der Größe und Form von der eindringenden Substanz, dem Druck, der Temperatur und vielem mehr. Die Abhängigkeit der Permeabilität in Bezug auf den Diffusions- und Löslichkeits-Koeffizienten variiert mit der Natur der eindringenden Substanz und der des Polymers. Aufgrund dieser Tatsache muss die Permeation auf die strukturellen Eigenschaften des Polymers zurückzuführen sein. Diese sind die Glasübergangstemperatur, die Polarität, die Sättigung, die Symmetrie, vorhandene Seitenketten, sterische Behinderung, der Vernetzungsgrad, Wasserstoffbrückenbindungen, die Kristallinität oder die Orientierung[147]. A B Abbildung 5.22: A: Versuchsschema: Bei einer haftungsfreundlichen Probe(Referenz) werden für 10 Minuten, 3 Stunden sowie 12 Stunden in einer Gasphasenreaktion mit Essigsäureanhydrid die OH- und NH-Gruppen blockiert und anschließend eine Klebstoffraupe(PU2) aufgetragen./ B: Ergebnis der Raupenschälprüfung. Gleichzeitig wird der Stellenwert einer kovalenten Wechselwirkung zwischen Klarlacksubstrat und Klebstoff demonstriert. In Folgeversuchen sollte durch die gezielte Blockierung von Carbonylgruppen(mit Pentafluorphenylhydrazin) das intermolekulare Wechselwirken, z. B. über Wasserstoff­ brückenbindungen, verhindert werden. Analog des zuvor beschriebenen Versuchsaufbaus wurden die Carbonylgruppen in Abhängigkeit der Derivatisierungsdauer bis in unterschiedliche Schichttiefen blockiert. Die gemessenen Haftergebnisse bleiben unverändert gut(vgl. Abbildung 5.23). Der Haftaufbau wurde nicht gestört. Der Beitrag an physikalischen Wechselwirkungen zur Haftung zwischen Klebstoff und Klarlackoberfläche wird anhand dieser Ergebnisse als untergeordnet eingestuft. 78 5.ErgebnisseundDiskussion A B Abbildung 5.23: A: Bei einer haftungsfreundlichen Probe(KTL/CC4, Referenz) wurden für 10 Minuten, 3 Stunden und 12 Stunden oberflächennahe Carbonylgruppen blockiert. Dies erfolgte durch Gasphasenreaktion mit Pentafluorphenylhydrazin. Anschließend wurde je eine Klebstoffraupe(PU2) aufgetragen./ B: Ergebnis der Raupenschälprüfung. 5.3 Vorhersage der Haftung In einem weiteren Schritt wurden verschiedene Methoden zur Vorhersage der Haftung auf Lacksubstraten überprüft. Die Umsetzung einer risikofreien Klebung auf Decklack ist aufgrund der vorgestellten Basislackabhängigkeiten bereits mit hohem Absicherungsaufwand verbunden. Häufig sind bauteilspezifisch verschiedene Klebstofftypen im Einsatz(Klebstoffe mit unterschiedlichen Festigkeitsklassen und Elastizitätsmodule; z. B. für die Einglasung, das Dachmodul, Antennenhauben oder Ersatzradmulden). Die Prüfung der Haftung unter Berücksichtigung aller Klebstoffe sowie Basislacke erfordert unüberschaubare Prüfprogramme. Ein schnelles, unkompliziertes Screening der aktuellen bzw. zukünftigen Klarlacke kann diesen Prüfaufwand minimieren und ist somit von bedeutendem Interesse. Neben dieser farbtonunabhängigen Risikobewertung der Decklackhaftung werden oberflächenanalytische Methoden zur Bewertung der Haftfähigkeit einer Oberfläche geprüft. Basierend auf den vorgestellten Ergebnissen sind für den Aufbau einer Haftung zwischen Klebstoff und Lackschicht im Wesentlichen zwei Mechanismen zu beachten. In Kapitel 3.2.1 konnte eine Korrelation der Haftung mit den Restfunktionalitäten(OH/NCO) beobachtet werden. Daher soll die Vorhersage der Haftung über die Markierung funktioneller Gruppen auf der Lackoberfläche erprobt werden. Wie zuvor liegt der Fokus hierbei auf OH- und NH x -Gruppen. Diese sind wahrscheinlich in 5.3 Vorhersage der Haftung 79 der Lage mit reaktiven PUR-Klebstoffen kovalente Bindungen einzugehen und sind in Summe durch die Derivatisierung mit Trifluoressigsäureanhydrid(TFAA) quantitativ nachweisbar. Die Rasterkraftmikroskopie(AFM) bietet die Möglichkeit neben der Topographie, weitere Informationen bezüglich der adhäsiven Oberflächeneigenschaften zu liefern. Es wurden ebenso Versuche durchgeführt, die eine Korrelation dieser AFM-Messwerte und den Haftwerten der Klebstoffe auf den Lacksubstraten überprüfen sollen. 5.3.1 Farbtonunabhängige Risikobewertung: KTL/CC-Prüfmethode Die Klebstoffhaftung auf Lack wird unter worst-case-Bedingungen geprüft, d. h. die größtmögliche Vernetzung der Klarlackschicht im Serienprozess muss simuliert werden. Dies erfolgt mittels Einbrand unter maximal möglicher Temperatur- und Zeitbelastung sowie durch die direkte Applikation des Klarlacks auf ein KTL-Blech(KTL/CC). Der Test erfolgt unter der erfahrungsbasierten Annahme, dass ein Basislack lediglich zur geringeren Aushärtung des Klarlacks führt. Da der Fokus der Arbeit auf mobilen Basislackbestandteilen(Glykolether) liegt, demonstrierte der Klarlackauftrag auf eine„überbrannte“ Basislackoberfläche die Dimension dieser Einflussgröße. Mittels„überbrennen“(150°C, 60 Min) der Basislackschichten IP-BC, sowie KP-BC(verschiedener Farbtöne) und anschließender Klarlackapplikation, wurden Wechselwirkungen zwischen mobilen Basislackbestandteilen und dem Klarlack während dessen Aushärtung ausgeschlossen. Die Ergebnisse der Haftprüfungen auf diesen Klarlackoberflächen zeigten sich im Anschluss einheitlich adhäsiv (Haftnote 1). Gleichzeitig bestätigten lacktechnologische Prüfungen(Härte, T g ) der Klarlackschicht die Annäherung des Aushärtegrads an die worst-case-Probe KTL/CC. Somit konnten keine weiteren Einflussfaktoren der Basislackschicht(z. B. Pigmentierung) für eine abnehmende Klarlackaushärtung festgestellt werden. Wie Abbildung 5.24 zeigt, werden durch das Auftragen des Klarlacks auf eine möglichst inerte Oberfläche Konkurrenzreaktionen der Klarlack-Härtermoleküle mit mobilen Bestandteilen der Basislackschicht ausgeschlossen. Die KTL-Oberfläche eignet sich für diesen Test hervorragend als Substrat. Die Haftung zwischen Klarlack- und KTL-Oberfläche ist ausreichend gut um die Klebstoffhaftung mittels Raupenschältest anschließend zu prüfen. 80 5. und Diskussion Abbildung 5.24: Abhängigkeit des Aushärtegrads der Klarlackschicht von der BC/CC-Wechselwirkun­g­ Der Vergleich mit vollständigen Lackaufbauten zeigt, dass unter identischen Einbrennbedingungen die Probe KTL/CC die maximal erreichbare Glasübergangstemperatur bzw. Härte aufweist(107°C bzw. 148,0 N/mm 2 , vgl. Tabelle 5.6). Das Ergebnis der Haftprüfung auf KTL/CC-Proben kann wie folgt interpretiert werden: a) Beim Erzielen optimaler Haftwerte ist die Klarlackoberfläche über den gesamten Farbfächer klebfähig. Die geprüfte Klarlackoberfläche entspricht dem worst-case-Zustand. b) Weist die worst-case-Probe mangelhafte Haftwerte auf, ist weiterhin der komplette Farbfächer zu prüfen. Eine Verbesserung der Haftergebnisse durch den Basislack ist möglich(siehe KP-BC). Schwankungen der erzielbaren Haftung innerhalb des Farbfächers sind zu erwarten. Anhang 9.2 zeigt anhand von zwei unterschiedlichen Serienlacksystemen die durchgeführten Haftprüfungen der kompletten Farbtonfächer. Es handelt sich um integrierte sowie konventionelle Lackierprozesse und Klarlacke verschiedener Hersteller. Abhängig vom angewandten Lackierprozess zeigt Klarlack CC1 im Komplettaufbau gleichbleibend schlechte oder deutlich verbesserte Haftnoten – im Vergleich zur worst-case-Probe(Abbildung 9.1). Zeigt die worst-case-Probe bereits optimale Haftnoten weisen die Komplettaufbauten unabhängig vom Lackierprozess ebenfalls optimale Haftergebnisse auf(z. B. Klarlack CC3; Abbildung 9.2). 5.3 Vorhersage der Haftung 81 Somit ermöglicht die Prüfung der worst-case-Probe KTL/CC eine schnelle Identifizierung haftungskritischer Klarlacke. 5.3.2 Markierung oberflächennaher Reaktionspartner Naturgemäß wird beim Kleben mit reaktiven 1K-PUR-Klebstoffen eine Korrelation der Haftung mit den oberflächennahen Restfunktionalitäten(-OH/-NCO) des Lacks vermutet. Dies ist auf die Isocyanat-basierende Aushärtung dieser Klebstoffklasse zurückzuführen. Bei der Klebstoff-Herstellung werden bereits Verbindungen mit Urethanbindungen erzeugt, die aufgrund des stöchiometrischen Überschusses an Isocyanat weiterhin reaktive Isocyanatpolyurethane besitzen. Nach der Klebstoff­ applikation ist demnach die Reaktion zwischen Isocyanatgruppen und Alkoholgruppen der Lackoberfläche vorstellbar. Dieser Hypothese folgend soll die Vorhersage der Haftung über die Markierung funktioneller Gruppen auf der Lackoberfläche erprobt werden. Die Markierung funktioneller Gruppen mittels TFAA ermöglicht durch die anschließende XPS-Messung eine Quantifizierung von oberflächennahen OH- und NH x -Gruppen[89–91]. Eine genauere Bestimmung ermöglicht die separate, zusätzliche Bestimmung mit dem für Aminogruppen spezifischen Reagenz Pentafluorbenzaldehyd. Auf das selektive Markieren vorhandener NH 2 -Gruppen wurde verzichtet. Versuche mit Penta­ fluorbenzaldeyhd haben gezeigt, dass die Konzentration an oberflächennahen NH 2 -Gruppen vernachlässigbar gering ist(< 0,1 At%). Da zudem für isocyanathaltige Klebstoffe Hydroxy-, wie auch Amingruppen als Reaktionspartner in Frage kommen wurde auf die weitere Auftrennung verzichtet. Für die Eignungsprüfung dieser Methode wurde die OH-Gruppendichte der analysierten Klarlackoberflächen variiert. Dies wurde durch angepasste Einbrenntemperaturen realisiert. Ein mela­ minfreie­s­Klarlacksystem(CC4) wurde gewählt. Eine erhöhte Hydroxygruppendichte durch unvollständigen Reaktionsumsatz wird nach der Klarlack-Aushärtung bei 130°C für 30 Minuten erwartet. Werden die Herstellerempfehlungen eingehalten (140°C/ 30 Min) ist die zu erwartende Konzentration an Restfunktionalitäten bereits äußert gering. Bei dieser Temperatur und dem vorgeschriebenen Härter-Stammlack-Verhältnis wird ein vollständiger Reaktionsumsatz angestrebt. Um eine möglichst inerte Oberfläche zu erzielen, wurde eine weitere Probe bei 150°C für 30 Minuten ausgehärtet. Diese drei Proben wurden parallel hinsichtlich ihrer oberflächennahen Hydroxygruppenkonzentration und Klebfähigkeit untersucht. Dass tatsächlich eine Korrelation dieser Werte gegeben ist, spiegelt Abbildung 5.25 wider. Erst ab einem Wert von 0,5 At% Hydroxygruppen findet ein Haftaufbau des geprüften Klebstoffs PU2 statt. OH/NH x -Konzentration [At%] 82 5. und Diskussion 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0 130°C/30 Min 140°C/30 Min 150°C/30 Min Verarbeitungsbedingungen(Klarlack) Abbildung 5.25: OH-Gruppenkonzentration der Klarlack-Oberfläche CC4 in Abhängigkeit der Einbrenntemperatur sowie der Vergleich mit den Haftwerten. Zur Bestätigung der vorgestellten Ergebnisse wurden in einem weiteren Schritt drei verschiedene Serien-­Lacksysteme(CC1/CC2/CC3) analysiert. Verschiedene Klarlacke, welche sich erfahrungsgemäß enorm unterschiedlich bezüglich der erzielbaren Klebstoffhaftung zeigten, wurden gewählt. Zudem wurden zwei verschiedene Einbrennbedingungen geprüft: Idealeinbrand und Überbrand. Die Ergebnisse der XPS-Messungen sowie Haftungsprüfungen sind in Abbildung 5.26 zusammengefasst. Für alle geprüften 1K-PUR-Klebstoffe zeigt sich ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der Haftung und der Dichte an oberflächennahen OH/NH x -Gruppen. Der Übergang von guten Haftwerten zu einem Haftversagen ist lackunabhängig bei einer OH/NH x -Konzentration kleiner als 0,5 At% zu erwarten. 