Die lippischen Wanderarbeiter Von )fc Dr. Fritz Fleege-Althoff I f Ausgeschieden aus deTl f Fachber e'chsbibliothek Wirtschaftswissenschalten I Johann Wolfpang Goethe^rtfversität ^_ Frankfurt Detmold IQ28 Verlag der Meyerschen Hofbuchhandlung (Max Staercke) ' i Meiner Heimat und dem Andenken meines Vaters Inhalt Seite Vorwort...............VIII Einleitung : I. Die Wanderarbeit im allgemeinen.......1 II. Landeskundlicher Uberblick.........12 Erster Teil. Die lippischen Wanderarbeiter der älteren Zeit. (Die Hollands- und Frieslandsgänger) ... 17 Erstes Kapitel. Die Vorbedingungen der älteren lippischen Wanderarbeit. I. Abschnitt. Die Vorbedingungen in den Zuwanderungsgebieten. § 1. Die Zuwanderungsgebiete im 17. und 18. Jahrhundert . 19 § 2. Die Zuwanderungsgebiete im 19. Jahrhundert ... 26 II. Abschnitt: Die Vorbedingungen im Abwanderungsgebiet. § 3. Die lippische Landschaft und die Bodenschätze in älterer Zeit .............. 29 § 4. Die Qrundbesitzverteilung in Lippe während des 17., 18. und 19. Jahrhunderts.......... 31 § 5. Die grundbesitzlose Klasse der Bewohner Lippes und ihre Lage............. 38 § 6. Die heimischen Erwerbsmöglichkeiten..... 42 § 7. Die Wirtschafts- und Sozialpolitik Lippes bis 1869 . . 51 § 8. Zusammenfassung........... 54 Zweites Kapitel. Die Wanderarbeit und ihre Hemmungsfaktoren. § 9. Die Wanderarbeit unter dem hemmenden Einflüsse der lippischen Stände...........56 § 10. Die Wanderarbeit nach Aufhebung der Leibeigenschaft . 68 Drittes Kapitel. Die einzelnen Zweige der älteren Wanderarbeit § 11. Allgemeines............76 I. Abschnitt: Wanderarbeiter von nur noch geschichtlichem Interesse. § 12. Die Amsterdamgänger und Indienfahrer..... 81 § 13. Die Torfgräber und Grasmäher....... 86 I. Allgemeines zu beiden Gruppen...... 86 II. Die Torfarbeiter.......... 93 III. Die Grasmäher.......... 100 II. Abschnitt: Die Ziegelgängerei. § 14. Geschichtliches zur Ziegelsteinherstellung .... 103 § 15. Das Botenwesen. I. Die Hauptboten..........105 VI Seite II. Die Nebenboten.......... 116 III. Kritik des Botendienstes........ 118 § 16. Die Menge der Ziegler bis 1869 ....... 120 § 17. Die Lohnverhältnisse und sozialen Einrichtungen . . 129 § 18. Das Zieglergewerbegesetz vom 8. Juli 1851 . 134 Zweiter Teil. Die lippischen Wanderarbeiter unter der Gewerbefreiheit. Erstes Kapitel. Umfang und Ursachen der lippischen Wanderarbeit. I. Abschnitt: Der Umfang der Wanderarbeit. § 19. Die statistische Erfassung der lippischen Wanderarbeiter 147 § 20. Die allgemeine Auswertung der Hauptstatistiken . . . 160 § 21. Die Arbeitsgebiete der lippischen Wanderarbeiter . . 172 II. Abschnitt: Die Ursachen der Wanderarbeit in neuerer Zeit. § 22. Ursachen psychologischer Art....... 177 § 23. Die wirtschaftliche Struktur Lippes und die Wanderarbeit 180 § 24. Berufsgliederung und Wanderarbeit...... 192 § 25. Bodenbesitzverteilung und Wanderarbeit .... 199 § 26. Landarbeiterfrage und Wanderarbeit..... 213 § 27. Volksdichte und Wanderarbeit....... 218 § 28. Die Pluralität der wirtschaftlichen und sozialen örtlichen Ursachen............. 229 § 29. Ursachen wirtschafts- und sozialpolitischer Art . . . 233 Zweites Kapitel. Die wirtschaftliche und soziale Lage der lippischen Wanderziegler. § 30. Der Ziegeleibetrieb in seiner Bedeutung für die lippischen Ziegler I. Produktionsprozeß und Arbeitsverrichtungen . . 238 II. Betriebsübernahme und Ziegelmeister .... 246 III. Betriebsperiode und Arbeitstag...... 253 § 31. Arbeitsmarkt und Arbeitsvermittlung..... 260 § 32. Gruppierung und Klassifizierung der Ziegler .... 273 § 33. Die Einkommensverhältnisse. I. Der Verdienst in der Fremde. a) Die Lohnverhältnisse bis zum Jahre 1914 . . .281 b) Die Lohnverhältnisse der Nachkriegszeit . . . 290 II. Der heimatliche Nebenerwerb. a) Die Nebenbeschäftigung der Ziegler im Winter . 300 b) Der Erwerb durch die Frau und Kinder des Zieglers............ 307 III. Das Gesamteinkommen........ 310 § 34. Die Lebenshaltung. I. Die Beköstigung.......... 311 II. Die Wohnungsverhältnisse........ 317 § 35. Die steuerlichen Verhältnisse ........ 325 VII Seite § 36. Die Vermögensverhältnisse........ 333 § 37. Die Organisationsbestrebungen der lippischen Ziegler. I. Entwicklung bis zur Gründung des Gewerkvereins . 335 II. Der Gewerkverein der Ziegler. a) Gründung und Entwicklung....... 339 b) Organisation und Bedeutung...... 345 III. Der Verband der Fabrikarbeiter Deutschlands . . 352 IV. Der Zentralverband Deutscher Ziegelmeister . . 354 § 38. Die lippischen Zieglerkrankenkassen...... 356 § 39. Die kirchliche Fürsorge. I. Allgemeines........... 366 II. Die durch den Zentralausschuß der inneren Mission organisierten Predigtreisen....... 368 III. Die Ziegler-Predigtreisen lippischer Pfarrer . . . 374 IV. Würdigung der Predigtreisen...... 379 § 40. Bildungsstand und Fortbildung der Ziegler .... 380 Drittes Kapitel. Die Bedeutung der lippischen Wanderarbeit unter besonderer Berücksichtigung der Ziegelgängerei. § 41. Die Bedeutung für die Wanderarbeiter selbst .... 386 § 42. Die Bedeutung für das Land Lippe......405 § 43. Die Bedeutung für das deutsche Zieglergewerbe . . . 421 Viertes Kapitel. Die voraussichtliche Weiterentwicklung der lippischen Wanderarbeit. I. Abschnitt: Der Rückgang der Ziegelgängerei. § 44. Statistisches.......... . 423 § 45. Die Gründe des Rückganges ........425 II. Abschnitt: Mittel und Maßnahmen zur Eindämmung und Beseitigung der Wanderarbeit. § 46. Fragestellung und bisherige Leistungen.....436 § 47. Aufgaben der Zukunft I. Maßnahmen materieller Art.......452 II. Maßnahmen formaler Art........468 *£>ch w ort............. .473 AnllÄ^tl ; • • 475 Literaturnaci^uS§x^ 497 Karte von Lippe. ^v, gifi^ "^blnfcri. v % EirT2x ,+ en dttr>^_^ «?_^_ 0+0 ein£-~s^. Vorwort Motto: „Es ist wirklich nichts beschämender und niederdrückender für einen Kreis, als wenn er seine herrlichen Menschenkräfte nicht beschäftigen und verwerten kann, wenn er seine Bürger von der Heimaterde abstößt und sich nicht einmal bewußt wird, wie schnöde und kalt sein Verhalten gegenüber solchen Vorgängen ist." Oskar Asemissen. Die Anregung zu dieser Arbeit gab mein Vater durch seine Erzählungen über den Fortgang von männlichen Familienangehörigen unseres Stammhofes zum Grasmähen und anderer Dorfbewohner zum Torfstechen und Ziegeln nach Holland und Friesland. Dabei traten sofort wichtige Apperzeptionsstützen hervor: Einmal die Tatsache, daß ich von früher Jugend an Zeuge der Abreise und Heimkehr der Ziegler und Maurer meines Heimatortes gewesen war, daß ich selbst oft meinen Vater, der — keine Lust verspürend, „im Dienst zu stehen des Bruders", sondern es vorziehend, „fortzugehen in alle Fernen" — bis 1897 im Westfälischen Industriegebiet tätig sein mußte, zum Bahnhofe begleitet und ihn von dort abgeholt hatte, und sodann die Erkenntnis der großen Bedeutung, die der Wanderarbeit für meinen Heimatort und mein Heimaj^d beizumessen war. Wen mußte da dieses bedeutungsvolle-roblem nicht interessieren, wen hätte es nicht jz^kt und zu Nachforschungen und speziellen ÜJ^uchungen veranlaßt? Die Arbeit konnte m^mgen, weil ich bei fast allen Personen und BaK ".„n, die ich zu Rate zog, bereitwilligst^—Unte:-^ung für die Zusammentragung des Materials feac^AUen sage ich an dieser Stelle herzlichen "DatA^en wenigen, die keine Auskunft gaben bzw. Jen wollten, und auch jenen, die mir nur ungern mit M IX recht unfreundlichem Gesicht und in schroffem Tone „tropfenweise" Hilfe leisteten, verzeihe ich gern, weil die Arbeit auch ohne ihre Unterstützung zustandegekommen ist. Durch eingehende Quellenstudien, namentlich im Detmolder reichhaltigen Landesarchiv, die meist durch die Geschlossenheit der Akten erleichtert wurden, durch behördliche Erhebungen und vielseitige persönliche Feststellungen gelang es nach und nach, das mannigfache, oft recht sporadische und verborgene Einzelmaterial zusammenzutragen, aus dem dann im Laufe der Jahre die Abhandlung entstanden ist. In wirtschafts-wissenschaftlicher Hinsicht dürfte die AbhandlungalsBeitrag zum Wanderungsproblem besonders interessieren, weil als Wanderungsausgangsgebiet ein geschlossener, verhältnismäßig leicht zu übersehender Kleinstaat in Frage kommt, und weil die lippische Wanderarbeit nach Alter und Regelmäßigkeit, nach räumlicher Ausdehnung des Arbeitsfeldes und nach Intensität im Abwanderungsgebiet eine der bedeutendsten Saisonwanderungen darstellt. Es liegt daher nicht nur ein „lippisches Problem", sondern auch ein allgemeines Arbeiterwanderungsproblem vor, das Beachtung und Würdigung verdient. Allerdings ist die Abhandlung in erster Linie für mein Heimatland geschrieben, in dem die Wanderarbeit noch heute das bedeutendste und aktuellste Wirtschafts- und Sozialproblem darstellt. Als Beitrag zur heimatkundlichen Literatur bestimmt, war im historischen Teile manches für die lippische Wirtschaftsgeschichte Interessante ausführlicher zu behandeln, als es sonst nötig gewesen wäre. Da ich aber auch eine wirtschafts-wissenschaftliche Studie darbieten wollte, ergab sich andererseits die Notwendigkeit, Daten und Zahlen über Einzelheiten anzuführen, die in Lippe selbst als bekannt gelten dürfen. Infolge des langen Zeitraumes mußte eine Trennung in zwei große" Teile vorgenommen werden. Für den Schnitt schien mir ein Ereignis von so großer Bedeutung, daß ich es zum Trennungsmerkmale wählte: die Ein- X führung der Gewerbefreiheit. Damit wurden die Wanderarbeiter aus der staatlichen Gebundenheit erlöst, und frei von Fesseln konnten sie von da ab ihrer Arbeit nachgehen. So umfaßt denn der erste Teil den Zeitraum bis zum Jahre 1869, während im zweiten Teile, als dem Gegenwartsteile, die Verhältnisse seit 1869 zur Behandlung kommen. Es leuchtet ohne weiteres ein, daß ein so wichtiges Problem im Laufe der Zeit auch zum Gegenstande literarischer Bearbeitung gemacht wurde. In den heimatlichen Zeitungen und Zeitschriften finden sich manche Aufsätze und Artikel, in denen Wanderarbeiterfragen besprochen sind, und auch in verschiedenen Büchern, die an sich andere Dinge behandeln, taucht wiederholt das Wanderarbeiterproblem auf. Jedoch kann man nur folgende Abhandlungen als wissenschaftlich beachtenswert bezeichnen : 1. Die beste ältere Arbeit ist u. E. die in den Vaterländischen Blättern, Jg. 4 (1) erschienene Abhandlung von Falkmann: „Historische Bemerkungen über die sog. Frieslandsgänger." Auf Grund von Aktenstudien hat der Verfasser in vorzüglicher Weise und mit warmem Herzen für die abwandernden Personen die Entwicklung der lippischen Wanderarbeit geschildert. Wir konnten deshalb wiederholt aus jener Abhandlung schöpfen und insbesondere auch die Einstellung jener Zeit zum Wanderarbeiterproblem erkennen. 2. Nicht so tiefgründig ist der Aufsatz von Asemissen im „Arbeiterfreund", Jg. 23: „Die lippischen Ziegler." Es wird dort mehr das Persönliche des Zieglers, insbesondere seine Arbeits- und Lebensweise, in den Vordergrund geschoben. 3. Für das Wanderarbeiterproblem recht wertvoll ist die volkswirtschaftliche Untersuchung von E. H. Wilh. Meyer über „Teilungsverbot, Anerbenrecht und Beschränkung der Brautschätze beim bäuerlichen Grundbesitze Lippes", weil in dieser Abhandlung besonders der enge Zusammenhang zwischen den drei früher wichtigen lippi- XI sehen Erwerbszweigen Landwirtschaft, Leinengewerbe und Ziegelgängerei dargestellt wird. 4. Als Spezialarbeit gründlicherer Art ist im Jahre 1909, als Manuskript gedruckt, „Die Wanderarbeiter des Weserberglandes", von Richard Böger, erschienen. Der Inhalt des Buches hält nicht, was er nach dem Titel vermuten ließe; denn in Wirklichkeit ist fast nur von Wanderarbeitern Lippes die Rede, so daß zum mindesten in einem Untertitel oder doch im Vorwort hätte darauf hingewiesen werden müssen. In diesem Werke ist das Problem der lippischen Wanderarbeit eingehender behandelt worden, und insbesondere sind die. vielen einzelnen Vorschläge im politischen Teile der Abhandlung deshalb beachtenswert, weil sie in eine Zeit fielen, da die Zahl der Wanderarbeiter den höchsten Stand erreicht hatte, und die Durchführung der Bögerschen Vorschläge eigentlich schon damals zu Beschäftigungsmöglichkeiten innerhalb der lippischen Staatsgrenzen geführt haben mußte. Leider vermißt man die strenge Objektivität, mit der Probleme so wichtiger Art zu betrachten sind. Die manchmal etwas eigenartig anmutende tendenziöse Ausdrucksweise Bögers verwischt wiederholt den guten Eindruck, den man sonst von den Ausführungen bekommt. Die übrigen kleineren Arbeiten, auch in Buchform, sind populärer Art, die immerhin vereinzelt gute Gedanken enthalten und der Heranziehung wert waren. Sie hier aber einzeln aufzuführen, geht nicht an; sie sind mit in das Literaturverzeichnis aufgenommen worden. Die vorliegende Abhandlung über „Die lippischen Wanderarbeiter" war bereits im Jahre 1923 fertiggestellt Die Inflation verzögerte die Drucklegung, und auch gleich nach der Währungsstabilisierung erschien eine Veröffentlichung wegen der ungeklärten Verhältnisse nicht ratsam. Infolgedessen hielt ich es für zweckmäßig, solange zu warten, bis eine gewisse Konsolidierung aller wirtschaftlichen Verhältnisse eingetreten war. Es ergab sich damit *) Ein Teil diente 1921 als Dissertation. XII aber die Notwendigkeit genauerer Überarbeitung und Berücksichtigung neuerer Probleme. Daß die Abhandlung jetzt veröffentlicht werden kann, verdanke ich einmal der Bereitwilligkeit des Lippischen Landespräsidiums, einen Zuschuß zu den Druckkosten zu leisten, und sodann dem Entgegenkommen der Meyerschen Hofbuchhandlung, die das Verlagsrecht an der Arbeit erworben hat. Ich fühle mich daher verpflichtet, beiden Stellen auch hier meinen verbindlichsten Dank auszusprechen. Unter den als Motto gewählten, immer noch beachtenswerten, anklagenden und mahnenden Worten von Asemissen, die mir bei Abfassung der Arbeit stets Ansporn gewesen sind, übergebe ich das Buch mit zwei Wünschen der Öffentlichkeit: Möge es dazu beitragen, Mißstände im lippischen Wirtschaftsleben aufzudecken, zu mildern und zu beseitigen; die heute noch auf Wanderarbeit angewiesenen Bewohner bodenständig zumachen und Klassengegensätze auszugleichen. Möge es vor allem auf jene Personen anregend wirken, denen Zeit zur Bearbeitung heimatlicher Wirtschaftsverhältnisse zur Verfügung steht, und die mit Lust und Liebe mithelfen können, noch verborgene Schätze unserer heimatlichen Archive zu heben, um sie jenen nutzbar zu machen, die im fortwährenden Kampfe ums Dasein nicht zum eigenen Nachforschen imstande sind, den Lebenden zur Freude und Beachtung, den Kommenden zum leichteren Verstehen ihrer Gegenwart! Z. Zt. Detmold, September 1927. Fritz Fleege-Althoff. Einleitung I. Die W a n d e r a r b e i t im allgemeinen. a) Wir stehen im Zeitalter der Weltverkehrswirtschaft, als deren charakteristisches Merkmal die Massen- haftigkeit der zu befördernden Objekte — Güter und Menschen — anzusprechen ist. Von Weltteil zu Weltteil, von Land zu Land, von Gebiet zu Gebiet, von Ort zu Ort, von Wirtschaft zu Wirtschaft findet nicht nur täglich, sondern auch stündlich, ja in jedem Augenblicke, eine ungeheure Verschiebung, ein riesiges Durcheinandereilen der menschlichen Individuen in planvoll geregelter Weise auf Grund menschlicher Handlungen und Entschlüsse statt. Im Schiff, in der Bahn, im Automobil, im Flugzeug, zu Rad und zu Fuß eilen, „rennen und jagen" die Menschen, dahin und dorthin, um letzten Endes alle dem einen Ziele, der Bedürfnisbefriedigung, zuzustreben. Wanderungen nennt man diese, auf räumlichen Veränderungsvorgängen beruhenden Erscheinungen in den massenhaften Bevölkerungsverschiebungen der Menschheit, einerlei, ob es sich um definitives Verlassen des bisherigen Wohnsitzes durch Auswanderung nach überseeischen Erdgebieten handelt, oder nur um einen diesbezüglichen Wechsel innerhalb der staatlichen Grenzen; ganz gleich, ob die Wandernden ohne rechtliches Domizil, wie die Zigeuner und Nomaden, von Ort zu Ort ziehen, oder ob eine dauernde heimatliche Wohnstätte insofern „den ruhenden Pol in der Erscheinung Flucht" darstellt, als die betreffenden Personen täglich, wöchentlich oder in andern Zeitabschnitten nach getaner Arbeit dahin zurückkehren. Mannigfach und wechselvoll sowohl in der Art als auch in der Zeit und Intensität, vielgestaltig und unterschiedlich hinsichtlich der Personen, des Ursprungs und des Zieles sind diese Bevölkerungsbewegungen, schwierig Fleegc-Althoff Wanderarbeiter 1 — 2 — und verwickelt die Probleme, die sich namentlich in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht daraus für das betreffende Land ergeben, um so komplizierter besonders dann, wenn Arbeiterzuwanderungen aus fremden Volkswirtschaften in eine Volkswirtschaft stattfinden, die selbst nicht einmal imstande ist, all ihren Bewohnern den nötigen Lebensunterhalt durch Arbeitsgelegenheit zu ermöglichen, die vielmehr selbst ein Heer von Arbeitslosen Erwerbslosenunterstützung gewähren muß. Das ist die Lage, in der sich Deutschland in den letzten Jahren im Gegensatz zur! Zeit vor dem Weltkriege befunden hat und noch immer befindet. Damals ein bedeutender Mangel an heimischen Arbeitskräften und die Notwendigkeit des Zuzugs fremdländischer Arbeiter in einer Menge, deren Zahl in den Jahren 1912 und 1913 über eine Million betrug, namentlich seit 1924 dagegen ein Heer von Arbeitslosen und unterstützungsbedürftigen Erwerbslosen 1 ), und dabei doch 1924: 174 370, 1925: 173153 ausländische Arbeiter, von denen 1924: 109 692, 1925: 139 098 in der Landwirtschaft und 1924: 64 678, 1925: 34 055 in der Industrie tätig waren 2 ). Da ist die Frage nach dem Schutze nationaler Arbeit ebenso berechtigt, wie die nach dem Schutze nationaler Produktion. Es handelt sich hier um Arbeiter, die nicht auch ihren dauernden Wohnsitz nach Deutschland verlegen, sondern nur für kürzere oder längere Zeit günstigere Arbeitsbedingungen aufsuchen, dann aber ebenso vorübergehend in ihre Heimat zurückkehren, um nach einer gewissen Arbeitspause von neuem abzuwandern. *) Hauptunterstützungsempfänger (St. Jahrb. f. d. D. R. 1926, S. 307). 1. 5. 1924: 571 783 = 9,2 % der Einwohner 1. 9. 1924: 588 485 = 9,4 % „ 1. 1. 1925: 535 529 = 8,6 % „ 1. 7. 1925: 195 099 = 3,1 % „ 15. 12. 1925:1062 218 = 17 % „ 1. 2. 1926:2 030 646 = 32,6 % „ 1. 5. 1926: 1 781 152 = 28,6 % „ 3 ) Stat. Jahrbuch f. d. Deutsche Reich, Jahrg. 1924/25, S. 294, u. Jahrg. 1926, S. 302. — 3 — Auch innerhalb der deutschen Grenze gibt es eine große Zahl solcher Zeitarbeiter, die nicht ihr und ihrer Familie rechtliches Domizil verändern, sondern nur für die Dauer der Beschäftigung ihren Wohnsitz wechseln, oder gar diesen beibehalten und nur während der Arbeitswochen bzw. -Tage am Arbeitsorte Kost und Wohnung (Schlafstelle) nehmen. Im letzten' Falle findet in der Regel eine polizeiliche Ab- und Anmeldung nicht statt. Diese Wanderarbeit, wie man sie zu nennen pflegt, ist also ein Teil jener großen Verschiebung menschlicher Wohn- und Arbeitsstätten, die wir unter dem Namen Wanderungen zusammenfassen und die nach dem politisch-geographischen Erstreckungsgebiet wieder in innere und äußere Wanderungen zerfallen, je nachdem Ausgangs- und Endpunkte innerhalb desselben Staatsgebietes liegen oder darüber hinausgehen *)• Bei allen Wanderungen handelt es sich um Ortsveränderungen, entweder ganzer Privatwirtschaften oder nur einzelner Mitglieder einer Privatwirtschaft. Setzt man im Anschluß an Bücher 2 ) die Veränderungen in Beziehung zum rechtlichen Wohnsitz, so kann man folgende Gruppen unterscheiden: 1. Wanderungen ohne rechtlichen Wohnsitz, wozu No- madentum und Zigeunerleben zu rechnen sind; 2. Wanderungen unter Beibehaltung eines rechtlichen Wohnsitzes, z. B. Hausier-Handel, Wanderhandwerk, Wanderarbeit; 3. Wanderungen unter Wechsel des rechtlichen Wohnsitzes, z. B. Umzüge von einem Ort zum andern. Uns interessieren hier insbesondere von der zweiten Gruppe die Wanderarbeiter. Dieser Begriff bedarf noch einer genaueren Erläuterung und Analysierung. *) Bücher, Entstehung der Volkswirtschaft. 10. Aufl., S. 436. ') Ebenda, S. 435. l« — 4 — Sowohl Tack 1 ), als auch Ludwig 2 ), betonen das zeitliche Verlassen des! rechtlichen Domizils. Während nun Ludwig unter Wanderarbeit nur die periodische Arbeiterwanderung versteht, wendet Tack beide Begriffe auch noch für solche Arbeiter an, die täglich von der Arbeitsstätte zum Wohnort der Familie zurückkehren "). Versuchen wir einmal eine Klärung und Gruppierung. Dabei ist es nötig, etwas weiter auszuholen. Wenn wir in einem modernen, örtlich konzentrierten Riesenunternehmen jedem Arbeiter die Frage vorlegten: 1. Wo bist Du geboren? 2. Wo bist Du ansässig ? 3. Wo wohnst Du jetzt ? und die Ergebnisse mit Pinsel und Farbe in eine Karte eintrügen, so würde sich ein recht buntes Bild ergeben. Bei Ordnung der Feststellungen würden wir zu folgenden Ergebnissen kommen: I. Arbeiter, am Orte geboren: a) Ein Teil mit festem Wohnsitz daselbst, b) „ „ ,. „ „ in der Umgegend, c) „ „ „ „ „ in weiter wegliegenden Orten, doch am Arbeitsorte Kost und Wohnung; II. Arbeiter, nicht am Orte geboren: a) Ein Teil am Orte ansässig, a) „ „ in der Umgegend ansässig, c) „ „ in weiter wegliegenden Orten ansässig, doch mit Wohnung und Kost am Arbeitsorte. Diese Einteilung nach dem Geburtsort scheint uns aber nicht wesentlich zu sein, obwohl ja bisher die Stati- *) Tack, Hollandsgänger, S. 2 und 3. 2 ) Ludwig, Die wirtschaftliche und soziale Lage der Wanderarbeiter in Baden, S. 3. 3 ) Zur Terminologie der Wanderungen überhaupt nimmt neuerdings Stellung: Molle, Das Eichsfeld als Ausgangsbezirk für Arbeiterwanderungen, S. 5 ff. — 5 - stik diese Unterscheidung' vorwiegend angewandt hat. Wichtiger dürfte eine wirtschaftliche Gruppierung sein, hinsichtlich der Lage der Hauswirtschaft des Arbeiters zur Arbeitsstätte, d. i. der fremden Wirtschaft, der Unternehmung, in der der Arbeiter seinen Lebensunterhalt erwirbt. Danach können festgestellt werden: 1. Arbeiter ohne Eigenwirtschaft, II. Arbeiter mit eigener Hauswirtschaft. Die Wirtschaft dieser Arbeiter wird sich befinden a) in unmittelbarer Nähe der Arbeitsstätte auf dem Boden und in Wohnungen des Arbeitgebers; wir wollen diese Arbeiter Werkarbeiter nennen; b) in solcher Nähe der Arbeitsstätte, daß diese leicht ohne weiteren Weg zu erreichen ist, entweder in Eigen- oder Mietswohnungen; wir wollen die Arbeiter als Ortarbeiter bezeichnen; c) zwar nicht in der Nähe, aber doch so in der Umgebung, daß die Arbeitsstätte täglich zu Fuß, zu Rad oder mit der Bahn zu erreichen ist, so daß der Arbeiter täglich zur eigenen Wirtschaft zurückkehren kann („Grenzläufer", „Pendelwanderer"); diese Gruppe der Arbeiter sei F e r n a r b e i t e r genannt ; d) in weiterer Entfernung, so daß für die Arbeiter die Notwendigkeit der Fremdwohnung und Fremdbeköstigung in der Nähe der Arbeitsstätte entsteht. Diese 1 Gruppe von Arbeitern unterscheidet sich von denen unter a—c also dadurch, daß das Wirtschaftssubjekt, oder ein Mitglied einer Hauswirtschaft, infolge der örtlichen Trennung von Eigenwirtschaft und Arbeitsstätte gezwungen wird, während der Ausübung der Arbeit in einer anderen Wirtschaft Kost und Wohnung zu nehmen. In dieser Tatsache sehen wir das Hauptmerkmal jener Gruppe von Arbeitern, die man als Wanderarbeiter zu bezeichnen pflegt. Im Gegensatz zu ihnen kann man die ersten Gruppen zusammenfassen unter seßhafte Arbeiter. Es erscheint uns daher nicht richtig, auch die Gruppe c zu den Wanderarbeitern zu rechnen, denn dann könnte man alle Arbeiter dahin bringen, die zur Arbeit „wandern", d. h. nicht unmittelbar bei der Arbeitsstätte wohnen, weil eine Scheidung nach der Orts-, Bezirksund Landesgrenze für eine volkswirtschaftliche Trennung nicht in Frage kommen kann. Wenn wir uns nach obigem Merkmal die verschiedensten Wanderarbeiter ansehen, so werden wir bald Unterschiede entdecken, die eine weitere Untergruppierung notwendig erscheinen lassen, sobald wir nämlich die Art der Arbeit und die Zeit der Abwesenheit der Personen von der häuslichen Gemeinschaft berücksichtigen. Für viele Arbeiter ist die Zeit ihrer Abwesenheit vom häuslichen Herd bedingt durch die Arbeitsart, die wiederum abhängt von der Möglichkeit ihrer Ausübung überhaupt. So werden landwirtschaftliche Wanderarbeiter besonders zur Zeit der Ernte — Gras-, Getreide-, Kartoffel-, Rüben-Ernte — beschäftigt. Anfang und Ende dieser Arbeiten bedeuten zugleich Verlassen der Eigenwirtschaft und Rückkehr zu ihr. Auch die Lipper-Ziegler, mit denen wir es hier besonders zu tun haben werden, arbeiten nur einen Teil des Jahres in ihrem Beruf, weil die meisten Ziegeleien im Winter stilliegen. All diese Arbeiten haben Saisoncharakter, weshalb wir diese Wanderarbeiter Saisonwanderer nennen wollen. Andere Arbeiter kehren erst nach einem Jahre oder * auch wohl alle 2 Jahre zum heimatlichen Herd zurück, besonders zur Aufrechterhaltung des natürlichen Gemeinschaftslebens, oder auch wohl zur Erwerbung einer kleinen Besitzung mit dem während ihrer Abwesenheit ersparten Kapital. Hierher gehören z. B. die italienischen Erdarbeiter und Ziegler. Wir können sie als Jahreswanderer bezeichnen. Auch einzelne Lipper-Ziegler — 7 — und -Maurer, die nur etwa von Mitte Dezember bis Anfang Januar in der Heimat weilen, müssen wir hierher rechnen. Bei vielen Arbeitern ist wohl die Art der Arbeit so gestaltet, daß eine Unterbrechung nur durch besondere äußere Einflüsse nötig wäre, doch gestattet die Entfernung zwischen Haus und Arbeitsstätte keine tägliche Rückkehr. Diese findet aber meistens! regelmäßig Sonnabends, also wöchentlich, statt, so daß die Bezeichnung Wochenwanderer am Platze ist. Zu dieser Gruppe gehören z. B. jene Industrie-Arbeiter, die je nach den Verkehrsverhältnissen 20, 30, 40 bis 100 km und auch wohl darüber von der Arbeitsstätte entfernt sind. Eine Unterbrechung der Arbeiten findet nur statt bei Krankheiten oder besonderen Familienangelegenheiten, meistens auch gelegentlich kleiner Arbeiten in der eigenen Wirtschaft, z. B. Bestellung des Ackers, Ernte, Holzversorgung. Endlich müssen wir noch jene Wanderarbeiter von den bisher besprochenen trennen, bei denen wir eine Regelmäßigkeit in der Rückkehr vermissen, die vielmehr nur gelegentlich nach Hause fahren, etwa, um sich Lebensmittel zu holen, zu den kirchlichen Festen, auch wohl zu einzelnen Arbeiten in der eigenen Wirtschaft. Eine eigentliche Unterbrechung der Arbeit tritt nur selten ein. Wir können sie nicht zu den Wochenwanderern rechnen und wollen sie zum Unterschiede von diesen als Dauerwanderer bezeichnen. Ein großer Teil der lippischen Maurer-, Fabrik- und Zechenarbeiter gehört hierher. Die Kennzeichen der Wanderarbeit bestehen nach den bisherigen Darlegungen in folgendem: 1. Örtlich weite Trennung von Hauswirtschaft und Arbeitsstätte; 2. Notwendigkeit der Führung eines doppelten Haushaltes ; 3. Zeitweise Rückkehr zur Eigenwirtschaft. — 8 — Zusammenfassend haben wir daher als Wanderarbeiter jene Gruppe von Arbeitern zu bezeichnen, die unter Ausnutzung günstigerer Arbeitsbedingungen während der Arbeitsdauer außerhalb ihrer Eigenwirtschaft Beschäftigung und Wohnung nehmen, aber periodisch mit ihr in Verbindung treten. Wir können die oben skizzierten 4 Arten in zwei größere Gruppen zusammenfassen, wenn wir die Art der Arbeitsverwendung besonders berücksichtigen, nämlich Wanderarbeiter im weiteren und engeren Sinne. Wanderarbeiter im weiteren Sinne sind solche, die dauernd in einer Fremdwirtschaft tätig sind und nur gelegentlich mit ihrer Arbeitskraft die Eigenwirtschaft unterstützen. (Wochen- und Dauerwanderer.) Wanderarbeiter im engeren Sinne sind jene, die ihre Arbeitskraft periodisch einer Fremdwirtschaft zur Verfügung stellen, die übrige Zeit aber inihrer Eigenwirtschaft leben. (Saison- und Jahreswanderer.) b) Es erscheint zweckmäßig, gleich noch einige andere begriffliche Erörterungen, die für die weiteren Ausführungen bedeutungsvoll sind, anzuschließen. Bei der hier zu behandelnden Wanderbewegung muß man unterscheiden zwischen der Hinwanderung zur Arbeitsstätte und der Rückkehr zur häuslichen Gemeinschaft in entsprechenden Zeitabständen. Die betreffenden Personen wandern jedesmal aus dem einen Gebiete ab und in dem anderen zu, weshalb man von Abwanderung und Zuwanderung spricht. Diese Ausdrücke sollen die Tatsache kennzeichnen, daß nicht ein dauerndes Verlassen der Eigenwirtschaft und des rechtlichen Domizils, nicht eine definitive Umsiedlung gemeint ist, sondern daß damit das Unterschiedliche von Aus- und Einwanderung klar erkenntlich wird. In demselben Sinne sind dann folgende Ausdrücke auf- — 9 - zufassen: Abwanderungsgebiet kann allgemein das geographisch, wirtschaftlich, politisch, oder auch sprachlich, religiös, rassig abgegrenzte Gebiet sein, von dem die Wanderbewegung ihren Ausgang nimmt, so daß auch die Bezeichnung Wanderungsausgangsgebiet am Platze wäre. Abwanderungs- (Wanderungsausgangs-) bezirk ist ein Teil des Gebietes, Abwanderungs- (Wanderungsausgangs-) ort fällt mit der politischen Gemeinde innerhalb des Bezirkes zusammen, und als Abwanderungs- (Wanderungsausgangs-) Wirtschaft gilt die häusliche Gemeinschaft des Wanderarbeiters. Analog dieser Begriffsabgrenzungen sind die Bezeichnungen Zuwanderungs- (Wanderungsziel-) gebiet, -bezirk, -ort ohne weiteres verständlich; mit Zuwanderungs- (Wanderungsziel-) Wirtschaft wird die Unternehmung gekennzeichnet, in welcher der Wanderarbeiter seinen Lebensunterhalt erwirbt. Während in dieser Arbeit als Abwanderungsgebiet ein politisch abgegrenzter, selbständiger Kleinstaat mit den verschiedenen Ämtern als Abwanderungsbezirken und den Gemeinden als Abwanderungsorten in Frage kommt, werden als Zuwanderungsgebiete viele Gegenden Deutschlands — Staaten, Provinzen, Wirtschaftsgebiete — und außerdeutsche Länder zu erwähnen sein. Eine Trennung zwischen Abwanderungs- und Zuwanderungsperson ist nicht erforderlich, da beide in der Person des Wanderarbeiters zusammenfallen. Doch ist es zweckmäßig, zu unterscheiden zwischen Einzelperson, Personengruppen und der gesamten Menge, der Masse, und je nach der Art, wie sich die Wanderbewegung in dieser Hinsicht bemerkbar macht, von Einzel-, Gruppen- (Kolonnen-, Trupp-) und Massenwanderungen zu sprechen. Den letzten Ausdruck jedoch können wir für unsere Zwecke ausschalten. c) Wenn wir vorweg noch über die Ursachen der Wanderarbeiterbewegung im allgemeinen nachdenken, so werden wir im einzelnen finden, daß sie sowohl im Ab- — 10 — wanderungs-, als auch im Zuwanderungsgebiet (-bezirk, -ort), bzw. — wie in den meisten Fällen — in beiden liegen, daß man nach der Zeit, während der die Ursachen auftreten, einmalige, temporäre und dauernde, nach den Ursachenträgern persönliche und sachliche, nach der Art natürliche, wirtschaftliche, soziale, geschichtliche, religiöse und gesundheitliche unterscheiden könnte. In der Regel wird man die Feststellung machen, daß nur selten eine Ursache allein die Wanderung hervorruft, daß vielmehr verschiedene Ursachen zusammen wirken, und daß wiederum örtlich und zeitlich mancherlei Kombinationen und Variationen denkbar sind, daß neue Ursachen auftreten und alte, die lange eine wichtige Rolle gespielt haben, verschwinden. Immer aber wird mit ziemlicher Sicherheit ein Spannungsverhältnis zwischen Abwanderungs- und Zuwanderungsgebiet nachzuweisen sein. In beiden Gebieten sind Kräfte am Werke, die zueinander in Beziehung treten. Dabei wirken die im Zuwanderungsgebiet magnetisch so stark, daß ein Abfließen der Arbeitskraft aus dem Abwanderungsgebiet unter Überwindung der damit verbundenen Widerstände stattfindet. Es ist nun klar, daß die Wegräumung der Widerstände Energieverlust verursacht, der mit der Entfernung zwischen Abwanderungs- und Zuwanderungswirtschaft wächst. Dabei sind aber Art des Verkehrsmittels, das wegverkürzend wirken kann (Fahrrad, Automobil, Bahn), und Wegstrecke (Umsteigen) mit zu berücksichtigen. Der Energieverlust muß durch Vorteile im Zuwanderungsgebiet aufgehoben werden, d. h. es müssen dort für den Wanderarbeiter im Vergleich zum Abwanderungsgebiet günstigere Arbeitsbedingungen vorhanden sein, deren Ergebnis im Lohn zum Ausdruck kommt. Die reale Lohnhöhe ist daher — immer vergleichsweise — als bedeutendster Faktor in den Ursachenkomplexen anzusehen. Doch scheint uns, als wenn diese letzte Anziehungs- oder Triebkraft andere Ursachen zur — 11 — Basis hat oder doch damit in so ursächlichem Zusammenhange steht, daß sie nur in Verbindung mit ihnen recht verstanden werden kann. Im Abwanderungsgebiet können wir die Ursachen als Abdrängungskräfte (-faktoren), unter Berücksichtigung der Kombinations- und Variationsmöglichkeiten in zwei Gruppen zusammenfassen: in solche natürlicher und kultureller Art. Die natürlichen — morphologische, geologische, biologische, klimatische Verhältnisse — bezeichnet man zweckmäßig als Grundlagen der Wanderarbeit, zu denen die kulturellen, deren wichtigste sozialer und wirtschaftlicher Natur sind, als Vorbedingungen in kausaler Beziehung stehen. Auch im Zuwanderungsgebiet wird diese Unterscheidung durchführbar sein, und besonders für die in dieser Abhandlung zu besprechende Wanderarbeit werden wir die Zweckmäßigkeit einer solchen Gruppierung erkennen. Als Grundlagen sind im Zuwanderungsgebiet insonderheit Bodenschätze zu nennen, und als Vorbedingungen dürften daselbst die Stärke der Arbeiteraufnahmefähigkeit überhaupt und der Grad der Beschäftigung insbesondere maßgebend sein. Da die Gründlagen meist leicht klar erkennbar sind, wollen wir sie nur kurz, soweit es zum Verständnis notwendig ist, behandeln, dafür aber den Vorbedingungen, namentlich im Abwanderungsgebiet, um so gründlicher nachgehen. Unter den wirtschaftlichen und sozialen Vorbedingungen sind besonders die Grundbesitzverteilung und die Beschäftigungsmöglichkeiten hervorzuheben; dabei werden die damit zusammenhängenden Probleme: Volksdichte, Bodennutzung, berufliche und soziale Schichtung, Arbeitslohn, Lebenshaltungskosten, heranzuziehen sein, und auch die Wirtschafts- und Sozialpolitik kann in diesem Rahmen entsprechende Darstellung finden. Mit diesem kurzen Abriß über die Ursachen der Wanderarbeit im allgemeinen können wir uns begnügen, da — 12 — sie in der volkswirtschaftlichen Literatur wiederholt behandelt sind und die Ausführungen zum Verständnis der weiteren Darstellung ausreichen. In der vorliegenden Arbeit mußte eine zeitliche Trennung der Ursachen vorgenommen werden, und zwar in der Weise, daß wegen des großen Zeitraumes, über den sich die Wanderbewegung erstreckt, entsprechend der Einteilung in einen geschichtlichen und systematischen Teil, jedesmal über Vorbedingungen zu reden war. Das letzte Menschenalter unterscheidet sich auch in der Hinsicht wesentlich von der früheren Zeit, neue Faktoren traten auf, verstärkten ältere Ursachen oder verdrängten sie, wodurch eine andere Einstellung zu den Wanderarbeiterproblemen der Gegenwart veranlaßt wird. Hinsichtlich der verschiedenen Wanderarbeiter in Deutschland verweise ich auf die Darstellungen bei Tack, Ludwig, Kaerger, Molle. Wir haben es hier mit lippischen Wanderarbeitern, insbesondere den zu den Saisonwanderern zählenden Zieglern, zu tun. Wie diese lippische Arbeiterbewegung entstanden ist, wie sie sich entwickelt hat, wie die heutigen Verhältnisse liegen, und wie sie sich voraussichtlich weiter gestalten werden, wollen wir im folgenden darzulegen versuchen. Vorher müssen wir uns jedoch des Verständnisses wegen mit der Heimati dieser Arbeiter im allgemeinen beschäftigen. II. Landeskundlicher Überblick. Geographisch betrachtet bildet der Freistaat Lippe (früheresFürstentum) *), mit seiner ziemlich abgerundeten Gestalt etwa den mittleren Teil jenes Berg- und Hügellandes, das unter dem Namen Weserbergland als Ausläufer des deutschen Mittelgebirges erscheint, im Süden *) Uber Entstehung und Entwicklung von Territorium und Dynastie s. Bröker, Die Grafschaft Lippe am Ende des 18. Jahrhunderts, wo weitere Literatur angegeben ist. — 13 — und Norden von scharf markierten Gebirgszügen eingefaßt wird und in nordwestlicher Richtung bis zur Ems streicht, wo es allmählich in die norddeutsche Tiefebene übergeht. Im Norden reicht Lippe zwischen Vlotho und Rinteln auf einer Strecke von 10,5 km Länge an die Weser, und im Südwesten hat es noch mit einem schmalen Streifen teil an der westfälischen Tieflandsbucht, in der bei Lippstadt als Reste früherer Besitzungen die beiden Enklaven Lipperode und Stift Cappel liegen. Die geographische Lage läßt sich folgendermaßen bestimmen : Der 52. 0 nördlicher Breite und der 9. 