Auf der Suche nach der gewonnenen Zeit: Aufmerksamkeit als Fehlerquelle in zeitlichen Urteilsaufgaben am Beispiel des Prior-Entry-Effekts Synopse zur Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie(Dr. phil.) der Fakultät für Kulturwissenschaften, Universität Paderborn vorgelegt von Dipl.-Psych. Katharina Weiß Erstgutachterin: Prof. Dr. Ingrid Scharlau Zweitgutachterin: Prof. Dr. Bettina Rolke Disputation: 29.10.2012 Neben der Synopse besteht die Dissertation aus folgenden, in Fachzeitschriften veröffentlichten, Artikeln: Weiß, K.,& Scharlau, I.(2011) Simultaneity and temporal order perception: Different sides of the same coin? Evidence from a visual prior entry study. The Quarterly Journal of Experimental Psychology, 64, 394-418. Weiß, K.,& Scharlau, I.(2012). At the mercy of prior entry: Prior entry induced by invisible primes is not susceptible to current intentions. Acta Psychologica, 139, 54-64. Weiß, K., Hilkenmeier, F.& Scharlau, I.(im Druck). Attention and the speed of information processing: Posterior entry for unattended stimuli instead of prior entry for attended stimuli. Plos One. E G AM jeder kennt es, aber die wenigsten denken je darüber nach. Die meisten Leute nehmen es einfach so hin und wundern sich kein bißchen darüber. Dieses Geheimnis ist die Zeit Ende, 1986, S. 57). 2 Inhaltsverzeichnis 1. Zeit und Zeitwahrnehmung................................................................................................................. 5 1.1 Die Dimension der Zeit.................................................................................................................. 5 1.2 Zeitliche Wahrnehmungseindrücke.............................................................................................. 8 1.2.1 Zwei Basiseinheiten der Zeitwahrnehmung das subjektive Jetzt und der perzeptuelle Moment........................................................................................................................................... 8 1.2.2 Wahrgenommene Gleichzeitigkeit....................................................................................... 11 1.2.3 Wahrnehmung zeitlicher Reihenfolge.................................................................................. 12 1.2.4 Wahrnehmung zeitlicher Dauer........................................................................................... 12 1.3 Wahrnehmung zeitlicher Reihenfolge und Gleichzeitigkeit in schnellen zeitlichen Folgen........ 14 1.3.1 Relevanz zeitlicher Fehler im menschlichen Alltag.............................................................. 14 1.3.2 Die Entdeckung zeitlicher Fehler in der Astronomie............................................................ 16 1.3.3 Das zeitliche Reihenfolgeurteil............................................................................................. 20 1.3.4 Das Gleichzeitigkeitsurteil.................................................................................................... 22 1.4 Modelle zur Wahrnehmung zeitlicher Reihenfolge und Gleichzeitigkeit.................................... 24 1.4.1 Das allgemeine Modell unabhängiger Kanäle...................................................................... 24 1.4.1.1 Die deterministische Entscheidungsregel......................................................................... 26 1.4.1.2 Der perzeptuelle Moment als Einschränkung des Entscheidungsmechanismus.............. 28 1.4.1.3 Ein Schwellenmodell des Entscheidungsmechanismus.................................................... 30 1.4.1.4 Angestoßene Aufmerksamkeitswechsel als Einschränkung des Entscheidungsmechanismus......................................................................................................... 32 1.4.1.5 Ein angestoßenes Aufmerksamkeitswechselmodell mit vier Zuständen.......................... 35 1.4.1.6 Modell eines periodischen Auswahlprozesses.................................................................. 37 1.4.1.7 Generelle Bemerkungen zum allgemeinen Modell unabhängiger Kanäle........................ 40 1.5 Das Zwei-Stufenmodell der Reihenfolgediskrimination.............................................................. 41 1.6 Modell zeitlicher Profile.............................................................................................................. 44 1.7 Zusammenfassung: Potentielle Fehlerquellen in Urteilen über schnelle zeitliche Folgen......... 46 2. Der Prior-Entry-Effekt Aufmerksamkeit als Fehlerquelle in zeitlichen Urteilen............................. 48 DG E ............................................................................................ 48 2.2 PLP als Spezialfall eines visuellen Prior-Entry-Paradigmas.......................................................... 54 3. Aufmerksamkeit als(primäre) Ursache des Prior-Entry-Effekts?..................................................... 58 3.1 Nicht-attentionale Alternativerklärungen des Prior-Entry-Effekts............................................. 58 3.2 Das Urteilsbias-Argument........................................................................................................... 60 3.3 Der Kriteriumsbias....................................................................................................................... 65 3 3.4 Das Gleichzeitigkeitsurteil als Lösung des Bias-Problems?......................................................... 69 3.5 In welchem Ausmaß lässt sich der Prior-Entry-Effekt bewusst kontrollieren?........................... 71 3.6 Ein sensorischer bzw. sensomotorischer Bias als Erklärung des Prior-Entry-Effekts?................ 72 4. Zeitliche Reihenfolge und Gleichzeitigkeit Kehrseiten ein und derselben Medaille?.................... 75 4.1 Erfassen Reihenfolge- und Gleichzeitigkeitsurteil die gleichen zugrundeliegenden Prozesse?. 75 4.2 Ist Wahrnehmung von Sukzession hinreichend für die Wahrnehmung zeitlicher Reihenfolge? 77 4.3 Vor-und Nachteile des mehrstufigen Reihenfolgeurteils............................................................ 88 5. Posterior-Entry anstatt Prior-Entry Evidenz für einen späteren Eintritt unbeachteter Reize........ 90 6. Allgemeine Diskussion....................................................................................................................... 97 7. Literaturverzeichnis......................................................................................................................... 101 8. Glossar............................................................................................................................................. 112 9. Anhang............................................................................................................................................. 113 Experiment 1: Evidenz für motorisches Priming im Prior-Entry-Paradigma................................... 113 10. Zusammenfassung der Dissertation auf Deutsch.......................................................................... 117 11. Artikel............................................................................................................................................ 127 4 1. Zeit und Zeitwahrnehmung 1.1 Die Dimension der Zeit kes time to think about its psychological dimensions remains stunned by its ubiquity, its omnipresence, and its boundless wonder(Grondin, 2008, S. xi). Die Dimension der Zeit ist seit jeher ein fundamentaler Bestandteil menschlichen, aber auch tierischen, Lebens und Erlebens. Dies wird u.a. in der Geschichte der Zeitmessung deutlich: Die Anfänge der Messung von Zeit reichen weit in die Menschheitsgeschichte, sogar bis in die Urgeschichte, zurück(für einen ausführlichen und gelungenen Überblick über die Geschichte der Zeit aus psychologischer Perspektive siehe Roeckelein, 2000, 2008). Menschen begannen Zeit anhand von natürlichen periodischen Abfolgen, wie etwa dem Mondzyklus, den Jahreszeiten, Tag und Nacht, einzuteilen und zu messen. Bereits in der Bronzezeit verfügten sie mit Artefakten, wie der Himmelsscheibe von Nebra, über eine Form des Kalenders, mit dessen Hilfe sich etwa Zeitpunkte von Aussaat und Ernte bestimmen ließen. Um natürliche Zeiteinheiten, wie Tag und Nacht, in noch kürzere Intervalle zu unterteilen, wurden seit der Antike bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts, neben Wasser- und Sanduhren, vor allem Sonnenuhren genutzt. Dies hatte zur Folge, dass Zeitmessungen nur einen sehr eingeschränkten Geltungsbereich besaßen. Jedes Dorf und jede Stadt verfügte über eine eigene spezifische Ortszeit(Zerubavel, 1982), da die lokale Sonnenzeit nicht für die geographische Position eines Ortes korrigiert ist. So betrug etwa die Zeitdifferenz zwischen den englischen Städten London und Bristol 10 Minuten. Erst die Expansion der Eisenbahn und das Fortschreiten der Industrialisierung machten eine Erweiterung des Geltungsbereichs gemessener Zeit erforderlich und führten zur Ablösung der auf der Sonnenuhr basierenden Ortszeit durch eine für eine ganze Zeitzone geltende Standardzeit. In Deutschland wurde eine einheitliche Standardzeit sogar erst nach der Gründung des deutschen Reiches 1871 eingeführt. Der Geltungsbereich von Zeitmessungen hat sich somit seit der Antike stark erweitert. Ebenso ist die Genauigkeit, mit der Menschen Zeit messen, seit den Anfängen der Zeitmessung in der Urgeschichte bis in die heutige Zeit 5 erheblich gestiegen. Moderne Atomuhren ermöglichen, Zeit mit einer Genauigkeit von bis zu 10 -17 Sekunden zu messen. Welch zentrale Bedeutung Zeit für das menschliche Leben hat, zeichnet sich aber nicht nur anhand des enormen Fortschritts im Bereich der Zeitmessung ab, sondern zeigt sich u.a. auch in der sprachlichen Rezeption des Zeitbegriffs, in der Vielzahl, der sich auf Zeit beziehenden Sprichwörter, Redensarten und anekdotischen Erzählungen. ")W etwas, G totgeschlagen, sie kann uns gestohlen werden oder wir können sie(zurück)-gewinnen. Viele dieser Sprichwörter beziehen sich nicht auf die objektiv messbare physikalische Dimension der Zeit die in allgemein bekannten und durch Konventionen festgelegten Termini wie Sekunden, Minuten, Stunden oder Tagen erfasst wird, sondern auf subjektiv von Menschen wahrgenommene Zeit. Ein chinesisches Sprichwort, das diesen Umstand sehr treffend illustriert, lautet Dem Wartenden scheinen Minuten Jahre zu sein Unserer Alltagserfahrung nach kriecht Zeit scheinbar nur so dahin, wenn sie mit langweiligen oder unerfreulichen Erfahrungen in Verbindung steht, wie etwa dem Warten auf den Zahnarzt. Auf der anderen Seite scheint sie dahinzufliegen, wenn sie mit angenehmen Erfahrungen verbracht wird, wie einem anregenden Gespräch(z.B. Bschor et al., 2004; Flaherty, 1999; Wittmann, Vollmer, Schweiger & Hiddemann, 2006). Beispielsweise nehmen depressive Patienten zeitliche Intervalle als subjektiv länger wahr, während manische Patienten diese als subjektiv kürzer erleben(Bschor et al.). Ebenso empfinden lebensbedrohlich erkrankte Krebspatienten, die sich in einem schlechteren emotionalen Zustand befinden als vergleichbare Patienten, subjektiv eine Ausdehnung von Zeit sie überschätzen die Dauer von Intervallen von dreizehn Minuten Länge(Wittmann et al.). Die Beziehung objektiver, physikalischer Zeit zu subjektiver, wahrgenommener Zeit ist der Gegenstand des Forschungsgebietes der Zeitwahrnehmung(für Überblicke vgl. Fraisse, 1957, 1963, 1984; Grondin, 2008). Bereits der Begriff Z eitwahrnehmung an sich ist streng genommen irreführend. Zum Einen suggeriert er, Zeit ließe sich in vergleichbarer Weise wie Reize aus anderen Sinnesmodalitäten wahrnehmen. Aber anders als etwa in der visuellen oder auditiven Modalität, 6 verfügen Menschen weder über spezifische Sinnesrezeptoren um Zeit wahrzunehmen noch über spezifische Hirnareale, in denen zeitliche Informationen verarbeitet werden(z.B. Pöppel, 2009; Van Wassenhove, 2009; Wackermann, 2007; Wittmann, 2009; Wittmann& Van Wassenhove, 2009; Zakay& Block, 1996). Zeit ist im physikalischen Sinne kein Reiz, der auf spezifische Sinnesrezeptoren trifft(z.B. Grondin, 2001); sie lässt sich vielmehr nur indirekt über die Abfolge von Ereignissen und Veränderungen(Fraisse, 1957, 1963, 1984) wahrnehmen (Gibson, 1975, S. 295). Dieser Umstand hat Ernst Pöppel sogar bewogen zu erklären: [ I [should] begin with event perception(Pöppel, 1978, S. 726). Zum anderen ist der Begriff Zeitwahrnehmung missverständlich, da er den Eindruck erweckt, dass es sich bei Zeitwahrnehmung um ein eng umgrenztes, homogenes Konstrukt handelt. Tatsächlich werden aber unter diesem Oberbegriff eine ganze Reihe zeitlicher Wahrnehmungseindrücke, zeitbezogener Erfahrungen subsummiert(z.B. Fraisse, 1984; Pöppel, 1978, 1997; Van Wassenhove, 2009), deren Beziehung zueinander umstritten ist(Eagleman, 2008; Grondin, 2001; Pöppel, 1978, 1997). So vertrat etwa Pöppel 1978 noch die Auffassung, die verschiedenen zeitlichen Wahrnehmungseindrücke seien voneinander unabhängig, während er später, 1997, eine hierarchische Beziehung annimmt(vgl. Pöppel, 1978, 1997). Eagleman hingegen sieht subjektive, wahrgenommene Zeit nicht als einheitliches Phänomen. Seiner Auffassung nach liegen zeitlichen Wahrnehmungseindrücken unterschiedliche neuronale Mechanismen zugrunde, die zwar in der Regel im Einklang miteinander arbeiten, dies aber nicht zwingend erfordern: I that duration, simultaneity, temporal order, flicker rate, and other judgments are underpinned by different mechanisms that normally concur but are not required to(Eagleman, 2008, S. 134). Auch in Bezug auf die Spanne abgedeckter Zeitbereiche stellt Zeitwahrnehmung alles andere als ein homogenes Konstrukt dar. Mit diesem Sammelbegriff wird ein Feld abgedeckt, das von mehreren bis hunderten von Millisekunden(z.B. Scharlau, Ansorge& Horstmann, 2006; Thomas& Weaver, 1975), über Sekunden und Minuten(z.B. Wittmann et al., 2006) bis zu Stunden, Tagen, Wochen und Jahren und Jahrzehnten reicht(z.B. Bushusi& Meck, 2005; Eagleman et al., 2005; Wallace& Rabin, 1960). Zu 7 den grundlegenden zeitlichen Erfahrungen, zeitlichen Wahrnehmungseindrücken, zählen(1) zeitliche Dauer,(2) zeitliche Reihenfolge,(3) Gleichzeitigkeit oder Sukzession,(4) Gegenwart bzw. das subjektive Jetzt,(5) Vergangenheit sowie(6) die Antizipation der Zukunft bzw. Planung zukünftiger Ereignisse und(7) zeitliche Kontinuität(z.B. Pöppel, 1978; Wittmann, 1999). Da sich meine empirischen Arbeiten auf einen sehr kurzen Zeitbereich von einigen bis zu mehreren hundert Millisekunden beziehen, werde ich im folgenden Abschnitt nur diejenigen der zeitlichen Wahrnehmungseindrücke ausführlicher darstellen, die auch für diesen Zeitbereich bedeutsam sind. 1.2 Zeitliche Wahrnehmungseindrücke 1.2.1 Zwei Basiseinheiten der Zeitwahrnehmung das subjektive Jetzt und der perzeptuelle Moment But the original paragon and prototype of all conceived times is the specious present, the short duration of which we are immediately and incessantly sensible J 1890, S. 631). Der Wahrnehmungseindruck der Gegenwart, des subjektiven Jetzt, ist unmittelbar für jeden Menschen erfahrbar(engl.: subjective present, aber auch psychological present, Fraisse, 1957, 1963; specious present, Clay, 1882; sensible present, James, 1890; mental present, Piéron, 1923; experienced moment, Wittmann, 2011). Er bezieht sich auf das zeitliche Intervall, innerhalb dessen ein Beobachter das Gefühl der Unmittelbarkeit, der Gegenwart, empfindet(z.B. Fraisse, 1984; James, 1890; Pöppel, 1978, 1997, 2009; Wittmann, 2011). Das subjektive Jetzt bildet gewissermaßen die breite Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft, die selbst nicht unmittelbar erfahren werden können, sondern erinnert bzw. antizipiert werden müssen. Im Gegensatz zum physikalischen Zeitpunkt des Jetzt, verfügt das subjektive Jetzt über zeitliche Ausdehnung, d.h. es ist von bestimmter Dauer: [] the practically cognized present is no knife-edge, but a saddle-back, with a certain breadth of its own on which we sit perched, and from which we look in two directions into time(James, 1890, S. 609). Dennoch wird dem subjektiven Jetzt keine feste Dauer zugeschrieben(Fraisse, 1984). Da seine Dauer oft als die Größe des Zeitfensters operationalisiert wird, innerhalb dessen Beobachter aufeinanderfolgende Ereignisse in eine einheitliche Erfahrung, einen einheitlichen 8 Wahrnehmungseindruck, integrieren können, wird die mittlere Dauer des subjektiven Jetzt auf zwischen zwei und drei Sekunden geschätzt, und in der Regel sollte sie fünf Sekunden nicht übersteigen(z.B. Fraisse, 1984; Pöppel, 1978, 1997, 2009; Wittmann, 2011). Als eine weitere der unmittelbaren menschlichen Erfahrung nicht zugängliche(Wittmann, 2011) kleinste Basiseinheit der Zeitwahrnehmung wird von vielen Forschern(z.B. Allport,1968; Pöppel, 1978, 1997,2004, 2009; Shallice, 1964; Sternberg& Knoll,1973, Modell 2, 3 und 5; Stroud, 1956, 1967; Wittmann, 2011) der perzeptuelle oder auch psychologische Moment 1 betrachtet; the least timewise element of psychological experience Stroud, 1956, S. 180). Die Idee des perzeptuellen Moments geht auf den deutsch-baltischen Naturforscher Karl Ernst von Bär zurück, der 1860/1862 als Erster die Idee von einem Grundmaass der Zeitwahrnehmung vertrat, einer kleinsten zeitlichen Einheit, die er als das Zeitintervall definierte, das Lebewesen benötigen, um sich einer Sinnesempfindung bewusst zu werden. IG E nämlich die Zeit, die wir brauchen um uns eines Eindrucks auf unsere Sinnesorgane bewusst zu werden (Von Bär, 1862, S. 21-22). Der zweite wichtige Beitrag von Bärs, in Bezug auf dieses G) ung, war der Gedanke, dass das gleiche physikalische Zeitintervall für unterschiedliche Menschen(oder auch Tiere) subjektiv unterschiedlich schnell vergehen kann. Dies impliziert, dass perzeptuelle Momente für unterschiedliche Individuen verschiedene Längen aufweisen können: das innere Leben eines Menschen oder Thieres[kann] in derselben äusseren Zeit rascher oder langsamer verlaufen[],[so] dass dieses innere Leben, das Grundmaas ist, mit welchem wir bei der B N) (Von Bär, 1862, S. 24). Stroud entwickelte diese Gedanken von Bärs zur Hypothese des psychologischen Moments weiter (z.B. Allport, 1968; Shallice, 1964; Stroud, 1956, 1967). Deren Grundgedanke ist es, dass Zeit, ganz im Gegensatz zum menschlichen Wahrnehmungseindruck und ihrer physikalischen Definition, nicht 1 Der perzeptuelle bzw. psychologische Moment wird von einigen Autoren auch als Zeitquantum oder zeitliche Integrationseinheit bezeichnet(z.B. Kristofferson, 1967; Pöppel, 1997, 2004, 2009). Wittmann(2011) bezeichnet ihn als funktionalen Moment. 9 kontinuierlich verläuft, sondern diskret ist, das heißt in verschiedene nicht überlappende Einheiten bestimmter Länge psychologische Momente eingeteilt werden kann: WT approximately ten moments of psychological time for every second of physical time, though there may be more; as many as twenty or less, as few as five. There are, of course, large periods of physical time for which there is no corresponding psychological time, when we are unconscious and when we are in deep sleep. A lifetime is roughly 20 billion moments(Stroud, 1967, S. 624). Da die Dauer eines perzeptuellen Moments meist als das Zeitintervall interpretiert wird innerhalb dessen die Reihenfolge zweier aufeinanderfolgender Reize nicht mehr sicher diskriminiert werden kann( Reihenfolgeschwelle), wird die Dauer eines perzeptuellen Moments in der Regel niedriger als die von Stroud vorgeschlagenen 100 ms, auf zwischen 20 ms bis 60 ms geschätzt(Hirsh& Sherrick, 1961; Kristofferson, 1967a,b; Pöppel, 1978, 1997, 2004, 2009; Wittmann, 2009). Die Dauer unterschiedlicher perzeptueller Momente muss hierbei nicht notwendigerweise gleich sein, sondern kann variieren(Ulrich, 1987). Obwohl ein perzeptueller Moment somit objektiv eine gewisse Dauer aufweist, sollte er nicht als dauerhaft wahrgenommen werden, da die Objekte innerhalb eines perzeptuellen Moments keine klare zeitliche Relation zueinander aufweisen(Wittmann, 2011). Die physiologische Basis perzeptueller Momente könnten neuronale Oszillationen, rhythmische Hirnaktivitäten, bilden(z.B. Kristofferson, 1967a, b; Pöppel, 1997, 2004, 2009; Wiener, 1958; Wittmann, 2011), innerhalb derer Informationen zeitlich und auch räumlich integriert werden: O unit within which temporally and spatially distributed information is linked and united. Such units or system states are independent of the exact temporal occurrence of input data being atemporal and thus, creating co-temporal zones(Pöppel, 2004, S. 298). Das theoretische Konstrukt des perzeptuellen Moments ist eng verbunden mit dem Wahrnehmungseindruck der Gleichzeitigkeit, da diese entsprechend der Theorien und Modelle des perzeptuellen Moments(z.B. Allport, 1968; Pöppel, 1997, 2004, 2009; Stroud, 1956, 1967; Ulrich, 1987; Wittmann, 2011) nur wahrgenommen werden sollte, wenn zwei Ereignisse innerhalb ein und desselben perzeptuellen Momentes zusammenfallen, und zeitliche Reihenfolge von Reizen nicht mehr diskriminiert werden kann: 10 It is assumed, that[...] all events w ithin a given sample[are] effectively simultaneous. The sample length thus becomes an irreducible unit or quantum, of subjective duration- the perceptual moment (Allport, 1968, S. 395). 1.2.2 Wahrgenommene Gleichzeitigkeit Wahrgenommene Gleichzeitigkeit von Ereignissen ist ihr zeitliches Zusammenfallen innerhalb ein und desselben Moments(Fraisse, 1957, 1963; Pöppel, 1978) respektive das Fehlen eines zeitlichen Intervalls zwischen ihnen. Innerhalb eines Moments geht Information über zeitliche Reihenfolge verloren, es können keine zeitlichen Relationen im Sinne eines Davor oder Danach zwischen den Ereignissen bestimmt werden(z.B. Allport, 1968; Fraisse, 1984; Pöppel, 1997, 2004, 2009; Stroud, 1956, 1967). Viele Theorien des perzeptuellen Moments gehen zudem davon aus, dass der Wahrnehmungseindruck Gleichzeitigkeit resultiert, wenn zwei oder mehr Ereignisse in ein und denselben perzeptuellen Moment fallen. Allport(1968) definiert die Dauer eines perzeptuellen Moments somit auch als die Spanne der subjektiven Gleichzeitigkeit. W Gleichzeitigkeit könnte unter bestimmten Voraussetzungen stark erschwert sein, etwa wenn Ereignisse nicht gleichzeitig beachtet werden können oder sie in unterschiedlichen Sinnesmodalitäten stattfinden(Fraisse, 1963): True perception of simultaneity cannot take place unless the stimuli can be integrated or unified so that we apprehend them together without having to divide our attention. Inversely, whenever unification is difficult, the perception of simultaneity is very unstable[] there is no actual perception of simultaneity for stimuli in different sense modalit F" -109). Dem Wahrnehmungseindruck Gleichzeitigkeit ist der der Sukzession, des Aufeinanderfolgens zweier Ereignisse, entgegengesetzt. Während ihre Wahrnehmung eine notwendige Bedingung ist um zeitliche Reihenfolge von Ereignissen wahrzunehmen, ist umstritten, ob die Wahrnehmung von Sukzession auch eine hinreichende Bedingung für die Wahrnehmung zeitlicher Reihenfolge ist(z.B. Allan, 1975b; Van Eijk, Kohlrausch, Juola& Van de Par, 2008; für eine ausführliche Diskussion dieser Fragestellung Abschnitt 4, Weiß& Scharlau, 2011). Subjektive Gleichzeitigkeit wird zumeist mit einer von zwei psychophysischen Urteilsaufgaben erfasst: dem Gleichzeitigkeitsurteil(Abschnitt 1.3.3) oder dem zeitlichen Reihenfolgeurteil(Abschnitt 1.3.4; siehe Van Eijk et al., für einen methodischen 11 Vergleich beider Paradigmen), welches allerdings nur eine indirekte Erfassung subjektiver Gleichzeitigkeit erlaubt. 1.2.3 Wahrnehmung zeitlicher Reihenfolge Die Erfahrung zeitlicher Reihenfolge setzt die Wahrnehmung zumindest zweier getrennt aufeinanderfolgender Ereignisse voraus(Wahrnehmungseindruck der Sukzession), die zusätzlich auch in eine zeitliche Sequenz gebracht werden können(z.B. Wackermann, 2007). Ist beispielsweise ein Sprinter gestartet, bevor der Startschuss zu hören war oder erst kurz danach? Wahrgenommene zeitliche Reihenfolge ist ein wesentlicher Faktor für die Bestimmung von Kausalität, da eine Ursache zeitlich vor ihrer Folge liegen muss(z.B. Buhushi& Meck, 2005; Van Wassenhove, 2009, S. 1819: The perception of order can hardly be dissociated from that of causality, the former being considered a necessary condition for the latter). So hängt beispielsweise die Beantwortung der Frage, ob der Fußball verantwortlich für die zerbrochene Scheibe ist, davon ab, ob ihr Klirren vor oder nach dem Abschuss des Balles zu hören war. Wahrnehmung zeitlicher Reihenfolge ist eng mit der Wahrnehmung von Dauer verbunden, da die Wahrnehmung zweier getrennter Ereignisse, auch die Wahrnehmung eines zeitlichen Intervalls zwischen ihnen voraussetzt(z.B. Fraisse, 1963, S. 10). 1.2.4 Wahrnehmung zeitlicher Dauer Die Erfahrung der Dauer bezieht sich auf das wahrgenommene zeitliche Intervall zwischen zwei spezifischen Ereignissen, etwa Blitz und Donner bei einem Gewitter. Dieses wahrgenommene Intervall kann sich hierbei ganz erheblich vom physikalischen Intervall zwischen zwei Ereignissen unterscheiden. Obwohl Blitz und Donner physikalisch gleichzeitig auftreten, nehmen Menschen beides in Abhängigkeit von ihrer Entfernung zu beiden Ereignissen meist als zwei separate Ereignisse wahr, bedingt durch unterschiedliche Ausbreitungsgeschwindigkeiten von Licht und Schall. Zeitliche Dauer ist der Erfahrung der Augenblicklichkeit entgegengesetzt(Fraisse, 1957, 1963, 1984). Unterhalb einer Schwelle, die je nach Sinnesmodalität verschieden ist, haben Reize keine wahrgenommene zeitliche Ausdehnung; Beispiele wären hier etwa ein kurzer Lichtblitz oder ein 12 Klick-Laut. Fraisse(1957, 1963) gibt als Schwelle zeitlicher Dauer 10 ms bis 20 ms für taktile und auditive Reize und 100 ms bis 120 ms für visuelle Reize an. Einige Autoren wie etwa Fraisse(1957, 1963, 1984), Pöppel(1978) oder Wackermann(2007) treffen eine Unterscheidung zwischen der W ahrnehmung von Dauer und ihrer Schätzung. Demnach findet Wahrnehmung von Dauer im eigentlichen Sinn nur in der unmittelbaren Gegenwart, dem subjektiven Jetzt, statt. Der Begriff Wahrnehmung von Dauer wird entsprechend nur auf einen sehr eingeschränkten Zeitbereich, für Zeitintervalle nicht größer als fünf Sekunden, angewendet(Fraisse, 1984; Pöppel, 1997, 2004, 2009). Für längere Zeitintervalle kann Dauer nur geschätzt werden, da diese nicht mehr in ihrer Gänze unmittelbar vom Beobachter wahrzunehmen sind. Auf Wahrnehmung und Schätzung von Dauer üben verschiedene situative Faktoren, wie Aufmerksamkeit (Brown, 1985), die Art der Schätzaufgabe(prospektiv vs. retrospektiv) oder die affektive Verfassung des Wahrnehmenden(Bschor et al., 2004, Wittmann et al., 2006), einen Einfluss aus. Wenn sich beispielsweise ein Beobachter selbst in der Situation(prospektive Schätzaufgabe) befindet, erscheint ihm ein objektiv gleicher Zeitraum erheblich länger, wenn er mit Warten anstatt mit einem anregenden Gespräch verbracht wird. Schätzt dieser Beobachter hingegen die Dauer des gleichen Intervalls retrospektiv ein, wird der mit Warten verbrachte Zeitraum als kürzer empfunden. Dieser Unterschied wird meist dadurch erklärt, dass für die retrospektive Schätzung von Dauer die Anzahl an Ereignissen innerhalb eines Zeitraums herangezogen wird, nicht aber für die prospektive Dauerschätzung(z.B. Grondin, 2010). Experimentell wird wahrgenommene Dauer daher auch mittels zweier verschiedener Aufgabentypen erfasst, dem prospektiven und dem retrospektiven Paradigma (für Überblicke zur Wahrnehmung zeitlicher Dauer siehe Allan, 1979; Fraisse, 1984; Grondin, 2001). Im prospektiven Paradigma sind die Versuchsteilnehmer vorab darüber informiert, dass sie ein zeitliches Urteil abgeben müssen, im retrospektiven Paradigma müssen sie ein solches Urteil ohne vorherige Information abgeben(z.B. Brown& Stubbs, 1988; Eisler, Eisler& Montgomery, 2004; Hicks, Miller,& Kinsbourne, 1976; Predebon, 1996). 13 Die aufgeführten zeitlichen Wahrnehmungseindrücke machen deutlich, welch weiten Bereich das Forschungsgebiet der Zeitwahrnehmung umfasst. Sie zeigen insbesondere, dass, obwohl in der Vergangenheit ein Schwerpunkt auf der Wahrnehmung und Schätzung zeitlicher Dauer lag(z.B. Allan, 1979; Brown, 1985; Grondin, 2001, 2008, 2010), Zeitwahrnehmungsforschung bei weitem nicht mit dieser gleichzusetzen ist; oder wie John Michon es sehr treffend formuliert hat: duration; it is not ev(Michon, 1990, S. 2.) 