5.3 Vorhersage der Haftung 83 OH/NH x Konzentration [At%] PU1 PU2 PU3 PU1 PU2 PU3 PU1 PU2 PU3 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0 CC 1 Idealeinbrand(30', 140°C) CC 2 CC 3 Einbrand an Prozessobergrenze(60', 150°C) Abbildung 5.26: Oberflächennaher OH-/NH x -Anteil(gemessen mittels XPS) und die Haftuntersuchung auf den Klarlackoberflächen CC1, CC2 und CC3. Die 1K-PUR-Klebstoffe PU1-PU3 werden exemplarisch dargestellt. Die Ergebnisse sind auf weitere 1K-PUR-Klebstoffe übertragbar. 5.3.2.1 Auswertung mittels FT-IR-Spektroskopie Die Bestimmung der oberflächennahen OH-Gruppen-Konzentration ist ebenfalls mittels FT-IR-Spektroskopie möglich. Der Derivatisierungsprozess mit TFAA wird analog der zuvor beschriebenen XPS-Methode durchgeführt. Bei der anschließenden Auswertung mittels FT-IR-Spektroskopie ist die(wellenlängenabhängige) Eindringtiefe zu beachten. Diese liegt beim eingesetzten Germanium ATR-Kristall und der auszuwertenden Wellenlänge von 1785 cm –1 bei ca. 0,4 µm[148]. Die Auswertung des Mischspektrums(Oberfläche/Bulk) ist dank der klaren –C=O Schwingung(1785 cm –1 ) des gebundenen TFAA problemlos möglich. Das Versuchsmodell sieht in Anlehnung an den zuvor durchgeführten Test Proben eines Klarlacksystems(CC1) vor. Die Hydroxygruppendichte wurde über die Einbrenntemperatur im Bereich von 130–150°C variiert. Abbildung 5.27 vergleicht die analysierten Klarlackoberflächen. Die abnehmende Hydroxygruppendichte mit zunehmender Einbrenntemperatur und Vernetzung wird auch hier detektiert. Die Reaktion zwischen TFAA und Hydroxygruppen der Lackoberfläche erzeugt eine zusätzliche Bande im FT-IR-Spektrum. Bei der Auswertung wird die Größe dieser Bande (–C=O, 1785 cm –1 ) miteinander verglichen. Hierzu kann die Bandenhöhe oder Bandenfläche herangezogen werden. In beiden Fällen wurde eine Abnahme der Hydroxygruppenkonzentration von ca. 20 % beobachtet. Diese Methode eignet sich für schnell durchführbare Referenz- und Vergleichsmessungen eines Substrats. Beim Auftreten von Haftdefekten können diese hiermit durch einen abweichenden Ober­ flächenzustand(Vernetzungsgrad und Hydroxygruppenkonzentration) begründet bzw. ausgeschlos- 84 5.ErgebnisseundDiskussion sen werden. Ebenso werden haftungskritische Klarlacksysteme schnell und einfach erkannt. Ist die Konzentration an gebundenem TFAA gering, deutet dies auf eine geringe OH-Gruppenkonzentration hin. Parallel stellt dies auch ein Zeichen für einen sehr hohen Vernetzungsgrad dar. Die TFAA-Diffusion in die Klarlackschicht wird im Fall einer geringen Bandengröße(bei 1785 cm –1 ) effektiv verhindert. Referenz(kein TFAA) 130° C,30Min Reaktionsschema KTL/CC Höhe 1,3 150° C,30Min Fläche 30,3 KTL/CC Höhe 1,6 130° C,30Min Fläche 38,7 --C=O 1785 cm -1 --C=O (gebundenes TFAA) 3500 3000 2500 2000 1500 Wellenzahlen[cm -1 ] 1000 Abbildung 5.27: FT-IR-Spektren derivatisierter Klarlackoberflächen(CC1). Über die gelb markierte Bande(1785 cm –1 ) ist die relative Auswertung oberflächennaher Hydroxygruppen möglich. 5.3.3 AFM-HarmoniX Messungen In diesem Abschnitt wird die Fähigkeit des AFM-Modus HarmoniX geprüft. Die Erstellung quantitativer Oberflächenabbildungen zur Adhäsion stand im Fokus. Analog zum vorausgegangenen Experiment wurden drei verschiedene Lacksysteme(CC1, CC2, CC3) untersucht. Diese lassen sich erfahrungsgemäß bezüglich der erreichbaren Haftung von 1K-PUR-Klebstoffen deutlich differenzieren. Die in Abbildung 5.28 zusammengefassten Ergebnisse zeigen, dass die gemessenen AFM Adhäsionskräfte qualitativ mit den makroskopischen Hafttestergebnissen der ausgewählten Lackschichten korrelieren. Die durchgeführten Messungen zeigten für Werte unter 10 Arb adhäsive Bruchbilder. Betrugen die Adhäsionswerte mehr als 25 Arb wurden ausschließlich kohäsive Bruchbilder der Klebstoffe festgestellt. Eine Prognose der zu erwartenden Adhäsion der jeweiligen Probe ist mit dem dimensionslosen Ergebnis[Arb] möglich. Die Technik liefert somit nützliche Informationen über die Hafteigenschaften von beschichteten Oberflächen. Haftungskritische Klarlackoberflächen werden mit dieser Methode effektiv und zuverlässig erkannt. 5.3 VorhersagederHaftung KKKKKK K lllaalla K l l aaar a rrlrrlrl r aallal l aaac a r cccc l ck c kk a kkk k ck HHHHHH H H ööööööh ö h ö hhhhe h h eeeeenn e e nnnnb n n bbbbbi b b iilliilidd i l i ldl l dd l d d d AAA A AAAd A dd d dddhh d h h hhhää h ä ä ääässs ä s sssiii s i ooiioi o oo i onn o n n nnn n 85 AAA A AAdd A d d ddhhh d h hhäää h ä äässs ä s sssiii s i ooiioi o ooo i nnn o n nnn n „„„ „ „„m„mm „ m mmm m aaa a aaakkk a k kkkrrr k orr r ooo r oosss o ssskkk s k kkkooo k oooppp o p pppiii p s i sisii s sss i ccc s c ccchhh h c hhh“““ h “ “““ “ CCCCC C CCCCC C 11111 1 CC 1 WWWWWWW W eeeeeererr e trrtrtr: r :tt:tt:: t ::111 : 111,1,, 1 66,6,,,666 , 6 6 AAAAAAArr A rbrrbrbr r bbbb b CCCCCCCCCCC C 22222 2 CC 2 WWWWWWW W eeeeeererr e trrtrtr: r :tt:tt:: t ::111 : 1113133 1 333,3,, 3 00,0,,,000 , 0 0 AAAAAAArr A rbrrbrbr r bbbb b CCCCCCCCCCCC333333 CC 3 WWWWWWW W eeeeeererr e trrtrtr: r :tt:tt:: t ::222 : 2228288 2 888,8,, 8 66,6,,,666 , 6 6 AAAAAAArr A rbrrbrbr r bbbb b Abbildung 5.28: Repräsentative Aufnahmen der Topographie(Höhenbild) und Adhäsion mittels AFM im HarmoniX-Modus. Der Klarlackeinbrand erfolgte jeweils bei 150°C für 60 Minuten. 5.3.4 Zerstörende Prüfmethoden: Einflussfaktoren und Interpretation Die Kombination zerstörungsfreier Prüfmethoden mit zerstörenden Prüfverfahren ermöglicht eine ganzheitliche Beschreibung eines Klebverbunds. Zerstörungsfreie Methoden beruhen auf akustischen, elektrischen, thermischen und strahlungsphysikalischen Verfahren. Sie ermöglichen eine schnelle Aussage zur prinzipiellen Klebfähigkeit einer Oberfläche. Wenn es um die Beurteilung von Verbundfestigkeiten geht ist die Leistungsgrenze jedoch 86 5. und Diskussion erreicht. Da nicht alle Haftmechanismen(Substrat- und Klebstoffabhängig) erfasst werden können, sind weitere Untersuchungen für die Zuordnung von Festigkeitskriterien notwendig. Unter praxisnahen Bedingungen werden bei den zerstörenden Prüfverfahren Klebverbindungen bis zum Bruch beansprucht. Neben der Aufzeichnung und Auswertung der dafür benötigten Kraft(Schälund/oder Zugdiagramme), ermöglicht die Betrachtung des Bruchbilds Aussagen über die Adhäsionseigenschaften des Fügeteils. Des Weiteren sind Alterungseffekte und Aussagen zur zeitabhängigen Beständigkeit der Klebung weiterhin nur mithilfe zerstörender Prüfverfahren zu analysieren[149]. 5.3.4.1 Rollenschälversuche Nach DIN EN 28510 wurde der Schälwiderstand in Form der Kraft pro Probenbreite(N/mm) ermittelt. Angegeben wird der mittlere Schälwiderstand von ca. 30 % bis 90 % der aufgenommenen Kraft-WegKurve. Die Versuche zeigen, dass bei der Prüfung von 1K-PUR-Klebstoffen(PU1, PU2 und PU3) auf Klarlackoberflächen drei Brucharten auftreten. Diese lassen sich auch anhand der Messwerte ablesen. Die Brucharten lauten: • Kohäsionsbruch(Messwert entspricht Materialkennwert des Klebstoffs), • Adhäsionsbruch(Messwerte schwanken zwischen 0–2 N/mm), • Lackdelamination(Messwert entspricht Materialkennwert des Lacksystems. Dieser wird im vorliegenden Fall durch die Probenherstellung und vorhandenen Schnittkanten begünstigt). Weitere Differenzierungsmöglichkeiten der Decklackhaftung in Abhängigkeit der eingesetzten Klebstoffe oder Klarlacksysteme konnte nicht beobachtet werden. Die detaillierten Auszüge der Versuchsergebnisse sind tabellarisch im Anhang 9.1 wiedergegeben(Tabelle 9.1). Zur Beurteilung der Decklackhaftung wird die Angabe des Anteils der kohäsiv im Klebstoff gebrochenen Fläche im Verhältnis zur gesamten geprüften Fläche empfohlen. Im Fall der reaktiven Klebstoffsysteme weist der optisch bestimmte Wert des kohäsiven Bruchanteils(Haftnote 1–5) den gleichen Informationsgehalt auf. Die Bruchbildbewertung ermöglicht eine umfassendere, aussagekräftigere Bewertung als die Angabe des mittleren Schälwiderstands. 5.3.4.2 Zugscherprüfung Der Zugscherversuch dient der Ermittlung der sogenannten Verbundfestigkeit. Diese entspricht der äußeren Kraft, welche auf eine definierte Oberfläche wirken muss, um den Materialverbund zu zerstören. Die Angabe der Zugscherfestigkeit hat im Bereich der Verbundfestigkeitsprüfung einen hohen Stellenwert erlangt. Im Folgenden wird aufgezeigt, welche Aussagen dieser Wert über die Decklackhaftung ermöglicht. „Haftungsfreundliche“ Proben(CC2, Haftnote 5 nach Raupenschältest) werden„haftungsunfreundlichen“ Proben(CC1, Haftnote 1-3 nach Raupenschältest) gegenübergestellt. Bewertet werden die Zugscherfestigkeiten und Bruchbilder des Klebstoffs PU8 auf den Klarlackoberflächen CC1 und CC2. Diese Ergebnisse werden mit den Ergebnissen der Raupenschälprüfung verglichen. Die Versuchsauswertung zeigt, dass der Einfluss der Lackoberfläche für die gemessene Zugscherfestigkeit gering ist. Lackoberflächen, welche sich nach der Raupenschälprüfung als haftungskritisch erwiesen, führen trotzdem zu hohen Zugscherfestigkeiten(z. B. CC1, Silber). Einflussfaktoren welche 5.3 Vorhersage der Haftung 87 die Decklackhaftung maßgeblich beeinflussen fallen im Zugscherversuch nur bedingt auf – z. B. der Lackeinbrand oder die Basislacke. Der mittels Raupenschältest bestimmte Anteil an adhäsivem Bruch spiegelt sich nicht wider(vgl. Abbildung 5.29). Eine Korrelation zwischen Bruchbildbewertung und Zugscherfestigkeit ist nicht möglich: Eine hohe Zugscherfestigkeit kann trotz adhäsivem Versagen auftreten. In Übereinstimmung mit den Erkenntnissen der Raupenschälversuche lassen sich nach Abbildung 5.29 die Ergebnisse des Zugscherversuches wie folgt zusammenfassen: • Der Klarlackeinbrand an der Prozessobergrenze führt bei Klarlack CC1 zu geringeren Zugscherfestigkeiten, • Unterschiedliche Zugscherfestigkeiten zwischen den Klarlacken CC1 und CC2 werden ermittelt, • Unterschiedliche Zugscherfestigkeiten in Abhängigkeit der eingesetzten Basislacke werden festgestellt, • CC1 zeigt sich besonders empfindlich auf die Einbrennbedingungen; CC2 hingegen ist robuster gegenüber Überbrand. Zur Untersuchung der Klarlack/Klebstoff-Grenzfläche und einer phänomenologischen Bewertung der Decklackhaftung liefern die Zugscherversuche kaum zusätzliche Informationen. Gilt die Fragestellung den molekularen Wechselwirkungen zwischen Klebstoff und Klarlack, wird die Kombination der Oberflächenanalytik mit der Bruchbildbewertung nach dem Raupenschältest empfohlen. 88 5. und Diskussion Abbildung 5.29: Vergleich der Zugscherfestigkeiten des Klebstoffs PU8 auf den Klarlack­ systemen CC1 und CC2(Integrierter Lackierprozess). Die Bruchbildbewertung erfolgt durch Angabe des adhäsiven Bruchanteils A. Bruchanteile in der Lackschicht­(Lackdelamination LD) bleiben unbewertet. Die mittels Raupenschältest ermittelten Haftnoten werden den Ergebnissen gegenübergestellt. 