0 östlicher Länge schneiden einander ungefähr in der Mitte des Landes, das sich etwa zwischen 51 0 47' und 52° 12' nördlicher Breite, sowie 8 0 37' und 9 0 18' östlicher Länge erstreckt. Lippe wird ganz von Preußen umschlossen, und zwar auf 3 Seiten von der Provinz Westfalen: im Süden dem Paderborner Lande, im Westen und Norden von Ravensberg und Minden. Die Nordostgrenze bildet der zur Provinz Hessen-Nassau gehörige Kreis Rinteln, während im Osten der hannoversche Kreis Hameln bis auf das kleine, noch westfälische Stück Lügde die Grenze darstellt. (Zur Orientierung ist eine Karte am Schluß der Arbeit angefügt.) Das so umgrenzte Gebiet ist keine geographische Einheit ; man teilt es gewöhnlich in das Gebiet des Teutoburger Waldes im Südwesten, das Bergland im Norden und Osten,; das von den drei wichtigsten Flüssen Werre, Bega und Emmer begrenzte mittlere Hügelland und die von jenen 3 Teilen eingeschlossene westliche Ebene. Damit ist bereits kurz die äußere Struktur des Landes gekennzeichnet. Leicht zugängliche, teils bewaldete, teils kahle, bald langgestreckte, bald kuppenförmige oder plateauartige, hier steil, dort sanft ansteigende Höhen, von denen die höchste 500 m hat, wechseln in reichem Maße miteinander ab, schließen liebliche Täler, kesseiförmige — 14 — Mulden und einige fruchtbare Ebenen ein, so daß sich den Blicken des Wanderers jenes abwechslungsreiche, mannigfaltige Hügel- und Bergland darbietet, von dem der Dichter Altenbernd singt: Von deiner Berge wald'ge Kuppen blickt Des Wandrers Aug' bezaubert und entzückt; Ein reicher Garten rings, wohin er schaut, Vom lichten Sommerhimmel überblaut; Auf sonn'gen Höh'n, in stiller Täler Hut, Umschlängelt von der Bäche Silberflut, Blickt Dorf an Dorf, und durch Gebirg und Tal, Zieht ihrer Sonntagsglocken Widerhall. Bezüglich der wirtschaftlichen Auswirkungen darf die Oberflächengestaltung des Gebietes nicht als ungünstig angesehen werden, da die Bodenerhebungen eine Bodenkultur zwar erschweren, ihr aber nicht hindernd im Wege stehen. Dasselbe läßt sich im allgemeinen auch hinsichtlich der Bodenbeschaffenheit sagen; denn abgesehen von jenen prozentual wenigen Muschelkalkhöhen der nördlichen Teutoburger-Wald-Kette und einigen Kuppen des Berg- und Hügellandes, den Plänerkalkbergrücken der südlichen Kette des Teutoburger Waldes und den diluvialen Sandablagerungen der Senne, ruhen auf dem Muschelkalkfundament des lippischen Landes vor allem Keuper- schichten, die nach ihrer Verwitterung in Verbindung mit anderen Bodenbestandteilen, namentlich solchen diluvialer und alluvialer Art, als die eigentliche, tiefgründigen, fruchtbaren Ackerboden liefernde Schicht anzusprechen sind. Da ferner auch die klimatischen Verhältnisse, sowohl bezüglich der Niederschläge, als auch der Temperatur, durchaus befriedigend sind, namentlich deshalb, weil schroffe Gegensätze selten vorkommen, so kann das lippische Land hinsichtlich der natürlichen Bedingungen als ein günstiges Gebiet bezeichnet werden. — 15 — Das prägt sich denn auch in der Besiedlung aus. Zwar fehlen große Städte, nur kleinere und mittlere kommen vor; doch schaut das Auge zahlreiche saubere Dörfer, mit zum Teil noch schmucken Fachwerkhäusern, als erinnerungsreichen Zeugen einer älteren Zeit. Bei einem Flächeninhalte von 1215 qkm hatte das Ländchen nach den Volkszählungen von 1910: 151937, 1925: 166038 ortsanwesende Einwohner, so daß auf 1 qkm rund 136 Einwohner kommen. Die Wohnbevölkerung ist niedriger, sie betrug 1925: 163 648. Das Land wird in 10 städtische und 5 ländliche Verwaltungsbezirke mit 13 Ämtern eingeteilt. Die 10 Städte sind: Detmold . . . mit 16 175 ortsanwesenden Bewohnern (1925) 1 ) Lemgo . . . „ 11510 „ „ Bad Salzuflen . „ 12 768 2 ) Lage . . . . „ 6 575 „ „ Schötmar . . „ 4 537 „ „ Blomberg . . „ 3 998 Oerlinghausen 3 ) „ 3 054 „ „ Horn...... 2 560 Barntrup . . „ 1929 Schwalenberg . „ 891 Die 5 Landbezirke zerfallen wieder in 13 Ämter: Verwaltungsämter Ämter Ortsanwesende Bewohner Blomberg Blomberg 3 835 Schieder 4 282 Schwalenberg 5141 Brake Brake 9 481 Hohenhausen 6 806 Sternberg-Barntrup 10181 Varenholz 5 280 Detmold Detmold 12 200 Horn 8178 Lage 16102 Lipperode- Cappel Lipperode-Cappel 1600 Schötmar Oerlinghausen 7 866 Schötmar 11099 *) Staatsanzeiger für das Land Lippe. Jg. 1926, Nr. 79. *) Die hohe Zahl ist zum Teil auf die Kurgäste zurückzuführen. ") Stadt erst seit dem 1. April 1926. — 16 — Ein Blick auf die Karte zeigt uns, daß in bezug auf die Siedlungen zwischen dem Osten, Norden und dem Westen größere Verschiedenheiten bestehen. Der bergige Osten und Norden bringen es mit sich, daß wir hier vorwiegend geschlossene, im ebenen Westen dagegen meist zerstreut liegende Ortschaften finden. Dort sind größere städtische Siedlungen nur vereinzelt anzutreffen, hier häufiger. Der Westen ist daher dichter besiedelt als der Osten. In seiner Siedlungsgeographie des Fürstentums Lippe und seiner Umgebung hat Hagemann berechnet, daß auf den Osten und Norden mit 64 % der Gesamtfläche 36 % der Bewohner kommen, auf den Westen dagegen mit 36 % der Fläche 64 % der Bewohner *). Dabei hat er folgende Grenzlinie gezogen: Haustenbeck— Dörenschlucht — Heiligenkirchen — Meinberg — Lemgo — Bergkirchen — Erder (a. d. Weser), so daß im allgemeinen die größeren Forstbezirke und die Gebiete geschlossener Dorfsiedelungen der Osthälfte zufallen. Man muß jedoch berücksichtigen, daß in der Westhälfte die großen Stadtbezirke Bielefeld und Herford außerhalb Lippes liegen. Für Lippe allein stimmt die Berechnung infolgedessen nicht genau. Diese kurze geographische Übersicht möge zum Verständnis der weiteren Ausführungen genügen; auf die allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse des Gebietes kommen wir in anderem Zusammenhange ausführlicher zurück. *) Hagemann, Beiträge zur Siedllingsgeographie, S. 68. Erster Teil Die lippischen Wanderarbeiter der älteren Zeit (Die Hollands- und Frieslandsgänger) Fleege-Althoff. Wanderarbeiter 2 Erstes Kapitel Die Vorbedingungen der älteren lippischen Wanderarbeit I. Abschnitt: Die Vorbedingungen in den Zuwanderungsgebieten § 1. Die Zuwanderungsgebiete im 17. und 18. Jahrhundert *). a) In dem nach 40 jährigem Ringen zwischen Spanien und den Niederlanden am 9. April 1609 geschlossenen Waffenstillstände wurde die Souveränität der niederländischen Republik anerkannt 2 ). Damit endigte ein Unabhängigkeitskampf, der zwar als einer der heldenmütigsten Freiheitskämpfe bezeichnet worden ist, der aber auch ungeheure Opfer an Geld und Menschen forderte. Und doch wurde bereits während des Krieges der Grund gelegt zu dem glänzenden Aufschwünge der niederländischen Volkswirtschaft im 17. Jahrhundert, „trat mitten in diesen schweren Jahrzehnten, in dem weehselvollen Spiel von Siegen und Niederlagen, der niederländische Handel seine Entwicklung zum Welthandel an""). Politische Freiheit und wirtschaftliche Größe, als Folgen des Kampfes, wurden durch die Kriege des 17. Jahrunderts nicht mehr gehemmt, weder durch den neuen spanischen Krieg von 1621—1648, noch durch die Kämpfe mit England und Frankreich; vielmehr haben die Niederlande ihre beherrschende Stellung im Welthandel *) Vergl. hierzu Tack, Die Hollandsgänger in Hannover und Oldenburg, S. 14—42. 2 ) Schiller, Weltgeschichte, Berlin 1901, III. Bd., S. 331. 3 ) Tack, S. 17. — 20 — bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts zu behaupten vermocht, erst von da ab verloren sie ihre Vorherrschaft durch die scharfe Konkurrenz und materielle Überlegenheit anderer Staaten, besonders Englands. Von der Bedeutung des niederländischen Handels machen wir uns einen Begriff, wenn wir erfahren, daß die Handelsflotte am Anfange des 17. Jahrhunderts mehr als 3000 große Fahrzeuge und über 40 000 Seeleute zählte 1 ), und daß 1670 von den 20 000 westeuropäischen Fahrzeugen 15—16000 holländische gewesen sein sollen 2 ). Die holländische Flagge) beherrschte die Meere, und niederländische Schiffe besorgten für fast alle Staaten Europas die Seefrachtfahrt; der Niederländer war der Kaufmann und Frachtfahrer, Amsterdam die Börse der Welt. Unermeßliche Reichtümer flössen durch den ausgedehnten Handel aus allen Weltteilen der niederländischen Volkswirtschaft zu, so daß das 17. ein Jahrhundert „niemals wiederkehrenden wirtschaftlichen Glanzes für die Niederländer war" 3 ). Mit dem Aufschwünge des Handels gelangten andere Erwerbszweige zur Blüte. Insbesondere halfen Industrie,* rege Gewerbetätigkeit, Ackerbau und Viehzucht den Nationalreichtum Hollands vermehren. Von großer Bedeutung war in erster Linie die Schiffsbauindustrie. Sie deckte nicht nur den Bedarf an eigenen Kriegs- und Handelsschiffen, nein, fast alle seefahrenden Nationen bestellten ihre größeren Fahrzeuge bei niederländischen Werften, die dadurch überall bekannt wurden. Das nahe Meer brachte es mit sich, daß die Niederländer schon früh die Fischerei als Erwerbsquelle ausnutzten. Besonders waren es seit Anfang des 17. Jahrhunderts der Herings- und der Walfischfang, wodurch *) Tack, S. 18. 3 ) Ebenda, S. 19. ;1 ) Ebenda, S. 26. — 21 — einer großen Zahl der Bevölkerung ausreichende Beschäftigung geboten wurde. Dieser ausgedehnte Erwerbszweig hatte neue Unternehmungen zur Folge: Netzstrickereien und Seilereien, Böttchereien und Salzsiedereien, Transie- dereien und Werkstätten zur Bearbeitung des Fischbeins erlangten eine nicht zu unterschätzende Bedeutung 1 ). Seitdem die uralte flandrische. Weberei sich nach Leiden und Haarlem gewandt hatte, blühte auch dieser Industriezweig mächtig empor und mit ihm Spinnereien, Tuchfabriken, Färbereien und Papierfabriken; hierzu kam noch, daß namentlich in Haarlem und Utrecht Fabriken für Seiden- und Halbseidenstoffe neu entstanden. Alle Erwerbszweige forderten sehr viele Arbeitskräfte, die aber von den Städten allein nicht gestellt werden konnten. Die Folge war, daß der Lohn für die Arbeiter bedeutend stieg und infolgedessen die ländliche Bevölkerung anfangs aus der näheren Umgebung der Industriezentren, dann aber auch aus ferneren, besonders ärmeren Gegenden, durch den hohen Verdienst 4: angelockt wurde und nach den Städten strömte, von _g denen sich daher in kurzer Zeit tatsächlich manche ver- jö doppelten 2 ). Ja, es reichten mit der zunehmenden Aus- SJ dehnung aller Gewerbe- und Industriezweige bald die eigenen Arbeitskräfte, trotz des starken Zuzugs vom Lande in die Städte, nicht mehr aus. Da außerdem als erschwerendes Moment noch die verhältnismäßig schwache Bevölkerung der Niederlande in jener Zeit, £ selbst noch im 18. Jahrhundert 3 ), hinzukam, so mußten ausländische Kräfte ergänzend hinzugezogen werden. Naturgemäß wurden die fremden Arbeiter besonders in solchen Betrieben verwandt, die eine schwere und gefährliche Arbeitsleistung erforderten, aber einen verhältnismäßig geringen Ertrag abwarfen. Und fast ausschließlich überließ der Niederländer dem Ausländer die Er- *) Tack, S. 24. a ) Ebenda, S. 28. - 1 ) Ebenda, S. 34. — 22 — werbszweige, die nur von temporärer Dauer waren und die erwähnten Nachteile in sich schlössen; hierzu gehörten in erster Linie Ziegelbrennerei und Torfgräberei. Beide Gewerbezweige stehen mit dem Aufblühen der niederländischen Volkswirtschaft in unmittelbarem Zusammenhange. Die Armut des Landes an Waldungen und der Mangel an natürlichen Bausteinen veranlaßten die Niederländer, den fetten, tonigen Boden zu künstlichen Steinen zu verarbeiten. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwünge stieg die Nachfrage nach diesem vorzüglichen Baumaterial bedeutend, so daß die notwendige Steigerung der Produktion die Anlage einer großen Zahl neuer Ziegeleien und eine starke Vermehrung der Arbeitskräfte erforderlich machte. Besonders waren es die am spärlichsten besiedelten nördlichen Provinzen, in erster Linie Groningen und Drenthe, die jährlich viele fremde Ziegelarbeiter sahen. Noch einen anderen wertvollen Schatz hatte die Natur diesem Lande gegeben, den Torf, der, an der Luft getrocknet, ein vorzügliches Brennmaterial lieferte, das namentlich der Industrie von großem Nutzen war, da die Niederlande kein anderes Feuerungsmaterial besaßen. Im 17. Jahrhundert nahm daher die Torfgräberei in den Provinzen Overyssel, Drenthe, Groningen einen bedeutenden Umfang an. Es konnte nicht ausbleiben, daß jene Gebiete, in denen neben Handel und Industrie die Landwirtschaft eine bedeutende Rolle spielte, auch bald über Mangel an geeigneten landwirtschaftlichen Arbeitern klagten, besonders in der Zeit, innerhalb der die Hauptarbeit unbedingt erledigt werden mußte, und zu diesem Zwecke eine Vermehrung der Arbeitskräfte für diesen Zeitraum erforderlich wurde. Dies war besonders der Fall bei dem neben der Viehzucht wichtigsten Zweige der niederländischen Wirtschaft, der Heugewinnung. — 23 — Bei der Wichtigkeit dieses landwirtschaftlichen Zweiges und bei der Berühmtheit, die das niederländische, besonders holländische und friesische Heu in den benachbarten Gebieten erlangt hatte, war es erklärlich, daß der niederländische Bauer auf die Heugewinnung großen Wert legte und, da seine gewöhnlichen Arbeitskräfte die schwere Arbeit, namentlich das Mähen des hohen und dickstämmigen Grases, in der kurzen Zeit .nicht bewältigen konnten, eines Zuschusses an fremden Arbeitern bedurfte, der vor dem Kriege mit Spanien im eigenen Lande noch leicht beschafft werden konnte. Als aber der 40 jährige Kampf eine große Anzahl Menschen forderte, zudem das ganze niederländische Heer fast nur aus Einheimischen bestand, die Flotte gänzlich 1 ), als eine sehr große Zahl auswanderte in die Kolonien, und dann mit der Entwicklung der Niederlande zur Handelsund Industriemacht eine Abwanderung vom platten Lande in die Handels- und Industrieplätze stattfand 2 ), da mußte notwendigerweise ein Mangel an Arbeitskräften eintreten und auch der Arbeitslohn in der Landwirtschaft erheblich steigen. Daß die Klagen der Bauern über Arbeitermangel ständig zunahmen, hatte noch andere Gründe. In den Provinzen, wo Industrie und Landwirtschaft nebeneinander wichtige Erwerbszweige bildeten, brachte es die innige Berührung beider mit sich, daß der niederländische Bauer sich bald an kommerziellen Unternehmungen beteiligte 3 ), und auch der bäuerliche Nachwuchs keine Lust mehr hatte, ewig auf derselben Scholle zu sitzen, sondern hinausstrebte in eine andere Umgebung. So kam es, daß jährlich ein großer Teil der männlichen Jugend zur bestimmten Zeit das heimatliche Land verließ und sich in *) Tack, S. 31. 2 ) Ebenda, S. 31. 3 ) Ebenda, S. 32. — 24- die Industrie- und Hafenplätze begab 1 ), um in kaufmännische und industrielle Unternehmungen einzutreten, als Matrose zu Schiff zu gehen oder mit auf den Heringsund Walfischfang zu fahren. Die Folge war, daß auch der niederländische Bauer, namentlich zur Zeit der Ernte, gezwungen war, fremde Arbeiter in Dienst zu nehmen und, da durch die ständige Ausdehnung von Industrie und Handel immer mehr Arbeitskräfte erforderlich waren, die Niederlande diesen Bedarf aber allein nicht mehr decken konnten, zu Ausländern greifen mußte, die bald einen nicht geringen Prozentsatz der Arbeiterschaft ausmachten, so daß die niederländische Volkswirtschaft bald einer „internationalen Arbeitsstätte" glich. (Tack.) Grasarbeit, Torfgräberei und Ziegelbrennerei waren an bestimmte Jahreszeiten, die Sommermonate, gebunden und erforderten mehr Kraft, Fleiß und Ausdauer als die meisten anderen Erwerbszweige. Wir sehen daher in der Tat diese Tätigkeiten seit dem 17. Jahrhundert fast ausschließlich von fremden Arbeitern verrichten, und zwar hauptsächlich von Bewohnern des nordwestlichen Deutschlands — der Bistümer Münster, Minden und Osnabrück 2 ) —•, die ja auch besonders geeignet waren, eine Art „Monopolstellung der deutschen Zeitarbeiter in den genannten Produktionszweigen des Nachbarlandes einzunehmen". (Tack, S. 42.) Einmal stießen beide Gebiete unmittelbar aneinander, dann aber sind ihre Bewohner Zweige eines Urvolkes, verwandt in Sprache, Sitte und Lebensweise, dazu ständig durch Handel und Verkehr in Beziehung geblieben. So erfahren wir denn, daß bereits um die Mitte des 17. Jahrhunderts eine große Zahl deutscher Arbeiter in den Niederlanden tätig war, die ständig stieg und für die Zeit der höchsten Blüte des Hollandsganges, als welche von ') Tack, S. 33. a ) Heute: Nördliches Westfalen, südwestliches Hannover, Siid- oldenburg und Lippe. Tack 1 ) die ersten 7 Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts angegeben werden, auf ca. 27 000 2 ) geschätzt wurde. Seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts trat dann allmählich der Rückgang ein. Immerhin nimmt Tack 3 ) für 1811 noch ca. 20 000 an, und auch während des 19. Jahrhunderts ist die Zahl, bei allerdings ständig fallender Tendenz, noch recht beträchtlich geblieben 4 ). Erst im 20. Jahrhundert hat der alte Hollandgang aufgehört. Während nun Grasarbeit und Torfgräberei von Zeitarbeitern der verschiedensten nordwestdeutschen Gebiete verrichtet wurden, lag die Ziegelsteinherstellung fast ausschließlich in den Händen von Lippern 6 ). b) Der Name Hollands- und Frieslandsgänger G ) deutet darauf hin, daß auch in der älteren Zeit bereits ein deutsches Gebiet als Zuwanderungsbezirk für lippische Zeitarbeiterl Bedeutung gewonnen hatte. Es ist das Küstengebiet der Nordsee in Ostfriesland, das bereits im 17. und 18. Jahrhundert infolge seiner reichhaltigen Tonlager und günstigen See- und Flußverkehrslage für die Bedarfsdeckung an Ziegelsteinen in Frage kam. So wanderten Lipperziegler auch dorthin zum Ziegelstreichen. Auf den Bedarf an Mähern zur Zeit der Ernte in diesen überwiegend agrarischen Gebieten weist auch Taek hin 7 ). Ob nun Holland oder Friesland das erste Wanderungszielgebiet für Lipper gewesen ist, kann nicht mehr festgestellt werden, da urkundliches Material darüber nicht vorliegt. Am Anfange des 18. Jahrhunderts kamen zwei weitere Gebiete in Deutschland, nämlich das damalige Herzogtum *) Tack, S. 142. 2 ) Ebenda, S. 143. ") Ebenda, S. 144. *) Ursachen des Rückganges s. Tack, S. 98/120. 5 ) So auch Tack, S. 38. ") Uber den Namen selbst, s. § 11. ') Tack, S. 32, 99. S. 101: Die Ziegler kamen aus Lippe / de Jer — 26 — Bremen und ein Teil des Kurfürstentums Hannover, als Arbeitsbezirke für Lipperziegler hinzu. Wachsender Wohlstand, rege Bautätigkeit und vorzügliche Tonlager, aber Mangel an geeigneten Facharbeitern waren dort die Anziehungskräfte. Es scheint aber, daß die Abwanderung in diese deutschen Gebiete im 18. Jahrhundert noch hinter der nach Holland zurückgeblieben ist. § 2. Die Zuwanderungsgebiete im 19. Jahrhundert. In den Jahrzehnten des ersten und zweiten Drittels des 19. Jahrhunderts ist zweierlei für die lippische Wanderarbeiterbewegung charakteristisch: die große räumliche Ausdehnung des Arbeitsfeldes in Verbindung mit einer gewaltigen zahlenmäßigen Zunahme der Abwandernden und die Verschiebung der Zuwanderungsgebiete im Vergleich zum 17. und 18. Jahrhundert. Wenn wir hier zunächst die für die lippischen Wanderarbeiter jener Zeit in Frage kommenden deutschen Arbeitsgebiete erwähnen, so müssen wir berücksichtigen, daß die Verhältnisse daselbst fast ganz von der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung im Deutschen Reiche — die man bei Sombart 1 ) und Sartorius von Waltershausen 2 ) nachlesen kann — abhängig waren und von diesem Hintergrunde aus gesehen und beurteilt werden wollen. Das 18. Jahrhundert können wir in dieser Beziehung übergehen; denn die Zahl der damals etwa in Nordwestdeutschland arbeitenden Lipper .war nicht sehr groß. Doch bereits um die Wende des 18. und 19. Jahrhunderts müssen zahlreiche Lipper in die deutschen Küstengebiete der Nordsee abgewandert sein, wie wir dies aus der Erteilung eines besonderen Botenprivilegs an Ch. Reuter \ *) Sombart, Die deutsche Volkswirtschaft im 19. Jahrhundert, ^Vlin 1919. ; 2 ) Sartorius von Waltershausen, Deutsche Wirtschaftsgeschichte olg—1914, Jena 1920, S. 1—226. im Jahre 1801 für die Bezirke Lingen, Oldenburg, Delmenhorst, Bremen und Holstein schließen dürfen. Mehr und mehr traten dann namentlich! nach den Kriegswirren und besonders für die Ziegler deutsche Gebiete gegenüber Holland in den Vordergrund, wenn auch Torfgräber und Grasmäher noch immer hierhin wanderten und bis in die 80 er Jahre des 19. Jahrhunderts besonders die Provinz Groningen als „Domäne für Lipper- ziegler" bezeichnet wurde. Von Nordwesten aus fand fortwährend eine Verbreiterung in deutschen Gauen nach Süden über das Münsterland, nach Osten über die Elbe hinaus statt, bis sich schließlich der Ström lippischer Wanderziegler über ganz Deutschland ergoß. Genaueres darüber hören wir in den §§ 14 ff. Folgende Gründe scheinen uns für diese Expansion in den Zuwanderungsgebieten maßgebend zu sein: 1. Die Jahrzehnte zwischen 1815 und 1870 waren für Deutschland eine Zeit intensivster Sammlung, rascher Bevölkerungsvermehrung, bedeutender Fortschritte in der Landwirtschaft sowie beginnender und zunehmender Industrialisierung. In den auf Bodenschätzen oder günstiger Verkehrslage fußenden Industrieorten und -bezirken entstand eine große Nachfrage nach Arbeitskräften und infolgedessen nach und nach ein gewaltiges Zusammenballen von Menschen auf beschränktem Raum. 2. Das alles erforderte eine umfangreiche Bautätigkeit und damit bedeutende Steigerung der Produktion an Mauersteinen und Dachpfannen, woraus sich die Notwendigkeit der Errichtung von Ziegeleien in den dazu geeigneten Gebieten mit brauchbaren tonhaltigen Erdschichten ergab. Fördernd hierauf wirkten besonders auch Zunahme des Eisenbahnbaues und Vervollkommnung der Binnenschiffahrtswege; denn dadurch wurde auch ein weiterer Transport von Ziegelfabrikaten als bisher möglich. Uberall an den Bahnlinien entlang entstanden neue Ziegeleien, in erster Linie natürlich in nicht allzugroßer Entfernung von den Großstädten und Industriezentren. Bevorzugt wurde aber stets — wie auch noch heute — für den Transport der Wasserweg, und so erklärt es sich, daß als Zuwanderungsgebiete besonders die Gegenden an der Ems, Weser und Elbe, dann auch am Rhein und an der Oder eine Vergrößerung erfuhren, wo auch bezüglich der Rohstofforientierung in den angeschwemmten Tonlagern die günstigsten Bedingungen vorhanden waren. 3. Auch die Forcierung der landwirtschaftlichen Entwässerungsanlagen, die die Herstellung von Drainröhren hervorrief, hat zur Anlage von Ziegeleien beigetragen. 4. Diese damals noch durchweg auf Handbetrieb eingestellten Ziegeleien brauchten Arbeiter, die das „Ziegelstreichen", und vor allem auch das Ziegelbrennen in den meist primitiven Feldbrandöfen verstanden. In der Nähe aber waren bei der Neuartigkeit des Gewerbes geeignete Arbeitskräfte nicht vorhanden. Was lag näher, als die damit vertrauten Lipperziegler heranzuziehen,.' die als leistungsfähige, vorzügliche „Facharbeiter" bekannt und geschätzt waren? So wirkten verschiedene Faktoren — Industrialisierung im allgemeinen, Ziegeleigründungen und Facharbeiternachfrage im besonderen — als Anziehungskräfte in jenen Gegenden zusammen, die als Zuwanderungsgebiete für lippische Wanderarbeiter in Frage kamen. Daß auch in Dänemark, Südschweden und in den östlichen Provinzen Rußlands — besonders in der Gegend von Warschau — im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts viele Lipper tätig gewesen sind, war außer auf rege Bautätigkeit ebenfalls auf den Mangel an qualifizierten! Arbeitskräften zurückzuführen. Eine relativ bessere Bezahlung erfolgte nach Aussage einiger älterer Personen (Haustenbecker), die in den 60er Jahren in Dänemark und Rußland „ziegelten", nicht. Uns scheint, als wenn hier gewisse psychologische Momente stark mitgesprochen hätten. - 29 — I I. Abschnitt: Die Vorbedingungen im Abwanderungsgebiet § 3. Die lippische Landschaft und die Bodenschätze in älterer Zeit. Wenngleich namentlich seit der Auswirkung des Testaments Simon VI. (1597) innerhalb des lippischen Herrschergeschlechts Streitigkeiten um den Besitz einzelner Teile des Landes nichts Seltenes gewesen sind und sich ihre Ausstrahlungen bis in unsere Tage *) bemerkbar machen, so kann doch festgestellt werden, daß sich bereits um das Jahr 1600 die Grafschaft Lippe als Einheit in Größe und Gestalt nur unwesentlich vom heutigen Freistaate unterschied. Wie ganz anders aber waren damals und noch während des 18. Jahrhunderts, ja bis in die 50er Jahre des 19. Jahrhunderts, die Grundlagen der Wirtschaft, wie einfach und einseitig, im Vergleich zu heute primitiv, die wirtschaftlichen Verhältnisse selbst! Wer etwa am Ende des 17. oder auch während des 18. Jahrhunderts das abwechslungsreiche lippische Land auf holprigen, ungepflegten Wegen oder schmalen Fußpfaden durchwanderte, der erblickte neben bebauten Ackern, saftigen Wiesen und oft noch urwaldähnlichen, prächtigen Waldungen als Charakteristikum jener Zeit in der Nähe fast jeder Ortschaft größere, von Ackerland und Wald umrahmte, zusammenhängende Weideflächen, die das Merkmal des Wilden, Naturwüchsigen trugen. Denn auf dem meist unebenen, bald sandigen, bald steinigen, bald moorigen, bald sumpfigen Gelände schaute das Auge neben dunkelbraunem oder olivengrünem Heidekraut, das dort besonders vertreten war, im bunten Wechsel hohe Grasbüschel und leuchtende Ginsterstauden, düstere Wachholdersträucher und dichtes Dornengestrüpp, schwarzweiß getigerte Birkenbüsche und verkrüppelte Hainbuchen, schwer durchdringliche Brombeerranken *) Z. B. Blomberger Paragium. S. die Artikelreihe von Tielker in Lipp. Landeszeitung, Jg. 1922, Nr. 174 ff. — 30 — und stachliche Heckenrosen, kugelrunde Fichtenzwerge und auch wohl knorrige, niedrige Eichen und vom Winde zerfetzte Föhren. Diese eigenartigen, im Allmendebesitz der nächsten Ortschaft stehenden Dauerweideflächen, die das Rückgrat der bäuerlichen Viehwirtschaft bildeten, wurden namentlich vom letzten Drittel des 18. Jahrhunderts für Neuwohnerstätteri angegriffen und während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf die bäuerlichen Besitzungen aufgeteilt. Hier und da sind noch heute Reste jener Flächen zu sehen. Auch der Wald, dieser Urgrund deutschen Gemüts und deutscher Romantik, war in noch größerem Umfange und vor allem in wilderen und üppigeren Formen als in der Gegenwart vorhanden. Rechtlich im Besitz der Do- manialherren, die Teile davon einzelnen Städten zum Eigentum, manchem Ritter zum Lehen abgaben, an verschiedene Gemeinden Gerechtsame—Viehhude-, Fallholzberechtigung — verliehen, deren Ablösung noch heute nicht beendet ist, und allgemein an die Bewohner des Landes die Erlaubnis zum Beerenpflücken, Holzsuchen, Streumaterialholen erteilten, spielte der Wald im wirtschaftlichen Leben der Menschen insofern eine große Rolle, als die dickstämmigen Buchen und Eichen, Erlen und Pappeln das Material für gewerbliche Erzeugnisse in den handwerksmäßigen Betrieben lieferten — fast alle Gerätschaften und hauswirtschaftlichen Gebrauchsgegenstände waren aus Holz gemacht — und auch die Feuerung, häuslich und gewerblich, aus Holz oder Holzkohle bestand. Wald und Weide, Äcker und Wiesen mit den vielen Hecken und Büschen boten seit jeher eine vorzügliche Grundlage für die Jagd, die namentlich auf Hasen, Rebhühner, Rehe, Rot- und Schwarzwild in erster Linie vom Landesherrn und den Rittern ausgeübt wurde. Die zahlreichen klaren Bäche endlich waren reich an Fischen, namentlich an Forellen, so daß die Fischerei, — 31 — deren Ausübung ebenfalls landesherrliches Privileg war, mit gutem Erfolg betrieben werden konnte. Im übrigen bot das Land nur noch in den Sand- und Kalksteinbrüchen, Ton- und Mergellagern eine schmale Basis, auf der sich gewerbliche Tätigkeit enfalten konnte. Die in früheren Jahrhunderten — 1600, 1788/90 — verschiedentlich angestellten Versuche zur Auffindung von Silber, Kupfer, Schwefel und Steinkohlen verliefen erfolglos 1 ) ; dagegen sind die salzhaltigen Quellen von Salzuflen und die Meinberger Kohlensäurequellen bereits im 18. Jahrundert ausgenutzt worden. § 4. Die Grundbesitzverteilung in Lippe während des 17., 18. und 19. Jahrhunderts. Hinsichtlich der Grundbesitzverteilung der älteren Zeit ist die Tatsache wichtig, daß 1 der größte Teil der lippischen Landwirte ein Eigentumsrecht am Grund und Boden bis zum Jahre 1808 nicht besaß, in der Freiheit des Wirtschaftsbetriebes erheblich beschränkt war, unter drückenden Lasten zu leiden hatte und sich nicht einmal persönlich frei nennen konnte. Es war die Zeit der Leibeigenschaft und Gutsuntertänigkeit. Als Träger der Rechte am Grundbesitz bzw. als Herren der auch persönlich unfreien Bauern kamen Landesherr, Adel und in geringem Maße auch städtische Bürger 2 ) und die Kirche in Betracht. Daneben gab es eine Anzahl größerer Höfe, die als erbeigene, sog. eximierte, vom Guts- und Leibeigentum frei waren; nach Meyer (Gutseigentum, S. 804) hatte Lippe um 1475 im ganzen 75 freie Bauernhöfe, die bis 1769 auf 54 zurückgingen. War nun auch ein Teil des Adels bereits seit dem Ausgange des Mittelalters zur Selbstbewirtschaftung übergegangen 3 ), und war auch durch Zusammenziehung *) Schwanold, Lippe, S. 106 ff., und neuerdings Weerth in Mitteilungen XII, S. 72 ff. 2 ) Tasche, S. 19. 3 ) Meyer, Gutseigentum, S. 818. — 32 — mancher Höfe der Großgrundbesitz bereits um 1600 auf 8000 ha angewachsen 1 ), so wurden doch die meisten Höfe von ländlichen Hintersassen bewirtschaftet, die ihres Hörigkeitsverhältnisses wegen der Gutsherrschaft zu Dienstleistungen und zur Entrichtung von Abgaben verpflichtet waren 2 ). Der weitaus größte Teil war leib- und gutseigen, ein kleinerer nur gutshörig, d. h. persönlich frei 3 ). Diese als „Eigenbehörige", „Eigene Leute", oder kurzweg als „Leute" und seit dem Eindringen des römischen Rechtes als „Colone"") bezeichneten Bauern teilte man nach dem Umfange der von ihnen bewirtschafteten Höfe, der Menge ihres Viehes, besonders der Pferde, und nach ihren Leistungen in verschiedene Klassen ein ")• 1. Amtsmeier .......mit 8 Fudersaat Land = 65,92 ha 2. Vollmeier (Vollspänner) . . „ 3—4 „ „ == 24—32 „ 3. Halbmeier (Halbspänner) . . „ 2—3 „ „ = 16—24 „ 4. Großkötter .....'. . „ 1—2 „ „ = 8—16 „ 5. Mittelkötter......mit 30—40 Scheffels. Land = 6—7 „ {Kleinkötter \ Hoppenplöcker") > . . . bis 30 „ „ Straßenkötter J Zu berücksichtigen ist hierbei noch, daß die einzelnen Kolonate, namentlich die größeren, gemeinsam an der Wald, Wiese und Weide enthaltenen Mark beteiligt waren, die in jener Zeit für die insbesondere auf Viehzucht eingestellte Wirtschaft der Bauern fundamentale Bedeutung hatte. Über die Zahl dieser Kolonate liegen erst seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts genauere Berichte l ) Meyer, S. 819. ) Uber Guts- und Leibeigentum In Lippe vgl. Führer: Meyer- rechtl. Verfassung; W. Meyer: Gutseigentum; B. Meyer: Kolonats- recht. 3 ) Führer, S. 153 und 156. ") Meyer, Kolonatsrecht, S. 108. 5 ) Meyer, Guts- u. Leibeigentum, S. 807; Meyer, Kolonatsrecht, S. 132; Meyer, Teilungsverbot, S. 21. °) Diesen Namen erhielten die Leute nach der Beschäftigung in den früher bedeutenden Hopfengärten, wo sie zur Zeit der Reife den Hopfen pflückten oder aber im Frühjahr die Hopfenstangen in die Erde pfählen oder „plöcken" mußten. — 33 — vor, und über den Anteil der einzelnen Klassen am Gesamtbesitze des bäuerlichen Grund und Bodens besitzen wiri einwandfreies statistisches Material erst seit Einführung der Grundbuchmutterrollen und der Betriebszählungen. Immerhin geben uns aber die in den verschiedenen Abhandlungen von Falkmann, Führer, Bernhard und Wilhelm Meyer angestellten Berechnungen, deren Grundlage letzten Endes die Saalbücher bilden, einige Anhaltspunkte. Für den Anfang unseres Zeitraumes (1590) berechnet Wilh. Meyer (S. 21) unter Berufung auf Falkmann die Gesamtzahl der bäuerlichen Stätten auf 3287, wozu noch 10 Amtsmeier zu zählen wären. Während eines Zeitraumes von fast 200 Jahren stehen uns zahlenmäßige Angaben nicht zur Verfügung, bis dann von 1781 ab nach erfolgter Katastrierung eine bessere Übersicht möglich ist. Folgende Tabelle gibt Aufschluß über die Gesamtzahl der Stätten 1 )- Jahr Zahl der Stätten absolut Zunahme durchschn. pro 1590 3297 1781 5581 2284 17 1784 5672 91 30 1808 6400 728 30 1819 2 ) 6650 250 23 1852 7630 980 30 1887 9287 1657 47 Für die Steigerung der Stättenzahl kommen besonders folgende Gründe in Frage: Bereits in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, nachdem die Wunden des dreißigjährigen Krieges etwas geheilt waren, machte sich mit der Zunahme der Bevölkerung mehr und mehr das Bedürfnis nach Schaffung neuer Stätten bemerkbar, und auch im 18. Jahrhundert wuchs der Hunger nach Land beständig. Da infolge des gesetzlichen Teilungsverbotes Absplitterungen von bestehenden Kolonaten nur ganz ver- *) Meyer, Teilungsverbot, S. 21, 24, 25, 26. 2 ) Huxoll, Versuch, S. 29. Fleege-Althoff, Wanderarbeiter 3 — 34 — einzelt vorkamen, so mußte auf bisher unkultivierten Boden zurückgegriffen werden. Es wurde der damals ausgedehnte Waldboden der Besiedlung zugänglich gemacht, worauf noch heute zahlreiche Orts- und Flurnamen, die mit „roden" zusammenhängen, hinweisen, z. B. Rodenberg, Roland, Roenbusch, Ruensiek, Rott 1 ). Auch mit der Urbarmachung von Ödländereien begann man. Bereits um 1659 gründete Graf Hermann Adolf in der Senne eine neue Ortschaft, Haustenbeck, und 120 Jahre später schuf Graf Simon August den zweiten Heideort Augustdorf 2 ). Auch das Dorf Senne ist damals entstanden, und die Bildung der nach dem Grafen Leopold I. benannten Dorfschaft Leopoldstal fällt ebenfalls in jene Zeit 3 ). Diese letzten Ansiedlungen waren schon eine Folge der in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts weit verbreiteten Populationspolitik, wonach Neugründungen durch staatliche Unterstützungen und Prämien gefördert wurden. Auch verlangte man die Aufteilung der Gemeinheiten in stärkerem Maße, sowie die der Rittergüter, der Domänen und der großen Höfe. Den Forderungen dieser Politik kam die damalige Regierung zum Teil entgegen, einmal dadurch, daß sie die Aufteilung der Gemeinheiten gestattete (Verordnung vom 24. 4. 1777), insbesondere aber durch Suspendierung des gesetzlichen Teilungsverbots im Jahre 1779 *)■ Jetzt wurde die Zerlegung und der Verkauf namentlich überschuldeter Höfe möglich und auch tatsächlich in erheblichem Maße durchgeführt, so daß sich die Größenverhältnisse der Kolonate zugunsten der mittel- und kleinbäuerlichen Stätten im Laufe der Zeit stark verschoben haben. Folgende Zusammenstellung zeigt diese Ver- *) Schwanold, Lippe, S. 84—85. 2 ) Theopold, Augustdorf, S. 5 ff. 3 ) Mitteilungen, Bd. 5, Aufsatz von Weerth über Rothensiek, S. 40. *) Böger, Wanderarbeiter, S. 96. — 35 — änderungen und Verschiebungen in der Grundbesitzverteilung *): Art der Stätte Zahl der Stätten im Jahre 1590 im Jahre 1784 im Jahre 1852 im Jahre 1887 absolut °/o absolut % absolut % absolut % 1. Vollmeier einschl. Amtsmeier 2. Halbmeier 3. Großkötter 4. Mittelkötter 5. Kleinkötter 6. Hoppenplöcker 7. Straßenkötter 519 422 534 448 jl374 15,5 12,7 16,1 14,0 41,7 135 520 }l446 982 2589 2,3 9,2 25,5 17,3 45,7 } 144 1972 5514 1,9 25,8 72,3 137 373 550 633 7594 u 4,0 6,0 6,8 81,9 3297| 100,00 5672 100,00 7630 100,00 9287 100,00 Das Hörigkeitsverhältnis, in dem der größte Teil der lippischen Bauern stand, wirkte durch das Gefühl der Abhängigkeit nicht nur in sozialer Hinsicht schädigend, sondern hatte auch wirtschaftliche Nachteile zur* Folge. Neben den Dienstleistungen — Feld-, Hof- und Jagddienste (Spann- und Handdienste) — ruhten auch andere Lasten auf den Schultern der Bauern, Lasten, die sich im Laufe der Jahrhunderte ständig steigerten und manchmal unerträglich wurden. Sie richteten sich nach der Größe des Hofes, waren ursprünglich in Naturalien und erst mit dem Eindringen der Geldwirtschaft in Geld zu leisten. Zu diesen Abgaben gehörten insbesondere Zehnte, Zins, Sterbefall, Weinkauf, Brautschatz, Leibzucht und Kontribution 2 ). Hinzu kam, daß seit der Einführung der Söldnerheere und der durch die Edelmetallproduktion der neuen Welt hervorgerufenen Entwertung des Geldes die Finanzen des Landesherrn eine bedeutende Erhöhung erfahren mußten, *) Meyer, Teilungsverbot, S. 22, 25. Meyer, Kolonatsrecht I, S. 254; Beilage zum Amtsblatt 1887, Nr. 9. 3 ) Über die Höhe s. Führer, Berh. Meyer und Böger. a* so daß die Steuerlast der bäuerlichen Bevölkerung wuchs, während Adel und Geistlichkeit steuerfrei blieben. Besonders schwer drückten die Lasten im 17. Jahrhundert, weil die Bauern unter dem 30jährigen Kriege und dessen Nachwirkungen 1 ) sehr zu leiden hatten und auch noch die Schreckenszeit der Münsterschen Invasion durchmachen, sowie die Bürde der 4jährigen Einquartierung der braunschweigischen Truppen tragen mußten. Aber auch das 18. Jahrhundert war in dieser Hinsicht nicht viel besser. Verursachte in der ersten Hälfte die Prachtentfaltung des Detmolder Hofes viel Ausgaben, die letzten Endes die Bauern aufzubringen hatten, so war es in der zweiten Hälfte der 7jährige Krieg, der auch Lippe stark in Mitleidenschaft zog. Erst danach wurde es etwas besser. Weiter muß berücksichtigt werden, daß die Bauern auch in betriebstechnischer Hinsicht nicht frei wirtschaften konnten, da infolge der Gemenglage des Ackerlandes und bei dem Mangel an Feldwegen Flurzwang bestand, und daß wegen der extensiven Betriebsweise auch der Ertrag der durch die Brache ja immer nur zu zwei Drittel bestellten Ackerfläche im Vergleich zu heute ganz erheblich geringer war. Wenngleich alle Klassen der Bauern unter den erwähnten Lasten zu leiden hatten, so drückten diese doch ganz besonders die „kleinen Leute" — Kleinkötter, Hop- penplöcker usw.—, die, wie aus der letzten Statistik hervorgeht, immer zahlreicher wurden, so daß schon 1784 etwa 65 % und 1852 über 72 % aller Höfe auf sie entfielen. Vergegenwärtigt man sich nun, daß nur ein sehr geringer Prozentsatz Ackerland zu dieser Kleingütler- klasse gehörte — um 1600 z. B. nur 1,8 % 2 ) der gesamten Ackerfläche —, so ergibt sich, daß die einzelneu Kotten nur sehr klein waren und zur Bestreitung der Lebenshaltung nicht ausreichten. *) Siehe Mitteilungen aus der lippischen Geschichte und Landeskunde, Band 3, S. 1—155; die Grafschaft Lippe im 30jährigen Kriege. 2 ) Meyer, Teilungsverbot, S. 22. — 37 — Auch konnten diese Kleingütler, da sie ständig ihren Gutsherren mit Handdiensten zur Verfügung stehen mußten, ihren Acker nicht mit der nötigen Sorgfalt bewirtschaften. Viele von ihnen waren auch genötigt, durch Tagelohn auf größeren Höfen, durch irgendein Handwerk, oder wie wir noch sehen werden, durch andere Nebenbeschäftigungen sich den notwendigsten Lebensunterhalt zu verschaffen. Von einem Emporkommen dieser Leute konnte nicht die Rede sein. Sie waren mehr oder weniger auf das Mitleid und die Gnade des Gutsherrn und der besser gestellten Bauern angewiesen. Dieses Abhängigkeitsverhältnis der kleinen Leute änderte sich auch dann noch nicht, als am 27. Dezember 1808 das Guts- und Leibeigentum in Lippe aufgehoben wurde 1 ). Äußerlich waren zwar damit die Fesseln des Bauernstandes gelöst, doch erst allmählich ist im Laufe des 19. Jahrhunderts die völlige Freiheit durchgeführt worden, und noch heute sind hier und da Reste der alten Eigenbehörigkeit vorhanden. So gut und segensreich für die Bauern die Aufhebung der Gutsuntertänigkeit auch war, so ist doch nicht zu verkennen, daß gerade die kleinen Leute stark benachteiligt wurden, denn einmal gab man ihnen überhaupt kein lebensfähiges Kolonat, und sodann bedachte man sie auch bei der .Gemeinheitsteilung sehr schlecht; ein großer Teil ging sogar ganz leer aus 2 ). Da nämlich die Verordnung vom 24. 4. 