1.3 Wahrnehmung zeitlicher Reihenfolge und Gleichzeitigkeit in schnellen zeitlichen Folgen 1.3.1 Relevanz zeitlicher Fehler im menschlichen Alltag In seinem Standardwerk Psychologie du temps entwickelt Paul Fraisse die Idee, dass Menschen die ersten Hinweise auf die Existenz der Zeit aus der Erfahrung von Sukzession, der zeitlichen Abfolge von Ereignissen, erhielten: The birth of the notion of time is no doubt the result of the experience of successions, of which some are periodic and others not, of continuous and discontinuous changes, of interwoven renewals and relatively permanent states. This experience may even explain the world itself F S.1). Unabhängig davon, ob die Erfahrung von zeitlicher Folge Menschen nun tatsächlich die ersten Hinweise auf die Dimension der Zeit gab, ist die Betonung der Bedeutsamkeit dieser zeitlichen Erfahrung zweifelsohne berechtigt. Die Wahrnehmung von Sukzession und zeitlicher Reihenfolge insbesondere in einem sehr kurzen Zeitbereich von einigen bis zu mehreren hundert Millisekunden ist kritisch für weite Bereiche des menschlichen Lebens(Eagleman et al., 2005; Virsu, OksanenHennah, Vedenpää, Jaatinen, Lahti-Nuuttila, 2008): wie etwa Sprachwahrnehmung und-produktion (z.B. Swisher& Hirsh, 1972; Tallal& Piercy, 1973; Vatakis, Navarra, Soto-Faraco,& Spence, 2008; Vatakis& Spence, 2006; Von Steinbüchel, Wittmann, Strasburger& Szelag, 1999), die Bestimmung von Kausalität(z.B. Van Wassenhove, 2009), die Planung, Steuerung und Ausführung von Verhalten (z.B. Tanji, 2001). Um es auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, erfolgreiche Interaktion von Menschen mit ihrer Umwelt erfordert die Wahrnehmung von Sukzession und Reihenfolge in einem sehr kurzen Zeitbereich von einigen bis zu mehreren hundert Millisekunden. Dies zeigt sich etwa in der Vielzahl neuropsychologischer, entwicklungspsychologischer und auch psychischer 14 Störungsbilder, die mit Defiziten in der Wahrnehmung von schnellen zeitlichen Abfolgen, Sukzession und Gleichzeitigkeit einhergehen: Sprachbezogene Störungen wie D yslexie(z.B. Ja kowski& Rusiak, 2008; Liddle, Jackson, Rorden& Jackson, 2009; May, Williams& Dunlap, 1988; Rey, De Martino, Espesser& Habib, 2002; für einen allgemeinen Überblick von Zeitwahrnehmung und Dyslexie siehe Farmer& Klein, 1995) oder Aphasie(z.B. Efron, 1963; Swisher& Hirsh, 1972; Tallal& Piercy, 1973; Von Steinbüchel et al., 1999), psychische Störungen wie Schizophrenie(Brans, Tenckhoff& Tost, 2003), Autismus(Kwakye, Foss-Feig, Cascio, Stone& Wallace, 2011) oder die AufmerksamkeitsdefizitHyperaktivitätsstörung(Smith, Taylor, Rogers, Newman& Rubia, 2002) und neuropsychologische Störungen, die nach einseitigen Hirnschädigungen auftreten, wie Neglekt(Robertson, Mattingley, Rorden,& Driver, 1998) und visuelle Extinktion(Rorden, Mattingley, Karnath,& Driver, 1997). So können etwa Dyslektiker sowohl die Reihenfolge von sprachlichen Reizen(Phonemen: Rey et al., 2002) als auch einfachen nicht-sprachlichen visuellen Reizen(Ja kowski&Rusiak, 2008; Liddle, Jackson, Rordan& Jackson, 2009) schlechter diskriminieren. Autistische Kinder hingegen zeigen nur eine schlechtere Diskrimination zeitlicher Reihenfolge für auditive, nicht aber für visuelle Reize (Kwakye et al.). Einige Störungsbilder gehen zusätzlich zu einer schlechteren Diskrimination zeitlicher Reihenfolge auch noch mit zeitlichen Verzerrungen einher: So zeigen Patienten mit visueller Extinktion oder Neglekt zusätzlich zur schlechteren Reihenfolgediskrimination visueller Reize, eine zeitliche Verzerrung zu Gunsten ipsiläsionaler Reize. Kontraläsionale Reize müssen erheblich früher präsentiert werden als ipsiläsionale Reize, um als gleichzeitig mit diesen wahrgenommen zu werden, rund 200 ms bei visueller Extinktion(Rorden, Mattingley, Karnath,& Driver, 1997) und sogar rund 500 ms bei Neglekt(Robertson, Mattingley, Rorden& Driver, 1998). Da die aufgeführten Störungsbilder gravierende Schwierigkeiten in der Interaktion betroffener Menschen mit ihrer Umwelt verursachen, liegt die Vermutung nahe, eine im zeitlichen Sinne veridikale Wahrnehmung von Reihenfolge, Sukzession und Gleichzeitigkeit sei eine Voraussetzung erfolgreicher Interaktion zwischen Mensch und Umwelt. Nichtsdestotrotz finden sich Fehler in zeitlichen Urteilen über Reihenfolge, Sukzession und Gleichzeitigkeit nicht nur bei 15 Menschen mit psychologischen, neuropsychologischen oder psychiatrischen Störungen, sondern auch bei Gesunden, der Normalpopulation entstammenden Personen. Auch Gesunde vertauschen oftmals die Reihenfolge zweier schnell aufeinanderfolgender Reize(z.B. Hilkenmeier, Olivers& Scharlau, 2012; Hilkenmeier, Scharlau, Weiß& Olivers, 2012; Olivers, Hilkenmeier& Scharlau, 2011; Scharlau, 2007a; Sternberg& Knoll, 1973; Stone, 1926; Ulrich, 1987) oder nehmen zwei gleichzeitig präsentierte Reize als aufeinanderfolgend wahr. Die Frage nach dem Ursprung dieser Fehler in zeitlichen Urteilen ist sogar älter als die experimentelle Psychologie selbst und bis heute nur unzureichend beantwortet(Sternberg& Knoll, 1973; Ulrich, 1987). Ihre umfassende Beantwortung erscheint nichtsdestotrotz wünschenswert, da die Erklärung von Fehlern und Wahrnehmungstäuschungen einen fruchtbaren Ansatz darstellt, um die der menschlichen Wahrnehmung zugrundeliegenden Mechanismen zu identifizieren und zu verstehen(siehe Eagleman, 2001, für einen Überblick in der visuellen Modalität). Da Zeitwahrnehmungsprozesse wie andere Wahrnehmungsprozesse auch nicht direkt beobachtbar sind, sind es vor allem zeitliche Fehler und Wahrnehmungstäuschungen, die eine Entscheidung zwischen geeigneten und ungeeigneten theoretischen Modellen erlauben. Ein gutes theoretisches Modell zeitlicher Reihenfolge, Sukzession und Gleichzeitigkeit muss in der Lage sein, zeitliche Fehler, wie die Vertauschung der Reihenfolge, Wahrnehmung von Gleichzeitigkeit bei sukzessiven Reizen und die Wahrnehmung von Sukzession gleichzeitiger Reize, zu erklären. 1.3.2 Die Entdeckung zeitlicher Fehler in der Astronomie Die ersten Beobachtungen zeitlicher Fehler können wohl in der Astronomie verortet werden(Bessel, 1838; Mollon& Perkins, 1996; Sanford, 1888, 1889a, b). Im Jahre 1796 entließ der königliche Astronom Nevil Maskelyne seinen Assistenten David Kinnebrook, da dieser im Vergleich zu Maskelyne durchschnittlich eine Abweichung von 800 ms bei der Beurteilung des Zeitpunktes von Sterndurchgängen aufwies. Eine Abweichung von durchschnittlich 800 ms zwischen beiden Beobachtern war kritisch, da die geschätzte Genauigkeit des genutzten Messverfahrens der Augeund-Ohr Methode, dem damaligen Standardverfahren achtmal höher, bei 100 ms, lag. Um den 16 Zeitpunkt eines Sterndurchganges mit der Auge-und-Ohr-Methode zu schätzen, merkte sich der Beobachter die Position eines Sterns, die dieser mit dem letzten Sekundenschlag einer Uhr vor dem Kreuzen eines vertikalen Drahtes im Teleskop aufwies und die Position, die der Stern beim ersten Sekundenschlag nach dem Kreuzen des Drahtes aufwies. Aus dem erinnerten Abstand beider Positionen vom vertikalen Draht konnte nun der Zeitpunkt des Sterndurchganges auf das Zehntel einer Sekunde genau geschätzt werden(siehe Sanford, 1888, 1889a,b, für eine ausführliche Beschreibung der Auge-und-Ohr-Methode). Während Maskelyne die Abweichung zu seinem Assistenten auf dessen fehlerhafte Anwendung der Auge-und-Ohr-Methode zurückführte und den Vorfall lediglich in den Annalen des Greenwich Observatoriums dokumentierte, musste rund ein Vierteljahrhundert vergehen, bis der Königsberger Astronom Friedrich Wilhelm Bessel die theoretische Bedeutsamkeit der Abweichung zwischen Maskelyne und Kinnebrook erkannte. Bessel begann systematisch die Schätzung von Sterndurchgängen, mit der Auge-und-Ohr-Methode guttrainierter Astronomen zu vergleichen. Zu seinem Erstaunen entdeckte er, dass die zwischen Maskelyne und Kinebrook berichtete Abweichung, im Gegensatz zu den von ihm selbst gemessenen Abweichungen, noch vergleichsweise gering ausfiel. So betrug etwa die Abweichung zwischen Bessel selbst und dem Astronomen Struve im Jahr 1823 über eine Sekunde. Auch wiesen Abweichungen zwischen denselben Beobachtern keine Stabilität auf. Die Abweichung zwischen den Astronomen Bessel und Struve betrug 0,04 Sekunden im Jahre 1814, aber 0,8 Sekunden im Jahre 1821 und sogar 1,02 Sekunden im Jahr 1823(zitiert nach Exner, 1873). Als Folge der Untersuchungen Bessels wurden Abweichungen zwischen einzelnen Astronomen systematisch in sogenannten persönlichen Gleichungen erfasst(Sanford, 1888, 1889a, b). Die Entdeckung der persönlichen Gleichungen offenbarte, dass der Schätzung des Zeitpunktes eines Sterndurchganges mit der Auge-und Ohr Methode eine, oder, noch wahrscheinlicher, mehrere Fehlerquellen innewohnen mussten. Eine naheliegende, rasch erkannte Fehlerquelle bildet die schnellere neuronale Weiterleitung auditiver Reize im Vergleich zu visuellen Reizen. W AO" 17 G früher empfunden, als der Gesichtseindruck.(Exner, 1875, S.424). Die visuell wahrgenommene Position eines Sterns, die gleichzeitig mit einem auditiven Sekundenschlag wahrgenommen wird, kann somit nicht der tatsächlichen Position zum Sekundenschlag entsprechen. Eine weitere mögliche Ursache für Fehler in der Auge-und-Ohr-Methode bieten Gedächtnisprozesse, da Beobachter die anspruchsvolle Aufgabe haben, sich zwei räumliche Positionen eines Sterns, im Verhältnis zu einem Teleskopdraht zu merken. 2 Als weitere Einflussfaktoren auf die persönlichen Gleichungen wurden auch mangelnde Übung der Beobachter und Antizipation des Zeitpunkts des Sterndurchganges (Exner, 1873, 1875) vermutet. Diejenige Fehlerquelle aber, die bereits Ende des 19. Jahrhunderts als primäre Fehlerquelle der Auge-und-Ohr-Methode ausgemacht wurde, ist Aufmerksamkeit(z.B. Bessel, 1822; Exner, 1873, 1875; Sanford, 1888, 1889a, b). Unter der Prämisse, dass ein auditiver Reiz(Uhrschlag) und ein visueller Reiz(Position des Sterns) nicht gleichzeitig beachtet werden können, Aufmerksamkeit aber erforderlich ist, um einen Reiz bewusst wahrzunehmen(z.B. Neumann& Scharlau, 2007), bietet diese eine Erklärung für die Entstehung persönlicher Gleichungen. Ein Beobachter, der beispielsweise seine Aufmerksamkeit zu Beginn der Aufgabe auf den Uhrschlag gerichtet hat, sollte eine spätere Position des Sterns wahrnehmen als ein Beobachter, der seine Aufmerksamkeit auf die Position des Sterns gerichtet hat, da ein Aufmerksamkeitswechsel Zeit beansprucht. Laut Exner(1873) erklärte schon Bessel selbst die persönlichen Gleichungen mit Aufmerksamkeit: D E AO e nicht gleichzeitig die Aufmerksamkeit zugewendet werden, dieselbe brauche vielmehr eine gewisse Zeit, diese Eindrücke aufzufassen und diese zu vergleichen; diese Zeit sei bei verschiedenen Menschen verschieden, und daher kämen die persönlichen Differenzen(Exner, 1873, S.606). Auch Sanford(1889b, S. 408) machte Aufmerksamkeit als primäre Fehlerquelle für die persönlichen Gleichungen verantwortlich: it is the entrance of the new stimulus, and,[], the disturbance of 2 Dieses Problem versuchte man ab ca. 1850(Sanford, 1888), mit der sogenannten chronographischen Methode zu lösen. Der Beobachter musste hierbei eine Taste drücken, sobald der Stern den Draht kreuzte. Unglücklicherweise erkannten die damaligen Astronomen nicht, dass sie mit der Reaktion(Tastendruck) in der chronographischen Methode, eine weitere Fehlerquelle bezogen auf den objektiven Zeitpunkt des Sterndurchganges eingeführt hatten. Denn obwohl die chronographische Methode die relativen Abweichungen zwischen Beobachtern verringerte, sagt dies nichts über den absoluten Fehler in der Auge-und-Ohr-Methode aus. 18 attention thus produced that are really to blame Persönliche Gleichungen erlaubten zwar die relative Abweichung zwischen einzelnen Astronomen, wie etwa Bessel und Struve, zu bestimmen, allerdings war es nicht möglich, mit ihrer Hilfe die absolute Abweichung in Bezug auf den objektiven Zeitpunkt des Sterndurchganges zu erfassen. Hierzu wurden künstliche Sterne sich uniform mit einer bestimmten Geschwindigkeit bewegende Objekte(Mitchell, 1858) genutzt, deren objektiver Durchgangszeitpunkt eines künstlichen Meridians messbar war bzw. berechnet werden konnte. Aus dieser Methode entwickelte sich das sogenannte K omplikationsexperiment. Der Begriff Komplikation bezeichnet ein geistiges Ereignis, in das Prozesse aus mindestens zwei unterschiedlichen Sinnesorganen eingehen. In einem typischen Komplikationsexperiment mussten Beobachter die Bewegung eines rotierenden Zeigers beobachten und die Position angeben, die der Zeiger innehatte, als ein einmaliges Ereignis, etwa ein Ton, präsentiert wurde(z.B. Dunlap, 1910; Geiger, 1903; Tchisch, 1885; Wundt, 1887; Yoakum, 1916). Auch das Komplikationsexperiment erlaubte die Bestimmung absoluter zeitlicher Fehler. In der Regel ergab sich bei diesen Experimenten ein negativer Fehler. Das bedeutet, dass Beobachter eine Zeigerstellung, die zeitlich vor der Darbietung des Tones lag, als Zeigerposition bei Eintritt des Tones wahrnahmen. Dieser negative Zeitfehler wurde von Wilhelm Wundt Aufmerksamkeit zugeschrieben: D" UT sie beruhen auf der wechselnden Spannung der Aufmerksamkeit. Sobald die dem Haupteindruck zugewandte Spannung bis zu einer gewissen Grenze angewachsen ist, so vermag sie denselben, auch wenn er in Wirklichkeit etwas später erfolgt als der begleitende Reiz, dennoch gleichzeitig oder sogar früher in den Blickpunkt des Bewusstseins zu heben. Je größer die Aufmerksamkeit, umso bedeutender wird die Zeitdifferenz, die mit ihr überwunden wer(Wundt, 1887, S. 294). Diese Erklärung Wundts für den negativen Zeitfehler im Komplikationsexperiment und somit indirekt auch für die persönlichen Gleichungen wurde als Prior-Entry-Effekt bekannt und bereits 1908 von Titchener GA The stimulus for which we are predisposed requires less time than a like stimulus, for which we are unprepared, to produce its full conscious effect. Or, in popular terms, the object of attention comes to consciousness more quickly than the objects(Titchener, 1908, S. 251). Bevor ich jedoch ausführlicher auf Aufmerksamkeit, und damit auch Prior-Entry, als Erklärung für Fehler in zeitlichen Urteilen eingehe, werde ich mit dem zeitlichen Reihenfolgeurteil und dem 19 Gleichzeitigkeitsurteil zwei andere zur damaligen Zeit entstandene experimentelle Paradigmen darstellen. Beide Paradigmen haben gegenüber dem Komplikationsexperiment den Vorteil, dass sie keine Bewegungsartefakte enthalten. Zudem sind sie die am häufigsten genutzten experimentellen Paradigmen, um wahrgenommene zeitliche Reihenfolge, Sukzession und Gleichzeitigkeit zu erfassen. Anschließend werde ich unterschiedliche Modelle der Wahrnehmung zeitlicher Reihenfolge, Sukzession und Gleichzeitigkeit darstellen, um zu zeigen, wo diese Modelle den Ursprung von Fehlern in zeitlichen Urteilen verorten und somit einen systematischen Überblick über potentielle Fehlerquellen in diesen zeitlichen Urteilen bieten. 1.3.3 Das zeitliche Reihenfolgeurteil Beobachter beurteilen die Reihenfolge zweier schnell aufeinanderfolgender Zielreize. Das Urteilskri W beiden Reize B" Herdman, 1991; Van Eijk et al., 2008) W beiden Reize (z.B. Baylis, Simon, Baylis,& Rorden, 2002; Scharlau, 2004a, Experiment 3; Shore, Spence& Klein, 2001; Yates& Nicholls, 2009, 2011). Eine weitere Variante des zeitlichen Reihenfolgeurteils(engl. temporal order judgment, TOJ) besteht darin, Beobachter nicht die zeitliche Reihenfolge des Erscheinens eines Reizpaares, sondern des Verschwindens eines Reizpaares beurteilen zu lassen(z.B. Pastore, 1983; Rutschmann, 1973; Tandin, Lappin, Blake& Glasser, 2010). In der zumeist genutzten Konstanzmethode(engl. method of constant stimuli) wird das zeitliche Intervall zwischen beiden Zielreizen(Zielreizintervall) systematisch variiert; von zeitlichen Bedingungen, unter denen zeitliche Reihenfolge vergleichsweise einfach zu diskriminieren ist, bis hin zu zeitlichen Bedingungen, unter denen sie nur schwer oder nicht diskriminierbar ist etwa bei physikalischer Gleichzeitigkeit beider Zielreize. Einer der beiden Zielreize wird willkürlich als Vergleichsreiz(engl. comparison stimulus) definiert, etwa der Lichtblitz. Der andere Zielreiz, hier der Klicklaut, wird als Standardreiz(engl. standard stimulus) bezeichnet. Welcher der beiden Zielreize in einem Versuchsdurchgang zuerst präsentiert wird, wird üblicherweise durch das Vorzeichen des Zielreizintervalls angezeigt: Negative Zielreizintervalle stehen in der Regel für Versuchsdurchgänge, in denen der Vergleichsreiz dem 20 Standardreiz zeitlich vorausgeht. Um das zeitliche Reihenfolgeurteil auszuwerten, werden die Antworthäufigkeiten eines der beiden möglichen ` B" Abhängigkeit vom Zielreizintervall betrachtet(siehe Abb. 1). Theoretisch ergibt sich eine s-förmige Verteilung der Antworthäufigkeiten, da sich in den Randbereichen große Zielreizintervalle befinden, für die das Reihenfolgeurteil leicht sein sollte, während sich in der Mitte die kleineren Zielreizintervalle befinden, für die die Entscheidung weniger eindeutig ist. Die Antworthäufigkeiten werden daher mit einer s-förmigen Funktion approximiert(zumeist wird hierzu entweder eine kumulative Normalverteilung oder eine logistische Funktion(z.B. Finney, 1971) verwendet). Diese psychometrische Funktion kann durch zwei Parameter beschrieben werden: Zum einen durch den Punkt der subjektiven Gleichzeitigkeit(PSS, engl. point of subjective simultaneity) das zeitliche Intervall, für das beide Reihenfolgeurteile mit gleicher Häufigkeit gefällt werden und zum anderen durch ein Maß, das die Diskriminationsgenauigkeit des Reihenfolgeurteils beschreibt. Die hierfür verwendeten Maße sind entweder das Differenz Limen(DL), die Hälfte der Zielreizintervalldifferenz zwischen der 25- und 75-Prozentschwelle der psychometrischen Funktion, oder der eben merkliche Unterschied(engl. just noticible difference, JND), üblicherweise definiert als die 75-Prozent-Schwelle der psychometrischen Funktion 3 . Die zeitliche Diskriminationsleistung ist umso besser, je kleiner DL bzw. JND. 3 Die Unterscheidung zwischen DL und JND, als Maß für die zeitliche Diskriminationsgenauigkeit, wird nicht von allen Autoren getroffen; so bezeichnen etwa Spence und Parise(2010) das hier als DL vorgestellte Maß der zeitlichen Diskriminationsgenauigkeit ebenfalls als JND. 21 Abb. 1 zeigt ` D` V 1.3.4 Das Gleichzeitigkeitsurteil " I` H U" . Im Paradigma des Gleichzeitigkeitsurteils(englisch: simultaneity oder synchrony judgment, SJ) beurteilen die Beobachter, ob zwei schnell aufeinanderfolgende Reize gleichzeitig oder nicht gleichzeitig und somit in zeitlicher Sukzession dargeboten worden sind. Wie auch beim Reihenfolgeurteil, wird in der zumeist beim Gleichzeitigkeitsurteil genutzten Konstanzmethode, der zeitliche Abstand zwischen den Zielreizen systematisch variiert. Da Beobachter bei besonders kurzen zeitlichen Abständen zwischen den beiden Zielreizen aufgrund der größeren zeitlichen Unsicherheit V Zielreizintervalls(siehe Abb. 2). D A A Abständen, ergibt sich theoretisch , betrachtet als Funktion des U mit einer Form der Gaußverteilung approximiert. Auch im Gleichzeitigkeitsurteil werden als 22 Parameter der PSS hier operationalisiert, ) U häufigsten getroffen wird und als ein Maß für die Diskriminationsgenauigkeit des Gleichzeitigkeitsurteils, die Standardabweichung(SD), extrahiert. Seltener wird für das Gleichzeitigkeitsurteil die sogenannte Herstellungsmethode genutzt. Bei dieser Methode passen Beobachter das Zielreizintervall so an, dass sie den Wahrnehmungsein bzw. die geringste mögliche Asynchronie beider Zielreize wahrnehmen(Stelmach& Herdman, 1991, Experiment 5). Abb. 2 zeigt fiktive D F G ) U . Das Maximum der Gleichzeitigkeitsurteile(PSS) fällt mit physikalischer Gleichzeitigkeit zusammen. Mit größer werdendem Abstand zwischen den Zielreizen nimmt die Häufigkeit der Gleichzeitigkeitsurteile erwartungsgemäß ab. Sowohl das zeitliche Reihenfolgeurteil als auch das Gleichzeitigkeitsurteil wurden als zweistufige, binäre Paradigmen dargestellt. Einige Forscher übten methodische Kritik an diesen Aufgaben(z.B. 23 Scharlau, 2004a; Scharlau, et al., 2006; Ulrich, 1987; Van Eijk et al., 2008) und favorisieren mit dem ternären Reihenfolgeurteil eine Kombination aus Reihenfolge- und Gleichzeitigkeitsurteil, die insbesondere in jüngerer Zeit wieder verstärkt Verwendung findet(z.B. Efron, 1962; Scharlau, 2004a; Scharlau et al., 2006; Stone, 1926; Ulrich, 1987; Van Eijk et al., 2008; Zampini et al., 2007). Das ternäre Reihenfolgeurteil und seine methodischen Vor- und Nachteile werden unter Abschnitt 4.3 noch ausführlicher diskutiert. 1.4 Modelle zur Wahrnehmung zeitlicher Reihenfolge und Gleichzeitigkeit 1.4.1 Das allgemeine Modell unabhängiger Kanäle In ihrem wegbereitenden Aufsatz The perception of temporal order: Fundamental issues and a general model haben Saul Sternberg und Ronald L. Knoll 1973 ein Modell der Wahrnehmung zeitlicher Reihenfolge nahezu gleichzeitiger Reize entwickelt, das die meisten zum damaligen Zeitpunkt bestehenden Modelle(z.B. Baron, 1969; Gibbon & Rutschmann, 1969; Kristofferson, 1967a,b; Rutschmann & Link, 1964 ) als Spezialfälle unter dem Dach eines einzigen Modells, des allgemeinen Modells unabhängiger Kanäle, integriert. Daher werde ich mich auf die Darstellung dieses Modells beschränken und im Anschluss Modelle jüngeren Datums beschreiben, die über das Modell unabhängiger Kanäle hinausgehen, wie das Modell zeitlicher Profile von Stelmach und Herdman(1991) und das Zwei-Stufenmodell der Reihenfolgediskrimination von Ja kowski(1991). Im Modell unabhängiger Kanäle werden zwei potentielle Fehlerquellen postuliert, die zum einen die Diskriminationsgenauigkeit(z.B. DL, JND) eines zeitlichen Reihenfolgeurteils 4 einschränken und zum anderen eine Verschiebung des PSS bewirken können: Die(1) sensorischen Kanäle und der (2) Entscheidungsmechanismus.(1) Zwei Reize, die in unterschiedlichen sensorischen Kanälen dargeboten werden, können, aufgrund von Unterschieden in der Detektionszeit und/oder in der neuronalen Transmissionszeit, unterschiedliche Latenzen, bezogen auf ihre Ankunft an einem zentralen Entscheidungsmechanismus, aufweisen. So sollte etwa ein Klicklaut, der gleichzeitig mit 4 Das Modell unabhängiger Kanäle beschäftigt sich explizit nur mit Urteilen über zeitliche Reihenfolge, Aussagen über subjektive Gleichzeitigkeit werden aber an einigen Stellen implizit getroffen. 24 einem Lichtblitz dargeboten wird, aufgrund einer kürzeren neuronalen Transmissionszeit auditiver Reize, früher am zentralen Entscheidungsmechanismus eintreffen als der Lichtblitz. 5 Ist die Ankunftslatenzdifferenz für ein gegebenes Reizpaar konstant falls beispielsweise ein Klicklaut immer 20 ms schneller verarbeitet würde als ein Lichtblitz, kommen Reihenfolgefehler lediglich als Folge einer Verschiebung des PSS zustande. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass Ankunftslatenzen auch innerhalb eines sensorischen Kanals eine gewisse Varianz aufweisen. Diese Varianz der Ankunftslatenzen stellt eine Einschränkung der Diskriminationsgenauigkeit des zeitlichen Reihenfolgeurteils dar, da nun die Ankunftslatenzdifferenz für ein gegebenes Reizpaar nicht mehr konstant ist. Auch wenn es das gewählte Beispiel(Lichtblitz und Klicklaut) nahelegen mag, ist der Begriff sensorischer Kanal bei Sternberg und Knoll, nicht ausschließlich als sensorische Modalität zu interpretieren. Sternberg und Knoll haben eine präzise Definition des Begriffs sensorischer Kanal bewusst offen gelassen, um die Anwendungsfälle ihres Modells nicht zu weit einzuschränken. Der Begriff sollte bei Sternberg und Knoll im Sinne eines Platzhalters verstanden werden, dessen Platz zwar eine sensorische Modalität ausfüllen kann, der aber auch unterschiedliche Orte, attributspezifische Verarbeitungsmechanismen(z.B. Fujisaki& Nishida, 2010; Zeki, 1993) oder Vergleichbares, symbolisieren könnte. Eine wichtige Einschränkung machen Sternberg und Knoll allerdings für die Definition sensorischer Kanäle: Die Ankunftslatenzen 6 zweier sensorischer Kanäle müssen unabhängig voneinander sein. Dies bedeutet, dass Veränderungen in einem sensorischen Kanal, keinen Einfluss auf Ereignisse in einem anderen sensorischen Kanal haben. Dieser Definition entsprechend stellen etwa die visuelle und die auditive Modalität nur dann separate sensorische Kanäle dar, wenn die Verminderung der Intensität des auditiven Reizes keinen Einfluss auf die Ankunftslatenz des visuellen Reizes hat. 5 In Abhängigkeit von Dauer und Intensität der Reize, kann allerdings auch die Transmissionszeit eines visuellen Reizes kürzer sein(z.B. Boenke et al. 2009) 6 Da Sternberg und Knoll annehmen, dass die Ankunftslatenzen innerhalb eines sensorischen Kanals variieren, ist die Ankunftslatenz eines sensorischen Kanals als Zufallsvariable zu verstehen, deren Werte um einen Mittelwert variieren. 25 (2) Der zentrale Entscheidungsmechanismus übersetzt entsprechend einer bestimmten Entscheidungsregel die Ankunftszeit differenz zweier Reize in ein zeitliches Reihenfolgeurteil. Der zentrale Entscheidungsmechanismus ist als kognitiver Prozess zu verstehen, der Reize aus unterschiedlichen sensorischen Kanälen verarbeitet. Dieser Prozess ist jedoch nicht notwendigerweise an einem bestimmten Ort im Gehirn lokalisiert. Als empirische Belege für die Existenz eines zentralen Entscheidungsmechanismus, führen Sternberg und Knoll u.a. an, dass Hirsh und Sherrick(1961) für Reizpaare aus verschiedenen Modalitäten, eine Diskriminationsgenauigkeit zeitlicher Reihenfolge von ungefähr 18 ms fanden. Da sich die Ankunftszeiten der Reize am zentralen Entscheidungsmechanismus aus ihrer Präsentationszeit und ihrer durch den sensorischen Kanal spezifizierten Ankunftslatenz zusammensetzen, fließt indirekt auch die Ankunftslatenzdifferenz in die Reihenfolgeentscheidung ein. Im folgenden Abschnitt werde ich verschiedene Entscheidungsregeln, die als Spezialfälle des Modells unabhängiger Kanäle betrachtet werden können, und ihre Konsequenzen für das zeitliche Reihenfolgeurteil, darstellen. 1.4.1.1 Die deterministische Entscheidungsregel Die wohl einfachste Form, wie ein zentraler Entscheidungsmechanismus über die zeitliche Reihenfolge zweier Reize entscheiden könnte, entspricht einer deterministischen Entscheidungsregel. Wenn Reizsignal A vor Reizsignal B am Entscheidungsmechanismus eintrifft, lautet das Urteil in allen F`A Trifft Reizsignal B vor Reizsignal A U F`B D Größe der Ankunftszeitdifferenz zwischen Reizsignal A und B hat keinen Einfluss auf das Reihenfolgeurteil. Dies bedeutet, unabhängig davon, ob die Ankunftszeitdifferenz zwischen Reizsignal A und B eine Sekunde oder eine Millisekunde beträgt: Die zeitliche Reihenfolge wird immer perfekt detektiert. Betrachtet man die Wahrscheinlichkeit eines der beiden möglichen Reihenfolgeurteile in Abhängigkeit von der Ankunftszeitdifferenz( Entscheidungsfunktion), ergibt sich daher eine Stufenfunktion(siehe Abb. 3a). Fehler im zeitlichen Reihenfolgeurteil können nur durch Ankunftslatenzdifferenzen zwischen den sensorischen Kanälen zustande kommen. 26 So widerspricht die Alltagsbeobachtung, dass ein Blitz in der Regel zu sehen ist, bevor der zugehörige Donner zu hören ist, nicht der deterministischen Entscheidungsregel, da die höhere Ausbreitungsgeschwindigkeit von Licht meist zu einer deutlich verkürzten Ankunftslatenz des Blitzes, im Vergleich zum Donner, führt. Daher trifft der Donner mit einer zeitlichen Verzögerung am zentralen Entscheidungsmechanismus ein, obwohl Blitz und Donner physikalisch gleichzeitig auftreten. Die Reihenfolge der Ankunft beider Reize wird von der deterministischen Entscheidungsregel perfekt detektiert. Die für den Einzelfall resultierende psychometrische Funktion ist identisch mit der Verteilungsfunktion der Ankunftslatenzdifferenzen beider Kanäle. Wenn also ein Blitz, bei gleichbleibender Entfernung vom Beobachter, immer genau eine Sekunde vor dem Donner am Entscheidungsmechanismus einträfe, wäre die resultierende psychometrische Funktion eine um eine Sekunde verschobene Stufenfunktion. Träfe der Blitz hingegen nur im Mittel eine Sekunde früher am Entscheidungsmechanismus ein, wäre die resultierende psychometrische Funktion ebenfalls um eine Sekunde verschoben; allerdings wäre die Diskriminationsgenauigkeit schlechter als bei einer Stufenfunktion. Die deterministische Entscheidungsregel findet sich beispielsweise in folgenden Modellen wieder: Baron(1969), Gibbon und Rutschmann(1969) sowie Rutschmann und Link(1964). Z usammenfassung: Die deterministische Entscheidungsregel macht ausschließlich Ankunftslatenzdifferenzen zwischen den sensorischen Kanälen periphere Mechanismen für Fehler im zeitlichen Reihenfolgeurteil verantwortlich. Über den Wahrnehmungseindruck Gleichzeitigkeit trifft die deterministische Entscheidungsregel explizit keine Annahme. Man könnte sogar argumentieren, dass die deterministische Entscheidungsregel den Wahrnehmungseindruck Gleichzeitigkeit ausschließt. Unabhängig von der Größe der Ankunftszeitdifferenz zweier Reizsignale am zentralen Entscheidungsmechanismus wird ihre Reihenfolge immer mit hundertprozentiger Sicherheit detektiert. Auch eine unendliche kleine Ankunftszeitdifferenz wird somit von der deterministischen Entscheidungsregel sicher detektiert. Der Wahrnehmungseindruck Gleichzeitigkeit könnte somit allenfalls durch einen separaten Mechanismus entstehen, der Reizpaare als gleichzeitig 27 identifizieren müsste, für die mit der deterministischen Entscheidungsregel eine zeitliche Reihenfolge detektiert werden kann. Abb. 3a zeigt die deterministische Entscheidungsfu D` Reiz B vor A wird nie getroffen, wenn die Ankunftszeitdifferenz(Ankunftszeit Reiz A)-(Ankunftszeit Reiz B) negativ ausfällt, d.h. Reiz A zuerst eingetroffen ist. Wenn diese Ankunftszeitdifferenz positiv ausfällt, wird ` Reiz B ` A immer getroffen. 