5.4 Strategien zur verbesserten Haftung auf Lack Als weiterer Punkt wurde im Rahmen dieser Arbeit die Verbesserung der Adhäsion durch intrinsische Modifikationen des Klebstoffs oder Oberflächenvorbehandlungen untersucht. Die betrachteten Möglichkeiten für das Erreichen einer verbesserten Decklackhaftung sind schematisch in Abbildung 5.30 wiedergegeben. Das Klarlacksystem CC1 ist als haftungskritisch einzustufen. Auf dieser hydrophoben Oberfläche zeigen aktuelle 1K-PUR-Scheibenklebstoffsysteme keine ausreichende Haftung. Für die folgenden Versuche dient es als Substrat. Im Hinblick auf weitere Entwicklungsstufen und Generationen der Klarlacke zeigten höchst hydrophobe easy-to-clean Klarlackoberflächen ähnlich kritische Haftergebnisse mit den aktuellen PUR-Klebstoffgenerationen. Des Weiteren bieten hier selbst lösungsmittelhaltige Haftvermittler keine Lösung, da keine ausreichende Benetzung auf diesen Oberflächen stattfindet. Neben der Prüfung alternativer Klebstoffklassen gilt das besondere Interesse zunächst der gezielten Klebstoffmodifikation. Das Ziel bestand darin einen 1K-PUR-Klebstoff durch chemische Modifikation 5.4 Strategien zur verbesserten Haftung auf Lack 89 mit einer hohen Bindungstendenz an lackierte Oberflächen zu formulieren. Geeignete Modellklebstoffe sollen zur Beantwortung dieser Fragestellung dienen und deren neue Eigenschaften anhand von praktischen Klebtests beurteilt werden. Darüber hinaus werden verschiedene Möglichkeiten der Oberflächenvorbehandlung zur Schaffung einer klebgerechten Oberfläche betrachtet. Abbildung 5.30: Übersicht der untersuchten Möglichkeiten zur Erreichung einer verbesserten Decklackhaftung. 5.4.1 Alternative Klebstoffklassen Im Gegensatz zu Isocyanat-basierenden PUR-Klebstoffen, ist die Klasse der silanmodifizierten Klebstoffe( silane modified polymers, SMP) unempfindlich gegenüber den Hydroxygruppen-haltigen Abspaltprodukten(Alkohole) der Klarlackschicht. Die Diffusion dieser Alkohole an die Grenzfläche Klarlack/Klebstoff wurde in Kapitel 5.1.1 beschrieben. Darüber hinaus spaltet in diesem Fall auch der Klebstoff beim Vernetzen Alkohole(z. B. Methanol) ab[53]. Abbildung 5.31A stellt diese Reaktion und den chemischen Aufbau von SMP-Klebstoffen dar. Die Polymerisation wird ebenfalls durch Luftfeuchtigkeit angestoßen(feuchtigkeitshärtend). Positiv wirkt sich dies auf die Haftung der SMP-Klebstoffe aus: Während die reaktiven Funktionalitäten des Klebstoffs an der Grenzfläche Klarlack/Klebstoff in vollem Umfang für den Haftaufbau zur Verfügung stehen, kann abgespaltenes Methanol synergetisch die Lackoberfläche anquellen und damit die Haftfähigkeit verbessern. Abbildung 5.31B stellt die Ergebnisse der Haftprüfung von Standard PUR- und SMP-Klebstoffsystemen auf haftungskritischen Klarlackoberflächen(KTL/CC1) gegenüber. Das Marktscreening gibt das uneingeschränkte Haftungsspektrum der SMP-Klebstoffe wieder. 90 5.ErgebnisseundDiskussion A + 3 + H 6 2 H O 2 O - 3 C 6 H C 2 H O 3 O H H B Referenz: SMP-Klebstoffe PUR-Klebstoffe auf KTL/CC1 auf KTL/CC1(60 Min, 150° C) (60Min, 150° C) Klebstoff/ Haftnote Klebstoff/ Haftnote SMP1 SMP2 5 5 PU1 1 SMP3 5 PU2 1 SMP4 5 PU3 1 SMP5 5 Abbildung 5.31: A: Aufbau von SMP-Klebstoffen, sowie deren Reaktion mit(Luft-)feuchtigkeit. / B: Vergleich typischer PUR- und SMP-Klebstoffe(geeignet z. B. für die Einglasung). Trotz der ausgezeichneten, primerlosen Haftergebnisse konnten sich SMP-Klebstoffe im Automobilbau nur für vereinzelte, spezielle Anwendungen durchsetzen(z. B. als transparente Unterfütterung). Auch die Applikationseigenschaften lassen sich an bewährte PUR-Klebstoffe anpassen, sodass eine Integration in bestehende Klebprozesse möglich ist[150]. Vor allem der hohe Preis macht diese Klebstoffklasse aktuell für weitere Anwendungen unattraktiv. Auch der simultane Einsatz von SMP- und PUR-Klebstoffen für örtlich angrenzende Anwendungen muss ausgeschlossen werden, um eine sichere und langzeitstabile Klebung zu gewährleisten. Analog zu den alkoholischen Abspaltprodukten der Klarlackschicht, welche die Vernetzung(und den Haftaufbau) der PUR-Klebstoffe behindern, blockiert auch das abgespaltene Methanol der SMP-Klebstoffe Isocyanatgruppen und verhindert die Vernetzung des PUR-Klebstoffes. 5.4.2 Das PUR-Klebstoff Haftpaket: Klebstoffmodifikationen Auf Grundlage der bisher vorgestellten Ergebnisse werden folgende Strategien für die gesteigerte Haftung auf Klarlackoberflächen verfolgt: • Partielle, kontrollierte Zerstörung der Klarlackoberfläche im Klebflansch(Verbesserte Haftung durch das Herabsetzen des Vernetzungsgrads bzw. durch zerstörte Polymernetzwerke), • Aktivierung der oberflächennahen Hydroxygruppen durch den Einsatz alternativer Metallkatalysatoren. 5.4.2.1 Effekt einer gezielten Schädigung der Klarlackoberfläche Das Potential der Enzymtechnologie im Bereich der Klebtechnik wird im Folgenden demonstriert. Exemplarisch wurde Pankreatin zur Oberflächenmodifizierung des Klarlacks CC1 ausgewählt. Pankreatin – als Bestandteil von Vogelkot – ist in der Prüftechnik von Lacken nur in negativer Hinsicht bekannt. In der Chemikalienbeständigkeitsprüfung wird die schädigende Wirkung geprüft. Je nach Lacksystem ist ein Abbau der Lackoberfläche bereits bei Temperaturen von ca. 40°C nach 5.4 StrategienzurverbessertenHaftungaufLack 91 24  Stunden festzustellen. Im übertragenen Sinn bestätigt dies die Aktivität des Enzyms auf dem Substrat„Klarlack“. Als neue Idee wird der Transfer des„Prüfmittels“ Pankreatin auf den Einsatz als Haftvermittler vorgestellt. Die positive Veränderung des Klarlack-Netzwerks für die Klebstoffhaftung, z. B. durch ein Aufweiten der Netzwerkstruktur, wurde im Folgenden untersucht. Die Enzymtechnologie wurde zur Strukturierung und Funktionalisierung von Klarlackoberflächen eingesetzt. Eine definierte Hydrolyse von Polymeren durch Enzyme erhöht die Oberflächenhydrophilie. Die Hydrophilisierung von Oberflächen ist ein wichtiger Schritt beim Herstellungsverfahren vieler Materialien. Sie ist nicht nur für den hier betrachteten Folgeprozess(Kleben) eine wichtige Voraussetzung, sondern spielt für viele Anwendungen eine große Rolle. Beispiele finden sich in der Filtrationstechnik, der Textilproduktion, der Elektronik und im Bereich der Biomedizin[151, 152]. Viele Technologien wurden entwickelt, um die Hydrophilie verschiedenenartiger Materialien zu steigern. Beispiele stellen das physikalische Beschichtungsverfahren( physical vapour deposition PVD), die Plasmabehandlung oder das Aufpfropfen von Makromolekülen dar. Diese Methoden basieren hauptsächlich auf einem hohen Energieeintrag oder ätzenden Chemikalien. Aus ökonomischer und ökologischer Sicht bieten daher Verfahren unter Verwendung von Enzymen neue Möglichkeiten und großes Potenzial[153]. Während sich die Forschung bisher auf die chemische Modifikation oder Strukturierung der Materialien konzentriert – z. B. für das Recycling von Kunststoffen[154–157] – ist die Funktionalisierung von Polymeroberflächen mithilfe von Enzymen ein relativ unerforschter wissenschaftlicher Bereich. Erste Studien beschäftigen sich nun mit der enzymatischen Behandlung als neue Methode der Oberflächenmodifikation von synthetischen Polymeren[158–161]. Enzyme katalysieren Reaktionen mit hoher Selektivität und Spezifität unter milden Bedingungen. Diese Eigenschaften machen einen Enzymeinsatz auch für den Einsatz als Haftvermittler interessant. Für die Eignungsprüfung von Pankreatin als haftvermittelndes Additiv wurde zunächst eine Pankreatinlösung(5 %ig in Wasser) hergestellt. Die Aktivität bzw. die Kettenspaltung des hier analysierten Klarlackmaterials bestätigen DMA-Messungen. Glasübergangstemperaturen freier Klarlackfilme wurden verglichen. Hierzu wurde eine Probe einseitig mit der Pankreatinlösung behandelt und für fünf Tage bei 50°C gelagert. Abbildung 5.34A verdeutlicht die Enzymaktivität durch einen Abfall der Glasübergangstemperatur von 83,5°C(der unbehandelten Referenzprobe) auf 73,1°C. Die Ergebnisse der praktischen Haftprüfungen sind in Abbildung 5.32 zusammengefasst. Eine positive Wirkung von Pankreatin als Haftadditiv wurde beobachtet. Zum einen wurde die Pankreatinlösung als Aktivator eingesetzt. Um eine möglichst dünne Aktivatorschicht zu erhalten wurde die Lösung mit einem Filz aufgetragen und im Anschluss die Oberfläche mit einem trockenen, sauberen Tuch getrocknet. Vor der Klebstoffapplikation wurden die Proben bei 50°C für 24 Stunden gelagert. Parallel wurden modifizierte PUR-Klebstoffe angefertigt. Hierzu wurden die Klebstoffe zunächst auf 60°C temperiert, dann wurden 5 Gew% Pankreatin der warmen Klebstoffmasse zudosiert und direkt vor der Applikation im Speed-Mixer homogen verteilt. Die Haftergebnisse zeigten Abhängigkeiten von der PUR-Klebstoffbasis. Einen großen Einfluss scheint der pH-Wert zu nehmen. Dies zeigten ebenfalls die Untersuchungen der Aktivatorlösungen. Die Klebstoffmasse bzw. das Lösungsmittel darf die Enzymaktivität nicht einschränken. Die beschrie- 92 5. und Diskussion benen Parameter und angewandten Temperaturen waren nötig, um den Effekt zu verstärken und die dargestellte Wirkung zu entfalten. Die Lagerstabilität der Enzym-modifizierten PUR-Klebstoffe ist eingeschränkt. Referenz Pankreatin-Aktivator Pankreatin-Klebstoffe Abbildung 5.32: Vergleich der Decklackhaftung der 1K-PUR-Klebstoffe PU1, PU2 und PU3 nach Vorbehandlung bzw. Klebstoffmodifikation mit Pankreatin. Pankreatin ist aus mehreren(Verdauungs-)enzymen zusammengesetzt. Diese Enzyme stellen Aminosäureverbindungen dar. Sie weisen Amin-, Carbonsäure-, Ether- und Hydroxygruppen in ihrer chemischen Struktur auf. Einer der Hauptbestandteile von Pankreatin ist Lipase: ein Enzym, das für die Verdauung von Lipiden zuständig ist. Dies geschieht durch eine katalysierte Hydrolyse. Dieser Mechanismus wurde ebenfalls von Yari et al. auf Klarlackoberflächen(2K-Acrylat-Melamin-Typ) gefunden [162]. Abbildung 5.33 stellt den vorgeschlagenen Mechanismus vor. Die enthaltenen Enzyme katalysieren die Hydrolyse-Reaktion, welche zur Spaltung der Etherbindungen führt. Diesen Abbauprozess spiegelt die Abnahme der Glasübergangstemperatur wider(vgl. Abbildung 5.34A). Gleichzeitig schafft der Pankreatin-katalysierte Abbau des Polymernetzwerks Hydroxy- und Amingruppen auf der Klarlackoberfläche. Diese sind auf die Spaltung und Bildung von dangling chains zurückzuführen [24, 162]. Darüber hinaus stellte Yari et al. eine Freisetzung löslicher Produkte aus der Klarlackschicht fest, sodass Löcher auf der Klarlackoberfläche erzeugt wurden. Die Ergebnisse zeigen, dass Pankreatin eine haftungsfördernde Wirkung besitzt. Mechanistisch betrachtet erklären dies eine chemische(Polymerabbau und Bildung polarer Funktionalitäten) sowie mechanische(Lochbildung) Modifikation der Lackoberfläche. 5.4 Strategien zur verbesserten Haftung auf Lack 93 Abbildung 5.33: Modifikation eines typischen Acrylat-Melamin-Klarlacks durch Pankreatin. Im Rahmen dieser Versuchsreihe wurden ebenfalls Säuren und Basen auf die Eignung als Haftvermittler nach dem beschriebenen Prinzip der kontrollierten Zerstörung der Lackoberfläche geprüft. Während Basen keine positiven Effekte aufwiesen, zeigte der Einsatz von verdünnten Säuren(insbesondere Trifluormethansulfonsäure, 2,5 Gew% in Wasser) eine aktivierende Wirkung für die PUR-Klebstoffanwendung. Obwohl Acryl-Melamin-Klarlacksysteme tendenziell empfindlich gegenüber einem Säureangriff sind, zeigen die durchgeführten DMA-Messungen, dass der Auftrag der Säurelösung(analog der Pankreatinlösung) zu keinem Abbau der Glasübergangstemperatur bzw. des Polymernetzwerks führt(vgl. Abbildung 5.34A). Die Wirkung der Säure scheint auf die oberflächennahen Bereiche beschränkt zu sein. Nach dem Verdunsten des Lösungsmittels ist kein weiterer Polymerabbau festzustellen. Das Bulkmaterial bzw. der T g b leiben unverändert. XPS-Messungen bestätigen jedoch das Einbringen neuer polarer Funktionalitäten in die Oberfläche. Diese erklären vermutlich die verbesserten Haftnoten einiger 1K-PUR-Klebstoffe(vgl. Abbildung 5.34B). Um einen produktionsgerechten Einsatz zu ermöglichen und serienreife Eigenschaften zu erhalten sind entsprechende Folgeuntersuchungen und Anpassungen der Systeme nötig. Es wird die Möglichkeit der verbesserten Decklackhaftung durch den Enzym- und Säureeinsatz in Verbindung mit ausgewählten 1K-PUR-Klebstoffen erörtert und beschrieben. 