1777 vorschrieb, daß die Aufteilung der' Gemeinheiten nach dem Verhältnis ihrer bisherigen Benutzung zu erfolgen habe, ein Teil der Hoppenplöcker, Kötter und Neuwohner sie aber nicht benutzte, so war die Folge, daß die größten Höfe das meiste erhielten. Die Aufhebung der Leibeigenschaft in Verbindung mit der Aufteilung der Mark wäre ein geeignetes Mittel zur umfangreichen inneren Kolonisation insbesondere deshalb gewesen, weil schon damals gerade die Klein- *) L.L.V., Bd. V., S. 242—245. ") Meyer, Teilungsverbot, S. 33. — 38 — gütler in großer Zahl als Wanderarbeiter in der Fremde einen Teil ihres Lebensunterhaltes sich verschaffen mußten. § 5. Die grundbesitzlose Klasse der lippischen Bewohner und ihre Lage. Wenn schon für die kleinen Kolonatsbesitzer der Kampf ums Dasein nicht leicht war, so gestaltete er sich doch noch schlimmer bei jener Klasse von Bewohnern, die eigenen Grund und Boden auch nach der Aufhebung der Leibeigenschaft überhaupt nicht besaßen; das waren die Einlieger, die in den Leibzuchten, Scheunen, Ställen, Backhäusern der Bauern, oder auch wohl in einem extra zu diesem Zwecke errichteten Häuschen, dem Einlieger- kotten, zur Miete wohnten und 1—3 Scheffelsaat Land zur eigenen Bewirtschaftung vom Hofbesitzer gepachtet hatten. Damit wurden diese Personen meistens die Heuerleute des Bauern, bei dem sie die längste Zeit des Jahres als kontraktlich gebundene Tagelöhner Beschäftigung fanden. Mit diesen Heuerlingen, die erst Anfang des 17. Jahrhunderts eine größere Rolle zu spielen begannen, bildete sich allmählich der besondere Stand der landwirtschaftlichen Arbeiter heraus, den das ganze Mittelalter sowie der Anfang der Neuzeit nicht kannte, und der erst eigentlich mit der Bauernbefreiung und der daraus sich ergebenden Freizügigkeit und freien Vertragschließung als selbständiges Gebilde innerhalb der Wirtschaftsverfassung erscheinen konnte. Die Entstehung dieser besitzlosen Einliegerklasse hängt eng zusammen mit dem Übergange der Natural- zur Geldwirtschaft und mit dem Ausbilden des Gewerbes auf dem platten Lande. Sie entwickelte sich namentlich seit der Mitte des 16. Jahrhunderts aus Leuten, die keine geeignete Behausung besaßen und sich daher mit primitiven Wohnungen begnügen mußten. Soldaten, die des Umherziehens müde waren, machten sich seßhaft; Eigen- — 39 — behörige verzichteten infolge finanzieller Schwierigkeiten auf den Hof, andere wurden wegen schlechter Wirtschaftsführung oder Überschuldung zwangsweise vom Gutsherrn abgemeiert. Den Hauptanteil an dieser Klasse von Bewohnern nahmen aber allmählich die Abfindlinge der gutshörigen Bauern. Nach dem geltenden Kolonatsrecht nämlich ging der Hof ungeteilt auf den Anerben über, und zwar fast überall auf den ältesten Sohn. Teilungen des Grundbesitzes durften nur mit Zustimmung des Gutsherrn erfolgen und waren daher äußerst schwer durchführbar. Allgemein gesetzlich festgelegt wurde die Erbfolge der Bauerngüter erst. 1782, indem das Erstgeburtsrecht zur Durchführung gelangte. (L. V. III, S. 25.) In einer üblen Lage befanden sich daher die nachgeborenen Kinder. Von früher Jugend an wurden sie zu Dienstleistungen im Haushalt und in der Landwirtschaft angehalten. Später blieben sehr viele als Knechte und Mägde auf dem elterlichen Hofe, wo sie neben freier Kost und Wohnung häufig nur ab und zu etwas bares Geld erhielten, oder aber, gleich dem Gesinde, in festem Jahreslohn standen, der aber sehr minimal war, weshalb namentlich die männlichen Nachgeborenen während der arbeitsschwachen Zeit Nebenbeschäftigung trieben. Die Löhne betrugen durchschnittlich pro Jahr: 1655 etwa 10 Taler 1 ), 1658 „ 11 Taler und 1 Paar Schuhe 2 ), . 1752 „ 12 Taler 3 ), 1804 „ 14—17 Taler (Großknecht) dazu 1 Paar Schuhe und 2 Hemden und 1 Scheffel Leinsaat 2 ), 1843 „ 20 Taler 4 ). *) Taxordnung 1655. 2 ) Lipp. Intelligenzblatt 1804. s ) Gesindeordnung 1752. *) Vaterländische Blätter 1843, S. 785. — 40 — Erst seit der Mitte des 19. Jahrhunderts stiegen die Löhne etwas mehr, wie folgende Ubersicht aus dem Jahre 1856 zeigt 1 ): Bezirk Großknecht Kleinknecht Junge (Verwaltungsamt) Detmold . . 30—37 Tlr. 19—26 Tlr. 10—1.5 Tlr. Blomberg . 27—37 „ 18—25 „ 10—17 „ Brake . . . 27—40 „ 21—25 „ 13—20 „ Schötmar . . 27—38 „ 20—25 „ 12—15 „ Lippe durchschn. 32 Tlr. 22 Tlr. 14 Tlr. Als annehmbar könnten die Löhne für die damalige Zeit bezeichnet werden, wenn die Landwirte volle Naturalverpflegung geleistet hätten. Das traf aber nur für Wohnung und Nahrung, nicht aber für Kleidung zu; denn die meisten Kleidungsstücke mußte sich das Gesinde für ersparte Gelder selbst kaufen, und da war mit dem Lohn nicht allzuviel anzufangen. Unselbständigkeit, Zwang und geringe Entlohnung waren es denn auch, wodurch viele der nachgeborenen männlichen Personen veranlaßt wurden, sich durch die vom Hofbesitzer zu leistende Aussteuer frei zu machen. Auch diese Abfindungen, deren Höhe verschiedentlich gesetzlich festgelegt wurde, zeigen so recht, wie die Nachgeborenen in wirtschaftlicher Hinsicht stark benachteiligt wurden 2 ). Die Abgefundenen leisteten Gesindedienste bei der Gutsherrschaft und auf andern Höfen, oder sie „setzten sich auf eigne Hand", d. h. sie machten sich selbständig, gründeten einen eigenen Hausstand, indem sie sich entweder als Neuwohner auf einem bis dahin brach liegenden Fleckchen Unland anbauten und auf den naheliegenden Höfen tagelöhnerten, oder sich bei einem Hofbesitzer einmieteten, wodurch sie meistens dessen Tagelöhner wurden. *) R. R. Fach 145, Nr. 13. 2 ) Genaueres s. Tasche, Höferecht, S. 87 ff. Die entweder in Geld allein oder in Geld und Kost bestehende Vergütung für die Tagelöhnerarbeiten war in der Regel so gering, daß eine Bestreitung des Lebensunterhaltes fast unmöglich schien. Es verdienten beispielsweise täglich neben freier Kost x ): im Jahre 1685 1804 Gewöhnl. landwirtschaftl. Arbeiter 2Vz Gr. 3—4 Gr. Drescher und Mäher .... 3—4 Gr. 3—4 Gr. Noch in den 50 er Jahren des 19. Jahrhunderts war in dieser Hinsicht keine wesentliche Besserung eingetreten, wie dies recht klar aus den gutachtlichen Berichten der Ämter über die Lage der Tagelöhner aus dem Jahre 1856 hervorgeht. Nach diesen Berichten 2 ) konnten folgende zahlenmäßige Feststellungen gemacht werden: Bezirk (Verwaltungsamt) Verd ohne Kost i e n s t mit Kost Unterhalt für 4—7 Personen pro Jahr pro Tag pro Jahr pro Tag pro Jahr Detmold Blomberg Brake Schötmar 6—8 Sgr. 3 ) 6- 8'/ 2 „ 7- 9 „ 5-8 „ 60-80Tlr. 3 ) 60-85 „ 70-90 „ 50-80 „ 4 1 /2-5 1 /2Sgr. 372-472 „ 2V*-4 2-4 „ 45—55 Tlr 35—45 „ 25-40 „ 20-40 „ 150—175 Tlr. 110-135 ,, 85—115 „ 125-150 „ Nach dieser Tabelle würden also für Lippe durchschnittlich anzusetzen sein: Notwendige Kosten für Unterhalt . . . 117—145 Tlr. Höchstmöglich. Verdienst ohne Kostgewähr. 60—85 Tlr. mit Kostgewährung 32—45 Tlr. Zwar überließen viele Landwirte ihren Tagelöhnern Wohnung und Brotkorn zu ermäßigten Preisen oder suchten durch besondere Unterstützung deren Not zu J ) Lipp. Intelligenzblatt 1804. 2 ) R.R. Fach 145, Nr. 13. a ) Sgr. = Silbergroschen Tlr. = Taler; 1 Tlr. = 30 Sgr.; 1 Sgr. = 12 Pf. lindern, doch waren das alles nur Wohltaten, welche von dem guten Willen der Arbeitgeber abhingen und die Arbeiter nicht selten in ein unangenehmes Abhängigkeitsverhältnis brachten, ohne daß die Notlage völlig beseitigt wurde. Mit Zunahme der Bevölkerung, namentlich nach dem 30jährigen und 7jährigen Kriege, wuchs; auch die Zahl der Einlieger sehr rasch, und besonders waren die Dörfer infolge des billigen Lebens und der billigen Wohnungen bald mit Einliegern überfüllt 1 ). Das tritt so recht in die Erscheinung, wenn man die Zahl der Einliegerfamilien und die der Kolonate miteinander vergleicht. Es gab in Lippe 2 ) ums Jahr Kolonate Zunahme Einliegerfamilien Zunahme 1784 5 672 3 500 1850 7 630 34,5% 8045 129,8% Berücksichtigt man nun noch, daß von den Kolonaten im Jahre 1784 63 % und 1852 sogar 75 % auf Kleingütler entfielen, die selbst noch tagelöhnerten, und zieht man die niedrigen Löhne für landwirtschaftliche Arbeiten in Betracht, so kann man verstehen, daß sich die Einlieger anderen lohnenden Erwerbszweigen zuwandten, wodurch sie zugleich aus der Abhängigkeit und Unselbständigkeit herauskamen. § 6. Die heimischen Erwerbsmöglichkeiten. Bereits die letzten Paragraphen lassen als Hauptquelle der Bedürfnisbefriedigung die in erster Linie auf Körnerbau und Viehwirtschaft eingestellte Landwirtschaft erkennen, deren Notlage in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Einführung der Futterpflanzen Klee, Luzerne, Esparsette und der besonders auch für die menschliche Ernährung so außerordentlich wichtigen Kartoffeln gemildert wurde. Eine wesentliche Besserung trat jedoch erst nach den Kriegswirren am Anfange des 1 ) Meyer, a. a. O., S. 79. 2 ) Ebenda. 19. Jahrhunderts ein. Die Aufteilung der Gemeinheiten bedeutete praktisch erhebliche Vergrößerung der rechtlich jetzt privat-eigenen Bodenfläche. Der nicht mehr „Schollenpflichtige" Bauer erhielt durch das Recht der Freizügigkeit und Freiverfügbarkeit, in Verbindung mit der allmählichen Beseitigung des Flurzwanges, eine größere Bewegungsfreiheit und hatte vor allem ein bedeutend stärkeres Interesse an der Art der Bewirtschaftung und der Höhe des Ertrages. Dabei kamen nun dem Landmanne im Laufe des 19. Jahrhunderts für die Betriebstechnik wesentliche Neuerungen zugute. Unter dem Einflüsse Thaers und Thünens konnte nach der Agrarkrisis der 20 er Jahre die Landwirtschaft an Stelle der veralteten Dreifelderwirtschaft mehr und mehr die verbesserte Dreifelder- oder auch die Sechsfelderwirtschaft setzen; das Liebigsche Gesetz von der Statik des Bodens rief eine Umwälzung auf dem Gebiete der Düngung hervor und ermöglichte dann später, namentlich durch die Verwertbarkeit der reichen deutschen Kalischätze, eine beträchtliche Ertragssteigerung; die Vereinheitlichung des Zollwesens im Zollverein, dem Lippe seit dem 1. Januar 1842 angeschlossen war, schaffte einen hemmungslosen Verkehr auch in landwirtschaftlichen Produkten. Es ist klar, daß eine derartig günstige Entwicklung steigenden Bedarf an Arbeitskräften hervorrief, und daß dadurch viele Personen, namentlich der immer zahlreicher werdenden Einliegerfamilien, als Gesinde und Tagelöhner Beschäftigung fanden. Durch die Gewerbezählung im Jahre 1790*) wurden im ganzen Lande 1878 Tagelöhner ermittelt, von denen 1523 auf dem Lande und 355 in den Städten wohnten. Gegenüber der Landwirtschaft trat die gewerbliche Tätigkeit etwas zurück. Auch sie wurzelte in der Landwirtschaft, von der sie neben der Forstwirtschaft *) Nach Schierenberg, Blüte u. Verfall der lippischen Leinenindustrie, S. 106. Hoheits- u. Polizeiakten A. IX, 1. — 44 — nicht nur die Rohstoffe, sondern auch zum größten Teil die erforderlichen Aufträge erhielt. Selbst die Städte, in denen zwar die selbständigen, aber nebenbei Landwirtschaft treibenden Handwerker und Kaufleute einen bedeutenden Prozentsatz der Bevölkerung ausmachten, trugen bis in die neueste Zeit — bei einigen ist das noch heute der Fall — durchaus den Charakter von Ackerbauortschaften. Eine scharfe Trennung zwischen gewerblicher und landwirtschaftlicher Tätigkeit etwa in der Weise, daß jene sich auf die Städte, diese aufs platte Land beschränkte, war nicht vorhanden. Von einem Gewerbeprivileg der Städte konnte im 18. Jahrundert nicht mehr die Rede sein. Es gab 1 überall Gewerbetreibende, wie wir dies an der Gewerbezählung von 1790 erkennen können. Wenn wir die Verarbeitung Brökers 1 ), unter Ergänzung der Zahlen, die dort fehlen 2 ), zugrunde legen, und die Angaben nach den Hauptgewerbegruppen zusammenstellen, dann ergibt sich folgende Übersicht: Zahl der Gewerbetreibenden in GewerbegTuppe in Städten u. Flecken auf dem platten Lande Zus. 1. Ernährungsgewerbe 8 ) . . 336 400 736 2. Bekleidungsgewerbe . 772 5 881 6653 133 358 491 4. Baugewerbe .... . 92 252 344 5. Metallgewerbe .... 125 114 239 6. Handels- u. Verkehrsgewerbe . 130 125 255 7.Sonstige Gewerbe 4 ) . 107 251 358 Zusammen 1 695* 7 381* 9 076 *) •— 14—15 % der Bevölkerung. *) Bröker, Die Grafschaft Lippe am Ende des 18. Jahrhunderts, S. 61/62. s ) Nach der von Bröker aufgenommenen Abschrift der Gewerbezählung ergänzt. *) Hierunter sind auch 134 Branntweinbrenner u. 159 Brauer verrechnet. *) Darunter auch z. B. 19 Musikanten, 11 Schreiber, 26 Wundärzte, 126 Hebammen. — 45 — Der bedeutende absolute zahlenmäßige Vorsprung des platten Landes ist auf die hohe Zahl der unter Bekleidungsgewerbe aufgeführten Spinner und Weber zurückzuführen, auf die wir gleich besonders zu sprechen kommen. Nur wenn man die im Leinengewerbe Tätigen abzieht, für die Städte 241, für das Land 5 366, ergibt sich eine stärkere Konzentration der Gewerbetreibenden in den Städten gegenüber dem platten Lande. Selbstredend haben wir bei allen Gewerbegruppen in erster Linie an Handwerker bzw. handwerksähnliche Betriebe und Kaufleute zu denken. Fabriken gab es im 18. Jahrhundert in Lippe noch nicht; denn selbst die Glashütten, die im Kohlstädter und Schwalenberger Forstrevier bestanden, die verschiedenen Papiermühlen und das Blomberger Stuhlgewerbe kamen über den Umfang des Handwerks nicht hinaus. Es waren alles kleine Betriebe, die nur wenig Personen beschäftigen konnten. Erst mit der Gründung des Leinwandunternehmens Colbrunns in Brake in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts, das leider bald wieder verschwand 1 ), und der noch heute bedeutungsvollen Hoffmannschen Stärkefabrik 1 im Jahre 1850 fand eine Konzentration vieler Arbeiter in fabrikmäßigen Betrieben statt. Andere Industrieunternehmungen mit größerem Arbeiterbedarf sind erst in neuester Zeit nach Schaffung der beiden bedeutendsten Eisenbahnlinien Altenbeken—Herford und Bielefeld—Hameln entstanden. Die in der Gewerbezählung erkennbare dominierende Stellung des Bekleidungsgewerbes ist, wie schon angedeutet, auf jenen Erwerbszweig zurückzuführen, der neben agrarischer Berufstätigkeit jahrhundertelang weite Kreise der lippischen Bewohner in Städten und auf dem platten Lande mit der Verarbeitung der' Flachsfaser zu Garngespinst und Leinwand beschäftigt hat 2 ). *) Siehe darüber bei Schierenberg, Wiedererrichtung der Lemgoer Legge in Mitteilungen XI, S. 29—31. 2 ) Schierenberg, Blüte und Verfall der lippischen Leinenindustrie, S. 1. — 46 — Dieses noch 1784 als „erster Nahrungszweig des Untertans" *) bezeichnete Leinengewerbe, bildete sich anfangs in Ergänzung der Landwirtschaft heraus, von der es sich auch dann nicht völlig loslöste, als es bereits zu einer selbständigen Erwerbsquelle geworden war. Wir wissen, daß bis tief ins Mittelalter hinein als wichtiges Bodenerzeugnis in Lippe Flachs gebaut wurde. Begünstigt durch Klima und Bodenart, gedieh hier ein Flachs, der sowohl in bezug auf die Ergiebigkeit der Ernten, als auch der Güte und Feinheit, die gleichen Produkte vieler Landstriche übertraf; rühmte man ihm doch nach, daß er in einzelnen Strichen der Seide nichts nachgebe 2 ); auch fand das Garn lange Jahre hindurch bei der Brabanter Spitzenherstellung Verwendung 3 ). Überall wurde Flachs angebaut, und fast die ganze Bevölkerung befaßte sich mit Spinnen und Weben. Alle Kinder lernten diese Tätigkeit von Jugend auf, und nach einem alten Herkommen mußte sogar jedes Schulkind in der freien Zeit eine bestimmte Anzahl Binde Garn liefern. Knechte und Mägde, Söhne und Töchter, Bauer und Bäuerin, alle konnten spinnen. Diese Tätigkeit bildete neben dem Dreschen des Getreides die wichtigste Beschäftigung der bäuerlichen Bevölkerung in den Wintermonaten. Die Spinnstuben mit ihren surrenden Rädern waren für jung und alt Stätten der Freude und höchsten Lustbarkeit 4 ). Ursprünglich wurde nur für den eigenen Bedarf gearbeitet ; doch bald lockte der mit Spinnen und Weben zu erzielende Barverdienst zum Verkauf. Und so erfahren wir denn von einem schwunghaften Garn- und Leinwandhandel. Bereits gegen 1483 wird berichtet, daß in Osnabrück durch die Stadt gehende „Lippische Laken" verzollt wurden 6 ), und in der Folgezeit werden nicht nur *) Westphälisches Magazin 1784, Hft. I, S. 66. ) Meyer, Teilungsverbot, S. 61, unter Berufung auf Culemann. ") Schierenberg, a. a. O., S. 19. *) S. neuerdings Schöning, Lipp. Landeszeitung 1927, Nr. 137 ff. ") Schierenberg a. a. O., S. 22. — 47 — Teile Deutschlands, sondern auch die Niederlande und überseeische Kolonien als Absatzgebiete' für lippische Garn- und Leinwandprodukte erwähnt 1 ). Es ist deshalb erklärlich, wenn mit der Zeit alle Arten des Berufszweiges Leinengewerbe aus der ursprünglichen Form, dem im Hause und fürs Haus betriebenen Hauswerk, sich in Lippe herausbildeten. Da man dem selbstgeernteten Leinsamen nicht immer die innere Güte zur Aussaat zutraute 2 ), sorgten besondere Leinsamenhändler für den Bezug aus Livland und Kurland 8 ). Dieser Handel war, ebenso viel Garn- und Leinwandhandel, bis etwa zum Jahre 1700 Privileg der Städte; erst dann erhielten auch einzelne Personen des platten Landes gegen bestimmte Abgaben die Erlaubnis dazu' 4 ). Flachsbau und Flachsbearbeitung waren keine selbständigen Gewerbezweige, sondern' gehörten mit zur landwirtschaftlichen Tätigkeit. Zum Teil müssen wir dies auch vom Spinnen und Weben als der Nebenbeschäftigung des Landmanns im Winter sagen. Doch gab es auch eine große Anzahl Berufsspinner, werden doch in der Gewerbezählung von 1790 für die Städte und Flecken 167, für das platte Land 3 650, im ganzen also 3817 angegeben 6 ). Berufsweber wurden 1790 im ganzen 1716, davon 1659 für die Ämter und 57 für die Städte und Flecken, gezählt 6 ). Wie stark aber gerade die Weberei auch sonst noch betrieben wurde, und wie viele Weber für den Verkauf arbeiteten, erkennen wir aus folgender Ubersicht, die zugleich ein Bild der Bedeutung und aufsteigenden Entwicklung gibt: *) S. darüber bei Schierenberg, S. 17/20. 2 ) Ebenda, S. 49. 3 ) Ebenda, S. 49. 4 ) Ebenda, S. 51. 5 ) Bröker, a. a. O., S. 63. ") Ebenda. — 48 — Es betrug *) die Gesamtzahl der Webstühle die Zahl der für den Verkauf im Jahre arbeitenden Stühle absolut relativ 1749 1782 1800 1813 1836 ca. 1450 „ 2850 ca. 1050 72,4 „ 2509 „ 4071 3450 „ 2150 75,4 „ 2450 71,0 „ 1901 75,8 „ 2707 66,5 Die andern am Leinengewerbe beteiligten Berufsarten waren zahlenmäßig geringer. Garnhändler 2 ) gab es 1790 im ganzen Lande 42, Drellweber 17 und Spinnradmacher 15 3 ); über die Zahl der im Leinwandhandel Tätigen 4 ), sei es als Großhändler oder Kleinhändler, sei es als Packenträger oder Hopser in Form des Hausierhandels, liegen veröffentlichte Angaben nicht vor. Im ganzen waren 1790 am Leinengewerbe als Hauptberufstätige ohne Leinsamen- und Leinwandhändler 5607 Personen beteiligt, das ergab über 60 % der gewerblich Beschäftigten und 9 % der Bevölkerung. Während nun bis ins erste Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts von einer günstigen Entwicklung und Lage des lippischen Leinengewerbes berichtet wird, trat bald ein Rückgang ein, es nahten allmählich die verderbenbringenden Vorboten des Verfalls. Die fortwährenden Kriegsunruhen am Anfang des 19. Jahrhunderts mußten notwendigerweise auch die lippische Leinenindustrie schädigen. Doch wäre diese Beeinflussung allgemein nicht allzu stark geworden, weil ja noch immer ein bedeutender Absatz nach überseeischen Gebieten möglich war. Da aber verhängte Napoleon im Jahre 1806 über sämtliche Häfen im Machtbereiche Frankreichs und seiner Verbündeten die Kontinentalsperre und machte damit *) Meyer, Teilungsverbot, S. 63. 2 ) Darüber bei Schierenberg, a. a. O., S. 70 ff. 3 ) Bröker, a. a. O., S. 63. 4 ) S. Schierenberg a. a. O., S. 80 ff. — 49 — jeden Export unmöglich. Das war für die lippische Leinenindustrie ein herber Schlag; die mühsam errungenen Absatzgebiete gingen so mit einem Male verloren, und ein Rücl gang des bisher so blühenden Gewerbes war unvermeidlich *)• Es kam hinzu, daß die bereits während der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts eingeführte Baumwollwarenfabri- kation an Umfang gewann und die Leinenindustrie zurückdrängte. Noch andere Schwierigkeiten folgten. Der heimische Flachsbau wurde bald durch scharfe Konkurrenz ausländischen, namentlich russischen Flachses, unlohnend und sank von seiner einstigen Höhe herab. Als nun aber gar Spinnmaschine und mechanischer Webstuhl ihren Siegeslauf antraten, als das Festland mit der billigen und feinen englischen Ware überschwemmt wurde 2 ), da war der Untergang der Handspinnerei und -weberei besiegelt. Zwar gelang es der lippischen Regierung durch Einrichtung der Lemgoer Legge im Jahre 1826 und Errichtung von Spinnschulen 1834, den raschen Verfall aufzuhalten, ja, eine Hebung dieses Erwerbszweiges herbeizuführen 3 ); doch war dies nur ein kurzes, vorübergehendes Aufatmen des hinsterbenden Gewerbes. Von 10 958 Stück im Jahre 1833 sank die Zahl der zur Legge gebrachten Stücke innerhalb 20 Jahren auf 1120 4 ); die Zahl der Webstühle ging bis 1861 auf 1972 im ganzen Lande zurück 5 ), und der Preis für die gangbarste III. Sorte Leggelinnen fiel von 1 Reichstaler 6 Groschen im Jahre 1826 6 ) auf 33 bis 34 Groschen im Jahre 1854 7 ). *) Vgl. hierzu: Kiewning, Lippe und Napoleons Kontinentalsperre gegen den britischen Handel, in den Mitteilungen aus der lippischen Geschichte und Landeskunde, Bd. VI, S. 138—192. 2 ) Andere Gründe für den Verfall, s. Schierenberg, S. 91 ff. 3 ) Schierenberg, Die Wiedererrichtung der Lemgoer Legge, a. a. O., S. 1 ff. 4 ) Meyer, Teilungsverbot, S. 66. "') Schierenberg a. a. O., S. 108. °) Schierenberg, Mitteilungen, S. 12. 7 ) Ebenda, S. 36. Fleege-Althoff, Wanderarbeiter 1 — 50 — Gewiß hätte dem völligen Verfall vorgebeugt werden können, wenn man dem Beispiel des nahen Bielefeld gefolgt wäre und mechanische Betriebe eingerichtet hätte. Während aber die einsichtige preußische Regierung die neue Methode begünstigte und Prämien für solche Betriebe vergütete, verbot sogar die kurzsichtige lippische Regierung die Errichtung mechanischer Spinnereien und Webereien, weil sie darin eine Schmälerung des Verdienstes der Handspinner und -weber erblickte 1 ). Lippe, das durch die große Zahl leistungsfähiger Arbeiter gerade für die neue Art der Leinenindustrie geeignet war, mußte so sehen, wie sich die Leinenindustrie im Ravensbergischen, namentlich in Bielefeld, von Jahr zu Jahr hob, während die seinige ständig zurückging. Erst in neuester Zeit sind an verschiedenen Orten des Landes mechanische Webereien entstanden. Wir dürfen nach diesen Erörterungen sagen, daß Landwirtschaft und Leinengewerbe bis in die 30 er Jahre des 19. Jahrhunderts die wichtigsten Erwerbszweige der lippischen Bevölkerung gebildet haben. Erst von da ab erfolgte die große Verschiebung, die Umstellung der bisher im Leinengewerbe tätig Gewesenen. Denn mit dem schnellen Rückgange des Leinengewerbes wurde bei steigender Bevölkerungszahl die Arbeitskapazität in Lippe ganz bedeutend reduziert. Die Folge war, daß sehr viele Lipper ihr Bündel schnürten und gleich vielen anderen Deutschen und Europäern die Reise über das große Wasser antraten, um in Amerika eine neue Heimat zu gründen, die meisten freiwerdenden Arbeitskräfte aber jetzt alljährlich, wie seit über 200 Jahren schon manche ihrer Vorfahren, zur Beschäftigung in außerlippische Gebiete abwanderten. Wenn wir einmal versuchen, die 1 Bevölkerung nach der Berufszugehörigkeit zu gliedern, so dürften ungefähr für Schierenberg a. a. O., S. 108. — 51 — 1790 und die Zeit bis 1840 folgende Zahlen zutreffen: Es entfielen Berufszugehörige auf: I. Landwirtschaft: a) Bauern......44,5 % b) Tagelöhner .... . 9,0% = 53,5% II. Gewerbe: a) Leinengewerbe .... 27,0 % b) Wanderarbeiter . . . . 2,5 % c) Andere...... 14 0% = 43,5 % III. Andere Berufe.......= 3,0% Dazu muß auch hier noch einmal besonders bemerkt werden, daß auch die Gruppen II und III zum größten Teil Landwirtschaft im Nebenberuf ausübten. § 7. Die Wirtschafts- und Sozialpolitik Lippes bis 1869. Die Einwirkungen des Staates, speziell auf die Wanderarbeiter, werden uns in den folgenden Paragraphen noch häufiger entgegentreten. Wir können sie aber nur dann recht verstehen, wenn uns auch die allgemeine Einstellung der Staatslenker zu den wirtschaftlichen und sozialen Problemen der älteren Zeit bekannt ist. Von einer selbständigen Wirtschaftspolitik des lippischen Kleinstaates kann natürlich nur bedingt die Rede sein. Denn die führenden Männer unterlagen in ihren Ansichten und Handlungen, in ihren Mitteln und Zielen mehr oder weniger den allgemeinen; Strömungen ihrer Zeit. Und so können wir auch für Lippe im Anschluß an die volkswirtschaftlichen Gedankenrichtungen zwei Hauptperioden unterscheiden: die Zeit des Merkantilismus und des Liberalismus. Die Trennung wollen wir durch das Jahr 1808 kennzeichnen, wobei wir selbstredend zu berücksichtigen haben, daß vieles von dem, was am Schlüsse des ersten Abschnittes von Wert ist, noch weit in die neue Periode hineinreicht, und daß für manches Neue am Anfange des zweiten Zeitraumes im vergangenen wesentliche Vorläufer als Anzeichen feststellbar sind. 4* Bis 1808 und noch darüber hinaus stoßen wir überall auf tiefe Spuren des Merkantilismus. Durch fortwährende staatliche Eingriffe suchte man das gesamte Wirtschaftsleben zu regeln, wie wir das namentlich an den zahlreichen zu diesem Zwecke erlassenen Verordnungen und Gesetzen erkennen. Erinnert sei nur an die vielen Sondervorschriften hinsichtlich der Handelstätigkeit im allgemeinen und für die Konzessionierung insbesondere, an die scharfen Kontrollen, z. B. durch Einrichtung der Schau- und Leggeanstalten, an die strengen Paßvorschriften u. dgl. m. Auch die Versuche, Bodenschätze im Lande zu erschließen und den Seidenbau einzuführen, die ersten Volks-, Gewerbe- und Viehzählungen, die Förderung der Ansiedlungen, die Suspendierung des Teilungsverbotes, die Hemmung der Einfuhr, Förderung der Ausfuhr, die Schaffung von Spareinrichtungen, vermögen wir nur im Hinblick auf die merkantilistischen Tendenzen jener Zeit recht zu würdigen. Aber all diese Maßnahmen waren nicht etwa die Folge einer sozial orientierten landesväterlichen Regierung. Letzen Endes geschah vielmehr alles zum Zwecke der Stärkung des absolutistischen Regimes der Grundherren besonders der Landesherrschaft, die ja neben der Ausübung der hohen Gerichtsbarkeit und den Ansprüchen aus Regalien vor allem Rechte aus der Gutshörigkeit und Leibeigenschaft herleitete und sich damit berechtigt — vielleicht auch verpflichtet — fühlte, durch Gebote und Verbote in „patrimonialer Bevormundung" 1 ) die Wirtschaftspolitik so zu gestalten, daß möglichst viel „Geld ins Land kam", d. h. die Kammerkasse, die sehr häufig notleidend war, immer wieder zur Leistungsfähigkeit aufgefüllt wurde. In die Ideenrichtung des Merkantilismus und vor allem des Absolutismus ließ sich die Wanderarbeit nicht ohne weiteres einreihen; denn Abwanderung bedeutete zugleich Verlust an Menschen; Menschen aber bildeten das *) Bröker, a. a. 0., S. 8. — 53 — Hauptmerkmal für die Macht der Fürsten, Menschenvermehrung 1 galt als Machtausweitung und Reichtumsvermehrung. Gegenüber dieser einseitigen Vorstellung trat die andere-merkantilistisch beachtenswerte Tatsache des mit der Wanderarbeit verbundenen Geldeingangs ins Land zunächst zurück; doch ist unverkennbar, daß etwa seit Beginn des 18. Jahrhunderts auch in dieser Hinsicht sich eine Wandlung vollzog, wie wir das später in der Stellung der Regierung zur Wanderarbeit sehen werden. Erst gegen Ende der ersten Periode war auch in Lippe etwas von dem freiheitlichen Rauschen einer neuen Zeit zu spüren, nachdem man von Frankreich herj den Ruf Freiheit und Gleichheit, das „laisser faire et laisser passer", und von England aus die neue Lehre eines Adam Smith vernommen hatte, daß die Arbeit die Quelle alles Reichtums sei. Es ist denn auch erklärlich, wenn unter dem Einflüsse derartiger Tendenzen eine so energische Persönlichkeit wie die Fürstin Pauline, der es mit diplomatischem Geschick gelungen war, aus den Trümmern des heiligen Römischen Reiches deutscher Nation den selbständigen Fürstenkleinstaat Lippe und damit die Dynastie zu retten, den ersten Schritt zu einer liberalen Wirtschafts- und Sozialpolitik mit der Aufhebung der Leibeigenschaft im Jahre 1808') tat, nachdem sie bereits 1807 ihre Diener angewiesen hatte, bei ihren Anträgen und Beschlüssen nicht! etwa das einseitige Interesse des Fürstenhauses und seiner Nachkommen wahrzunehmen, sondern das allgemeine Beste des Landes zu berücksichtigen und „in scheinbaren Kollisionsfällen das eine wie das andere in gehöriges Licht zu setzen" 2 ). Immerhin dauerte es noch eine geraume Zeit, bis die liberalen Ideen, denen der Gedanke zugrunde lag, daß sich das Wirtschaftsleben am vollkommensten harmo- *) 27. 12. 1808, Verordnung, die Aufhebung des Leib- und Guts- Eigentums betr., L.L.V., Bd. V, S. 242—245. 2 ) Zitiert nach Bröker, S. 18. nisch gestalten würde, wenn die vom Eigennutz geleiteten Menschen in ihrem wirtschaftlichen Handeln völlige Freiheit besäßen, auch in Lippe soweit Eingang gefunden hatten, daß sie in entsprechenden Gesetzen ihren rechtlichen Niederschlag fanden. Erst 1836 war es in Auswirkung jener Tendenzen nach langen Kämpfen gelungen, wenigstens den bäuerlichen Grundbesitzern eine Vertretung im Landtage zu sichern. Mit dem Anschlüsse Lippes an den Zollverein im Jahre 1842 war dann die Grundlage gegeben, auf der sich in der Folgezeit Verkehrs-, Handels- und Gewerbefreiheit ausbilden und durchsetzen konnten. Wichtiges Quellenmaterial für die Beurteilung der Wirtschafts- und Sozialpolitik seit den 30 er Jahren des 19. Jahrhunderts sind neben den Verordnungen und Gesetzen vor allem auch die seit 1838 gedruckten Landtagsprotokolle. Es wäre eine dankenswerte Aufgabe, auf Grund dieser Quellen, in Verbindung mit den Landtagsakten, die Wirtschafts- und Sozialpolitik des lippischen Staates in den letzten 100 Jahren zu untersuchen und vor allem die Wandlungen und Verschiebungen periodenweise zu vergleichen und kritisch zu würdigen. § 8. Zusammenfassung. Als Vorbedingungen für die lippische Wanderarbeit der älteren Zeit lernten wir in den gegenüber Lippe wirtschaftlich besser gestellten und daher höher entwickelten Zuwanderungsgebieten ständig starke Nachfrage nach Arbeitskräften und relativ höhere Löhne kennen. Im Abwanderungsgebiet wurde die Wanderarbeit hervorgerufen und begünstigt durch den infolge der großen Waldkomplexe beschränkten wirtschaftlichen Lebensraum, durch die strenge Handhabung der gesetzlichen Bestimmungen über Grundbesitzverteilung und -aufteilung, Anerbenrecht und Abfindlingswesen, ferner durch das Anwachsen der besitzlosen Einliegerfamilien und die zu schmale Basis wirtschaftlicher Entwicklungsmöglichkeiten; und dann seit Ende der 30er Jahre be- deutend gefördert durch das Absterben des bis dahin wichtigsten Nahrungszweiges der besitzlosen Bevölkerungsklasse Lippes: der Handspinnerei und Handweberei. Hinzu kamen als verstärkende Momente auf beiden Seiten im 19. Jahrhundert die freiheitliche Gestaltung des Wirtschaftslebens durch Beseitigung der innerstaatlichen Zollschranken, die allmählich zunehmende Industrialisierung weiter deutscher Landesteile, sowie die Ausbildung und Ausdehnung des Eisenbahn- und Postwesens. Es muß ferner berücksichtigt werden, daß die Wanderarbeit in die Sommermonate fiel und damit ein Aufgeben des heimatlichen Wohnsitzes nicht zweckmäßig und notwendig war, u. E. ein Moment, das mit dem Kleben an der Scholle, der Bodenständigkeit, den „starken Wurzeln" heimatlicher Erde zusammenhängt. Und noch ein Moment möge hier erwähnt werden, das uns gerade für die ältere Zeit wesentlich erscheint: die Tatsache, daß den Abwandernden durch die Wanderarbeit die Möglichkeit gegeben war, sich bares Geld zu verschaffen, das in der Heimat außerordentlich rar war. Der „schimmernde Glanz der Goldgulden" zog nicht nur Einlieger und Hoppenplöcker, sondern selbst Söhne der Groß- und Mittelkötter, Halb- und Vollmeier fort 1 ); im Drange nach dem glänzenden Metall schreckten sie nicht vor der mühevollen Reise und den an Entbehrungen aller Art reichen Arbeiten in fremden Landen zurück. So entstand und entwickelte sich eine temporäre Abwanderung der lippischen Bevölkerung, jene Wanderarbeit, die sowohl für die aktiv beteiligten, als auch für die gesamten Bewohner Lippes von einschneidender Bedeutung werden sollte, jene Wanderarbeiterbewegung, die von Jahr zu Jahr an Umfang gewann und bis auf den heutigen Tag und damit über 300 Jahre anhält. *) Vgl. Verordnung vom 30. 10. 1790, wonach den Söhnen der Voll- und Halbmeier die Wanderarbeit besonders erschwert wurde. Zweites Kapitel Die Wanderarbeit und ihre Hemmungsfaktoren § 9, Die Wanderarbeit unter dem hemmenden Einflüsse der lippischen Stände. Wann die Wanderarbeit der lippischen ländlichen Bevölkerung begonnen hat, kann nicht mit Bestimmtheit festgestellt werden. Nur aus einzelnen Bemerkungen in alten Urkunden und Schriften sowie den im Laufe der Jahrhunderte erlassenen Verordnungen, vermögen wir Schlüsse auf ihr Vorhandensein zu ziehen.' Die ältesten Spuren gehen zurück bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts, denn bereits 1604 heißt es in der Polizei- Verordnung vom 10. September: „Wer im Auslande arbeitet, wird mit drei Talern bestraft, wenn er zurück kommt", und in den Beiträgen zur Geschichte des Fürstentums Lippe, Bd. IV, schreibt Falkmann auf Seite 206 unter Anmerkung: „In einem Berichte des Beamten« zu Varenholz von 1608 werden zum ersten Male dortige Frieslandgänger erwähnt." Die Polizei-Verordnung sowie die Münz- und Taxordnung von 1620 verbietet das „Außer Landes auf Arbeit gehn", und die Taxordnung von 1658 bedroht alle Untertanen, welche „ohne Erlaubnis verweichen und an andern Orten in Dienst treten würden", mit Landesverweisung unter Nachsendung von Weib und Kind. Solche Verbote kennzeichnen noch mehr als 100 Jahre lang die Stellung der fast völlig unter dem Einflüsse der Stände 1 ) stehenden Landesregierung zu den Wanderarbeitern. *) Die Stände waren Vertreter eines Teiles der Untertanen; in Lippe bestanden sie aus den adligen Besitzern der 32 landtagsfähigen Güter und den 12 Vertretern der 6 Städte. Sie übten einen bestimmenden Einfluß auf Landesherrn und Landesregierung aus und suchten die unteren Volksklassen in Abhängigkeit zu erhalten. — 57 — Wenn nun auch zugegeben werden muß, daß derartige Verbote in etwa zurückzuführen sind auf die Ansicht jener Zeit, „da ein Festkleben an der heimatlichen Scholle gewissermaßen als eine Tugend galt, und alle, auch die ehrlichsten Wanderer, von vornherein mit mißtrauischem, verächtlichem Auge angesehen und nach wiederholt erlassenen strengen Gesetzen gegen Müßiggänger, Landstreicher, Gardende Knechte und Lotterbuben aufs äußerste verfolgt wurden" (Falkmann), so tritt doch nach dem 30 jährigen Kriege der Mangel an notwendigen Arbeitern für die Bewirtschaftung der Äcker hervor. Diese Klagen mögen damals berechtigt gewesen sein, hatte doch der lange Kampf in Lippe insofern tiefe Wunden geschlagen, als die Bevölkerung stark zusammengeschmolzen, das Ackerland vernachlässigt und vernichtet war x ), so daß es jetzt einer um so größeren Sorgfalt bedurfte und mehr Fleiß und Arbeit forderte. In der Verordnung vom 20. Februar 1680 2 ) wird ausdrücklich auf den Arbeiter- und Gesindemangel hingewiesen und das „außer Landes gehen" bei Strafe von 10 Goldgl. 3 ) verboten. Als 1682 der Landtag darüber klagte, daß die jungen arbeitsfähigen Leute des Landes die üble Gewohnheit hätten, „nach Friesland" zu wandern und im Auslande zu dienen, da wurde ein verschärftes Verbot 4 ) gegen die Abwanderer erlassen, in dem auch zum ersten Male die Ziegelarbeit erwähnt wird. Es heißt darin: „daß auch denjenigen, die sich bisher zu gewisser Zeit des Auslaufens in fremde Länder angemaßt, daselbst der Ziegelarbeit sich zu bedienen, solche ihre bisherige Gewohnheit, und zwar einem jeden bei Strafe von *) S. Stegmann, Die Grafschaft Lippe im 30jährigen Kriege, Mitteilungen III, S. 1—155. 2 ) L. V. Bd. I. S. 487. 3 ) 1 Goldgl. = 3,50 Mk. *) Verordnung vom 6. Februar 1682. L.V. Bd. I., 491. — 58 — 50 Goldgl. 1 ) allen Ernstes verboten werde, auch den starken Bettlern und Müßiggängern zur Warnung andeuten lassen, daß sie ohne Nachsehen beim Kopfe genommen und nachher unserer Hofhaltung geschickt, daselbst in einem angeschlossenen Halsringe bei Wasser und Brot zur Arbeit angestrengt werden sollen". Über diese Verordnung sagt Falkmann 2 ): „Wenn die Regierung in dieser Verordnung neben dem Hauptmotiv ihrer strengen Maßregel, dem Arbeitermangel, zugleich über die Demoralisierung der Ausgewanderten klagt, so hat sie gewiß nicht unrecht. Der Reiz, welchen das Gefühl der unbeschränkten, unbeaufsichtigten Freiheit hatte, führte zu Exzessen und Miß- M 1 bräuchen, um die keine Polizei sich bekümmerte, noch mehr aber tat die Bekanntschaft mit schlechten Sitten des Auslands und dem zügellosen Gesindel, welches aus den aufgelösten Kriegsheeren sich besonders über das westliche Deutschland verbreitete. So mochte denn freilich ein großer Teil derer, welche einfach und unerfahren den reinen Schoß des heimatlichen Dorfs verlassen hatten, in- J fiziert an Körper und Seele in dasselbe zurückkehren. Auch die vielen landesherrlichen Verordnungen der damaligen Zeit, welche dem steigenden Luxus und der zunehmenden Entsittlichung auf dem platten Lande zu steuern beabsichtigten, lassen den allmählichen Einfluß der ausgewanderten Arbeiter leicht erkennen." Wenn die Wanderarbeit derartige nachteilige Folgen mit sich brachte, so waren den klagenden Landwirten damit neue Gründe gegeben, der Abwanderung entgegenzutreten. Doch hören wir eine Reihe von Jahren nichts von neuen Maßnahmen gegen die Frieslandsgänger. *) Vergehen verschiedenster Art wurden in Lippe noch vor nicht gar langer Zeit mit Qoldbußen bestraft, deren jedesmalige Höhe in Goldgulden angegeben wurde. Nach heutiger Reichsmünze bewertete sich ein Goldgulden mit Mk. 3,50, während ein feiner Silbergulden nur mit M. 2,— gleichstand. (Oesterhaus in „Blätter für lippische Heimatkunde". Jg. 1. Nr. 11, S. 88.) 