1.4.1.2 Der perzeptuelle Moment als Einschränkung des Entscheidungsmechanismus Wenn psychologische Zeit, wie in der Theorie des perzeptuellen Moments(z.B. Allport, 1968; Shallice, 1964; Stroud, 1956, 1967) angenommen, eine Abfolge nicht überlappender, diskreter Intervalle perzeptueller Momente ist, stellt dies eine Einschränkung für die Genauigkeit des zentralen Entscheidungsmechanismus dar. Sternberg und Knoll treffen für ihre Entscheidungsregel die Zusatzannahme, dass alle perzeptuellen Momente die gleiche Größe aufweisen. 7 Fallen die Ankunftszeiten zweier Reizsignale am zentralen Entscheidungsmechanismus in unterschiedliche Momente, wird ihre zeitliche Reihenfolge immer korrekt diskriminiert. Anderenfalls, wenn beide Reizsignale in ein und demselben Moment eintreffen, geht die Information über die Reihenfolge ihres Eintreffens verloren. Folglich kann zeitliche Reihenfolge unter diesen Bedingungen nicht diskriminiert werden, und beide möglichen Reihenfolgeurteile sind gleich wahrscheinlich. Viele 7 Diese Zusatzannahme wird von Autoren aus jüngerer Zeit meist nicht geteilt. So konzipiert etwa Ulrich(1987) die Größe eines perzeptuellen Moments als normalverteilte Zufallsvariable. 28 Vertreter der Hypothese des perzeptuellen Moments nehmen weiterhin an, dass zwei Reizsignale, die innerhalb eines perzeptuellen Moments am zentralen Entscheidungsmechanismus eintreffen, subjektiv als gleichzeitig wahrgenommen werden(z.B. Allport, 1968; Stroud, 1956, 1967; Ulrich, 1987). Ob zwei Reizsignale in unterschiedliche Momente fallen, ist abhängig von der Phase, in der sie bezogen auf die Abfolge der perzeptuellen Momente am zentralen Entscheidungsmechanismus eintreffen. Die Wahrscheinlichkeit, dass beide Reizsignale innerhalb unterschiedlicher Momente eintreffen, erhöht sich linear mit wachsender Ankunftszeitdifferenz zwischen beiden Reizen. Überschreitet die Ankunftszeitdifferenz die Dauer eines perzeptuellen Moments, kann zeitliche Reihenfolge immer diskriminiert werden, unabhängig von der Phase in der die Signale eintreffen. Die Entscheidungsfunktion entspricht somit einer linearen Funktion, die symmetrisch um die Ankunftszeitdifferenz Null ist(siehe Abb. 3b). Z usammenfassung: Die Entscheidungsregel des perzeptuellen Moments macht den Entscheidungsmechanismus und indirekt auch die sensorischen Kanäle für Fehler im zeitlichen Reihenfolgeurteil verantwortlich, da zeitliche Reihenfolge nur diskriminiert werden kann, wenn beide Reizsignale am Entscheidungsmechanismus zu unterschiedlichen Momenten eintreffen. Auch wenn Sternberg und Knoll dies nicht explizit annehmen, gehen Vertreter der Theorie des perzeptuellen Moments in der Regel davon aus, dass innerhalb eines perzeptuellen Moments nicht nur die Information über die zeitliche Reihenfolge verloren geht, sondern dass in diesem Fall auch der subjektive Wahrnehmungseindruck Gleichzeitigkeit resultiert. 29 Abb. 3b zeigt die Entscheidungsregel des perzeptuellen Moments. Ist der Betrag der Ankunftszeitdifferenz (Ankunftszeit Reiz A)-(Ankunftszeit Reiz B) größer als die Dauer eines perzeptuellen Moments, wird die Ankunftszeitreihenfolge immer perfekt detektiert, da die Reizsignale immer in unterschiedliche perzeptuelle Momente fallen. Ist die Ankunftszeitdifferenz jedoch kleiner als die Dauer eines perzeptuellen Moments, hängt es von der Phase ab, in der die Reizsignale, bezogen auf die Abfolge der perzeptuellen Momente, eintreffen, ob zeitliche Reihenfolge detektiert werden kann oder nicht(wahrgenommene Gleichzeitigkeit). Die Funktion ist symmetrisch um Null, da die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Reizsignale in unterschiedliche Momente fallen, mit kleiner werdender Ankunftszeitdifferenz sinkt. 1.4.1.3 Ein Schwellenmodell des Entscheidungsmechanismus Im Schwellenmodell wird die Genauigkeit des Entscheidungsmechanismus durch einen Schwellenwert eingeschränkt. Fällt die Ankunftszeitdifferenz zweier Reize unter einen bestimmten Schwellenwert, kann deren zeitliche Reihenfolge nicht mehr diskriminiert werden, und beide Reihenfolgeurteile sind gleichwahrscheinlich. Einige Autoren(z.B. Baron, 1971; Ulrich, 1987) nehmen an, dass Beobachter unter diesen Bedingungen Gleichzeitigkeit wahrnehmen. Sternberg und Knoll treffen diese Zusatzannahme nicht. Sie argumentieren, dass unter Bedingungen bei denen zeitliche Reihenfolge nicht diskriminiert werden kann, beide Reize als gleichzeitig wahrgenommen werden können, aber nicht notwendigerweise als gleichzeitig wahrgenommen werden müssen. 8 Die Größe 8 In einer komplexeren Variante des Schwellenmodells wäre es auch möglich, dass für beide möglichen Reihenfolgeurteile unterschiedliche Schwellenwerte existieren(z.B. Ulrich, 1987): So könnte etwa die ``A`B A ``B`A" D A nnahme, dass für beide möglichen Reihenfolgeurteile unterschiedliche Schwellenwerte existieren könnten, wird beispielsweise durch Befunde mit audiovisuellen Reizpaaren gestützt. Beobachter weisen eine höhere Sensitivität für die Reihenfolge audio-visuell als für die Reihenfolge visuell-audio auf(z.B. Van Eijk et al. 2008, 2009). 30 dieses Schwellenwertes muss über mehrere Durchgänge nicht konstant sein(z.B. Ulrich, 1987). Ist die Ankunftszeitdifferenz größer als der Schwellenwert, wird die zeitliche Reihenfolge immer diskriminiert. Eine vergleichbare Entscheidungsregel wurde etwa von Baron(1971) angenommen. Der beschriebene Schwellenwert kann auch im Sinne eines perzeptuellen Moments interpretiert werden, dessen Beginn durch die Ankunft des ersten Signals angestoßen wird(z.B. Oatley, Robertson & Scanlan, 1969; Venables, 1960). Abb. 3c zeigt die Entscheidungsfunktion eines Schwellenmodells. Ist der Betrag der Ankunftszeitdifferenz, (Ankunftszeit Reiz A)-(Ankunftszeit Reiz B), größer als der Schwellenwert, kann die Reihenfolge der Ankunftszeiten immer korrekt detektiert werden. Ist die Ankunftszeitdifferenz hingegen kleiner als der Schwellenwert, kann die zeitliche Reihenfolge nie detektiert werden. Beide möglichen Reihenfolgeurteile sind somit gleichwahrscheinlich. Einige Autoren(Baron, 1971; Ulrich, 1987) nehmen an, dass in diesem Fall der Wahrnehmungseindruck Gleichzeitigkeit resultiert. Z usammenfassung: Wie auch die Entscheidungsregel des perzeptuellen Moments, nimmt auch das Schwellenmodell Fehlerquellen sowohl in den sensorischen Kanälen als auch im Entscheidungsmechanismus an. Da unterhalb eines Schwellenwertes die Reihenfolge zweier Reize nicht mehr diskriminiert werden kann, nehmen einige Autoren(z.B. Baron, 1971; Ulrich, 1987) an, dass Beobachter unter diesen Bedingungen subjektive Gleichzeitigkeit beider Reize wahrnehmen. 31 Sternberg und Knoll sind hier etwas vorsichtiger. Sie schließen nicht aus, dass Beobachter unter diesen Bedingungen Gleichzeitigkeit wahrnehmen, erwarten es aber auch nicht explizit. 1.4.1.4 Angestoßene Aufmerksamkeitswechsel als Einschränkung des Entscheidungsmechanismus Die vierte Entscheidungsregel basiert auf dem angestoßenen Aufmerksamkeitswechselmodell von Kristofferson(Kristofferson, 1970; Schmidt& Kristofferson, 1963). Die Grundannahme dieses Modells ist, dass die Ausrichtung von Aufmerksamkeit auf einen sensorischen Kanal erforderlich ist, um die Ankunft eines Reizsignals aus diesem Kanal, am zentralen Entscheidungsmechanismus zu registrieren. Unterschiedliche sensorische Kanäle können nur nacheinander, jedoch niemals gleichzeitig, beachtet werden. 9 Daher kann diese Entscheidungsregel nur für Reizpaare Anwendung finden, die nicht gleichzeitig beachtet werden können. Um die Reihenfolge eines Reizpaares zu diskriminieren, müssen zum einen beide Reizsignale im zentralen Entscheidungsmechanismus registriert werden d. h., Aufmerksamkeit muss abwechselnd auf die Kanäle beider Reizsignale ausgerichtet werden, bis beide Reizsignale registriert sind und muss zum anderen das als zweites registrierte Reizsignal mit einer Verzögerung nach dem Aufmerksamkeitswechsel zu seinem Kanal eintreffen. Andernfalls werden unabhängig von ihrer Registrationsreihenfolge beide Reizsignale als gleichzeitig wahrgenommen. Im binären Reihenfolgeurteil wird daher eines der beiden Reihenfolgeurteile zufällig getroffen. In ihrer spezifischen Version des angestoßenen Aufmerksamkeitswechselmodells gehen Sternberg und Knoll davon aus, dass Aufmerksamkeit immer auf den sensorischen Kanal eines der beiden Reizsignale ausgerichtet ist. Ein Aufmerksamkeitswechsel von einem Kanal zum anderen wird durch das erste am Entscheidungsmechanismus eintreffende Signal ausgelöst; 10 allerdings kann dieser Aufmerksamkeitswechsel nur an bestimmten, periodisch auftretenden Zeitpunkten 9 Für Kristofferson ist dies das definierende Merkmal eines sensorischen Kanals: Zwei Reize stammen aus unterschiedlichen sensorischen Kanälen, falls sie nicht gleichzeitig beachtet werden können. 10 Im Gegensatz hierzu nimmt Kristofferson an, dass Aufmerksamkeitswechsel nur von einem, in einem nicht beachteten Kanal eintreffenden Reizsignal ausgelöst werden. 32 (Wechselpunkten) durchgeführt werden. 11 Sternberg und Knoll nehmen weiterhin an, dass Aufmerksamkeitswechsel immer am ersten möglichen Wechselpunkt nach der Initiierung des Aufmerksamkeitswechsels durchgeführt werden(siehe Abb. 3d). Abb. 3d stellt die Entscheidungsfunktion für das Reihenfolge ` B` A eines angestoßenen Aufmerksamkeitswechselmodells dar. Aufmerksamkeit ist auf Kanal A gerichtet. Auf der X-Achse ist die Differenz der Ankunftszeiten,(Ankunftszeit Reiz A)-(Ankunftszeit Reiz B), abgetragen. steht für die Größe des Zeitintervalls zwischen den Wechselpunkten. Das angestoßene Aufmerksamkeitswechselmodell lässt sich anhand eines konkreten Beispiels noch besser verdeutlichen. Ein Lichtblitz und ein Klicklaut werden in schneller zeitlicher Folge präsentiert, Aufmerksamkeit ist auf die visuelle Modalität gerichtet. Wenn das Signal des Lichtblitzes vor dem des Klicklautes am zentralen Entscheidungsmechanismus eintrifft, und(1) die Ankunftszeitdifferenz größer als das Intervall zwischen den Wechselpunk ` Lichtblitz vor K werden. Da das Lichtblitzsignal im beachteten Kanal eintrifft, wird es sofort bei seiner Ankunft registriert und löst außerdem einen Aufmerksamkeitswechsel zur auditiven Modalität aus, der am nächsten Wechselpunkt ausgeführt wird. Da zwangsläufig ein Wechselpunkt zwischen das Eintreffen der Reizsignale fällt, kann der Aufmerksamkeitswechsel zum auditiven Kanal 11 Auch wenn Sternberg und Knoll dies nicht explizit formulieren, ist davon auszugehen, dass sie ähnlich, wie Kristofferson(1967a) annehmen, dass ein internaler Taktgeber, eine internale Uhr, diese periodischen Zeitpunkte erzeugt. 33 immer vor dem Eintreffen des Klicklautsignals vollzogen werden.(2) Ist die Ankunftszeitdifferenz hingegen kleiner als das Intervall zwischen den Wechselpunkten ` L tz vor K , wenn beide Reizsignale in einer Phase eintreffen, in der ein Wechselpunkt zwischen sie fällt. Andernfalls lautet zwar die Registrationsreihe L K" K s am Entscheidungsmechanismus eintrifft bevor Aufmerksamkeit auf den auditiven Kanal gelenkt werden kann, resultiert wahrgenommene Gleichzeitigkeit. Im binären Reihenfolgeurteil müsste sich ein Beobachter in diesem Falle zufällig für eines der beiden Reihenfolgeurteile entscheiden. Da mit kleiner werdender Ankunftszeitdifferenz die Wahrscheinlichkeit sinkt, dass ein Wechselpunkt zwischen die Ankunft der beiden Reizsignale am Entscheidungsmec W`L K A Wenn Aufmerksamkeit weiterhin auf die visuelle Modalität gerichtet ist, aber(3) das Klicklautsignal vor dem Lichtblitzsignal am zentralen Entscheidungsmechanismus eintrifft, muss die Ankunftszeitdifferenz beider Signale das Doppelte des Intervalls zwischen den Wechselpunkten betragen, damit die zeitliche Reihenfolge KL diskriminiert wird. Da das zuerst eintreffende Signal des Klicklauts erst nach einem Aufmerksamkeitswechsel zu seinem Kanal registriert werden kann, und Aufmerksamkeit anschließend wieder zum visuellen Kanal wechseln muss, um das Signal des Lichtblitzes zu registrieren, müssen mindestens zwei Wechselpunkte zwischen die Ankunft beider Signale fallen, um ihre Reihenfolge zu diskriminieren. Ist die Ankunftszeitdifferenz hingegen weniger als doppelt so groß, aber größer als das einfache Intervall zwischen den Wechselpunkten, kann ihre Reihenfolge nur diskriminiert werden, wenn sie in einer Phase eintreffen, in der zwei Wechselpunkte zwischen ihre Ankunft fallen. Die Wahrscheinlichkeit hierfür nimmt mit kleiner werdendem Intervall ab. Da höchstens ein Wechselpunkt zwischen die Ankunft beider Reizsignale fallen kann, wenn die Ankunftszeitdifferenz kleiner ist als das Intervall zwischen den Wechselpunkten, kann ihre zeitliche Reihenfolge unter diesen Umständen nie diskriminiert werden. Unabhängig von ihrer Registrationsreihenfolge werden beide Reize in diesem Fall als gleichzeitig wahrgenommen. Im 34 binären Reihenfolgeurteil wird zufällig eines der beiden Reihenfolgeurteile ausgewählt. Die Registrationsreihenfolge wird von der Phase, in der die Reizsignale eintreffen, beeinflusst. Fällt ein Wechselpunkt zwischen das Eintreffen beider Reize, werden sie in der Reihenfolge ihrer Ankunft K L registriert, andernfalls ist ihre Registrationsreihenfolge vertauscht. Z usammenfassung: Auch das angestoßene Aufmerksamkeitswechselmodell verortet zeitliche Fehler sowohl in den sensorischen Kanälen, als auch im zentralen Entscheidungsmechanismus. Der zentrale Entscheidungsmechanismus wird hierbei durch Aufmerksamkeit in zweierlei Hinsicht behindert: zum einen dadurch, dass Aufmerksamkeit auf einen der beiden sensorischen Kanäle ausgerichtet ist, sie aber auf den Kanal eines Reizes ausgerichtet sein muss, damit dieser registriert werden kann; zum anderen durch die Dauer eines Aufmerksamkeitswechsels(Größe des Zeitintervalls zwischen den Wechselpunkten). Im angestoßenen Aufmerksamkeitswechselmodell wird Gleichzeitigkeit immer wahrgenommen, wenn die Ankunftszeitdifferenz kleiner ist als die Dauer eines Aufmerksamkeitswechsels, und Aufmerksamkeit auf den Kanal des Reizsignals gerichtet ist, der als zweiter am zentralen Entscheidungsmechanismus eintrifft. 1.4.1.5 Ein angestoßenes Aufmerksamkeitswechselmodell mit vier Zuständen Die fünfte Entscheidungsregel bildet eine von Sternberg und Knoll entwickelte Variante des Kristofferson-Modells(Kristofferson, 1967a, 1970), das man als angestoßenes Aufmerksamkeitswechselmodell mit vier Zuständen bezeichnen könnte. In diesem Modell entspricht das Reihenfolgeurteil der Reihenfolge, in der beide Reizsignale registriert werden, unabhängig davon, ob das als zweites registrierte Signal erst mit einer Verzögerung nach dem Aufmerksamkeitswechsel zu seinem Kanal eintrifft oder nicht. Wenn Aufmerksamkeit auf den visuellen Kanal gerichtet ist, und das Signal des visuellen Reizes zuerst am Entscheidungsmechanismus eintrifft, kann die Reihenfolge V`` , unabhängig von der Ankunftszeitdifferenz und des Zeitintervalls zwischen den Wechselpunkten, da das visuelle und das auditive Signal immer in dieser Reihenfolge registriert werden. Ist Aufmerksamkeit weiterhin auf die visuelle Modalität gerichtet, aber das Signal des auditiven Reizes trifft vor dem Signal des visuellen 35 Reizes ein, kann diese Reihenfolge immer diskriminiert werden, wenn die Ankunftszeitdifferenz größer ist als das Intervall zwischen den Wechselpunkten, da unter diesen Umständen immer ein Wechselpunkt zwischen das Eintreffen der Signale fällt. Aufmerksamkeit kann deshalb noch vor dem Eintreffen des visuellen Reizsignals zum auditiven Kanal wechseln, und der auditive Reiz wird als erster registriert. Ist die Ankunftszeitdifferenz kleiner als das Intervall zwischen den Wechselpunkten, W``` wird linear mit dem Intervall zwischen den Wechselpunkten, da die Wahrscheinlichkeit sinkt, dass ein Wechselpunkt zwischen das Eintreffen der Reizsignale fällt. Fällt kein Wechselpunkt zwischen das E"`` or auditiver `) weites eintreffende visuelle Reiz zuerst registriert werden kann, und die wahrgenommene Reihenfolge der Registrationsreihenfolge entspricht. Ist die Ankunftszeitdifferenz halb so groß wie das Intervall zwischen den Wechselpunkten, sind beide Reihenfolgeurteile gleich wahrscheinlich(siehe Abb. 3e). Die Wahrnehmung von Gleichzeitigkeit ist in diesem Modell nicht explizit vorgesehen. Auch diese psychometrische Funktion ist nicht symmetrisch um Null, sondern in Richtung des anfänglich nichtbeachteten Kanals verschoben. 36 Abb. 3e zeigt die Entscheidungsfunktion eines angestoßenen Aufmerksamkeitswechselmodells mit vier Zuständen. Aufmerksamkeit ist auf Kanal A gerichtet. Ist die Ankunftszeitdifferenz(Ankunftszeit Reiz A)(Ankunftszeit Reiz B) negativ, wird die Reihenfolge ` B` A I sie positiv und kleiner als das Intervall zwischen den Wechselpunkten, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie erkannt wird, mit größer werdendem zeitlichem Intervall linear an. Ist die Ankunftszeitdifferenz größer als das Intervall zwischen den Wechselpunkten, ``B`A Z usammenfassung: Auch das angestoßene Aufmerksamkeitswechselmodell mit vier Zuständen sieht Fehlerquellen sowohl in den sensorischen Kanälen als auch im zentralen Entscheidungsmechanismus. Im Gegensatz zum angestoßenen Aufmerksamkeitswechselmodell kommt in diesem Modell der Wahrnehmungseindruck Gleichzeitigkeit nicht explizit vor, da die wahrgenommene Reihenfolge immer der Registrationsreihenfolge entspricht. Wie auch die deterministische Entscheidungsregel, erfordert das angestoßene Aufmerksamkeitswechselmodel mit vier Zuständen die Annahme eines zusätzlichen Mechanismus, um Gleichzeitigkeit zu detektieren, da die wahrgenommene Reihenfolge immer der Registrationsreihenfolge entspricht. 1.4.1.6 Modell eines periodischen Auswahlprozesses Die letzte von Sternberg und Knoll vorgestellte Variante einer Entscheidungsregel beruht auf der periodischen Auswahl beachteter sensorischer Kanäle. Der Auswahlprozess kann sich entweder nur auf die beiden durch die Aufgabe definierten sensorischen Kanäle beziehen oder aber auch mehr als zwei sensorische Kanäle umfassen. Alle sensorischen Kanäle unterliegen einem sensorischen 37 Auswahlprozess, bei dem Aufmerksamkeit an den vorgegebenen Zeitpunkten automatisch von einem Kanal zu einem anderen wechselt, d.h. Aufmerksamkeitswechsel müssen nicht, wie unter 1.4.1.4 und 1.4.1.5 beschrieben, durch das Eintreffen eines Reizsignals am Entscheidungsmechanismus angestoßen werden. Die Reizsignale treffen in Bezug auf die Phase des Auswahlprozesses zufällig ein. Ein Reizsignal wird registriert, sobald sein Kanal ausgewählt wurde. Das Reihenfolgeurteil, respektive die wahrgenommene Reihenfolge, entspricht der Registrationsreihenfolge. Angenommen, die beiden zu beurteilenden Reize stammen aus der visuellen und der auditiven Modalität. Die Genauigkeit des Entscheidungsmechanismus wird in diesem Fall durch das zeitliche Intervall, die Periode eingeschränkt, die benötigt wird, um(1) einen Aufmerksamkeitswechsel von der visuellen zur auditiven Modalität(Zeitintervall vom Wechselpunkt der visuellen Modalität zum Wechselpunkt der auditiven Modalität) und(2) einen Aufmerksamkeitswechsel von der auditiven zur visuellen Modalität(Zeitintervall vom Wechselpunkt der auditiven Modalität zum Wechselpunkt der visuellen Modalität) durchzuführen. Ist die Ankunftszeitdifferenz größer als das für beide Aufmerksamkeitswechsel benötigte Intervall, wird die zeitliche Reihenfolge der Reizsignale immer korrekt diskriminiert, unabhängig von der Phase des Auswahlprozesses, in der beide Reizsignale eintreffen. Unterhalb der Größe dieses Zeitintervalls hängt es von der Phase des Auswahlprozesses ab, ob die Ankunftsreihenfolge der Reizsignale oder die umgekehrte Ankunftsreihenfolge als Reihenfolge registriert und somit wahrgenommen wird(Reihenfolgefehler). Beide Reihenfolgeurteile sind gleichwahrscheinlich, wenn die Ankunftszeitdifferenz die Hälfte der Differenz zwischen den 38 Wechselpunkten zum visuellen und zum auditiven Kanal beträgt(siehe Abb. 3f). Abb. 3f zeigt ein periodisches Auswahlmodell mit der Periode= x + y . Z usammenfassung: Wie alle bisher dargestellten Entscheidungsregeln(außer der deterministischen Entscheidungsregel), nimmt auch das Modell der periodischen Auswahl an, dass Fehler in Urteilen über zeitliche Reihenfolge sowohl in den sensorischen Kanälen als auch im Entscheidungsmechanismus entstehen. Es nimmt, wie die unter 1.4.1.4 und 1.4.1.5 dargestellten Modelle, an, dass Aufmerksamkeit die Genauigkeit des Entscheidungsmechanismus einschränkt. Allerdings wechselt Aufmerksamkeit in diesem Modell, unabhängig von äußeren Reizen, an festgelegten Auswahlpunkten die sensorischen Kanäle. Auf theoretischer Ebene lässt sich dieses Modell deshalb besser mit einer von Absichten und Aufgaben gesteuerten Sicht von Aufmerksamkeit (z.B. Folk, Remington& Johnston, 1992) verbinden, denn mit einer primär reizgetriebenen Steuerung von Aufmerksamkeit(z.B. Posner, 1980; Yantis& Jonides, 1984). Ebenso wie die deterministische Entscheidungsregel(1.4.1.1) und das angestoßene Aufmerksamkeitswechselmodell mit vier Zuständen(1.4.1.5), erfordert das Modell eines periodischen Auswahlprozesses einen zusätzlichen Mechanismus für die Detektion wahrgenommener Gleichzeitigkeit. 39 1.4.1.7 Generelle Bemerkungen zum allgemeinen Modell unabhängiger Kanäle Unabhängig von der spezifischen Entscheidungsregel ist eine gegebene psychometrische Funktion im allgemeinen Modell unabhängiger Kanäle von zwei Faktoren abhängig: den sensorischen Kanälen und dem Entscheidungsmechanismus. Sie stellt eine Konvolution, eine Zusammenfaltung der Verteilung der Ankunftslatenzdifferenzen zwischen den sensorischen Kanälen und der durch die spezifische Entscheidungsregel bestimmten Entscheidungsfunktion, dar. Die hieraus resultierende psychometrische Funktion repräsentiert denjenigen Faktor in stärkerem Ausmaß, der die größere Varianz aufweist. Ruth Rutschmann(1973) und Alfred Kristofferson(1967b) nehmen zwei Extremvarianten dieser psychometrischen Funktion an. Während Rutschmann Varianz in der psychometrischen Funktion des zeitlichen Reihenfolgeurteils ausschließlich den sensorischen Kanälen zuschreibt, gehen Schmidt und Kristofferson(1963) davon aus, dass Varianz ausschließlich auf den Entscheidungsmechanismus zurückgeht. Sie nehmen an, dass die Ankunftszeitdifferenz eines bestimmten Reizpaares über verschiedene Durchgänge konstant bleibt. Sternberg und Knoll wiederum nehmen aufgrund empirischer Befunde an, dass beide Faktoren zur psychometrischen Funktion des zeitlichen Reihenfolgeurteils beitragen. So werten sie etwa eine vergleichbare Größe von zeitlichen Reihenfolgeschwellen(DL, JND) über verschiedene Sinnesmodalitäten(z.B. Hirsh, 1959; Hirsh& Sherrick, 1961) als Evidenz für einen zentralen Entscheidungsmechanismus. Einen systematischen Einfluss der Reizintensität auf zeitliche Reihenfolgeschwellen(z.B. Gibbon& Rutschmann, 1969) werten sie hingegen als Beleg für einen Einfluss der Ankunftslatenzen. Auch aktuellere empirische Studien deuten darauf hin, dass sowohl die sensorischen Kanäle als auch ein zentraler Entscheidungsmechanismus Einfluss auf das zeitliche Reihenfolgeurteil ausüben(z.B. Fink, Ulbrich, Churan& Wittmann, 2006; Kanabus, Szelag, Rojek& Pöppel, 2002). Interessanterweise geht die Hälfte der von Sternberg und Knoll dargestellten Modelle (Modell des perzeptuellen Moments 1.4.1.2, Schwellenmodell 1.4.1.3, Aufmerksamkeitswechselmodell 1.4.1.4) sowie auch das allgemeine Schwellenmodell von Ulrich (1987) explizit oder zumindest implizit davon aus, dass die zeitlichen Wahrnehmungseindrücke 40 Gleichzeitigkeit und zeitliche Reihenfolge Kehrseiten ein und derselben Medaille sind; das heißt zwei Reize werden entweder in einer bestimmten Reihenfolge oder aber als gleichzeitig wahrgenommen. Die Wahrnehmung von Sukzession ist somit notwendig und hinreichend für die Wahrnehmung zeitlicher Reihenfolge. Dies impliziert allerdings nicht, dass die wahrgenommene Reihenfolge zweier Reize ihrer physikalischen Reihenfolge entsprechen muss. Die Annahme, dass die Wahrnehmung von Sukzession nicht nur notwendig, sondern auch hinreichend für die Wahrnehmung zeitlicher Reihenfolge ist, widerspricht allerdings empirischen Befunden aus jüngerer Zeit(z.B. Mitrani, Shekerdjiiski& Yakimoff, 1986; Scharlau, 2004a; Stelmach& Herdman, 1991; Weiß& Scharlau, 2011, siehe auch Abschnitt 4). Ich werde deshalb nun zwei Modelle vorstellen, die die Wahrnehmung von Gleichzeitigkeit/Sukzession nicht als hinreichende Bedingung für die Wahrnehmung zeitlicher Reihenfolge ansehen und die Entstehung beider Wahrnehmungseindrücke unterschiedlichen Mechanismen zu schreiben: das Zwei-Stufenmodell der Reihenfolgediskrimination von Ja kowski (1991) und das Modell zeitlicher Profile von Stelmach und Herdman(1991). 1.5 Das Zwei-Stufenmodell der Reihenfolgediskrimination Der wesentliche Unterschied zwischen J s Zwei-Stufenmodell der Reihenfolgediskrimination (1991) und anderen Modellen der Reihenfolgewahrnehmung ist, dass es als eines von wenigen Modellen explizit(vgl. auch Mitrani, Shekerdjiiski& Yakimoff, 1986; Stelmach& Herdman, 1991) zwei separate Mechanismen für die Wahrnehmung zeitlicher Reihenfolge und Gleichzeitigkeit bzw. Sukzession annimmt. D V JM charakterisieren: Zwei Reize aus unterschiedlichen Kanälen etwa ein Klicklaut und ein Lichtblitz werden zu unterschiedlichen Zeitpunkten(Präsentationszeitpunkt A , Präsentationszeitpunkt B ) präsentiert. Die von ihnen ausgelösten Reizsignale werden in ihrem jeweiligen sensorischen Kanal mit unterschiedlichen zeitlichen Verzögerungen(Latenz Verteilungspunkt A bzw. Latenz Verteilungspunkt B ) zu einem gemeinsamen Ort im Gehirn geleitet, von dem aus sie an zwei unterschiedliche Vergleichsmechanismen das(1) Gleichzeitigkeitszentrum und das(2) Reihenfolgezentrum weitergeleitet werden. Die Reizsignale treffen dort mit weiterer zeitlicher Verzögerung ein: am 41 Gleichzeitigkeitszentrum mit einer Verzögerung von Latenz Gleichzeitigkeitszentrum A bzw. Latenz Gleichzeitigkeitszentrum B , sowie am Reihenfolgezentrum mit einer Verzögerung von Latenz Reihenfolgezentrum A bzw. Latenz Reihenfolgezentrum B . Die Ankunftszeiten am Gleichzeitigkeitszentrum bzw. Reihenfolgezentrum setzen sich somit wie folgt zusammen:(1) Gleichzeitigkeitszentrum: Präsentationszeit A + Latenz Verteilungspunkt A + Latenz Gleichzeitigkeitszentrum A bzw. Präsentationszeit B + Latenz Verteilungspunkt B + Latenz Gleichzeitigkeitszentrum B (2) Reihenfolgezentrum: Präsentationszeit A + Latenz Verteilungspunkt A + Latenz Reihenfolgezentrum A bzw. Präsentationszeit B + Latenz Verteilungspunkt B + Latenz Reihenfolgezentrum B. J kowski nimmt an, dass beide Detektionsmechanismen im Modus eines AngestoßenenMoment-Modells arbeiten. Wenn das erste Reizsignal das Gleichzeitigkeitszentrum erreicht, wird ein zeitliches Intervall, ein Moment, angestoßen. Trifft nun das zweite Reizsignal innerhalb dieses Moments am Gleichzeitigkeitszentrum ein, resultiert der perzeptuelle Zustand. Wenn andernfalls das zweite Reizsignal nach dem Ende des angestoßenen Moments eintrifft, resultiert der ) D er perzeptuelle Zus somit nur, wenn die Ankunftszeitdifferenz am Gleichzeitigkeitszentrum kleiner ist als der angestoßene Moment. Das Reihenfolgezentrum kann drei perzeptuelle Zustände ausgeben:(1) Reiz A vor Reiz B,(2) Reiz B vor Reiz A und(3) Reihenfolge der beiden Reize ist unsicher, kann nicht entschieden werden. Auch für das Reihenfolgezentrum gilt, dass das erste Reizsignal, das am Reihenfolgezentrum eintrifft, den Beginn eines Moments anstößt. Die Dauer dieses Moments ist unabhängig von der Dauer des Moments am Gleichzeitigkeitszentrum und kann für beide Vergleichsmechanismen als Zufallsvariable aufgefasst werden. Der perzeptuelle Zustand ` A `B , wenn A, das erste Reizsignal ist und somit den Moment angestoßen hat, und das zweite Reizsignal B erst nach dem Ende dieses Moments am Reihenfolgezentrum eingetroffen ist. N L`` B` AT Reizsignal innerhalb des angestoßenen Moments am Reihenfolgezentrum ein d.h. die 42 Ankunftszeitdifferenz ist kleiner als dieser Moment resultiert der perzeptuelle Zustand unsicher, Reihenfolge kann nicht diskriminiert werden Ein Reihenfolgeurteil wird erst gefällt, nachdem die perzeptuellen Zustände beider Zentren abgerufen wurden. Die Information aus dem Gleichzeitigkeitszentrum wird immer zuerst abgerufen; ist hier der ) , wird die Abfrage der perzeptuellen Zustände abgebrochen und das Ur der perzeptuelle Zustand im Reihenfolgezentrum bleibt unberücksichtigt. Ja kowski geht somit davon aus, dass die zeitliche Reihenfolge zweier Reize nur sicher diskriminiert werden kann, wenn beide Reize als sukzessiv, aufeinanderfolgend, wahrgenommen wurden. H G) , wird der im Reihenfolgezentrum registrierte perzeptuelle Zustand abgefragt. Ist eine der beiden möglichen Reihenfolgen ` A` B Reiz B vor Reiz A registriert, wird das entsprechende Reihenfolgeurteil gefällt. Ist hingegen der Zustand nsicher registriert, kann zeitliche Reihenfolge nicht diskriminiert werden, obwohl beide Reize als aufeinanderfolgend wahrgenommen wurden. In diesem Fall wird das Urteil aus den drei Urteilsalternativen le `A`B` B` A mit einer für jede Urteilsalternative spezifizierten Wahrscheinlichkeit ausgewählt. Die spezifizierten Wahrscheinlichkeiten ergeben aufaddiert die Summe 1. Auch wenn Ja kowski es nicht explizit formuliert hat, ist davon auszugehen, dass Beobachter unter diesen Voraussetzungen beide Reize zwar als aufeinanderfolgend und damit als sukzessiv wahrnehmen, aber Unsicherheit über die Reihenfolge beider Reize verspüren. Die Ausprägung dieser Auswahlwahrscheinlichkeiten ist von Faktoren, wie etwa der Instruktion oder einer persönlichen Präferenz des Beobachters für eine Urteilsalternative, abhängig. Ist beispielsweise in der Instruktion besondere Sicherheit in Bezug auf ein Reihenfolgeurteil gefordert eine Reihenfolge soll nur angegeben werden, wenn man sich wirklich sicher ist sollte bei Unsicherheit die Urteilsalternative gleichzeitig mit höherer Wahrscheinlichkeit gewählt werden als die beiden Reihenfolgeurteile. 