94 5. und Diskussion A B Abbildung 5.34: A: DMA-Kurven freier Klarlackfilme vor und nach beschriebener Pankreatinbzw. Säureaktivierung./ B: XPS-Messungen der Klarlackoberfläche, C1s mit möglichen Komponenten. 5.4.2.2 Effekt alternativer Metallkatalysatoren Erfahrungsgemäß übernehmen die im Klebstoff enthaltenen Metallkatalysatoren die Aufgabe der Oberflächenaktivierung des Substrats. Aminkatalysatoren begünstigen hauptsächlich die Isocyanat-Wasser-Reaktion(vgl. Kapitel 3.2.1.1). Für eine gezielte, substratspezifische Auswahl eines Katalysators wurden Modellversuche durchgeführt und die Ergebnisse mit praxisnahen Haftprüfungen verglichen. Diese Experimente setzen zwei Annahmen voraus: Zum einen gehen die auf einer ausgehärteten Lackoberfläche vorliegenden Hydroxygruppen mit dem Isocyanat-basierenden Klebstoff Wechselwirkungen ein. Außerdem entstammen diese freien Hydroxygruppen dem Stammlack(OH-Acrylatharz). Nach abgeschlossenem Einbrand und entsprechender Vernetzung des Klarlacksystems ist stöchiometrisch betrachtet der(Rest-) Gehalt an oberflächennahen Hydroxygruppen sehr gering. Gleichzeitig entspricht dies der Absicht des Lackentwicklers zur Schaffung einer robusten, resistenten Schutzschicht. 5.4 Strategien zur verbesserten Haftung auf Lack 95 Ziel des Metallkatalysators im Klebstoff muss es nun sein die Reaktion zwischen den wenigen Rest-Hydroxygruppen auf der Klarlackoberfläche mit den Klebstoff-Isocyanatgruppen zu erleichtern. Dementsprechend sieht der durchgeführte Modellversuch ein vergleichendes Katalysatorscreening der Ausgangsmaterialien(lackseitig: Stammlack, Härter(jeweils„nass“); klebstoffseitig: NCO-Prä­ polymer) vor. Neben einem typischen Zink-Katalysator(Zinkneodecanoat) wurde ein Bismut-Katalysator(Bismutcarboxylat) getestet. Dieser fiel bereits in Vorversuchen als haftungsfördernd auf. Die Strukturformeln zeigt Abbildung 5.35. AB Abbildung 5.35: Strukturformeln der Metallkatalysatoren für die lackspezifische Katalysator­ suche. Die Wirkung von Zinkneodecanoat(A) und Bismut-2-ethylhexanoat (B) im Lackharz sowie im Klebstoff-Präpolymer wurde vergleichend untersucht. Die Reaktion zwischen Stammlack(OH-Acrylatharz) und dem Isocyanat-haltigen Präpolymer des PUR-Klebstoffes steht im Fokus, da sie die Reaktion zwischen Lackoberfläche(Rest-Hydroxygruppen) und PUR-Klebstoff(Isocyanatgruppen) simulieren soll. Die Katalysatoren wurden jeweils einem Stammlack-Präpolymer-Gemisch zudosiert. Anschließend wurde die Wirkung anhand des zeitabhängigen Viskositätsanstiegs bei Raumtemperatur bewertet. Die Veränderungen der Werte stehen in direktem Zusammenhang mit dem Vernetzungsgrad. Tabelle 5.8A zeigt, dass die Reaktion in diesem System durch den Bismut-Katalysator am effektivsten beschleunigt wird. 24 Stunden nach der Katalysator-Zugabe ist der Viskositätsanstieg durch den Bismut-Katalysator am höchsten(12,8 Pa·s). 96 5. und Diskussion A Stammlack+ Katalysator Klebstoff-Präpolymer[1:1]: [1 Gew%] ohne Bi Zn B Klebstoff-Präpolymer: Katalysator [1 Gew%] Stammlack+ Härter[3:1]: ohne Bi Zn Katalysator [1 Gew%] ohne Bi Zn nach 5 Min 1,4 2,2 3,0 Viskosität(Pa·s) nach 120 Min nach 240 Min 1,4 2,2 11,9 12,2 5,6 5,9 nach 30 Min 4,5 9,9 10,9 nach 5 Min 0,0 0,0 0,0 Viskosität(Pa·s) nach 120 Min 4,5 11,3 10,1 nach 24 h 4,6 Hautbildung Hautbildung Viskosität(Pa·s) nach 120 Min nach 240 Min 0,0 0,0 2,7 geliert 1,1 5,3 nach 24 h 3,2 12,8 6,2 nach 24 h 0,4 geliert Tabelle 5.8: Effekt verschiedener Metallkatalysatoren auf den Viskositätsanstieg eines(A) Stammlack/PUR-Präpolymer-Gemischs und(B) der jeweiligen Blindprobe PUR-Präpolymer bzw. Stammlack. Die Viskosität wurde mittels Rotations­ viskosimeter bestimmt. Die Blindproben(Tabelle 5.8B) zeigen, dass die Katalysatoren in gleichem Maße die Vernetzung des Präpolymers bzw. die Isocyanat-Wasser-Reaktion beeinflussen. Im Klebstoff-Präpolymer verhalten sich beide Katalysatoren ähnlich. Nach 24 Stunden tritt jeweils die Hautbildung ein. Lackseitig ist wiederum der Bismut-Katalysator am aktivsten. Dieser führt zum schnellsten Abbau der OH/NCO-Konzentration bzw. zur Gelierung des Stammlack-Härter-Gemisches. Dies ist ein weiteres Zeichen­­ für die Eignung des Bismut-Katalysators für die vorliegende Klarlackoberfläche. Der Bismut-Katalysator steigert die Reaktivität des Klarlacksystems. Im nächsten Schritt folgt die praxisnahe Anwendung. Modellklebstoffe wurden mit diesen Katalysatoren hergestellt und deren Haftung auf der Klarlackoberfläche geprüft. Dies wurde mit seriennahen 1K-PUR-Klebstoffen zweier Hersteller durchgeführt. Die eingesetzten Metallkatalysatoren wurden jeweils durch alternative Katalysatortypen substituiert. Das Ergebnis der Haftprüfungen ist in Abbildung 5.36 wiedergegeben. Auch hier zeigen die mittels Bismut-Katalysator modifizierten Klebstoffe beste Haftnoten. Weitere Untersuchungen zur serienreifen Alterungsbeständigkeit dieser Klebstoffsysteme wurden nicht durchgeführt. 5.4 Strategien zur verbesserten Haftung auf Lack 97 Abbildung 5.36: Haftprüfungen modifizierter 1K-PUR-Klebstoffe auf einer Klarlackoberfläche. Klebstoff PU2 wurde mit den angegebenen Katalysatoren(Fa. TIB Chemicals) hergestellt. In PU7 wurden Zn, Bi, Sn und Zr-Katalysatoren variiert. 5.4.3 Lösungsmittelfreie Vorbehandlung von Lackoberflächen Die Klarlackoberfläche wurde über alternative Vorbehandlungsmethoden partiell aktiviert. Dies dient der Einführung funktioneller Gruppen. Die freie Oberflächenenergie und Reaktivität der Klarlackoberfläche wird erhöht. Eine Oberflächenaktivierung von Lackoberflächen kann mittels physikalischer oder nasschemischer Methoden erfolgen. Hierbei sind physikalische Methoden wie die Plasma- oder Coronabehandlung umweltfreundlicher und einfacher zu handhaben als nasschemische Methoden(z. B. Haftprimer)[163]. Die Wirkung folgender lösungsmittelfreier Oberflächenaktivierungen(Atmosphärendruck-Plasma, Beflammung, Corona) ist daher Fokus des folgenden Abschnitts: Coronaentladung Das Anlegen einer hohen Spannung an einen elektrischen Leiter schafft ein hochenergetisches elektromagnetisches Feld. Dieses beschleunigt Elektronen in Richtung einer positiv geladenen Elektrode. Dabei können im Elektrodenmaterial Elektronen aus ihrem Orbital gelöst werden. Es entstehen Ionen und weitere Elektronen die auch zum Teil in ein höheres instabiles Orbital überführt werden. Die angeregten Moleküle zerfallen aufgrund der Instabilität spontan zu Radikalen, Ionen und Photonen. Wird eine Probe zwischen die Elektroden platziert kommt es zu einer unkontrollierten Aktivierung der Oberfläche, typischerweise durch Einbringung von Sauerstoffverbindungen(Oxidation)[164]. Durch die Entstehung von Radikalen ist die Vernetzung und/oder Kettenspaltung im Polymer ebenfalls möglich. Atmosphärendruck-Plasma(AD-Plasma) Beim Plasmaprozess wird das Prozessgas durch eine Hochfrequenzspannung angeregt und mittels Druckluft gezielt auf eine Oberfläche geleitet. Das Plasma entspricht, ähnlich der Coronaentladung, 98 5. und Diskussion energiereichen Ionen und Elektronen. Die Prozessparameter Druck, Leistung, Prozesszeit, Gasfluss und Gaszusammensetzung können dabei gezielt gesteuert werden und verändern die Wirkungsweise des Plasmas. Durch die entstandenen Ionen und Elektronen bilden sich Radikale, die einerseits an der Oberfläche zu einem Materialabbau, und andererseits zum Einbau von sauerstoffhaltigen Verbindungen führen[165, 166]. In tiefer gelegenen Schichten kommt es zu einer Vernetzung und zu Doppelbindungen[167]. Beflammung Durch ein Gemisch aus Luft und Methan, Propan oder Butan wird die zu aktivierende Oberfläche einer chemischen und oxidativen Behandlung unterzogen. Die Flamme wird dabei an der Ober­ fläche vorbeigeführt, oder umgekehrt. Eine physikalische Wirkung zeigt die Wärmeeinwirkung auf die Oberfläche. Die damit erzeugte Deformation der Polymeroberfläche mit resultierender Ober­ flächenvergrößerung kann bereits zu einer verbesserten Haftung führen. Darüber hinaus findet eine chemische Modifizierung statt. In der Oberfläche des zu behandelnden Substrats werden Molekül­ bindungen aufgebrochen. Dies ermöglicht den Einbau von in der Flamme erzeugter Radikale(N, O, -OH) in die Makromolekülketten. Durch die Bildung sauerstoffhaltiger, funktioneller Gruppen werden die Oberflächen oxidativ aktiviert[168]. Über die Variablen Prozessgas, Temperatur und Vorschub ­ geschwindigkeit wird die Behandlungsintensität gesteuert. Die Auswirkungen der drei Verfahren auf die Eigenschaften wurden miteinander verglichen – insbesondere die Klebfähigkeit der Klarlackoberfläche. Neben praxisnahen Klebtests wurden unter anderem die XP-Spektroskopie und Kontaktwinkelmessungen eingesetzt. Die Aktivierungsparameter(darunter der Düsen-Proben-Abstand und die Vorschubgeschwindigkeit) wurden in einer ersten Versuchsreihe variiert, um die optimalen Bedingungen für eine maximal hydrophile Oberfläche zu erhalten. Diese Parameter wurden für den Vergleich der Vorbehandlungsmethoden angewandt. Die Messdaten des Kapitels 5.4.3 wurden im Rahmen der Masterarbeit „Alternative Vorbehandlungsmethoden neuer Lackgenerationen für typische Klebeanwendungen im Automobilbau, M. Rahimi, 2015“ gemeinsam erhoben. 5.4.3.1 Charakterisierung der modifizierten Oberflächen Die Modifizierung der Klarlackoberflächen kann durch XPS-Messungen aufgeklärt werden. Der Sauer­ stoffanteil wird unabhängig der angewandten Methode deutlich erhöht(vgl. Tabelle 5.9). Während dieser für die unbehandelte Referenzprobe 14,9 At% beträgt, steigt er durch eine AD-Plasmaaktivierung, Coronabehandlung bzw. Beflammung auf 24,9 At%, 20,2 At% bzw. 21,7 At% an. 5.4 Strategien zur verbesserten Haftung auf Lack 99 Probe Referenz AD-Plasma Beflammung Corona C [At%] 76,6 52,8 62,5 70,5 O [At%] 14,9 24,9 21,7 20,2 Si [At%] 2,1 1,8 1,6 2,0 N [At%] 6,5 20,5 14,1 7,4 Tabelle 5.9: XPS-Messergebnisse der elementaren Oberflächenzusammensetzung vor und nach einer AD-Plasmaaktivierung, Beflammung oder Coronabehandlung. Verschiedene polare Gruppen werden in die Oberfläche eingebracht. Dies kann ebenfalls durch XPS-Messungen(siehe Abbildung 5.37) nachgewiesen werden. Auffallend ist der erhöhte Anteil an polaren Subgruppen des C1s-Peaks als Folge aller drei Vorbehandlungsmethoden im Vergleich zur unbehandelten Referenzprobe. Es zeigen sich deutliche Unterschiede in der jeweiligen Aktivierungsintensität. Diese scheint bei der Plasmabehandlung am höchsten zu sein. Die schrumpfende C1s-Schulter der beflammten bzw. Corona-behandelten Probe signalisiert eine Abnahme der polaren, haftungsfördernden Gruppen. Die untersuchten Klarlackoberflächen weisen nach physikochemischer Vorbehandlung einen Anstieg der Carbonyl- und Hydroxygruppen auf. Abbildung 5.37: XPS-Analyse einer(A) unbehandelten,(B) AD-Plasmaaktivierten,(C) beflammten bzw.