2 ) Vaterl. Bl. Jg. 4, Nr. 6. — 59 — Erst als im Anfange des 18. Jahrhunderts die mehr um sich greifende Abwanderung eine größere polizeiliche Aufsicht erforderte, und zu dem Zwecke das Paßwesen eingeführt wurde, ging man auch gegen die „Müßiggänger und Bettler", die in Holland durch Grasmähen, Torfstechen und Ziegelstreichen Geld für sich und die Ihrigen in der Heimat zu verdienen suchten, durch Einrichtung des Paßzwanges vor. Jeder, der sich ins Ausland begeben wollte, hatte bei dem zuständigen Amt um Ausstellung eines Passes nachzusuchen. In der Verordnung vom 9. März 1711 *) wird die Paßerteilung an die Hollands- und Frieslandsgänger den Ämtern untersagt, diesen hingegen vorgeschrieben, über Person und Ursache der Reise an die Regierungskanzlei zu berichten, die dann selbst die Pässe ausstellen wollte. Man merkt auch, daß die Regierung allmählich nachsichtiger gegen die Wanderarbeiter wurde; ja, sie fing an, sich mehr und mehr für diesen in der Heimat oft erwerbslosen Stand der Bevölkerung zu interessieren, weil sie einsah, daß durch die Arbeit in Holland und Friesland viel Geld ins Land gebracht wurde. Kann es daher verwunderlich erscheinen, wenn in jener Zeit des Merkantilismus, da die irrige Ansicht verbreitet war, der Reichtum eines Landes müsse in Geld bestehen, und der Staat deshalb mit allen Mitteln Geld ins Land zu ziehen suchte, die lippische Regierung sich sogar der Saisonarbeit annahm? Es geschah dies dadurch, daß gewissermaßen ein Agent, Ziegelbote genannt, zur Überwachung der Hollands- und Frieslandsgänger im Jahre 1714 angestellt wurde. Da diese Einrichtung gerade für die lippischen Wanderarbeiter charakteristisch ist und bis in die jüngste Vergangenheit bestanden hat, wollen wir uns damit zusammenhängend in einem besonderen Paragraphen (s. § 15) beschäftigen und die allgemeine Entwicklung der Saisonarbeit in Lippe erst abschließend betrachten. Zwar erfahren wir nirgends etwas über die Zahl der abwandernden Personen; doch dürfen wir wohl aus der ') L. V. Bd. I. S. 774. — 60 — Wichtigkeit der Verordnungen, noch mehr aber aus der Einrichtung des Botendienstes schließen, daß schon damals eine beachtenswerte Anzahl Wanderarbeiter vorhanden gewesen sein muß. Diese Behauptung läßt sich um so eher verfechten, als erwähnt wird, daß bereits am Anfange des 18. Jahrunderts außer Holland und Friesland noch das Herzogtum Bremen und ein großer Teil des Kurfürstentums Hannover manchen Lippern Arbeitsgelegenheit darboten, weil sich hier infolge wachsenden Wohlstandes rege Bautätigkeit entfaltete und daher mit jedem Jahre eine Anzahl neuer Ziegeleien entstand. s Die Ziegelarbeit scheint in jener Zeit überhaupt die wichtigste Beschäftigungsart gewesen zu sein, hören wir doch nichts von irgendwelchen andern Arbeiten; erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts werden auch Grasmäher und Torfstecher erwähnt, die aber sicher schon früher vorgekommen sind. (Vergl. § 13). Wohl erkannte die Regierung die Wichtigkeit der Wanderarbeit, wohl überzeugte sie sich von den finanziellen Vorteilen, die dieser Erwerbszweig für das Land hatte, dennoch aber hörte sie auf die immer wieder auftauchenden Klagen der Landwirte! über Mangel an geeigneten Arbeitskräften und versuchte durch entsprechende Verordnungen die Abwanderung zu hemmen. Eigentliche Verbote sind es jedoch nicht mehr. 1730 legte sie den jungen Leuten ans Herz, sich möglichst im In- lande zu vermieten, gestattete aber, „daß diejenigen, so außer Landes ein Stück Geld zu verdienen vermeinen, und die sich dahin begeben wollen, solches ungehindert tun mögen, jedoch nicht anders, als wenn sie allhier im Lande keine Arbeit haben können". Die Verordnung vom 22. Februar 1734 schärft den Beamten ein, keinen Untertanen ohne Paß auswandern zu lassen und befiehlt den Boten, auf solche Personen acht zu geben. Erst mit der Einführung der Militärpflicht im Jahre 1765 trat wieder eine Verschärfung der Verordnungen für die Wanderarbeiter ein. Nach der Verordnung — 61 — vom 19. Februar 1765*) wurden alle dienstfähigen Untertanen zwischen dem 16. und 28. Lebensjahre in besondere Listen—Mutterrollen—eingetragen und vereidigt. Wer sich verheiraten, eine Stätte antreten oder außer Landes gehen wollte, mußte zuvor um den Militärabschied nachsuchen. Alle, die sich für kurze oder längere Zeit ohne Erlaubnis aus dem Lande entfernten, wurden ihres Erbrechtes für verlustig erklärt. Da diese Maßregel das heimliche Entweichen förderte — viele entwichen aus Furcht vor der Uniform —, so sah sich die Regierung veranlaßt, noch in demselben Jahre (14. Mai 1765) 2 ) diesen „Leichtsinn, Frevel und Übermut" bei Verlust des Vermögens, des kindlichen Anteils und aller Anforderungen zu untersagen. Unter Hinweis auf die bereits erlassenen Verordnungen wurden infolge erneuter Klagen über Mangel an Gesinde am 3. Februar 1778 3 ) zwecks genauester Überwachung und Kontrolle der Wanderarbeiter die Ämter angewiesen, mit Hinzuziehung der Dorfvorsteher eine genaue Untersuchung anzustellen, ob „die jungen Leute von den Kolonaten oder Stätten oder sonst auch ohne Nachteil der Gemeinheit entbehrt werden könnten". Den Wanderarbeitern selbst wurde befohlen, „sich 14 Tage vor ihrer Abreise zur Erhaltung der Erlaubnis und des Passes beim Amt oder Amtsvogt zu melden". Auf Grund dieser Anmeldungen mußten die Ämter alljährlich gleich nach Ostern genaue Verzeichnisse aller „außer Landes Gehenden" an die Regierung einsenden. Erst von da ab ist mit Hilfe dieser Verzeichnisse 4 ) eine Feststellung der Zahl der Wanderarbeiter möglich. Wenn auch die Verzeichnisse keinen Anspruch auf Genauigkeit machen können, und wenn auch das Aktenmaterial hierüber sehr lückenhaft ist — Amt Blomberg fehlt ganz —, so erhalten wir doch dadurch ungefähr ein Bild von der Entwicklung der Wanderarbeit in Lippe. *) L. V. Bd. II. S. 195. 2 ) L. V. Bd. II. S. 204. 3 ) L. V. Bd. II. S. 645. 4 ) R. R. Fach 146, Nr. 1. — 62 — In den Verzeichnissen sind sowohl Ziegler als auch Torfstecher aufgeführt. Die folgende Tabelle zeigt uns die Zahlen in den einzelnen Ämtern und in ihrer Gesamtheit. Zahl der lippischen Wanderarbeiter von 1778—1826. Nach den Verzeichnissen der Ämter. Bezirk i. J.: 1778 1779 1780 1781 1782 1783 1784 1785 1786 1787 1788 Amt Detmold 158 139 95 106 80 140 191 171 197' 210 206 Schötmar 74 21 21 53 29 42 81 73 73 105 78 Oerlinghausen 2 5 3 3 3 10 5 Horn 56 32 33 29 42 44 57 67 77 77 Brake 32 21 17 17 17 17 30 31 28 39 44 Varenholz 70 64 46 50 51 57 67 76 87 77 77 Schwalenberg 7 3 5 5 5 Sternberg 6 9 27 18 25 23 22 399 250 214 259 212 307 446 426 485 546 514 Bezirk i. J.: 1789 1790 1791 1792 1793 1794 1795 1796 1797 1798 1799 mt Detmold 208 209 211 199 236 288 111 125 225 245 299 „ Schötmar 110 110 101 124 148 166 153 120 118 147 183 „ Oerlinghaus en — 3 4 6 5 4 8 8 6 „ Horn 75 73 77 118 103 110 71 81 81 98 116 „ Brake 39 47 56 59 45 45 21 42 . 56 75 100 „ Varenholz 57 64 61 58 122 110 68 8 22 24 53 „ Schieder- Schwalenberg 5 18 25 9 28 24 9 8 4 5 5 „ Sternberg 23 17 21 24 15 8 10 6 6 5 10 517 541 556 597 702 751 443 394 520 607 702 Bezirk i. J.: 1800 1801 1802 1803 1804 1810 1811 19141815 1826 Amt Detmold 261 288 285 305 339 261 337 380 500 537 „ Schötmar 193 203 179 — 135 229 208 249 260 163 „ Oerlinghausen 17 7 17 — 28 16 13 32 26 72 „ Horn _____ 124 — 127 135 93 „ Brake 54 72 71 56 56 32 47 181^180 — „ Varenholz u. Sternberg 66 79 84 — 54 32 99 168 167 100 „ Schwalenberg u. Schi eder 11 20 35 5 7 11 10 21 24 23 602 669 671 366 619 705 714 1158 1292 988 Daß die Tabelle namentlich von 1800 ab so lückenhaft wird, ist darauf zurückzuführen, daß die einzelnen Ämter — 63 — die Listen nicht eingesandt hatten; nur ab und zu, wenn die Regierung die Amtsvorsteher und Magistrate an ihre Pflicht erinnerte, unterzogen sie sich der Mühe, die Verzeichnisse aufzustellen. Es würde zu weit führen, die Ziffern auch noch nach Ortschaften aufzuteilen; doch mögen wenigstens für 2 Jahre jene Orte hier genannt werden, die damals die meisten Wanderarbeiter stellten. Es wanderten ab: im Jahre aus 1778 1790 Heidenoldendorf . . . 27 13 Heiden .... 22 30 Bentrup .... 12 13 Hagen .... 9 24 Schötmar . . . 16 17 Oberwüsten . . . . 15 22 Loßbruch . . . ."' . 9 15 Hohenhausen . . . . 13 20 Kalldorf .... 11 15 13 (1780) 36 Kohlstädt . . . 16 (1780) 13 Auf eine Anregung des Amtes Detmold hin mußte von 1778 ab für die Paßerteilung eine taxmäßige Gebühr von 12 Sgr. gezahlt werden. Diese Einrichtung verfehlte jedoch so sehr ihren Zweck, daß die Vorschrift schon nach wenigen Jahren, 1784, wieder aufgehoben wurde. Da die Leute wußten, daß sie ebenso sicher und bequem ohne, als mit Paß reisten, so begaben sie sich ohne Anzeige außer Landes. Infolgedessen glaubte sich die Regierung zur äußersten Strenge verpflichtet und erklärte viele der Abgewanderten ihres Anerbes für verlustig. Gegen manche wurde die Konfiskation der Brautschätze und der kleinen Barschaften der Einlieger verfügt oder auf Geld- und Gefängnisstrafen erkannt. „Mit Erstaunen sieht man aus solchen Erscheinungen", so schreibt Falkmann, „welch' einen unwiderstehlichen Reiz der rasche Geldgewinn, welchen das Ausland darbot, ausüben mußte, und zwar nicht bloß auf die ärmere Klasse der Bevölkerung, die wohl die Not schon oft verleitet hat, den Gesetzen zu trotzen, sondern auch auf Begüterte und Stättebesitzer". Die stärkere Zunahme der Wanderarbeiter veranlaßte die Regierung, im Jahre 1785 mehrere Ämter zum Bericht über die Ursachen aufzufordern. Hier wurde als Ursache der Mangel an Arbeitsgelegenheit genannt, dort einzig und allein der höhere Verdienst im Auslande. Fast alle Ämter stimmten darin überein, daß zur Klage über Mangel an Arbeitern, selbst während der Ernte, durchaus kein Grund vorhanden sei, wenn die Landwirte nur gute Kost und genügenden Lohn gewähren wollten. Ein Amt berichtete unter Hinweis auf den „Luxus und Wohlstand der Großgrundbesitzer und Ökonomen": „Man kann es der arbeitenden Klasse nicht verdenken, wenn sie außer Landes auf Arbeit geht, denn dort ist der Verdienst sehr hoch, die Großgrundbesitzer wollen trotz ihres Wohlstandes ihren Arbeitern keine Lohnerhöhung gewähren", und in einem andern Bericht werden die Worte Mosers 1 ) zitiert: „Wie stark müssen die Bewegungsgründe dieser Leute sein, wenn sie bei solchem Ungemach Gesundheit und- Leben wagen!" An eine völlige Unterdrückung der Wanderarbeit war nicht mehr zu denken. Die Regierung beschränkte sich daher auf die sorgfältige Überwachung und schärfte nur zuweilen die früheren Verordnungen wieder ein (z. B. 27. Dezember 1791). Auch die Klagen der Bauern über Gesindemangel scheinen vorübergehend verstummt zu sein. Doch von 1797 an regte sich der Unmut der Grundbesitzer aufs neue, und die Folge war, daß auf dem Landtage von 1798 die Wanderarbeit Gegenstand längerer Erörterungen wurde, indem die Stände die Klage über Mangel an brauchbarem Gesinde wiederholten: „Der Grund hiervon", meinten sie, „liegt in dem überhandnehmenden Auswandern und der Sorglosigkeit, womit die Urlaubspässe *) Patriotische Phantasien. — 65 — erteilt werden. Hierzu kommt, daß oftmals und gar mit einem und nur in Kriegsstaaten notwendig seienden Despotismus des Militärchefs die Söhne und Knechte der großen Bauern zum Militärdienst ausgehoben werden, statt welcher ganz füglich Söhne von Heuerlingen eingestellt werden könnten, wenn das Gehen aus dem Lande gehemmt würde". Zu diesem Zweck schlugen sie vor, daß allen Personen unter 24 Jahren die Auswanderung absolut verboten würde. Zwar ging die Regierung nicht sofort hierauf ein, doch forderte sie von sämtlichen Ämtern gutachtlichen Bericht über das Außer-Landes- Gehen 1 ). Mit Hilfe dieser Amtsberichte 2 ) vermögen wir uns ein klares Bild von den Anschauungen jener Zeit zu machen. „Da sich die Mehrzahl nämlich nicht auf die spezielle Frage beschränkte, sondern sich über die ganze Klasse der Einlieger und kleinen Grundbesitzer ausließ, nämlich ihre Stellung zu den Kolonen und großen Grundbesitzern, über ihre Erwerbsquellen, ihre Vorteile und Nachteile, so gewähren sie einen deutlichen Blick in die damaligen Richtungen der politischen und nationalökonomischen Ideen; sie zeigen gewissermaßen den Streit einer pro- gressistischen und einer reaktionären Partei. Gewiß ist es ein erfreuliches Zeichen, daß damals, wo noch so sehr wenig für die arme, aber zahlreiche Klasse der Landbewohner geschehen war, die Mehrzahl der Beamten auf das lebhafteste das Interesse dieser Klasse verteidigte. Aber nicht bloß in der Zahl, sondern mehr noch in der überzeugenden Kraft der Gründe waren ihre Verteidiger im entschiedenen Übergewichte" (Falkmann) 3 ). Nur eine geringe Zahl war für Beschränkung der Wanderarbeit. Amt Oerlinghausen schlug vor, das Außer-Landes- Gehen bis zum zurückgelegten 23. Lebensjahre zu verbieten; in ähnlicher Weise sprach sich das Amt Stern- *) Verfügung vom 11. September 1798. a ) R. R. Fach 146, Nr. 1. Vol. V. 3 ) Falkmann, a. a. O., Vaterl. Blätter. Fleege-Althoff, Wanderarbeiter 5 — 66 — berg aus. Auch Amt Varenholz erklärte sich für „strengste Kontrolle der Auswanderungen", jedoch möge weniger auf das Alter als auf die Entbehrlichkeit gesehen werden. Am weitesten ging Amt Horn. Unter Hinweis auf den „enormen Gewinn", welchen die ausländische Arbeit den dienstfähigen Personen einbringe, und wodurch der Luxus um sich greife wie die Pest, meinte es, daß allen dienstfähigen Leuten bis zum 25. Lebensjahre das Außer-Landes- Gehen gänzlich verboten, oder doch eine „starke Abgabe" — 10 Tlr. — darauf gelegt werden müsse. Alle übrigen Ämter, Detmold, Schötmar, Brake, Schieder, Schwalenberg, äußerten sich in einem für die Wanderarbeiter günstigen Sinne. Indem sie fast alle Klagen über Mangel an Gesinde als unbegründet zurückwiesen, da diese nur auf Selbstsucht, Eigennutz, Neid und Mißgunst der größeren Grundbesitzer, welche die Ein- lieger und Kötter in Armut und steter Unabhängigkeit von sich zu erhalten suchten, beruhten, bezeichneten sie das Hollands- und Frieslandsgehen als einen für das Land im allgemeinen und auch für die Auswanderer selbst höchst nützlichen und wichtigen Erwerbszweig, der bereits zur Notwendigkeit geworden sei. In dem Berichte des Amtes Schieder heißt es: „Der Umgang mit Fremden macht die Leute kultivierter, unbekannte Sachen erregen ihren Forschungsgeist; das Beispiel der Holländer erweckt in ihnen die Liebe zur Reinlichkeit, und der Gewinn muntert sie zur Arbeitsamkeit an." Amt Brake schrieb: „Würde man das Außerlandes- gehen verbieten oder auf irgendeine Art einschränken wollen, so würde das eine sehr voreilige, ungerechte, unpolitische und unausführbare Maßregel sein, und man würde mehr Böses als Gutes stiften." In ähnlichem Sinne äußerten sich Schwalenberg und Schötmar. Genannte Ämter erklärten sich damit gegen alle Beschränkungen der Wanderarbeit. Nur das Amt Detmold hielt es für zweckmäßig, den Söhnen der Voll- und Halbmeier, der Groß- und Mittelkötter das Hollands- und Frieslandsgehen zu untersagen, weil diese Klasse der Bevölkerung später die größeren Kolonate zu verwalten hätte. Für die Ein- lieger, Hoppenplöcker, Klein- und Straßenkötter dagegen dürfte auf keinen Fall eine Einschränkung eintreten. Man hätte annehmen sollen, die ohne jede Parteilichkeit und blinde Leidenschaft aber mit um so größerer Überzeugunskraft abgefaßten Berichte hätten der Regierung genügt, von irgendwelchen einschränkenden Maßregeln abzusehen. Trotzdem kam sie den Vorschlägen der Stände nach und erließ am 30. Oktober 1799*) eine Verordnung, in der allen Untertanen vor erreichtem 20. Lebensjahre bei nachdrücklicher Geld- und Leibesstrafe des Außer-Landes-Gehen auf Arbeit verboten wurde. Erschwerend wirkte besonders noch die Bestimmung über Zahlung des Einliegergeldes und der Kriegssteuer während der Abwesenheit von Ostern bis Michaelis. Wenn auch infolge dieser Verordnung die Wanderarbeit iri einzelnen Ämtern vorübergehend abnahm, so wurde der Hauptzweck, dem vermeintlichen Mangel an Gesinde abzuhelfen, damit doch nicht erreicht. Aber andere Folgen brachte die Verordnung mit sich. Ganz abgesehen von einer Menge von Beschwerden und Petitionen der Untertanen um Dispensation von jenen Bestimmungen, ließen sich jetzt noch mehr der Nichteingetragenen Übertretung der Paßvorschriften zuschulden kommen. Besonders aber nahm das heimliche Entweichen ganz ungewöhnlich zu; bei manchen, weil sie die Paßgebühren sparen wollten, bei den meisten aber, weil sie noch nicht im gesetzlichen Alter standen. Auch diese strenge Verordnung konnte die Zunahme der Wanderarbeit nicht mehr verhindern; vielmehr trat die Wichtigkeit dieses Erwerbszweiges für das Wohl der arbeitenden Bevölkerung und damit des ganzen Landes immer deutlicher an den Tag und gewann, namentlich auch unter den Beamten, eifrige Fürsprecher. Insbesondere war es der Magistrat des Ortes Lage, der, durchdrungen von warmem Gefühl für die) unteren Klassen, *) L.V. IV., S. 209. 5* m — 68 — bei jeder Gelegenheit bemüht war, der Regierung die großen Vorzüge der temporären Abwanderung vor Augen zu. führen. Verschiedentlich schlug er der höchsten Landesbehörde wohltätige Maßregeln zur Regulierung und Verbesserung vor, z. B. Stiftung einer Unterstützungskasse für erkrankte, alte und brotlose Arbeiter. Auch war er es, der schon 1803 die Aufhebung oder Veränderung der Verordnung von 1799 zur Sprache brachte, indem er darauf hinwies, daß die jungen Leute von 15—20 Jahren besonders auf Ziegeleien unentbehrlich wären, und daß daher deren Befreiung von dem Auswanderungsverbot sehr zu wünschen sei. Zwar akzeptierte die Regierung diesen Vorschlag nicht so ohne weiteres, doch wurde die Verordnung von 1799 bald nicht mehr in ihrer ganzen Strenge durchgeführt, und nur zu oft drückte selbst die Regierung bei gesetzwidrigem Verhalten sowohl der Außer-Landes-Gehenden als auch der Beamten ein Auge zu. Namentlich wirkte die Aufhebung des Leib- und Gutseigentums im Jahre 1808 günstig für die Wanderarbeiter. Wenn auch damit noch nicht die völlige Befreiung durchgeführt wurde, so war doch die Gleichheit aller Untertanen vor dem Gesetze proklamiert, und aus den Ketten der Knechtschaft konnte der größte Teil der Bevölkerung allmählich der Freiheit zustreben. § 10. Die Wanderarbeit nach Aufhebung der Leibeigenschaft. Mit der im Jahre 1806 erfolgten Erhebung der Grafschaft Lippe zu einem Fürstentum war zugleich die Souveränität gegeben. Da hierunter die damals regierende Fürstin Pauline nicht nur die völlige rechtliche Unabhängigkeit von einem Lehnsherrn, sondern auch absolute Regierungsgewalt verstand, so entbrannte ein heftiger Kampf mit den Ständen, die ein derartig schrankenloses Regime nicht anerkennen wollten 1 ). Dieser Gegensatz *) Vgl. Huxoll, Versuch, S. 9 ff., S. 40 ff. — 69 — zwischen Landesherrin und Ständen wirkte insofern vorteilhaft auf die Wanderbewegung ein, als die Regierung sich nicht mehr so sehr von den Ständen ins Schlepptau nehmen ließ. Wir hören daher in der Fojgezeit nichts mehr von derartigen Verordnungen, wie sie im Laufe des 18. Jahrhunderts so oft erlassen wurden. Wenn auch die Regierung, um dem fortdauernden Übel des heimlichen Entweichens zu steuern, noch streng an den alten Bestimmungen festhielt, so kamen die früheren Verordnungen, namentlich die gesetzlichen Alterstermine, im allgemeinen bald in Vergessenheit. Als; gesetzlich aufgehoben oder modifiziert sind sie aber jedenfalls seit dem Zirkular vom 11. Januar 1820 zu betrachten, in dem die Erteilung von Pässen zur Arbeit nach Holland und Friesland an alle jungen Leute, die das 17. Lebensjahr zurückgelegt hatten, und zur Arbeit in der Nachbarschaft des Landes an noch andere junge Leute gestattet wurde. Schon einige Jahre vor 1820 war die Zahl der Wanderarbeiter bedeutend gestiegen. 1814 betrug sie 1158 1815 „ „ 1292 1820 werden allein 1000 Ziegler angegeben. 1827 = 1200 1828 = 1300 und 800 Torfgräber. Diese Gruppe der Bevölkerung schien allmählich eine Macht zu werden, mit der die Regierung rechnen mußte. 1836 hören wir daher, daß die ehemaligen Eigenbehörigen zum ersten Male das Wahlrecht für 7 Abgeordnete im Lippischen Landtage erhielten, wo Ritterschaft und Städte auch mit je 7 Stimmen vertreten waren. Der Niedergang der Leinenindustrie mußte notwendigerweise der Wanderarbeit neue Arbeitskräfte zuführen; 1840 wurden daher bereits 2500 Saisonarbeiter genannt, 1842 allein 3348 Ziegler 1843 „ 4826 1844 „ 5969 — 70 — Diese gewaltige Zunahme veranlaßte eine Anzahl lippischer Gutsbesitzer, am 18. Januar 1842*) die Fürstl. Regierung von neuem zu ersuchen, „dem Überhandnehmen der lippischen Abwanderung zu steuern, namentlich den Jünglingen unter 18 Jahren das Außerlandes- gehen gänzlich zu untersagen". Da sie wußten, daß mit den alten, beliebten Gründen, Mangel an Arbeitern, nichts auszurichten war, versuchten sie es jetzt mit andern Mitteln: „Hochfürstliche Regierung wolle die Gefahr, welche in einer zur Leidenschaft gesteigerten Wanderungslust der jungen Mannschaft des Fürstentums für das Gedeihen der Ökonomen liegt, nicht verkennen. Diese Leidenschaft ist es, welche uns die Arbeiter entzieht, nicht ein größerer Gewinn. Nicht schwere Arbeit ist es, die die Wanderungslustigen in unserm Dienst fürchten, aber eine fröhliche Reise und ein ungebundenes Leben zieht sie in die Fremde. Leichtsinn lehrt sie den Wert einer ruhigen Lebensart und gleichmäßigen Arbeit in der Heimat verkennen." Von Vorschlägen, wie die durch den Niedergang der lippischen Leinenindustrie brotlos gewordenen Einlieger usw. beschäftigt werden könnten, hören wir in der „Klagepetition" nichts. Mit Recht wurde deshalb auch das Gesuch abschlägig beschieden mit Hinweis darauf, daß ein Gewerbe nicht auf Kosten anderer begünstigt werden könne, und daß das in der Fremde verdiente Geld dem ganzen Lande und besonders den Landwirten zugute komme. In ähnlicher Weise wurden die fm Jahre 1843 erhobenen Klagen der Landstände zurückgewiesen, indem die Regierung ihnen mitteilte: „In Ansehung der Frieslandsgänger lassen wir es bei den bestehenden Verordnungen bewenden, da uns nicht bekannt ist, daß zu deren Einschränkung eine besondere Veranlassung vorhanden sei." Wir erkennen hieraus, daß die Landesbehörde von der *) R. R. Fach 145, Nr. 13. — 71 — Bedeutung der Wanderarbeit voll und ganz überzeugt war und nicht mehr wie früher in einseitiger Weise den Wünschen der Stände Rechnung trug. In den fünfziger Jahren klagten verschiedentlich die Grundbesitzer darüber, daß sich ihre Dienstboten als Ziegeleiarbeiter anwerben ließen und sich den kontraktlich übernommenen Verpflichtungen durch heimliche Entfernung in das Ausland entzögen. Nachdem mehrere Landwirte eine dementsprechende beschwerende Anzeige erstattet und von der Regierung darüber angestellte Ermittelungen die Richtigkeit der Beschwerden ergeben hatten, wurden sämtliche Ämter und Magistrate des Landes angewiesen 1 ), auf solche Gesetzwidrigkeiten genau zu achten, die betreffenden Personen sofort mit 3—14 Tagen Gefängnis (!) zu bestrafen und nur denen Pässe zu erteilen, die keine die Reise ins Ausland hindernde Verpflichtungen im Lande eingegangen seien. Trotzdem nahmen solche^ Gesetzwidrigkeiten mehr und mehr zu. Im Jahre 1857 reichten daher mehrere Landwirte und einige interessierte Landtagsabgeordnete 2 ) dem Landtage eine Bittschrift ein zwecks „Erlaß einiger gesetzlicher Bestimmungen wegen der Ziegelgänger, namentlich wegen der noch nicht erwachsenen jungen Leute". Die Folge war, daß zunächst die einzelnen Mitglieder der Regierung, sämtliche Ämter und Magistrate des! Landes und auch die Ziegelboten zu gutachtlichen Berichten 8 ) aufgefordert wurden, hauptsächlich über folgende Fragen: 1. Kommt das Ziegelgehen junger Leute häufig vor und wirkt es schädlich auf Gesundheit und Sittlichkeit? 2. Soll den jungen Leuten das Ziegelgehen gesetzlich untersagt werden? 3. Welches Alter ist erforderlich, es ihnen zuzugestehen? *) Zirkular-Verfügung vom 4. November 1856. 3 ) Rhodovi zu Hündersen, Meier Arend, Hagemeister. 3 ) R. R. Fach 145, Nr. 13. Vol. V. — 72 — 4. Welche Löhne werden von den Landwirten bezahlt, und wie hoch belaufen sich die Kosten für den Lebensunterhalt der Tagelöhner, Knechte und Jungen? Die Mehrzahl sprach sich gegen die vom Landtag erhobenen Beschwerden und gegen die Einschränkung der Wanderarbeit aus. Auch die Regierung war derselben Ansicht. Da jedoch besonders hervorgehoben war, daß das Ziegelgehen unerwachsener Leute einen wesentlichen nachteiligen Einfluß auf deren Gesundheit und Sittlichkeit ausübe, so erschien es dem Ministerium „zwecks einer nach allen Seiten eingehenden Beurteilung dieser Sache" wünschenswert, noch die Äußerungen von solchen Personen zu vernehmen, welche „einerseits frei von jeglichen Parteiinteressen, andererseits aber durch ihren Beruf in die Lage versetzt waren, sich aus eigener Wahrnehmung ein Urteil darüber zu bilden, ob das Ziegelgehen für die Sittlichkeit und Gesundheit jugendlicher Arbeiter wirklich derartige Nachteile mit sich führe, welche ein Einschreiten im Wege der Gesetzgebung notwendig erscheinen lasse". Es wurden daher 7 Ärzte und 7 Prediger zu gutachtlichen Berichten aufgefordert 1 ). Nur ein Arzt und 2 Prediger glaubten eine nachteilige Beeinflussung der Gesundheit und Sittlichkeit feststellen zu müssen, alle andern jedoch nicht. Nach reiflicher Prüfung sämtlicher Gutachten ging dem Landtage am 15. Februar 1860 die endgültige Entscheidung des Ministeriums zu 2 ), die wir ihrer Bedeutung wegen hier wörtlich wiedergeben: „Getreue Stände haben in dem untertänigsten Vortrage vom 24. Juni 1857 den Antrag gestellt, daß gesetzliche Maßregeln getroffen würden, wodurch das Gehen der noch nicht erwachsenen jungen Leute auf Ziegelarbeit völlig abgeschnitten würde, und wodurch die Dienstherrschaften gegen das kontraktwidrige Entfernen der Dienstleute aus dem Dienste behufs Gehen auf Ziegelarbeit, und den ihnen wie der ganzen Landwirtschaft dadurch drohenden Nach- *) R. R. Fach 145, N. 13. Vol. VI. 2 ) R. R. Fach 145, Nr. 13. Vol. VI (599). — 73 — teil wirksamer als bisher geschützt würden. Der Antrag ist damit begründet, daß die große Ausdehnung, welche der Betrieb des Ziegelgewerbes im hiesigen Lande gegenwärtig erlangt habe, der Landwirtschaft die erforderlichen Arbeitskräfte entziehe, und daß das Ziegelgehen auf die Sittlichkeit, sowie die Gesundheit der jüngeren Leute nachteilig einwirke. Wir haben diesen wichtigen Gegenstand nach den verschiedenen dabei zu berücksichtigenden Gesichtspunkten der ausführlichen Erörterung und Begutachtung nicht allein durch die Verwaltungs- und Polizeibehörden, sondern, insoweit dabei Sittlichkeit und Gesundheit in Betracht kommen, auch durch verschiedene erfahrene Prediger und Ärzte des Landes unterziehen lassen. Nach reiflicher Prüfung dieser Gutachten und in Übereinstimmung mit der sehr überwiegenden Mehrzahl derselben, können wir es den allgemeinen Interessen des Landes nicht entsprechend erachten, gesetzliche Maßregeln zu treffen, welche eine nicht unerhebliche Einschränkung in dem Betriebe des für einen sehr großen Teil unserer Untertanen so wichtigen Ziegeleigewerbes enthalten würden. Gegen das kontraktwidrige Entweichen der Dienstboten und Einlieger behufs des Ziegelgehens ist — wie zur Erledigung dieses Punktes vorweg bemerkt wird — bereits durch die Verordnung vom 4. November 1856 den Dienstboten ein Schutz gewährt, welcher bei gehöriger Beachtung der Verordnung in der Regel ausreichen wird. Der Betrieb des Ziegelgewerbes überhaupt, namentlich das Gehen der jungen Leute in dem Alter von 14—17 Jahren auf Ziegelarbeit, hat, wie nicht verkannt werden kann, seit einer Reihe von Jahren im hiesigen Lande so zugenommen, daß dadurch Mangel an Arbeitskräften im Lande fühlbar geworden ist. Dieser Mangel gereicht insbesondere dem Betrieb der Landwirtschaft zum Nachteile, und es liegt daher unzweifelhaft eine Verminderung des Ziegelgehens in derem Interesse. Diesem Interesse der Landwirte steht gegenüber dasjenige eines großen und gerade des unbemittelten Teils unserer Untertanen, denen das Ziegelgehen eine lohnende Erwerbsquelle darbietet, welche ihnen im Lande nicht ersetzt werden kann. Wir haben die Pflicht, die Interessen sämtlicher Untertanen zu berücksichtigen und dürfen daher die an sich zulässige Begünstigung eines für das Wohl des Ganzen besonders wichtigen Erwerbszweiges, als welcher im hiesigen Lande die Landwirtschaft unbedenklich bezeichnet werden kann, jedenfalls nicht soweit ausdehnen, daß sie auf Kosten eines anderen Gewerbes geschehe. Dieses würde aber der Fall sein, wenn das Ziegelgehen der jungen Leute aus dem Grunde untersagt würde, damit die Landwirte die nötigen Arbeiter erhielten, ohne daß gleichzeitig durch gesetzliche Normierung des Tagelohns und andere Maßregeln den hier zurückgehaltenen Leuten ein gleich großer Verdienst gesichert würde, als — 74 — ihnen durch das Ziegelgewerbe dargeboten ist. Letzteres ist nicht möglich, und es kann daher das Interesse der Landwirtschaft keinen genügenden Qrund zu der beantragten Einschränkung des Ziegelgehens abgeben. Der Verdienst der Ziegelarbeiter ist übrigens in der neuesten Zeit nicht selten hinter den gehegten Erwartungen sehr zurückgeblieben, andererseits wird durch das neuerdings in den Nachbarländern üblich werdende Ziegelgehen den hiesigen Untertanen größere Konkurrenz gemacht, und es ist daher die Annahme wohl berechtigt, daß die Zahl der Ziegelgänger hier eher ab- als zunehmen und dadurch auch ohne gesetzliche Maßregeln der Arbeitermangel sich vermindern wird. Zur Begründung des ständischen Antrags auf das Verbot des Ziegelgehens unerwachsener Leute ist sodann aber auch der nachteilige Einfluß hervorgehoben, welchen dasselbe auf deren Sittlichkeit und Gesundheit ausüben soll. Wir würden, wenn sich diese Nachteile als besonders erheblich herausstellten, darin allerdings Ver- anlasssung finden, das Gehen der jungen Leute auf Ziegelarbeit zu verbieten, oder doch an Bedingungen zu knüpfen, und haben daher bei der von uns angeordneten Prüfung das Augenmerk besonders auf diese Gesichtspunkte gelenkt. In der großen Mehrzahl der eingegangenen Berichte spricht sich nun die Ansicht aus, daß kein Grund zu der Voraussetzung eines nachteiligen Einflusses auf Sitt-. lichkeit und Gesundheit vorliege, und daß eine derartig nachteilige Einwirkung des Zieglergewerbes auch nicht wahrgenommen sei. Die Sittlichkeit der Ziegler sei wenig gefährdet, da diese den Tag über in reger Tätigkeit gehalten würden, auch auf den meist abgelegenen Ziegeleien zu Ausschweifungen weit weniger Gelegenheit hätten, als wenn sie hier blieben und dienten. Die Arbeit, welche den unerwachsenen Leuten auf den Ziegeleien obliege, erfordere keine übermäßige Anstrengung, sondern nur Raschheit und Behendigkeit und sei wegen ihres hierdurch verursachten gedeihlichen Einflusses auf die Entwicklung der Körperkräfte der gewöhnlichen Beschäftigung dieser Klasse von jüngeren Arbeitern in hiesigem Lande vorzuziehen. Bei diesen Gutachten und Berichten, welche zum größtenteil von Personen erstattet sind, welche durch ihr Amt und ihren Beruf, sowie meistens durch langjährige Erfahrung zur Begutachtung der in Rede stehenden Fragen besonders befähigt sind, können wir nicht annehmen, daß das Ziegelgehen auf die Sittlichkeit und Gesundheit der jüngeren Leute so nachteilig einwirke, daß wir uns hierdurch verpflichtet und berechtigt halten dürfen, diesen das Ziegelgehen zu verbieten. Nach den erstatteten Berichten entgeht eine namhafte Zahl von Familien der völligen Verarmung nur dadurch, daß die heranwachsenden Söhne, sobald sie konfirmiert sind, als Ziegelarbeiter eine verhältnismäßig bedeutende Summe erwerben und an ihre Eltern abliefern. Würde diesen nun das Ziegelgehen untersagt, so würde die Zahl der Unterstützungsbedürftigen vermehrt, und die Gemeinden würden dadurch erheblich mehr belastet werden, als dieses jetzt durch die öffentliche Unterstützung derjenigen geschieht, welche auf Ziegelarbeit verunglücken oder arbeitsunfähig werden. Die — 75 — Nachteile, die das Ziegelgehen im allgemeinen hat, insbesondere die Abwesenheit des Familienoberhauptes während der größeren Hälfte des Jahres, das mitunter wüste Treiben der Ziegelarbeiter während ihres hiesigen Aufenthalts im Winter usw., können aber überhaupt nicht sowohl durch neue Gesetze, als durch die Erziehung, die Seelsorge und die gehörige Handhabung der Polizei beseitigt oder doch vermindert werden." Damit war bereits von der höchsten Behörde frei und unzweideutig ausgesprochen, daß die Wanderarbeit ein für das Land notwendiger Erwerbszweig sei, der durch keine gesetzlichen Bestimmungen eine Einschränkung erleiden dürfe. Nur noch wenige Jahre dauerte es, bis mit der Einführung der Gewerbefreiheit 1869 jede gesetzliche Bevormundung fiel. Wenden wir uns jetzt der Betrachtung der einzelnen Zweige der Wanderarbeit zu. Drittes Kapitel Die einzelnen Zweige der älteren Wanderarbeit § 11. Allgemeines. a) Die lippischen Hollands- und Frieslandsgänger, wie sie in den älteren Verordnungen und Berichten genannt werden, waren nicht durchweg Arbeiter mit gleicher Beschäftigung. Bei weitem der größte Teil zog als Ziegelarbeiter aus, daneben wanderte jedoch eine nicht unerhebliche Zahl als Grasmäher und Torfstecher ab. Geringer an Zahl waren die, welche namentlich nach Amsterdam und in dessen Umgebung gingen, um sich dort als Gesinde, als Gärtner und als Gehilfen in den holländischen Zuckerbäckereien zu vermieten und auch wohl Seereisen nach Ost- und Westindien zu machen. Zwar werden in allen Berichten auch Deicher, Maurer und Walfischfänger erwähnt. Da diese jedoch nur vereinzelt vorkamen, wollen wir sie von unseren Betrachtungen ausschließen und nur auf die zuerst genannten Arten von Arbeitern — Amsterdamgänger, Grasmäher, Torfstecher und Ziegelgänger — unsere Aufmerksamkeit richten. Bevor wir jedoch die einzelnen Zweige für sich genauer betrachten, sei Gemeinsames und grundsätzlich Unterschiedliches hier noch hervorgehoben. b) Zunächst scheint uns hier der geeignete Ort, allgemein etwas über den Namen „Hollands- und Frieslandsgänger" zu sagen. Es ist aus dem Aktenmaterial nirgends ersichtlich, wann für die lippischen Wanderarbeiter diese Bezeichnung aufgekommen ist und welchen Sinn sie eigentlich hatte. Lediglich die vielen Verordnungen geben uns Anhaltspunkte. — 77 — In der ältesten uns bekannt gewordenen Notiz (s. S. 56) aus dem Jahre 1608 ist nur von „Frieslandsgängern" und in den Verordnungen des 17. Jahrhunderts nur von „außer Landes auf Arbeitgehen" die Rede. Erst die Verordnung vom 9. März 1711 enthält die Bezeichnung „Holl- und Friesland-Gänger". Sollten nun damit die beiden niederländischen Provinzen Holland und Friesland je als Arbeitsgebiete gekennzeichnet werden, oder aber meinte man mit Holland die für die Abwandernden in Frage kommenden niederländischen Provinzen in ihrer Gesamtheit, und mit Friesland das deutsche Ostfriesland, wohin nach Tack 1 ) bereits im 16. Jahrhundert ebenfalls Wanderarbeiter aus Westfalen und Niedersachsen zogen, sq daß auch auf lippische Beteiligung geschlossen werden könnte? Ja, die oben erwähnte älteste Notiz, in der nur Frieslandsgänger genannt sind, berechtigt sogar zu der Annahme, daß Ostfriesland das erste Wanderungszielgebiet für lippische Abwanderer gewesen ist. Wenn nun auch die letzte Schlußfolgerung sehr problematisch ist, so geht doch aus den Verordnungen, in denen neben Holland auch Ostfriesland besonders erwähnt ist 2 ), sowie aus der Bezeichnung „ordinärer Ostfries- ländischer und Gröningischer Botte" 8 ) hervor, daß „Hollands- und Frieslandsgänger" die Benennung für Abwanderer in verschiedene holländische Provinzen und nach Ostfriesland war. Später sind dann beide Ausdrücke auf alle Wanderarbeiter angewandt worden, ganz gleich, ob sie noch in jenen Gebieten tätig waren oder nicht. Erst nachdem Holland und Ostfriesland gegenüber anderen Bezirken ganz zurücktraten, schwanden die alten Bezeichnungen mehr und mehr. Wir können deshalb auch Wehrhan 4 ) nicht beipflichten, der noch 1918 jene Ausdrücke für die *) Tack, a. a. 0., S. 13. S. auch Fußnote 7 auf Seite 25. 2 ) Z. B. vom 22. Febr. 1734. 3 ) S. S. 106. *) Lipp. Landeszeitung Nr. 158 v. 14. 6. 