43 Z usammenfassung: Wie auch das allgemeine Modell unabhängiger Kanäle und das allgemeine Schwellenmodell verortet das Zwei-Stufenmodell die Ursachen für Fehler in Urteilen über schnelle zeitliche Folgen sowohl in den sensorischen Kanälen(Latenzen bis zum Verteilungspunkt und Latenz bis zum Gleichzeitigkeits- bzw. Reihenfolgemechanismus) als auch im Entscheidungsmechanismus. Statt eines einzigen Entscheidungsmechanismus postuliert Ja kowski allerdings zwei separate Mechanismen für die Bestimmung von zeitlicher Reihenfolge und Gleichzeitigkeit vs. Sukzession. Reihenfolge- und Gleichzeitigkeitsfehler sind im Zwei-Stufenmodell der Reihenfolgediskrimination allerdings nicht völlig unabhängig voneinander. Die zeitliche Reihenfolge zweier Reize kann nur diskriminiert werden, wenn beide Reize als sukzessiv, aufeinanderfolgend, wahrgenommen werden. Werden beide Reize als gleichzeitig wahrgenommen, wird das Ergebnis des Reihenfolgezentrums nicht mehr berücksichtigt. Ja kowskis Modell beinhaltet die theoretisch bedeutsame Annahme, dass die Wahrnehmung von Sukzession zweier Reize eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für die Wahrnehmung zeitlicher Reihenfolge ist(vgl. Hirsh& Sherrick, 1961). Auch wenn beide Reize als aufeinanderfolgend wahrgenommen werden, kann im Reihenfolgezentrum noch der WU` Reizsignal innerhalb des angestoßenen Moments eintrifft. 1.6 Modell zeitlicher Profile Wie auch das Zwei-Stufenmodell der Reihenfolgediskrimination von Ja kowski(1991), nimmt das Modell zeitlicher Profile(Stelmach& Herdman, 1991; Stelmach, Herdman& McNeil, 1994) zwei getrennte Detektionsmechanismen für die Wahrnehmung zeitlicher Reihenfolge und die Wahrnehmung von Gleichzeitigkeit bzw. Sukzession an. Die Ergebnisse der Detektionsmechanismen werden im Anschluss von einem Entscheidungsmechanismus gewichtet. Ein weiterer Unterschied zu anderen Modellen der zeitlichen Reihenfolgewahrnehmung besteht in der Tatsache, dass im Modell zeitlicher Profile ganze zeitliche Profile von Reizen, und nicht nur ihre Ankunftszeiten, an einem zentralen Vergleichsmechanismus verglichen werden. Für den Reihenfolgedetektionsmechanismus ist die Differenzfunktion der zeitlichen Profile der zu vergleichenden Reize entscheidend(Weiß& 44 Scharlau, 2011, Abb. 1-3, rechte Spalte). Gipfel in dieser Differenzfunktion deuten darauf hin, dass ein Reiz dem anderen vorausgegangen ist. Das Vorzeichen des ersten Gipfels dieser Differenzfunktion gibt die wahrgenommene Reihenfolge an; die Gipfelhöhe ist ein Indikator für das Ausmaß der Asynchronie zwischen den beiden Reizen. Je größer die Asynchronie zwischen den Reizen, desto höher ist der Gipfel der Differenzfunktion und desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine bestimmte Reihenfolge wahrgenommen wird. Werden beispielsweise zwei identische Reize gleichzeitig präsentiert, ergibt sich eine flache Differenzfunktion ohne Ausschläge, da sich die zeitlichen Profile beider Reize vollständig überlappen. Je größer das zeitliche Intervall ist, mit dem der erste Reiz dem zweiten vorausgeht, desto stärker sind die Ausschläge der Differenzfunktion und damit auch die Wahrscheinlichkeit, dass die entsprechende Reihenfolge detektiert wird. Im Gegensatz hierzu vergleicht der Gleichzeitigkeitsdetektionsmechanismus das Verhältnis von geteilter Fläche zu nicht geteilter Fläche unter den zeitlichen Profilen. Je größer das Verhältnis der geteilten Fläche im Vergleich zur nicht geteilten Fläche, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Reize als gleichzeitig beurteilt werden(Weiß& Scharlau, 2011, Abb. 1-3, linke Spalte). Da sich die zeitlichen Profile zweier gleichzeitig präsentierter identischer Reize vollständig überlappen, ist das Verhältnis von geteilter zu nicht geteilter Fläche unendlich; Gleichzeitigkeit wird folglich immer detektiert. Je größer das zeitliche Intervall zwischen beiden Reizen ist, desto stärker sinkt der Anteil geteilter im Vergleich zu nicht geteilter Fläche; die Detektion von Gleichzeitigkeit wird immer unwahrscheinlicher. Das Modell zeitlicher Profile sieht die Quelle von Reihenfolge- und Gleichzeitigkeitsfehlern somit zum einen in den sensorischen Kanälen bei Faktoren, die Ankunftszeiten der zeitlichen Profile oder ihre Form beeinflussen könnten, etwa spezifische Reizeigenschaften(wie Intensität, Kontrast oder ähnliches) und in den Reihenfolge- und Gleichzeitigkeitsdetektionsmechanismen. Eine bedeutsame Quelle für Fehler im zeitlichen Reihenfolgeurteil stellt im Modell zeitlicher Profile Aufmerksamkeit dar. Stelmach und Kollegen nehmen an, dass Aufmerksamkeit zu einer Veränderung der Form des zeitlichen Profils führt, sie macht das zeitliche Profil spitzer. Das zeitliche Profil eines 45 beachteten Reizes zeigt somit einen rascheren Anstieg und Abfall als das zeitliche Profil eines identischen, unbeachteten Reizes. Dies führt insbesondere zu Reihenfolgefehlern, da auch ein beachteter Reiz, der einem unbeachteten Reiz in kurzem Abstand zeitlich folgt, mit hoher Wahrscheinlichkeit als erster erkannt wird. Zudem sollten beide Reize seltener als gleichzeitig wahrgenommen werden, da die maximal mögliche geteilte Fläche beider zeitlicher Profile gesunken D -Urteile sollten unter diesen Umständen jedoch unter zeitlichen Gegebenheiten getroffen werden, unter denen beide Reize nicht gleichzeitig erscheinen. Es entstehen also Gleichzeitigkeitsfehler. 1.7 Zusammenfassung: Potentielle Fehlerquellen in Urteilen über schnelle zeitliche Folgen Die dargestellten Modelle postulieren eine Reihe potentieller Fehlerquellen in zeitlichen Urteilen: Unterschiede in Detektionszeiten und neuronalen Transmissionszeiten(Ankunftslatenzdifferenzen), die Natur psychologischer Zeit als diskrete Variable(perzeptueller Moment), Schwellenwerte, die sich etwa im Sinne von Refraktärperioden des neuronalen Systems interpretieren ließen(Ulrich, 1987) und Aufmerksamkeit. Betrachtet man diese Fehlerquellen, fällt auf, dass zwei von ihnen bereits im 19. Jahrhundert als Ursachen der persönlichen Gleichungen vermutet wurden: Ankunftslatenzdifferenzen und Aufmerksamkeit(z.B. Exner, 1873, 1875; Sanford, 1888; Wundt, 1887). Während alle dargestellten Modelle periphere Mechanismen, d.h. Ankunftslatenzdifferenzen zwischen den sensorischen Kanälen, als potentielle Fehlerquelle in zeitlichen Urteilen zulassen und zumeist benennen, wird Aufmerksamkeit bemerkenswerterweise nur in einigen Modellen explizit als Fehlerquelle benannt: Im Modell zeitlicher Profile(1.6) und im allgemeinen Modell unabhängiger Kanäle in den angestoßenen Aufmerksamkeitswechselmodellen(1.4.1.4),(1.4.1.5) sowie im Modell der periodischen Auswahl(1.4.1.6). Während alle der genannten Spezialfälle des allgemeinen Modells unabhängiger Kanäle annehmen, dass Aufmerksamkeit Fehler auf der Ebene eines zentralen Entscheidungsmechanismus verursacht, nimmt das Modell zeitlicher Profile an, dass Aufmerksamkeit bereits auf der Ebene der sensorischen Kanäle wirkt. Aufmerksamkeit verändert die Form des zeitlichen Profils eines Reizsignals; sie macht es spitzer. Diese Zuspitzung des zeitlichen Profils führt 46 bei der Weiterverarbeitung der zeitlichen Profile in zwei separaten Entscheidungsmechanismen zu Reihenfolge- und Gleichzeitigkeitsfehlern. Obwohl die verbleibenden dargestellten Modelle Aufmerksamkeit nicht explizit als Fehlerquelle benennen, ließe sich die Fehlerquelle Aufmerksamkeit in die meisten Modelle mittels einer einfachen Zusatzannahme integrieren: Wenn Aufmerksamkeit übereinstimmend mit ihrem, in der Regel, positiven Einfluss auf die Informationsverarbeitung, die Verarbeitung von Reizen in einem beachteten sensorischen Kanal beschleunigt, träfe ein Reizsignal aus diesem Kanal früher am Entscheidungsmechanismus bzw. den Entscheidungsmechanismen ein, als würde sein Kanal nicht beachtet. In Abhängigkeit vom Ausmaß dieser durch Aufmerksamkeit bedingten Beschleunigung und vom spezifischen Entscheidungsmechanismus, resultieren Reihenfolge- und Gleichzeitigkeitsfehler. Aufmerksamkeit wird somit von allen dargestellten Modellen der zeitlichen Reihenfolgewahrnehmung entweder explizit als Fehlerquelle postuliert: im Modell zeitlicher Profile und in den Spezialfällen des Modells unabhängiger Kanäle(1.4.1.4-1.4.1.6) oder zumindest implizit als Fehlerquelle zugelassen: im Zwei-Ebenen-Modell der Reihenfolgediskrimination und in den ersten drei Spezialfällen des Modells unabhängiger Kanäle (1.4.1.1-1.4.1.3). Im weiteren Verlauf meiner Arbeit werde ich mich Aufmerksamkeit als Fehlerquelle in zeitlichen Urteilen widmen, oder genauer gesagt, einer durch sie hervorgerufenen zeitlichen Wahrnehmungstäuschung, die zwangsläufig von Fehlern in zeitlichen Urteilen begleitet ist: dem Prior-Entry-Effekt(für einen aktuellen Überblick siehe Spence und Parise(2010)). 47 2. Der Prior-Entry-Effekt Aufmerksamkeit als Fehlerquelle in zeitlichen Urteilen 2.1 Das Gesetz des E Auch nach über 150 Jahren Forschung hat die Frage nach dem Ursprung von Fehlern in zeitlichen Urteilen nichts an ihrer Relevanz für die experimentelle Psychologie eingebüßt. Dies ist insbesondere auch dem Umstand zu verdanken, dass mit Aufmerksamkeit(z.B. Broadbent, 1958; Bundesen, 1990; Deutsch& Deutsch, 1963; James, 1890; Posner& Cohen, 1984; Posner& Peterson, 1990; Treisman& Gelade, 1980) eines der wichtigsten Konzepte der Kognitions- und Wahrnehmungspsychologie als bedeutsame Fehlerquelle in zeitlichen Urteilen identifiziert werden konnte(z.B. Bessel, 1822; Exner, 1875; Sanford, 1888, 1889a,b; Titchener, 1908; Wundt, 1887; vgl. Abschnitt 1.3.2). Auf den ersten Blick steht diese bereits im 19. Jahrhundert entdeckte Auswirkung von Aufmerksamkeit in eklatantem Widerspruch zu der Grundannahme vieler Aufmerksamkeitstheorien, dass Aufmerksamkeit sich förderlich und begünstigend auf die(menschliche) Informationsverarbeitung auswirkt(z.B. Broadbent, 1958; Deutsch& Deutsch, 1963; Neumann& Scharlau, 2007; Treisman, 1964; Treisman& Gelade, 1980). 12 Dieser positive Einfluss von Aufmerksamkeit auf die Informationsverarbeitung wird durch zahlreiche empirische Belege gestützt: So verbessert Aufmerksamkeit die räumliche Auflösungsfähigkeit(z.B. Carrasco, Williams& Yeshurun, 2002; Pestilli & Carrasco, 2005; Yeshurun& Carrasco, 1998, 1999, 2000; Yeshurun& Levy, 2003), erleichtert das Finden eines komplexen Zielreizes in einer Gruppe von Distraktoren(z.B. Yantis& Jonides, 1984) und beschleunigt die Detektion von Reizen am beachteten Ort(z.B. Posner, 1980). Ein günstiger Einfluss von Aufmerksamkeit zeigt sich auch in natürlicheren Kontexten: So werden etwa wesentliche Merkmale einer Szene wie ein Mann im Gorillakostüm nicht wahrgenommen, wenn Aufmerksamkeit auf andere Aspekte gerichtet ist(Simons& Chabris, 1999; Unaufmerksamkeitsblindheit, engl. inattentional Blindness). 12 Diese Annahme gilt zumindest für den für meine Arbeit relevanten Zeitbereich. Hemmende Effekte von Aufmerksamkeit finden sich üblicherweise erst ab Hinweisreizintervallen, die größer als 250 Millisekunden sind (z.B. Posner& Cohen, 1984; Posner, Rafal, Choate,& Vaughan(1985); inhibition of return). 48 Der scheinbare Widerspruch zwischen den Aufmerksamkeit zugeschriebenen Konsequenzen Verbesserung der Informationsverarbeitung auf der einen Seite und Fehler in zeitlichen Urteilen auf der anderen Seite lässt sich jedoch auflösen, wenn man bedenkt, dass Fehler in zeitlichen Urteilen nicht ausschließlich negative Auswirkungen für die Informationsverarbeitung haben müssen. So könnten zeitliche Fehler auch im Dienste einer der wesentlichen Funktionen von Aufmerksamkeit stehen der Auswahl, Selektion,(handlungs-)relevanter Informationen(z.B. James, 1890; Pashler, 1998; Ward, 2008) und Ablehnung, Deselektion, irrelevanter Informationen: implies withdrawal from some things in order to deal effectively with others, and is a condition which has a real opposite in the confused, dazed, scatterbrained state which in French is called d istraction, and Zerstreutheit in German(James, 1890, S. 403-404). Bereits Wilhelm Wundts Erklärung der negativen Zeitverschiebung im Komplikationsexperiment zeigt, durch welchen Mechanismus Aufmerksamkeit die Auswahl relevanter Informationen erleichtern und dennoch zeitliche Fehlurteile verursachen könnte: Die Selbstbeobachtung läßt den Ursprung dieser Täuschungen nicht zweifelhaft: sie beruhen auf der wechselnden Spannung der Aufmerksamkeit. Sobald die dem Haupteindruck zugewandte Spannung bis zu einer gewissen Grenze angewachsen ist, so vermag sie denselben, auch wenn er in Wirklichkeit etwas später erfolgt als der begleitende Reiz, dennoch gleichzeitig oder früher in den Blickpunkt des Bewusstseins zu heben. Je größer die Aufmerksamkeit, umso bedeutender wird die Zeitdifferenz, die von ihr überwunden werden kann(Wundt, 1887, S. 294). Wenn Aufmerksamkeit beachtete Reize beschleunigt B B , führt dies unter der Voraussetzung, dass ein beachteter Reiz einem unbeachteten Reiz nachfolgt, zu einer erhöhten Anzahl zeitlicher Fehler. In Abhängigkeit vom objektiven zeitlichen Abstand zwischen unbeachtetem und beachtetem Reiz sowie dem gegebenen Entscheidungsmechanismus bzw. den gegebenen Entscheidungsmechanismen, kann eine Beschleunigung des beachteten Reizes dazu führen,(1) dass dieser den zeitlichen Vorsprung des unbeachteten Reizes wettmacht( Gleichzeitigkeitsfehler),(2) dass er diesen zeitlich überholt ( Reihenfolgefehler) oder(3) dass die Reihenfolge trotzdem korrekt wahrgenommen wird, da die Beschleunigung des beachteten Reizes nicht ausreicht. 13 Ein zeitlicher Verarbeitungsvorteil für 13 Wenn wir davon ausgehen, dass sich Aufmerksamkeit in den sensorischen Kanälen auswirkt, sollte sich in diesem Fall die Ankunftszeitdifferenz beider Reizsignale verkürzen oder sogar zu Gunsten des beachteten 49 beachtete Reize erhöht allerdings nicht unter allen Umständen die Wahrscheinlichkeit zeitlicher Fehler. Im Gegenteil, wenn ein beachteter Reiz einem unbeachteten Reiz zeitlich vorausgeht, ist die Wahrscheinlichkeit eines zeitlichen Fehlurteils reduziert, da eine Beschleunigung des beachteten Reizes den wahrgenommenen, subjektiven Abstand zwischen beiden Reizen vergrößern sollte. Ein zeitlicher Verarbeitungsvorteil für beachtete Reize wirkt sich somit, in Abhängigkeit von der tatsächlichen Reihenfolge von beachtetem und unbeachtetem Reiz, unterschiedlich auf die Wahrscheinlichkeit zeitlicher Fehler aus. Damit unterstützt ein zeitlicher Verarbeitungsvorteil für beachtete Reize die Auswahl relevanter Informationen. Ein nachfolgender beachteter Reiz kann dennoch als erster wahrgenommen werden, während ein vorausgehender beachteter Reiz seinen zeitlichen Vorsprung ausbauen kann. In beiden Fällen sollte dies die Auswahl relevanter, beachteter Informationen erleichtern und daher eine der wesentlichen Funktionen von Aufmerksamkeit unterstützen. Die durch einen Verarbeitungsvorteil beachteter Reize ausgelösten zeitlichen Fehler sind adaptiv, da sie zu einer früheren Verarbeitung und somit letzten Endes auch früheren bewussten Wahrnehmung(handlungs-)relevanter Informationen führen. Dies sollte in vielen Situationen eine reibungslose Interaktion von Menschen mit ihrer Umwelt eher begünstigen, denn behindern. Um ein extremes Beispiel zu nennen: Es kann unter Umständen lebensrettend sein, das Hervorschnellen einer auf dem Weg liegenden Giftschlange, einige hundert Millisekunden früher wahrzunehmen. Der Gedanke, dass Aufmerksamkeit auch zu einer zeitlichen Priorisierung beachteter Reize führt, hat sich schnell etabliert. Schon 1908 zählte ein zeitlicher Verarbeitungsvorteil beachteter Reize zu Titcheners sieben Gesetzen der Aufmerksamkeit. Dieser zeitliche Verarbeitungsvorteil wurde als das vierte Gesetz der Aufmerksamkeit, G E s, des Prior-Entry, berühmt: Reizes umdrehen, was bei folgenden Reihenfolgemodellen nach Sternberg und Knoll(1.4.1.1-1.4.1.3) zu einer Erhöhung der Reihenfolgefehler führt. Die übrigen Modelle(1.4.1.4-1.4.1.6) gehen davon aus, dass sich Aufmerksamkeit auf der Ebene des Entscheidungsmechanismus auswirkt. 50 the law of prior entry. The stimulus for which we are predisposed requires less time than a like stimulus, for which we are unprepared, to produce its full conscious effect. Or, in popular terms, the object of attention comes to consciousness more quickly than the objects that we are not attending to(Titchener, 1908, S. 251). Das G esetz des Prior-Entry besagt demnach, dass Aufmerksamkeit die Verarbeitung beachteter Reize beschleunigt und zu ihrem E auf höhere Stufen der Informationsverarbeitung und somit auch zu ihrer früheren bewussten Wahrnehmung führt. Die empirische Überprüfung der PriorEntry-Hypothese birgt allerdings ein methodisches Problem(vgl. Abschnitt 4 und Abschnitt 5): Da es für Menschen schlichtweg nicht möglich ist, direkt anzugeben, wann genau sie einen beachteten Reiz wahrgenommen haben(Spence& Parise, 2010), lässt sich die Prior-Entry-Hypothese in ihrer direktesten Form Wird ein beachteter Reiz tatsächlich zu einem früheren Zeitpunkt wahrgenommen als wenn er nicht beachtet würde? nicht in Verhaltensexperimenten überprüfen. Eine solch direkte Möglichkeit, die Prior-Entry-Hypothese zu überprüfen, bietet erst in jüngerer Zeit die Analyse von ereigniskorrelierten Potentialen. Erste Belege dafür, dass Aufmerksamkeit tatsächlich die frühe Informationsverarbeitung beachteter Reize beschleunigt, konnten Vibell, Klinge, Zampini, Spence und Nobre(2007) zeigen. Sie fanden mit Aufmerksamkeitsausrichtung per Instruktion auf die visuelle oder taktile Modalität und einem behavioralen Prior-Entry-Effekt von 38 ms, Latenzgewinne von 3-4 ms in frühen ereigniskorrelierten Potentialen(P1, N1) für die beachte Modalität. In Verhaltensexperimenten greifen Forscher zur Erfassung des Prior-Entry-Effekts hingegen auf eine indirektere Methode zurück, indem sie Beobachter die zeitliche Relation eines beachteten Reizes und eines Standardreizes beurteilen lassen. In der Regel werden für diesen Vergleich entweder das zeitliche Reihenfolgeurteil oder das Gleichzeitigkeitsurteil genutzt(siehe Abschnitte 1.3.3 und 1.3.4), denen eine zusätzliche Aufmerksamkeitsmanipulation hinzugefügt wird. Beobachter beurteilen nun entweder die Reihenfolge bzw. Gleichzeitigkeit zweier schnell aufeinanderfolgender Zielreize, wenn Aufmerksamkeit auf einen der beiden Reize ausgerichtet wurde ( Experimentaldurchgänge) oder wenn Aufmerksamkeit nicht ausgerichtet wurde ( Kontrolldurchgänge). Der Prior-Entry-Effekt ist hierbei definiert als Verschiebung des PSS 51 üblicherweise von nahezu physikalischer Gleichzeitigkeit in den Kontrolldurchgängen, hin zu zeitlichen Bedingungen unter denen der unbeachtete Zielreiz dem beachteten Zielreiz vorausgeht in den Experimentaldurchgängen(siehe Abb. 4a und 4b). Die Größe des Prior-Entry-Effekts wird als Differenz der PSS-Werte in Experimental- und Kontrolldurchgängen bestimmt. Auf diese Weise gemessene Prior-Entry-Effekte sind somit ein Maß für den relativen Latenzvorteil eines beachteten Reizes im Vergleich zu einem unbeachteten Reiz, nicht aber für den absoluten Latenzvorteil eines beachteten Reizes. Abb. 4a zeigt einen hypothetischen Prior-Entry-Effekt von ca. 40 ms. Negative Zielreizintervalle zeigen an, dass der Vergleichsreiz(beachteter Reiz) zuerst präsentiert wurde. Positive Zielreizintervalle bedeuten, dass der Standardreiz(unbeachteter Reiz) zuerst präsentiert wurde. Die blaue Linie repräsentiert Durchgänge ohne Aufmerksamkeitsausrichtung(Kontrolldurchgänge), die grüne Linie Durchgänge, in denen Aufmerksamkeit auf einen der beiden Zielreize ausgerichtet ist(Experimentaldurchgänge). 52 Abb. 4b zeigt einen mittels Gleichzeitigkeitsurteil gemessenen Prior-Entry-Effekt von 40 ms. Die blaue Linie repräsentiert Durchgänge ohne Aufmerksamkeitsausrichtung(Kontrolldurchgänge), die grüne Linie Durchgänge mit Aufmerksamkeitsausrichtung(Experimentaldurchgänge). Während es bislang nur wenige Studien gibt, die Prior-Entry auf neurophysiologischer Ebene zeigen (Seibold, Fiedler& Rolke, 2011; Vibell et al., 2007), konnten seit Wundts(1887) attentionaler Erklärung der negativen Zeitverschiebung und Titcheners Formulierung des G esetzes des früheren Eintritts im Jahre 1908, zahlreiche behaviorale Studien, Prior-Entry-Effekte, sowohl innerhalb als auch zwischen verschiedenen Modalitäten, nachweisen für einen aktuellen Überblicksartikel siehe Spence und Parise(2010) sowie Spence, Shore und Klein(2001). So wurden Prior-Entry-Effekte innerhalb der visuellen Modalität(z.B. Enns, Brehaut& Shore, 1999, Experiment 2; Ja kowski, 1993; Scharlau, 2002, 2004a, b, c, 2007a; Scharlau& Ansorge, 2003; Scharlau, et al., 2006; Scharlau& Neumann, 2003a, b; Schneider& Bavelier, 2003; Shore et al., 2001; Stelmach& Herdman, 1991; Weiß& Scharlau, 2009, 2011, 2012; Weiß, Hilkenmeier& Scharlau, eingereicht), der auditiven Modalität(Kanai, Ikeda& Tayama, 2007) und der taktilen Modalität(Yates& Nicholls, 2009, 2011) 53 gefunden. Auch für bimodale Reizpaare konnten Prior-Entry-Effekte nachgewiesen werden(Spence et al., 2001; Stone, 1926; Vibell et al., 2007; Zampini, Shore& Spence, 2005; Zampini et al., 2007). Prior-Entry-Effekte finden sich zudem unabhängig von der Methode der Aufmerksamkeitsausrichtung: mit sichtbaren(Schneider& Bavelier, 2003, Experiment 1; Shore et al.) und unsichtbaren peripheren Hinweisreizen(perzeptuelles Latenzpriming, PLP, Scharlau, 2002, 2004a,b,c, 2007a; Scharlau& Ansorge, 2003; Scharlau et al., 2006; Weiß& Scharlau, 2009, 2011, 2012), mit Blickbewegungshinweisreizen(Schneider& Bavelier, 2003, Experiment 3), mit Aufmerksamkeitsausrichtung durch Instruktion(Spence et al., 2001; Stelmach& Herdman, 1991; Vibell et al., 2007) und zentralen symbolischen Hinweisreizen(Schneider& Bavelier, 2003, Experiment 2; Shore et al., 2001) und ebenso wenn der aufmerksamkeitsausrichtende Hinweisreiz aus einer anderen Modalität stammt(Santangelo& Spence, 2008, 2009; Yates& Nicholls, 2011, Experiment 2, Experiment 4). Allerdings fallen Prior-Entry-Effekte, wenn Aufmerksamkeit durch Instruktion oder symbolische Hinweisreize ausgerichtet wurde, in der Regel kleiner aus(z.B. Schneider& Bavelier, 2003, Experiment 1 und 2; Shore et al., 2001). So fanden etwa Shore et al. (2001) mit Aufmerksamkeitsausrichtung durch periphere Hinweisreize einen visuellen Prior-EntryEffekt von 61 ms gegenüber einem Prior-Entry-Effekt von 17 ms mit zentralen, symbolischen Hinweisreizen(Pfeilen). Da ich in meinen eigenen empirischen Arbeiten, wie im PLP-Paradigma, visuell-räumliche Aufmerksamkeit durch unsichtbare beziehungsweise stark in ihrer Sichtbarkeit reduzierte periphere Hinweisreize ausrichte, fasst der folgende Abschnitt die wichtigsten empirischen Befunde zum PLP-Paradigma zusammen. 2.2 PLP als Spezialfall eines visuellen Prior-Entry-Paradigmas Das PLP-Paradigma ist ein Spezialfall des visuellen Prior-Entry-Paradigmas, in dem Aufmerksamkeit durch metakontrastmaskierte periphere Hinweisreize auf einen Ort ausgerichtet wird(Scharlau, 2002, 2004a,b,c, 2007a; Scharlau& Ansorge, 2003; Scharlau et al., 2006; Weiß& Scharlau, 2009, 54 2010, 2011, 2012; für einen Überblicksartikel zu PLP siehe Scharlau, 2007b) 14 . Metakontrastmaskierung(z.B. Breitmeyer, 1984; Breitmeyer& Ögmen, 2006) ist eine Form der Rückwärtsmaskierung, bei der ein Reiz durch einen zeitlich schnell nachfolgenden, in enger räumlicher Nachbarschaft präsentierten, Reiz maskiert wird d.h. unsichtbar gemacht oder zumindest stark in seiner Sichtbarkeit eingeschränkt wird. So kann etwa eine Scheibe durch einen sie umschließenden Ring maskiert werden, wenn dieser innerhalb eines bestimmten Zeitfensters auf die Scheibe folgt. Die besten Maskierungswerte können in der Regel erzielt werden, wenn der maskierende Reiz dem zu maskierenden Reiz um ein zeitliches Intervall von 40-80 ms nachfolgt. Die wichtigsten Befunde zum PLP-Paradigma lassen sich wie folgt zusammenfassen:(1) PLP ist unabhängig von der Sichtbarkeit des peripheren Hinweisreizes,(2) PLP hat den zeitlichen Verlauf eines Aufmerksamkeitseffekts und(3) PLP ist abhängig von den Absichten der Beobachter. (1) PLP ist unabhängig von der Sichtbarkeit der peripheren Hinweisreize(Scharlau, 2002; Scharlau& Neumann, 2003a). So fanden Scharlau und Neumann(2003a) im binären zeitlichen Reihenfolgeurteil mit einem Hinweisreizintervall von 64 ms PLP-Effekte in der Größe von 30-40 ms unabhängig davon welche Form der periphere Hinweisreiz hatte. Es handelte sich entweder um eine kleinere Version des geprimten Zielreizes(Raute bzw. Quadrat, kongruentes Priming, Experiment 2), um eine kleinere Version des nicht geprimten Zielreizes(inkongruentes Priming, Experiment 2) oder ein Kreuz(Experiment 3). Auch wurde die Größe des PLP-Effekts nicht davon beeinflusst, ob Hinweisreiz und geprimter Zielreiz die gleiche Farbe aufwiesen oder nicht(Experiment 4). (2) Der Zeitverlauf von PLP entspricht dem eines Aufmerksamkeitseffekts(Scharlau& Neumann, 2003b; Scharlau, et al., 2006). Scharlau et al. fanden im ternären zeitlichen Reihenfolgeurteil m-Urteilsalternative, dass die Größe von PLP für Hinweisreizintervalle in einem Bereich von 34 ms bis 136 ms linear ansteigt(Experiment 1). In 14 Bei meinen eigenen Studien(Weiß& Scharlau, 2009, 2011, 2012) handelt es sich strenggenommen nicht um PLP-Studien, da ich keine zusätzliche Signal-Entdeckungsaufgabe durchgeführt habe, um die Maskierungsstärke zu überprüfen. In meinen Studien ist der periphere Hinweisreiz dennoch nicht sichtbar bzw. seine Sichtbarkeit zumindest stark eingeschränkt. Außerdem konnte gezeigt werden, dass PLP unabhängig von der Sichtbarkeit des Hinweisreizes ist. 55 einem Bereich von 170 ms bis 510 ms(Experiment 2) nimmt die Größe der PLP-Effekte hingegen monoton ab. Es finden sich kleine, aber signifikante PLP-Effekte für Hinweisreizintervalle bis zu einer Größe von 1020 ms; in einem Bereich von 340 ms bis 1020 ms nimmt die Größe von PLP monoton ab. Maximale PLP-Effekte finden sich für Hinweisreizintervalle zwischen 136 ms bis 272 ms. Da sich in diesem Bereich die PLP-Effekte nicht signifikant in ihrer Größe unterscheiden(104 ms, 97 ms, 89 ms, 88 ms, 71 ms), scheint es eher ein Plateau von maximalen PLP-Effekten, denn ein eindeutiges Maximum für ein bestimmtes Hinweisreizintervall, zu geben. (3) PLP ist von den Suchabsichten der Beobachter beeinflusst(Scharlau& Ansorge, 2003). In einem modifizierten PLP-Paradigma, in dem zusätzlich zu den beiden Zielreizen noch aufgabenirrelevante Ablenkerreize, Distraktoren, präsentiert wurden, lösten nur zielreizähnliche, nicht jedoch distraktorähnliche, periphere Hinweisreize, PLP-Effekte aus. In Experiment 1 hatte die Präsentation eines Distraktorreizes, der sich in seiner Form von den Zielreizen unterschied(Ring vs. Raute, Quadrat), keinen Einfluss auf die Größe des PLP-Effekts von 49 ms. In Experiment 2a löste ein distraktorähnlicher ringförmiger Hinweisreiz keinen PLP-Effekt aus, wohingegen in Experiment 2b ein zielreizähnlicher Hinweisreiz(Raute oder Quadrat) einen PLP-Effekt von 28 ms auslöste. Auch wenn sich Distraktoren und Zielreize im Merkmal Farbe statt im Merkmal Form unterschieden(Experiment 3a), ergab sich nur ein PLP-Effekt von 28 ms für zielreizähnliche Hinweisreize, nicht jedoch für distraktorähnliche Hinweisreize. Im folgenden Abschnitt werde ich eigene empirische Arbeiten zum Prior-Entry-Effekt darstellen(Weiß& Scharlau, 2011, 2012; Weiß, Hilkenmeier& Scharlau, eingereicht). 15 In der ersten Studie(Weiß& Scharlau, 2012) haben wir uns mit einem alten, bekannten Einwand gegen die PriorEntry-Forschung beschäftigt der Frage, ob nicht möglicherweise andere, von Aufmerksamkeit unabhängige, Prozesse für den Prior-Entry-Effekt und die ihn begleitenden zeitlichen Fehler verantwortlich sein könnten(z.B. Dunlap, 1910; Ja kowski, 1991; Pashler, 1998; Schneider& Bavelier, 15 Im Folgenden werde ich über meine empirischen Arbeiten in der Wir-Form sprechen, da sie sich auf Arbeiten beziehen, die ich zusammen mit mindestens einer Koautorin verfasst habe. 56 2003). Diese Frage kann zumindest für das von uns verwendete experimentelle Paradigma mit nein beantwortet werden. In einer zweiten Studie haben wir(Weiß& Scharlau, 2011) untersucht, ob Aufmerksamkeit die zeitlichen Wahrnehmungseindrücke Gleichzeitigkeit und Reihenfolge gleichermaßen beeinflusst. Dies müsste der Fall sein, wenn die zumindest implizite Annahme vieler Modelle der zeitlichen Reihenfolgewahrnehmung zutrifft, dass die Wahrnehmungseindrücke zeitlicher Reihenfolge und Gleichzeitigkeit Kehrseiten ein und derselben Medaille sind. Das heißt, dass der Wahrne ` nicht diskriminiert werden kann. Dieser Annahme widersprechend, weisen unsere Ergebnisse darauf hin, dass die Wahrnehmungseindrücke zeitlicher Reihenfolge und Gleichzeitigkeit auf unterschiedliche Mechanismen zurückzuführen sind, da Aufmerksamkeit den Wahrnehmungseindruck Gleichzeitigkeit im Gegensatz zu dem zeitlicher Reihenfolge stark behindert. In unserer letzten Studie haben wir den Mechanismus, mit dem Aufmerksamkeit zeitliche Fehler hervorruft, nochmals genauer unter die Lupe genommen: Obwohl seit Titcheners Formulierung des Gesetzes des Prior-Entry, Prior-Entry-Effekte gemeinhin als Beschleunigung beachteter Reize interpretiert werden, könnten Prior-Entry-Effekte auch durch eine verlangsamte Wahrnehmung unbeachteter Reize oder ein Zusammenspiel beider Mechanismen zustande kommen(Fraisse, 1957, 1963; Spence et al., 2001; Stelmach& Herdman, 1991; Stone, 1926; Weiß, Hilkenmeier& Scharlau, eingereicht). 