(D) Corona-behandelten Klarlackoberfläche; C1s mit möglichen­ Komponenten. Die Schulter der C1s Peaks hin zu höheren Bindungsenergien deutet auf das Vorhandensein von Carbonylgruppen und anderen polaren Verbindungen hin. Diese ist deutlich in den XP-Spektren der vorbehandelten Proben zu erkennen. Für die unbehandelte Referenzprobe(Abbildung 5.37A) ist diese Schulter weniger stark ausgeprägt. 100 5. und Diskussion Neben den Carbonsäureestern finden sich in der Untergruppe um 287,1 eV auch die OH-Gruppen wieder. Diese wirken sich vermutlich positiv auf die Haftung des Klebstoffs aus. Eine Analyse der O1s Peaks ist zwar grundsätzlich möglich, die verschiedenen Bindungsenergien liegen jedoch nahe der maximalen Auflösung des eingesetzten XP-Spektrometers. Die Messung der Oberflächenenergie bestätigt den Anstieg der Polarität nach entsprechender Vorbehandlung. Die AD-Plasmaaktivierung führt zur Spreitung der Testflüssigkeiten. Dies verdeutlicht den Aktivierungserfolg. Analog der XPS-Messergebnisse steigt die Oberflächenenergie, sowie die gemessenen polaren Anteile nach Tabelle 5.10 in folgender Reihenfolge: unbehandelt(Referenz)< Corona-behandelt< beflammt< AD-Plasmaaktiviert. Die Oberflächen bleiben optisch unverändert. Messungen der Rauheit zeigen ebenfalls kaum Veränderungen durch die Vorbehandlungsmethoden(Tabelle 5.10). Die Beschichtung wird nicht beschädigt und erfüllt weiterhin ihre korrosionsschützende Funktion. Oberflächenenergie [mN/m] polarer Anteil [mN/m] disperser Anteil [mN/m] Rauheitsdaten R z [nm] unbehandelt 39,1 ± 0,2 0,1 ± 0,05 39,1 ± 0,2 49,6 AD-Plasma ≥ 72* 46,6 Beflammung 54,1 ± 0,7 15,0 ± 0,3 39,1 ± 0,4 54,2 Corona 43,2 ± 1,1 4,3 ± 0,2 38,9 ± 0,9 55,3 * Testflüssigkeiten spreiten auf der Oberfläche, d. h. die Oberflächenenergie von Wasser(72 mN/m) wird übertroffen. Tabelle 5.10: Ergebnisse der Kontaktwinkelmessung nach Vorbehandlung einer Klarlackoberfläche mittels AD-Plasma, Beflammung oder Corona. Die gemittelte Rautiefe R z wurde über Konfokalmikroskopie ermittelt. 5.4.3.2 Zeitliche Beständigkeit der Vorbehandlung Die Zeit zwischen der Oberflächenvorbehandlung und der Klebstoffapplikation – oft als Offenzeit bezeichnet – spielt eine wichtige Rolle für den Klebprozess. Die Offenzeit muss Prozess- und Produktionsabhängig von wenigen Sekunden bis zu mehreren Tagen variieren. Die Stabilität der Oberflächenvorbehandlung muss daher über einen definierten, möglichst langen Zeitraum sichergestellt sein. Der Effekt der durchgeführten Aktivierungen ist sehr gut mittels Kontaktwinkelmessungen zu verfolgen. Diese Methode wurde daher gewählt, um die zeitabhängigen Effekte ebenfalls zu analysieren. Die Klarlackoberfläche CC1 wurde mittels AD-Plasma, Corona und Beflammung vorbehandelt. Nach definierten Offenzeiten wurde die Oberflächenenergie kontrolliert. Der Vergleich der Oberflächenenergien verdeutlicht die Abnahme des Aktivierungseffekts(Abbildung 5.38) innerhalb weniger Tage. Auch der polare Oberflächencharakter nimmt bereits nach einem Tag ab(Anhang 9.3, Tabelle 9.2–Tabelle 9.4). Dies wird unabhängig von der angewandten Vor- 5.4 Strategien zur verbesserten Haftung auf Lack 101 behandlungsmethode beobachtet. Die Benetzbarkeit bleibt über den gesamten Zeitraum über dem Niveau der unbehandelten Referenzprobe bzw. vergleichbar. Wie bereits in der Literatur für Poly­ olefinoberflächen beschrieben wurde, nimmt der Behandlungseffekt kurzfristig durch Reaktionen mit der Umgebungsluft und längerfristig durch das sogenannte hydrophobic recovery ab[169]. Nach Strobel et al.[170] und Occhiello et al.[171] basiert dieser Effekt auf der Restrukturierung der Polymerketten. Dabei tendieren die polaren funktionellen Gruppen dazu, sich von der Oberfläche hin zum Bulk umzustrukturieren. Dieser Effekt ist auf die hier untersuchten Klarlackoberflächen übertragbar. Für die Beflammung und AD-Plasmabehandlung zeigt sich ein Rückgang des Behandlungseffektes von 10–20 % innerhalb der ersten 24 Stunden(chemische Reaktionen mit dem Sauerstoff aus der Umgebungsluft). Nach ca. 24 Stunden flacht der Abfall der Oberflächenenergie ab. Ein konstanter Wert stellt sich ein. Der langsame Abfall ist bedingt durch die Abkehr der polaren Verbindungen weg von der Oberfläche, hin zum Probenvolumen. Für die Aktivierung mittels AD-Plasma ist die kontinuierliche Abnahme der Oberflächenenergie am deutlichsten zu beobachten. Diese scheint auch nach 30 Tagen tendenziell abzunehmen. Ein stabiles Niveau ist auch hier bei 39 mN/m zu erwarten – dies entspricht der Oberflächenenergie der unbehandelten Referenzprobe. Abbildung 5.38: Einfluss der Offenzeit nach der Vorbehandlung mittels AD-Plasma, Beflammung­­bzw. Corona. Die Messung erfolgte sofort nach der Aktivierung sowie 1/3/7/30 Tag(e) im Anschluss. 5.4.3.3 Haftung auf modifizierten Oberflächen Zuletzt wird der Effekt der einzelnen Oberflächenvorbehandlungen auf die Decklackhaftung der 1K-PUR-Klebstoffe geprüft. Die Übertragbarkeit der Oberflächenenergiemessungen wurde erörtert. Das Auftreten weiterer Haftphänomene gilt es zu beantworten. Der postulierte Haftmechanismus zwischen Klarlack und Klebstoff wurde auch an dieser Stelle nochmals getestet. Wie die Messung der Oberflächenspannung und XPS-Elementzusammensetzung vermuten ließ, wird mittels der durchgeführten Vorbehandlungen die Haftung ausgewählter 1K-PUR-Klebstoffe verbessert. Zwischen den Vorbehandlungsmethoden sind jedoch, auch in den erreichten Haftnoten, Unterschiede festzustellen. 102 5. und Diskussion Unter Einsatz aktueller 1K-PUR-Klebstoffe wird keine ausreichende Haftung erreicht. Erst eine Vorbehandlung der Oberfläche stellt eine sichere Haftung her(vgl. Abbildung 5.39). Die Haftung wird mittels AD-Plasmaaktivierung und Coronabehandlung am effektivsten verbessert. Durch eine Beflammung der Oberfläche verbessert sich die Haftung nur geringfügig, obwohl die Oberflächenenergien höher sind. XPS-Messungen indizieren zudem das Vorhandensein einer großen Anzahl polarer Gruppen. Die Ergebnisse und Bewertungen der Haftprüfungen zeigt Abbildung 5.39. Referenz Klebstoff/ Haftnote PU8 1 PU4 3 PU7 1 AD-Plasma „stark“ AD-Plasma „sanft“ Klebstoff/ Haftnote PU8 4 PU4 2 PU7 4 < 30 Minuten Klebstoff/ Haftnote PU8 5 PU4 5 PU7 5 < 30 Minuten 3 1 3 5 5 5 Klebstoff/ Haftnote PU8 1 PU4 1 PU7 1 < 30 Minuten 2 3 1 1 Tag 2 4 2 1 Tag 5 5 5 1 Tag 1 1 1 3 Tage 5 5 5 3 Tage 5 5 5 3 Tage 4 4 2 7 Tage 7 Tage 7 Tage Beflammung Corona Klebstoff/ Haftnote PU8 5 PU4 5 PU7 5 < 30 Minuten 5 5 5 1 Tag 5 5 5 3 Tage 5 5 5 7 Tage Abbildung 5.39: Haftnoten verschiedener 1K-PUR-Scheibenklebstoffe auf vorbehandelten Klarlackoberflächen­­in Abhängigkeit der Offenzeit. Die Klebstoffe wurden nach 30 Minuten bzw. 1/3/7 Tag(en) appliziert. Die geringen Haftfestigkeiten nach Beflammung können auf das Vorhandensein alkoholischer Abspaltprodukte der Klarlackschicht zurückgeführt werden – analog der Erkenntnisse zur Zeitabhängigkeit nach Klarlackeinbrand aus Kapitel 5.1.1.1. 5.4 Strategien zur verbesserten Haftung auf Lack 103 Der hohe Temperatureintrag während der Beflammung verursacht ein Nachvernetzen der Klarlackschicht. Teilveretherte Co-Vernetzer, wie z. B. Melaminharze, spalten daraufhin Alkohole ab. Diffundieren diese anschließend an die Grenzfläche Klarlack/Luft bzw. Klarlack/Klebstoff, so sinkt die Reaktivität des PUR-Klebstoffs. Findet die Reaktion zwischen Alkoholen mit den Isocyanatgruppen des Klebstoffs in der Grenzschicht statt, führt dies zu den beobachteten lokalen Haftdefekten. Im Fall der beflammten Proben ist das Diffundieren mobiler Lackbestandteile deutlich durch eine Oberflächenanreicherung zu erkennen. Diese ist einfach mit 2-Propanol zu entfernen. Die Klarlackoberfläche bleibt jedoch intakt. Dies zeigen vergleichende Topographiemessungen bzw. eine Analyse der Rauheit(Abbildung 5.40). Dabei sind keine visuellen Beschädigungen der Klarlackoberfläche festzustellen. Des Weiteren zeigt die Rauheitsanalyse keine signifikante Oberflächenvergrößerung durch eine Vorbehandlung mittels AD-Plasma, Coronaentladung oder Beflammung(Tabelle 5.10). Werden verbesserte Haftnoten gemessen, sind diese wahrscheinlich auf die Einführung neuer polarer Funktionalitäten(z. B. Hydroxygruppen) zurückzuführen. Die Vor- und Nachteile der untersuchten physikalischen und thermischen Vorbehandlungsmethoden sind im Anhang(Tabelle 9.5) zusammengefasst. Abbildung 5.40: Topographieabbildungen der unbehandelten(A), AD-Plasmaaktivierten(B), beflammten(C) bzw. Corona-aktivierten Klarlackoberflächen(D) (Messbereich ca. 350 × 350 µm). 104 6. Fazit 6. F a z i t Herausgearbeitet wurden die Ursachen der Haftung oder Enthaftung von 1K-PUR-Klebstoffen auf Klarlackoberflächen. Die Adhäsionseigenschaften der Klarlackoberflächen unterscheiden sich in Abhängigkeit der variierbaren Basislacke stark. Zur Erklärung auf molekularer Ebene, wurden die Multischicht-Lackaufbauten mit oberflächenspektroskopischen und thermischen Methoden charakterisiert. Gleichzeitig konnten diese Ergebnisse mit den makroskopischen Haftungseigenschaften in Verbindung gebracht werden. Bei den Wechselwirkungen zwischen Klebstoff und Substratoberfläche kann es sich um Physisorption, Chemisorption oder mechanische Effekte handeln. Aufgrund der Verknüpfung von Ober­ flächenchemie und Haftwerten sowie den durchgeführten Modellexperimenten wird der Chemisorption ein hoher Beitrag an der Haftungsförderung zugeschrieben. Potentielle Reaktionspartner eines 1K-PUR-Klebstoffs auf Klarlackoberflächen wurden mit geeigneten Markierungsreagenzien derivatisiert und anschließend oberflächenanalytisch untersucht. Die Korrelation der oberflächennahen Funktionalitäten der Klarlackschicht mit der makroskopisch festgestellten Haftfestigkeit zeigt auf, dass kovalente Bindungen zwischen einer Lackoberfläche und den 1K-PUR-Klebstoffen für die Haftung relevant sind. Das Gleiche gilt für den Aushärtegrad der Klarlackschicht. Mit abnehmendem Aushärtegrad steigen durch vereinfachte Grenzphasenbildung(Klebstoff/Klarlack) die Interaktionsmöglichkeiten zwischen Klebstoff und Klarlackschicht. Dieser Diffusion wird daher ebenso ein großer Stellenwert für eine erfolgreiche Haftung zugeschrieben. Werden diese Oberflächenfunktionalitäten durch Derivatisierung vor der Klebstoffapplikation blockiert­,­ so ist keine ausreichende Haftung darstellbar. Der ursprünglich kohäsiv haftende Klebstoff weist keine Haftung mehr auf. Die festgestellte Haftfähigkeit in Abhängigkeit der Klarlackvernetzung, sowie die auftretenden Haftmechanismen werden in Abbildung 6.1 zusammengefasst. Abbildung 6.1: Zusammenhang zwischen Klarlackeigenschaften und den beobachteten Haftfestigkeiten­ von 1K-PUR-Klebstoffen auf Klarlack. Klarlacke stellen hochvernetze Polymerschichten dar. Da die Ausbildung eines vernetzten Lackfilms einen komplexen Vorgang darstellt, ist