1918. — 78 — Wanderarbeiter der Gegenwart glaubt anwenden zu können. Unter Hollands- und Frieslandsgänger hat man demnach die verschiedensten Gruppen lippischer Wanderarbeiter der älteren Zeit ohne Rücksicht auf irgendwelche andere Unterscheidungsmerkmale zu verstehen. c) Wenn wir hier von der Art der Beschäftigung und der Zeit der Abwesenheit von der Heimat zunächst absehen, so sind Unterschiede grundsätzlicher Art in folgendem zu erblicken: Wir hatten bereits bei Aufdeckung der Ursachen wiederholt festgestellt, daß die Wanderarbeiter zum größten Teil aus der ländlichen Bevölkerung hervorgingen. Das gilt sowohl für die Grasmäher und Torfstecher, als auch für die Ziegler. Während nun für jene die Wanderarbeit eine Nebenbeschäftigung in wenigen Monaten des Jahres, das Tagelöhnern, oder auch die Bewirtschaftung des eigenen Grundbesitzes daheim aber den Hauptberuf bildeten, lösten sich die Ziegler mit der Zeit mehr und mehr von landwirtschaftlichen Arbeiten los und wurden Wanderarbeiter im Hauptberuf, der sie den größten Teil des Jahres in der Fremde festhielt. Die kleine eigene oder gepachtete Landwirtschaft wurde von Frau und Kindern in Ordnung gehalten. Wenn Tack*) nun aber wegen dieser Unterscheidungsmerkmale die Ziegler nicht mit zu den Hollandsgängern rechnen will, indem er die Ansicht vertritt, daß der Hollandsgänger Angehöriger der ländlichen Bevölkerung sei, der wirtschaftlich wie sozial zu dem der Landwirtschaft dienenden Teile der Bevölkerung gehöre und der nur zum Nebenerwerb periodisch nach Holland auf Arbeit ziehe, so können wir ihm in dieser engen Abgrenzung nicht folgen. Auch der lippische Ziegler, der in Holland seinem Erwerbe als Hauptberuf nachging, war Hollandsgänger. Zum Torfgraben und Grasmähen gingen hauptsächlich tagelöhnernde Einlieger, Knechte, Kötter und Hoppen- *) A. a. 0., S. 137/139. — 79 — plöcker, die meist kontraktlich zu Dienstleistungen auf Bauernhöfen verpflichtet waren, sowie Bauernsöhne und auch selbständige Klein-, Mittel- und Großbauern. Die Hauptmasse der Ziegler dagegen stellten die übrigen Einlieger und Neuwohner. Eine scharfe Grenze läßt sich jedoch nicht ziehen, da auch andere Einlieger, Kötter und Hoppenplöcker, Klein-, Mittel- und teilweise sogar Großbauern an der Ziegelgängerei beteiligt waren. Zuweilen zogen auch Handwerker, die während des Sommers in der Heimat wenig zu tun hatten, teils als Torfstecher und Grasmäher, teils als Ziegler mit fort. Gerade aber von ihnen hören wir wiederholt in den Akten, daß sie sich vielfach in Holland seßhaft machten (siehe folgenden Paragraph). d) Uber die Arbeitsgebiete der einzelnen Gruppen erfahren wir erst durch die von den Hollandsboten einzureichenden Verzeichnisse und durch die Berichte der Reiseprediger Genaueres. Wir werden in den folgenden Paragraphen darauf einzugehen haben. Die Wanderarbeiter zogen meist in kleineren Trupps, die sich in bestimmten Ortschaften bildeten, je nach der Art der Arbeit, im März-April (Ziegler und Torfgräber) bzw. Ende Mai — Anfang Juni (Grasmäher) fort. Sie schlugen fast stets denselben Reiseweg ein. Von alten Hollandsgängern, bzw. von Personen, die noch ziemlich genau darüber orientiert waren, wurden uns für die Zeit, als noch keine Eisenbahnen nach den Arbeitsgebieten benutzt werden konnten, folgende Marschrouten nach Holland angegeben: Aus den östlichen, nördlichen und westlichen Ämtern Lippes wanderten die Hollandsgänger über Herford, Osnabrück nach Lingen; die in Kohlstädt, Schlangen, Hastenbeck ansässigen marschierten durch 1 die Senne über Gütersloh nach Rheine und von dort weiter über Nordhorn nach Holland hinein, wo besonders Coeverden 1 ) auch für die von Lingen kommenden Wanderer ein wich- 4 ) Tack, a. a. O., S. 150. — 80 — tiger Sammelort gewesen zu sein scheint. Von dort aus verteilten sich dann die Wanderarbeiter strahlenförmig in die verschiedensten holländischen Arbeitsgebiete. Die Reise dauerte je nach der Lage des Abwanderungsortes und Zielgebietes 6—8 Tage, da 230 bis 300 km auf schlechten Wegen und bei oft mißlichem Wetter zurückzulegen waren. Der „Pucken", den die Hollandsgänger mitnahmen, enthielt neben Wäsche und Arbeitsanzug meist auch einen Teil der Lebensmittel für die Zeit der Anwesenheit in Holland, besonders Speck und Schinken, doch auch Erbsen und Bohnen. Je nach der Leistungsfähigkeit des Ab- wanderers und auch wohl nach dem noch in der heimatlichen Wirtschaft vorhandenen Lebensmittelvorrat schwankte das Gewicht des Puckens zwischen 30 und 100 Pfd. Daß eine solche Last nicht dauernd auf dem Rücken des Wanderarbeiters „mitgeschleppt" werden konnte, war selbstverständlich. Häufig wurde deshalb zur Beförderung bereits im Heimatorte, oder aber dort, wo sich die Trupps bildeten, ein Gespann gemietet, das dann nach einer bestimmten Wegestrecke gegen ein anderes vertauscht wurde. Dieser Wechsel wiederholte sich einige Male. Ob auch durch Gespanne der Hollandsboten oder durch extra, dazu bedungene Frachtleute die Pucken lippischer Wanderarbeiter ganz bis zur Arbeitsstätte oder bis Lingen, wo sie auf andere Fuhrleute, wie bei den übrigen nordwestdeutschen Zeitarbeitern, übergingen, gebracht wurden, wie es Tack*) berichtet, konnten wir nicht mehr feststellen. Höchstens könnte die Ziffer 6 der Instruktion für Ziegelboten vom 8. Februar 1842 (S. 111) die Vermutung zulassen, weil dort auch von kleinen Paketen zur Besorgung durch die Boten die Rede ist. Auch nahmen die Nebenboten (s. d.) Pakete mit. Es handelte sich dabei aber um Sonderreisen der Boten während der Arbeitsperiode. *) Tack, a. a. O., S. 153. — 81 — Sobald die Eisenbahnen die Möglichkeit der Beförderung darboten, wurden auch sie von Hollandsgängern benutzt. Aber sowohl von Lingen aus nach Holland hinein, als auch vom Heimatsort bis zur nächsten Station, hat die Fußwanderung bis in die jüngste Zeit gedauert, und noch heute muß ja ein Teil der lippischen Ziegler und Maurer aus entlegenen Ortschaften den Vorratskoffer oder auch den Sack meist mühselig bis zum nächsten Bahnhof bringen. An einen Besuch der Angehörigen in der Heimat während der Arbeitsperiode konnte natürlich in alter Zeit nicht gedacht werden. Der Abschied im Frühling war deshalb um so schmerzlicher, die Wiedersehensfreude im Spätsommer oder Herbst aber auch um so größer. Diese Freude wurde noch erhöht durch das zwar sauer verdiente, aber jetzt in bar vorhandene Geld. Wieder war für manchen dann die Möglichkeit vorhanden, einen Teil des Lohnes dem schon vorhandenen Sparstock zuzufügen, der die schöne Aussicht auf Erwerb eines Grundstückes und schließlich eines eigenen Häuschens eröffnete. — Bei der nun folgenden Betrachtung der einzelnen Gruppen von älteren Wanderarbeitern wollen wir zwei Abschnitte bilden, um die von nur noch geschichtlichem Interesse von den übrigen, die noch heute vorhanden sind, zu trennen. I. Abschnitt: Wanderarbeiter von nur noch geschichtlichem Interesse § 12. Die Amsterdamgänger und Indienfahrer 1 ). Diese Gruppe der Abwanderer gehört eigentlich nicht zu den Wanderarbeitern im engeren Sinne; denn die betreffenden Personen blieben in der Regel mehrere Jahre fort, viele ließen sich auch für immer in Amsterdam nieder, und von manchen wird berichtet, daß sie sich eine *) Aktenmaterial, Fach 146, Nr. 6. Fleege-Althoff, Wanderarbeiter 6 — 82 — dauernde Wohnstätte in niederländischen Kolonien erwarben. Doch verdienen sie deshalb Erwähnung, weil sie meistens aus den Wanderarbeitern hervorgingen, weil viele von ihnen „schnell reich wurden", häufig Geldsummen an ihre Angehörigen schickten und bei ihrem Tode reiche Erbschaften hinterließen. Bis in unsere Zeit hinein sind auf diese Weise häufiger größere Geldbeträge in unser Land gekommen. Vor dem Weltkriege erregte der Nachlaß eines im 18. Jahrhundert ausgewanderten Lippers namens Brand die Aufmerksamkeit und das Interesse weiter Kreise. Das Vermögen soll sich zur Zeit, als der Erblasser in Amsterdam starb, auf 8 Millionen Gulden belaufen haben und wurde 1913 auf 300 Millionen hfl. geschätzt. Immer neue Erben tauchten auf, die sich als Nachkommen jenes reichen Mannes ausgaben, und die mit Bestimmtheit nachzuweisen suchten, daß nur für sie die Millionen in Betracht kämen. Im Oktober 1913 hatte sich ein „Lippischer Verein Brand'scher Erben" gebildet, der mit aller Macht das erforderliche Material zusammenzubringen suchte, um den Identitätsbeweis führen zu können. Die Sache hängt jedoch nach neueren Feststellungen mit einer anderen Erbschaftsangelegenheit zusammen, die bald nach dem Kriege aufgegriffen wurde und noch weitere Wellen schlagen sollte, als die „Brand'sche" Erbschaft. Es handelt sich um die bedeutende Hinterlassenschaft eines Holländers Pieter Teyler van der Hülst, um die sog. „Teyler Stiftung", als deren Haupterbin die 1784 in Haarlem ohne leibliche Erben verstorbene Catharina Olthoff, Nachkomme eines nach Holland ausgewanderten Deutschen, namens Olthoff, in Frage kam. Das Vermögen sollte nach einem älteren Familientestament beim Aussterben der direkten Linie je zur Hälfte an die van der Hulstsche und Olthoffsche Seite fallen. Das scheint nicht geschehen zu sein, da der größte Teil des Vermögens noch heute als Stiftung vorhanden ist und von Direktoren und Exekutoren verwaltet wird. — 83 — Wiederholt haben Interessenten beider Linien im Laufe des 19. Jahrhunderts versucht, die Stiftung, die auf einem falschen Testament beruhen soll, anzufechten, um in den Besitz des Vermögens zu gelangen, und bereits Bismarck hat sich in den 70 er Jahren für die deutschen Erben eingesetzt, jedoch ohne Erfolg. Seit 1921 wird von deutscher Seite die Angelegenheit wieder energisch verfolgt. Ein Verein „van der Hulst- schen und Olthoffscher Erben", dem sehr viele Lipper angehören, will jetzt durch Herbeiführung einer Entscheidung des höchsten Holländischen Gerichtshofes die Sache aus der Welt schaffen. Die Personen der Gruppe von Arbeitern, die uns hier beschäftigen, hatten meist in der Heimat ein Handwerk gelernt, sich dann aus Mangel an Beschäftigung ans Wandern gegeben und waren schließlich in den größeren Städten Hollands für längere Zeit in Dienst getreten oder auch wohl gleich direkt dorthin gewandert. Weil sich die meisten nach Amsterdam wandten, und in den betreffenden Berichten nur diese Stadt als Ziel und Beschäftigungsort angegeben wird, mögen sie kurzweg Amsterdamgänger genannt sein. Über die Zahl erhalten wir nur einmal Auskunft, indem nämlich im Jahre 1800 in einem Verzeichnisse 1 ) 68 Lipper aufgezählt werden. Hier erfahren wir auch zugleich etwas über die Art ihrer Beschäftigung: Zuckerbäcker, Lohgerber, Krämer, Wirt, Kaufmann, Tobakfabrikant, Seifensieder, Knecht, Stadtbediente, Färber, Koch, Baumwollenweber, Schneider, Mattenmacher, Trödler u. a. m. werden dort genannt. Der Reiz fremder Länder und die Möglichkeit zur Erwerbung von Reichtümern lockte viele von den in Amsterdam tätigen Lippern in niederländische Kolonien. Sie wurden kurzweg als Indienfahrer bezeichnet, und ihre Zahl betrug nach einem Verzeichnisse von 1800") allein in Niederländisch-Indien 70. *) R. R. Fach 146, Nr. 6. 2 ) Ebenda, 145, Nr. 6. 6* Die Amsterdamgänger und Indienfahrer hatten weniger die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt, bis im Jahre 1791 allerlei Beschwerden darüber einliefen, „daß hiesige Untertanen, welche sich nach Holland verdingen oder sonst Erbschaften daher bekommen, von allerlei unbegüterten sich zu „holländischen Boten" aufwerfenden Leuten beeinträchtigt werden und in Amsterdam oder in andern holländischen Städten von solchen unwissenden Leuten nicht vertreten werden können" 1 ). Eine genaue Untersuchung ergab, daß tatsächlich 5 Personen, welche in Erder, Lage, Blomberg, Reelkirchen und Brake wohnten, den Verkehr jener Leute in Amsterdam mit. dem Inlande und den Transport ihrer Sachen als eine „Privatspekulation" besorgten. Die Regierung wollte diesen Übelständen durch Anstellung eines erfahrenen und zuverlässigen Mannes als sog. „holländischen Boten" abhelfen und ihm für dieses Amt ein Privilegium exclusivum erteilen. Johann Bernd Hollmann in Lage war bereits dazu ausersehen. Da sich jedoch die Mehrzahl der Ämter gegen ein Privilegium exclusivum erklärte, sah die Regierung hiervon ab. Die 5 bisherigen Boten durften ihre Tätigkeit weiter ausüben, wurden aber nunmehr unter staatliche Autorität gestellt und nach Stellung einer Kaution von 100 Tlr. auf folgende Instruktion verpflichtet 2 ): 1. „Der holländische Bote darf bei nachdrücklicher Strafe nur die mit Pässen versehenen Untertanen mitnehmen. 2. Vor der Abreise hat er ein genaues Verzeichnis der sich bei ihm angegebenen Untertanen ans Amt -einzuliefern. 3. Jeden Untertanen ohne Paß hat er zur Erlangung eines solchen ans Amt zurückzuweisen. 4. Er hat ein Verzeichnis der sich in Amsterdam aufhaltenden und von den nach Ost- und Westindien weiterreisenden Untertanen einzusenden. *) R. R. Fach 145, Nr. 6. -) Ebenda. — 85 — 5. Von jedem Erbnachlasse der unter seiner Obsorge stehenden Untertanen hat er der competenten Obrigkeit nachweisende Anzeige zu tun und dokumentierende Rechenschaft zu geben. 6. Jede ihm anvertraute Bestellung hat er gegen billige Belohnung ehrlich und gewissenhaft auszurichten und sonst alles andere tun und handeln, wie es einem christlichen Boten eignet und gebührt". 1796 wurde noch ein sechster Bote, Junker aus Lage, auf diese Instruktion verpflichtet. Er betrieb das Geschäft schon länger und hatte von seinen Leuten als besonderes Botenabzeichen ein Schild erhalten, das aus Silber verfertigt, mit dem Amsterdamer Wappen, einer Rose, einem Stern, dem Namen Conrad Junker versehen und an sechs silbernen Ketten befestigt war. Außerdem hielt es die Regierung noch für zweckmäßig, in Amsterdam einen lippischen Agenten oder Konsul zu besitzen. Dieses Geschäft übernahm ein in einem angesehenen Amsterdamer Handelshause angestellter Lipper, namens Grotegut aus Brake. Solche wohltätigen Einrichtungen waren für die Lipper in Holland und auch für Lippe selbst von größter Wichtigkeit, bestand doch in der damaligen Zeit ein reger Verkehr zwischen beiden Gebieten. Durch die Boten, die jährlich 2—3mal mit Pferd und Wagen nach Holland zogen, blieben die Ausgewanderten stets mit ihrem Heimatlande in Berührung, so daß größere Geldsummen und Erbschaften leicht den Verwandten zugestellt werden konnten. Der Konsul wiederum vermochte über wichtige, Sach- und Geschäftskenntnis erfordernde Angelegenheiten die erforderliche Auskunft zu erteilen. Mit der Zeit jedoch nahmen die Auswanderungen und Niederlassungen in Holland und holländischen Kolonien ab, ein anderes großes lohnenderes Gebiet — Nordamerika — wurde mehr und mehr das Ziel der Heimatsmüden. Infolgedessen kam auch der „holländische Botendienst" in Abgang. Daß er jedoch noch längere Zeit bestanden hat, dürfen wir aus einem Berichte des Magistrats zu Lage vom 27. März 1829 schließen, wonach es damals noch 3 solcher Boten gab: Anton Junker in Lage, Simon Grotejohann in Erder und Philipp Bartels in Alverdissen, die das Land unter sich in drei Distrikte geteilt hatten. Jeder Bote versah nur in seinem Bezirke den Dienst. Im Sommer machten sie in Gesellschaft 3 Reisen nach Holland. Sie besorgten alsdann die Korrespondenz zwischen Lippe und den sich in Amsterdam aufhaltenden Lippern und trieben nebenbei einen kleinen Handel, indem sie Linnen, Würste, Schinken, Meerschaumpfeifen, Horn- schen Käse usw. mit nach Holland nahmen und von dort Tee, Zucker, Kaffee, Schokolade, Heringe usw. nach Lippe brachten. Später hören wir nichts mehr von solchen Boten. Einmal mochte diese Beschäftigung nicht mehr lohnend sein, gewiß hat aber die Erweiterung, und Ausbildung der Verkehrsmittel, namentlich des Postwesens, den Untergang jenes Instituts herbeigeführt. Unter den nach Holland und den Kolonien dauernd verzogenen Lippern haben es manche zu Wohlstand und Ansehen gebracht, und noch heute wird der verwandtschaftliche Verkehr der Nachkommen mit der Heimat ihrer Ururgroßeltern fortgesetzt. § 13. Die Torfgräber und Grasmäher *). I. Allgemeines zu beiden Gruppen. Daß beide Arten von Arbeitern hier zusammen behandelt werden, hat seine besonderen Gründe. Während nämlich die Hollandsgänger Nordwestdeutschlands, die uns Tack vorzüglich geschildert hat 2 ), meist nur bestimmte Arbeit verrichteten, also Grasmäher nur Grasarbeit und Torfgräber nur Torfarbeit, beschäftigten sich *) Aktenmaterial: R.R. Fach 145, Nr. 5 u. 16, u. K.A. 1860 ff., Fach 110—112. 8 ) Tack, Die Hollandsgänger a. a. O. — 87 — die meisten Lipper mit beiden Arbeiten, weshalb daher auch beide Gruppen in den Akten stets zusammen genannt sind. Doch war dies nicht durchweg die Regel. Da bis in die 80 er Jahre des 19. Jahrhunderts diese Zweige der Wanderarbeit von Lippern ausgeübt wurden, ist es möglich gewesen, noch persönliche Erkundigungen darüber einzuziehen. Hiernach und nach dem Aktenmaterial konnte festgestellt werden, daß wir 5 Untergruppen dieser Art der Wanderarbeit zu unterscheiden haben: 1. Viele begaben sich im Frühjahr zunächst zur Torfarbeit, dann Ende Mai und im Juni—Juli auf kurze Zeit nach Westfriesland, um den friesischen Bauern als Mäher und Heuer zu dienen, und kehrten darauf bis zum Herbst auf den Torfstich zurück. 2. Ein Teil der Arbeiter lag nur der Torfarbeit ob, blieb also den ganzen Sommer hindurch auf derselben Arbeitsstätte. Sehr viele von ihnen waren im Südosten Groningens am Stadskanal beschäftigt. 3. Eine dritte Gruppe wanderte auch zuerst auf Torfstich und darauf zur Grasarbeit, kehrte aber zu Beginn der Ernte in die Heimat zurück. Von ihnen heißt es in einem Berichte des Reisepredigers Lenhartz 1 ), der die Lipper an der Smilde (Provinz Drenthe) besuchen wollte, sie aber nicht mehr vorfand: „Es wird mir gesagt: Die Lippsken jongens bent vertrokken noar Friesland to't maayen." 4. Weiter wird uns von Personen berichtet — allerdings nur wenigen —, die im Mai fortgingen und mit Beginn der heimatlichen Ernte zurückkamen, woraus wir schließen dürfen, daß dies nur Grasarbeiter waren. Sie sind in den Akten noch für das Jahr 1890 feststellbar. 5. Endlich hören wir von solchen Arbeitern, die erst als Grasmäher fortgingen und dann Torfarbeit verrichteten. Die Guppen 3 und 4 wurden hauptsächlich von Bauern- *) K. A., Vol. I, 1860. — 88 — söhnen und kontraktlich gebundenen Tagelöhnern gestellt, welche die Monate April, Mai und Juni, in denen der landwirtschaftliche Betrieb Arbeitskräfte entbehren konnte, dazu benutzten, um sich etwas bares Geld zu verschaffen. Die übrige Zeit des Jahres, von der Ernte bis zum Frühjahr, fanden sie in damaliger Zeit reichliche Arbeitsgelegenheit auf den Bauernhöfen. Zwar wird uns in keinem der alten Berichte und in keiner Verordnung gesagt, welcher Zweig der Wanderarbeit der älteste in Lippe ist, doch dürfen wir wohl aus der Tatsache, daß der lipp. Saisonarbeiter aus der landwirtschaftlichen Bevölkerung hervorgegangen ist, schließen, daß wir Grasarbeiter und Torfgräber als die älteste Gruppe der Abwanderer anzusehen haben, und daß erst mit der Zeit die Ziegler als besondere Art hinzukamen. Auch knüpft ja die lippische Wanderbewegurtg an die im nahen Westfalen an, von wo aus fast nur Gras- und Torfarbeiter abwanderten. Die Zahl der lippischen Gras- und Torfarbeiter im Anfang des 19. Jahrhunderts muß ziemlich beträchtlich gewesen sein, denn noch 1828 erfahren wir, daß 800 Lipper auf den Torfstich und zur Grasarbeit nach Holland Wanderten, und doch wurde schon 2 Jahre vorher von scharfer Konkurrenz und Abnahme dieser Arbeit berichtet 1 ). Die Konkurrenz wirkte überhaupt sehr ungünstig auf die Torf- und Grasarbeit, indem die Löhne herabgedrückt wurden und verschiedentlich viele Lipper um alle Arbeit kamen. Um diesem Übelstande abzuhelfen, erbot sich im Jahre 1826 der Einlieger Hagemeister zu Meiersfeld, schon im Winter mit den holländischen Arbeitgebern Kontrakte abzuschließen und den Verkehr der Arbeiter mit ihrer Heimat zu vermitteln, worauf er von der Regierung als Bote für diese Gruppe von Arbeitern konzessioniert 2 ) und auf folgende Instruktion verpflichtet wurde: ') R. R. Fach 145, Nr. 16. 2 ) Ebenda, Nr. 5. 1. „Der Bote darf nur mit Pässen versehene und sich im gesetzlichen Alter befindliche Untertanen mitnehmen. 2. Für die Unterbringung und Vergütung der Kosten der ersten Reise nach Groningen darf er von jedem nicht mehr als 3 Mrg. *) und für Überbringung der Briefe, für jeden Brief 6 Mrg., sich bezahlen lassen". Weil aber Hagemeister, wie er angab, von diesem Geschäfte nicht leben konnte, legte er nach zwei Jahren seinen Posten nieder. Für ihn wurden gleichzeitig zwei Boten angestellt, die ihr Amt unter dem Namen „Peckel- boten" bis 1844 verwalteten und es dann auch freiwillig aufgaben. Die amtlichen Boten für diese Arten von Wanderarbeitern hören damit auf. Daß aber noch weiterhin der Botendienst versehen wurde, erkennen wir aus einigen Berichten der Reiseprediger. Für 1861 erwähnt Lenhartz die Namen von 3 „Boten für Torfarbeiter" 2 ), von denen der eine für „200 Arbeiter aus dem Lippischen Briefe besorge", und für 1866 weiß auch Meyeringh 5 ) von zweien (dieselben Namen) zu berichten, die pro Brief 5 Sgr. erhielten. Wir dürfen demnach nicht annehmen, daß seit 1844 mit Verschwinden der amtlichen Boten nur noch sehr wenig Lipper mehr zur Gras- und Torfarbeit nach Holland wanderten; vielmehr ist, wie schon angedeutet, das Vorhandensein dieser Wanderarbeiter bis 1890 nachzuweisen, da von 1860 ab amtliches Urkundenmaterial über diese Gruppen von Wanderarbeitern vorliegt. Dieses Material verdanken wir dem Zentralausschuß für innere Mission, durch den die seelsorgerische Pflege unter den deutschen Hollandsgängern seit 1860 organisiert wurde 4 ). Aus den zum Teil recht lehrreichen und um- ') 1 Mrg. — Mariengroschen = 0.10 Mk. -) K. A. Vol. I, 1861. *) K. A. Vol. II, 1866. 4 ) Genaueres im 2. Teil unter Predigtreisen, S. § 39. — 90 — fangreichen Berichten der Reiseprediger vermögen wir uns ein anschauliches Bild von der Arbeit und dem Leben der Torfstecher und Grasmäher zu machen. Insbesondere erfahren wir in einzelnen Berichten und in verschiedenen auf Anregung der Wanderprediger durch behördliche Anordnung (Regierung und Kirchenbehörde) teils von Dorfvorstehern, teils von Pfarrern unter Mitwirkung von Lehrern aufgestellten Verzeichnissen einiges über die ungefähre Menge der Torfarbeiter und Grasmäher, über die wichtigsten lippischen Orte, aus denen sie abwanderten, und über die holländischen Distrikte, in denen sie tätig waren. Im Jahre 1860 *) wurden gezählt: Aus dem Amte Torfgräber Grasmäher Torfgräber zusammen u. Grasmäher 1. Detmold 5 15 20 • 40 2. Horn 42 42 3. Lage 6 6 4. Blomberg 46 46 5. Schwalenberg 75 75 6. Brake 9 15 29 53 7. Hohenhausen 5 5 8. Alverdissen 44 44 9. Varenholz 3 11 14 10. Schötmar 7 23 5 35 Städte: 11. Lemgo 2 2 12. Horn 6 6 21 138 209 368 Während danach die meisten Bezirke beide Gruppen von Wanderarbeitern stellten, waren Amt Schwalenberg, Amt Hohenhausen und Stadt Lemgo nur mit Grasmähern vertreten. Es gingen, um einige Orte zu nennen, in diesem Jahre z. B. fort aus Haustenbeck: 15 Grasmäher, 3 Torfstecher und 17 Torfstecher und Grasmäher, Schlangen: 23 Torfstecher und Grasmäher, Brakelsiek: 20 Grasmäher, ') K. A. Vol. I. 1860. — 91 — Unterwüsten: 15 Grasmäher, Bega: 14 Torfgräber und Grasmäher, Großenmarpe und Hagendonop: je 12 Grasmäher, Elbrinxen: 11 Grasmäher, Schwelentrup: 10 Grasmäher und Torfstecher. Smend 1 ) berichtet für 1861 von 70 lippischen Torfgräbern am Smilde-Kanal aus Schlangen und Hastenbeck. Nach Meyeringhs Bericht 2 ) waren 1866 an der Smilde 36 Lipper aus Kohlstädt, Schlangen und Hastenbeck als Torfgräber tätig; er weist darauf hin, daß dort vor 12 Jahren noch allein 100 Haustenbecker gearbeitet hätten. Für 1865 werden allein 400 und für 1866 sogar 500 Grasmäher aus Lippe (Ämter Blomberg, Detmold, Lage) genannt s ). In den amtlichen Verzeichnissen, die von den einzelnen Ortsvertretungen jährlich der Regierung einzureichen waren, die aber recht oberflächlich angefertigt zu sein scheinen, werden für 1867: 141 Torfstecher und Grasmäher angeführt *); daran waren beteiligt: Amt Blomberg . . mit 25 „ Brake . . . „ 28 „ Hohenhausen . „ 2 „ Schieder . . „ 8 „ Schötmar . . „ 19 „ Schwalenberg „ 30 „ Sternberg . . „ 27 Stadt Horn . . . ,, 2 *) K. A. Vol. I, 1861. 5 ) K. A. Vol. III, 1866. 3 ) K. A. Vol. III, 1895, Vol. IV, 1865. In den gleichen Berichten (Reiseprediger Meyeringh) sind als Grasmäher anderer Staatsangehörigkeit angegeben: 1865 1866 1. Hannover .......... 720 2. Münster-Paderborner Land .... 500 3. Oldenburg .......... 200 4. Kurhessen .......... 20 5. Holzmindener Gegend...... — 1230 600 400 30 20 Zus. mit Lippern 1840 *) R. R. Fach 145, Nr. 16. 2780 — 92 — Die Zahlen sind bestimmt unvollständig, was schon daraus zu schließen ist, daß namentlich die Ämter Detmold und Horn, die aus den Orten Haustenbeck und Schlangen immer noch ein beträchtliches Kontingent Torfstecher und Grasmäher stellten, in den Verzeichnissen fehlen. Auch die auf Grund kirchenbehördlicher Verfügungen *) von den Pastoren zu erstattenden Berichte und aufzustellenden Verzeichnisse enthalten nur wenig Zahlenmaterial über Torfarbeiter und Grasmäher. Die Ziegler standen so sehr im Vordergrunde des Interesses, daß scheinbar die anderen Gruppen von Wanderarbeitern vernachlässigt wurden. Die Verzeichnisse für 1872 enthalten 2 ): aus Torfgräber Torfgräber Grasmäher u. Grasmäher Hohenhausen 4 Brake ... 1 Haustenbeck 10 Talle ... 6 Lüdenhausen 2 Bellenberg . 2 Schlangen . 18 Bega ... 9 Meinberg. . 3 Silixen. . . 2 Lieme ... 3 Wöbbel . . 1 6 1 zusammen: 68 In den folgenden Jahren muß die Zahl wieder größer gewesen sein; denn sowohl in den jährlichen Berichten der Reiseprediger als auch in den Mitteilungen des Zentralausschusses für innere Mission ist auf die bedeutende Steigerung der Torfstecher und Grasarbeiter unter Angabe des Grundes: „Stockung der gewerblichen Verhältnisse in Deutschland" hingewiesen. Dabei wird wieder- *) 11. 3. 1872, Regierungsblatt Nr. 32; 9. 3. 74, Regierungsblatt Nr. 60. 2 ) K. A., Vol. V, 1872. Für 1873 heißt es auch in v. d. Goltz „Lage der ländlichen Arbeiter", S. 295: „Einzelne Arbeiter gehen 1 Monat Grasmähen nach Ostfriesland (Ämter Oerlinghausen und Schötmar)". — 93 — holt betont, daß die „Lipper" unter den Hauptgruppen besonders stark vertreten seien ')• Zahlen sind jedoch nirgends mehr anzutreffen. Von 1878 ab ist eine schnell fallende Tendenz, zunächst für Torfarbeiter — die Mitteilungen sprechen von „minder zahlreicher Gruppe" —, dann aber auch für Grasmäher feststellbar. Mit dem Jahre 1885 hört auch die Angabe von lippischen Torfgräbern (s. S. 100), mit dem Jahre 1890 die von Grasmähern auf. Während demnach anzunehmen ist, daß seit dieser Zeit keine lippischen Zeitarbeiter auch zum Grasmähen mehr abwanderten, fand noch im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts aus Nordwestdeutschland eine temporäre Abwanderung in größerem Maßstabe statt: 1902 waren nach Tack 2 ) am Hollandgang beteiligt: die Ämter Weener, Wittmund, Leer und Norden in Ostfriesland mit ca. 300—350, ferner vom Emsland die Ämter Aschendorf, Bentheim mit ca. 200 und die Grafschaft Diepholz mit ca. 20. Nach eingezogenen Erkundigungen hatte bereits 1913 auch in den genannten Gebieten der Hollandgang aufgehört 3 ). II. Die Torfarbeiter. Am mühevollsten und schwersten war die Beschäftigung der Torfarbeiter. Drei öde, unbebaute, unausge- nutzt daliegende Torflagergebiete waren es in der Hauptsache, die im 19. Jahrhundert von deutschen Zeitarbeitern für die holländischen Besitzer ausgebeutet und in ertragreiches Kulturland umgewandelt wurden: 1. Die „Dedemsvaart", ein Kanal, von Osten — Grams- bergen an der Vechte — nach Westen — bis Hasselt am „Zwarte Water" — verlaufend, der in einer Länge von 6—8 Std. in der Provinz Over-Yssel während der 20er 1 ) K. A. Vol. V, 1871—1880. 2 ) Tack, a. a. O., S. 123 ff. 3 ) Nach den dem Verfasser übermittelten Berichten der Land- ratsämter jener Gebiete. _ 94 — Jahre des 19. Jahrhunderts von einem Baron van Dedem in damals öder und menschenleerer Torfgegend angelegt war. Lipper waren dort nach den Berichten in den 60er Jahren nicht mehr tätig 1 ). Jedoch führt die Denkschrift des Zentralausschusses für innere Mission 2 ) unter Berufung auf Lenhartz ausdrücklich das „Große Moor" an der Dedemsvaart in Ober-Yssel als Arbeitsgebiet der Lipper an. 2. Der „Stads-Kanal" 8 ) an der Grenze der Provinz Groningen und Drenthe, in fast süd-nördlicher bzw. Südost-nordwestlicher Richtung verlaufend, etwa 10 Stunden lang, von der Stadt Groningen angelegt, die aus dem Schleusenzoll beträchtliche Einnahmen erzielte. Dieses weit ausgedehnte Gebiet gleich jenseits der deutschen Grenze war ein Hauptarbeitsfeld für Lipper. 3. Der „Smilde-Kanal", der nördlichste, etwa 3 Std. lange Teil des „Hauptkanals" zwischen Meppel und Assen, in der Provinz Drenthe. Dieser Distrikt, der als unfreundlich geschildert wird, besonders die Gegend des Ortes Smilde, scheint eine Domäne für Arbeiter aus dem Süden Lippes (Schlangen, Haustenbeck, Kohlstädt) gewesen zu sein 4 ). Das „Heerenveen" in Friesland und das „Moor bei Assen" in Drenthe, beides Gebiete, die in obiger Denkschrift als Torfdistrikte für Lipper genannt sind, haben wir in den Berichten der Reiseprediger nicht angeführt gefunden 5 ). Eine gute Beschreibung über die Einteilungeines Torfdistrikts gibt Fiensch in seinem Bericht für 1865 6 ). Wir lassen sie hier wörtlich folgen: *) K.A. Vol. I, 1861 (Bericht Smend). a ) K.A. Vol. I., Nr. 61. a ) K. A. Vol. III, 1865 (Bericht Fiensch-Valdorf). *) Nach versch. Berichten, K.A. Vol. I—V. 6 ) Auch in den übrigen von Tack (S. 162) angeführten holländischen Provinzen Nord- und Südholland scheinen keine Lipper tätig gewesen zu sein; jedenfalls sind sie in den Akten nicht erwähnt. ') K. A. Vol. III. — 95 — „Vom Stadskanal gehen in gewissen, nicht zu kleinen Entfernungen (K— % Stunde) rechtwinklig große Seitenkanäle ab, diep oder mond genannt (mond heißt dann abgeleitet auch der ganze Torfdistrikt, der zu beiden Seiten einer solchen mond liegt). Ein solcher großer Seitenkanal bildet nun mit dem auf seinen beiden Ufern liegenden Gebiet (etwa */* Stunde weit nach jeder Seite) einen Torfdistrikt, mond genannt. Um den Torf von den Arbeitsplätzen bequem fortschaffen zu können, sind kleine Seitengräben (Weichen) wieder rechtwinklig vom Seitenkanal in das Land hineingegraben, die also mit dem Stadskanal parallel laufen, aber nur etwa 1 jt Stunde bis 25 Minuten lang sind. Zwischen zwei solchen Seitengräben liegt nun ein länglich viereckiges Stück Land, einige hundert Fuß breit, von drei Seiten (vorn von der diep, an den Seiten von den beiden Seitengräben) von Wasser umgeben. Jedes solches viereckige Stück Land hat 2 Arbeitsplätze (plaats) an jedem der beiden ihn rechts und links begrenzenden Seitengräben entlang. Jeder plaats hat seine Nummer und 2 ploegs (oder Arbeiterstationen), einen mehr vorn nach der diep zu am Eingange der Weiche und einen mehr am Ende der Weiche. Nach jedem dieser aus 2 plaats bestehenden, mit je 2 ploegs besetzten viereckigen Stücken Land führt über die diep in der Mitte des Platzes eine Drehbrücke; über die Seitengräben oder Weichen führt gar keine Brücke, so daß man oft einen ploeg auf dem folgenden, nur durch einen schmalen Seitengraben getrennten plaats anwenden kann, und doch muß man noch den weiten Umweg (oft Vi —Stunde) machen, um oben um das Ende des Seitengrabens herum und an dem gegenüberliegenden Ufer derselben entlang zu diesem ploeg zu gelangen. So ist die Einrichtung von fast allen monds, nur die Buiner mond macht eine Ausnahme, indem sie nicht einen, sondern zwei dieps hat, eine Norderdiep und eine Zuiderdiep." Die Tätigkeit in den Torfmooren geschah*) in verschiedener Weise, je nachdem es sich um die sog. „lagen" oder „hoogen veenen" 2 ) handelte. In jenen wurde der Torf gebaggert, geschöpft, in diesen gegraben. Der „Baggerer" oder „Trecker" benutzte einen an einem eisernen Bügel befestigten Beutel oder einen Eimer, dessen obere Ränder geschärft waren und dessen Boden aus grobem Drell bestand. Damit hob er die schlammige Torfmasse aus der Torfgrube heraus und goß sie entweder auf den besonders geebneten Erdboden oder in einen Kasten, wo der „Löscher" den Brei mit einem forkenartigen Instrument oder durch Schlagen mit Dreschflegeln und Knütteln durcharbeitete und dann mit vier- x ) Nach Tack a. a. O. S. 163. 2 ) Niedrige oder hohe Torfmoore. — 96 — eckigen unter die Füße geschnallten Brettern glatt trat. Die ausgetrocknete Masse wurde darauf in Stücke zerschnitten, auseinandergebrochen, in Haufen geschichtet und der Sonne und dem Winde zum weiteren Trocknen ausgesetzt. Der Torfgräber oder -Stecher stach mit einem Spaten die Törfe in Stücken von regelmäßiger Ziegelform ab, die dann ein zweiter Arbeiter (Handlanger) mit der „Kaar- zettersvork", einer Harke mit vier kurzen gebogenen Zähnen, auf einen bereitstehenden Schubkarren warf und sie zum Trockenplatz fuhr. Wurde der Torf gebaggert (am Stadskanal), so arbeiteten die Torfarbeiter in sog. „ploegen" (Pflügen), die aus 5—8 Mann bestanden, von denen jeder seine bestimmte Tätigkeit im Rahmen der Produktion ausübte. Bei der Torfgräberei (am Smildekanal) arbeiteten 2—3 Mann, ein sog. „Spann", zusammen. Die Arbeit in den Torfmooren, die mit der Morgendämmerung begann und oft bis zum Aufgange der Sterne andauerte, stellte an die betreffenden Personen in körperlicher Hinsicht große Anforderungen. War die Arbeit schon an und für sich sehr schwer, so kam noch hinzu, daß sie unter freiem Himmel geschah, so daß die Arbeiter jeder Unbill der Witterung preisgegeben waren. Sehr oft standen sie bis an die Kniee im Wasser, und mancher, der gesund auszog, brachte den Keim zu körperlichen Gebrechen in die Heimat zurück. Der Arbeitslohn war völlig von der Willkür der Arbeitgeber abhängig. Diese hatten untereinander abgemacht, daß über Arbeitslöhne nicht vorbedungen werde. Im Laufe der Arbeitsperiode vereinbarten sie unter sich den Betrag, den sie für das betreffende Jahr pro Tagewerk vergüten wollten; was der eine zahlte, gab auch der andere. Akkord wurde mit den Arbeitern nur ganz selten abgeschlossen. Die Arbeit nahm ihren Anfang, ohne daß ein Mann wußte, was ihm dafür bezahlt würde. Etwa in der Mitte der Arbeitszeit wurde eine Abschlagszahlung gewährt; den Rest erhielten die Arbeiter, wenn die Arbeit aufhörte, und erst jetzt erfuhren sie, für wieviel Groschen sie sich „abgequält und abgeschunden, abgeschwitzt und abgefroren" hatten 1 ). Infolge der einseitigen, willkürlichen Festsetzung des Arbeitslohnes war dieser sehr gering. Tack stellt nach den Berichten der verschiedensten Ämter folgende Berechnungen auf 2 ): Durchschnittlicher! Ertrag einer 14wöchigen Arbeitsperiode: Verdienst Unkosten Uberschuß 1. Hälfte d. 18. Jahrh. 35—40 Tlr. 20 Tlr. 15—20 Tlr. 2. „ „ 18. „ 52 „ 36 „ 16 „ um 1800 ...... — — 40 „ 1811—1812 ..... — — 20—25 „ 1820........ — — 15—20 „ 1850—1860 ...... 60 „ 25—30 „ 30—35 „ Crede erwähnt in seinem Berichte für Graber als Verdienst im Jahre 1863: 25 Stüber 3 ) pro Tagewerk 1864: 22 1865: 28 „ „ „ Ähnliche Zahlen nennt Meyeringh für 1866 *). Danach würde ein Torfgräber unter Berücksichtigung einer Tagesleistung von VA Tagewerk — nach Crede und Meyeringh die Höchstleistung von morgens Mä4 bis abends y%9 Uhr — in 14 Wochen verdient haben: 1863: etwa 70 Tlr. 1864: „ 63 „ 1865: „ 80 „ 1866: „ 80 „ Durch die Schlechtigkeit der Arbeitgeber (falsche Berechnung) und durch das schon damals bestehende Trucksystem 6 ) wurden die Arbeiter sehr oft betrogen. Wegen ihrer großen Abhängigkeit waren sie gegen die Mißstände machtlos, und nur durch einmütige Arbeitsniederlegung *) Nach dem Berichte Credes, R.R. Fach 145, Nr. 16. ') Tack, S. 166—167. 3 ) 22 Stüber = 18 Sgr. 30 Sgr. = 1 Tlr. *) K. A. Vol. III, 1866. 5 ) Häufige Verpflichtung, sämtliche Lebensmittel vom Veenbaas zu beziehen, der sie hoch berechnete und vom Lohn abzog (Bericht Meyeringh 1865). Fleege-Althof f, Wanderarbeiter 7 — 98 — gleich am Anfange der Arbeitsperiode vermochten sie einen Druck auf die Arbeitgeber auszuüben, so daß diese sich genötigt sahen, wie z. B. 1865, eine Lohnerhöhung zu bewilligen 1 ). Jämmerlich waren die Wohnungsverhältnisse.. Hören wir, wie ein Reiseprediger eine der Torfarbeiterhütten am Stadskanal beschreibt 2 ): „Jeder ploeg hat eine Hütte, bestehend aus 2 Giebelwänden und 2 niedrigen etwa 2 Fuß hohen Seitenmauern, auf welchen dann die Dachsparren des mit Ziegeln gedeckten, bis zu einer Höhe von etwa 10 Fuß emporsteigenden Daches liegen. Die Tür geht durch die eine der Giebelwände; an der der Türseite gegenüberliegenden Giebelwand ist der Herd angebracht, darüber hängt die zum Aufhängen des Kessels etc. bestimmte Kette mit Haken, darüber ein kleiner Schornstein aus Brettern oder auch Mauersteinen. Auf einer der beiden Seiten, rechts oder links an der Tür, befindet sich das Lager. 4 Pfähle sind in die Erde geschlagen; durch etwa 2 Fuß hoch angenagelte Bretter ensteht ein großer Kasten, etwa 12 Fuß breit und 6 Fuß lang. Dieser Raum ist mit Stroh ausgefüllt, darüber liegen ein paar alte Decken, die mitgebrachten Bündel sind die Kopfkissen, eine große gemeinsame Decke ist das Deckbett, das aber gewöhnlich nicht hinreicht zur Abwehr der Kälte, bei kalten Nächten so wenig schützt, daß oft des Nachts Feuer in der Hütte angemacht werden muß, um nur die Glieder zu wärmen. Mit Recht konnte den Torfbauern ins Gesicht geschleudert werden, die Leute lägen dort schlechter als das Vieh. < Auf der dieser Lagerstätte gegenüberliegenden Seite steht ein Tisch, eine Bank, 2 Stühle, an der Erde liegt ein Haufen Kartoffeln, ein Sack mit Bohnen, auf der Mauer und den Dachsparren liegen Brot, Eier, Butter, Näpfe, Löffel etc., an den Dachsparren selbst hängen Schinken, Speck, auch wohl Wurst, teils von der Heimat mitgebracht, teils von den Bauern in Holland gekauft. In der Ecke neben der Tür ist dann gewöhnlich ein Faß Bier zu finden, da das Wasser, ohne gekocht zu sein, ungenießbar ist." In dem Bericht Smend 8 ) heißt es für 1861: „Die Hütte — Tente genannt — war 8 Quadratfuß groß, durchsichtig in Dach und Wänden, voll Rauch, mit einem Lager von Stroh, auf der Erde ausgebreitet, das dem müden Arbeiter die notwendige Erquickung zu bieten nicht imstande war und mich zur Teilnahme bewegte". *) Tack, S. 158. 2 ) K. A. Vol. III, 1865, Nr. 185. 3 ) K. A. Vol. I, 1861. — 99 — Und endlich berichtet Crede 1 ) im Jahre 1864: „Wohl hatten sie notdürftige Kopfkissen, nicht aber sonstige Bettstücke, nicht einmal Mäntel. Sie zogen am Abend alle Kleidungsstücke an, die sie besaßen, steckten die Füße und Beine in alte Kaffeesäcke und bedeckten sich, vielleicht auf vorjährigem Stroh liegend, mit zerrissenen linnenen Tüchern". Solche Schilderungen ähnlicher Art über die Unterkunftsräume und Lebensverhältnisse dieser bedauernswürdigen Gruppe lippischer Zeitarbeiter wiederholen sich in fast allen Berichten der Reiseprediger, so daß man noch heute beim Lesen dieser als Anklage wirkenden Schilderungen tief vom Mitleid ergriffen wird, zugleich aber auch den Mut und die Energie bewundert, womit bei so jämmerlichen Lebensverhältnissen für verhältnismäßig geringen Lohn die Torfstecher in stiller Ergebenheit und ohne Murren und Klagen ihre schwere Arbeit verrichteten. Verschärft wurde die Lage der Torfarbeiter noch durch die geradezu niederträchtige Behandlung durch die holländischen Arbeitgeber. „Sie kümmern sich", so schreibt Smend, „um die Arbeiter durchaus nicht, sondern behandeln sie wie Sklaven. Von wenigen rühmlichen Ausnahmen abgesehen, stand manchen der „Bäse" und „Unterbäse" mit so deutlichen Zügen die kälteste Konsequenz und der krasse Materialismus auf den Angesichtern geschrieben, daß sie Sklavenaufsehern nicht allzu unähnlich sahen". Von einer Änderung dieser Behandlungsart durch den Einfluß der Reiseprediger hören wir, im Gegensatz zu den Berichten über die Grasmäher, nichts. Doch sei auch hier besonders das Bestreben der Prediger hervorgehoben, die Lage der Arbeiter nach Möglichkeit zu bessern und namentlich auch in Krankheitsfällen fürsorgend einzugreifen. Als Beispiel hierfür sei erwähnt, daß auf Anregung des Reisepredigers Kuhlo für die Torfgräber am *) K. A. Vol. I, 1864. — 100 — Stadskanal im Jahre 1863 *) eine Krankenkasse gegründet wurde — Crede nennt sie „Stadskanaltorfgräber- krankenkassenverein" —, nachdem vorher bereits von Lenhartz in Nieuw-Buinen ein Krankenzimmer eingerichtet war, in dem die Kranken von einem besonderen Krankenpfleger betreut wurden. Die Mitglieder des Vereins, im Durchschnitt etwa 200, zahlten als Beitrag 8 Sgr. 4 Pf. und erhielten dafür freie Behandlung im Krankenhaus; auch wurden etwaige Beerdigungskosten durch den Verein bezahlt 3 ). Zum letzten Mal ist von lippischen Torfstechern für das Jahr 1885 in den Konsistorialakten die Rede 3 ). Der Reisepastor Ites berichtete, daß am Stadskanal keine Lipper mehr als Torfstecher tätig wären, da die betreffenden Moore bis auf einen kleinen Rest, der von der zunehmenden ansässigen Bevölkerung allein bewältigt werden könne, ausgetorft seien. Ob in den anderen Torfmoordistrikten noch weiterhin lippische Abwanderer arbeiteten, konnte nicht mehr festgestellt werden. Es ist jedoch nicht anzunehmen, da sie in keinem der folgenden Reisepredigerberichte mehr Erwähnung finden, und die Zahl bereits für 1882 als verschwindend klein angegeben wird. Wir dürfen daher etwa das Jahr 1884 als das Sterbejahr für die lippischen Torfgräber als Wanderarbeiter ansehen. III. Die Grasmäher. Etwas sonniger sieht das Bild aus, das wir von der Grasarbeit erhalten. Zwar war die Tätigkeit, das Mähen des hohen, dickstämmigen Grases, auch schwer und anstrengend, zumal sie im Akkord geschah und die Arbeiter infolgedessen in kurzer Zeit möglichst viel zu leisten versuchten; doch war sie nicht direkt gesundheitsschädlich. Die Arbeitsgebiete der lippischen Grasmäher *) K. A. Vol. II, 1863. *) S. auch bei Tack, a. a. O., S. 177. *) K. A. Vol. VI, 1885. — 101 — lagen in den grasreichen, weiten Ebenen der Provinz Friesland, wo besonders die Orte Lüburg, Balster, Neu- huisum, Blauhausen, Stobern, Langenmodt und Lemmer nach den Berichten 1 ) als Standorte in Frage kamen, und auch in der Provinz Drenthe 2 ). Meyeringh erwähnt") für 1865 und 1866 besonders im westlichen Teile von Friesland das Viereck zwischen Harlingen, Leeuwarden, Heerenveen und Sneek. Diese Art der Wanderarbeit war nur von kurzer Dauer; denn bei einigermaßen gutem Wetter währte die Heuernte nur 5—7 Wochen 4 ); Ende Mai oder Anfang Juni verließen die Personen, die nur auf Grasarbeit abwanderten, die Heimat, um Ende Juli — Jacobi — zur Getreideernte zurückzukehren, so daß die ganze Periode, einschließlich Hin- und Rückreise, 7—9 Wochen umfaßte. Die Arbeit wurde in der Weise ausgeführt, daß 4—6 möglichst gleich leistungsfähige Mäher gemeinsam im Gleichtakt, den der Schlagmann (erster Mäher) angab, mit der Sense arbeiteten. Das Trocknen des Grases besorgten besondere Heuer oder auch wohl die Mäher, nachdem das Gras niedergelegt war. Unterkommen gewährte den Grasarbeitern der Arbeitgeber in seiner Scheune 6 ), wo aus altem Stroh eine primitive Lagerstätte hergerichtet wurde. Auch die Kost wurde zum Teil vom Bauern geliefert, besonders Kaffee und Milch; Brot, Butter und Speck stellten die Arbeiter in der Regel selbst. Uber dieHöhedesVerdienstes besitzen wir erst seit der Mitte des 18. Jahrunderts Angaben. Nach den auf Grund archivalischer Akten angestellten Berechnungen Täcks 6 ) betrug das Einkommen der Grasarbeiter: *) K. A. Vol. I, 1861, Nr. 19 u. 39, Vol. V, 1874. 