57 3. Aufmerksamkeit als(primäre) Ursache des Prior-Entry-Effekts? 3.1 Nicht-attentionale Alternativerklärungen des Prior-Entry-Effekts Bereits im Jahre 1908 hat Edward B. Titchener zeitgleich mit der Postulierung seines vierten Gesetzes der Aufmerksamkeit, dem law of prior entry, mutig der Auffassung Ausdruck verliehen, dass der Prior-Entry-Effekt im Wesentlichen erklärt sei: Unless, then I am unduly optimistic the negative displacement[that is, prior entry] need give Titchener, 1908, S. 259). Rückblickend erscheint diese Annahme Titcheners in der Tat etwas voreilig. Die ersten Einwände gegen eine aufmerksamkeitsbasierte Erklärung des Prior-Entry-Effekts wurden bereits kurz nach Titcheners optimistischer Einschätzung erhoben. So kam etwa nur zwei Jahre später, 1910, Knight Dunlap zu dem Schluss, dass der im Komplikationsexperiment gemessene Prior-Entry-Effekt ein Methodenartefakt sei, das u.a. auf Blickbewegungen beruhe: My experiments show quite clearly that with adequate fixation the average displacement in the complication experiment and similar experiments becomes practically inconsiderable(Dunlap, 1910, S. 164). Auch rund ein Jahrhundert später ist die Kritik an der aufmerksamkeitsbasierten Erklärung des PriorEntry-Effekts noch längst nicht verstummt(z.B. Frey, 1990; Ja kowski, 1993; Pashler, 1998; Schneider & Bavelier, 2003; Spence& Parise, 2010). So halten etwa Spence und Parise in ihrem Überblicksartikel den Ursprung der Prior-Entry-Effekte, in der Mehrheit veröffentlichter, insbesondere älterer, Prior-Entry-Studien, aufgrund methodischer Schwächen, für nicht hinreichend geklärt: A studying prior entry for more than a century now, progress in understanding the effect has been hindered by the many methodological confounds present in early research. As a consequence, it is unclear whether the behavioral effects reported in the majority of published studies in this area should be attributed to attention, decisional response biases, and/or, in the case of exogenous spatial cuing studies of the prior-entry effect, to sensory facilitation effects instead(Spence& Parise, 2010, p. 364). Den Einwänden gegenüber der aufmerksamkeitsbasierten Erklärung des Prior-Entry-Effekts ist die Idee gemein, dass insbesondere mittels zeitlichem Reihenfolgeurteil gemessene Prior-Entry-Effekte 58 auch ohne Beteiligung von Aufmerksamkeit erklärt werden können(z.B. Frey, 1990; Ja kowski, 1993; Pashler, 1998; Schneider& Bavelier, 2003; inwieweit diese Argumentation auch auf das Gleichzeitigkeitsurteil zutrifft, siehe Abschnitte 3.4 und 4). Da der Prior-Entry-Effekt als Verschiebung des PSS operationalisiert ist, kann eine durch Aufmerksamkeit bedingte Verschiebung, nicht von einer anderweitig verursachten Verschiebung unterschieden werden, solange diese die von der PriorEntry-Hypothese vorhergesagte Richtung aufweist(siehe Abb. 4a und b). Nicht aufmerksamkeitsbasierte Alternativerklärungen des Prior-Entry-Effekts lassen sich zwei Gruppen zuordnen. Die erste Gruppe beinhaltet Erklärungen, die Prior-Entry-Effekte Prozessen auf der postperzeptuellen Ebene genauer gesagt einer Verzerrung von Urteils- und Entscheidungsprozessen zuschreiben(Frey, 1990; Ja kowski, 1993; Pashler, 1998; Schneider& Bavelier, 2003). Diese Einwände gehen somit davon aus, dass dem Prior-Entry-Effekt k eine Wahrnehmungstäuschung im eigentlichen Sinne, d.h. subjektiv frühere Wahrnehmung beachteter Reize, zugrunde liegt. Die zweite Gruppe an Alternativerklärungen sieht den Ursprung des PriorEntry-Effekts auf sensorischer bzw. sensomotorischer Ebene(z.B. Scharlau, 2004a; Scharlau& Neumann, 2003b). Auf sensorischer Ebene könnte ein dem geprimten Zielreiz ähnlicher Hinweisreiz (z.B. kleine Raute primt große Raute) entsprechende Merkmalsdetektoren voraktivieren und so die sensorische Verarbeitung dieses Zielreizes erleichtern. Zudem könnte sich der Hinweisreiz sensomotorisch auswirken, indem er eine motorische Reaktion zu Gunsten des geprimten Zielreizes spezifiziert; beispielsweise könnte eine Raute als Hinweisreiz die erforderliche Reaktion für das `` spezifizieren. Sind die Merkmale von Hinweisreiz und geprimten Zielreiz die gleichen, entspricht dies einem Reihenfolgeurteil zu Gunsten des geprimten Zielreizes. Im Falle sensorischer Erleichterung läge dem Prior-Entry-Effekt zwar eine Wahrnehmungstäuschung zugrunde(d.h. beachtete Reize würden subjektiv als früher wahrgenommen), jedoch wäre diese Wahrnehmungstäuschung nicht, wie von der Prior-Entry-Hypothese angenommen, durch Aufmerksamkeit bedingt. Der folgende Abschnitt stellt zunächst die auf der postperzeptuellen Ebene verorteten Alternativerklärungen des Prior-Entry-Effekts dar. 59 3.2 Das Urteilsbias-Argument Die Grundannahme des Urteilsbias-Argumentes ist, dass Prior-Entry-Effekte nicht auf perzeptueller Ebene durch Ausrichtung von Aufmerksamkeit, sondern auf postperzeptueller Ebene durch eine Verzerrung von Urteils- und Entscheidungsprozessen entstehen. Da Beobachter im Paradigma des zeitlichen Reihenfolgeurteils die Reihenfolge zweier Reize, deren zeitlicher Abstand an der Grenze der zeitlichen Auflösungsfähigkeit liegt, detektieren müssen, ist ein zeitliches Reihenfolgeurteil mit einem erheblichen Ausmaß an Unsicherheit über die tatsächlichen zeitlichen Begebenheiten behaftet. Dies gilt umso mehr, je kleiner das zeitliche Intervall zwischen beiden Zielreizen ist. So werden etwa in visuellen Prior-Entry-Studien vorwiegend Zielreizintervalle in einem Bereich zwischen 0 ms und 150-200 ms genutzt(z.B. Scharlau, 2007a; Shore et al., 2001; Stelmach& Herdman, 1991). Die zeitliche Reihenfolgeschwelle das Zeitintervall, für das die Reihenfolge zweier Reize sicher unterschieden werden kann befindet sich zwischen 20 ms und 60 ms(z.B. Fink et al., 2006; Hirsh& Fraisse, 1964; Hirsh& Sherrick, 1961; Pöppel, 1997, 2004; Wittmann, 2011). Beobachter fällen somit einen überwiegenden Teil der zeitlichen Reihenfolgeurteile unter zeitlichen Bedingungen, die zumindest an der Grenze ihrer zeitlichen Auflösungsfähigkeit liegen. Diese dem zeitlichen Reihenfolgeurteil inhärente zeitliche Unsicherheit macht es wahrscheinlich, dass Beobachter auch auf nicht-zeitliche Informationen zurückgreifen, um die für sie schwierige Aufgabe zu lösen. Leicht zugängliche nicht-zeitliche Informationen stellen beispielsweise der Ort bzw. die Modalität, auf die die Aufmerksamkeit gerichtet ist, dar(Scharlau, 2004a; Shore et al., 2001; Spence et al., 2001): It is easy to conceive that, if one channel is cued, the stimulus in this channel would be considered by the subject as more important in some way, and when no information about order is available the subject would choose this channel as that in which the stimulus was presented earlier J 1993, S. 682). Ein Beobachteter könnte etwa unter zeitlicher Unsicherheit das Reihenfolg ` fällen, falls er dazu instruiert ist, die linke Seite des Bildschirms zu beachten. Berichten Beobachter nun unter Unsicherheit immer oder häufig den Ort oder die Modalität, auf die ihre Aufmerksamkeit 60 ausgerichtet ist, ergäbe sich aufgrund des häufiger getrof U Reiz/Vergleic Verschiebung des PSS in die von der Prior-Entry-Hypothese vorhergesagte Richtung. Insbesondere das binäre zeitliche Reihenfolgeurteil erscheint anfällig für die Nutzung nichtzeitlicher Hinweisreize, da Beobachter bei dieser Aufgabe gezwungen sind, sich für eine von zwei Möglichkeiten zu entscheiden, auch wenn sie keine Reihenfolge detektieren konnten. Im Gegensatz hierzu sollte das ternäre bzw. vierstufige zeitliche Reihenfolgeurteil(z.B. Scharlau, 2004a; Ulrich, 1987; Van Eijk et al., 2008; Weiß& Scharlau, 2009, 2010 ,2011, 2012) weniger anfällig für einen Ortsbzw. Modalitätsbias sein, da ohne Information über die zeitliche Reihenfolge die Urteilsalternativen V - und Nachteile des ternären Reihenfolgeurteils gegenüber dem binären Reihenfolgeurteil werden unter Abschnitt 4.3 diskutiert). Unter der Annahme, dass das binäre Reihenfolgeurteil einen Orts- bzw. Modalitätsbias besonders begünstigt, sollte im ternären Reihenfolgeurteil der Prior-Entry-Effekt entweder vollständig verschwinden wenn der Prior-Entry-Effekt ein reines Artefakt des binären Reihenfolgeurteils ist oder zumindest um das Ausmaß des auf das binäre Reihenfolgeurteil zurückgehenden Bias reduziert sein wenn der Prior-Entry-Effekt teilweise auf ein Artefakt des binären Reihenfolgeurteils zurückgeht J 1993). J ließ zwei trainierte Beobachter entweder ein binäres(Experiment 1) oder ternäres Reihenfolgeurteil(Experiment 2) über zwei visuelle Reize fällen. Aufmerksamkeit wurde durch Instruktion auf die obere oder untere Bildschirmhälfte ausgerichtet. Diese Aufmerksamkeitsmanipulation wurde zusätzlich durch eine Reaktionszeitaufgabe verstärkt: Die Beobachter mussten auf das Erscheinen eines Reizes am beachteten Ort möglichst schnell mit dem Drücken zweier Tasten reagieren( primäre Aufgabe). Erst anschließend durften sie das Urteil über die Reihenfolge beider Zielreize abgeben( sekundäre Aufgabe). Im binären Reihenfolgeurteil )) J einen Prior-Entry-Effekt von 10 ms bzw. 18 ms, wohingegen sich im ternären Reihenfolgeurteil( 61 )) Blick könnte J ) für keinen der beiden Beobachter ein Prior-Entry-Effekt ergab. Auf den ersten " B dafür interpretiert werden, dass im binären Reihenfolgeurteil gemessene Prior-Entry-Effekte auf einen Urteilsbias und nicht auf Aufmerksamkeit zurückgehen. Allerdings widerspricht Ja kowskis Befund einer ganzen Reihe von Studien, die PriorEntry-Effekte auch im ternären bzw. vier-stufigen zeitlichen Reihenfolgeurteil nachweisen konnten (Scharlau, 2004a; Scharlau, et al., 2006; Stone, 1926; Stelmach& Herdman, 1991; Weiß& Scharlau, 2009, 2011, 2012; Zampini et al., 2007). Bereits 1926 fand Sybil Stone für audio-taktile Zielreizpaare einen Prior-Entry-Effekt von 47 ms im ternären Reihenfolgeurteil ` ` zeitgleich 16 Für die visuelle Modalität fand etwa Scharlau(2004a, Experiment 1) im ternären Reihenfolgeurteil einen Prior-Entry-Effekt von 44 ms mit einer reinen Urteilskategorie E von 41 ms mit einer dritten U . Diese Prior-Entry-Effekte entsprechen unter vergleichbaren Bedingungen mittels binärem Reihenfolgeurteil gefundenen Effekten: Beispielsweise fanden Scharlau und Neumann(2003b) PriorEntry-Effekte von 33 ms(Experiment 1) und 40 ms bzw. 38 ms(Experiment 2). Das Fehlen eines Prior-Entry-Effekts im ternären Reihenfolgeurteil bei Ja kowski könnte zum einen durch die D oppelaufgabe Beobachter mussten so schnell wie möglich auf einen Reiz am beachteten Ort reagieren(primäre Aufgabe) und durften erst anschließend das zeitliche Reihenfolgeurteil fällen(sekundäre Aufgabe) bedingt sein. Diese Doppelaufgabe könnte die zeitliche Diskriminationsgenauigkeit eingeschränkt und die Beobachter anfälliger für einen Urteilsbias gemacht haben. Die visuelle Inspektion der psychometrischen Kurven in Ja kowski(1993) stützt diese Annahme, da die psychometrischen Funktionen flacher sind als unter ähnlichen Bedingungen ohne Doppelaufgabe(etwa Scharlau, 2004a, Experiment 1). Zudem könnte die Art der Aufmerksamkeitsausrichtung in Ja kowskis Studie durch Instruktion für das Fehlen des PriorEntry-Effekts im ternären Reihenfolgeurteil verantwortlich sein. Aufmerksamkeitsausrichtung durch Instruktion führt in der Regel zu kleineren und instabileren Prior-Entry-Effekten als 16 Im Überblicksartikel von Spence& Parise(2010) wird die Studie von Stone(1926) fälschlicherweise als binäre TOJ-Studie aufgeführt. Auch beträgt der mittlere Prior-Entry-Effekt nicht wie berichtet 46 ms, sondern 47 ms. 62 Aufmerksamkeitsausrichtung durch periphere Hinweisreize(Shore et al., 2001; Schneider& Bavelier, 2003). Übereinstimmend mit dieser Hypothese sind auch die von Ja kowski im binären Reihenfolgeurteil gefundenen Effekte mit 18 ms bzw. 10 ms vergleichsweise klein. Vor dem Hintergrund, dass seit Ja kowskis Studie im Jahr 1993 eine Reihe von Studien PriorEntry-Effekte auch mittels drei- bzw. mehrstufigem zeitlichem Reihenfolgeurteil nachweisen konnten (Scharlau, 2004a; Scharlau, et al., 2006; Stelmach& Herdman, 1991; Weiß& Scharlau, 2009, 2011, 2012; Zampini et al., 2007), kann die Alternativerklärung des Prior-Entry-Effekts als bloßes Artefakt des binären Reihenfolgeurteils ausgeschlossen werden. Auch wenn Beobachter ein ternäres oder mehrstufiges Reihenfolgeurteil mit einer zusätzlichen Urteilsal oder , bleiben substantielle Prior-Entry-Effekte bestehen. Weiterhin ist festzuhalten, dass mittels ternärem Reihenfolgeurteil gemessene Prior-Entry-Effekte in der Regel nicht kleiner sind als unter vergleichbaren Bedingungen im binären Reihenfolgeurteil gemessene. Auch eine abgeschwächte Biasannahme, nach der Prior-Entry-Effekte, wenn auch nicht vollständig, so zumindest zu einem Teil, durch einen Urteilsbias aufgrund des binären Reihenfolgeurteils erklärt werden können, erscheint somit nicht plausibel. So entspricht bzw. übertrifft der Prior-Entry-Effekt von 41 ms im ternären Reihenfolgeurteil bei Scharlau(2004a, Experiment 1) Prior-Entry-Effekte, die sie unter vergleichbaren Bedingungen im binären Reihenfolgeurteil gefunden hat, z.B. 33 ms (Scharlau& Neumann, 2003b, Experiment 1). Wenn man als Schätzer für die Größe des Prior-EntryEffekts nur Durchgänge heranzieht, in denen der Hinweisreiz ungehindert seine aufmerksamkeitslenkende Wirkung entfalten kann(Reihenfolgeurteil Vergleichsreiz zuerst), findet man im ternären Reihenfolgeurteil sogar durchgehend größere Prior-Entry-Effekte als im binären Reihenfolgeurteil unter vergleichbaren zeitlichen Bedingungen: Scharlau, et al.(2006, Experiment 1) fanden mit einem Hinweisreizintervall von 68 ms ` V einen Prior-Entry-Effekt von 48 ms, Weiß und Scharlau(2011, Experiment 1) sogar einen Prior-Entry-Effekt von 58 ms. Dieser Befund schließt zumindest für das von uns verwendete PLP-Paradigma die Möglichkeit aus, dass der Prior-Entry-Effekt durch ein Artefakt des binären Reihenfolgeurteils erklärt 63 werden kann. Mittels ternärem Reihenfolgeurteil gemessene Prior-Entry-Effekte sollten unter dieser Voraussetzung zumindest kleiner als im binären Reihenfolgeurteil ausfallen, wenn nicht gar verschwinden. Doch auch im ternären oder mehrstufigen Reihenfolgeurteil ist nicht vollständig auszuschließen, dass Beobachter insbesondere wenn die dritte Urte Urteile zulässt den Ort oder die Modalität, auf dem bzw. der ihre Aufmerksamkeit liegt, berichten und sich somit wie im binären Reihenfolgeurteil weiterhin keine Möglichkeit bietet, Unsicherheit über die zeitlichen Begebenheiten anzugeben(Ja kowski, 1993; Pashler, 1998). Ein solcher Orts- bzw. Modalitätsbias lässt sich allerdings durch eine unabhängige, orthogonale, Manipulation der Antwortdimension des zeitlichen Reihenfolgeurteils und Dimension der Aufmerksamkeitsausrichtung weitgehend ausschließen, da Beobachter nun nicht mehr den Ort bzw. die Modalität der Aufmerksamkeitsausrichtung als Reihenfolgeurteil berichten können. Diese Form der Kontrolle des Orts- bzw. Modalitätsbias wurde erstmals von der Arbeitsgruppe um Charles Spence(Spence et al., 2001; Shore et al., 2001) vorgeschlagen. So gaben beispielsweise Beobachter in der Studie von Spence et al. ein räumliches Reihenfolgeurteil ab `` wenn Aufmerksamkeit auf eine Modalität ausgerichtet war oder aber ein modalitätsbezogenes ``` ), wenn Aufmerksamkeit räumlich ausgerichtet war. Da die Mehrheit aktueller Prior-Entry-Studien Aufmerksamkeitsausrichtung und Urteilsdimension orthogonal variiert(z.B. Scharlau, 2002, 2004a, b, c, 2007a; Scharlau& Ansorge, 2003; Scharlau& Neumann, 2003, a,b; Scharlau, et al., 2006; Shore et al., 2001; Spence et al., 2001; Yates& Nicholls, 2009, 2011; Weiß& Scharlau, 2009, 2011, 2012), kann ein Orts- bzw. Modalitätsbias als Alternativerklärung für den Prior-Entry-Effekt zunehmend vernachlässigt werden eine Ausnahme aus jüngerer Zeit bildet die Studie von Kanai et al.(2007). Leider kann jedoch die Möglichkeit eines komplexeren Kriteriumsbias, wie sie erstmals von Frey(1990) vorgeschlagen wurde, als Erklärung für Prior-Entry-Effekte nicht ohne weiteres ausgeschlossen werden. 64 3.3 Der Kriteriumsbias Beobachter könnten dem beachteten und damit höchstwahrscheinlich auch salienteren Reiz jegliches Urteilskriterium zuschreiben, sei es nun, der erste oder zweite Reiz, oder auch der hellere oder länger andauernde Reiz gewesen zu sein(z.B. Frey, 1990; Pashler, 1998): " stimulus as having any characteristic they were asked to judge arriving first, being brighter, or perhaps even arriving last(Pashler, 1998, S. 260) Frey untersuchte 1990, ob dem beachteten und somit salienteren von zwei Reizen jegliches Urteilskriterium zugeschrieben wird beispielsweise, der erste bzw. der zweite Reiz zu sein(Frey, 1990, Experiment 1, 2, 3, 4, 7). In Experiment 5 ließ Frey daher die Beobachter beurteilen, ob die rechte oder linke Hälfte eines Bildschirms mehr Kreise(erste Sitzung) oder weniger Kreise(zweite Sitzung) enthielt. Wie bei Sternberg, Knoll& Gates(1971) wurde Aufmerksamkeit durch eine Reaktionszeitaufgabe ausgerichtet: Beobachter mussten entweder auf Reize in der linken oder rechten Bildschirmhälfte möglichst schnell mit dem Ziehen eines Hebels reagieren, wenn in beiden Bildschirmhälften Reize präsentiert wurden. In Durchgängen, in denen nur in einer Bildschirmhälfte Reize präsentiert wurden, durften sie nicht reagieren. Zusätzlich wurden Beobachter für schnelle Reaktionszeiten mittels eines Punktesystems belohnt und für falsche Reaktionen bestraft. Frey fand, übereinstimmend mit der Kriteriumsbias-Hypothese, dass die beachtete Bildschirmseite bevorzugt dem jeweiligen Urteilskriterium zugeschrieben wurde: War das Urteilskriterium, diejenige Bildschirmseite zu berichten, in der mehr Kreise zu sehen waren, wurden in beiden Bildschirmseiten gleich viele Kreise wahrgenommen, wenn die beachtete Seite 26,5 Prozent weniger Kreise enthielt. U U W" K Bildschirmhälften die gleiche Anzahl an Kreisen wahrgenommen, wenn die beachtete Bildschirmseite 32 Prozent mehr Kreise enthielt. Experiment 6, in dem die Beobachteter entscheiden mussten, welche von zwei Linien die längere oder die kürzere war, konnte die Ergebnisse aus Experiment 5 replizieren. In beiden einander entgegengesetzten Urteilskriterien wurde die beachtete Bildschirmseite jeweils stark bevorzugt. In Experiment 7 hat Frey die Logik des Kriteriumsbias auf das 65 binäre zeitliche Reihenfolgeurteil angewendet. Anstatt anzugeben, ob ein auditiver oder ein visueller Reiz z uerst präsentiert wurde, mussten die Beobachter angeben, welcher der beiden Reize später/als zweiter präsentiert wurde. Wie in den vorherigen Experimenten wurde Aufmerksamkeit durch eine Reaktionszeitaufgabe ausgerichtet. Die Beobachter mussten möglichst schnell auf den auditiven oder auf den visuellen Reiz reagieren. Die Prior-Entry- und die Kriteriumsbias-Hypothese machen für diese Aufgabe entgegengesetzte Vorhersagen: Während Beobachter den Reiz aus der beachteten Modalität, seltener als den späteren angeben sollten, wenn die Prior-Entry-Hypothese zutreffend ist, sollten sie ihn häufiger als den späteren angeben, wenn die Kriteriumsbias-Hypothese zutreffend ist. Die Ergebnisse sprachen zu Gunsten der Kriteriumsbias-Hypothese: Vier von fünf Versuchspersonen gaben den beachteten Reiz, der Prior-Entry-Hypothese widersprechend, wesentlich häufiger als den späteren an. Versuchsperson 2 zeigte beispielsweise einen Kriteriumseffekt von 139 ms. Isoliert betrachtet impliziert Freys(1990) Studie, dass zumindest visuell-auditive Prior-EntryEffekte zu einem Großteil auf einen Kriteriumsbias zurückzuführen sind. Allerdings könnten einige Besonderheiten von Freys Studie zu einer starken Überschätzung des Kriteriumsbias geführt haben. Erstens sollte die Doppelaufgabe aus Reaktionsaufgabe und Reihenfolgeurteil, die zeitliche Diskriminationsfähigkeit im Reihenfolgeurteil beeinträchtigen. Die hierdurch zwangsläufig resultierende größere zeitliche Unsicherheit sollte die Beobachter anfälliger für einen Bias gemacht haben. Dies gilt insbesondere, da Beobachter zwar für gute Leistungen in der Reaktionsaufgabe belohnt wurden, nicht aber für gute Leistungen im zeitlichen Reihenfolgeurteil. Zweitens wurden die Dimension der Aufmerksamkeitsausrichtung(visuelle vs. auditive Modalität) und die Urteilsdimension des Reihenfolgeurteils nicht unabhängig voneinander manipuliert, wie es in den meisten neueren Prior-Entry-Studien mittlerweile Standard ist(vgl. Shore et al., 2001 und Spence& Parise, 2010 für eine genauere Beschreibung der orthogonalen Methode der Aufmerksamkeitsausrichtung). Dies macht einen Kriteriumsbias in Freys Studie wahrscheinlicher, da Beobachter die beachtete Modalität(auditiv vs. visuell) direkt dem Urteil Reiz schreiben konnten, ohne zuvor die Dimension der 66 Aufmerksamkeitsausrichtung(z.B. linke vs. rechte Bildschirmhälfte), den Antwortalternativen(z.B. auditiver vs. visueller Reiz) zuordnen zu müssen. Unglücklicherweise kann ein möglicher Kriteriumsbias nicht bereits im Vorfeld einer PriorEntry-Studie ausgeschaltet werden, da Beobachter jedes gegebene Urteilskriterium dem beachteten Reiz zuschreiben könnten. Deshalb haben Shore et al.(2001), basierend auf Freys Studie, eine Methode vorgeschlagen, die eine S chätzung des Kriteriumsbiasanteils für einen gegebenen PriorEntry-Effekt ermöglicht. Beobachter müssen hierfür entweder beurteilen, welcher Reiz der erste oder welcher Reiz der zweite war. Die Hälfte der Differenz zwischen den gemessenen Prior-Entry-Effekten W her Reiz wurde zuerst präsentiert? W` wurde zuletzt präsentiert? nun als Schätzung für den Kriteriumsbias genommen werden. Etliche jüngere Prior-Entry-Studien verwenden diese von Shore et al. vorgeschlagene Methode, um sich gegen einen Kriteriumsbias abzusichern(Kanai et al., 2007; Lester, Hecht& Vecera, 2009; Roberts& Humphreys, 2010; Scharlau, 2004a, Experiment 3; Yates& Nicholls, 2009, 2011). Unglückerweise messen alle aufgezählten Studien, abgesehen von Scharlau(2004a), einen möglichen Anteil eines Kriteriumsbias nicht innerhalb von Versuchspersonen, sondern zwischen Versuchspersonen. Diese Art der Biasmessung erscheint insbesondere bei einer geringen Anzahl an Versuchspersonen problematisch, da es teilweise starke interindividuelle Unterschiede in der Größe von Prior-Entry-Effekten gibt(z.B. Shore et al., 2001; Zampini et al., 2007), und die Größe des Prior-Entry-Effekts auch eine Obergrenze für die Größe des Kriteriumsbias darstellt. So finden Shore et al. mit einem peripheren Hinweisreiz individuelle Prior-Entry-Effekte zwischen 81.5 ms und 72 ms U W` Prior-Entry-Effekte zwischen 74.5 ms und 27 ms für das Urteilskri W Reiz als Zweiter?. Um den Anteil eines Kriteriumsbias korrekt zu schätzen, sollten die Unterschiede beider Urteilskriterien daher innerhalb von Versuchspersonen erhoben werden, wie etwa bei Scharlau(2004a, Experiment 3) oder Weiß und Scharlau(2012). Obwohl die Methode von Shore et al.(2001) einen einfachen Schätzer für die Größe eines Kriteriumsbias in einem gegebenen Prior-Entry-Experiment darstellt, sind dennoch Wege denkbar, 67 auf denen sich ein Kriteriumsbias auswirken könnte, ohne von dieser Methode entdeckt zu werden. Eine naheliegende Möglichkeit wäre beispielsweise, dass Beobachter auch unter dem U W` ? weiterhin beurteilen, welcher Reiz zuerst präsentierte wurde und anschließend ihr Urteil umdrehen/invertieren(Schneider& Komolos, 2008). Diese Erklärung erscheint umso plausibler, wenn man bedenkt, dass Beobachter mit dem Erscheinen des ersten Zielreizes automatisch auch die Identität des zweiten Zielreizes kennen. Im zeitlichen Reihenfolgeurteil kann die Möglichkeit eines Kriteriumsbias somit nur schwer endgültig ausgeschlossen werden. Einige Autoren(Schneider& Bavelier, 2003; Yates& Nicholls, 2011; Zampini, Shore et al., 2005) argumentieren, dass das Gleichzeitigkeitsurteil ein besseres Maß für den PriorEntry-Effekt ist, da es weniger anfällig für Urteilsverzerrungen sei. Im Gleichzeitigkeitsurteil würde eine Urteilstendenz zu Gunsten eines der U H der Gleichzeitigkeitsurteile beeinflussen. Somit würden zwar die Höhe und die Weite ihrer glockenförmigen Verteilung beeinflusst, aber nicht ihr Gipfel, der PSS. Zudem ist das Gleichzeitigkeitsurteil weniger anfällig für einen sensorischen oder sensomotorischen Bias, da keine der Urteilsalternativen mit der Dimension der Aufmerksamkeitsausrichtung kompatibel sein bzw. durch einen Hinweisreiz spezifiziert werden kann. Übereinstimmend mit der Annahme, dass das Gleichzeitigkeitsurteil eine weitgehend biasfreie Schätzung des Prior-Entry-Effekts darstellt, sind die mittels Gleichzeitigkeitsurteil erfassten Prior-Entry-Effekte in der Regel kleiner als die mittels Reihenfolgeurteil erfassten(z.B. Santangelo& Spence, 2008; Schneider& Bavelier, 2003; Van der Burg, Olivers, Bronkhorst& Theeuwes, 2008; Yates& Nicholls, 2011; Zampini, Shore et al., 2005). 68 3.4 Das Gleichzeitigkeitsurteil als Lösung des Bias-Problems? Seit einigen Jahren wird das Gleichzeitigkeitsurteil von manchen Autoren(Santangelo& Spence, 2008; Schneider& Bavelier, 2003; Van der Burg et al., 2008; Yates& Nicholls, 2011; Zampini, Shore et al., 2005) als Lösung des Bias-Problems angesehen. So erklären beispielsweise Schneider und Bavelier (2003): Using a simple TOJ task, it is impossible to distinguish between attentional effects upon sensory mechanisms and those upon cognitive mechanisms. The SJ task may provide a more accurate probe of sensory effects. If the assumption is correct that temporal order and simultaneity decision are based only upon the difference in arrival times of "J task do not affect the estimate of the point of maximal simultaneity(Schneider& Bavelier, 2003, S. 353). Santangelo und Spence(2008) argumentieren in ähnlicher Weise: SJ task appears to provide a more appropriate test for any investigation of temporal perception, that focuses on the PSS. This is because there is no obvious way in which cueing the side on which one or the other stimulus occurs in such a task should bias participants towards making more ). Consequently, any PSS shift demonstrated in the SJ task should be completely free from all response bias concerns(Santangelo& Spence, 2008, S. 158). Auf den ersten Blick erscheint die Annahme, mittels Gleichzeitigkeitsurteil gemessene Prior-EntryEffekte seien weitgehend frei von jeglicher Form der Urteilsverzerrung, plausibel. Unter vergleichbaren Bedingungen gemessene Prior-Entry-Effekte fallen in der Regel kleiner aus, wenn sie mittels binärem Gleichzeitigkeitsurteil gemessen wurden, statt mittels binärem Reihenfolgeurteil (McDonald, Teder-Sälejärvi, Di Russo& Hillyard, 2005; Santangelo& Spence, 2008; Schneider& Bavelier, 2003; Van der Burg et al., 2008; Yates& Nicholls, 2011). Auch scheint dieser Befund unabhängig von der Art der Aufmerksamkeitsausrichtung zu sein. So fanden Schneider und Bavelier (2003) in Experiment 1 signifikant größere Prior-Entry-Effekte im binären Reihenfolgeurteil mit peripheren Hinweisreizen für alle genutzten Hinweisreizintervalle(0 ms, 40 ms, 75 ms, 125 ms, 200 ms, 500 ms, 1000 ms). In Experiment 2 zeigte sich für zentral präsentierte symbolische Hinweisreize (Pfeile) ein vergleichbares Muster; mittels binärem Reihenfolgeurteil erfasste Prior-Entry-Effekte waren für alle verwendeten Hinweisreizintervalle(0 ms, 100 ms, 300 ms, 600 ms, 1000 ms, 1500 ms) entweder signifikant oder marginal signifikant größer(Hinweisreizintervalle 0 ms und 600 ms). Für 69 Aufmerksamkeitsausrichtung durch Blickbewegungshinweisreize ergab sich ebenfalls ein ähnliches Bild: Im binären Reihenfolgeurteil gemessene Prior-Entry-Effekte waren für alle Hinweisreizintervalle (0 ms, 100 ms, 300 ms, 600 ms, 1000 ms, 1500 ms) außer dem Hinweisreizintervall Null signifikant größer. Auch für Prior-Entry-Studien, in denen Aufmerksamkeit durch Hinweisreize aus einer anderen Modalität ausgerichtet wurde, fanden sich zum Teil erheblich kleinere Prior-Entry-Effekte im Gleichzeitigkeitsurteil: Während McDonald et al.(2005) im binären zeitlichen Reihenfolgeurteil über einen grünen und einen roten Lichtblitz, bei Aufmerksamkeitsausrichtung durch einen peripheren auditiven Hinweisreiz, einen Prior-Entry-Effekt von 69 ms maßen, konnten Santangelo und Spence (2008) im binären Gleichzeitigkeitsurteil über zwei Buchstaben, bei Aufmerksamkeitsausrichtung durch einen peripheren auditiven Hinweisreiz, nur einen Prior-Entry-Effekt von 17 ms finden. Ebenso fanden Van der Burg et al.