ein Verständnis der Kinetik der Netzwerkbildung und der 6. F a z i t 105 Struktur sehr wichtig. Die Kinetik der chemischen Reaktionen hängt mit einer Vielzahl an physikalischen Abläufen zusammen. Die Entstehung von vernetzten und verzweigten Strukturen wird beeinflusst. Gesteuert werden diese Prozesse hauptsächlich über Wechselwirkungen und die Kettenbeweglichkeit der verschiedenen Strukturebenen. Dazu zählen thermodynamische Wechselwirkungen, der Glasübergangsbereich und die Diffusion von Bindemittel oder Lösungsmittelmolekülen. Das Zusammenspiel aller Wechselwirkungen und die Kinetik der ablaufenden dynamischen Prozesse beeinflussen die Netzwerkbildung genauso wie die resultierenden Festkörper- und Oberflächeneigenschaften der Beschichtung. Die durchgeführten Versuche geben einen Einblick und eine Datengrundlage für vorhandene lackschichtübergreifende Abhängigkeiten. Während den physikalischen und chemischen Trocknungsprozessen kommt es parallel zu Diffusionsprozessen. Komponenten des Klarlacks(Stammlack und Vernetzungsmittel) wandern in die Basislackschicht und umgekehrt. Diese Vorgänge können neben der Witterungsbeständigkeit der Beschichtung auch die Adhäsion zu Klebstoffen, sowie die mechanischen und optischen Eigenschaften verändern. Die Diffusion von Basislackadditiven an die Klarlack/Luft-Grenzfläche wurde intensiv für OEM-Systeme untersucht. Über den schichtübergreifenden Transport mobiler Bestandteile der Basislackformulierung in die Klarlackschicht ist wenig bekannt. Da die Basislackschicht im Lackierprozess erst nach Abdeckung mit einer hochvernetzenden Klarlackschicht gemeinsam ausgehärtet wird, ist der „Einschluss“ diverser(mobiler) Komponenten naheliegend. In dieser Studie wurde die Migration von Glykolethern aus der Basislackschicht in den Klarlack mit verschiedenen Methoden untersucht. Aus den FT-IR-Spektren von Basislack/Klarlack-Aufbauten wird dieser Diffusionsvorgang durch die Abnahme der Isocyanatbande verdeutlicht. Härtet die Klarlackschicht ohne einen Basislack aus, sind höhere Rest-Isocyanatkonzentrationen festzustellen. Gleichzeitig verändern sich die mechanischen und thermischen Eigenschaften der Klarlackschicht. Dies ist auf Wechselwirkungen zwischen hydroxyfunktionellen Basislackmolekülen und dem Isocyanat-basierenden Klarlackvernetzer zurückzuführen. Werden Stammlack-Härter-Wechselwirkungen effektiv durch Lösungsmittel-HärteroligomerWechsel­wirkungen ersetzt, fällt die Glasübergangstemperatur stark ab. Dies bestätigen DMA- und DSC-Messungen. Wird in einem Experiment die Reihenfolge der Lackapplikation umgekehrt(d. h. der Klarlack wird vor der Basislackapplikation ausgehärtet) ist zu erwarten, dass die Wechselwirkungen zwischen den Schichten minimiert werden. Gleiches gilt für ein vollständiges Trocknen der Basislackschicht vor der Klarlackapplikation. Die Ergebnisse zeigen, dass signifikante Unterschiede in der Basislack-Klarlack-Interaktion auftreten. Werden die Wechselwirkungsmöglichkeiten(zwischen Glykolethern der Basislackschicht und Klarlackvernetzermolekülen) auf die beschriebene Art und Weise ausgeschlossen, wird ein signifikant höherer T g der Klarlackschicht gemessen. Die Senkung der T g -Werte reflektiert den Eingriff der Basislacklösungsmittel. Die Oberflächeneigenschaften werden dadurch auf gleiche Weise verändert wie die dynamisch-mechanischen und thermischen Eigenschaften des Klarlacks. Dies beweisen Mikro­härtemessungen. 106 6. Die Anpassung des Stammlack-Härter-Verhältnisses(Klarlack) an den jeweiligen Basislack könnte eine Lösung darstellen. Durch die Basislack-abhängige Anpassung würden Unterschiede der Ober­ flächeneigenschaften minimiert. Für die Anwendung von Klebstoffen auf Multischichtlacksystemen, z. B. in der Fahrzeugendmontage, dient dieses Grundlagenwissen der Sicherstellung langzeitstabiler Verklebungen. Ursachen und Lösungsansätze für das Auftreten basislackabhängiger Haftbefunde waren bisher in den meisten Fällen nicht gegeben. Der Prüfaufwand kann mithilfe der beschriebenen KTL/Klarlack-Risikobewertung minimiert werden. In der Fahrzeugproduktion werden zunehmend flexible Montagelösungen benötigt. Insbesondere das Umsetzen struktureller Bauteilklebungen auf Lack wird durch den Trend zur Variantenoffensive im Automobilbau zunehmen[172]. 1K-PUR-Klebstoffe müssen weiterentwickelt werden, um auf hochvernetzten Lacksystemen Haftung zu erzielen. Aufbauend auf den beschriebenen Struktur-Eigenschaftsbeziehungen zwischen Klebstoff und Klarlackoberfläche werden neue Lösungswege gesucht und weitere Grundlagenversuche unternommen. Die hier gewonnenen Erkenntnisse haben die Klebstoffindustrie in die Lage versetzt, gezielt Formulierungen zu optimieren, welche auf schwer verklebbaren Lackoberflächen mit Polyurethanklebstoffen Haftung gewährleisten. Da neue Lackgenerationen( superhydrophobic coatings) immer weniger Haftgruppen zur Ankopplung eines Klebstoffes aufweisen, wird das grundlegende Verständnis der Haftmechanismen immer wichtiger[173]. Dies dient der Verbesserung von Klebstoffen, z. B. durch Integration neuer Haft­ additive. In diesem Zusammenhang fielen Klebsysteme auf Basis von silanterminierten Polymeren durch außerordentlich gute Hafteigenschaften auf, die als Klebstoffe oder auch als Haftvermittler(Silanaddukte in Aktivatoren) verwendet werden können. Silanterminierte Polymere stellen jedoch aufgrund des hohen Preises sowie des noch nicht ausreichenden mechanischen Eigenschaftsprofils bisher keine Alternative in Großserien der Automobilindustrie dar. Auch der Einsatz physikochemischer Oberflächenvorbehandlungsmethoden kann eine Lösung für schwer verklebbare Lackoberflächen sein. Verglichen mit lösungsmittelhaltigen Haftprimern stellt die Reduktion der Lösungsmittelbelastung einen großen Fortschritt für den Arbeits- und Umweltschutz dar. Der Einsatz neuer lösungsmittelfreier bzw. wasserbasierender Vorbehandlungsmethoden ist in Zukunft für das prozesssichere Kleben auf Klarlackoberflächen denkbar. Auch die vielen Vorteile der Enzymtechnologie könnten auf Klebanwendungen übertragen werden. Die intrinsische Klebstoffmodifikation durch ausgewählte Enzyme hat das Potenzial Klebungen auf hochvernetzten Klarlacksystemen ohne aufwendige Vorbehandlungsschritte umzusetzen. Passende Enzyme, die unter milden Bedingungen(Raumtemperatur) als Haftadditiv fungieren, müssen gefunden werden. 7.1 Materialien und Probenherstellung 107 7. Experimentelles 7.1 Materialien und Probenherstellung 7.1.1 Lackapplikation Die Untersuchungen wurden an etablierten Lackaufbauten durchgeführt. Im konventionellen Lackierprozess(KP), sowie im integrierten Lackierprozess(IP) wurden Multischicht-Lackproben aufgebaut. Neben den prozessspezifischen Einbrennparametern(Tabelle 7.1) zeigen sich die wesentlichen Unterschiede der Lackaufbauten des IP gegenüber KP im füllerlosen Zwischenschichtaufbau. Die Gesamtlackschichtdicke reduziert sich von ca. 100 µm beim KP auf 80 µm beim IP. Die Applikation der Lackaufbauten wurde praxisnah mit elektrostatischer Hochrotationszerstäubung durchgeführt. Als Substrat dienten Karosserieprüfbleche der Automobilindustrie aus zinkphosphatiertem Stahl. Das Mehrschichtsystem entspricht dem heutigen Stand der Technik. Bei den einzelnen Schichten handelt es sich im Einzelnen um Phosphatschicht, kathodische Tauchlackierung, Füller, Wasserbasislack(BC) und Klarlack(CC). Schicht Phosphat KTL Füller Basislack Klarlack Integrierter Lackierprozess Temperatur Haltezeit Schichtdicke [°C][min][µm] –– – 175 15 20 60 3 15 60 3 12–18* 140 22 40 Konventioneller Lackierprozess Temperatur Haltezeit Schichtdicke [°C][min][µm] –– – 175 15 20 70 5 155 22 30 60 3 13–19* 140 22 40 * dem BC-Farbton angepasst Tabelle 7.1: Einbrennbedingungen(Objekttemperatur und-haltezeit) der untersuchte Lackaufbauten­­des konventionellen und integrierten Prozesses. 7.1.2 Lackmaterialien Informationen über die Materialzusammensetzungen und Pigmentierung sind Tabelle 7.2 zu entnehmen. Bei dem untersuchten Klarlack CC1 handelt sich um ein 2K-Polyurethansystem(Acrylat/Melamin-Harz, Polyisocyanat); aktuelles OEM-Serienmaterial mit hoher Kratzfestigkeit. Die applizierten Basislacke basieren auf einem Polyester-Melamin-Bindemittel und unterscheiden sich hauptsächlich in der Lösungsmittelkomposition. Die in dieser Studie untersuchten Wasserbasislacke können in zwei Kategorien eingeteilt werden. Basislack PnP-BC wurde speziell für energieeffiziente, integrierte Lackierprozesse abgestimmt. Die Applikation des PnP-BC erfolgt demnach nass-in-nass. Die dafür benötigten Applikationseigenschaften, z. B. eine beschleunigte Ablüftzeit( flash off time), wurden hier exemplarisch über die Anpassung der eingesetzten Co-Lösungsmittel eingestellt. Weitere Aufgabe der Co-Lösungsmittel stellt die Steuerung der Verlaufs- und Benetzungseigenschaften dar. 108 7. 1-Propoxy-2-propanol(PnP) weist einen Siedebereich unterhalb der maximalen Einbrenntemperatur der Klarlackschicht auf und soll in dieser Studie für Basislacke der integrierten Prozesse dienen. Dem gegenüber ist BDG-BC für klassische Beschichtungsverfahren mit Fülleraufbau(vorgehärtete Füllerschicht) konzipiert, lässt sich jedoch auch mit der integrierten Methode verarbeiten. Typischerweise sind hier hochsiedende Co-Lösungsmittel(z. B. Butyldiglykol(BDG)) im Einsatz. Für alle untersuchten Lacksysteme wurde eine einheitliche Füllerschicht und KTL-Beschichtung verwendet. Um sowohl die Bulk- als auch die Oberflächeneigenschaften des Klarlacks(im Mehrschichtsystem) zu untersuchen, wurden zwei Probenserien analysiert. Zum einen wurde der beschriebene Komplettaufbau auf Stahltafeln betrachtet. Andererseits wurden freie Filme des Klarlacks sowie des Basislack/Klarlack-Verbunds hergestellt. Probe Firma Typ Zusammensetzung Festkörperanteil[%] Pigmentierung KTL Füller PnP-BC BDG-BC Klarlack BASF BASF BASF BASF BASF Catho­ guard 500 “WBL1” Uni Uni 2K Epoxidharz: Polyurethan Melamin: Polyester: Polyurethan Melamin: Polyester: Polyurethan Melamin: Polyester: Polyurethan Polyisocyanat/ Melamin: Acrylat ca. 20 – 22 22 45 – – Carbon black Carbon black – Tabelle 7.2: Spezifikationen der geprüften Lackmaterialien. Des Weiteren wurden Serien-Lackaufbauten für Prinzipversuche eingesetzt bzw. zur Bestätigung der erhaltenen Ergebnisse. Eine Zusammenstellung der verwendeten Serien-Lackmaterialien gibt Tabelle 7.3 wieder. Für die Füller- und Basislack-Beschichtungen wurden systemspezifische Materialien eingesetzt. Für die Klarlackbeschichtung kamen 2K-Klarlacke zum Einsatz. 