2 ) K. A. Vol. V, 1872. 3 ) K. A. Vol. III, 1865 u. IV. 1866. *) Tack, S. 157. 5 ) Ebenda, S. 159. *) Ebenda, S. 160/61. Jahr Verdienst 16—17 Tlr. 30 Tlr. 26 Tlr. Unkosten Überschuß 1767 1800 1810 1820 11 Tlr. 10 Tlr. 10 Tlr. 5—6 Tlr. 20 Tlr. 16 Tlr. 10 Tlr. In den 50er Jahren des 19. Jahrunderts brachten die Grasmäher 18—20 Tlr. und in den Jahren 1867, 1868, 1869 durchschnittlich 25 Tlr. heim 1 ). Es war erklärlich, daß bei einem Bauern Personen zusammenarbeiteten, die in der Heimat aus demselben Dorfe stammten und häufig sogar miteinander verwandt waren. Wenn die Zeit der Ernte herankam, gab der Bauer in Friesland einem seiner Arbeiter brieflich Nachricht, der dann leicht und schnell die übrigen verständigen und mit ihnen Tag und Stunde der Abreise festsetzen konnte 2 ). Die von Tack erwähnten friesischen Arbeitsmärkte für Grasarbeiter scheinen von Lippern zur Andingung nicht benutzt worden zu sein; denn in den Akten sind sie nie erwähnt, und den vor einigen Jahren noch lebenden Hollandsgängern waren sie auch nicht bekannt. Auch die Behandlung der Grasarbeiter scheint etwas freundlicher gewesen zu sein als die der Torfstecher, obwohl in einem Berichte 3 ) der Reiseprediger auch von früherer „Behandlung wie das Vieh" die Rede ist. Doch hören wir in anderen Darstellungen nichts wesentlich Nachteiliges, wenngleich auch dort zuweilen auf den Gegensatz zwischen „früher und jetzt" und auf die Änderung seit Einrichtung der Predigtreisen hingewiesen wird. Torfarbeiter und Grasmäher wurden von den Niederländern nur wegen der privat- und volkswirtschaftlichen Vorteile begehrt, und so war es erklärlich, daß man ihren Fleiß, ihre Ausdauer, Zuverlässigkeit, Genügsamkeit und Nüchternheit*) besonders rühmte. *) Nach dem mündlichen Berichte eines alten Hollandgängers und nach K. A. Vol. III, 1865 u. 1866. 2 ) Ebenfalls. 3 ) Jahresbericht des Zentralausschusses f. i. Mission 1883/84, S. 22. 4 ) Tack, S. 178 u. Bericht Meyeringh, K. A. Vol. III, 1866. — 103 — In sozialer Hinsicht jedoch waren diese deutschen Zeitarbeiter auch noch während der Predigtreisen allgemein sehr gering geachtet, wovon die verschiedenen Bezeichnungen, die zum Teil Schimpfnamen — „duitsche muffs", „poepen" — darstellten, Zeugnis ablegten 1 ). Aber Bescheidenheit, Treue, Aufrichtigkeit, Freundlichkeit und Ehrlichkeit konnten ihnen die Niederländer nicht absprechen 2 ), und diese Eigenschaften, in Verbindung mit den schon oben erwähnten Vorzügen, haben schließlich die Oberhand gewonnen und, wie Tack meint, zur Anerkennung völliger Gleichberechtigung 3 ) geführt. II. Abschnitt: Die Ziegelgängerei 4 ) Gehören die bisher besprochenen Zeitarbeiter der Vergangenheit an, so haben wir uns jetzt mit dem wichtigsten Zweige der lippischen Wanderarbeit zu beschäftigen, dem Zweige, der noch heute eine beachtenswerte Stellung innerhalb des lippischen Wirtschaftslebens einnimmt: Der Ziegelgängerei. § 14. Geschichtliches zur Ziegelsteinherstellung. Die Herstellung von Ziegeln ist geschichtlich zurückzuverfolgen bis in die Urzeit der Menschheit, wissen wir doch aus den Berichten der Bibel, daß bald nach der Sündflut die Menschen diese Tätigkeit schon kannten. „Wohlauf, lasset uns Ziegel streichen und brennen," riefen sie in dem Gedanken, einen Turm zu Babel zu bauen (1. Moses 11, 3), und der Verfasser des 2. Buches Mosi berichtet in Kap. 1, 14 sowohl als auch Kap. 5, 7, 8, 16 und 18, daß die Ägypter die Israeliten zum Ziegelstreichen als Fronarbeiter zwangen. *) Tack, S. 173 ff. 2 ) R. R. Fach 145, Nr. 16. 3 ) Tack, S. 175. 4 ) Vgl. zu diesem Abschnitt Vaterl. Blätter, Jahrg. IV, 1846, und Lipp. Magazin, Jahrg. I, 1835. Das übrige Material stammt aus den Akten des Lipp. Haus- und Landesarchivs, Fach 145, worauf hier generell statt vieler Einzelfußnoten verwiesen wird. — 104 Wenn whvnach dem Grunde fragen, weshalb schon damals in Ägypten und Mesopotamien die Ziegelsteinherstellung bekannt war, so lautet die Antwort: Es war der Mangel an natürlichen Baustoffen und der Reichtum der Flußtäler an Ton, wodurch die Menschen zu dieser Tätigkeit veranlaßt wurden. Gewiß wird auch bis zum „Ziegelstreichen und -brennen" eine lange Zeit verflossen sein; wahrscheinlich gingen diesen immerhin schon etwas Geschicklichkeit erfordernden Arbeiten zur Herstellung bestimmter Steinformen primitivere Methoden vorher, und erst in allmählicher, vielleicht jahrhunderte- oder auch jahrtausendelanger Entwicklung hatte sich die Art des Formgebens herausgebildet. Die vielen alten ägyptischen und babylonischen Riesenbauwerke legen noch heute Zeugnis ab von einem hohen Grade der Vollkommenheit damaliger Ziegelsteinherstellung. . Auch Griechen und Römer kannten diese Kunst, die sich dann von Italien aus über Gallien, Deutschland und die übrigen nordeuropäischen Staaten verbreitete, besonders zur Zeit der Hansa in Blüte stand, um dann zunächst durch das Vordringen des Renaissancestils fast ganz zu verschwinden. Erst etwa vom 16. Jahrhundert ab scheint dann namentlich in den steinarmen, aber tonreichen Gebieten, so namentlich in Holland, wie wir sahen, die Ziegelsteinherstellung wieder zugenommen zu haben, um dann in neuester Zeit mit der Erfindung des Ringofens und der maschinellen Ziegelpressen sowie den Fortschritten der chemischen Technologie zum unentbehrlichen Faktor unserer Wirtschaft sich auszuweiten. Auch in Lippe ist die Kunst des Ziegelstreichens verhältnismäßig jüngeren Datums. Das erkennen wir einmal an den alten Gebäuden, die entweder aus Kalksteinen oder Fachwerk mit Lehmwänden hergestellt sind. Dann aber ist uns eine Urkunde aus dem Jahre 1524 überliefert, aus der wir schließen dürfen, daß damals noch kein Lipper mit der Tätigkeit des Ziegelstreichens vertraut war. Als nämlich Graf Simon V. zur Lippe um jene Zeit mit — 105 — dem Bau des Residenzschlosses zu Detmold begann, wandte er sich mit der Bitte an den Abt des Klosters in Falkenhagen, dieser möge ihm einen des „Ziegelstreichens kundigen Mann" verschaffen. Der Abt erfüllte den Wunsch und sandte ihm den Ordensbruder Jan Kerle, Ziegelmeister des Klosters, nach Detmold, der nach der Urkunde „den Dienern Simons das Ziegelwerk" lehren sollte 1 )- Die Ziegelarbeit muß sich ziemlich rasch -in Lippe eingebürgert haben, erfahren wir .doch aus einzelnen alten Aktenstücken, daß bald an verschiedenen Orten der Grafschaft Ziegeleien entstanden 5 ). Die Beziehungen mit den Niederlanden und gewiß auch die Berichte der heimkehrenden Gras- und Torfarbeiter, vielleicht auch die direkte Aufforderung des Lehrmeisters, werden die Veranlassung zum Abwandern lippischer Ziegler nach niederländischen Ziegeleien zu lohnender Beschäftigung gegeben haben. ' Zum ersteh Male erwähnt wird das Ziegelgehen in einer Verordnung vom 6. Februar 1682, in der es unter anderem heißt: „wobei wir auch denjenigen, welche sich bisher zu gewisser Zeit des Auslaufens in fremde Länder angemaßt, daselbst der Ziegelarbeit sich zu bedienen, solche ihre bisherige Gewohnheit, und zwar einem jeden bei Strafe 50 Goldfl. alles Ernstes verbieten". §15. Das Botenwesen. I. Die Hauptboten 3 ). Schon um 1680 müssen verhältnismäßig viel Ziegler abgewandert sein, hatte doch eine intelligente Person aus der speziellen Überwachung und Arbeitsvermittlung der Ziegler einen besonderen Erwerbsposten ge-- schaffen, dessen Ertrag zur Bestreitung des Lebensunterhaltes ausreichte. Durch häufige Reisen hatte dieser *) Vgl. Hunecke, Liliental und Falkenhagen, S. 26, und Falkmann- Preuß, Regesten, Bd. 4, S. 343, Nr. 3117. a ) Falkmann, Beiträge IV, S. 215. 3 ) Akten: R. R., Fach 145, Nr. 1, 3, 8, 11, 15. — 106 — Mann eine genaue Kenntnis jener Gegenden gewonnen, wo die meisten Lipper arbeiteten, so daß es ihm möglich war, seinen Landsleuten Arbeitsgelegenheit zu beschaffen. Als sog. „Friesländischer Botte" begleitete er die Lipper zu ihrem Beschäftigungsorte, vermittelte auch den Verkehr mit den Familien daheim und nahm sich der Unerfahrenen mit Rat und Tat an, alles Bemühungen, für die er von den Arbeitern reichlich belohnt wurde. Um jegliche Konkurrenz abzuwenden, bat er 1714 die Regierung um ein Privileg dieses Botendienstes, das ihm als „ordinärer Ost- friesländisch-Grönningischer Botte" mit der Weisung erteilt wurde, „daß er niemanden, der nicht von der Kanzlei einen Paß erhalten, mitnehmen solle, sich der mitnehmenden jungen Kerle gebührend annehme und ihnen zur sicheren Überkunft bei den Vorfallenheiten Assistenz leiste". Der so entstandene Ziegelbotendienst hängt eng mit der Entwicklung des lippischen Zieglergewerbes zusammen und verdient, weil er für Lippe charakteristisch ist und bis in die neueste Zeit ausgeübt wurde, einer etwas eingehenderen Betrachtung. Während des ganzen 18. Jahrhunderts blieb das Botenprivileg in der Familie Eckensträter 1 ), es vererbte sich gewissermaßen vom Vater auf den Sohn. Allerdings versuchten verschiedentlich Rivalen durch allerhand Intrigen dem Eckensträter sein Amt streitig zu machen. Wenn dies auch nicht gelang, so war doch die Folge, daß von 1737 an für das Privileg jährlich 270 Tlr. praenumerando an die Landkasse zu entrichten waren, ein Zeichen, daß der Botendienst einen reichen Gewinn abwarf. Sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer zahlten dem Boten Vermittlungsgebühren, die gewiß nicht unbedeutend waren, obwohli Eckensträter versicherte, nur „einige willkürliche Groschen" von den Leuten für die Engagements und die Uberbringung der Briefe zu erhalten. Gerade hierin lag aber auch der große Mißstand des Botenprivilegs, das tatsächlich eine Art Vermittlungs- *) R. R. Fach 145, Nr. 1, Vol. I. — 107 — monopol darstellte. Hören wir, was ein Zeitgenosse und genauer Kenner der damaligen Verhältnisse über Ecken- sträter berichtet 1 ): „Er ist schlau genug, von den Frieslandgängern nichts Genaues zu fordern, er überläßt die Bestimmung der Belohnung deren freien Willen, und dem ungeachtet sind jene der Willkür des Boten gänzlich überlassen. Er ist unumschränkter Beherrscher der Frieslandgänger und müßte nicht Mensch sein, wenn er nicht demjenigen die vorteilhafteste Arbeit zuteilte, von dem er am meisten belohnt wird. Er schließt die Kontrakte mit den Herren der Ziegelwerke im Auslände^ von ihm allein hängt die Verteilung der Arbeit ab, er kann gute oder schlechte Arbeit zuweisen, wobei viel oder wenig verdient wird. Die Winke des Boten sind Befehle. Hieraus kann man sich denn auch leicht erklären, warum keine Klagen über den Boten geführt wurden. Und ebenso sind die Eigentümer der Ziegelwerke der Diskretion des Boten gänzlich überlassen. Sie müssen ihn ansehnlich beschenken. Er ist in deren Augen der einzige Mann, von dem sie hinreichende und gute Arbeiter erhalten". In demselben Berichte wird der Ertrag des Botendienstes mit 2250 Tlr. jährlich angegeben. Doch wird an anderer Stelle diese Summe als zu niedrig berechnet unter Hinweis darauf, daß der Bote noch zwei Unterboten im Dienste habe und selbst mit Viergespann fahre. Genannter Bericht war es neben einer Anzeige des Magistrats Lage, wodurch die Regierung auf dieUbelstände des Eckensträterschen Monopols aufmerksam wurde und zu einer neuen Untersuchung der dem Boten zur Last gelegten Treibereien schritt. In dem Kampfe, der sich jetzt entspann, zeigten sich bald unüberwindliche Schwierigkeiten, dem Eckensträter seine Habgier und Willkür nachzuweisen; die einzig möglichen Zeugen, die Ziegelarbeiter, wagten nicht, gegen einen Mann aufzutreten, von dem ihr ganzes Schicksal *) Bericht Erp-Brockhausens vom 15. März 1800. — 108 — abhing, äußerte sich doch in dieser Beziehung ein Arbeiter: „Eckensträter ist unser Gott". Die Mehrzahl der Ziegler stand auf des Boten Seite, und sogar unter den Beamten des Landes hatte Eckensträter Freunde und Fürsprecher. Da man ihm sein Privileg nicht nehmen konnte^ suchte man seine Einnahmequelle durch Einrichtung einer zweiten Ziegelbotenstelle einzudämmen. Im November 1801 wurde dem vom Magistrat Lage vorgeschlagenen Chr. Reuter das Amt eines zweiten^Boten übertragen, und zwar für die im Eckensträterschen Privileg nicht ausdrücklich genannten Gebiete Oldenburg, Delmenhorst, Lingen, Bremen und Holstein'). Es konnte nicht ausbleiben, daß sich der Ärger Ecken- sträters jetzt in Haß gegen Reuter kundtat. Er wiegelte Arbeiter und Arbeitgeber gegen Reuter auf, erreichte zunächst, daß 21 Ziegeleien des Reuterschen Bezirks von Reuter abfielen, und hätte seinem Konkurrenten gewiß noch manche Schwierigkeiten bereitet, wenn nicht sein plötzlicher Tod, am 18. Oktober 1802, seinem verderblichen Treiben ein rasches Ende bereitet hätte. Alle Hindernisse waren dadurch jedoch nicht beseitigt. Die zahlreichen Freunde und Verwandten Eckensträters setzten jetzt das Intrigenspiel gegen Reuter fort, indem sie im Laufe weniger Wochen viele Petitionen und Beschwerden an die Regierung schickten. Allein diese erkannte den Zweck und ließ sich nicht täuschen. Sie stellte den Collon Grabbe für Friesland und Holland und Reuter für die übrigen Provinzen als ausschließliche Ziegelboten an 2 ). Beide wurden auf ihr Amt vereidigt, nachdem sie sich eine Kaution von 1500 Tlr. zu zahlen verpflichtet hatten und gemeinschaftlich nach dem Verhältnis der Arbeiter eine jährliche Abgabe von 200 Tlr. an den Generalarmenfond entrichten wollten. Auch wurden jetzt Taxen zur Bezahlung der Boten festgesetzt. *) R. R. Fach 145, Nr. 1, Vol. I. 2 ) Dekret vom 8. Januar 1803. — 109 — Es hatten zu zahlen: Brandmeister und Former ...... 2 Tlr. u. 18 Slbgr. Strecker, Walker, Aufstecher, Karrmann . 1 Tlr. u. 12 Slbgr. Möller.............. 18—24 Slbgr. Große und kleine Jungen....... 6—12 Slbgr. Um die drohende Opposition der Arbeiter niederzuschlagen und den wohltätigen Zweck des Botendienstes nicht illusorisch zu machen, wurde allen Behörden bekanntgemacht, daß die Arbeiter sich künftighin ausschließlich unter der Autorität der Ziegelboten zu verdingen hätten.' Zwar stieß diese strenge Bestimmung auf Schwierigkeiten, da sie in eine langjährige Gewohnheit, wonach jeder Ziegler sich frei verdingen konnte, eingriff, doch war sie unter den damaligen Verhältnissen gewiß angebracht. Diese scharfe Verordnung mag das Mißtrauen gegen die Boten noch verstärkt haben. Im ersten Jahre liefen fortwährend Beschwerden, besonders über Reuter, bei der Regierung ein, und andererseits beklagte sich Reuter sehr oft über ordnungswidrige Eingriffe der Brandmeister und Former in seinen Geschäftskreis. Die gerichtliche Unterbuchung endigte gewöhnlich damit, daß ein Vergleich zustande kam und die Angeklagten die dem Boten rechtlich zustehenden Gebühren nachträglich entrichten mußten. Der andere Bote, dessen Rechtschaffenheit und strenge Unparteilichkeit besonders gerühmt wurde, hatte sich bald die Liebe und das Zutrauen seiner Arbeiter erworben. Außer diesen beiden konzessionierten Boten fungierte noch ein dritter, Namens Berke, der als ein äußerst fähiger und gewandter Mann galt und tiaher den andern erhebliche Konkurrenz machte. Diesem Übelstande wurde abgeholfen, als der 2. Bote, Grabbe, 1809 starb und die so erledigte Zicgelbotenstelle dem eben genannten wilden Boten übertragen wurde 1 ). Von da ab scheinen ruhige Zustände eingetreten zu sein, jedenfalls hört man *) R. R. Fach 145, Nr. 1, Vol. II u. Nr. 3, Vol. I. — 110 — in der Folgezeit nur vereinzelt von Zwistigkeiten und Beschwerden. Beide Boten haben nach den vorliegenden Berichten ihr gewiß nicht leichtes Amt mit großem Fleiß und Eifer und zur Zufriedenheit der Ziegelarbeiter lange Jahre verwaltet. Als Berke 1838 starb, folgte ihm der nicht minder tüchtige Leutnant Pothmann, welcher sich vorher durch Begleitung der Boten die notwendige Sachkenntnis erworben hatte. Seines hohen Alters wegen legte Reuter sein Amt 1841 nieder, nachdem schon von 1829 ab sein Sohn ihn in seinem Geschäft unterstützt hatte. Ende der dreißiger und Anfang der vierziger Jahre hatte sich der Reutersche Bezirk so vergrößert, daß er von einem Boten nicht mehr zu übersehen war. Es wurde deshalb eine Teilung des Distrikts vorgenommen. Der westliche Teil mit etwa 160 Ziegeleien, nämlich Oldenburg, das sog. Münsterland und der größte Teil des Königreichs Hannover, wurde dem Sohne Reuters zugeteilt; aus dem östlichen Teile mit etwa 120 Ziegeleien, die an der Elbe und Oste lagen und wozu auch alle östlich der Elbe gelegenen Gebiete gehörten, bildete man einen besonderen Distrikt und übertrug den Botendienst dem Oberkontrolleur Pape 1 ). Bei der Wichtigkeit, die der Botendienst allmählich für das Ziegeleigewerbe erlangt hatte, hielt es die Regierung für zweckmäßig, die Rechte und Pflichten der Boten in einer besonderen Instruktion festzulegen, die am 8. Februar 1842 veröffentlicht wurde und folgenden Wortlaut hatte: „1. Der Ziegelbote N. N. muß sich angelegen sein lassen, das Wohl der auf Ziegelarbeit ins Ausland gehenden Untertanen auf alle Weise zu befördern. Vor allem wird ihm ein ordentlicher, gesitteter und durchaus rechtschaffener Lebenswandel zur Pflicht gemacht, damit er sich das Vertrauen der Ziegelarbeiter erwerbe und ihnen mit einem guten Beispiel vorangehe. 2. Die Ziegelarbeiter sind schuldig, sich bei dem betreffenden Ziegelboten zu melden, welcher sie, ohne die mindeste Begünstigung ') R.R. Fach 145, Nr. 1, Vol. III. — 111 — des einen vor dem anderen, einen jeden nach seiner Fähigkeit und Geschicklichkeit anzustellen, auch für ihren Verdienst und Vorteil nach besten Kräften zu sorgen hat. 3. Der Ziegelbote darf nur solche Untertanen, welche mit obrigkeitlichen Pässen versehen sind, anstellen, und hat er die in betr. des Ziegeleigewerbes erlassenen und noch zu erlassenden Gesetze genau zu beachten. 4. Derselbe hat seinen Distrikt zweimal im Jahre zu bereisen; das eine Mal im Winter, das andere Mal im Sommer. 5. Die Winterreise bezweckt eine vorläufige Verabredung mit den Ziegelherren über die Zahl der Arbeiter, den Arbeitslohn und die sonstigen Bedingungen, wobei das Interesse der Ziegelarbeiter bestens zu wahren ist. 6. Auf der Sommerreise besorgt der Ziegelbote die Briefe, Gelder und kleinen Pakete, welche ihm von den Ziegelarbeitern und ihren hiesigen Angehörigen zur Besorgung übergeben werden. Bei etwaigen Differenzen, welche unter den Ziegelarbeitern selbst oder zwischen ihnen und dem Ziegelherrn ausgebrochen sein möchten, sucht er diese zu vermitteln oder gütlich beizulegen. Er wird überall, wo es nötig ist, den Ziegelarbeitern mit Rat und Tat beistehen und insbesondere den Erkrankten seine Fürsorge zuwenden. Er hat im allgemeinen nach besten Kräften dahin zu wirken, daß die Ziegelarbeiter während ihres Aufenthaltes im Auslande einen gesitteten, untadelhaften Lebenswandel führen. Diejenigen, welche von der rechten Bahn abweichen, hat er zeitig zu erinnern und zu warnen, nötigenfalls aber ihre Entlassung aus der Arbeit zu befördern. Insbesondere wird er seine Aufmerksamkeit auf den Gesundheitszustand richten und dahin sehen, daß die Arbeiter sich gesunder Wohnungen und gesunder Nahrung zu erfreuen haben, und sich zu keinen Verrichtungen gebrauchen lassen, welche die Gesundheit zu untergraben drohen. 7. Der Ziegelbote muß jährlich, und zwar vor dem 1. Mai, ein namentliches Verzeichnis der angestellten Ziegelarbeiter bei der Regierung einreichen. Außerdem muß er im Herbst jeden Jahres über den Gang des Gewerbes, Verdienst, Gesundheitszustand der Arbeiter usw. der Regierung ausführlichen Bericht erstatten. 8. Es bleibt zwar den Ziegelmeistern unbenommen, unmittelbar mit den Ziegelherren die Contracte abzuschließen und die nötigen Arbeiter anzudingen; jedoch haben sie davon dem Ziegelboten Anzeige zu erstatten, auch ihm auf Verlangen die Contracte vorzulegen und jedenfalls die taxmäßigen Gebühren zu entrichten. Es bleibt ihnen aber bei nachdrücklicher Strafe untersagt, für andere Ziegeleien Arbeiter anzuwerben und wohl gar Contracte darüber abzuschließen. 9. Der Ziegelbote hat tunlichst dahin zu wirken, daß der Betrieb der Ziegeleien für gemeinschaftliche Rechnung und nicht — wie in neuerer Zeit häufig zu geschehen pflegt — von den Ziegelmeistern für alleinige Rechnung dergestalt übernommen werde, daß sie die übrigen Arbeiter für einen bestimmten Lohn andingen. — 112 — 10. In Ansehung der dem Ziegelboten zu entrichtenden Gebühr verbleibt es bei der hergebrachten Taxe und zahlen darnach: a) der Brandmeister und Former jeder 2 Rthl. bis 2 Rthl. 18 Mgr., b) der Strecker, Walker, Aufstecher und Karrenmann jeder 1 Rthl. bis 1 Rthlr. 12 Mgr., c) der Möller 18 Mgr. bis 24 Mgr., d) der große Junge 12 Mgr., e) der kleine Junge 6 Mgr. Auf denjenigen Ziegeleien jedoch, wo bloß Mauersteine verfertigt werden, zahlen, wie dies bisher schon üblich war, der Meister 2 Rthlr. bis 2 Rthlr. 18 Mgr., der Former und der Möller jeder 1 Rthlr., die übrigen Arbeiter aber bis auf den großen und kleinen Jungen, in Ansehung welcher es bei den obigen Sätzen verbleibt, jeder 21 Mgr. Ziegelarbeiter, welche infolge von Krankheiten oder anderer Unglücksfälle wenig oder gar keinen Verdienst haben, sind von der Zahlung der Gebühren frei. Übrigens haften die Ziegelmeister für den richtigen Abtrag. Haben sie den Betrieb der Ziegelei für alleinige Rechnung übernommen, so liegt ihnen die Entrichtung der Gebühren für das gesamte Personal ob. 11. Die Erweiterung und Abänderung dieser Instruktion bleibt nach Befinden der Umstände vorbehalten. Der Ziegelbote N. N. hat die getreue Erfüllung seiner Obliegenheiten eidlich anzugeloben und dafür eine Caution von 1500 Rhtlr. zu bestellen." Diese Instruktion zeigt uns, wie die Regierung bestrebt war, für das Wohl der Ziegler zu sorgen, ihnen zu helfen und sie zu schützen. Das Amt eines Ziegelboten scheint damals ein recht ertragreiches und begehrliches gewesen zu sein. Nicht weniger als 25 Bewerber traten nach Erledigung der Botenstelle durch den Tod des Sohnes Reuters am 8. Februar 1847 an die Regierung heran, darunter befanden sich Kaufleute, Bürgermeister, Tierärzte, Doktoren, Assessoren usw.; selbst der alte 85jährige Reuter reichte noch einmal ein Gesuch ein. Nach langen Beratungen übertrug die Regierung das Amt dem bisherigen Steuer- amtsrendanten Goedecke, nachdem sich dieser zur Zahlung eines jährlichen Gnadenfonds von 150 Tlr. an den alten Reuter verpflichtet hatte 1 ). *) R. R. Fach 145, Nr. 1, Vol. III. — 113 — Eine wesentliche Änderung im Botendienst trat 1851 mit Einführung des Zieglergewerbegesetzes *) insofern ein, als von da ab der Bote von den Zieglern, die das 25. Lebensjahr erreicht hatten und als unbescholten galten, durch Stimmenmehrheit gewählt wurde. Hatte jedoch keiner der Bewerber die Hälfte der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigt, so stand der Regierung die Wahl unter den drei Bewerbern frei, auf welche die meisten Stimmen • gefallen waren (§ 13 des Gesetzes). Die einzelnen Botendistrikte wurden in dem Gesetz besonders aufgeführt: Bezirk I. Das Königreich der Niederlande, die Herrschaft Jever und Ostfriesland, sowie ein Teil des Regierungsbezirks Münster. Bezirk II. Sämtliche Provinzen des Königreichs Hannover, mit Ausnahme von Ostfriesland und der Gegend an der Elbe und der Oste, das Herzogtum Braunschweig, das Großherzogtum Oldenburg und der andere Teil des Regierungsbezirks Münster. Bezirk III. Die Gegend an der Elbe und Oste, das Gebiet der Stadt Hamburg, die Herzogtümer Schleswig, Holstein, Lauenburg, Dänemark, das Königreich Sachsen, die preußische Provinz Sachsen und die sächsischen Herzogtümer. In allen andern Gebieten herrschte freie Konkurrenz. Schon 1847 war Pape krankheitshalber an der Ausübung seines Dienstes gehindert. Anfangs besorgte sein Sohn für ihn die Geschäfte, bis von 1850 ab der Rentmeister Schütz, zunächst stellvertretend, das Amt übernahm und am 21. Januar 1852 als Agent für den 3. Bezirk von der überwiegenden Mehrzahl der Ziegler gewählt wurde 2 ). Auch für den 2. Bezirk mußte noch im gleichen Jahre " *) S. § 18. 2 ) R. R. Fach 145, Nr. 1, Vol. V. Fleege - Althoff, Wanderarbeiter 8 — 114 — eine Neuwahl des Agenten stattfinden, da Goedecke durch Geisteskrankheit arbeitsunfähig geworden war. Zunächst verwaltete der von verschiedenen Zieglern vorgeschlagene Bürgermeister Schuster aus Lage provisorisch das Botenamt, bis man ihn am 15. Dezember 1852 zum Agenten wählte 1 ). Da Schuster mit den Goedeckschen Erben abrechnen mußte, stellte er eine genaue Berechnung der Einnahmen und- Ausgaben auf, die sich in den Akten vorfindet und aus der wir uns in etwa ein Bild von dem Verdienst der Ziegelboten machen können 2 ): Einnahmen : 1. von Ziegelarbeitern . . 1369 Tlr. 7 Sgr. 6 Tg. 2. von Ziegelherren . . . 292 „ 7 , 3. von Restanten . . . 17 20 , 1679. 4. 6. A u s g aben : 1. Reisespesen für 98 Tage 419 Tlr. 21 Sgr. 6 Tg. 2. Porto, Fuhrlohn etc. . 23 „ 20 „ 1 „ 3. Nebenboten ..... 35 „ 25 , 4. Preuß. Postkasse . . . 5 „ 15 , 5. Qeneralarmenfonds . . 100 „ 6. Rennümeration f. Schust. 200 „ 784. 21. 7. Rest für die Goedeckschen Erben 894. 12. 11. In derselben Aufstellung erfahren wir auch etwas über die Honorare der Ziegelherren; als übliche Sätze gibt Schuster an: Tlr. 22.—, 16.—, 7—, 5.—, 4.—, 3.—, 2.—, 1.—, von 69 Ziegelherren erhielt er Tlr. 292.7.—, so daß sich als Durchschnitt 4—5 Tlr. ergab. An den Generalarmenfonds hatten nach einer Urkunde vom 1. Februar 1853 zu entrichten: Pothmann ... 83 Tlr. 10 Sgr. Schütz .... 100 „ — Schuster ... 100 „ — *) R.R. Fach 145, Nr. 8. 3 ) Ebenda. — 115 — In dem Gesetze von 1851 war ausdrücklich, darauf hingewiesen, daß die nicht genannten Gebiete konkurrenzfrei seien, d. h. die Ziegler, die in diese Gebiete auf Arbeit abwanderten, standen nicht unter Aufsicht und Leitung eines Agenten. Für sie hatte es seit Anfang der fünfziger Jahre der Registraturgehilfe Hanke aus Lage übernommen, die erforderlichen Kontrakte mit den Ziegelherren und alle sonst dem Agenten obliegenden Geschäfte abzuschließen. Durch die Zunahme des Zieglergewerbes in Lippe, besonders durch die räumliche Ausdehnung auf andere Gebietsteile Deutschlands und des Auslandes, wurde aber bald die Bildung eines vierten Ziegeleibezirkes notwendig 1 ). Von den 16 Bewerbern hielt die Regierung Hanke für den geeignetsten, weil dieser schon seit einer Reihe von Jahren als Agent in dem neu zu bildenden Bezirke fungierte, sich mit den lokalen Verhältnissen vertraut gemacht und Gelegenheit gehabt hatte, die erforderlichen technischen Kenntnisse sich zu erwerben und auch ausreichende gesellschaftliche Bildung besäße. Obwohl nun von Seiten vieler Ziegler und des Agenten Schütz Beschuldigungen gegen Hanke erhoben wurden, von denen einige, zwar übertrieben, zutreffen mochten, die meisten ihm aber nicht nachgewiesen werden konnten, so wurde er doch 1867 zum Agenten für den 4. Bezirk ernannt. Dieser umfaßte: Die Königreiche Preußen, Bayern und Württemberg, ferner Baden, Mecklenburg-Schwerin, die russischen Provinzen Kurland und Livland und das Königreich Schweden. Mit der Einführung der Gewerbefreiheit 1869 verschwanden die gesetzlich konzessionierten Ziegelboten, aber noch bis in unsere Zeit haben derartige Agenten die Arbeitsvermittlung für viele lippische Arbeiter ausgeübt. (Der Sohn Hankes ist bis 1920 Leiter einer Zieglerkrankenkasse gewesen.) *) R. R. Fach 145, Nr. 11. — 116 — II. Die Nebenboten. Bevor wir uns der Betrachtung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Ziegler selbst zuwenden, müssen wir uns noch mit einer andern Eigentümlichkeit, den sog. Nebenboten, beschäftigen 1 ). Die stets wachsende Zahl der lippischen Wanderarbeiter brachte eine Vermehrung der Botengeschäfte mit sich. Die Folge war, daß die Boten sich schon im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts für einzelne Dienste, namentlich den Transport von Briefen, Geldern und Paketen, Hilfspersonen bedienten, die in den Akten als Nebenboten bezeichnet werden. Ungehindert hatten diese ihre Geschäfte ausgeführt, bis im Jahre 1815 ein solcher Bote in Weener angehalten wurde und man ihm Briefe und Pakete abnahm. Aus dem Verhör ging hervor, daß er schon 9 Jahre seinen Dienst versehen habe. Das Protokoll dieser Vernehmung wurde dem Generalpostamt zugeschickt, und dieses berichtete die Sache an die Fürstliche Regierung. Obwohl solche Bestellungen an und für sich schon verboten waren und das Postamt schärfere Maßregeln hätte erlassen können, gestattete es nach längeren Verhandlungen doch diesen Botendienst, aber nur unter der Bedingung, daß der betreffende Bote mit einer genügenden Vollmacht der Regierung ausgerüstet sei, das Interesse der Post gewahrt, dieser Dienst auf die Zeit vom 15. März bis 18. Oktober beschränkt bleibe und der Postkasse in Bielefeld eine jährliche Abgabe von 16 Tlr. gezahlt werde 2 ). Es wurde nun zunächst für den Bezirk eines jeden Ziegelboten und unter dessen Aufsicht ein besonderer Nebenbote angestellt und konzessioniert. Neben der Besorgung von Briefen und Paketen hatte er dem Ziegelboten Assistenz zu leisten. Als der Reutersche Bezirk 1840 eine Teilung erfuhr, wurde ein dritter Nebenbote angestellt. Während die Bezahlung für Besorgung von Paketen 4 ) R. R. Fach 145, Nr. 9 u. 10. 2 ) Dekret vom 21. Februar 1819. — 117 — von der Verständigung mit dem Absender abhing, waren für Briefe und Gelder Taxen festgesetzt: Für einen Brief . . 3 Mgr. (Mariengroschen = 10 Pf.) Taler . . 1 „ u. 3 Pf. „ jeden folgenden Taler 3 Pf. Die Einrichtung des Nebenbotendienstes war für die damalige Zeit sehr zweckmäßig. Einmal kannten diese Personen als frühere Ziegler die Verhältnisse ganz genau und konnten so den Ziegelboten mit Rat und Tat zur Seite stehen; dann aber war es den Zieglern in der Fremde möglich, im Sommer Gelder an die Ihrigen in der Heimat zu senden, während ihnen durch die Boten aus der Heimat Pakete und Nachrichten übermittelt wurden. Doch war das Geschäft der Nebenboten nur so lange einträglich, als es noch keine Eisenbahnen in jenen Gebieten gab, der Postverkehr nicht geregelt war, und die Portotaxen sehr hoch standen. Die Einrichtung der Eisenbahnen, der bedeutendere und geregelte Postverkehr und die Herabsetzung der Portotaxen boten den Zieglern Gelegenheit, ihre Briefe oder Geldsendungen billiger durch die Post oder die Eisenbahn zu befördern, statt sich der Hilfe der Ziegelboten zu bedienen. Auch kam hinzu, daß es mit Hilfe der Eisenbahn vielen Zieglern, besonders Ziegelmeistern, möglich war, während des Sommers ein- oder zweimal in die Heimat zu reisen und bei dieser Gelegenheit Briefe und Gelder für ihre und ihrer Leute Angehörigen zu besorgen. Unter solch veränderten Verhältnissen mußten sich natürlich die Verdienste der Nebenboten immer mehr schmälern, während Arbeit und Reisen dieselben blieben. Infolgedessen bildeten sie sich nach und nach zu Gehilfen der Ziegelboten aus, die ihnen ihre Kosten ersetzten und ihnen eine besondere Vergütung zukommen ließen. (30—50 Tlr.) Die Genehmigung der Post hat bis 1869 bestanden. In diesem Jahre wurde sie unter Hinweis auf die Gesetze des Norddeutschen Bundes über das Postwesen vom — 118 — 2. November 1867 und über das Posttaxwesen vom 4. November 1867 aufgehoben 1 ). III. Kritik des Botendienstes. Fassen wir nach diesem historischen Überblick den Ziegelbotendienst noch einmal ins Auge und fragen wir uns, welche Bedeutung ihm zuzumessen ist. Auf die Mißstände, die der ursprüngliche Botendienst, als Eckensträtersches Monopol, in sich barg, ist bereits hingewiesen worden. Wenn nun mit der Anstellung zweier Boten und der Einführung von Taxen nicht gleich alle Übelstände beseitigt wurden, wenn auch nach Inkrafttreten der Boteninstruktion und des Zieglergesetzes manche Mängel dem Botenwesen anhafteten, so ist doch im allgemeinen eine günstige Beeinflussung des lippischen Zieglergewerbes durch die Agenten unverkennbar. In jener Zeit, da der ganze Verkehrsapparat als äußerst schwerfällig bezeichnet werden mußte, war es für alle Ziegler angenehm, daß sie sich schon im Winter ohne große Mühe an eine zuverlässige Person wenden konnten, die ihnen für den ganzen Sommer dauernde und lohnende Arbeit verschaffte, statt, wie es die Torfarbeiter machten, aufs Geratewohl abzuwandern. Gewiß werden die Agenten solchen Arbeitern, die über die festen Taxen zahlten, manchmal günstigere Stellungen verschafft haben; doch wird diese Bevorzugung mit der Zunahme der Ziegler abgenommen haben und bei der großen Zahl nicht sehr ins Gewicht gefallen sein. Auch der gesetzliche Zwang, wonach sich kein lippischer Ziegler ohne Vermittlung des Agenten verdingen durfte und wodurch zwar eine Beeinträchtigung der freien Verfügung über sich selbst herbeigeführt wurde, wird in damaliger Zeit wohl nicht von großem Einfluß gewesen sein. *) Verfügung vom 13. Januar 1869. — 119 — Einen großen Vorteil bot das Agentenwesen insofern, als die Ziegler während der langen Abwesenheit von der Heimat durch die Boten doch mit den Ihrigen in Beziehung blieben. Ziegelboten und Nebenboten machten gewöhnlich 2 Reisen und brachten den Zieglern alsdann Nachrichten aus der Heimat mit. Der Tag, an dem der Bote kam, war daher auf den Ziegeleien von besonderer Wichtigkeit und wurde festlich begangen. Alle Arbeit ruhte, und Küche und Keller mußten das Beste liefern. Auch bei der Schlichtung von Streitigkeiten der Ziegler untereinander oder mit den Ziegelherren haben die Agenten manchmal ihren Mann gestellt. Nur ein Beispiel sei hier erwähnt: „Als sich im Jahre 1816 alle friesischen Ziegelherren vereinigten, um eine Herabsetzung des Arbeitslohnes zu erzwingen, indem sie sich auf die vielfachen, während der letzten, Kriegsjahre eingetretenen Stockungen im Ziegeleibetriebe beriefen, da widersetzte sich der damalige Ziegelbote Berke, im Vertrauen auf die Unentbehrlichkeit seiner Arbeiter, allen erschwerenden Bedingungen, besonders der Herabsetzung des Lohnes, mit großer Energie, die sogar zu einen beleidigenden Wortwechsel führte. Obwohl sich die Ziegelherren bei der lippischen Landesregentin beschwerten, so war doch der Erfolg, daß sie endlich von ihrem Vorhaben abstehen mußten Eine wichtige Einrichtung, die auch auf Anraten der Ziegelboten ins Leben trat, war die Bildung einer Zieg- ler-Unterstützungs- und Sterbekasse, auf die wir noch in anderem Zusammenhange einzugehen haben. Auch manche Mißstände auf Ziegeleien, namentlich hinsichtlich der Unterkunft, sind durch das Eingreifen der Ziegelboten abgestellt. Die Ziegelboten hatten jährlich ein genaues Verzeichnis der abgewanderten Arbeiter der Regierung ein- *) Falkmann, Vaterl. Blätter. Im Detmolder Archiv finden sich ganze Aktenbündel über solche Streitigkeiten, bes. R. R. Fach 145, Nr. 7 und 15. — 120 — zureichen und seit 1830 auch einen ausführlichen Bericht über den Gang des Gewerbes, über Verdienst und Gesundheitszustand der Ziegler zu erstatten 1 ). Nur mit Hilfe dieser Vezeichnisse vermögen wir uns ein Bild zu machen von der allmählichen Ausdehnung der lippischen Ziegelgängerei. Von 1870 ab, wo die Verzeichnisse aufhören, fehlt jede statistische Angabe, bis erst seit 1900 die Ziegler durch die Volkszählungen wieder zahlenmäßig erfaßt werden. Die teilweise sehr ausführlichen Berichte öffnen uns den Blick für die wirtschaftlichen Verhältnisse der Ziegler während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der Nachteil des Agentenwesens bestand darin, daß das Gesetz von 1851 den Boten bei der mangelhaften staatlichen Kontrolle eine zu große Machtbefugnis einräumte, die für viele Ziegler, welche sich den Anordnungen der Agenten nicht fügten, gewiß von, großem Schaden gewesen sein wird, so daß sie zu Klagen und Beschwerden Anlaß hatten. § 16. Die Menge der Ziegler bis 1869. Erst seit 1776 liegt uns statistisches Material über die Zahl der Wanderarbeiter vor, die in diesem Jahre auf 400 angegeben ist. In den seit 1778 von den Ämtern jährlich eingereichten Verzeichnissen ist zwar kein Unterschied gemacht zwischen Zieglern und anderen Wanderarbeitern, doch erkennen wir bei einem Vergleich dieser Zahlen mit denen der Ziegelboten, daß im allgemeinen die Mehrzahl dem Zieglergewerbe angehörte. Der Übersichtlichkeit wegen lassen wir hier noch einmal die Gesamtziffern folgen, denen die Verzeichnisse Eckensträters, in welchen nur Ziegler aufgezählt sind, gegenübergestellt sein mögen, wobei auch wieder zu beachten ist, daß nicht alle Abwanderer erfaßt wurden, weil viele von ihnen ohne Vermittlung durch Eckensträter außer Landes gingen. 