(2008) kleinere PSS-Verschiebungen im Gleichzeitigkeitsurteil: Die Beobachter urteilten entweder, ob ein rechts oder links auftauchender Punkt zuerst präsentiert wurde(Experiment 1 und 2) oder gaben an, ob beide Punkte gleichzeitig oder nicht gleichzeitig präsentiert wurden(Experiment 3). Aufmerksamkeit wurde durch ein irrelevantes peripheres audiovisuelles Ereignis ausgerichtet zeitgleicher Farbwechsel von irrelevanten Distraktorscheiben mit einem Ton. Wenn der Ton mit einem Farbwechsel der Distraktoren in der linken oder rechten Bildschirmhälfte synchronisiert war, ergab sich für die Reihenfolgeurteile eine Verschiebung des PSS von 22 ms bzw. 29 ms, während die Verschiebung im Gleichzeitigkeitsurteil nur 9 ms betrug. Für die taktile Modalität fanden sich ebenfalls kleinere Prior-Entry-Effekte im binären Gleichzeitigkeitsurteil als im binären Reihenfolgeurteil(Yates& Nicholls, 2011): mit Aufmerksamkeitsausrichtung durch einen peripheren taktilen Hinweisreiz(6 ms vs. 31 ms), durch einen peripheren visuellen Hinweisreiz (6 ms vs. 38 ms). Bei genauerem Hinsehen birgt jedoch die Annahme, Gleichzeitigkeitsurteile könnten eine kaum bzw. gar nicht verzerrte Schätzung des Prior-Entry-Effekts darstellen, ein schwer auszuräumendes Problem. Setzt eine Nutzung des Gleichzeitigkeitsurteils anstelle des 70 Reihenfolgeurteils doch zwingend voraus, dass beide Urteile dieselben zeitlichen Prozesse erfassen und abbilden(vgl. Spence& Parise, 2010; Weiß& Scharlau, 2012, für eine ähnliche Argumentationsweise). In jüngerer Zeit häuft sich jedoch dieser Annahme widersprechende Evidenz (z.B. Guerrini, Berlucchi, Bricolo& Aglioti, 2003; Mitrani, et al., 1986; Scharlau, 2004a; Stelmach& Herdman, 1991; Van Eijk et al., 2008; Vatakis et al., 2008; Weiß& Scharlau, 2011, 2012; Yates& Nicholls, 2011). Ob das zeitliche Reihenfolgeurteil und das Gleichzeitigkeitsurteil dieselben zugrundeliegenden zeitlichen Prozesse erfassen, kann somit zumindest als stark umstritten gelten. Die Nutzung des Gleichzeitigkeitsurteils anstelle des Reihenfolgeurteils stellt daher keine Lösung für das Bias-Problem in der Prior-Entry-Forschung dar, sondern wirft vielmehr neue Fragen und Probleme auf. Für eine ausführlichere Erörterung der Frage, ob die Wahrnehmungseindrücke Gleichzeitigkeit und zeitliche Reihenfolge dieselben zeitlichen Prozesse erfassen siehe Abschnitt 4. 3.5 In welchem Ausmaß lässt sich der Prior-Entry-Effekt bewusst kontrollieren? Da auch das Gleichzeitigkeitsurteil keine Möglichkeit bietet, die Gefahr eines Kriteriumsbias oder Urteilsbias mit letzter Sicherheit auszuräumen, haben wir uns entschieden, das Biasproblem aus einer anderen Perspektive anzugehen(Weiß& Scharlau, 2012). Anstatt den Biasanteil an einem gegebenen Prior-Entry-Effekt zu schätzen, wollten wir den Anteil des Effekts erfassen, der der bewussten Kontrolle der Beobachter unterliegt. Das Ausmaß, in dem Beobachter den Prior-EntryEffekt willentlich reduzieren können, sollte einen guten Schätzer für die maximale Größe des auf Entscheidungsprozesse zurückgehenden Bias darstellen. Um möglichst günstige Bedingungen für eine Reduktion des Prior-Entry-Effekts zu schaffen, wurden die Beobachter über die Prior-EntryHypothese informiert und erhielten kontinuierliches Feedback über die Richtigkeit ihres dreistufigen Reihenfolgeurteils. Da der Prior-Entry-Effekt zwangsläufig von einer erhöhten Anzahl zeitlicher Fehler begleitet wird, und seine Größe proportional von der Anzahl dieser Fehler abhängig ist, sollte diese Manipulation eine Reduktion des Prior-Entry-Effektes begünstigen(siehe Abb. 1 in Weiß und Scharlau, 2012). Das Feedback sollte insbesondere für Bedingungen hoher zeitlicher Unsicherheit 71 (kleine Zielreizintervalle) zu weniger Fehlern im zeitlichen Reihenfolgeurteil führen. In Experiment 1, in dem wir metakontrastmaskierte Hinweisreize genutzt haben, waren die Beobachter nicht in der Lage, ihren Prior-Entry-Effekt von 46 ms zu reduzieren, während sie in Experiment 2, in dem Aufmerksamkeit durch sichtbare periphere Hinweisreize ausgerichtet wurde, ihren Prior-Entry-Effekt in geringem Ausmaß reduzieren konnten um 12 ms bei einem 44 ms großen Prior-Entry-Effekt. Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass ein auf Entscheidungsprozesse zurückzuführender Bias, in Prior-Entry-Paradigmen mit der Aufmerksamkeitsausrichtung durch periphere Hinweisreize (unsichtbar bzw. stark in der Sichtbarkeit reduziert, Weiß& Scharlau, 2012, Experiment 1 bzw. sichtbar, Weiß& Scharlau, 2012, Experiment 2), keine bzw. keine starke Rolle spielt. 3.6 Ein sensorischer bzw. sensomotorischer Bias als Erklärung des Prior-Entry-Effekts? Die Möglichkeit, dass ein sensorischer Bias gänzlich oder zum Teil für den Prior-Entry-Effekt verantwortlich sein könnte, besteht nur, wenn Aufmerksamkeit durch periphere Hinweisreize ausgerichtet wird, die sich in enger räumlicher Nähe zum Zielreiz befinden. Die Grundidee ist, dass der periphere Hinweisreiz, zumindest teilweise, die gleichen Rezeptoren aktiviert wie der geprimte Zielreiz, und dass diese Voraktivierung der entsprechenden Rezeptoren bzw. rezeptiven Felder, zu einer schnelleren sensorischen Verarbeitung dieses Reizes führt. Zumindest im von uns verwendeten Paradigma des perzeptuellen Latenzprimings, kann diese Möglichkeit weitestgehend ausgeschlossen werden(Scharlau, 2002; Scharlau& Neumann, 2003b; Weiß& Scharlau, 2012). So haben wir(Weiß& Scharlau, 2012) vergleichbar große Prior-Entry-Effekte(Experiment 1, 46 ms vs. Experiment 2, 44 ms) für Umstände gefunden, die sensorisches Priming entweder stark begünstigen oder behindern sollten. Experiment 1 bot günstige Bedingungen für sensorisches Priming, da periphere Hinweisreize mit hoher Ähnlichkeit zu den Zielreizen genutzt wurden, die zudem in räumlicher Nähe zu den Zielreizen dargeboten wurden. Im Gegensatz hierzu kann die Möglichkeit sensorischen Primings in Experiment 2 weitestgehend ausgeschlossen werden, da die in Experiment 2 eingesetzten peripheren Hinweisreize keine Ähnlichkeit mit den Zielreizen hatten und nicht in unmittelbarer räumlicher Nähe dargeboten wurden. 72 Im zumeist von uns verwendeten Prior-Entry-Paradigma mit peripheren maskierten Hinweisreizen findet sich allerdings ein kleiner Anteil motorischen Primings(Weiß& Scharlau, 2009; Experiment 1 im Anhang). Da die von uns verwendeten peripheren Hinweisreize kleinere Versionen der Zielreize sind, könnte der periphere Hinweisreiz durch direkte Parameterspezifikation(Neumann, 1990) eine motorische Reaktion hier: Das Drücken der Taste ) spezifizieren, wenn Hinweisreiz und geprimter Zielreiz kongruent sind(z.B. kleines Quadrat primt großes Quadrat). Sind Hinweisreiz und geprimter Zielreiz inkongruent(z.B. kleines Quadrat primt große Raute), würde der Hinweisreiz hingegen eine motorische Reaktion zu Gunsten des nicht geprimten Zielreizes spezifizieren. Ein auf motorisches Priming zurückgehender Anteil im Prior-EntryEffekt sollte sich somit durch einen kleineren Prior-Entry-Effekt für inkongruente Hinweisreize zeigen, da Reihenfolgeurteile zu Gunsten des nicht geprimten Zielreizes dem Prior-Entry-Effekt entgegenwirken und seine Größe reduzieren sollten. Scharlau und Neumann(2003b) und Scharlau (2004a) fanden unter diesen Bedingungen keine Belege für motorisches Priming. Prior-Entry-Effekte unterschieden sich nicht in ihrer Größe, unabhängig davon, ob kongruente oder inkongruente Hinweisreize zur Ausrichtung von Aufmerksamkeit genutzt wurden. Allerdings haben beide Studien diese Fragestellung mit dem weniger sensitiven binären Reihenfolgeurteil untersucht(vgl. Weiß& Scharlau, 2010, Abschnitt 4.3). Im vierstufigen Reihenfolgeurteil fanden wir(Weiß und Scharlau, 2009) hingegen Belege für einen kleinen Anteil motorischen Primings: Der Prior-Entry-Effekt war größer(45 ms), wenn kongruent geprimt wurde als wenn inkongruent geprimt wurde(38 ms). Dieser Effekt verschwand, wenn man durch eine motorische Zwischenaufgabe motorisches Priming durch den Hinweisreiz ausschaltete(siehe Anhang, Experiment 1). Zusammenfassend kann festgehalten werden: Zumindest in visuellen Prior-EntryParadigmen, in denen Aufmerksamkeit mittels peripheren Hinweisreizen ausgerichtet wird, tragen nicht-aufmerksamkeitsbasierte Faktoren, wie Kriteriumsbias(Scharlau, 2004a; Weiß& Scharlau, 2012) oder sensorischer bzw. sensomotorischer Bias(Weiß& Scharlau, 2009), nicht oder nur zu einem sehr geringen Anteil zu den gemessenen Prior-Entry-Effekten bei. Unter Berücksichtigung 73 empirischer Befunde, die zeigen, dass Prior-Entry-Effekte den typischen zeitlichen Verlauf von Aufmerksamkeitseffekten aufweisen(z.B. Scharlau& Neumann, 2003a; Scharlau et al., 2006), kann Aufmerksamkeit als primäre Ursache dieser Prior-Entry-Effekte betrachtet werden. Im folgenden Abschnitt werde ich daher das beschriebene visuelle Prior-Entry-Paradigma, wie von Sternberg und Knoll(1973) vorgeschlagen, als Werkzeug nutzen, um Auswirkungen von Aufmerksamkeit zu untersuchen. Konkret werde ich mich der Frage widmen, ob der Wahrnehmungseindruck zeitlicher Reihenfolge zwangsläufig resultiert, wenn keine Gleichzeitigkeit wahrgenommen wird; das heißt, ob der Wahrnehmungseindruck der Sukzession sowohl eine hinreichende als auch eine notwendige Voraussetzung für die Wahrnehmung zeitlicher Reihenfolge darstellt. 74 4. Zeitliche Reihenfolge und Gleichzeitigkeit Kehrseiten ein und derselben Medaille? 4.1 Erfassen Reihenfolge- und Gleichzeitigkeitsurteil die gleichen zugrundeliegenden Prozesse? Das zeitliche Reihenfolgeurteil und das Gleichzeitigkeitsurteil gehören ohne Zweifel zu den am häufigsten genutzten psychophysischen Methoden, um Aspekte der menschlichen Zeitwahrnehmung zu erfassen. Beide Aufgaben wurden in der Vergangenheit von vielen Forschern als beliebig gegeneinander austauschbar verwendet: Previously, TOJ and SJ tasks have been used more-or-less interchangeably to measure various aspects of temporal perception(Vatakis et al., 2008, S. 522). So sind etwa beide Aufgaben gleichermaßen genutzt worden, um den Einfluss von Aufmerksamkeit auf die menschliche Zeitwahrnehmung zu untersuchen( R eihenfolgeurteil: z.B. Shore et al., 2001; Spence et al., 2001; Gleichzeitigkeitsurteil: Carver& Brown, 1997; Schneider& Bavelier, 2003; Yates& Nicholls, 2011, Experiment 3 und 4). Diese weit verbreitete Praxis wirft jedoch die Frage auf, wie gut sich die in beiden Paradigmen erzielten Ergebnisse miteinander vergleichen lassen. Oberflächlich betrachtet mag eine hohe Vergleichbarkeit dieser Ergebnisse selbstverständlich erscheinen: Sowohl im Reihenfolge- als auch im Gleichzeitigkeitsurteil wird der gleiche Parameter, der PSS, als einer von zwei zentralen Parametern extrahiert. Obwohl er den gleichen Namen trägt, wird der PSS jedoch in beiden Urteilsaufgaben unterschiedlich operationalisiert und kann nur im Gleichzeitigkeitsurteil unmittelbar als Punkt subjektiver Gleichzeitigkeit interpretiert werden. Hier ist er das zeitliche Intervall zwischen den Zielreizen, U gefällt wird. Im zeitlichen Reihenfolgeurteil ist der PSS jedoch das Zielreizintervall, an dem beide möglichen Reihenfolgeurteile mit gleicher Häufigkeit getroffen werden. Bereits Sternberg und Knoll(1973) haben jedoch festgestellt, dass der PSS im Reihenfolgeurteil nicht zwangsläufig einem Punkt subjektiver Gleichzeitigkeit im eigentlichen Wortsinne entsprechen muss: I stimuli at the PSS need not necessarily give rise to a perception of simultaneity(Sternberg& Knoll, 1973, S. 632). Für eine vergleichbare Argumentationsweise aus jüngerer Zeit siehe beispielsweise Zampini, Guest, Shore und Spence(2005). 75 Vordergründig scheint die Frage nach der Vergleichbarkeit mittels Reihenfolge- und Gleichzeitigkeitsurteil erfasster Ergebnisse(PSS-Werte oder Maße der zeitlichen Diskriminationsgenauigkeit) ein methodisches Problem zu sein. Bei genauerer Betrachtung lässt sich aber die diesem methodischen Problem zugrunde liegende theoretische Frage erkennen: Erfassen beide Urteilsaufgaben dieselben zugrunde liegenden Prozesse? Resultiert der Wahrnehmungseindruck zeitlicher Reihenfolge zwangsläufig, wenn zwei Reize nicht als gleichzeitig wahrgenommen werden? Sind also die zeitlichen Wahrnehmungseindrücke Gleichzeitigkeit und Reihenfolge Kehrseiten ein und derselben Medaille? Oder anders gefragt: Ist die Wahrnehmung von Sukzession nicht nur eine notwendige, sondern auch eine hinreichende Bedingung für die Wahrnehmung zeitlicher Reihenfolge? 17 Viele Modelle der zeitlichen Reihenfolgewahrnehmung enthalten zumindest implizit die Annahme, dass die Wahrnehmung von Sukzession auch hinreichend für die Wahrnehmung zeitlicher Reihenfolge ist(vgl. Abschnitt 1.4 sowie Allan, 1975b; Allan& Kristofferson, 1974; Sternberg& Knoll, 1973; Ulrich, 1987). Nur einige wenige Modelle betrachten (sofern sie Annahmen über beide Wahrnehmungseindrücke treffen) Gleichzeitigkeit und zeitliche Reihenfolge nicht als Kehrseiten ein und derselben Medaille und schreiben ihre Entstehung unterschiedlichen Mechanismen zu(Ja kowski; 1991; Mitrani et al., 1986; Stelmach& Herdman, 1991; vgl. Abschnitt 1.5-1.6). 17 Beide Fragen sind allerdings nur unter der Annahme, dass dem Wahrnehmungseindruck der Sukzession, der der Gleichzeitigkeit entgegengesetzt ist, deckungsgleich. Für die unter Abschnitt 1.4.1.1 dargestellte deterministische Entscheidungsregel gilt dies nicht. 76 4.2 Ist Wahrnehmung von Sukzession hinreichend für die Wahrnehmung zeitlicher Reihenfolge? Die Vorstellung, dass Wahrnehmung von Sukzession hinreichend für die Wahrnehmung zeitlicher Reihenfolge ist, reicht bis zu den Anfängen der experimentellen Psychologie zurück. Bereits Sigmund Exner kommt 1875 nach seinen Untersuchungen zur S chwelle der Ungleichzeitigkeit Mit welchem zeitlichen Abstand müssen zwei Reize präsentiert werden, damit sie gerade noch als ungleichzeitig wahrgenommen werden? zu dem Schluss, dass die Ungleichzeitigkeitsschwelle und die Reihenfolgeschwelle zweier Reize ein und dieselbe ist: I F) Ungleichzeitigkeit zweier Eindrücke zu erkennen, verschieden wäre von jener Zeitdifferenz, welche erforderlich ist, um zu erkennen, welcher der Reize der erste, welcher der zweite ist(Exner, 1875, S. 405). Diese Beobachtung spricht für die obengenannte Annahme, da unter diesen Umständen die (Un)gleichzeitigkeitschwelle der Reihenfolgeschwelle entsprechen sollte. Wäre die Wahrnehmung von Sukzession hingegen nicht hinreichend für die Wahrnehmung zeitlicher Reihenfolge, sollte die Reihenfolgeschwelle größer als die Gleichzeitigkeitsschwelle ausfallen. Zwischen einzelnen Sinnesmodalitäten fand Exner allerdings erhebliche Unterschiede in der Größe der Gleichzeitigkeitsschwelle. So ergab sich in der visuellen Modalität für zwei kurze Lichtblitze eine Schwelle von 44 ms(unter Berücksichtigung von Scheinbewegung war sie erheblich niedriger und betrug nur 15 ms bis 20 ms). In der auditiven Modalität betrug die Gleichzeitigkeitsschwelle zweier Klicklaute hingegen nur 2 ms. Die somit implizit von Exner getroffene Annahme, dass die Wahrnehmung von Sukzession hinreichend für die Wahrnehmung zeitlicher Reihenfolge ist, fand breite Zustimmung(z.B. Allan, 1975b; Allan& Kristofferson, 1974; Piéron, 1952). So stellte etwa Henri Piéron 1952 fest: W A um separation is (Piéron, 1952, S. 294 zitiert nach Hirsh, 1959). Neben Exners früher Studie finden sich weitere empirische Belege, die diese Annahme scheinbar stützen. So fanden Hirsh und Fraisse(1964) keine Unterschiede für Reihenfolge- und 77 Gleichzeitigkeitsurteile über einfache audio-visuelle Reizpaare. Untrainierte Beobachter benötigten ein zeitliches Intervall von 60 ms, um ein korrektes zeitliches Urteil über einen Lichtblitz und einen Klicklaut zu fällen. Dies war unabhängig davon, ob sie ein binäres Gleichzeitigkeitsurteil, ein binäres Reihenfolgeurteil oder ein ternäres Reihenfolgeurteil mit zusätzlicher Urteilskategorie unsicher abgeben mussten 18 . Vroomen, Keetels, De Gelder und Bertelson(2004) fanden hingegen keinen Unterschied zwischen mittels binärem Reihenfolge- und Gleichzeitigkeitsurteil gemessenen PSSWerten, wenn Beobachter ihre zeitliche Wahrnehmung an asynchrone audio-visuelle Reize adaptieren. Ebenso fanden Fujisaki, Shimojo, Kashino und Nishida(2004) Adaptationseffekte für audio-visuelle Reizpaare in vergleichbarer Größenordnung unabhängig davon, ob diese als Verschiebung des PSS im ternären Gleichzeitigkeitsurteil, aber oder binären Reihenfolgeurteil gemessen wurden(59 ms vs. 54 ms). Aber auch die Auffassung, dass Wahrnehmung von Sukzession nicht hinreichend für die Wahrnehmung zeitlicher Reihenfolge ist, wurde bereits früh vertreten. So zitierte Henri Piéron schon 1923 die Auffassung Charpentiers, dass es eine Zone der Unsicherheit gibt, in der zwar keine Gleichzeitigkeit wahrgenommen werde, die Reihenfolge der Sukzession jedoch nicht entschieden werden könne:« Il y a, dit Charpentier, çoit la non simultanéité, sans .»(Piéron, 1923, S. 16). Auch Paul Fraisse(1957, 1963) äußerte theoretische Überlegungen über die Natur wahrgenommener Gleichzeitigkeit, die gegen eine inhaltliche Gleichsetzung der Wahrnehmungseindrücke Sukzession und zeitlicher Reihenfolge sprechen. Er bezweifelte, dass unter Bedingungen, die die Bestimmung zeitlicher Reihenfolge erst ermöglichen(Hirsh& Sherrick, 1961), echte Gleichzeitigkeit wahrgenommen werden kann; wenn überhaupt sei der Wahrnehmungseindruck Gleichzeitigkeit unter diesen Bedingungen sehr instabil. Fraisse bezog sich bei seinen Überlegungen zur Natur wahrer Gleichzeitigkeit sogar auf Exner selbst, der schon 1875 vier Bedingungen, unter denen sich der 18 Dies galt allerdings nur, wenn der Klicklaut dem Lichtblitz vorausging. Im umgekehrten Fall fanden sich Schwellenwerte von 90 ms bis 120 ms für die drei Urteilsaufgaben. 78 Wahrnehmungseindruck Gleichzeitigkeit untersuchen lässt, unterschied:(1) Zwei Reize, die auf "")` "")` , die auf analoge Elemente eines paarigen Sinnesorgans treffen(unterschiedliche Augen oder Ohren).(4) Zwei Reize, die auf unterschiedliche Sinnesorgane treffen. Fraisse stellte fest, dass die Wahrscheinlichkeit, Gleichzeitigkeit wahrzunehmen, für die von Exner genannten Bedingungen sehr unterschiedlich sei. Die Wahrnehmung echter Gleichzeitigkeit setze voraus, dass zwei Reize als einer Einheit zugehörig wahrgenommen werden können: T that we apprehend them together without having to divide our attention. Inversely, whenever this unification is difficult, the perception of simultaneity is very unstable(Fraisse, 1963, S. 107-108). DW wenn zwei Reize am gleichen Ort und in der gleichen Sinnesmodalität präsentiert würden; beispielsweise wenn Beobachter urteilen, ob zwei diskrete Töne oder ein einziger Ton dargeboten wurden ( Fusionsschwelle). Am schwersten könne der Wahrnehmungseindruck Gleichzeitigkeit hingegen für aus unterschiedlichen Sinnesmodalitäten stammende Reize erlangt werden, da es schwierig sei diese in ein Perzept zu integrieren: g to different sense modalities(Fraisse, 1963, S. 110). Die Annahme, dass die Wahrnehmung echter Gleichzeitigkeit unter bestimmten Umständen erschwert ist, bietet auch eine mögliche Erklärung dafür, warum Exner selbst keine Unterschiede zwischen Gleichzeitigkeits- und Reihenfolgeschwelle nachweisen konnte; denn Reihenfolgeurteile können nur für Bedingungen gefällt werden, die Fraisse als problematisch für die Wahrnehmung echter Gleichzeitigkeit betrachtet hat(vgl. Hirsh& Sherrick, 1961). Um ein Reihenfolgeurteil fällen zu können, ist es nicht nur erforderlich zwei getrennte Ereignisse wahrzunehmen, sondern auch diese voneinander unterscheiden zu können(etwa durch den Ort oder die Modalität der Reize). Für zwei identische Reize, etwa zwei Töne, die am gleichen Ort präsentiert werden, lässt sich zwar die Fusionsschwelle bestimmen ab wann zwei Töne nicht mehr als ein Ton, sondern als zwei Töne wahrgenommen werden, nicht jedoch in welcher Reihenfolge sie 79 erschienen sind. Auch Hirsh und Sherrick haben diese von Exner und Fraisse getroffene Unterscheidung aufgegriffen und festgestellt: Two identical stimuli that follow each other in time may be used to distinguish successiveness from simultaneity, but the question of successive order is not appropriate unless the two stimuli can be identified separately(Hirsh& Sherrick, 1961, S. 423-424). Insbesondere in jüngerer Zeit findet sich auch immer mehr empirische Evidenz, die dafür spricht, dass die Wahrnehmung von Sukzession k eine hinreichende Bedingung für die Wahrnehmung zeitlicher Reihenfolge ist(z.B. Guerrini, Berlucchi, Bricolo& Aglioti, 2003; Hirsh, 1959; Hirsh& Sherrick, 1961; Mitrani et al., 1986; Petrini, Holt, Pollick, 2010; Schneider& Bavelier, 2003; Van Eijk et al., 2008; Vatakis et al., 2008; Vroomen& Steklenburg, 2011). Diese Evidenz stammt einerseits aus empirischen Studien, die größere Reihenfolge- als Gleichzeitigkeitsschwellen 19 fanden(z.B. Hirsh, 1959; Hirsh& Sherrick, 1961), andererseits aus Studien, die mittels Gleichzeitigkeits- und Reihenfolgeurteil erhobene PSS-Werte(und teilweise auch Schwellenwerte) miteinander verglichen (z.B. Petrini, Holt, Pollick, 2010; Schneider& Bavelier, 2003; Van Eijk et al., 2008; Vatakis et al. 2008; Vroomen& Stecklenburg, 2011). Im Folgenden werde ich exemplarisch die Ergebnisse einiger Studien, die gegen eine inhaltliche Gleichsetzung von Sukzession und zeitlicher Reihenfolge sprechen, ausführlicher darstellen: So fand Ira Hirsh(1959), dass zwar ein zeitliches Intervall von nur 2 ms ausreichte, um die Sukzession zweier kurzer Töne wahrzunehmen, jedoch ein Intervall von 17 ms erforderlich war, um die Reihenfolge dieser Töne bestimmen zu können. Zusammen mit seinem Kollegen Carl Sherrick konnte Hirsh eine Reihenfolgeschwelle um die 20 ms für auditive Reizpaare replizieren und diese ebenfalls für einfache taktile und visuelle Reizpaare nachweisen. Für die Bewertung dieser Schwellenwerte ist es jedoch wichtig hervorzuheben, dass die Beobachter in Hirsh und Sherricks viel zitierter Studie gut trainiert waren und ihr Urteil über einfache Reize wie Klicklaute oder Lichtblitze fällten; mit nicht-trainierten Beobachtern und komplexeren Reizen fallen Reihenfolgeschwellen 19 Viele Autoren(z.B. Hirsh& Sherrick, 1961) interpretieren die Fusionsschwelle als Gleichzeitigkeitsschwelle; es ist allerdings wichtig anzumerken, dass Beobachter für Fusion ein anderes Urteil fällen; ob es sich um ein Ereignis oder um zwei getrennte Ereignisse handelt und nicht ob zwei getrennte Ereignisse gleichzeitig aufgetreten sind. 80 häufig wesentlich höher aus(z.B. Hirsh& Fraisse, 1964; Vatakis et al., 2008). Da somit auch Faktoren, wie Übung der Beobachter oder auch die Art der verwendeten Reize, die gemessenen Schwellenwerte beeinflussen, ist es problematisch, die Annahme, dass die Wahrnehmung von Sukzession nich t hinreichend für die Wahrnehmung zeitlicher Reihenfolge ist, allein auf einen Unterschied zwischen in verschiedenen Studien gemessenen Reihenfolge- und Gleichzeitigkeitsschwellen, zu stützen. Für einen systematischen Vergleich von Reihenfolge- und Gleichzeitigkeitsurteil haben Van Eijk et al.(2008) deshalb in einem within-subjects-design mittlere PSS- und Schwellenwerte verglichen und zusätzlich Korrelationen zwischen den Urteilsaufgaben berechnet. Van Eijk et al. ließen die gleichen Beobachter in unterschiedlichen Sitzungen entweder ein binäres Reihenfolgeurteil, ein ternäres Reihenfolgeurteil 20 oder ein binäres Gleichzeitigkeitsurteil über einfache(Klick und Lichtblitz) oder komplexe(Ball und Geräusch) audio-visuelle Reizpaare treffen. Für die einfachen Reize ergaben sich zwar zwischen den drei Urteilsaufgaben keine Unterschiede in den mittleren PSS-Werten(binäres SJ: 25 ms, binäres TOJ: 21 ms, ternäres TOJ: 18 ms); überraschenderweise fand sich jedoch nicht zwischen allen drei Urteilsaufgaben eine Korrelation zwischen den individuellen PSS-Werten: Das binäre Reihenfolgeurteil korrelierte weder mit dem binären Gleichzeitigkeitsurteil(r=-.25 n.s.) noch dem ternären Reihenfolgeurteil(r=.04 n.s). Nur das binäre Gleichzeitigkeitsurteil und das ternäre Reihenfolgeurteil zeigten eine hohe Korrelation(r= .94). Für die komplexen Reize unterschied sich bereits der PSS des binären Reihenfolgeurteils(4 ms) von den PSS-Werten des binären Gleichzeitigkeits- und des ternären Reihenfolgeurteils(39 ms vs.32 ms); die Korrelationen zwischen den drei Urteilsaufgaben zeigten das gleiche Muster wie für einfache Reize. Eine andere Möglichkeit, um die Frage zu beantworten, ob die Wahrnehmung von Sukzession hinreichend für die Wahrnehmung zeitlicher Reihenfolge ist, ist zu überprüfen, ob sich eine 20 Van Eijk et al, nennen dass ternäre Reihenfolgeurteil selbst, ternäres Gleichzeitigkeitsurteil. In Übereinstimmung mit anderen Autoren(z.B. Ulrich, 1987; Scharlau, 2004a) werde ich es weiterhin als ternäres Reihenfolgeurteil bezeichnen. 81 bestimmte experimentelle Manipulation unterschiedlich auf Reihenfolge- und Gleichzeitigkeitsurteil auswirkt. Dieses Vorgehen hat den Vorteil, dass weniger die absoluten Schwellen- oder PSS-Werte entscheidend sind, sondern vielmehr, ob sich beispielsweise Manipulation X positiv auf die Diskriminationsgenauigkeit im Reihenfolgeurteil, jedoch negativ auf die Diskriminationsgenauigkeit im Gleichzeitigkeitsurteil auswirkt. Eine Manipulation, die sich unterschiedlich auf Reihenfolge- und Gleichzeitigkeitsschwellen auswirkt, stellt das Kreuzen der Hände dar. Wenn Beobachter ein zeitliches Urteil über zwei, auf beiden Händen dargebotene, taktile Reize abgeben müssen, während sie ihre Hände vor der Körpermitte gekreuzt halten, verschlechtert sich die zeitliche Diskriminationsgenauigkeit im Reihenfolgeurteil dramatisch(Shore, Spry& Spence, 2002: JND gekreuzt = 134 ms vs. JND ungekreuzt 34 ms) während diese Manipulation auf die zeitliche Diskriminationsgenauigkeit im Gleichzeitigkeitsurteil keinen negativen Einfluss hat(Axelrod, Thompson& Cohen, 1968: JND gekreuzt = 46 ms vs. JND nicht gekreuzt = 44 ms; Geffen, Rosa& Luciano, 2000: JND gekreuzt = 57 ms vs. JND nicht gekreuzt = 58 ms). Eine andere experimentelle Manipulation, die sich unterschiedlich auf Reihenfolge- und Gleichzeitigkeitsurteil auswirkt, ist die Darbietung von asynchronen audio-visuellen Sprachsignalen (Vatakis et al., 2008). Dieselben Beobachter fällten entweder ein binäres Reihenfolge- oder Gleichzeitigkeitsurteil über einfache audio-visuelle Reizpaare, während sie auf einen im Hintergrund laufenden audio-visuellen Sprachstrom achten mussten. Ihre Aufgabe war es, die im Sprachstrom geäußerten Namen wiederzugeben. Die auditive und visuelle Spur dieses Sprachstroms wurden entweder synchron oder mit einer Verzögerung des auditiven Signals um 300 ms gezeigt. Nur im Gleichgleichzeitigkeitsurteil(PSS synchron = 1 ms vs. 16 PSS asynchron ), nicht aber im Reihenfolgeurteil (PSS synchron = 1 ms vs. PSS asynchron =-6 ms), zeigte sich ein Adaptationseffekt für den asynchronen Hintergrundsprachstrom. Wie bei Van Eijk et al.(2008) fand sich keine Korrelation zwischen den PSSund JND-/SD-Werten aus dem binären Gleichzeitigkeits- und Reihenfolgeurteil. 82 Eine weitere experimentelle Manipulation, die augenscheinlich Gleichzeitigkeits- und Reihenfolgeurteile in unterschiedlicher Weise beeinflusst, stellt Aufmerksamkeit dar. Wie unter Abschnitt 3.2 dargestellt fallen, im Gleichzeitigkeitsurteil gemessene Prior-Entry-Effekte in der Regel kleiner aus als im Reihenfolgeurteil gemessene(z.B. Schneider& Bavelier, 2003; Van der Burg et al., 2008; Yates& Nicholls, 2011; vgl. Abschnitt 3.4). Dies könnte, wie bereits unter Abschnitt 3.4 erörtert, entweder ein Hinweis darauf sein, dass mittels Gleichzeitigkeitsurteil gemessene PriorEntry-Effekte weniger anfällig für Urteilsverzerrungen sind oder aber, dass zeitliche Urteile in beiden Aufgaben auf unterschiedliche Mechanismen zurückgehen(z.B. Modell zeitlicher Profile, Stelmach& Herdman, 1991; Zwei-Stufenmodell der Reihenfolgediskrimination, Ja kowski, 1991). Die Differenz zwischen im Gleichzeitigkeits- und Reihenfolgeurteil gemessenen Prior-Entry-Effekten, als Schätzer für den Biasanteil am Prior-Entry-Effekt zu interpretieren, setzt allerdings voraus, dass sowohl Gleichzeitigkeits- als auch Reihenfolgeurteil auf denselben Mechanismus zurückzuführen sind; der W Reihenfolge diskriminiert werden kann. Der PSS sollte, entsprechend seiner traditionellen psychophysischen Tradition, sowohl im Reihenfolgeurteil als auch im Gleichzeitigkeitsurteil einen Punkt subjektiver Gleichzeitigkeit repräsentieren. Sowohl theoretische Überlegungen als auch empirische Befunde deuten jedoch daraufhin, dass die Ausrichtung von Aufmerksamkeit den Wahrnehmungseindruck Gleichzeitigkeit behindert. So nimmt etwa Fraisse(1953, 1967) an, dass echte Gleichzeitigkeit zweier Reize nur dann wahrgenommen wird, wenn diese Reize in ein einheitliches Perzept integriert und gleichzeitig beachtet werden können. Diese Annahme Fraisses wird durch empirische Befunde aus jüngerer Zeit untermauert(Scharlau, 2004a; Scharlau et al., 2006; Stelmach& Herdman, 1991; Weiß& Scharlau, 2011, 2012). Stelmach und Herdman(1991, Experiment 4) ließen Beobachter ein ternäres Reihenfolgeurteil `` über zwei in der rechten und linken Bildschirmhälfte erscheinende Punkte treffen. Aufmerksamkeit wurde per Instruktion entweder nach rechts, links oder als Kontrollbedingung in die Bildschirmmitte ausgerichtet. In 83 Übereinstimmung mit dem von ihnen vorgeschlagenen Modell zeitlicher Profile, fanden Stelmach HB ten, wenn Aufmerksamkeit auf die Position eines der beiden Reize ausgerichtet war(4 Prozent), jedoch wesentlich häufiger in der Kontrollbedingung, wenn Aufmerksamkeit auf die Bildschirmmitte ausgerichtet war(35 Prozent). In der Kontrollbedingung stimmte das Maximum der Gleichzeitigkeitsurteile(Schätzer für den PSS auf Basis der Gleichzeitigkeitsurteile) mit dem aus den Reihenfolgeurteilen gewonnenen PSS überein und lag nahe physikalischer Gleichzeitigkeit; wenn Aufmerksamkeit auf einen der beiden Reizorte ausgerichtet war, stimmte es jedoch nicht mehr mit dem aus den Reihenfolgeurteilen extrahierten PSS überein und lag nach wie vor nahe physikalischer Gleichzeitigkeit. Ingrid Scharlau und Kollegen(Scharlau, 2004a; Scharlau et al., 2006) konnten Stelmach und Herdmans Befund im PLP-Paradigma, in dem Aufmerksamkeit durch periphere maskierte Hinweisreize ausgerichtet wird, teilweise replizieren: Sie fanden ebenfalls, dass Beobachter in KA lten, nicht jedoch in Durchgängen mit Aufmerksamkeitsausrichtung. Im Gegensatz zu Stelmach und Herdmans Experiment, war allerdings das Maximum der Gleichzeitigkeitsurteile, in Durchgängen mit Aufmerksamkeitsausrichtung in Übereinstimmung mit dem PSS der Reihenfolgeurteile, in Richtung der Prior-Entry-Hypothese verschoben. Für die taktile Modalität konnten Yates und Nicholls(2011, Experiment 3 und 4) im binären Gleichzeitigkeitsurteil(nach visueller Inspektion der Gleichzeitigkeitsurteilskurven) ebenfalls zeigen, dass Gleichzeitigkeit seltener wahrgenommen wurde, wenn Aufmerksamkeit auf den Ort eines von zwei taktilen Reizen ausgerichtet wurde. Zwei bimodale Prior-Entry Studien sprechen allerdings dafür, dass der Prior-Entry-Effekt auch unter Aufmerksamkeitsausrichtung einen Punkt subjektiver Gleichzeitigkeit darstellen könnte: Zampini, Shore et al.