7.1 Materialien und Probenherstellung 109 Basislacke Füller Schicht/ Abkürzung KTL BC silber­ BC schw. BC weiß BC rot CC1 CC2 CC3 CC4 Integrierter Lackierprozess Bezeichnung Cathoguard 500 MB 9706 MB 7195 MB 9153 MB 9761 MB 9696 MB 9650 MB 3589 2K Polyisocyanat/Melamin: Acrylat 2K Polyisocyanat/Silikat: Acrylat 2K Polyisocyanat: Acrylat/Keramik­ nanopartikel 2K Polyisocyanat: Acrylat Klarlacke Tabelle 7.3: Verwendete Lackmaterialien. Klassischer Lackierprozess Bezeichnung Cathoguard 500 MB 7746 Anthrazit MB MB 9775 MB 9040 MB 9650 MB 3590 2K Polyisocyanat/Melamin: Acrylat 2K Polyisocyanat/Silikat: Acrylat 2K Polyisocyanat: Acrylat/Keramik­ nanopartikel 2K Polyisocyanat: Acrylat 7.1.3 Klebstoffe Für die durchgeführten Haftprüfungen wurden exemplarisch die im Montagesektor gängigen Klebstoffsysteme für die Scheibendirektverglasung( direct glazing) ausgewählt. Hierbei handelt es sich um reaktive 1K-PUR-Klebstoffe mit einem E-Modul zwischen 0,5 und 3,5 MPa bzw. einem Isocyanatgehalt von 0,5–1,2 %(vgl. Tabelle 7.4). Alle Formulierungen sind in ihren Verarbeitungs- und Gebrauchseigenschaften auf die Scheibendirekteinglasung in der Fahrzeugendmontage eingestellt. Details zur Herstellung dieser Klebstofftypen, sowie deren Vernetzungsmechanismen sind in Kapitel 3.2.1.1 zu finden. Desweitern wurden Klebstoffe auf Basis der Silantechnologie(SMP-Klebstoffe) für die Anwendung auf Klarlackoberflächen geprüft(vgl. Tabelle 7.4). 110 7. Abkürzung PU1 PU2 PU3 PU4 PU5 PU6 PU7 PU8 SMP1 SMP2 SMP3 SMP4 SMP5 Firma Eftec Eftec Eftec Eftec Eftec Eftec Dow Sika Bostik Bostik Bostik Kömmerling Kömmerling Bezeichnung EFBOND M1 – KT1344 EFBOND M2 – KT1274 EFBOND M3 – KT1273 EFBOND DA217 EFBOND DA217 M1 EFBOND DA217 M2 Betamate 1948 Sikaflex DM6 ISR 70-12 ISR 70-05 ISR 70-03 Körapop 225 Körapop 223 Schubmodul* [MPa] 0,5–1,5 1,5–2,5 2,5–3,5 2,5–3,5 2,5–3,5 2,5–3,5 2,5–3,5 2,5–3,5 7 5,5 3,3 5 3 NCO-Konz.** [%] 0,5 0,8 1,2 <1 <1 <1 ~1 ~1 0 0 0 0 0 * Herstellerangaben ** berechnet, ausgehend vom titrimetrisch bestimmten NCO-Gehalts des Präpolymers Tabelle 7.4: Verwendete Klebstoffe und deren Kenndaten. 8.2 Geräte 8. Verwendete Chemikalien und Geräte 8.1 Chemikalien 111 Name Hersteller Abkürzung n- Heptan 2-Propanol Ethanol Tetrahydrofuran Diiodmethan Trifluoressigsäureanhydrid Essigsäureanhydrid Pentafluorbenzaldehyd Pentafluorphenylhydrazin N,N’- Di- tert-Butylcarbodiimid Butylglykol Butyldiglykol Pankreatin 1-Propoxy- 2-propanol Dipropylenglykol- n-butylether Ethylenglykolmonopropylether Ethylenglykol Destilliertes Wasser 1-Methoxy- 2-propanol Trifluormethansulfonsäure Sigma-Aldrich Aldrich Carl Roth Sigma-Aldrich Merck Merck Merck Aldrich Merck Aldrich Sigma-Aldrich Aldrich Merck Dow Dow Dow Sigma-Aldrich Hauseigenes Netz Sigma-Aldrich Merck IPA THF TFAA PFBA PFPH BG BDG PnP DPnB PropylCellosolve Tabelle 8.1: Verwendete Chemikalien(Lz.: Lieferzustand). Reinheit 99 % ≥ 98,7 % ≥ 98,7 % ≥ 99,9 % Zur Synthese Zur Synthese > 98 % > 98 % > 97 % 99 % ≥ 99% ≥ 99% Lz. ≥ 98,5% k.A. k.A. 99,8% Lz. 99,8% Zur Synthese 8.2 Geräte Die Messungen erfolgten mit folgenden Geräten und Messparametern. Infrarotspektroskopie Mittels ATR-IR-Spektroskopie wurden oberflächennah chemische Unterschiede im Klarlack in Abhängigkeit der verwendeten Basislackvarianten analysiert. Die FT-IR-Messungen wurden mit einem Thermo Nicolet IR100 FT-IR-Spektrometer durchgeführt. Dieses war mit einem Thunderdome-IRModul­­ausgestattet. Das Reflexionselement bestand aus einem Germanium-Kristall. 112 8. Chemikalien und Geräte Röntgenphotoelektronenspektroskopie Die Lackoberflächen wurden des Weiteren durch XPS-Messungen charakterisiert. Die XPS-Messungen wurden mit einem Gerät der Firma Thermo VG Scientific, Typ ESCALAB 250, durchgeführt. Für die Anregung wurde im Spektroskopie-Modus monochromatische Al K a Röntgenstrahlung verwendet (15 kV, 150 W, 500 μm Spotgröße). Um eindeutige Aussagen über die vorliegenden funktionellen Gruppen an der Oberfläche treffen zu können, wurden die Hydroxy- und Amin-Gruppen mit Trifluor­ essigsäureanhydrid(TFAA) bzw. 2,3,4,5,6-Pentafluorbenzaldehyd(PFBA) derivatisiert[89–91]. Die Proben wurden bei Raumtemperatur für 15 Minuten(TFAA) bzw. 60 Minuten(PFBA) dem jeweiligen Gas ausgesetzt. Da die untersuchten Probenoberflächen keine signifikanten Anteile an Stickstoff (≤ 5 At%) bzw. Amingruppen aufwiesen, werden hier Amingruppen bei der TFAA-Derivatisierung vernachlässigt. Das Derivatisieren von Carbonylgruppen erfolgte bei 60°C für 5 Stunden mit Pentafluorphenyl­ hydrazin in Ethanol(0,4 mL) mit N,N’-Di- tert-Butylcarbodiimid(0,3 mL). Die Reaktionen wurden unter gesättigten Bedingungen durchgeführt. Anschließend wurden alle Proben im Vakuum ausgegast, um eventuell nicht gebundenes Reagenz zu entfernen. Bei der Probenvorbereitung wurde darauf geachtet, dass die Topographie der Klarlack-Oberfläche durch den Labeling-Vorgang unverändert bleibt. Dynamische Differenzkalorimetrie Für die Bestimmung der Glasübergangstemperatur von ausgehärteten Klarlackschichten im Mehrschichtaufbau wurden Proben der Klarlackschicht vor der Messung durch Mikrotomschnitte vom Basislack separiert und mittels DSC analysiert. Ein Q2000(Fa. TA Instruments) Differenz-Kalorimeter mit einer Heiz- und Kühlrate von 10°C/min, Probengröße von 5 mg und einem Temperaturbereich von –50 bis 180°C wurde verwendet. Die angegebene Glasübergangstemperatur bezieht sich auf den Midpoint des zweiten Heizlaufes. Dynamisch-mechanische Analyse Die DMA-Messungen wurden an einem DMA Q800(Fa. TA Instruments) mit freien Lackfilmen bei 1 Hz durchgeführt. Bei den hier durchgeführten Messungen erfährt die Probe eine Temperaturrampe, im Temperaturbereich von –50°C bis 200°C mit einer Temperaturerhöhung von 2°C pro Minute. Wie in ASTM D 4065 vorgeschlagen, wurde das Maximum des Verlustmoduls zur Bestimmung der Glasübergangstemperatur gewählt[174]. Bestimmung der Oberflächenenergie Die Bestimmung des Kontaktwinkels erfolgte bei Normklima(23°C, 50 % r.F.) mit dem Kontaktwinkelmesssystem DSA100(Fa. Krüss)[175]. Das Software-gesteuerte Multidosiersystem war mit folgenden Testflüssigkeiten bestückt: Wasser, Diiodmethan und Ethylenglykol. Jeweils mind. fünf Tropfen je Testflüssigkeit wurden ausgewertet. Die Zeit zwischen Absetzen des Tropfens und der Messung betrug fünf Sekunden. Die Berechnung der Oberflächenenergie und ihrer dispersen sowie polaren Anteile erfolgte nach Owens-Wendt[176]. 8.2 Geräte 113 Dielektrische Analyse Mit einer DEA-230/1 Epsilon(Fa. Netzsch) und sogenannten IDEX-Sensoren(Elektrodenabstand 115 μm) wurden Unterschiede im Vernetzungsprozess des 2K-Klarlacks auf verschiedenen BC-Untergründen untersucht. Nach dem Homogenisieren der zwei flüssigen Komponenten Harz(Polyol und Additive) und Härter (Isocyanat) im stöchiometrischen Verhältnis von 3:1 wurde der Lack mittels Lackierpistole auf die mit dem Sensor bestückte Probe appliziert. Die nasse Gesamt-Lackschichtdicke der Proben betrug ca. 120 μm. Die Schichtdicken wurden im Vergleich zu dem Standardprozess erhöht um die Sensorfläche ausreichend zu bedecken. Der Sensor mit dem Lackfilm wurde nach einer Ablüftzeit von 7 Minuten bei Raumtemperatur in einen vorgeheizten Ofen gebracht. Schließlich wurde die Temperatur eine Stunde lang isotherm gehalten, um eine möglichst vollständige Aushärtung zu erreichen. Mikrohärtemessung nach Martens Die Messungen wurden nach 24 stündiger Konditionierung der Proben im Normklima(23°C, 50 % r.F.) durchgeführt. Die Martenshärte wurde am Fischerscope H100(Fa. Fischer) nach Norm DIN EN ISO 14577-2 ermittelt. Bei dem verwendeten Eindringkörper(MK 158) handelt es sich um eine gleichseitige Diamantpyramide nach Vickers mit einem Flächenwinkel von 136°. Diese Pyramide wird mit einer Prüfkraft von 50 mN für 30 Sekunden senkrecht in die Probe eingedrückt. Über das Verhältnis zwischen maximaler Prüfkraft und der Eindringfläche A s (abhängig von der Eindringtiefe h) wird die Martenshärte( HM) in N/mm 2 berechnet(Gleichung 8.1). HM= F max A s (h) (Gleichung 8.1) Die Messung wurde jeweils an zehn verschiedenen Messpunkten wiederholt. Durch die ermittelte Eindringtiefe, Geometrie des Diamanten und der eingesetzten Kraft kann die Härte des Werkstoffs bestimmt werden. Ein großer Vorteil der Martenshärte ist die Vergleichbarkeit zwischen unterschiedlichen Materialien. In dieser Arbeit konnten Beschichtungen mit sehr unterschiedlichen Härtegraden untersucht werden. Im Gegensatz zu anderen Härtebestimmungsverfahren, kann mit der Martenshärte stark differenziert werden und man erhält viele Informationen über das Material(z. B. Eindringmodul, plastischer Anteil). Besonders gut eignet sich die Martenshärte für Mehrschicht-Systeme und dünne Filme, da der Einfluss des Untergrundes erkannt und durch Wahl der Messparameter minimiert werden kann[177]. Chemikalienbeständigkeitsmessung mit der Gradientenofenmethode Der Temperaturbereich betrug 37–81°C und die Haltezeit 30 Minuten. Die angegebenen Ergebnisse wurden mit Schwefelsäure(1 %) als Prüfsubstanz durchgeführt. Die Beurteilung erfolgt 24 Stunden nach der Säurebelastung. Zur Bewertung wird die niedrigste Temperatur herangezogen bei der eine Schädigung der Lackoberfläche sichtbar wird. 114 8. Chemikalien und Geräte Zugfestigkeit freier Lackfilme Die mechanischen Eigenschaften freier Lackfilme wurden mit einer universal Zugprüfmaschine Zwick Z010(Fa. Zwick Roell) bestimmt. Dabei wurden freie Klarlackfilme, sowie BC/CC-Filme durch entsprechende Lackapplikation auf Polyethylenplatten hergestellt. Die Dicke und Breite der einzelnen Prüfkörper wird mittels Messschieber bestimmt und als Kenngrößen in der Auswertungssoftware hinterlegt. Länge, Breite und Dicke betragen 50 mm, 4 mm bzw. 30–40 µm. Die Zugprüfmaschine war mit einer 200 N Kraftmessdose ausgerüstet. Die Zugfestigkeit in N/mm 2 wurde an mindestens fünf Proben mit einer Dehnungsgeschwindigkeit von 1 mm/min gemessen. Die Vorkraft betrug 0,2 N. Rollenschälversuch des Klebverbunds Folgende Geräte- und Probeneigenschaften, sowie Prüfparameter wurden festgelegt: Zugprüfm­ aschine Zwick Z010(Fa. Zwick Roell); Kraftmessdose 200 N; Probenbreite 25 mm; Schällänge ca. 140 mm; Spaltmaß 2 mm; Abzugsgeschwindigkeit 100 mm/min; Vorkraft 0,01 N. Die Auswertung des Schälwiderstands erfolgte mit der Software testXpert II(Fa. Zwick Roell). Jeder Messwert wurde an mind. drei Proben ermittelt. Ermittlung der Zugscherfestigkeit des Klebeverbunds Folgende Geräte- und Probeneigenschaften, sowie Prüfparameter wurden festgelegt: Zugprüfmaschine Zwick Z010(Fa. Zwick Roell); Kraftmessdose 10 kN; Probenüberlappung 16 mm; Probenbreite 45 mm; Spaltmaß 2 mm; Prüfgeschwindigkeit 10 mm/min; Vorkraft 4 N. Die Auswertung der Zugscherfestigkeit erfolgte mit der Software testXpert II(Fa. Zwick Roell). Jeder Messwert wurde an mind. drei Proben ermittelt. Oberflächentopographie Um die Oberflächentopographien der zu klebenden Proben zu vergleichen, wurden zwei Methoden eingesetzt. Für die Untersuchungen wurde zum einen die Weißlicht-Konfokalmikroskopie eingesetzt. Dafür wurde das Messsystem MicroSpy Topo(Objektiv 50x CFM) der Firma FRT verwendet. Flächen von 356 × 267 μm mit einer vertikalen Auflösung von 2 nm und einer lateralen Auflösung von 0,46 μm wurden analysiert. Die mikroskopische Rauigkeit wurde darüber hinaus mittels eines Rasterkraftmikroskops(AFM) Dimension Icon der Firma Bruker gemessen. Das AFM war mit einem Nanoscope V Controller und dem Standard Cantilever-Halter ausgestattet; die Auswertung erfolgte mittels der Nanoscope Software Version 8.1. Alle Messungen wurden bei Raumtemperatur mit Standard HarmoniX HMXS-10 Probes (Fa. Veeco/Bruker Instruments) durchgeführt. Eine Fläche von 20 × 20 μm wurde dafür im tapping mode mit einer vertikalen Auflösung kleiner als 1 nm und einer lateralen Auflösung von 1 bis 5 nm gerastert. Darüber hinaus lieferte der HarmoniX-mode Informationen bezüglich der mechanischen Eigenschaften der Klarlackschicht. 