4 ) R. R. Fach 145, Nr. 12 u. 13. — 121 — Es wanderten ab: Nach d. Verzeichnissen der Ämter Nach d. Verzeichnissen Ecken Fast die Hälfte der Abwanderer stellte das Amt Detmold, zu dem damals auch das heutige Amt Lage gehörte. Danach kamen die Ämter Schötmar, Horn, Varenholz und Brake, während aus den übrigen Ämtern Barntrup, Schieder, Schwalenberg und Oerlinghausen nur sehr wenige abwanderten. (S. S. 62.) Um jene Zeit hatte sich auch das Arbeitsgebiet der Ziegler bedeutend erweitert. Zu Holland und Friesland kamen bald Oldenburg, Bremen, Verden, Hannover, ferner das Münsterland, das Ravensbergische und auch das Hamburger Gebiet. Diese Vergrößerung gab ja auch 1801 Anlaß zur Teilung des ganzen Distrikts in zwei Botenbezirke. auf Wanderarbeit überhaupt sträters auf Ziegelarbeit 1778 399 1779 250 1780 214 1781 259 1782 212 1783 307 1784 446 1785 426 1786 485 1787 546 1788 514 1789 517 1790 541 1791 556 1792 597 1793 702 1794 751 1795 443 1796 394 1797 520 1798 607 1799 702 1800 602 1801 669 1802 671 155 175 155 167 170 154 174 323 268 288 258 319 277 330 369 305 431 470 454 407 193 307 — 122 — Nach den Aufstellungen Reuters und Grabbes entwickelte sich das lippische Zieglergewerbe folgendermaßen: Zahl der Ziegler Jahr Bezirk Reuter Bezirk Grabbe (von 1810 ab Berke) Zus. Zahl der Zi r\ Ol t\ Ol* rs t DClUcI JJ t 1803 349 394 743 71 1804 315 382 697 66 1805 367 391 758 73 1 ßn£ loUO TQ1 ool "2 An o4y im lo\) Cd 00 1Sf)7 lOU/ 381 Ool 1QO ivy R£n UOU 7fi /u 1808 283 200 483 60 1809 209 149 358 50 1810 329 359 688 104 1811 337 409 746 140 1812 341 492 833 141 1813 276 468 744 147 1814 240 474 714 145 1815 376 495 871 146 1816 495 471 966 150 1817 471 587 1058 176 1818 493 639 1132 183 1819 486 681 1167 181 1820 487 573 1060 178 1821 506 510 1016 182 1822 490 520 1010 177 1823 486 409 895 171 1824 496 429 925 183 1825 525 424 949 185 1826 539 472 1011 192 1827 543 521 1064 204 1828 615 561 1176 226 1829 780 574 1354 228 1830 686 430 1116 214 1831 607 425 1032 210 1832 591 399 990 206 1833 542 396 938 201 1834 571 425 996 202 1835 711 473 1184 1836 911 497 1408 1937 1172 528 1700 1838 1274 527 1801 1839 1383 606 1989 321 1840 1759 652 2411 357 1841 2080 669 2749 388 aus Reuters Bezirk — 123 — Aus der Zusammenstellung geht hervor, daß seit 1800 die Abwanderung der Lipper auf Ziegelarbeit im allgemeinen ständig zugenommen hat. Aber eine an politischen Wirren so reiche Zeit, wie das erste Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts, konnte naturgemäß nicht ohne Einfluß auf die Abwanderung bleiben. Wir bemerken daher in den Jahren 1803—14 keine wesentliche Zahlenveränderung. Die Abnahme von 1807—1809 ist hauptsächlich als üble Folge der Kontinentalsperre anzusehen, weil in diesen Jahren der Export von Ziegelsteinen völlig schwand und auch im Inlande die Nachfrage nach Bausteinen abnahm. Man hätte annehmen können, die verworrenen Zustände, von denen doch auch Nordwestdeutschland und Holland stark in Mitleidenschaft gezogen wurden, sowie der andauernde Kriegszustand, wären von sehr nachteiliger Wirkung für! die Lage des Zieglerstandes gewesen. Um so mehr müssen wir uns daher wundern, daß sich die Wanderarbeiter durch derartige Ereignisse nicht abschrecken ließen, ungehindert ihrer Arbeit nachzugehen, und man in den Akten nur ganz vereinzelt von Belästigungen der Ziegler durch umherziehendes Kriegsvolk erfährt. Mit dem Eintritt geordneter politischer Zustände nahm auch die Zahl der Ziegler wieder stärker zu. Jedoch trat nach 1820 eine Verschiebung/ des Verhältnisses der Arbeiter in den beiden Botendistrikten ein. Bildeten bis dahin Holland und Friesland das Hauptziel der Abwan- derer, so stieg die Zahl in dem andern Bezirke jetzt so rapide, daß sie bald die des ursprünglichen Gebietes überholte, 1837 bereits um das Doppelte und 1841 schon um das Dreifache. Diese bedeutende Vergrößerung im Reuterschen Bezirke führte zur Teilung im Jahre 1840. Die Entwicklung des Zieglergewerbes in den von da ab bestehenden 3 Botendistrikten zeigt folgende Statistik. — 124 — Zahl der Ziegelarbeiter und Ziegeleien von 1842—1869. Zahl der Ziegler im Bezirk Zahl der Ziegeleien im Bezirk Jahr I II III IV 1 ) Zus. I II III IV Zus. 1842 666 1322 1360 3348 100 191 144 435 1843 711 1238 2877 4826 109 193 221 523 1844 709 1517 3743 5969 105 216 278 599 1845 723 1340 1954 4017 108 216 216 540 1846 733 1620 1779 4132 108 204 207 519 1847 749 1603 1358 3710 112 205 140 457 1848 733 1538 1358 3629 110 209 140 459 1849 773 1053 662 2 ) 2488 117 171 95') 383 1850 794 1070 635 2 ) 2499 120 156 80 s ) 356 1851 876 1265 1425 3566 129 176 152 457 1852 958 1943 2359 5260 141 250 279 670 1853 1052 2336 2905 6293 147 272 325 744 1854 1160 2602 3014 290 7066 162 369 382 21 934 1855 1221 2571 3184 385 7361 167 356 421 40 984 1856 1371 2211 3874 527 7983 178 339 493 53 1063 1857 1263 2206 4291 570 8330 174 346 646 70 1236 1858 1337 2661 3939 557 8494 185 379 560 70 1194 1859 1228 2920 2857 565 7570 179 379 441 62 1061 1860 1267 2685 3034 634 7620 180 393 389 51 1013 1861 1389 2789 3179 577 7934 197 409 448 68 1122 1862 1269 2833 3412 724 8238 180 429 470 61 1140 1863 1336 2849 3677 1185 9047 186 449 492 69 1196 1864 1363 2837 2633 s ) 1565 8398 184 432 320 3 ) 98 1034 1865 1254 2617 3962 1552 9385 182 412 497 124 1215 1866 1232 2515 3843 1304 8894 182 401 536 110 1229 1867 1252 2220 4472 1106 9050 176 356 509 103 1144 1868 1322 2091 3995 1399 8807 186 339 538 129 1192 1869 1151 1939 3714 1426 8230 181 297 427 132 1037 Werfen wir zunächst einen Blick auf die Gesamtzahl der Ziegler, so fällt die plötzliche Steigerung Anfang der 40er Jahre auf. Wie erklärt sich diese gewaltige Zunahme? Schon die rege Baulust der 30er Jahre überhaupt rief eine starke Nachfrage nach Ziegelsteinen hervor und ließ überall neue Ziegeleien entstehen. Insbesondere waren es die an anderem Baumaterial armen Küstengegenden, die *) Für den IV. sog. neutralen Bezirk wurde zwar erst 1867 ein Bote angestellt, doch hatte Hanke seit 1854 freiwillige Verzeichnisse und-Berichte eingereicht. a ) In diesen Jahren hatte Pape krankheitshalber keine genauen Verzeichnisse eingereicht. Nach einer vervollständigten Aufstellung wanderten 1850 in diesem Bezirke 1386 Ziegler nach 168 Ziegeleien. 3 ) Diese Abnahme wurde durch den deutsch-dänischen Krieg verursacht. — 125 nach Bausteinen verlangten, nicht bloß für den eigenen Bedarf, sondern auch zum Versand in überseeische Gebiete, wissen wir doch, daß sehr viele Ziegel nach englischen, holländischen und spanischen Kolonien transportiert wurden. Daß im Jahre 1843 im III. Bezirk die Zahl so bedeutend stieg, dann aber ebenso plötzlich fiel, ist auf den Brand von Hamburg zurückzuführen,, wodurch dort vorübergehend viele Ziegler Beschäftigung fanden. Aber wie war das kleine Lipperländchen dazu imstande, jener plötzlich eintretenden Nachfrage nach Zieglern gerecht zu werden? Wir haben bereits an anderer Stelle gesehen, daß namentlich durch die Einführung der Spinnmaschine und des mechanischen Webstuhls die alte blühende lippische Handweberei und -Spinnerei rapid zurückging, wodurch eine große Anzahl von Personen beschäftigungs- und brotlos wurde. Gewiß wären auch in Lippe jene traurigen Begleiterscheinungen eingetreten, die in andern Landesteilen, namentlich in Mittelschlesien und im sächsischen Erzgebirge, dem Volksleben so tiefe Wunden geschlagen haben, wenn sich den freigewordenen Arbeitskräften nicht gerade in dieser Zeit durch die große Nachfrage nach Arbeitern im Zieglergewerbe ein für sie neuer lohnender Erwerbszweig dargeboten hätte. So schnürten auch sie im Frühjahr ihr Bündel und wanderten mit den andern ab auf Ziegelarbeit und bewahrten so ihre Familie vor den kritischen Folgen dieser Zeit. Den Rückgang des Leinengewerbes und den Aufstieg der Ziegelgängerei veranschaulicht folgende ziffernmäßige Gegenüberstellung: Jahr Zur Lemgoer Legge Zahl der Ziegler kamen*) 1833 1838 1845 1850 1855 10 958 Werk 938 10 411 „ 1801 5267 „ 4017 4953 „ 3250 2340 „ 7361 *) Schierenberg in Mitteilungen a. a. O. S. 60 u. 61. — 126 — Weit über Deutschlands Grenzen hinaus zogen lippische Ziegler auf Arbeit, und überall pries man ihren Fleiß und ihre Rechtschaffenheit. Die hier aufgeführten spezialisierten Verzeichnisse des II. und III. Bezirkes geben Aufschluß über die einzelnen Gebiete. Spezialisiertes Verzeichnis des III. Bezirks (Pape- Schulz). (Zahl der Ziegler.) Jahr Preußen Bayern Sachsen Hannover (a, d. Oste und Elbe) Holstein u. Hamburg Schleswig 1 Jütland Dan, Inseln und Schweden 1852 343 871 441 333 371 53 427 1029 534 446 469 54 247 893 1116 708 55 192 845 1212 935 56 281 809 587 713 1485 57 221 769 510 761 1495 535 58 382 925 608 572 901 551 59 318 878 516 253 456 456 1860 323 1034 527 238 511 401 61 249 1063 503 324 571 469 62 417 1129 460 390 517 499 63 604 1238 484 413 478 460 64 818 1017 571 227 65 1009 1304 488 421 396 344 66 719 1335 995 433 361 67 561 1696 547 661 572 435 68 371 1186 648 648 659 483 69 376 1255 613 599 504 367 Spezialisiertes Verzeichnis des II. Bezirks (Schuster). Gebiet: 1862 1863 1864 1865 1866 1867 1868 1869 Hannover . . 1947 1876 1733 1713 1634 1447 1286 1292 Oldenburg . . 549 597 683 576 540 413 502 453 Braunschweig . 43 43 50 50 56 48 49 33 Bez. Münster . 235 249 280 244 220 151 186 110 Bez. Bremen . 56 72 55 27 53 45 55 42 Neutralbezirk . 4 12 36 7 12 16 12 9 Außerdem wanderten nach Hanke noch ab: Gebiet: 1862 1863 1864 1865 1866 1867 1868 1869 Nach Rußland 228 95 192 144 240 77 37 50 Nach Schweden 206 206 117 109 78 35 68 66 Nach Österreich 8 7 80 13 5 22 6 — 127 — Etwas Genaueres über die Standorte der Lipperziegler und ihre Zahl erfahren wir aus den Berichten der Reiseprediger für Holland: 1865 In 56 Ziegeleien der Provinz Groningen, die als ausschließliche Domäne („Sommerkolonie") für Lipper bezeichnet wurde, waren 56 lippische Ziegelmeister und ca. 500 lippische Ziegler, besonders in 3 Bezirken mit den Mittelpunkten Appingedam, Onderdendam und Veen- dam/Winschoten, beschäftigt. 1866 2 ): In Holland waren tätig in der Provinz Groningen auf 58 Ziegeleien 544 Lipper „ „ „ Drenthe „ 1 „ 6 „ „ „ „ Oberyssel „ 10 „ 68 „ 1867 s ): In der Provinz Groningen wurden auf 52 Ziegeleien von 547 Mann Gesamtbelegschaft 452 Lipper angetroffen. Wie sehr die lippischen Ziegler aus dem gleichen Orte während der Arbeitsperiode zerstreut waren, möge noch folgende Aufteilung erkennen lassen 4 ): Aus Hillentrup gingen 1872 fort nach: Schleswig-Holstein 3, Wien 13, Stettin 3, Bremen 7, Brandenburg 6, Buxtehude 4, Holland 6, Ostfriesland 6, Dörverden (Hann.) 3, Dolgen (Hann.) 2, Sachsen 3, Bockhorn (Old.) 5, Springe (Hann.) 2, Potsdam 1, Hannover 4, Hameln 2, Lübeck 1, Linden 2, Elmshorn 2, Unbekannt 5. Wir dürfen nun nicht etwa annehmen, daß der Ziegeleibetrieb immer einen für die lippischen Arbeiter konkurrenzlosen Erwerbszweig dargestellt hätte. Allerdings lag noch bis in die 20er Jahre des 19. Jahrhunderts der Betrieb der meisten Ziegeleien in den Händen der Lipper. Einmal hatten die Inländer der Nordseegebiete keine Lust zu solchen Arbeiten, dann aber fehlte ihnen gewiß auch die Fähigkeit dazu, forderte doch der Ziegeleibe- *) K. A. Bericht Meyer, 2 ) K. A. Vol. III, 1866. 3 ) K. A. Vol. IV, 1867. *) K. A. Vol. V, 1872. — 128 — trieb Behendigkeit, Fleiß und Ausdauer. Diese Eigenschaften haben aber den lippischen Arbeitern in den Augen der Ziegelherren solche Bedeutung gegeben, daß sie das Angebot der Inländer fast immer zurückwiesen. Aber mit der Zeit wandte sich auch die ständig wachsende inländische Bevölkerung jenem Erwerbszweige zu. Auch suchten die Regierungen die ausländischen Arbeiter mehr und mehr fernzuhalten. So schlössen z. B. die holländischen Provinzialstände Ausländer von Staatsarbeiten ganz aus, und der Hannoversche Gewerbeverein suchte die Ziegeleibesitzer durch unaufhörliche Aufforderungen und Zusicherung von bedeutenden Prämien zu veranlassen, die lippischen Arbeiter nach Möglichkeit zu verdrängen, damit das Geld, welches diese einnähmen, im Lande bleibe. Aber die Ziegelherren wiesen dieses Ansinnen mit dem Bemerken zurück, daß die Lipper doppelt so viel leisteten als Inländer und diese auch in ihrem sonstigen Verhalten jenen bedeutend nachständen. Eine scharfe Konkurrenz erwuchs den Lippern jedoch, als man in den 40er Jahren anfing, auch in der Ziegelindustrie Maschinen einzuführen. Allein die ersten zu diesem Zweck hergestellten Maschinen versagten fast vollständig. Die von einem Kölner Fabrikanten namens Milch nach Hamburg und Holstein gelieferten Maschinen konnten keinen gemahlenen Ton verarbeiten, waren äußerst kostspielig, eine Maschine kostete 5—6000 Taler, gaben zu häufigen Reparaturen Anlaß und forderten fast ebenso viele Arbeiter wie der Handbetrieb. Eine andere Maschine, der Erfinder war der Engländer Hunt, beseitigte zwar die eben genannten Nachteile, übertraf aber nicht die Leistungen der alten Herstellungsart. Die Folge war, daß die Einführung der Maschinen, wodurch in anderen Industriezweigen gewöhnlich eine Revolution hervorgerufen wurde, zunächst dem Handbetrieb im Ziegelbau keinen Abbruch tat. Erst die neuere Zeit hat auch hier eine Änderung gebracht. Es möge jetzt hier noch eine Gesamtzusammenstellung — 129 — von der Entwicklung der lippischen Ziegelgängerei in Verbindung mit den Volkszählungen Platz finden: Bevölkerung Zahl der Prozent der Jahr Lippes Ziegler Bevölkerung absolut auf 1 qkm 1812 80 630 66 833 1,03 1828 92 752 76 1176 1,26 1835 100 134 82 1184 1,18 1843 106 543 87 4826 4,53 1864 111336 91 8889 7,54 1867 113118 93 9050 8,00 Während das Verhältnis der Ziegler zu der Gesamtbevölkerung bis 1835 dasselbe bleibt, tritt seit 1843 eine starke Veränderung und Steigerung ein. Nimmt man etwa die Hälfte der Bewohner als solche männlichen! Geschlechts an, so ergibt sich, daß 1867 16 fo hiervon auf Ziegelarbeit abwanderten. § 17. Die Lohnverhältnisse und sozialen Einrichtungen der Ziegler in älterer Zeit. a) Über die Lohnverhältnisse der älteren Zeit sind uns nur hin und wieder Notizen überliefert worden. Im Jahre 1778 stellte sich der Reinverdienst etwa folgendermaßen *): Streicher . . 30—40 Tlr. Former . . 40—50 „ Brenner . . 40 „ Karrenmann . 30 „ Junge . . . 15—20 „ Nach einer Berechnung von 1800 betrug der „Reingewinn" 2 ): Für Former u. Brandmeister..... 80—100 Tlr. „ Walker u. Streicher...... 40 — 50 „ „ Möller, Auf Stecher u. Karrenleute . 25 — 30 „ „ große Jungen.........15 — 20 „ „ kleine Jungen ........10 —15 „ Ursprünglich war in allen Ziegeleibetrieben das Gesamtakkordsystem die Regel. Der Ziegeleibesitzer schloß mit den Arbeitern einen Kontrakt, wonach er für 1000 *) Bericht des Amtes Schötmar von 1778. ') Bericht des Amtmanns Wessel vom 24. August 1800. Fleege-Althoff, Wanderarbeiter 9 — 130 — fertige Ziegel einen bestimmten Akkordsatz zahlte. Nach einem ihrem verschiedenartigen Range entsprechenden Maßstabe wurde der Gewinn verteilt, der Meister erhielt eine bestimmte Summe vorab, die man Vorzug nannte. Mit der Zeit jedoch vertrat der Meister die ganze Gesellschaft, so daß Gewinn und Risiko auf seine Rechnung gingen und die übrigen Arbeiter von ihm einen bestimmten Lohn erhielten; oder es traten einzelne Arbeiter, gewöhnlich Former und Streicher, als sog. Annehmer mit in den Yenraff ein. Um 1800 wurden als Akkordsätze gezahlt: Für 1000 Dachziegel ... 3 Tlr. 9—18 Gr. „ 1000 Mauerziegel . . 2 „ 9—18 „ Seit 1805 begann der Arbeitslohn allmählich zu sinken, so daß er um 1816 bereits 3—6 Gr. weniger betrug. Wenn nun auch der Versuch mehrerer Ziegeleibesitzer Frieslands, eine Herabsetzung des Lohnes zu erwirken, an dem Widerstande des damaligen Boten scheiterte,, so konnte doch ein weiteres Sinken nicht mehr aufgehalten werden. Auch beweist ja die stärkere Abwanderung jener Jahre, daß der Verdienst immer noch einen hinlänglichen Gewinn abwarf, der dem kläglichen Tagelohn der Heimat vorzuziehen war. Als Ursache für die Abnahme der Löhne sind zwei Faktoren besonders in Betracht zu ziehen. Einmal waren es die mangelhaften Absatzverhältnisse, die bei vermehrter Produktion die Preise der Ziegel drückten, und die Ziegeleibesitzer zur Herabsetzung der Löhne zwangen. Hinzu kam, daß nach Aufhebung der alten Bestimmung, wonach sich kein Ziegler ohne Vermittlung des Agenten verdingen durfte, besonders seit 1822, viele Meister und auch solche Arbeiter, die gerne Meister werden wollten, direkt mit den Besitzern Verträge abschlössen und durch Unterbietung der alten Akkordsätze ein Sinken der Löhne herbeiführten. So kam es, daß 1830 der Akkord für 1000 Ziegel um 1 Tlr. gesunken war. — 131 — Unter Hinweis auf die zuletzt erwähnte Ursache baten im Jahre 1820 150—160 Ziegelarbeiter die Regierung um Abhilfe des Übelstandes durch Erlaß einer Verordnung, die jenes eigenmächtige Verdingen bei Strafe untersagte. Zwar ging die Regierung nicht so ohne weiteres darauf ein, veranlaßte jedoch zunächst eine eingehende Prüfung der Sache und ließ den betreffenden Arbeitern dann eine Resolution zugehen, aus der wir auf die Beurteilung des Zieglergewerbes durch die Regierung schließen können. Es heißt darin: „Die Ziegelarbeiter teilen das Los fast aller gewerbetreibenden Klassen, deren Verdienst durch die vermehrte Konkurrenz und gesteigerte Fabrikation seit dem wiederhergestellten Frieden beträchtlich gesunken ist. Durch gesetzliches Einschreiten läßt sich der Gang der Gewerbe und der Preis der Dinge nicht regulieren, weshalb die Regierung um so mehr Abstand nehmen muß, auf den Antrag der Supplikanten einzugehen, weil dadurch die natürliche Freiheit zu sehr beschränkt und den Ziegelboten eine Machtvollkommenheit eingeräumt würde, welche beim Mangel an gutem Willen oder bei Fehlgriffen nicht bloß zum Druck der einzelnen, sondern auch zum Ruin des ganzen Gewerbes ausfallen könne. Es muß daher bei der bisherigen Einrichtung sein Bewenden behalten, wonach die Ziegelboten zwar ausschließlich bestimmt sind, als Vermittler und Zwischenhändler in den ihnen zugewiesenen Distrikten die Ziegelarbeiter anzudingen, jedoch mit der Einschränkung, daß es diesen unbenommen bleibt, für ihre Person unmittelbar mit den Ziegelherren, sowie auch mit ihren Unterarbeitern zu kontrahieren, wenn sie nur die konzessionsmäßige Gebühr an den Boten entrichten." Das eigenmächtige Kontrahieren nahm also seinen Fortgang, und auch die Beschwerden hierüber wiederholten sich. Und in der Tat muß zugegeben werden, daß mit dieser Einrichtung Übelstände verknüpft waren. Nicht die verschärfte Konkurrenz unter den Ziegelmeistern bei 9* — 132 — Annahme einer Stelle war maßgebend, doch mußte der Umstand im allgemeinen nachteilig wirken, daß unfähige, habgierige Arbeiter sich als Meister ausgaben, die Gehilfen, welche sie anwarben, übervorteilten, Ziegelherren betrogen, oder durch mangelhaften Ziegeleibetrieb ihren eigenen und auch den Ruin der Mitarbeiter herbeiführten, wodurch sie naturgemäß auch das Ansehen der lippischen Ziegler schwer schädigten. Wie nützlich in dieser Beziehung der Ziegelbote wirken konnte, zeigte der westliche Bezirk, in dem es Berke gelungen war, sich so viel Einfluß und Vertrauen unter Ziegelherren und Arbeitern zu verschaffen, daß alle Anstellungen durch ihn geschahen und viel Unordnung und Störungen ferngehalten wurden. Glücklicherweise stieg mit besseren Absatzverhält- nissen auch der Arbeitslohn. Um 1840 brachten im Herbste heim: 1. Meister.......... 90—150 Tlr. 2. Former, Streicher, Karrenleute . 60 — 70 „ 3. Müller und Treter..... 35 — 50 „ 4. Große Jungen....... 25 — 30 ,, 5. Kleine Jungen....... 15 — 20 „ Für 1843 werden als Verdienst der Meister 300 bis 500 Tlr. und für 1844 als Durchschnittsverdienst der Ziegler 60—70 Tlr. angegeben, was nach Falkmann bei 6000 Zieglern eine Gesamtsumme von 360000 bis 420000 Tlr. ergeben würde. Auf dieser Höhe hielt sich der Arbeitslohn, so daß, wenn man als Durchschnittsverdienst 50 Tlr. rechnet, folgende Summen ins Land kamen: 1854 bei 7000 Zieglern 350 000 Tlr. 1858 „ 8500 „ 425 000 „ 1865 „ 9400 „ 470 000 „ Für die Lohnverhältnisse von 1825—1840 mögen hier noch die Tagebuchaufzeichnungen eines alten Zieglers aufgeführt sein. — 133 — Es heißt darin*): Im Jahre 1852 zum ersten Male auf Ziegelei gegangen und gearbeitet, verdient frei ins Haus......18 Tlr. 18 Sgr. zum 2. Mal nach Lingen auf Ziegelei ... 16 „ — Ii 3. ff „ f, ft ff ... 18 ff • ,f 4. ff ft ff ff f, ... 14 18 f, nach Bremen auf Ziegelei.......12 „ 18 „ „ Tristringen auf Ziegelei u. Verdienst . 23 „ — 2K _ ft ff tf ff ff ff u%j »f „ Braunschweig „ „ „ 23 „ 18 „ ff ff tf ff ff 46 ,, 12 ff ft tt tt tf tt 25 tt —— „ Kirchwaltze „ „ „ „ 53 „ — tt tt tt tt tt tt 50 tt „ Hossfeld „ „ „ „ 43 „ — 1840 „ Hahn im Oldenburgischen .... 82 „ 24 „ Für das Jahr 1865 gibt der Reisepastor Meyer als Verdienst in Holland an 2 ): Jungen ... 30—40 Tlr. ältere Qehülfen 70—100 „ Brandmeister 200—300 „ b) In klarer Erkenntnis der Mißstände, die bei Krank- heits- und Todesfällen zutage traten, machte Pape im Jahre 1847, unter Hinweis auf die zustimmende Meinung vieler Ziegler seines Bezirks, der Regierung den Vorschlag zur Gründung einer Zieglersterbe- und Krankenkasse 3 ). Seine Anregung fand bei der Behörde Anklang und Zustimmung. Im Anfang des Jahres 1850 wurden auch in den beiden andern Bezirken solche Kassen ins Leben gerufen. Bisher waren die Kosten für Beerdigung, Arzt usw. durch Sammlung freiwilliger Gaben gedeckt worden. Pape wies nun darauf hin, daß bei mehreren Todesfällen die zusammengebrachte Summe sehr minimal gewesen sei, so daß der Ziegelmeister die meisten Kosten habe tragen müssen. Auch fürchteten viele Erkrankte, noch mehr aber der Meister, die Auslagen für den Arzt und die Medizin und nahmen deshalb zu verkehrten Hausmitteln *) Mitteilung des Schulrats Geise. ■) K.A. Ziegl. betr., 1865. a ) R. R. Fach 145, Nr. 13. — 134 — und Quacksalbern ihre Zuflucht. Diesen Übelständen sollte durch die Unterstützungskasse abgeholfen werden. Die Mitglieder waren zur Entrichtung von Beiträgen verpflichtet. Diese betrugen im Papeschen Bezirk: Für Meister...... 5 Sgr. jährlich „ Former und Müller . 4 „ „ Umgänger..... 3 „ „ große Jungen . . . 2 „ „ „ kleine Jungen . . . 1 „ „ Es wurden für die Mitglieder alle Kur- und Beerdigungskosten, die von ihrer Abreise an bis zur Rückkehr in die Heimat nötig wurden, bezahlt. Über Einnahmen und Ausgaben hatten die Ziegelagenten, welche die Kasse verwalteten, jährlich Bericht vorzulegen. Diese Kranken- und Sterbekassen sind die Vorläufer unserer heutigen Zieglerunterstützungskassen gewesen. § 18. Das Zieglergewerbegesetz vom 8. Juli 1851. Zum Schluß dieses Abschnittes haben wir uns noch der Betrachtung des Ziegler-Gewerbegestzes von 1851 zuzuwenden. Die Mißstände im lippischen Zieglergewerbe, namentlich die Art und Weise der Stellenvermittlung, sowie die Zunahme unfähiger Meister, waren in den letzten Jahren schärfer denn je zutage getreten und hatten zu mancherlei Zwistigkeiten und Beschwerden Anlaß gegeben. Schon verschiedentlich hatte die Regierung Agenten und erfahrene Meister zu Besprechungen herangezogen, um gemeinsam mit ihnen über 1 Abstellung der Übelstände zu beraten, doch kam gewöhnlich wenig dabei heraus. Bei der Wichtigkeit, die das Zieglergewerbe für das gesamte Wirtschaftsleben des lippischen Landes erlangt hatte, hielt es die Regierung für zweckmäßig, dem Landtage eine dementsprechende Verordnung zur Verhandlung vorzulegen. Als Ergebnis dieser Verhandlungen*) wurde *) S. Landtagsprotokolle 1851, Nr. 10—14, 16, 17, 18. — 135 — ein Zieglergewerbe-Gesetz erlassen, das am 8. Juli 1851 in Kraft trat. Seiner Bedeutung und Eigenart wegen folgt hier der Wortlaut: Gesetz über die gewerblichen Verhältnisse der Ziegelarbeiter und Ziegelagenten vom 8. Juli 1851 1 ). § 1. Das Ziegelgewerbe, welches von Lippern im Auslande betrieben wird, steht unter der Aufsicht und Leitung der Ziegelagenten, deren vorerst und bis auf weiteres drei angestellt sind, nämlich für folgende Bezirke: a) Für das Königreich der Niederlande, die Herrschaft Jever und Ostfriesland, sowie für einen Teil des Regierungsbezirks Münster. b) Für sämtliche Provinzen des Königreichs Hannover mit Ausnahme von Ostfriesland und der Gegend an der Elbe und Oste, desgleichen für das Herzogtum Braunschweig, das Großherzogtum Oldenburg und den anderen Teil des Regierungsbezirks Münster. c) Für die vorgedachte Gegend an der Elbe und Oste, für das Gebiet der Städt Hamburg, für die Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg, sowie für die übrigen dänischen Provinzen, das Königreich Sachsen, die preußische Provinz Sachsen und die sächsischen Herzogtümer. Auf andere Länder und Provinzen als die vorgenannten erstreckt sich die gegenwärtige Verordnung nicht, indem daselbst völlig freie Konkurrenz sowie der Ziegelagenten wie der Ziegelarbeiter stattfindet. § 2. Die Ziegelagenten vermitteln die Anstellung hiesiger Ziegelarbeiter auf den auswärtigen Ziegeleien ihres Bezirks und nehmen daselbst die Interessen derselben wahr. § 3. Es müssen durchaus rechtliche und unbescholtene Männer sein, welche von der Ziegelfabrikation die nötige technische Kenntnis, zugleich aber auch diejenige allgemeine Bildung besitzen, welche erforderlich ist, um mit Leuten aus allen Ständen zu verkehren, einen Kontrakt zwischen Ziegelherrn und Meister in tadelloser Form aufzusetzen, einen gründlichen Bericht zu erstatten und eine ordentliche Korrespondenz zu führen. § 4. Die Ziegelagenten haben ihre Bezirke zweimal im Jahre zu bereisen, das eine Mal im Winter, das andere Mal im Sommer, jedoch bleibt es der Regierung überlassen, nach Rücksprache mit dem Ausschusse den betreffenden Agenten ganz oder teilweise von der Winterreise zu dispensieren. *) L.V. Bd. 10, 1847—1852, S. 476—489. — 136 — § 5. Die Winterreise bezweckt eine vorläufige Verabredung mit den Ziegelherren über die Zahl der Arbeiter und den Arbeitslohn und die sonstigen Bedingungen, wobei das Interesse der Ziegelarbeiter bestens wahrzunehmen ist. § 6. Auf der Sommerreise besorgt der Ziegelagent Briefe und Gelder, welche ihm von den Ziegelarbeitern und ihren hiesigen Angehörigen zur Besorgung übergeben werden. Bei etwaigen Differenzen, welche zwischen den Ziegelarbeitern selbst oder zwischen ihnen und dem Ziegelherrn ausgebrochen sein möchten, sucht er dieselben zu vermitteln und gütlich beizulegen. Er wird überall, wo es nottut, den Ziegelarbeitern mit Rat und Tat beistehen und insbesondere den Erkrankten seine Fürsorge widmfen. Im allgemeinen hat er nach besten Kräften dahin zu wirken, daß die Ziegelarbeiter während ihres Aufenthalts im Auslande einen gesitteten und untadelhaften Lebenswandel führen. Diejenigen, welche sich in dieser Hinsicht etwas zuschulden kommen lassen, hat er zeitig zu erinnern und zu verwarnen, nötigenfalls aber ihre Entlassung aus der Arbeit zu befördern. Insbesondere wird der Ziegelagent seine Aufmerksamkeit auf den Gesundheitszustand richten und dahin sehen, daß die Arbeiter sich gesunder Wohnungen und gesunder Nahrung zu erfreuen haben, und sich zu keinen Verrichtungen gebrauchen lassen, welche für die Gesundheit nachteilig sind. § 7. Überlassen die Ziegelherren den Zieglagenten die Wahl und Anstellung der Ziegelarbeiter, so hat er ohne die mindeste Begünstigung des Einen vor dem Andern jeden nach seiner Fähigkeit und Geschicklichkeit anzustellen, dabei aber nicht allein darauf, sondern auch auf den moralischen Charakter Rücksicht zu nehmen. § 8. Der Ziegelagent muß jährlich, und zwar vor dem 1. Juni, ein namentliches Verzeichnis der in seinem Bezirke angestellten Ziegelarbeiter bei der Regierung einreichen. Außerdem muß er im Herbst jeden Jahres über den Gang des Gewerbes, über Verdienst, Gesundheitszustand der Arbeiter usw. der Regierung ausführlichen Bericht erstatten, welchen er auch dem Ausschusse mitzuteilen hat. § 9. Die Ziegelagenten sind allein befugt, lippische Ziegelarbeiter in den ihnen angewiesenen Bezirken anzustellen und darüber Kontrakte mit den auswärtigen Ziegelherren abzuschließen. Ausgenommen hiervon ist jedoch der Fall, wenn ein lippischer Ziegelmeister den Betrieb einer ausländischen Ziegelei übernimmt und darüber selbst den Kontrakt abschließt. Dazu ist er aber nur dann befugt, wenn er einer Ziegelei bereits vorher ohne begründeten Tadel vorgestanden hat. Eingriffe in jenes den Ziegelagenten ausschließlich zustehende Recht werden mit einer Geldstrafe von 10—50 Rthl. oder mit Gefängnisstrafen von 8 Tagen bis zu 6 Wochen belegt. — 137 — § 10. Die Ziegelarbeiter haben an den Ziegelagenten ihres Bezirks die bisher üblichen Gebühren zu entrichten, nämlich: a) die Brandmeister und Former jeder 2 Rthl. bis 2 Rthl. 15 Sgr. b) der Strecker, Walker, Aufstecher und Karrenmann jeder 1 Rthl. bis 1 Rthl. 10 Sgr.; c) der Möller 15—20 Sgr.; d) der große Junge 10 Sgr.; e) der kleine Junge 5 Sgr. Auf denjenigen Ziegeleien jedoch, wo bloß Mauersteine verfertigt werden, zahlen, wie dies bisher schon üblich war, der Meister 2 Rthl. bis 1 Rthl. 15 Sgr., der Former und Möller jeder 1 Rthl, die übrigen Arbeiter aber, bis auf den großen und kleinen Jungen, in Ansehung welcher es bei den obigen Sätzen verbleibt, ITV2 Sgr. Ziegelarbeiter, welche infolge von Krankheiten oder anderen Unglücksfällen wenig oder gar keinen Verdienst haben, sind von der Zahlung der Gebühren frei. Den Ziegelagenten bleibt es untersagt, mehr als die tarifmäßige Gebühr von den Arbeitern anzunehmen. Der Ziegelmeister haftet dafür, daß diese Gebühren von den unter ihm angestellten Arbeitern richtig abgetragen werden, und kann der Ziegelagent ihn deshalb direkt in Anspruch nehmen. § 11. Die Ziegelagenten haben eine Konzessions-Abgabe zu entrichten, welche von der Regierung nach Befinden der Umstände auf 100 Rthl. bis 150 Rthl. für jeden festgesetzt wird. Von dieser Abgabe fließen % in den General-Armenfonds und Vs in die zu errichtende Kranken- und Sterbekasse der Ziegelarbeiter. § 12. Dieselben haben die getreue Erfüllung ihrer Dienstobliegenheiten eidlich anzugeloben und dafür eine Kaution von 1000 Rthl. bis 1500 Rthl. zu bestellen. Diese Kaution dient insbesondere auch zur Sicherheit derjenigen Ziegelarbeiter, welche ihnen Gelder zur Versorgung anvertrauen. Nach bestellter Kaution und geschehener Verpflichtung wird ihnen zu ihrer Legitimation ein Certificat von der Regierung ausgestellt. § 13. Bei der Erledigung des Dienstes eines Ziegelagenten soll es mit der Wiederbesetzung desselben gehalten werden, wie folgt: Die Bewerber um den Dienst haben sich in einer zu bestimmenden Frist bei der Regierung zu melden, welche ihre Qualifikation prüft. Unter den qualifiziert erachteten Bewerbern bleibt den Meistern und allen Arbeitern, welche in dem letzten Jahre in dem betreffenden Bezirke als Ziegelarbeiter angestellt gewesen sind, das 25. Jahr erreicht haben und unbescholten sowie selbständig sind, die Wahl freigestellt. Die Stimmabgabe erfolgt bei den Districtsobrig- keiten, welche zu dem Ende einen Termin ansetzen werden, nachdem ihnen die Regierung die Namen der Bewerber sowie ein Ver- — 138 — zeichnis der stimmberechtigten Ziegelmeister und -Arbeiter mitgeteilt haben wird. Die Stimmenmehrheit entscheidet über die Wahl; .würde jedoch keiner der Bewerber wenigstens die Hälfte der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigen, so steht der Regierung die Wahl unter denjenigen drei Bewerbern frei, auf welche die meisten Stimmen gefallen sind. § 14. Die Wahl wird in einem Wintermonate, wenn die Ziegelarbeiter in ihrem Lande anwesend sind, vorgenommen. Sollte sich dieselbe nicht schnell genug bewirken lassen und daher eine Störung in dem Geschäftsbetriebe zu besorgen stehen, so bleibt es der Regierung unbenommen, eine Anordnung wegen provisorischer Verwaltung des Dienstes, jedoch höchstens bis zum Ablaufe des Jahres, zu treffen. § 15. Werden über die Dienstführung eines Ziegelagenten Beschwerden geführt und begründet gefunden, so ist die Regierung ermächtigt, denselben nach Anhörung des Ausschusses im Administrativwege seines Dienstes zu entlassen und eine Neuwahl anzuordnen. § 16. Die Ziegelarbeiter eines jeden der drei Ziegeleibezirke bilden eine gewerbliche Genossenschaft. Stimmberechtigt in den Angelegenheiten sind jedoch, den im § 13 gedachten Fall ausgenommen, nur die Ziegelmeister. § 17. Diejenigen Ziegelmeister, welche dem Betriebe einer Ziegelei bereits selbständig vorgestanden haben, werden als solche anerkannt. Ins künftige kann jedoch keiner als Ziegelmeister auftreten, wenn er nicht als solcher förmlich aufgenommen ist. Befähigt zur Aufnahme als Meister ist jeder Ziegelarbeiter, welcher 25 Jahre alt geworden ist und sich die nötigen technischen Kenntnisse erworben hat, auch hierüber sowie über sein Wohlverhalten glaubhafte Zeugnisse beizubringen vermag. § 18. Die Aufnahme als Meister erfolgt durch den Ziegelagenten und den ihm beigegebenen Ausschluß (§ 29). Die Meldung geschieht bei jenem, welcher die Qualifikation des Bewerbers zu prüfen und darüber dem Ausschusse Vortrag zu erstatten hat. Der Beschluß erfolgt nach einfacher Stimmenmehrheit. § 19. Wird die Aufnahme als Meister ohne zureichende Gründe verweigert, so bleibt die Beschwerdeführung bei der Regierung unbenommen. § 20. Wenn ein Ziegelmeister wegen gemeiner Verbrechen kriminell bestraft wird oder einen durchaus unsittlichen Wandel führt, so kann er seines Meisterrechts verlustig erklärt werden. Die Entscheidung darüber steht dem Ausschuß (§ 29 und 33) und in letzter Instanz der Regierung zu. — 139 — § 21. Wer in dem einen Ziegeleibezirke als Meister aufgenommen ist, muß auch in den beiden anderen als solcher anerkannt und zugelassen werden. § 22. Die Ziegelmeister, welche nach § 9 dazu qualifiziert sind, folglich einer Ziegelei ohne begründeten Tadel bereits vorgestanden haben, sind ermächtigt, den Betrieb auswärtiger Ziegeleien zu übernehmen und darüber mit den Ziegelherren Kontrakte abzuschließen; es liegt ihnen jedoch die Verpflichtung ob, den Ziegelagenten von dem Inhalte in Kenntnis zu setzen, welcher auf etwaige Mängel und daher drohende Nachteile aufmerksam zu machen hat. § 23. Es bleibt aber den Ziegelmeistern bei der in § 9 angedrohten Strafe untersagt, über die Stellung von Ziegelarbeitern mit auswärtigen Ziegeleibesitzern Verabredung zu treffen oder Kontrakte abzuschließen, wenn sie nicht selbst den Betrieb der betreffenden Ziegelei übernehmen. § 24. Wer das Meisterrecht noch nicht erworben hat und sich dennoch für einen Meister ausgibt und den Betrieb einer auswärtigen Ziegelei übernimmt, verfällt in eine Geldstrafe von 10 Rthl. bis 50 Rthl. oder in eine Gefängnisstrafe von 8 Tagen bis 6 Wochen. § 25. Den Ziegelmeistern steht es frei, ihre Unterarbeiter selbst anzu- dingen; jedoch haben sie dieselben bei Vermeidung einer Ordnungsstrafe von 2 Rthl. für den Mann vor ihrer Abreise bei dem Ziegelagenten anschreiben zu lassen. Auch sind sie verbunden, dem letzteren die Kontrakt-Bedingungen mitzuteilen. Die Agenten haben besonders dafür zu sorgen, daß die Arbeiter ihren verhältnismäßigen üblichen Lohn erhalten. § 26. Es ist tunlichst dahin zu wirken, daß die sämtlichen, wenigstens aber doch die ersten Arbeiter einer Ziegelei den Betrieb derselben für gemeinschaftliche Rechnung übernehmen. § 27. Auch ist auf alle Weise zu befördern, daß die Kontrakte sowohl mit dem auswärtigen Ziegelherrn als auch der Arbeiter unter sich schriftlich errichtet werden. Den Ziegelagenten wird empfohlen, zu dem Ende zweckmäßige Formulare lithographieren zu lassen. § 28. Die Ziegelagenten haben im Spätherbst eines jeden Jahres die Ziegelmeister ihres Bezirks zu einer General-Versammlung zusammen zu berufen, auf welcher die gemeinsamen Angelegenheiten besprochen und beraten werden. — 140 — § 29. Auf diesen Generalversammlungen erwählen die Meister aus ihrer Mitte nach einfacher Stimmenmehrheit der Erschienenen einen Ausschuß von 6—12 Personen, welcher dem - Ziegelagenten beratend zur Seite steht. § 30. Die Wahl erfolgt auf die Dauer von drei Jahren; jedoch können die Gewählten ganz ablehnen oder auch vor der Zeit zurücktreten. Jedes Jahr tritt ein Drittel aus und wird durch Neuwahlen ersetzt. In den beiden ersten Jahren entscheidet das Los über den Austritt. Die austretenden Mitglieder des Ausschusses können sofort wieder erwählt werden. § 31. Der Ausschuß hat die allgemeinen Interessen der Ziegelarbeiter wahrzunehmen und das Wohl aller sowie jedes einzelnen nach besten Kräften zu fördern. § 32. Es ist seine Pflicht, etwaige Mängel und Ungehörigkeiten zur Anzeige zu bringen; auch steht es ihm frei, Vorschläge zu eröffnen und Anträge zu stellen sowie er denn auch Gutachten, welche von der Regierung begehrt werden möchten, zu erstatten hat. § 33. Insbesondere liegt dem Ausschusse ob, die Anmeldungen zum Meisterrechte zu prüfen und darüber sowie über die Ausschließung vom Meisterrechte gemeinschaftlich mit dem Ziegelagenten einen Beschluß zu fassen. § 34. Sollten, wie dies in einem Ziegelbezirke bereits der Fall ist, gemeinschaftliche Kassen, z. B. Sterbe- und Kranken-Kassen, errichtet werden, so hat der Ausschuß die Rechnungen abzunehmen und die ordnungsmäßige Verwendung der Gelder zu überwachen. Die Statuten bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Genehmigung der Regierung. § 35. Streitigkeiten zwischen den Ziegelarbeitern über ihren Anteil an dem Verdienst sollen schiedsgerichtlich entschieden werden. § 36. Der klagende Teil hat seine Beschwerde bei dem Ziegelagenten des betreffenden Bezirks anzubringen, welcher zunächst eine gütliche Beilegung des Streites zu bewirken suchen wird, falls aber dieser Versuch sich als fruchtlos ergeben sollte, die schiedsgerichtliche Entscheidung zu befördern hat. § 37. Das Schiedsgericht besteht aus dem Ziegelagenten, aus drei Mitgliedern des Ausschusses (§ 29) und 2 Ziegelarbeitern, welche nicht Meister sind, und einem rechtskundigen Beisitzer. — 141 — Die drei Mitglieder des Ausschusses werden in der Art ermittelt, daß in Gegenwart der Parteien 5 Mitglieder desselben durch das Los gewählt werden, von welchen dann jeder Teil ohne Anführung von Gründen ein Mitglied ablehnen kann. Machen die Parteien von diesem Rechte keinen Gebrauch, so