(2005) fanden ersichtlich aus der visuellen Inspektion der Gleichzeitigkeitskurven keinen negativen Einfluss von Aufmerksamkeit auf den Wahrnehmungseindruck Gleichzeitigkeit, wenn Beobachter ein binäres Gleichzeitigkeitsurteil über audio-visuelle Reizpaare fällten. Beobachter urteilten 84 mit annähernd gleicher Häufigkeit, unabhängig davon, ob sie ihre Aufmerksamkeit auf die visuelle Modalität, die auditive Modalität oder, als Kontrollbedingung, auf beide Modalitäten ausrichten sollten. Auch die Ergebnisse von Zampini et al.(2007) sprechen für eine Interpretation des PSS als Punkt wahrgenommener Gleichzeitigkeit. Wenn Aufmerksamkeit auf die visuelle Modalität oder auf die taktile Modalität gerichtet war, waren im ternären Reihenfolgeurteil das Maximum der Gleichzeitigkeitsurteile, wie auch der PSS-Wert der Reihenfolgeurteile in Richtung der Prior-Entry-Hypothese verschoben. Bis auf die bimodalen Prior-Entry-Studien von Zampini, Shore et al.(2005) und Zampini et al. (2007), sprechen die dargestellten Befunde scheinbar dafür, dass der PSS, wenn Aufmerksamkeit manipuliert wird, keinem Punkt subjektiver Gleichzeitigkeit entspricht. Allerdings schöpfen die zitierten Studien nicht alle Möglichkeiten aus, die das Gleichzeitigkeitsurteil bietet, um den zeitlichen Wahrnehmungseindruck am PSS zu überprüfen. So berechneten Zampini et al.(2007) nur das Maximum der Gleichzeitigkeitsurteile, nicht aber die Häufigkeit mit der diese in Durchgängen mit und ohne Aufmerksamkeitsausrichtung gefällt werden. Das Maximum der Gleichzeitigkeitsurteile lässt sich jedoch auch dann berechnen, wenn Beobachter nur selten N es inhaltlich wenig sinnvoll, ein Gleichzeitigkeitsurteilsmaximum unter 50 Prozent, als Punkt subjektiver Gleichzeitigkeit zu interpretieren(vgl. Van Eijk et al., 2008). Aber auch die Häufigkeiten der Gleichzeitigkeitsurteile für sich alleingenommen, können die Frage nach der Natur des PSS nicht beantworten. Beobachter können das Urt, auch ohne dass das Maximum dieser Gleichzeitigkeitsurteile mit dem PSS der Reihenfolgeurteile übereinstimmt. Wir(Weiß& Scharlau, 2011) argumentieren daher, dass sowohl das Maximum der Gleichzeitigkeitsurteile als auch die Häufigkeit mit der Gleichzeitigkeitsurteile in Durchgängen mit und ohne Aufmerksamkeitsausrichtung gefällt werden, herangezogen werden sollte, um zu klären welcher zeitliche Wahrnehmungseindruck am PSS herrscht. Da die zitierten Studien entweder nur die Häufigkeit der Gleichzeitigkeitsurteile(Scharlau, 2004a; Scharlau et al., 2006; Stelmach& Herdman, 1991) oder ihr Maximum getestet haben(Zampini et al., 2007), haben wir(Weiß& Scharlau, 2011) in 85 einem visuellen Prior-Entry-Paradigma mit Aufmerksamkeitsausrichtung durch periphere Hinweisreize, beide Methoden eingesetzt, um diese Frage abschließend zu klären. Falls am PSS jedoch nicht der Wahrnehmungseindruck Gleichzeitigkeit vorherrscht, stellt sich die Frage, welchen zeitlichen Eindruck Beobachter am PSS stattdessen haben. Naheliegend wäre, dass der PSS ein zeitliches Intervall zwischen den Zielreizen repräsentiert, an dem Beobachter maximale Unsicherheit über die zeitlichen Verhältnisse empfinden(z.B. Scharlau, 2007; Shore et al., 2001, Stelmach& Herdman, 1991, Sternberg& Knoll, 1973). Um der Frage nachzugehen, ob Beobachter am PSS vorwiegend Unsicherheit über die zeitlichen Verhältnisse empfinden, haben wir (Weiß& Scharlau, 2011, Experiment 1) anstelle des ternären Reihenfolgeurteils(z.B. Ulrich, 1987) ein vierstufiges Reihenfolgeurteil mit einer weiteren zusätzlichen Urteilskategorie unsicher genutzt bishe " U verwendet(z.B. Scharlau, 2004a; Scharlau et al., 2006). Für die getrennten Urteilsalternativen haben wir sowohl die Häufigkeiten in Durchgängen mit und ohne Aufmerksamkeitsausrichtung als auch die jeweiligen Maxima getestet. Die Ergebnisse von Experiment 1 zeigen, dass der PSS zwar in Durchgängen ohne Aufmerksamkeitsausrichtung einem Punkt subjektiver Gleichzeitigkeit entspricht, dies in Durchgängen mit Aufmerksamkeitsausrichtung jedoch nicht der Fall ist. Obwohl das Maximum der Gleichzeitigkeitsurteile in Durchgängen mit Aufmerksamkeitsausrichtung im Einklang mit dem PSS der Reihenfolgeurteile verschoben war, fällten Beobachter das Ur noch sehr selten. Experiment 1 konnte bedauerlicherweise nicht klären, ob der PSS, wenn Aufmerksamkeit ausgerichtet wird, einem Punkt maximaler Unsicherheit über die zeitlichen Gegebenheiten entspricht: Obwohl das Maximum-Urteile in Richtung des PSS der Reihenfolgeurteile verschoben war, wurde diese Urteilsalternative insgesamt noch seltener genutzt U Urteilszeiten, als indirektes Maß zeitlicher Unsicherheit, sprechen jedoch für die Wahrnehmung maximaler zeitlicher Unsicherheit am PSS, da Beobachter in der Nähe des PSS am langsamsten urteilten. 86 DB E urteilen, weil sie ein häufiges Wählen dieser Urteilsalternative als mangelnde Fähigkeit, die ihnen gestellte Aufgabe zu lösen, interpretierten, haben wir in Experiment 2 eine indirekte Methode, eingesetzt um Unsicherheit über zeitliche Verhältnisse zu erfassen. Beobachter fällten nun ein ternäres Reihenfolgeurteil anstelle des vier-stufigen Reihenfolgeurteils und mussten zusätzlich nach jedem Durchgang auf die Richtigkeit ihres Urteils wetten. Sie konnten 1 bis 6 Punkte auf ein Urteil setzen; war das Urteil richtig, wurde die gesetzte Punktzahl dem Konto des Beobachters gut geschrieben, andernfalls wurde die gesetzte Summe abgezogen. Für eine Interpretation des PSS als Punkt maximaler Unsicherheit spräche, wenn Beobachter in der Nähe des PSS niedrigere Einsätze machten. Die Wetturteile zeigten, dass Beobachter sich allgemein eher sicher über ihr Reihenfolgeurteil waren. Niedrigere Wetten in der Nähe des PSS lassen darauf schließen, dass Beobachter sich hier etwas weniger sicher über die zeitlichen Verhältnisse waren. Unsere Studie konnte somit zeigen, dass der PSS keinem Punkt subjektiver Gleichzeitigkeit entspricht, wenn Aufmerksamkeit auf einen von zwei Zielreizen ausgerichtet wird; vielmehr scheint unter diesen Umständen kein zeitlicher Wahrnehmungseindruck zu überwiegen. Beobachter nehmen in unterschiedlichen Durchgängen Gleichzeitigkeit, zeitliche Reihenfolge und auch Unsicherheit über die zeitlichen Verhältnisse wahr, der zeitliche Wahrnehmungseindruck am PSS ist somit sehr heterogen. Unsere Ergebnisse widersprechen der implizit in vielen Modellen der zeitlichen Reihenfolgewahrnehmung enthaltenen These, dass die Wahrnehmung zeitlicher Reihenfolge und die Wahrnehmung von Gleichzeitigkeit, Kehrseiten ein und derselben Medaille sind. Als einziges Modell der zeitlichen Reihenfolgewahrnehmung, ist das Modell zeitlicher Profile(Stelmach& Herdman, 1991), das unterschiedliche Mechanismen für die Detektion zeitlicher Reihenfolge und Gleichzeitigkeit annimmt, in der Lage, unsere Ergebnisse vorherzusagen. Die Wahrnehmung von zeitlicher Sukzession ist somit, zumindest unter Bedingungen unter denen Aufmerksamkeit selektiv auf einen von zwei Zielreizen ausgerichtet wird, nicht hinreichend für die Wahrnehmung zeitlicher Reihenfolge. Die zeitlichen Wahrnehmungseindrücke Gleichzeitigkeit und Reihenfolge gehen somit 87 wahrscheinlich auf unterschiedliche neuronale Mechanismen zurück. Daher sollte die Entscheidung für das zeitliche Reihenfolgeurteil oder das Gleichzeitigkeitsurteil in Abhängigkeit von der inhaltlichen Zielsetzung einer gegebenen Studie getroffen werden(vgl. Van Eijk et al., 2008, für eine ähnliche Argumentation). Wenn beispielsweise eine Aussage über den Wahrnehmungseindruck Gl U Urteilsalternative, wie das binäre Gleichzeitigkeitsurteil oder das ternäre Reihenfolgeurteil, gewählt werden. Da die Nutzung des ternären Reihenfolgeurteils in der Prior-Entry-Forschung durchaus umstritten ist, B J" P U werde ich im folgenden Abschnitt die Vor- und Nachteile eines mehrstufigen Reihenfolgeurteils erörtern. 4.3 Vor-und Nachteile des mehrstufigen Reihenfolgeurteils Die Kritik an der Nutzung des ternären zeitlichen Reihenfolgeurteils ist bei weitem nicht neu und lässt sich einer allgemeineren Debatte zuordnen. In den Anfängen der experimentellen Psychologie war die Frage, wie viele Urteilskategorien Beobachter in psychophysischen Experimenten zur Schwellenmessung nutzen sollten, heftig umstritten: Sollten Beobachter, statt gezwungen zu werden, U le, U (z.B. Fernberger, 1930; Woodworth& Schlossberg, 1961; Scharlau, 2004a). Ein Nachteil dieser dritten Urteilskategorie ist, dass ihre Urteile in das Intervall der Unsicherheit fallen, innerhalb dessen Urteile sehr instabil und deshalb auch schwer zu interpretieren sind. Auch ist die Nutzung der dritten Urteilskategorie, stark vom Kriterium des Beobachters diese zu verwenden abhängig, und die Häufigkeit das dritte Urteil zu fällen, variiert deshalb stark zwischen unterschiedlichen Beobachtern (z.B. Fernberger, 1930; Spence& Parise, 2010). Dennoch bietet es gerade für das zeitlichen Reihenfolgeurteil erhebliche Vorteile, mehr als nur zwei Urteilsalternativen zu nutzen: Erst das mehrstufige Reihenfolgeurteil ermöglicht eine Trennung, der unter Bedingungen hoher zeitlich-räumlicher Interferenz und unter niedriger 88 Interferenz getroffenen Reihenfolgeurteile(vgl. Scharlau et al., 2006; Weiß& Scharlau, 2011) und bietet somit eine bessere Schätzung für die wahre Größe des Prior-Entry-Effekts(siehe Scharlau et al., 2006 sowie Weiß& Scharlau, 2011, für eine ausführliche Diskussion des Interferenzarguments). Zudem stellt das mehrstufige Reihenfolgeurteil gegenüber dem binären Reihenfolgeurteil höchstwahrscheinlich das sensitivere Urteilsmaß dar. So konnten wir im mehrstufigen Reihenfolgeurteil konsistent eine Verschlechterung der zeitlichen Diskriminationsgenauigkeit finden (Weiß& Scharlau, 2011, 2012), die unter vergleichbaren Bedingungen im binären Reihenfolgeurteil in der Regel nicht gefunden wurde(z.B. Scharlau 2004a, Experiment 3; Scharlau& Neumann, 2003b, Experiment 1 und Experiment 2). Ebenso ermöglicht das mehrstufige Reihenfolgeurteil auch sehr kleine Latenzunterschiede in einem Bereich unter 10 Millisekunden zu erfassen(Weiß& Scharlau, 2010). Gerade wenn theoretisch nur sehr kleine Latenzunterschiede erwartet werden können, stellt das mehrstufige Reihenfolgeurteil somit ein vielversprechendes Urteilsmaß dar. 89 5. Posterior-Entry anstatt Prior-Entry Evidenz für einen späteren Eintritt unbeachteter Reize In den rund 150 Jahren der Erforschung des Prior-Entry-Effekts in der experimentellen Psychologie konnten zeitliche Verarbeitungsvorteile für beachtete Reize in zahlreichen Studien nachgewiesen (z.B. Kanai et al., 2007; Shore et al., 2001; Spence et al., 2001; Stelmach& Herdman, 1991; Yates& Nicholls, 2009, 2011, als Überblick Spence& Parise, 2010), sowie verbleibende Zweifel an einer vorwiegend attentionalen Basis des Prior-Entry-Effekts weitestgehend ausgeräumt werden(Scharlau, 2004a, 2007b; Weiß& Scharlau, 2012). Dennoch ist die Frage, w ie d.h. über welchen Mechanismus Aufmerksamkeit diesen zeitlichen Verarbeitungsvorteil hervorruft, empirisch noch nicht hinreichend beantwortet. Dies erscheint umso erstaunlicher, als dass B P E früher Eintritt bereits einen konkreten Mechanismus impliziert. Auf theoretischer Ebene haben bereits Wundt(1887) und Titchener(1908) explizit formuliert, dass Aufmerksamkeit zu einem früheren Eintritt auf höhere Stufen der Informationsverarbeitung, also einer schnelleren Verarbeitung von beachteten Reizen, und somit auch zu einer früheren bewussten Wahrnehmung dieser Reize, führt. So nahm Wundt an, dass beachtete Reize früher in den Blickpunkt des Bewusstseins gehoben werden; während Titchener(1908) in ähnlicher Weise postulierte, dass beachtete Reize schneller ins Bewusstsein gelangen als unbeachtete Reize. Im Einklang mit ihrer Bezeichnung wurden und werden Prior-Entry-Effekte daher zumeist als beschleunigte Verarbeitung beachteter Reize interpretiert(z.B. Scharlau, 2004; Scharlau et al., 2006; Schneider& Bavelier, 2003; Yates& Nicholls, 2009, 2011; Weiß& Scharlau, 2011; Zampini et al., 2007), obwohl es bislang kaum empirische Belege gibt, die diese Annahme stützen(Vibell et al., 2007; Seibold et al., 2011). Eine Ausnahme bildet eine EEG-Studie von Vibell und Kollegen(2007), die in frühen ereigniskorrelierten Potentialen einen Latenzvorteil für beachtete Reize fanden: In einem auditiv-taktilen Paradigma ergaben sich Latenzvorteile in der P1 und N1 von 3-4 ms; der behavioral gemessene Prior-EntryEffekt fiel mit 38 ms erheblich größer aus. Seibold et al.(2011) untersuchten den Einfluss von zeitlicher Aufmerksamkeit in einem Oddball-Paradigma, sie fanden für Bedingungen unter denen die 90 zeitliche Aufmerksamkeit der Beobachter besonders hoch sein sollte(kurze Vorperiode) einen früheren Peak in der N2. Unglücklicherweise erlaubt jedoch die Mehrheit der Prior-Entry-Studien, die das zeitliche Reihenfolge- bzw. Gleichzeitigkeitsurteil nutzen, keine Entscheidung über die Frage, ob Prior-Entry-Effekte tatsächlich durch beschleunigte Verarbeitung beachteter Reize entstehen, da beide Aufgaben nur einen relativen zeitlichen Verarbeitungsvorteil für beachtete Reize messen können. Ein solcher relativer Latenzvorteil beachteter Reize könnte jedoch, anstatt durch beschleunigte Verarbeitung beachteter Reize, gleichermaßen durch verlangsamte Verarbeitung unbeachteter Reize entstehen. Für die These, dass vorwiegend die Verlangsamung unbeachteter Reize den Prior-Entry-Effekt verursacht, liefert eine Studie von Spence, Nicholls und Driver(2001) erste Belege. Spence und Kollegen fanden, dass Aufmerksamkeitsausrichtung auf eine Sinnesmodalität(auditiv, taktil, visuell), sowohl zu schnelleren Diskriminationszeiten(Rechts- vs. Links-Diskrimination) für Reize aus der beachteten Modalität als auch zu langsameren Diskriminationszeiten für Reize aus einer nicht beachteten Modalität führte im Vergleich zu einer Kontrollbedingung, in der Aufmerksamkeit auf alle Modalitäten gleichermaßen ausgerichtet war. Da Spence et al. zeigen konnten, dass die schnelleren Diskriminationszeiten für Reize aus der beachteten Modalität primär auf intramodales Priming im vorherigen Durchgang wurde ein Reiz aus derselben Modalität präsentiert und nicht auf die Ausrichtung von Aufmerksamkeit zurückgingen, lässt diese Studie vermuten, dass dem PriorEntry-Effekt hauptsächlich eine verlangsamte Verarbeitung unbeachteter Reize zugrunde liegt. Dies gilt zumindest, wenn Aufmerksamkeit via Instruktion auf eine Modalität ausgerichtet wird. Trotz intensiver Erforschung des Prior-Entry-Effekts in der experimentellen Psychologie ist somit noch völlig ungeklärt, ob Aufmerksamkeit den Prior-Entry-Effekt durch Beschleunigung beachteter Information oder Verlangsamung unbeachteter Information hervorruft der Prior-EntryEffekt seinen Namen überhaupt zu recht trägt. Während die EEG-Studien von Vibell et al.(2007) und Seibold et al.(2011) für die traditionelle Interpretation des Effekts sprechen, deutet die Studie von Spence, Nicholls et al.(2001) darauf hin, dass dem Prior-Entry-Effekt eine verlangsamte Verarbeitung 91 unbeachteter Reize zugrunde liegt. Da der Prior-Entry-Effekt in diesem Fall durch den späteren Eintritt unbeachteter Reize verursacht wäre, sollte er hier treffender als Posterior-Entry-Effekt bezeichnet werden. Dass die Prior-Entry-Hypothese bislang nur zum Teil empirisch überprüft wurde, erscheint umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass bereits eines der ältesten experimentellen Paradigmen, mit denen der Prior-Entry-Effekt untersucht wurde das Komplikationsexperiment(siehe Abschnitt 1. 3. 2) von Wilhelm Wundt(1887), einen Lösungsweg für das im Reihenfolge- und Gleichzeitigkeitsurteil gegebene Problem bietet. In einem typischen Komplikationsexperiment verfolgt der Beobachter einen sich bewegenden Uhrzeiger und berichtet die Uhrzeit 21 im Moment des Auftretens eines seltenen, erwarteten Ereignisses, wie etwa einem Glockenschlag. Der PriorEntry-Effekt zeigt sich als negative zeitliche Verschiebung der berichteten Uhrzeit im Vergleich zur objektiven Uhrzeit. Subjektiv betrachtet tritt der Ton somit zu einer Uhrzeit auf, die vor dem objektiven Zeitpunkt seines Auftretens liegt. Das Komplikationsexperiment hat gegenüber dem Reihenfolge- und Gleichzeitigkeitsurteil den entscheidenden Vorteil, dass es die Erfassung absoluter und nicht nur relativer Wahrnehmungslatenzen erlaubt. Es kann direkt bestimmt werden, ob ein Ton vor dem objektiven Zeitpunkt seines Auftretens wahrgenommen wurde oder nicht. Carlson, Hogendoorn und Verstraten haben 2006 eine modifizierte Version des Komplikationsexperimentes genutzt, um die Dauer von Aufmerksamkeitswechseln zu schätzen. Beobachter mussten die Zeit auf einer von zehn kreisförmig um den Fixationspunkt angeordneten Uhren deren Zeiger sich kontinuierlich bewegten angeben, zu der ein die entsprechende Uhr anzeigender Hinweisreiz erschien. Ein durch einen peripheren Hinweisreiz(Farbwechsel des Rahmens der jeweiligen Uhr) ausgelöster Aufmerksamkeitswechsel benötigte in etwa 140 ms, während ein durch einen zentralen Hinweisreiz(Linie, die vom Fixationspunkt auf die jeweilige Uhr zeigte) ausgelöster Aufmerksamkeitswechsel um die 240 ms benötigte. Die Dauer der Aufmerksamkeitswechsel wurde im Vergleich zu einer Basisbedingung gemessen, in der den Beobachtern bereits vor dem Beginn 21 Streng genommen stellt der Beobachter die räumliche Position des Uhrzeigers ein. Der Einfachheit halber werde ich im Folgenden davon sprechen, dass der Beobachter die Uhrzeit angibt. 92 eines Durchgangs angezeigt wurde für welche Uhr später der Hinweisreiz(Farbwechsel der jeweiligen Uhr) erscheinen würde. Um im zeitlichen Reihenfolgeurteil, die Wahrnehmungslatenz des beachteten und des unbeachteten Reizes, unabhängig voneinander erfassen zu können, haben wir das von Carlson und Kollegen verwendete Paradigma modifiziert und mit dem Paradigma des zeitlichen Reihenfolgeurteils kombiniert. In der sparsamsten Version dieses Paradigmas sehen Beobachter auf dem Bildschirm zwei analoge Uhren, 22 in denen mit variablem zeitlichem Abstand sich bewegende Uhrzeiger eingeblendet werden. Wie im zeitlichen Reihenfolgeurteil, wird in der Hälfte der Durchgänge entweder auf die erste oder die zweite Uhr Aufmerksamkeit ausgerichtet(Experimentaldurchgänge); in den verbleibenden Durchgängen wird keine Aufmerksamkeit ausgerichtet(Basisbedingung). Die Aufgabe der Beobachter ist zweigeteilt: Sie müssen ein zeitliches Reihenfolgeurteil über das Auftauchen beider Zeiger fällen sowie die Zeiten beider Uhren, zum Moment des Auftauchens des jeweiligen Zeigers, berichten. Dieses Paradigma ermöglicht zum einen, die Größe des Prior-Entry-Effekts aus dem zeitlichen Reihenfolgeurteil zu bestimmen; sollte sich hier kein Effekt zeigen, ist eine weitere Analyse der berichteten Uhrzeiten hinfällig. Zum anderen ermöglicht es, die Wahrnehmungslatenzen des beachteten und des unbeachteten Reizes, unabhängig voneinander zu bestimmen. Um zu klären, ob Prior-Entry-Effekte auf beschleunigte Verarbeitung beachteter Information oder verlangsamte Verarbeitung unbeachteter Information zurückzuführen sind, ergeben sich in diesem Paradigma klare Hypothesen. Die Prior-Entry-Hypothese sagt vorher, dass das Auftauchen des Zeigers auf der beachteten Uhr zu einem früheren Zeitpunkt wahrgenommen wird als in der Basisbedingung, in der auf keine der Uhren Aufmerksamkeit ausgerichtet wurde. Die berichtete Uhrzeit der unbeachteten Uhr sollte sich hingegen nicht von der Basisbedingung unterscheiden. Im Gegensatz hierzu sagt die Posterior-Entry-Hypothese vorher, dass sich die berichtete Uhrzeit der beachteten Uhr nicht von der Basisbedingung unterscheidet, während das Auftreten des Zeigers auf 22 Um die räumliche Sicherheit in diesem Paradigma zu reduzieren, können auch mehr als zwei Uhren eingesetzt werden, wobei in jedem Durchgang jeweils nur in zwei Uhren Zeiger erscheinen; in Weiß, Hilkenmeier und Scharlau(eingereicht) haben wir vier Uhren verwendet. 93 der unbeachteten Uhr zu einem späteren Zeitpunkt als in der Basisbedingung wahrgenommen werden sollte. Bei einem Zusammenspiel von Beschleunigung und Verlangsamung sollte die berichtete Uhrzeit auf der beachteten Uhr früher wahrgenommen werden, während die berichtete Uhrzeit auf der unbeachteten Uhr, später als die Basisbedingung wahrgenommen werden sollte. Wir nutzen als Vergleichsbedingung die berichteten Uhrzeiten der Basisbedingung anstelle der objektiven Uhrzeiten, da nicht allein Aufmerksamkeit zu einer Abweichung der berichteten gegenüber den objektiven Uhrzeiten führen sollte. Indem wir die berichteten Uhrzeiten aus Durchgängen, in denen Aufmerksamkeit nicht ausgerichtet wird, nutzen, können wir unsere Messung für die Wahrnehmungslatenzen der Zielreize ohne Aufmerksamkeitsausrichtung und andere auf nichtattentionale Effekte zurückgehende Abweichungen korrigieren. So ist es etwa in unserem rein visuellen Paradigma nicht unwahrscheinlich, dass die Uhrzeit auch in der Bedingung ohne Aufmerksamkeitsausrichtung später wahrgenommen wird als die objektive Uhrzeit, da der FröhlichEffekt(Fröhlich, 1923) dazu führen sollte, dass der Eintritt des Uhrzeigers an einer späteren als seiner objektiven Position wahrgenommen wird. Die Ergebnisse unserer Studie(Weiß et al., eingereicht) sprechen zu Gunsten der PosteriorEntry-Hypothese: Im Vergleich zur Basisbedingung ohne Aufmerksamkeitsausrichtung, ergab sich für die beachtete Uhr ein kleiner Latenzvorteil von 31 ms, wohingegen sich ein erheblicher größerer Latenznachteil für die unbeachtete Uhr von 145 ms ergab. Der Prior-Entry-Effekt im zeitlichen Reihenfolgeurteil betrug 119 ms bei einem Hinweisreizintervall von 166 ms. Bei dem seit 150 Jahren als Prior-Entry-Effekt erforschten Phänomen handelt es sich somit tatsächlich um einen PosteriorEntry-Effekt, da er zu einem großen Anteil auf die Verlangsamung unbeachteter Informationen, also EV , zurückzuführen ist. Aber lässt sich auch ein Posterior-Entry-Effekt durch Modelle der zeitlichen Reihenfolgewahrnehmung erklären? Unter der Annahme, dass Aufmerksamkeit sich in den sensorischen Kanälen auswirkt, könnte sie dort ebenso die Verarbeitung des unbeachteten Reizes verlangsamen wie die Verarbeitung des beachteten Reizes beschleunigen(vgl. Abschnitt 1.7). Auch 94 das Modell zeitlicher Profile von Stelmach und Herdman(1991), das nicht nur den Prior-Entry-Effekt vorhersagt, sondern auch, dass Aufmerksamkeit den Wahrnehmungseindruck Gleichzeitigkeit beeinträchtigt(Stelmach& Herdman, 1991; Weiß& Scharlau, 2011), lässt sich leicht modifizieren, um Posterior-Entry anstelle von Prior-Entry vorherzusagen. Bereits Stelmach und Herdman(1991, S. 548) selbst haben diese Möglichkeit angedeutet: Um Posterior-Entry zu erklären, würde Aufmerksamkeit nicht, wie in der ursprünglich vorgeschlagenen Version des Modells zeitlicher Profile, die Form des zeitlichen Profils des beachteten Reizes spitzer machen, sondern das zeitliche Profil des unbeachteten Reizes verbreitern. Der Posterior-Entry-Effekt steht zudem im Einklang mit Befunden der Aufmerksamkeitsforschung, die zeigen, dass Aufmerksamkeit nicht nur durch eine Verbesserung des beachteten Signals, sondern auch durch Ausschluss von externem Rauschen(irrelevanter Information) zu einem Verarbeitungsvorteil beachteter Informationen führt(Dosher& Lu, 2000). Dosher und Lu untersuchten den Einfluss von räumlicher Aufmerksamkeit auf die Diskrimination von unterschiedlich orientierten Gabor-Gittern unter verschieden starker Ausprägung von externem Rauschen. Aufmerksamkeit wurde durch einen zentralen Hinweisreiz entweder auf den Ort des zu berichtenden(valider Hinweisreiz) oder eines nicht zu berichtenden Zielreizes(invalider Hinweisreiz) gelenkt. Beobachter mussten die Orientierung des zu berichtenden Gabor-Gitters angeben. Die abhängige Variable war der erforderliche Signal-Kontrast um ein bestimmtes Diskriminationsleistungsniveau, unter unterschiedlich starker Ausprägung von externem Rauschen zu erreichen. Die Ausrichtung räumlicher Aufmerksamkeit wirkte sich nur unter hohem externem Rauschen positiv auf den erforderlichen Signal-Kontrast aus: Bei maximalem externem Rauschen reduzierte ein valider Hinweisreiz die Signal-Kontrast-Schwelle um 24.5 Prozent, ohne Rauschen zeigte der valide Hinweisreiz hingegen kaum Wirkung. Aufmerksamkeit scheint ihre positive Auswirkung auf die Informationsverarbeitung somit nur bei hohem externem Rauschen durch Ausschluss desselben auszuüben. 95 Im Einklang mit empirischen Befunden, die zeigen, dass der Ausschluss von externem Rauschen der erleichternden Wirkung von Aufmerksamkeit insbesondere unter Bedingungen mit hohem Rauschen unterliegt(Dosher& Lu, 2000; Shui& Pashler, 1994), fanden wir besonders starke Verlangsamungseffekte unter Bedingungen hoher räumlich-zeitlicher Interferenz. Wir konnten somit zeigen, dass Aufmerksamkeit in der zeitlichen Dimension ihrer selektiven Funktion primär durch Verlangsamung unbeachteter Informationen nachkommt und nicht, wie seit langem angenommen, durch Beschleunigung beachteter Information. 96 6. Allgemeine Diskussion Die Wahrnehmung zeitlicher Relationen insbesondere bei schnell aufeinanderfolgenden Ereignissen ist für weite Bereiche des menschlichen Lebens von essentieller Bedeutung. So ist etwa Gleichzeitigkeit als zeitliches Zusammenfallen zweier Sinneseindrücke unterschiedlicher Modalitäten, ein wichtiger Hinweis darauf, dass diese demselben Objekt angehören bzw. auf dasselbe Ereignis zurückgehen(z. B. Bertelson& Aschersleben, 2003). Ebenso gibt die zeitliche Reihenfolge zweier Ereignisse Aufschluss über Ursache und Wirkung(Van Wassenhove, 2009). Erstaunlicherweise scheint jedoch eine im physikalischen Sinne veridikale Wahrnehmung zeitlicher Gegebenheiten, nicht immer zwingend für eine erfolgreiche Interaktion von Menschen mit ihrer Umwelt zu sein. Obwohl Defizite in der Wahrnehmung von zeitlicher Reihenfolge, Sukzession und Gleichzeitigkeit, bei einer ganzen Reihe von psychologischen, neuropsychologischen und psychiatrischen Störungsbildern zu finden sind(wie etwa Neglekt, Extinktion, Schizophrenie und Dyslexie(Brans et al.,2003; Ja kwoski& Rusiak, 2008; Robertson et al., 1998)), sind auch in der Normalpopulation Fehler in zeitlichen Urteilen keine Seltenheit. So wird etwa die zeitliche Reihenfolge schnell aufeinanderfolgender Ereignisse häufig verwechselt(z.B. Hilkenmeier, Scharlau, Weiß& Olivers, 2012; Scharlau, 2007; Sternberg& Knoll, 1973; Stone, 1926; Ulrich, 1987) oder zwei physikalisch gleichzeitige Ereignisse als aufeinanderfolgend wahrgenommen. Eine überzeugende Erklärung dafür, warum Fehler in zeitlichen Urteilen auch in der Normalpopulation keine Seltenheit sind, gravierende Probleme in der Interaktion von Menschen mit ihrer Umwelt jedoch ausbleiben, bietet Aufmerksamkeit. Die bereits in den Anfängen der Psychologie formulierte Prior-Entry-Hypothese sagt vorher, dass Aufmerksamkeit durch zeitliche Priorisierung beachteter Informationen, einerseits die Auswahl(handlungs)relevanter Informationen erleichtert, indem sie diesen, E E Informationsverarbeitung gewährt, andererseits aber zwangsläufig auch das Auftreten von Reihenfolge- und Gleichzeitigkeitsfehlern erhöht(z.B. Titchener, 1908, für einen aktuellen Überblick siehe Spence& Parise, 2010). 