8.2 Geräte 115 Gaschromatographie mit Massenspektrometrie-Kopplung(GC-MS) Die chemische Zusammensetzung der Basislacke wurde mittels GC-MS untersucht. Hierfür wurden je 300 mg Lack mit 10 mL Tetrahydrofuran versetzt, homogenisiert und die Festkörperbestandteile abzentrifugiert(5 Minuten mit 4.000 rpm, dann 10 Minuten mit 18.000 rpm). Die überstehende Lösung wurde anschließend direkt nach VDA278-VOC analysiert. Die GC-MS-Analysen wurden mit einem 6890 Series GC System(Fa. Agilent Technologies Deutschland GmbH) durchgeführt, kombiniert mit einem 5973 MSD(Massenselektiver Detektor, Fa. Agilent Technologies Deutschland GmbH). Die Injektion erfolgte mit einem Gerstel MPS Autosampler-System. Um die Vergleichbarkeit der Massenspektren zu gewährleisten, erfolgte eine Kalibrierung des GC-MS durch ein Kalibriermakro(Autotune). Folgende GC-Bedingungen wurden gewählt: Kalt-AufgabeSystem­(KAS-4, Fa. Gerstel); Kapillartrennsäule Ultra 2(5% Phenyl Methyl-Siloxan, 50 m × 0,32 mm i.D., 0,5 µm Filmdicke); Helium als Trägergas mit einer konstanten Flussrate von 1,3 mL/min; Temperaturprogramm: initiale Temperatur 40°C, 3/5/10°C-Erhöhung/min bis 92/160/280 °C, Endtemperatur 280°C, Gesamtzeit/Lauf 74,9 Minuten. Außerdem wurden folgende MS-Bedingungen gewählt: Scan-Modus; Elektronenstoßionisierung mit einer Ionisierungsenergie von 70 eV; 230°C Ionenquellentemperatur; 150°C Quadrupoltemperatur. Alle Verbindungen wurden durch Vergleich der MS-Spektren mit den Bibliotheksdaten(NIST, Wiley, sowie interne Datenbanken) identifiziert. Transelektronenmikroskopie(TEM) Bei der Transmissionselektronenmikroskopie( Transmission Electron Microscop y, TEM) wird die zu untersuchende Probe mit einem hochenergetischen Elektronenstrahl durchstrahlt. Die kleine Wellenlänge dieser Elektronen erlaubt die Darstellung kleinster Strukturen. Die Charakterisierung der Lackschichten, insbesondere mögliche Gradienten der chemischen Struktur(Si-Verteilung) über die Schichtdicke, wurde durch TEM-Aufnahmen realisiert(vgl. Abbildung 3.3). Dabei wurde die Probe mit einem 197-keV-Elektronenstrahl bestrahlt(Gerät: TEM Jeol2010). Zur Aufnahme der Bilder diente ein CCD-Imagesystem und die Analyse wurde mithilfe der Software DigitalMicrograph 3.9.1(Fa. Gatan Inc.) durchgeführt. Daten der analytischen Ausführung: Gatan imaging filter GIF Tridiem 863, slow-scan CCD-Camera(Model 794) von Fa. Gatan, Oxford Instruments EDX-System(Si/Li-Detektor). Zusätzlich kamen folgende Messvarianten zum Einsatz: • Element-Mapping von Kohlenstoff und Silizium mittels EFTEM(core-loss elemental maps, Sammelhalbwinkel – 13 mrad) • Elektronenenergieverlustspektroskopie(EELS)(Sammelhalbwinkel – 7,27 mrad, Beleuchtungshalbwinkel – 0,35÷0,45 mrad; Energieauflösung 1–1.1 eV(gemessen am Zero-loss Peak)): zur Quantifizierung des Siliziumgehalts in den Proben • Röntgenanalyse mittels EDS(EDX): Übersichtspektren von beiden Lacktypen, lokale Spektren von anorganischen Domänen bzw. Clustern von Nanopartikeln(zur halb-quantitativen Kontrolle des Siliziumgehalts) 116 8. Chemikalien und Geräte Physikalische und thermische Oberflächenvorbehandlung Klarlackoberflächen wurden mit den Methoden AD-Plasma, Beflammung und Corona-Entladung vorbehandelt. Folgende Geräte wurden eingesetzt: • AD-Plasma: Fa. Plasmatreat GmbH, Gerät-Nr. 163, Typ: FG1001 • Beflammungs-Anlage: Fa. Artotec, Modell Arcogas • Coronaentladung: Fa. Ahlbrandt System GmbH, Modell 3D Treater, Typ: 9401 Die jeweiligen Geräteeinstellungen zur optimalen Aktivierung sind Tabelle 8.2 zu entnehmen. Parameter AD-Plasma Beflammung Corona Abstand Düse-Oberfläche [mm] 20 100 Prozessgas Luft Propan/LuftGemisch: 2/50 Vorschubgeschwindigkeit des Probentisches [m/min] 3,3 bzw. 18(„sanft“) 3,3 Berechnete Verweilzeit [s/cm] 1,18 bzw. 0,033(„sanft“) 1,18 Sonstige Parameter • Spannung: 268–270 Volt • Stromstärke: 6,6 A • Frequenz: 50/60 Hz • Temperatur: 300–400°C 20 – 3,3 1,18 • Frequenz: 50 Hz • Generator­ leistung: 1 kW Tabelle 8.2: Angewandte Einstellungen der physikochemischen Vorbehandlungsmethoden und allgemeine Geräteeigenschaften. 9.1 Rollenschälversuche 9. Anhang 9.1 Rollenschälversuche 117 Lackaufbau Klebstoff PnP-BC/CC PnP-BC/CC PnP-BC/CC BDG-BC/CC BDG-BC/CC BDG-BC/CC PU1 PU1 PU1 PU2 PU2 PU2 PU3 PU3 PU3 PU1 PU1 PU1 PU2 PU2 PU2 PU3 PU3 PU3 Bruchbild/ adhäsiver Bruchanteil A100 A100 A100 A100 A99 A100 A100 A100 A100 A100 A100 A100 A0(LD) A0(LD) A0(LD) A0 A0 A0 Schälwiderstand [N/mm] 0,98 0,83 0,69 2,06 2,43 2,12 1,63 1,54 1,62 1,74 1,95 1,66 34,93 36,41 36,18 12,21 12,14 12,29 Mittelwert Schälwiderstand [N/mm] 0,83 2,28 1,60 1,78 35,84 12,22 Tabelle 9.1: Vergleich der Schälwiderstände ausgewählter BC/CC1-Proben mit den Klebstoffen PU1, PU2 und PU3. PU1 PU1 PU2 PU2 PU3 PU3 PU4 PU4 118 9.2 Farbtonunabhängige Prüfung der Haftung Klebstoffe Klarlack auf KTL KTL/CC CC1 PU1 PU2 PU3 PU4 1111 Komplettlackaufbau Integrierter Prozess PU1 PU2 PU3 PU4 Schwarz metallic 4 5 5 5 Schwarz uni 1121 Weiß 3444 Silber 1111 9. A n h a n g Komplettlackaufbau Konventioneller Prozess PU1 PU2 PU3 PU4 Schwarz metallic 5 5 5 5 Schwarz uni 4555 Weiß 5555 Silber 5554 Abbildung 9.1: Haftnoten ausgewählter PUR-Klebstoffe auf Klarlack CC1 nach integrierter und konventioneller Lackapplikation. Klebstoffe Klarlack auf KTL KTL/CC CC3 PU1 PU2 PU3 PU4 5555 Komplettlackaufbau Integrierter Prozess PU1 PU2 PU3 PU4 Schwarz metallic 5 5 5 5 Schwarz uni 5555 Weiß 5555 Silber 5555 Komplettlackaufbau Konventioneller Prozess PU1 PU2 PU3 PU4 Schwarz metallic 5 5 5 5 Schwarz uni 5555 Weiß 5555 Silber 5555 Abbildung 9.2: Haftnoten ausgewählter PUR-Klebstoffe auf Klarlack CC3 nach integrierter und konventioneller Lackapplikation. 9.3 Physikochemische Oberflächenvorbehandlung 9.3 Physikochemische Oberflächenvorbehandlung Offenzeit 30 Min 1 Tag 3 Tage 7 Tage 30 Tage Oberflächenenergie [mN/m] > 73 57,8 54,1 51,7 46,4 polarer Anteil [mN/m] 19,2 15,9 12,4 9,2 disperser Anteil [mN/m] 38,6 38,2 39,3 37,2 Tabelle 9.2: Ergebnisse der Kontaktwinkelmessung nach AD-Plasmabehandlung in Abhängigkeit­ der Offenzeit. Offenzeit 30 Min 1 Tag 3 Tage 7 Tage 30 Tage Oberflächenenergie [mN/m] 54,1 49,5 41,7 45,0 43,6 polarer Anteil [mN/m] 15,0 10,8 9,9 8,0 6,6 disperser Anteil [mN/m] 39,1 38,7 31,9 37,0 37,0 Tabelle 9.3: Ergebnisse der Kontaktwinkelmessung nach Beflammung in Abhängigkeit der Offenzeit. Offenzeit 30 Min 1 Tag 3 Tage 7 Tage 30 Tage Oberflächenenergie [mN/m] 43,2 34,6 35,7 38,7 39,4 polarer Anteil [mN/m] 4,3 1,9 0,8 3,0 1,2 disperser Anteil [mN/m] 38,9 32,7 34,9 36,7 38,3 Tabelle 9.4: Ergebnisse der Kontaktwinkelmessung nach Coronabehandlung in Abhängigkeit der Offenzeit. 119 120 9. Aktivierungsmethode AD-Plasma Beflammung Corona Vorteile • Partielle Aktivierung möglich, präzise­ • Lagerungsstabile Aktivierung/ Modifizierung der Oberfläche • Luft als Prozessgas • schnelle Vorschubgeschwindig­ keiten bzw. hohe Taktzeiten möglich­ • Gute Aktivierung/ Modifizierung der Oberfläche • Geringe Kosten an Prozessgasen (Luft und Butan oder Propan) • Großer Abstand zwischen Düse und Substrat: ≤ 100 mm • schnelle Vorschubgeschwindig­ keiten möglich; dadurch hohe Takt­zeiten möglich • Für große Flächen geeignet • Keine Prozessgase nötig • Für große Flächen geeignet Nachteile • Geringer Abstand zwischen Düse und Substrat nötig: ≤ 30 mm • Thermische Beanspruchung(kann durch Anpassen der Parameter minimiert werden) • Nur für kleinere Flächen geeignet • Thermische Beschädigung möglich • Arbeitssicherheit muss über Schutzvorrichtungen hergestellt werden • Inhomogene Behandlung der Oberfläche kann auftreten, da keine gezielte Steuerung der Entladung möglich ist • Gefahr eines Stromschlags • Beschädigungen können durch elektrische Entladung entstehen • Geringer Abstand zwischen Düse und Substrat nötig: ≤ 30 mm Tabelle 9.5: Vor- und Nachteile der Vorbehandlungsmethoden für die partielle Aktivierung von Klarlackoberflächen für Klebanwendungen. Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis 1K Einkomponentig 2K Zweikomponentig AD-Plasma Atmosphärendruck-Plasma AFM Rasterkraftmikroskopie( atomic force microscopy) Alu Aluminium ATR Abgeschwächte Totalreflexion( attenuated total reflection) BC Basislack( basecoat) BDG Butyldiglykol CC Klarlack( clearcoat) CFK Carbonfaserverstärkter Kunststoff DABCO 1,4-Diazabicyclo[2.2.2]octan DC Dangling Chain DEA Dielektrische Analyse DMA Dynamisch mechanische Analyse DPnB Dipropylenglykol- n-butylether DSC Dynamische Differenzkalorimetrie( Differential Scanning Calorimetry) E’ Speichermodul E’’ Verlustmodul EDS Elektrische Doppelschicht FT-IR Fourier-Transformations-Infrarotspektrometrie GC-MS Gaschromatographie mit Massenspektrometrie-Kopplung HM Härte nach Martens IDEX Implantable Dielectric Sensors IP Integrierter(Lackier-)Prozess IPDI 3-Isocyanatmethyl-3,5,5-trimethylcyclohexylisocyanat KP Konventioneller(Lackier-)Prozess KTL Kathodische Tauchlackierung LD Lackdelamination MDI Methylendiphenylisocyanate Min Minute(n) PFBA 2,3,4,5,6-Pentafluorbenzaldehyd PFPH Pentafluorphenylhydrazin PFPH Pentafluorphenylhydrazin pMDI Polymere Methylendiphenylisocyanate 121 122 Abkürzungsverzeichnis PnP PUR PVC PVD QM r.F. R z SMP STP t TDI TEM TFAA T g ToF-SIMS UV XPS 1-Propoxy-2-propanol Polyurethan Polyvinylchlorid Physikalische Gasphasenabscheidung( physical vapour deposition) Qualitätsmanagement Relative Feuchte gemittelte Rautiefe Silanmodifiziertes Polymer Silanterminiertes Polymer Zeit Toluoldiisocyanate Transelektronenmikroskopie Trifluoressigsäureanhydrid( Trifluoroacetic anhydride) Glasübergangstemperatur Sekundärionenmassenspektrometrie Ultraviolett Röntgenphotoelektronenspektroskopie ( X-ray photoelectron spectroscopy) Publikationen Publikationen 123 A. Daniel: Adhäsionsphänomene: Haftmechanismen auf lackierten Oberflächen. 5. Doktorandenmarktplatz, Sindelfingen, 29.01.2015.(Posterpräsentation) A. Daniel: Adhesion on Clearcoat – Influence of Basecoat Formulation. 11th Coatings Science International, Noordwijk/Netherlands, 25.06.2015.(Posterpräsentation) A. Daniel, Creativity Award, Coating Science International Conference, Noordwijk 2015. A. Daniel; G. Kranz; W. Bremser: Fügen in der Fahrzeugendmontage: Lackentwicklung und Kleben – ein Spannungsfeld? Adhäsion Kleben& Dichten, 05/2015.(Publikation) A. Daniel; G. Kranz; W. Bremser: Joining Processes in the Assembly Shop. Adhesion Adhesives& Sealants, 06/2015.(Publikation) A. Daniel.; G. Kranz; W. Bremser: Adhesive bonding to clearcoat in the automotive assembly shop: influence of basecoat formulation, Journal of Adhesion(eingereicht 10/2015).(Publikation) A. Daniel; W. Bremser: Lackinnovation und Kleben – Ein Spannungsfeld? Seminar Kleben und Dichten­ auf lackierten Oberflächen, Essen, 23.–24.03.2015.(Vortrag) Z. Zheng; A. Daniel; W. Yu; B. Weber; J. Ling; A.H.E. Müller: Rare-Earth Metal Cations Incorporated Silica Hybrid Nanoparticles Templated by Cylindrical Polymer Brushes, Chem. Mater. 25, 4585–4594(2013).(Publikation) 124 Literaturverzeichnis Literaturverzeichnis [1] E. Wistuba, Chemie in unserer Zeit 1980, 14(4), 124. [2] G. 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