97 Obwohl der Prior-Entry-Effekt somit bereits seit über 150 Jahren in der experimentellen Psychologie erforscht wird, waren drei wesentliche Fragen zum Prior-Entry-Effekt bislang nicht befriedigend beantwortet: Sind bislang gemessenen Prior-Entry-Effekte tatsächlich auf Aufmerksamkeit zurückzuführen(z.B. Pashler, 1998; Schneider und Bavelier, 2003)? Erfassen die zwei traditionell gebrauchten Aufgaben, um den Prior-Entry-Effekt zu messen das zeitliche Reihenfolgeurteil und das Gleichzeitigkeitsurteil, tatsächlich dieselben zeitlichen Prozesse? Beide Urteilsaufgaben messen den Prior-Entry-Effekt als Verschiebung des PSS und wurden in der Vergangenheit eher willkürlich gegeneinander austauschbar genutzt, um die Wahrnehmung von zeitlicher Reihenfolge, Sukzession und Gleichzeitigkeit zu erfassen(vgl. Vatakis et al., 2008). Bleibt noch die wohl entscheidendste Frage, die bislang in der Prior-Entry-Forschung weitgehend ignoriert worden ist: Ist der Prior-Entry-Effekt, wie sein Name impliziert, tatsächlich durch beschleunigte Verarbeitung beachteter Reize zu erklären? Obwohl der Prior-Entry-Effekt traditionell als beschleunigte Verarbeitung beachteter Reize interpretiert wird, könnten mit den klassischen Aufgaben des zeitlichen Reihenfolge- und Gleichzeitigkeitsurteils gemessene Effekte ebenfalls durch eine verlangsamte Verarbeitung unbeachteter Reize erklärt werden(vgl. Spence et al. 2001, für eine vergleichbare Argumentation). Veridikale zeitliche Wahrnehmung beachteter Reize, bei verlangsamter Verarbeitung irrelevanter unbeachteter Informationen, erscheint sogar adaptiver als eine beschleunigte Verarbeitung beachteter Informationen, wenn man bedenkt, dass beachtete Informationen eher handlungsrelevant sein sollten und daher wahrscheinlich eher eine motorische Reaktion erfordern. Beispielsweise sollte es einfacher sein, einen bestimmten Schmetterling in einem Schmetterlingsschwarm zu fangen, wenn die Verarbeitung irrelevanter Schmetterlinge verlangsamt wird, als wenn die Verarbeitung des relevanten Schmetterlings beschleunigt wird. Entgegen allen, auch noch bis vor Kurzem, geäußerten Einwänden konnten wir, Weiß und Scharlau(2009, 2012), zeigen, dass zumindest visuelle Prior-Entry-Effekte, wenn Aufmerksamkeit mit peripheren Hinweisreizen ausgerichtet wird, weder durch Erleichterung der sensorischen Verarbeitung des beachteten Zielreizes noch durch Urteilsverzerrungen erklärt werden können. 98 Unter der Berücksichtigung empirischer Befunde, die zeigen, dass Prior-Entry-Effekte auch den zeitlichen Verlauf eines Aufmerksamkeitseffekts aufweisen(Scharlau et al., 2006; Scharlau& Neumann, 2003b), kann der Prior-Entry-Effekt, unserer Auffassung nach, gesichert als Aufmerksamkeitseffekt betrachtet werden. Wir(Weiß& Scharlau, 2011) konnten weiterhin zeigen, dass das zeitliche Reihenfolgeurteil und das Gleichzeitigkeitsurteil nicht als austauschbare Aufgaben angesehen werden sollten, um zeitliche Wahrnehmungsprozesse zu erfassen. Die Ausrichtung von Aufmerksamkeit beeinflusst die Wahrnehmungseindrücke zeitlicher Reihenfolge und Gleichzeitigkeit in unterschiedlicher Weise. Während Aufmerksamkeit die Häufigkeit des Wahrnehmungseindrucks zeitliche Reihenfolge nicht beeinträchtigt, wird Gleichzeitigkeit unter Bedingungen mit Aufmerksamkeitsausrichtung nur noch sehr selten wahrgenommen. Die Zielsetzung der jeweiligen Studie sollte darüber entscheiden, welche der beiden Urteilsaufgaben eingesetzt wird, da beide Urteilsaufgaben anfällig für unterschiedliche Formen von Urteilsverzerrungen sind und augenscheinlich unterschiedliche Aspekte der zeitlichen Verarbeitung widerspiegeln. Schlussendlich konnten wir(Weiß, Hilkenmeier& Scharlau, eingereicht) zeigen, dass der Prior-Entry-Effekt primär auf verlangsamte Verarbeitung unbeachteter Informationen zurückzuführen ist, es sich also im eigentlichen Sinne des Wortes um einen Posterior-Entry-Effekt handelt. Dieser Befund bietet wichtige Implikationen für die Aufmerksamkeitsforschung, da er zeigt, dass Aufmerksamkeit ihre Selektionsfunktion auf zeitlicher Ebene durch Verlangsamung unbeachteter(und damit höchstwahrscheinlich irrelevanter Informationen) und nicht durch Beschleunigung beachteter relevanter Informationen unterstützt. Das Modell zeitlicher Profile von Stelmach und Herdman (1991) kann als einziges der in dieser Arbeit dargestellten Modelle der zeitlichen Reihenfolgewahrnehmung sowohl den negativen Einfluss von Aufmerksamkeit auf den Wahrnehmungseindruck der Gleichzeitigkeit als auch den Posterior-Entry-Effekt erklären und erscheint deshalb eine geeignete Ausgangsbasis für zukünftige Forschung. 99 Meine Suche nach der gewonnenen Zeit endet somit mit der Erkenntnis, dass Aufmerksamkeit nicht, wie seit rund 150 Jahren vermutet, dazu führt, dass wir Zeit hinzugewinnen, sondern dazu, dass wir sie an anderer Stelle verlieren. 100 7. Literaturverzeichnis Allan, L. G.(1975a). Second guesses and the attention-switching model for successiveness discrimination. Perception& Psychophysics, 17, 65-68. Allan, L. G.(1975b). The relationship between judgments of successiveness and judgments of order. Perception& Psychophysics, 18, 29-36. Allan, L. G.(1979). The perception of time. 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Glossar Verwendete Abkürzungen in alphabetischer Reihenfolge DL= D ifferenz L imen; Maß für die zeitliche Diskriminationsgenauigkeit im Reihenfolgeurteil PSS= Punkt subjektiver Gleichzeitigkeit; für Englisch: p oint of s ubjective s imultaneity PLP= Perzeptuelles Latenz Priming; für Englisch: p erceptual l atency p riming TOJ= zeitliches Reihenfolgeurteil; für Englisch: t emporal o rder j udgment SOA= Reiz Onset Asynchronie; für Englich: s timulus o nset a sychrony SJ= Gleichzeitigkeitsurteil; für Englisch: s imultaneity j udgment JND= Eben merklicher Unterschied; für Englisch: j ust n oticible d ifference; für die zeitlich Diskriminationsgenauigkeit im Reihenfolgeurteil 112 9. Anhang Experiment 1: Evidenz für motorisches Priming im Prior-Entry-Paradigma Zielsetzung: Das Ziel von Experiment 1 war, zu überprüfen, ob der von uns(Weiß& Scharlau, 2009) gefundene Größenunterschied von 7 ms zwischen Prior-Entry-Effekten für form-kongruente und forminkongruente Hinweisreize(45 ms bei kongruenten vs. 38 ms bei inkongruenten Hinweisreizen), auf motorisches Priming zurückzuführen ist. Auf der Basis unseres Experiments(Weiß& Scharlau, 2009) lässt sich diese Frage nicht beantworten, da der kongruente Hinweisreiz, sowohl aufgrund der durch `` V als auch aufgrund seiner höheren Ähnlichkeit zum geprimten Zielreiz(sensorische Erleichterung, vgl. Scharlau, 2004a), zu größeren Prior-Entry-Effekten führen könnte. Experiment 1 ist deshalb weitestgehend eine Replikation des Experiments von Weiß und Scharlau(2009). Die einzige Ausnahme bildet eine dem zeitlichen Reihenfolgeurteil vorgeschaltete motorische Aufgabe. Beobachter mussten vor Abgabe des zeitlichen Reihenfolgeurteils einen nicht vorhersagbaren Tastendruck ausführen. Diese Form der motorischen Aufgabe sollte eine mögliche motorische Spezifikation eines Tastendrucks durch den Hinweisreiz weitestgehend ausschalten. Ist motorisches Priming für den Größenunterschied der Prior-Entry-Effekte verantwortlich, sollte sich für Experiment 1, im Gegensatz zu Weiß und Scharlau (2009), kein Unterschied zwischen kongruentem und inkongruentem Priming mehr finden. Methode: Sechzehn StudentInnen der Universität Paderborn nahmen an Experiment 1 teil. Alle Versuchspersonen waren Rechtshänder. Fünf Versuchspersonen wurden von weitergehenden statistischen Analysen ausgeschlossen, da sie in mindestens einer der experimentellen Bedingungen flache psychometrische Funktionen zeigten. 113 Ablauf des Experiments: Der Ablauf von Experiment 1 ist, abgesehen von den folgenden Ausnahmen, der gleiche wie in Weiß und Scharlau(2009): D T` Q` " K iner deutschen Standardtastatur; sie sind damit weiter räumlich voneinander entfernt als bei Weiß und Scharlau(2009). Vor dem Abgeben des Reihenfolgeurteils mussten die Versuchspersonen eine von acht möglichen Tasten ÜÖMCYQ ) drücken. Die im jeweiligen Durchgang zu drückende Taste wurde zufällig aus den acht angegebenen Tasten ausgewählt und unmittelbar bevor der Tastendruck auszuführen war auf dem Bildschirm präsentiert. Die ausgewählten Tasten sind über die gesamte Tastatur verteilt. Abb. 5a zeigt das Beispiel eines Versuchsdurchgangs mit inkongruentem Priming. Ergebnisse und Diskussion Die Datenaufbereitung erfolgte wie in Weiß und Scharlau(2011) und wird deshalb an dieser Stelle nicht nochmals beschrieben. Abbildung 5b zeigt die Urteilshäufigkeiten der beiden Reihenfolgeurteile V" Die visuelle Inspektion der psychometrischen 114 1 0.75 0.5 0.25 0 -68-51-34-17 0 17 34 51 68 V-kp-k V-p-k S-kp-k S-p-k V-kp-i V-p-i S-kp-i S-p-i Abb. 5b zeigt auf der yA "" U`V B V K des Hinweisreizes(k= kongruent, i= inkongruent). Auf der x-Achse ist das Zielreiz-SOA abgebildet. Negative Zielreizintervalle geben an, dass der Vergleichsreiz zuerst gezeigt wurde. F`V U " U zwischen kongruentem und inkongruentem Priming. Eine dreifaktorielle Messwiederholungs-ANOVA der PSS-Werte mit den Faktoren Priming(ja, nein) x UV" K zeigte einen Haupteffekt des Primings, F(1,10)= 65.70, p<.001, p ²=.86, sowie einen Haupteffekt des Urteils, F(1,10)= 16.74, p<.001, p ²=.63. Der Haupteffekt des Primings geht auf den zu erwartenden Prior-Entry-Effekt zurück( M= 0 ms für ungeprimte Durchgänge vs. M= 47 ms für geprimte Durchgänge). Der Haupteffekt des Urteils ergibt sich dadurch, dass das Reihenfolgeurteil V) -SOAs gefällt wurde der Vergleichsreiz wurde auch objektiv zuerst präsentiert `" überwiegend bei positiven Zielreiz-SOAs( M UV M= 37 U" W , zeigt sich kein Haupteffekt der Kongruenz, F( 1,10)= 1.39, p=.29, p ²=.12. Keine der Interaktionen wurde signifikant, alle Fs< 1.67. Die 115 dreifaktorielle Messwiederholungs-ANOVA mit den gleichen Faktoren ergab für die DL-Werte nur einen Haupteffekt des Primings, F(1,10)= 5.7, p<.05, p ²=.36. Die zeitliche Diskriminationsgenauigkeit war schlechter in geprimten Durchgängen( M= 24 ms) als in ungeprimten Durchgängen( M=34 ms). Die Ergebnisse von Experiment 1 sprechen für einen kleinen, aber bedeutsamen, Anteil motorischen Primings in dem von uns verwendeten visuellen Prior-Entry-Paradigma. Während wir in Weiß und Scharlau(2009) einen 7 ms größeren Prior-Entry-Effekt für kongruentes Priming fanden, konnten wir diesen Vorteil des kongruenten Primings durch eine Manipulation, die motorische Spezifikation durch den Hinweisreiz nahezu ausschließen sollte, ausschalten. Im Gegensatz hierzu sollte sensorische Erleichterung ein kongruenter Hinweisreiz aktiviert durch seine höhere Ähnlichkeit zum Zielreiz eher die gleichen Rezeptoren nicht oder nur in geringem Ausmaß beeinflusst sein. 116 10. Zusammenfassung der Dissertation auf Deutsch Auf der Suche nach der gewonnenen Zeit: Aufmerksamkeit als Fehlerquelle in zeitlichen Urteilsaufgaben am Beispiel des Prior-Entry-Effekts vorgelegt von Katharina Weiß Zeitwahrnehmung im Subsekundenbereich ist k ritisch für weite Bereiche des menschlichen Lebens(Buhushi& Meck, 2004). Dies zeigt sich u.a. in der großen Anzahl an psychologischen und neuropsychologischen Störungen, die mit Zeitwahrnehmungsdefiziten im Subsekundenbereich einhergehen(z.B. Dyslexie: Ja kowski& Rusiak, 2008; Liddle, Jackson, Rorden& Jackson, 2009; May, Williams& Dunlap, 1988; Rey, De Martino, Espesser& Habib, 2002; Aphasie: Efron, 1963; Swisher& Hirsh, 1972; Tallal& Piercy, 1973; Von Steinbüchel et al., 1999; Schizophrenie: Brans, Tenckhoff& Tost, 2003; Autismus: Kwakye, Foss-Feig, Cascio, Stone& Wallace, 2011; Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung: Smith, Taylor, Rogers, Newman& Rubia, 2002; Neglekt: Robertson, Mattingley, Rorden,& Driver, 1998). Da die aufgeführten Störungen zu teils erheblichen Beeinträchtigungen der Interaktion Betroffener mit ihrer Umwelt führen, liegt die Vermutung nahe, eine möglichst veridikale Wahrnehmung zeitlicher Gegebenheiten, auch im Subsekundenbereich, sei erforderlich für eine erfolgreiche Interaktion von Menschen mit ihrer Umwelt. 117 Überraschenderweise machen jedoch auch Gesunde häufig zeitliche Fehler. So vertauschen sie die zeitliche Reihenfolge zweier schnell aufeinanderfolgender Reize(z.B. Hilkenmeier, Olivers& Scharlau, 2012; Hilkenmeier, Scharlau, Weiß& Olivers, 2012; Olivers, Hilkenmeier& Scharlau, 2011; Scharlau, 2007; Sternberg& Knoll, 1973; Stone, 1926; Ulrich, 1987) oder zwei gleichzeitig dargebotene Reize werden in Sukzession wahrgenommen. Für die Entstehung zeitlicher Fehler sind eine Reihe von Faktoren verantwortlich gemacht worden, wie etwa unterschiedliche neuronale Transmissionszeiten(z.B. Exner, 1875) oder Gedächtnisprozesse. Eine der wohl wichtigsten Ursachen für Fehler in zeitlichen Urteilen ist jedoch Aufmerksamkeit. Bereits Titchener formulierte 1908 G tz des früheren E besagt, dass beachtete Reize früher auf höhere Stufen der Informationsverarbeitung gelangen und somit auch einen früheren Eintritt auf die Ebene der bewussten Wahrnehmung haben. Traditionell wird dieser Prior-Entry-Effekt für beachtete Reize mittels eines von zwei psychophysischen Paradigmen erfasst, dem zeitlichen Reihenfolgeurteil oder dem Gleichzeitigkeitsurteil. Im Reihenfolgeurteil müssen Beobachter üblicherweise angeben, welcher von zwei Reizen zuerst präsentiert wurde, während sie im Gleichzeitigkeitsurteil angeben müssen, ob beide Reize gleichzeitig oder aufeinanderfolgend, also in Sukzession, präsentiert wurden. In beiden Paradigmen werden zwei Faktoren manipuliert, um den PriorEntry-Effekt zu erfassen: erstens das zeitliche Intervall zwischen Zielreizen sowie zweitens die Ausrichtung von Aufmerksamkeit. Wird Aufmerksamkeit gezielt auf einen der beiden Zielreize ausgerichtet oder nicht? Der Prior-Entry-Effekt zeigt sich als Verschiebung des Punktes der subjektiven Gleichzeitigkeit(PSS). In Durchgängen ohne Aufmerksamkeitsausrichtung liegt er üblicherweise in der Nähe physikalischer Gleichzeitigkeit, während er in den Durchgängen, in denen Aufmerksamkeit gezielt auf einen 118 der beiden Zielreize gelenkt wurde, zu einem Zielreizintervall verschoben ist, bei dem der unbeachtete dem beachteten Zielreiz vorausgeht. Prior-Entry-Effekte wurden sowohl innerhalb als auch zwischen verschiedenen Modalitäten nachgewiesen: in der visuellen Modalität(z.B. Enns, Brehaut& Shore, 1999, Experiment 2; Ja kowski, 1993; Scharlau, 2002, 2004a, b, c, 2007a; Scharlau& Ansorge, 2003; Scharlau, et al., 2006; Scharlau& Neumann, 2003a, b; Schneider& Bavelier, 2003; Shore et al., 2001; Stelmach& Herdman, 1991; Weiß& Scharlau, 2009, 2010, 2011, 2012), der auditiven Modalität(Kanai et al., 2007) und der taktilen Modalität(Yates& Nicholls, 2009, 2011) sowie bimodal(Spence et al., 2001; Stone, 1926; Vibell et al., 2007; Zampini, Shore& Spence, 2005; Zampini et al., 2007). Für einen aktuellen Überblick über die PriorEntry-Forschung siehe Spence und Parise(2010). Obwohl Prior-Entry-Effekte somit als empirisch gut belegt gelten können, wird ihr attentionaler Ursprung bis heute von manchen Autoren angezweifelt(z.B. Frey, 1990; Ja kowski, 1993; Pashler, 1998; Schneider& Bavelier, 2003). Obgleich Titchener bereits 1908 der Ansicht war, dass der Prior-Entry-Effekt ausreichend erforscht sei und deshalb zukünftigen Generationen von Psychologen keine weiteren Probleme bereiten werde, sind auch über 100 Jahre nach Titcheners mutiger Äußerung Zweifel am attentionalen Ursprung des Prior-Entry-Effekts noch nicht vollständig verstummt(z.B. Frey, 1990; Ja kowski, 1993; Pashler, 1998; Schneider& Bavelier, 2003). Als Alternativerklärungen des Prior-Entry-Effekts werden zum einen auf postperzeptueller Ebene Urteilsverzerrungen und zum anderen auf sensomotorischer Ebene sensorisches bzw. Motor-Priming vermutet. Eine einfache Variante der Urteilsverzerrung wäre etwa, dass Beobachter anstelle des Reizes, den sie zuerst gesehen haben, den beachteten und damit 119 wahrscheinlich auch salienteren Reiz berichten. Dies sollte insbesondere unter Bedingungen hoher zeitlicher Unsicherheit(kleine Zielreizintervalle) der Fall sein. Dieser einfachen Form des Bias wird allerdings in jüngeren Studien durch eine orthogonale, d.h. unabhängige, Variation von Urteilsdimension und Dimension der Aufmerksamkeitsausrichtung Einhalt geboten. Eine komplexere Möglichkeit der Urteilsverzerrung der K riteriumsbias ist jedoch methodisch weit schwerer auszuschließen. Beobachter könnten insbesondere unter Bedingungen hoher zeitlicher Unsicherheit dem beachteten und somit in der Regel auch salienteren Zielreiz jegliches Urteilskriterium zuschreiben, beispielsweise der erste oder der zweite zu sein. Unglücklicherweise bietet auch die von Charles Spence und Kollegen vorgeschlagene Methode, die Größe des Kriteriumsbias als Hälfte der Differenz zwischen den U W) Erste? W) zu messen, keine abschließende Lösung für das Problem des Kriteriumsbias. Beobachter könnten für K W) war der zweit e ` W) mit der Identität des ersten Zielreizes automatisch auch die Identität des zweiten Zielreizes kennen. Deshalb haben wir(Weiß& Scharlau, 2012) uns entschieden, dass Bias-Problem aus einem anderen Blickwinkel anzugehen: Anstatt zu versuchen, die Größe des Kriteriumsbias in einem gegebenen Prior-Entry-Paradigma zu schätzen, wollten wir zeigen, inwieweit die Größe des Prior-Entry-Effekts der bewussten Kontrolle der Beobachter unterliegt. Der Anteil des Prior-Entry-Effekts, der auf einen Bias von Entscheidungsprozessen zurückgeht, sollte zumindest der bewussten Kontrolle der Beobachter zugänglich sein. Zu diesem Zweck haben wir Beobachter über den Wirkmechanismus des Prior-EntryEffekts informiert und ihnen Feedback über die Richtigkeit ihres zeitlichen Reihenfolgeurteils 120 gegeben, um zu überprüfen, inwieweit sie unter diesen Umständen in der Lage waren, den Prior-Entry-Effekt zu reduzieren. Wäre der Prior-Entry-Effekt vollständig auf einen Bias zurückzuführen, sollte er unter diesen Umständen vollständig verschwinden, andernfalls sollte er um den Biasanteil reduziert sein. Feedback über die Richtigkeit des zeitlichen Reihenfolgeurteils sollte die Reduktion des Prior-Entry-Effekts begünstigen, da dieser per definitionem von einer erhöhten Anzahl zeitlicher Fehler begleitet ist. Mit peripheren maskierten Hinweisreizen waren Beobachter nicht in der Lage, den Prior-Entry-Effekt von 46 ms zu reduzieren(Experiment 1). Wurde Aufmerksamkeit mit sichtbaren peripheren Hinweisreizen ausgerichtet, konnten Beobachter ihren Prior-Entry-Effekt(44 ms) in geringem Ausmaß, um 12 ms, reduzieren. Unsere Ergebnisse zeigen, dass der visuelle Prior-EntryEffekt nicht(Experiment 1: periphere maskierte Hinweisreize) oder nur zu einem sehr geringen Anteil(Experiment 2: sichtbare Hinweisreize) der Kontrolle der Beobachter unterliegt. Zusammengenommen mit Befunden, die zeigen, dass der Prior-Entry-Effekt sich nur in geringem Ausmaß durch Motor-Priming(Weiß& Scharlau, 2009, Experiment 1 Anhang) EÜ TG E U P -EntryEffekts. Sowohl das zeitliche Reihenfolgeurteil als auch das Gleichzeitigkeitsurteil sind in der Vergangenheit häufig eingesetzt worden, um Prior-Entry-Effekte zu erfassen(z.B. Schneider & Bavelier, 2003; Stelmach& Herdman, 1991; Weiß& Scharlau, 2009, 2011, 2012; Zampini, Shore et al., 2005; Zampini et al., 2007). Obwohl mit beiden Paradigmen Prior-Entry-Effekte nachgewiesen werden konnten, fallen die mittels Gleichzeitigkeitsurteil gemessenen PriorEntry-Effekte in der Regel kleiner aus als die im Reihenfolgeurteil gemessenen Effekte(z.B. Santangelo& Spence, 2008; Schneider& Bavelier, 2003; Van der Burg, Olivers, Bronkhorst& 121 Theeuwes, 2008; Yates& Nicholls, 2011; Zampini, Shore et al., 2005). Von einigen Autoren (z.B. Schneider& Bavelier, 2003) wird dieser Umstand als Beleg dafür gesehen, dass das Gleichzeitigkeitsurteil eine bessere Schätzung der wahren Größe des Prior-Entry-Effekts darstellt, da es um den im Reihenfolgeurteil vorhandenen Urteilsverzerrungsanteil korrigiert sei. Diese Interpretation setzt allerdings, wie beispielsweise von Spence und Parise(2010) festgestellt, voraus, dass beide Urteilsaufgaben dieselben zeitlichen Prozesse erfassen. Während viele Modelle der zeitlichen Reihenfolgewahrnehmung diese Annahme stützen (vgl. Abschnitt 1.4-1.6; Sternberg& Knoll, 1973; Ulrich, 1987; für Ausnahmen siehe Ja kowski, 1991; Stelmach& Herdman, 1991) häufen sich in jüngerer Zeit Befunde, die diese Annahme in Zweifel ziehen(z.B. Scharlau, 2004a; Scharlau et al., 2006; Stelmach& Herdman, 1991; Van Eijk et al., 2008; Vatakis et al., 2008). Da der Prior-Entry-Effekt sowohl im Reihenfolge- als auch im Gleichzeitigkeitsurteil als Verschiebung des PSS erfasst wird, dieser aber in beiden Urteilsaufgaben unterschiedlich operationalisiert ist, stellt sich die Frage, ob der PSS tatsächlich in beiden Aufgaben wahrgenommene Gleichzeitigkeit repräsentiert. Der im binären Reihenfolgeurteil gemessene PSS könnte ebenso ein zeitliches Intervall repräsentieren, an dem Beobachter maximale Unsicherheit über die zeitlichen Verhältnisse empfinden und nicht wahrgenommene Gleichzeitigkeit. Wir(Weiß& Scharlau, 2011) haben ein vier-stufiges Reihenfolgeurteil(Experiment 1; U`Q und ein drei-stufiges Reihenfolgeurteil(Experiment 2; U genutzt um diese Fragestellung zu untersuchen. Ein mehr als binäres Reihenfolgeurteil bietet den Vorteil, dass sich PSS-Werte sowohl für die Reihenfolgeurteile als auch für die 122 Gleichzeitigkeitsurteile berechnen lassen. Obwohl die PSS-Werte der Reihenfolgeurteile kaum von den PSS-Werten des Gleichzeitigkeitsurteils abwichen, beurteilten die Beobachter beide Zielreize in Durchgängen mit Aufmerksamkeitsausrichtung wesentlich seltener als gleichzeitig; dies galt insbesondere auch für den PSS. Während in Kontrolldurchgängen ohne Aufmerksamkeitsausrichtung, die Beobachter fast ausschließlich gleichzeitig urteilten, urteilten sie in Durchgängen mit Aufmerksamkeitsausrichtung, am PSS in weit weniger als der Hälfte der Fälle gleichzeitig. Allerdings stellt der PSS in Durchgängen mit Aufmerksamkeitsausrichtung auch nicht das zeitliche Intervall maximaler Unsicherheit über die zeitlichen Verhältnisse dar. In Experiment 1 wurde die vierte Urteilskategorie unsicher extrem selten genutzt. Auch eine indirektere Erfassung zeitlicher Unsicherheit durch Wetten auf die Richtigkeit des ternären Reihenfolgeurteils zeigte, dass sich die Beobachter eher sicher als unsicher über ihr Urteil waren, allerdings waren die Wetturteile dennoch von der Lage des PSS beeinflusst. Beobachter setzten in der Nähe des PSS am wenigsten auf ihr Reihenfolgeurteil. Urteilszeiten als weiteres Maß für zeitliche Unsicherheit ergaben ein vergleichbares Bild. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der vorherrschende zeitliche Wahrnehmungseindruck am PSS Gleichzeitigkeit war, wenn Aufmerksamkeit nicht ausgerichtet wurde. Mit Aufmerksamkeitsausrichtung gab es keinen vorherrschenden Wahrnehmungseindruck am PSS; Beobachter nahmen in unterschiedlichen Durchgängen sowohl zeitliche Reihenfolge, Gleichzeitigkeit und Unsicherheit über die zeitlichen Verhältnisse war. Dieser Befund widerspricht der impliziten Annahme vieler Modelle der zeitlichen Reihenfolgewahrnehmung, dass der Wahrnehmungseindruck zeitlicher Reihenfolge zwangsläufig resultiert, wenn keine Gleichzeitigkeit wahrgenommen wird. Das Modell zeitlicher Profile, dass annimmt, dass die Wahrnehmungseindrücke Gleichzeitigkeit 123 und zeitlicher Reihenfolge auf unterschiedliche Mechanismen zurückgehen, sagt unsere Ergebnisse hingegen vorher: Die Ausrichtung von Aufmerksamkeit auf einen von zwei Reizen sollte sich negativ auf die Wahrnehmung von Gleichzeitigkeit auswirken. Obwohl die Prior-Entry-Hypothese bereits in den Anfängen der experimentellen Psychologie formuliert wurde, und der Prior-Entry-Effekt innerhalb und zwischen verschiedenen Sinnesmodalitäten nachgewiesen werden konnte(z.B. Kanai et al., 2007; Shore et al. 2001; Spence, et al., 2001; Yates& Nicholls, 2009, 2011) und auch seine primäre attentionale Basis mittlerweile als gesichert betrachtet werden kann(z.B. Scharlau, 2004a; Weiß& Scharlau, 2012), gibt es dennoch keine hinreichenden Belege, die für die Prior-EntryHypothese in ihrer Gänze sprechen. Diese besagt, dass Aufmerksamkeit zu einer beschleunigten Verarbeitung beachteter Reize führt. Obwohl die Prior-Entry-Hypothese traditionell in diesem Sinne interpretiert wird(z.B. Zampini et al., 2007), erlauben die zumeist verwendeten psychophysischen Maße des zeitlichen Reihenfolge- bzw. Gleichzeitigkeitsurteils keinen konkreten Test dieser Hypothese, da sie nur den relativen Latenzvorteil für beachtete Reize erfassen können. Prior-Entry-Effekte könnten ebenso gut durch verlangsamte Verarbeitung unbeachteter Reize entstehen(z.B. Spence, Nicholls et al., 2001). Aufmerksamkeit würde E mit wahrscheinlich auch handlungsirrelevanter Informationen auf höhere Ebenen der Informationsverarbeitung, einschließlich des Bewusstseins führen eine Möglichkeit, die von der Prior-Entry-Forschung bislang weitgehend ignoriert wurde(aber siehe Fraisse, 1963; Spence et al, 2001; Stone, 1926). 124 Um die Prior-Entry-Hypothese gegen die Posterior-Entry-Hypothese zu testen, haben wir(Weiß, Hilkenmeier& Scharlau, eingereicht) das klassische Komplikationsuhr-Paradigma von Wilhelm Wundt(Wundt, 1887) mit einem zeitlichen Reihenfolgeurteil kombiniert, um so die Wahrnehmungslatenzen für beachtete und unbeachtete Reize innerhalb eines Durchgangs, getrennt voneinander erfassen zu können(siehe Carlson et al., 2006; Seifried et al., 2010, für weitere Studien die ein Uhrenparadigma zur Erfassung von Wahrnehmungslatenzen benutzen). Auf dem Bildschirm wurden vier leere Uhren dargeboten, die symmetrisch um das Fixationskreuz angeordnet waren. In zwei dieser Uhren erschienen zwei sich im Uhrzeigersinn bewegende Zeiger. Die Aufgabe der Beobachter war es, zum einen ein binäres Reihenfolgeurteil über das Erscheinen beider Zeiger abzugeben und zum anderen, die Uhrzeit auf beiden Uhren zu berichten. Sowohl für Prior-Entry als auch für die Posterior-Entry ergeben sich in diesem Paradigma klare Hypothesen. Kommt der Prior-Entry-Effekt durch beschleunigte Verarbeitung beachteter Reize zustande, sollten Beobachter die Zeit auf der beachteten Uhr früher wahrnehmen als auf derselben Uhr, wenn Aufmerksamkeit auf keine der beiden Uhren ausgerichtet wurde. Die Zeit auf der nicht beachteten Uhr sollte hingegen nicht beeinflusst sein. Wenn im Gegensatz hierzu die Posterior-Entry-Hypothese korrekt ist, sollte die Zeit auf der beachteten Uhr unbeeinflusst sein, während die Uhrzeit auf der nicht beachteten Uhr später wahrgenommen werden sollte, als wenn auf keine der Uhren Aufmerksamkeit gelenkt wurde. Unsere Ergebnisse bestätigen die Posterior-Entry-Hypothese: Wir fanden, dass ein im binären zeitlichen Reihenfolgeurteil gemessener Prior-Entry-Effekt von 119 ms primär durch Verlangsamung unbeachteter Reize(145 ms) und nur zu einem geringen Anteil durch 125 Beschleunigung(31 ms) beachteter Reize erklärt werden kann. Wir konnten somit zeigen, dass Aufmerksamkeit in der zeitlichen Dimension ihre selektive Wirkung hauptsächlich durch die Verlangsamung unbeachteter Reize und nicht wie in der Prior-Entry-Hypothese angenommen durch die Beschleunigung beachteter Reize erfüllt. Bei der seit über 150 Jahren untersuchten zeitlichen Wahrnehmungstäuschung handelt es sich deshalb im wörtlichen Sinne um einen Posterior-Entry-Effekt statt eines Prior-Entry-Effekts. Außerdem konnten wir zeigen, dass Verlangsamungseffekte für unbeachtete Reize unter Bedingungen hoher zeitlicher Interferenz besonders stark sind: Dies passt zu empirischen Befunden, die zeigen, dass Aufmerksamkeit ihre selektive Funktion unter Bedingungen hoher Interferenz durch den Ausschluss von externem Rauschen erreicht(z.B. Shui& Pashler, 1994; Dosher& Lu, 2000). Das Modell zeitlicher Profile von Stelmach und Herdman(1991) ist mit einer leichten Modifikation auch in der Lage, Posterior-Entry zu erklären. Anstatt dass Aufmerksamkeit das zeitliche Profil des beachteten Reizes spitzer macht, verbreitert sie nun das zeitliche Profil des unbeachteten Reizes. Posterior-Entry bietet somit eine plausible Erklärung dafür, wie Aufmerksamkeit einerseits zeitliche Fehler verursacht und dennoch nicht zu Problemen in der Interaktion von Menschen mit ihrer Umwelt führt, da Posterior-Entry die zeitliche Position von unbeachteten wahrscheinlich(handlungs-) irrelevanten, nicht jedoch von beachteten(handlungs-) relevanten Informationen verändert. So sollte es beispielsweise einfacher sein, einen bestimmten Schmetterling in einem Schmetterlingsschwarm zu fangen, wenn die Verarbeitung der irrelevanten Schmetterlinge verlangsamt wird. Aufmerksamkeit ist somit zwar ein wichtiger Faktor für die Erstehung von zeitlichen Fehlern im Subsekundenbereich, jedoch unterstützen diese Fehler die Auswahl relevanter und Ablehnung irrelevanter Informationen. 126 11. Artikel Weiß, K.,& Scharlau, I.(2011) Simultaneity and temporal order perception: Different sides of the same coin? Evidence from a visual prior entry study. The Quarterly Journal of Experimental Psychology, 64, 394-418. Weiß, K.,& Scharlau, I.(2012). At the mercy of prior entry: Prior entry induced by invisible primes is not susceptible to current intentions. Acta Psychologica, 139, 54-64. Weiß, K., Hilkenmeier, F.,& Scharlau, I.(im Druck). Attention and the speed of information processing: Posterior Entry for unattended stimuli instead of prior entry for attended stimuli. Plos One.