treten diejenigen Mitglieder in das Schiedsgericht, auf welche zuerst das Los gefallen ist. Die zwei Ziegelarbeiter werden gewählt, und zwar von jeder Partei einer. Dieselben müssen die im § 13 bemerkten Eigenschaften haben, dürfen nicht selbst bei der Sache beteiligt sein und auch in keinem solchen Grade der Verwandtschaft oder Schwägerschaft zu den Parteien stehen, welcher sie als Zeugen verdächtig machen würde. Der rechtskundige Beisitzer wird von der Regierung ernannt. Würde von den Ziegelmeistern oder von den Ziegelarbeitern wegen Verhinderung der eine oder der andere in dem Termine nicht erscheinen, so ist statt seiner aus den am Orte vorhandenen Ziegelmeistern resp. Ziegelarbeitern ein Stellvertreter zu erwählen in der Art, daß der Agent drei vorschlägt, von welchen jeder Teil einen ablehnen kann. § 38. Das Schiedsgericht tritt in der Regel an dem Orte zusammen, wo der Ziegelagent des betreffenden Distriks wohnt. Derselbe erläßt dazu die nötigen Einladungen an die Mitglieder des Gerichts. Die sonst noch erforderlichen Anordnungen bleiben im Verwaltungswege der Regierung anheimgestellt. § 39. Das Schiedsgericht tritt unter dem Vorsitz des Ziegelagenten zusammen, und liegt alsdann die Leitung der Verhandlung dem rechtskundigen Beisitzer ob. Ein Stimmrecht steht keinem von beiden zu. Die Parteien sind zum persönlichen Erscheinen zu dem zur Verhandlung der Sache angesetzten Termine mit der Weisung vorgeladen, die in Händen habenden Kontrakte, Abrechnungen und sonstige zur Erläuterung der Sache dienenden Papiere sowie auch Personen, welche über die Streitfrage Aufklärung geben können, mit zur Stelle zu bringen. § 40. Die Vorladung hat der Ziegelagent in einer ihm geeignet scheinenden Weise zu bewirken, und zwar so, daß darüber kein Zweifel obwalten kann. Wird derselben keine Folge geleistet, so nimmt das Gericht die von der Gegenpartei angegebenen tatsächlichen Verhältnisse als eingestanden an. § 41. Der rechtskundige Beisitzer nimmt über die Verhandlung ein summarisches Protokoll auf. Werden Zeugen gestellt, so liegt ihm deren Vernehmung ob, und zwar nach vorheriger Verpflichtung, welche auf Verlangen der Parteien oder auch nur einer derselben eidlich, sonst aber vermittels Handschlag geschieht. Sollten zweifelhafte Rechtsfragen zur Entscheidung vorliegen, worüber sich der rechtskundige Beisitzer gutachtlich zu äußern hat, — 142 — so wird das Schiedsgericht die betreffende Sache an die ordentlichen Gerichte verweisen. § 42. Im anderen Falle erfolgt der Schiedsspruch nach Stimmenmehrheit. Derselbe ist von dem rechtskundigen Beisitzer in das Protokoll einzutragen und sofort zu publizieren. § 43. Rechtsmittel finden nicht statt. Das Schiedsgericht bestimmt eine angemessene Frist, in welcher der unterliegende Teil seiner Verpflichtung nachzukommen hat. Läßt er dieselbe fruchtlos verstreichen, so kann der obsiegende Teil bei dem zuständigen ordentlichen Gerichte die Vollstreckung beantragen, zu welchem Ende ihm der rechtskundige Beisitzer eine beglaubigte Abschrift des Schiedsspruchs zu behändigen hat. Es muß diesem Antrage ohne Gestattung eines weiteren gerichtlichen Verfahrens ohne Anstand entsprochen werden. § 44. Der Ziegelagent sowie der rechtskundige Beisitzer haben auf Gebühren keinen Anspruch. Die Gebühren der übrigen Gerichtsbeisitzer sowie der etwaigen Zeugen sind in billigmäßiger Weise festzusetzen, dürfen jedoch für den Tag 20 Sgr. für jeden nicht übersteigen. Das Schiedsgericht hat darüber zu erkennen, wem diese Gebühren sowie die Kosten der Vorladung und etwaige Expeditionskosten zur Last fallen. Allgemein ist anzuerkennen, daß die Regierung bestrebt war, das Zieglergewerbe durch gesetzliche Bestimmungen in richtige Bahnen zu lenken, die Ziegler nach Möglichkeit vor einseitiger Ausbeuterei durch die Unternehmer in Schutz zu nehmen und den bis! dahin guten Ruf, dessen sich die lippischen Arbeiter überall zu erfreuen hatten, zu festigen und zu heben. Auch ist nicht zu leugnen, daß wenigstens der Versuch gemacht ist zur Lösung sozialpolitischer Fragen, die noch heute aktuell sind, und von denen manche Gegenstand lebhafter Erörterungen waren, sowohl in wissenschaftlichen Abhandlungen, als auch in Parlamenten und Versammlungen. Die Arbeitsvermittlung §§ 2, .3, 7, 9, der Befähigungsnachweis der Meister §§ 17—24, die Schiedsgerichte §§ 35—44, die Regelung der Lohnverhältnisse § 25, die Krankenfürsorge und Überwachung der Wohnung und Nahrung § 6, sowie die Kontrolle der Sterbe- und Krankenkassen § 34, das alles waren Bestrebungen, die auf eine vernünftige Arbeiterpolitik hinweisen könnten. Doch ist andererseits zweierlei herauszuheben, wodurch die guten Absichten illusorisch werden: Die Stellung der Ziegelarbeiter im Gesetz und die praktische Ausführung desselben. Von einem freiheitlichen Geiste ist in dem Gesetze nichts zu spüren, vielmehr erkennt man die Fortsetzung der bestehenden staatlichen Bevormundung. Was besonders auffällt, ist auf der einen Seite die große Machtbefugnis, mit der die Agenten ausgestattet waren, sowie die Bevorzugung der Meister in den Ausschüssen und im Schiedsgericht, auf der anderen Seite das Zurückdrängen der Arbeiter in allen sie interessierenden Fragen. Die 3 Agenten und die vielen Meister hatten über das Wohl und Wehe der Arbeiter zu beraten und zu beschließen, so daß man in rechter Würdigung der Tatsache, daß letzten Endes die Agenten diktatorische Macht besaßen, das ganze Gesetz als eine Kontrolle über die Arbeiter bezeichnen kann. Und wie gestaltete sich die praktische Durchführung? Aus den vielen Beschwerdeschriften und aus den Berichten der Agenten darf man mit Recht schließen, daß die meisten Bestimmungen tote Gesetzesparagraphen waren, um die sich weder Agenten noch Meister und Arbeiter kümmerten. Von einer staatlichen Überwachung des Gesetzes konnte kaum die Rede sein, da die Regierung ihre Informationen fast ausschließlich von den Agenten bezog; deren Eingaben und Berichten schenkte sie' Glauben, während Beschwerden der Ziegler selten Beachtung fanden *)• Es war daher erklärlich, wenn die Bestimmungen nach und nach in Vergessenheit gerieten, und daß fast alle Ziegler zunächst erleichtert aufatmeten, als mit der Einführung der Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund das Zieglergewerbegesetz aufgehoben wurde und damit jede staatliche Bevormundung der Ziegler fiel. *) Staercke, Lippische Ziegler, S. 37. — 144 — Zwar war auf Antrag des lippischen Bundeskommissars Heldmann in dem zur Diskussion des Reichstags gestellten Entwurf eines Gewerbegesetzes für den Norddeutschen Bund am Schluß des § 6 der Satz aufgenommen: „Die im Fürstentum Lippe geltenden Bestimmungen über die gewerblichen Verhältnisse der Ziegelarbeiter und Ziegelagenten werden durch gegenwärtiges Gesetz nicht berührt". Doch wurde dieser Passus auf Antrag des demokratischen Abgeordneten Hr. v. Hennig nach Darlegung der Gründe gestrichen, da auch der lippische Vertreter Hausmann erklärte, „daß keine Veranlassung vorliege, irgendeine besondere Eigentümlichkeit in Lippe bestehen zu lassen" 1 ). *) Vergleiche stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags des Nordd. Bundes, Session 1869, 14. Sitzung, S. 240/41 u. Lipp. Volksbote, 11. Jahrgang 1869, Nr. 16. und Nr. 17. Zweiter Teil Die lippischenWanderarbeiter unter der Gewerbefreiheit Fleege-Althoff, Wanderarbeiter 10 Vorbemerkung. In diesem Teile haben wir eine systematische Darstellung der gegenwärtigen lippischen Arbeiterabwanderung zu geben, wobei auch kurz die Entwicklung im letzten Menschenalter zu skizzieren sein wird. Es handelt sich dabei hauptsächlich um die Ziegler. Die übrigen Wanderarbeiter — Maurer usw. — können nur kurz Berücksichtigung finden, weil ihre Behandlung besonderer umfangreicher Studien bedarf, die aber über den Rahmen dieser Arbeit hinausgehen würden. Auch ist ihre Zahl im Verhältnis zu den Zieglern gering, und manche Ausführungen, namentlich des 1., 3. und letzten Kapitels, haben ohne weiteres für alle Gruppen von Wanderarbeitern Gültigkeit. Es interessiert zunächst der Umfang der Wanderarbeit unter Berücksichtigung der statistischen Erhebungen im Abwanderungsgebiet und unter Hervorhebung der räumlichen Ausdehnung der Zuwanderungsgebiete. Der Umfang der heutigen Wanderarbeit ist nur zu verstehen, wenn wir sie in Beziehung bringen zum allgemeinen Wirtschaftsleben Lippes und dabei die Ursachen dieser Wanderbewegung aufdecken. Das 2. Kapitel wird uns dann Aufschluß zu geben haben über die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse der wichtigsten Wanderarbeitergruppe, der Ziegler. Im Anschluß daran können wir die Bedeutung der Abwanderung ableiten und auch die Frage nach der voraussichtlichen Weiterentwicklung stellen, um dann zunächst Stellung zu nehmen zu den Maßnahmen, die bis jetzt zur Eindämmung der Wanderarbeiterbewegung ergriffen sind und darauf noch über Mittel und Wege nachzudenken, die uns für die völlige Beseitigung der Wanderarbeit geeignet erscheinen. Erstes Kapitel Umfang und Ursachen der lippischen Wanderarbeit I. Abschnitt: Der Umfang der Wanderarbeit § 19. Die statistische Erfassung der lippischen Wanderarbeiter. Die Tatsache, daß die lippischen Wanderarbeiter wiederholt Objekt zahlenmäßiger Erhebungen gewesen sind, rechtfertigt es, wenn wir hier in systematischer Weise die verschiedenen Statistiken, sowohl unter allgemeinen statistischen Gesichtspunkten als auch im einzelnen, zum Gegenstande der Darstellung machen. Während die statistische Erfassung der innerstaatlichen Wanderungen Deutschlands, namentlich der Arbeiterwanderungen, im allgemeinen bisher als rückständig bezeichnet werden muß, kann man von Lippe Günstiges berichten. Das gilt nicht nur für Zahl und Art der Erhebungen, sondern auch für die Ergebnisse. Es dürfte keinen Staat geben, in dem so viele und genaue primär- statistische Ermittlungen über Wanderarbeiter angestellt wurden, wie in Lippe. Wenn wir die Erhebungen zunächst im ganzen überschauen, so können wir Reichs-, Landes- und Privatstatistiken feststellen. Allerdings muß für die Reichsstatistiken erwähnt werden, daß es sich hier um sekundäre Auswertung der Berufs- und Volkszählungen handelt, und daß lediglich die Ergebnisse von 1882, 1895, 1907 und 1925 verwertbar sind. Durch die Berufszählung vom 5. Juni 1882 waren für Lippe 11908 Ziegler als auswärts auf Arbeit ermittelt 1 ). *) St. d. D. R. Neue Folge Bd. 41 1, S. 190/191, Anmerkung. 10* — 148 — Die Frage B im Zählformular I nach den aus der Haushaltung vorübergehend abwesenden Personen ermöglichte eine solche Feststellung. Ein zwar nicht ganz genau zutreffendes, aber immerhin noch brauchbares Ergebnis auf Grund reichsstatistischer Erhebung erhalten wir, wenn wir die Berufszählungen von 1895 und 1907 für unsere Zwecke auswerten. Das ist möglich, weil diese Zählungen in den Sommer fielen, als die Wanderarbeiter nicht in Lippe weilten, so daß, da weibliche Abwanderer nicht in Frage kamen, aus der Differenz zwischen männlichen und weiblichen ortsanwesenden Personen auf die Zahl der Wanderarbeiter geschlossen werden kann. Es waren ortsanwesend 1 ): 1895 1907 weibliche Personen . . 68 003 76 303 männliche Personen . . 55 541 61 298 Unterschied 12 462 15 005 Diese Differenzen stellen ungefähr die Zahl der Wanderarbeiter dar. Die Richtigkeit dieser Methode zur Ermittlung der Wanderarbeiter erhellt daraus, daß z. B. im Jahre 1905 nach den Ergebnissen der Volkszählung 14 397 Ziegler vorhanden 2 ) waren. Rechnet man rund 1000 Ziegler s ) als NichtWanderarbeiter ab und rund 800 Wandermaurer hinzu, und berücksichtigt man ferner die in den Sommermonaten in Lippe anwesenden Kurgäste, von denen die meisten weibliche Personen waren, dann nähert sich die Zahl der obigen Differenz für 1907. Für 1895 gibt die im Dezember stattgefundene Volkszählung insofern die Möglichkeit einer kontrollierenden Auswertung, als deren Ergebnisse mit den Ziffern der Berufszählung vom Juni desselben Jahres verglichen werden können. Es wurden gezählt als ortsanwesend: *) St. d. D. R., Neue Folge Bd. 211, S. 2/3 des Tabellenwerkes. 2 ) Beilage zu Nr. 85 des Amtsblattes für Lippe vom 24. 10. 1906. 3 ) St. d. D. R., Neue Folge Bd. 209, S. 772/73. männlich weiblich zusammen Unterschied 10 635 am 2. Dezember 1895 . 66176 am 14. Juni 1895 . . . 55 541 675 68 678 68 003 11310 134 854 1 123 544 1 l 1 ) l 2 ) Die Differenz zwischen der männlichen und weiblichen Bevölkerung betrug demnach am 2. Dezember nur 2 502, das ist etwa die Zahl, die für die ortsabwesenden Wanderarbeiter eingesetzt werden muß. Vermindert man diese Ziffer um die Differenzzahl 675 und addiert dann 10 635, so erhält man ebenfalls die oben ermittelte Zahl 12462. Im Jahre 1901 hat die lippische Regierung die Ergebnisse der Volkszählung von 1900 insofern ausgenutzt, als sie die ortsanwesenden Ziegler nach Geschlecht, Familienstand und Stellung im Beruf auszählen ließ. Diese Statistik gibt infolgedessen kein zutreffendes Bild von der Zahl der Wanderziegler. Sie wurde auch nicht veröffentlicht. Nur dem Zufall ist es zu verdanken, daß wir die Ergebnisse in der Regierungsregistratur fanden. Da durch die Volks- und Berufszählung vom 16. Juni 1925 nicht nur die ortsanwesenden Personen ermittelt wurden, sondern auch die Frage nach der vorübergehenden Ortsabwesenheit gestellt war, so ist in Verbindung mit den Angaben über Beruf und Arbeitgeber eine sekundär-statistische Auswertung zur Feststellung der Wanderarbeiterzahl möglich. Die für 1895 und 1907 angewandte Differenzmethode ist jedoch nicht auf 1925 übertragbar, weil die Zahl der Kurgäste und Sommerfrischler zu erheblich ins Gewicht fällt; immerhin zeigt auch hier das Verhältnis der ortsanwesenden männlichen und weiblichen Bevölkerung zueinander, 76762 : 89 276"), daß 12514 weibliche Personen mehr vorhanden waren, eine Ziffer allerdings, die höher ist als die Zahl der Wanderarbeiter. Als genaueste und deshalb auch als allein maßgebende statistische Erhebungen kommen die von der lippischen *) Vierteljahrshefte z. St. d. D. R. 1897, S. I. 28. 2 ) St. d. D. R., Neue Folge Bd. 105, S. 588. 3 ) Staatsanzeiger für Lippe, Nr. 79, vom 2. 10. 1926. Regierung verschiedentlich angeordneten primären Ermittlungen als Landesstatistiken in Frage. Auf die älteren sei hier nur noch einmal kurz hingewiesen. Vom Jahre 1778 ab hatten die einzelnen Ämter jährlich die Zahl der „ins Ausland Gehenden" zu berichten. (Siehe Seite 61.) Die Angaben — teilweise recht lückenhaft — sind bis zum Jahre 1826 zu verfolgen, dann hören sie auf. Nach der Instruktion für die alten Boten (S. 111) und nach § 8 des Gesetzes vom Jahre 1851 hatten die Ziegelagenten jährlich genaue Verzeichnisse einzuschicken. Sie liegen bis zum Jahre 1869 einschließlich vor. Siehe S. 122 ff.) Aus ihnen erfahren wir Zahl der Ziegler, Wohnort, Wanderungszielgebiet, -ort und -Ziegelei. Die neueren amtlichen Zählungen beginnen mit dem Jahre 1905. Drei primär-statistische Erhebungen fanden in Verbindung mit den Volkszählungen von 1905, 1910 und 1919 statt. Besonderer Erwähnung bedarf die Spezialerhebung vom Jahre 1923. Sie wurde vom Landespräsidium zum Zwecke der Orientierung über die Verhältnisse der Wanderarbeiter angeordnet. Zu den einzelnen Zählungen ist zunächst allgemein folgendes zu sagen: Die ständig steigende Zahl der Wanderarbeiter und die infolgedessen bei Regierung und Landtag zunehmende Erkenntnis der Bedeutung dieser Bevölkerungsgruppe werden die Veranlassung gewesen sein, daß im Jahre 1905 zum ersten Male gelegentlich der Volkszählung von Amts wegen eine primär-statistische Ermittlung der ortsanwesenden und ortsabwesenden Ziegler in besonderen Zählformularen vorgenommen wurde. Die Ergebnisse dieser Zählung finden wir in der Beilage zu Nr. 85 des Amtsblattes für das Fürstentum Lippe vom 24. Oktober 1906. In der allgemeinen Übersicht I zeigen die Rubriken 10, 11 und 12 für die einzelnen Städte, Bauerschaften, Domänen und Rittergüter die entsprechenden Ziffern. In einer besonderen Übersicht V sind unter A — 151 — die am Zählungstage ortsanwesenden, unter B die am Zählungstage ortsabwesenden Ziegelmeister und Zieglergehilfen nach dem Alter für die Städte und Verwaltungsämter zahlenmäßig zusammengestellt. In der letzten Rubrik dieser Übersicht finden wir auch Prozentzahlen über die Zahl der Ziegler im Verhältnis zu den männlichen Einwohnern Lippes. Auf die Ziffern selbst kommen wir in anderem Zusammenhange zu sprechen. Auch am 1. Dezember 1910 war mit der Volkszählung eine Zählung der in Lippe seßhaften Wanderarbeiter verbunden, und zwar sowohl der ortsanwesenden als auch der ortsabwesenden Ziegler und Maurer. Die Spalten 9—14 der Hauptübersicht I in der Zusammenstellung der Ergebnisse der Volkszählung vom 1. 12. 1910 — Beilage zu Nr. 87 des Amtsblattes für das Fürstentum Lippe vom 1. November 1911 — enthalten die absoluten Ziffern für die einzelnen Ortschaften in folgender Anordnung: ortsanw. Ziegl ortsabw. e r Zus. Spalte 9+10 ortsanw. Maur ortsabw. e r Zus.Spalte 12+13 9 10 11 12 13 14 Die Übersicht VI 1 ) gibt dann für Stadt- und Landbezirke Aufschluß über Zahl und Alter der ortsanwesenden und ortsabwesenden Ziegelmeister, Zieglergehilfen und Maurer. In der letzten Spalte dieser Übersicht ist wiederum errechnet, wieviel Ziegler auf 100 männliche Bewohner der entsprechenden Bezirke entfallen. Eine Übersicht VII endlich liefert für die Verwaltungs bezirke Ziffern über ortsanwesende Zieglermeister, Zieglergehilfen und Maurer nach dem Familienstande; schade, daß hier nicht auch die ortsabwesenden Personen entsprechend erfaßt sind. Die Auswertung der Statistik wird in einem besonderen Paragraphen erfolgen. *) Beilage Nr. 87 a. a. O., S. 41—55. — 152 — Auch am 8. Oktober 1919 wurde in Verbindung mit der Volkszählung eine Auszählung der Ziegler in einer besonderen Liste vorgenommen, um, wie es in der Vorbemerkung auf diesem Formular heißt, festzustellen, „welchen Anteil die lippischen Ziegler am Kriege gehabt haben, wieviel Verluste eingetreten sind und wie die Arbeitsverhältnisse für die Ziegler sich gestaltet haben". Das Zählformular hatte folgendes Aussehen: Lfd. Nr. Name der Ziegler Geburtsjahr Von den in Spalte 2 eingetragenen Zieglern haben am Kriege teilgenommen sind verwundet sind in Gefangenschaft geraten sind als Kriegsteil n eh- merge- storben haben während der Kriegsjahre gearbeitet: 1. in welchem Jahre bzw. in welcher Zeit ? 2. in welchem Berufe ? 3. Sonstige Bemerkungen 1 2 3 4 5 6 7 8 Leider ist die Statistik, namentlich bezüglich der Fragen unter 8, nicht so ausgefallen, wie es erwünscht gewesen wäre. Es wurden*) nur 5 232 Fragebogen ausgefüllt, die folgendes Ergebnis lieferten: Ausgezählte Ziegler . . . . . 6 966 davon am Kriege teilgenommen . . . 4 664 verwundet ........ 1678 in Gefangenschaft geraten ... 603 als Kriegsteilnehmer gestorben . 784 vermißt.......... 58 Gegenüber 1910 waren demnach 6582 Ziegler weniger ermittelt. Die Hauptursache des Unterschiedes liegt in dem namentlich während des Krieges und auch noch nach dem Kriege erfolgten Berufswechsel der Ziegler, so daß für diese Personen keine Fragebogen ausgefüllt wurden. *) Mitteilungen der Regierung vom 27. 10. 1920. 1 — 153 — Sehr viel Ziegler, die in der Kriegsindustrie beschäftigt waren, kehrten zunächst nicht zur Ziegelarbeit zurück, sondern gingen weiter als Fabrik- und Bergarbeiter namentlich ins Industriegebiet; ein geringer Prozentsatz kommt auf die Personen, die in Lippe selbst dauernde Beschäftigung fanden. Es hat also nur eine Verschiebung hinsichtlich der Tätigkeit der Wanderarbeiter sattgefunden; die Zahl dürfte sich nicht so sehr geändert haben. Um für diese Behauptung Anhaltspunkte zu bekommen, haben wir im Dezember 1920 spezielle Erhebungen vorgenommen, deren Ergebnisse folgende Tabelle zeigt: Gemeinde Wanderarbeiter 1910 Wanderarbeiter 1920 Ziegler Maurer] Zusammen Ziegler Maurer Andere Zusammen Schlangen 286 96 382 184 98 68 350 Veldrom 38 8 46 30 8 7 45 Hardissen 50 6 56 30 12 42 Niese 51 2 53 55 1 56 Rischenau 78 14 92 45 20 10 75 Hohenhausen 132 5 137 90 4 35 129 Zusammen: 635 131 766 434 131 132 697 Zwar ergibt diese Statistik eine Abnahme der Wanderarbeiter von 69; doch darf man durchaus nicht ohne weiteres auch auf andere Bezirke schließen, weil bei einigen Orten besondere Verhältnisse zu berücksichtigen sind. In Schlangen z. B. war durch die elektrische Straßenbahn zahlreichen Arbeitern — etwa 90 — die Möglichkeit dauernder Beschäftigung in Paderborn gegeben. Aus Hardissen gingen täglich 15—20 Arbeiter nach dem nahen Lage, in Rischenau fanden gerade 1920 zahlreiche Personen beim Bau der Überlandzentrale und im nahen Forst Beschäftigung, und in Hohenhausen forderte die Zigarrenfabrikation erhöhten Bedarf an Arbeitern. Mögen nun auch für manche anderen Orte ähnliche Erwerbsmöglichkeiten zur Herabminderung der Zahl der Wanderarbeiter geführt haben, für die Mehrzahl der lippischen Gemeinden war das nicht der Fall, so daß man unter Be- rücksichtigung von Zeitungsberichten zu der Schlußfolgerung berechtigt ist, daß die Zahl der Wanderarbeiter auch 1919 noch 11—12 000 betragen hat. Mehr als in früheren Jahren waren die Wanderarbeiter nach dem Kriege Gegenstand lebhafter Erörterungen in Parlament und Presse des lippischen Landes. Das ist erklärlich, weil ja infolge der Beseitigung des alten Dreiklassenwahlrechts durch die allgemeine, gleiche, direkte Verhältniswahl eine bedeutend stärkere Vertretung der Arbeiterklasse im Landtage herbeigeführt wurde, und weil vor allem die Ziegler einen eigenen Kandidaten aufstellten und durchbrachten. Man kann es deshalb verstehen, wenn bald nach der Besetzung des für die lippischen Wanderarbeiter so bedeutungsvollen Ruhrgebietes vom lippischen Landespräsidium die Initiative ergriffen wurde, um genauere Feststellungen über die wirtschaftliche Bedeutung der Wanderarbeiter vornehmen zu lassen. Im April 1923 wurde das lippische Gewerbeaufsichtsamt angewiesen, dem Landespräsidium Vorschläge zu machen, a) wie Ermittlungen vorzunehmen seien 1. über die Zahl der im Sommer 1923 aus dem Lande gehenden Ziegler und Maurer (ge- . trennt), 2. über die Zahl der Ziegelmeister, 3. über die Bedeutung der lippischen Ziegelindustrie, 4. über die Zahl der Wanderarbeiter, die im Laufe der Nachkriegsjahre im lippischen Lande ständige Arbeit gefunden hatten, b) welche anderen Gesichtspunkte für die Beurteilung dieser Verhältnisse eine gewisse Bedeutung hätten. Es lag dem Landespräsidium nach dem von dieser Behörde den Detmolder Zeitungen am 22. und 23. 4. 1923 eingesandten Notizen besonders daran, über die Zahl und — 155 — wirtschaftlichen Verhältnisse der Wanderarbeiter im Vergleich zur Vorkriegszeit und ihre Arbeitsgebiete, sowie über die Beschäftigung früherer Wanderarbeiter in der lippischen Industrie genauer orientiert zu werden. Die Feststellungen „sollten dazu dienen, die wirtschaftlichen Maßnahmen des Landes den Lebensbedürfnissen der Volksgemeinschaft anzupassen". Nach Genehmigung der vom Gewerbeaufsichtsamt gemachten Vorschläge bezüglich der Durchführung der Erhebung wurden die' Gemeindebehörden im Juni 1923 aufgefordert, die entsprechenden Feststellungen zu machen und in 2 Fragebogen (Seite 156) einzutragen. Unter Hinweis auf den wichtigen Zweck der Erhebungen bat das Gewerbeaufsichtsamt, „für eine möglichst zuverlässige, vollständige und pünktliche Durchführung zu sorgen". Als Stichtag der Ermittlungen war der 27. Juni 1923 bestimmt. Aus dem Urmaterial geht hervor, daß sich die Gemeindevorsteher und Bürgermeister im allgemeinen der Aufgabe mit großer Gewissenhaftigkeit unterzogen haben. Lehrer, Schulkinder, Polizeibeamte und andere-Personen haben hilfsbereit mitgewirkt. Da all diese Personen, besonders die Vorsteher, mit den Verhältnissen der einzelnen Gemeindemitglieder genau vertraut waren, kann die Erhebung, selbst wenn man sie nicht als „Zählung" ansprechen will, als die bisher eingehendste und wichtigste, wenn auch zahlenmäßig nicht genaueste, Wanderarbeiterstatistik angesehen werden. Es wurden von allen Gemeinden — bei einigen Vorstehern bedurfte es zwar der Erinnerung und Mahnung - die ausgefüllten Formulare zurückgesandt. Zwar sind nicht alle Fragen gleichmäßig beantwortet und deshalb nicht gleichwertig; immer aber gewinnt derjenige, welcher das Urmaterial durcharbeitet u:id auch sonst mit den Verhältnissen vertragt ist, ein einigermaßen klares Bild von der Lage und Bedeutung der lippischen Wanderarbeiter im Sommer 1923. Das Gewerbeaufsichtsanit hat das Material entsprechend verarbeitet und dann im Jahresbericht 1923/24 veröffentlicht. Wir kommen darauf und auf Spezialfest- stellungen aus dem Urmaterial in anderen Zusammenhängen zurück und lassen hier zunächst die Fragebogen folgen. Fragenbogen II. (Hier nur inhaltlich, nicht nach der Form wiedergegeben.) A. Zahl der am 27. Juni 1923 nach auswärts abgewandert gewesenen ortsansässigen Personen, und zwar nach Rheinland- Westfalen Hannover und Norddeutschland Hessen- Nassau und Mitteldeutschland anderen Gegenden Deutschlands od. ins Ausland a) als Ziegelmeister b) als Ziegelarbeiter c) als Maurer oder sonst. Bauarbeiter d) zu sonst. Tätigkeit B. Zahl der am 27. Juni 1923 ortsanwesenden Personen, und zwar arbeitslos in lippischen Betrieben in ihrem Berufe tätig mit sonstiger Arbeit beschäftigt (z. B. Notstandsarbeiten) a) Ziegelmeister b) Ziegelarbeiter c) Maurer oder sonst. Bauarbeiter Fragebogen I. Im Auftrage des Landespräsidiums werden die lippischen Gemeindebehörden ersucht, gegebenenfalls unter Zuziehung sachkundiger Personen, diesen Fragebogen auszufüllen und dem zuständigen Verwaltungsamt möglichst bald einzusenden. Die Magistrate der Städte wollen den ausgefüllten Fragebogen dem Gewerbeaufsichtsamt unmittelbar zusenden. Die Feststellungen sind von erheblicher Wichtigkeit; möglichst genaue Angaben sind daher — 157 — dringend wünschenswert. Können in einzelnen Fällen keine genauen Zahlen angegeben werden, so genügt eine möglichst gewissenhaft vorzunehmende Schätzung. Gemeinde:......, den 27. Iuni 1923. l.Sind Wanderarbeiter der dortigen Gemeinde seit dem Ende des Krieges für dauernd nach auswärts (außerhalb Lippes) verzogen? a) wieviele von jeder Art (Ziegelmeister, Ziegler, Maurer, sonst. Bauarbeiter, sonstige?): b) wohin: c) weshalb: 2. Sind Wanderarbeiter der dortigen Gemeinde seit Ende des Krieges dauernd zu einer festen Beschäftigung im Lande (in der dortigen Gemeinde oder an anderen lippischen Orten) übergegangen? a) wieviele von jeder Art (Ziegelmeister, Ziegler, Maurer, sonstige Bauarbeiter, sonstige?): b) Arten der neuen Tätigkeit: c) weshalb: 3. Wieviele Wanderarbeiter der dortigen Gemeinde arbeiten z. Z. nur mit kurzen Unterbrechungen das ganze Jahr außerhalb Lippes? a) Ziegelmeister und Ziegler: b) sonstige: (welcher Art): 4. Wieviele Wanderarbeiter sind durchschnittlich im Jahre außerhalb Lippes tätig? a) 30 Wochen und weniger: b) 30—40 Wochen: c) über 40 Wochen: 5. Wieviele Wanderarbeiter kommen gewöhnlich in die Heimat zurück? a) vor dem 1. Oktober: b) nach dem 1. Dezember: 6. Wieviele Wanderarbeiter unter 20 Jahren sind vorhanden ? — 158 — a) Ziegler: b) Maurer: c) sonstige: 7. Wieviele Wanderarbeiter haben eigene Besitzung? a) Landbesitz ohne Haus: b) Landbesitz mit Haus: 8. Wieviele Wanderarbeiter, die früher Einlieger waren, haben seit Ende des Krieges eigene Besitzung ? 9. Wieviele Wanderarbeiter haben besondere Winterbeschäftigung in der Heimat? a) Waldarbeit: b) Wegebau: c) Hausschlachterei: d) sonstige Beschäftigung (Welche?): 10. Von wieviel Wanderarbeitern gehen Frauen und Kinder in der Abwesenheit des Mannes auf Arbeit? Außer den bisher angeführten teilweise veröffentlichten Landesstatistiken sei hier noch die Regierungsstatistik *) aus dem Jahre 1913 genannt. Der Fragebogen trug die Aufschrift „Nachweisung über die in den 5 Jahren 1908, 1909, 1910, 1911 und 1912 aus Lippe abgewanderten, d. h. dauernd aus Lippe verzogenen Ziegler und Maurer, sowie Landwirte, die sich durch Erwerb von Grundbesitz außerhalb Lippes ansässig gemacht haben". Diese Erhebung geschah auf Wunsch des Landtages, der die Regierung gebeten hatte, „über die Abwanderung von Wanderarbeitern nach außerhalb des Landes, insbesondere über die Verteilung der Abwanderung auf die verschiedenen Gegenden des Landes und über ihre maßgebenden Ursachen Ermittlungen zu veranstalten". Mit der Durchführung wurden die Verwaltungsämter und Magistrate beauftragt. Feststellende Personen waren die Gemeindevorsteher. Es handelte sich nach dem Fragebogen um folgende Tatsachen: *) Regierungsstatistik 16, Fach 16, Nr. 2, Bd. 1, vom Jahre 1913. — 159 — 1. Name, Wohnort und Beruf des Abgewanderten. 2. War der Abgewanderte ledig oder verheiratet? 3. Im Falle der Verheiratung Zahl der mit abgewanderten Familienangehörigen. 4. Hatte der Abgewanderte Grundbesitz? 5. Wohin ist er abgewandert? 6. Was war die Ursache der Abwanderung? 7. Jahr der Abwanderung. 8. Bemerkungen. Zu den von privater 'Seite unternommenen statistischen Erhebungen über die lippischen Wanderarbeiter rechnen wir einmal die durch das Konsistorium angeordneten Feststellungen der lippischen Pfarrer in den Jahren 1860, 1872, 1874, 1881 für die Zwecke der geistlichen Pflege 1 ), und sodann die im Jahre 1897 vom Gewerkverein der Ziegler veranstaltete Enquete. Während das Urmaterial der ersten Statistiken teilweise in den Kon- sistorialakten erhalten ist, war von der letzten Erhebung nichts mehr aufzutreiben. Hierhin gehören endlich folgende SpezialStatistiken, die für die Zwecke dieser Abhandlung bestimmt waren und die an entsprechender Stelle ausgewertet werden: 1. Statistik über die in den Jahren 1876—1914 in Lippe verstorbenen Ziegler. Sie ist von den einzelnen Standesbeamten auf Grund der amtlichen Sterbe- rigister aufgenommen. (Siehe § 41b.) 2. Statistik über den Grundbesitz der Ziegler, um dadurch die Beteiligung dieser Berufsgruppe, welche die meisten Wanderarbeiter stellt, am Grundbesitz überhaupt und an den einzelnen Größenklassen festzustellen. Als Grundlage dienten die Grundbuchmutterrollen des amtlichen Katasters. (Siehe Anl. 2.) 3. Statistik über die in den Jahren 1860—1918 in der Irrenanstalt Lindenhaus in Brake untergebrachten Ziegler. (Siehe § 41b.) *) Kons.-Akten, Fach 110—112, 1860 ff., Vol. II, V u. Lipp. Volkskalender 1884, S. 34. — 160 — § 20. Die allgemeine Auswertung der Hauptstatistiken. a) Bevor wir die einzelnen primären amtlichen Landesstatistiken auswerten, müssen wir auf einige Mängel eingehen, die den Erhebungen und Veröffentlichungen anhaften. Zunächst bedarf es des Hinweises, daß die in den Tabellen von 1906 und 1911 aufgeführten Ziffern für Ziegler und Maurer nicht etwa identisch sind mit der Zahl der Wanderarbeiter. Man hat vielmehr die ständig in Lippe anwesenden Ziegler und Maurer abzuziehen. Wieviel sind das? Die Unterlagen dafür liefert uns die Berufs- zählungj vom Jahre 1907. Danach waren 1037 Ziegler und 1905 Maurer in Lippe tätig 1 ). Um diese Ziffern mindesten müssen wir deshalb die Gesamtzahl der Ziegler und Maurer vermindern. Leider ist es nicht möglich, auch die Zahlen für die einzelnen Orte entsprechend zu reduzieren, da absolute Ziffern nicht zur Verfügung stehen und ein prozentualer Abschlag bei der ungleichmäßigen Verteilung über das Land ein ganz schiefes Bild ergeben würde. Die betreffenden Ziffern der verschiedenen Ortschaften müssen daher unter diesem Gesichtspunkte gewertet werden. Die Statistik vom Jahre 1923 ist frei von dieser Fehlerquelle. Sodann sind verschiedentlich prozentuale Berechnungen vorgenommen, die ebenfalls als fehlerhaft bezeichnet werden müssen. Man hat einfach den Prozentsatz der Ziegler und Maurer von den ortsanwesenden Bewohnern festgestellt 2 ). Das ergibt einen zu hohen Prozentsatz. Man müßte deshalb die entsprechenden Ziffern zunächst um die ortsabwesenden Personen vermehren, die nur vorübergehend anwesenden subtrahieren und dann diese Wohnbevölkerung zur Grundlage der Berechnung machen. Da aber nur die ortsabwesenden Ziegler und Maurer ermittelt sind, also nicht feststeht, wieviel in Lippe seßhafte Personen anderer Berufe am *) St. d. D. R., Neue Folge Bd. 209, S. 772/73. 2 ) Beilage 85 von 1906 a. a. O., S. 4, Beil. 87 v. 1911 a. a. O., S. 4. — 161 — Zähltage nicht ortsanwesend waren, andererseits auch die nicht in Lippe ansässigen, am Zähltage aber vorübergehend anwesenden Personen in der Statistik enthalten sind, so erscheint es doch ratsam, die Ziffern der Wanderarbeiter für 1910 auf die ortsanwesende Bevölkerung zu beziehen; die erwähnten Fehlerquellen 1 müssen mit in Kauf genommen werden. Weiter ist auf eine Eigentümlichkeit der Zählung von 1925 hinzuweisen. Es sollte u. a. die Wohnbevölkerung dadurch ermittelt werden, daß im Verzeichnis B des Zählbogens die vorübergehend oder zufällig abwesenden Haushaltungsmitglieder bzw. Haushaltungen, unter C die von den unter A genannten Personen in der Haushaltung nur vorübergehend oder zufällig anwesenden aufzuführen waren. Leider wurde nach diesen grundsätzlichen Vorschriften nicht verfahren; denn die Anleitung zur Ausfüllung der Haushaltungslisten enthielt unter 6 für das Verzeichnis B die Bemerkung: „Familienangehörige, die ausbildungs- oder erwerbshalber für längere Zeit aus der Haushaltung ausgeschieden sind, gelten nicht als Mitglieder dieser Haushaltung und sind deshalb in dieser Liste nicht anzugeben. Doch ist der abwesende Haushaltungsvorstand hier aufzuführen, selbst wenn er längere Zeit abwesend ist, aber die Absicht zur Rückkehr in die häusliche Gemeinschaft hat". Nach dieser Bestimmung, die namentlich in dem Passus „längere Zeit" für eine Zählung nicht klar genug ist, werden demnach von den Wanderarbeitern wahrscheinlich alle ledigen Personen, oder doch die meisten davon, als vorübergehend abwesend in Lippe überhaupt nicht mitgezählt sein. Und hier scheint die Erklärung dafür zu liegen, daß statt der sich auf Grund der Fortschreibungsstatistik (Geburten, Sterbefälle) ergebenden Wohnbevölkerung von 171447 Personen 7799 weniger gezählt wurden. In der Vorbemerkung 1 ) zur Statistik über das endgültige Ergebnis der Volkszählung vom 16. Juni 1925 *) Staatsanzeiger Nr. 79 v. 2. 10. 26, S. 463. Fleege-Althoff, Wanderarbeiter 11 — 162 — wird dann auch richtig gefolgert: „Diese 7799 Personen haben entweder für längere Zeit außerhalb des Landes eineBeschäftigung gesucht, oder sie sind ganz von Lippe verzogen". Es ist schade, daß diese Lücke in der Zählung vorhanden ist; denn sonst würde man aus der vorübergehend abwesenden männlichen Bevölkerung ohne weiteres auf die Zahl der Wanderarbeiter schließen können. Infolge dieses Mangels werden natürlich alle Ergebnisse, auch die der Berufszählung für Lippe, ungenau, und insbesondere sind z. B. Schlußfolgerungen für das Verhältnis der männlichen zur weiblichen Bevölkerung, sowie etwa für den Wanderungsverlust, durch Vergleich der tatsächlichen Zunahme mit dem Geburtenüberschuß 1 ), falsch. b) Unter steter Berücksichtigung der eben skizzierten besonderen Mängel und unter Hinweis auf die allgemeinen Schattenseiten statistischer Erhebungen überhaupt, fassen wir zunächst die Gesamtzahl der Wanderarbeiter ins Auge und besprechen dann die Verteilung nach Verwaltungsämtern, Ämtern und Gemeinden. 1. Folgende Tabelle gibt uns Aufschluß über die Entwicklung der Wanderarbeit in Verbindung mit der Bevölkerungszunahme: Jahr Bevölkerung; Wanderarbeiter absolut pro qkm absolut o/o der Bevölkerung pro qkm 1882 1895 1900 1905 1910 1923 ca. 121 500 134 854 138952 145 577 150 937 ca. 163500 100 111 114,3 119,8 124,2 ca. 134,5 ca. 11 908 „ 12 400 „ 14 000 2 ) „ 14 407 „ 14 227 „ 9 596 9,8 9,2 10,0 9,8 9,4 5,8 9,8 10,2 11,5 11,8 11,7 7,8 *) Z. B. Wirtschaft u. Statistik, Jg. 7, Nr. 7, S. 309. 2 ) Diese Ziffer wurde durch Vergleich mit den Ergebnissen für 1905 folgendermaßen errechnet: 1905 1900 Ortsanwesend . . 9 457 9 145 Ortsabwesend . . 4 950 _ ca. 4 890 Zusammen . . . 14 407 14 035 — 163 — Wir erkennen die absolute Steigerung mit zunehmender Bevölkerung bis 1905, sowie den etwa gleichen Prozentsatz (9—10) bis zum Jahre 1910 und 1 dann die Abnahme, die nach dem Kriege eintrat. Sie betrug: von 1910 bis 1923 . . 38,3% „ 1905 „ 1923 . 40,8% Auf die Ursachen dieser Abnahme wollen wir im letzten Teile der Abhandlung ausführlicher eingehen. Wenn wir die zuverlässigsten Zahlen aus dem Jahre 1910 zugrunde legen, dann ergibt sich, daß die Wanderarbeiter damals 19,4 % der männlichen Bewohner und 31 % der männlichen Bevölkerung von 14 Jahren und darüber ausmachten. Die entsprechenden Verhältniszahlen würden für 1923 etwa 13 °/o und 20,8 % betragen, was bedeutet, daß immer noch mehr als % U der erwerbstätigen männlichen Bewohner Lippes abwandert. 2. Nicht alle Bezirke sind in gleichem Maße an der Wanderarbeit beteiligt. Stellen wir zunächst allgemein Stadt und Land unter Berücksichtigung der Jahre 1905, 1910 und 1923 einander gegenüber: Bezirk 1 9 0 5') 19 101) 1 9 2 3 Z i e g 1 e r Ziegler u. Maurer Wanderarbeiter absol. °A> o/o der Bev. absol. 'Ii o/o der Bev. absol. % o/o der Bev. Städte: Land: 1554 12853 10,7 89,3 3,7 12,3 1612 12615 11,3 88,7 3,6 11,9 1062 8534 11,0 89,0 1,8") 8,2 Zweierlei fällt an der Zusammenstellung auf, einmal die Tatsache, daß die meisten Wanderarbeiter aus ländlichen Bezirken stammen, und dann die stärkere Abnahme in den Städten von 1910 bis 1923. 1 ) Hier gilt, was auf Seite 160 gesagt wurde: es wurden 1910 berücksichtigt: Städte . 1450 Ziegler und 162 ortsabwesende Maurer Land . 12101 „ „ 514 ') Einschl. der neuen Stadt Schötmar. n* — 164 — Die Verteilung der Wanderarbeiter in den ländlichen Bezirken ist nicht gleichmäßig und der Rückgang 1910/23 nicht einheitlich, wie folgende Übersicht zeigt: Wanderarbeiter Verwal1 9 1 0 19 2 3 Abn. 1910-23 absol. °/o absol. °/o Über 100 ha 6610 8,7 5653 7,7 5224 7,6 20 bis 100 ha 31493 41,4 28954 39,3 25282 37,0 5 bis 20 ha 17079 22,4 18222 24,8 17149 25,1 2 bis 5 ha 9758 12,8 9072 12,3 8644 12,6 kleiner als 2 ha 11212 14,7 11719 15,9 12064 17,7 76152 100,0 73620 100,0 68363 100,0 Fassen wir zunächst die Angaben von 1907 ins Auge, weil sie der. Vorkriegszeit entstammen und wir sie zu Vergleichszwecken mit anderen Zahlen nötig haben. Besonders auffällig ist das Mißverhältnis zwischen Betriebsgröße und Fläche, sowie, trotz des bestehenden gesetzlichen Unteilbarkeitsprinzips der Höfe, die große Zahl der unselbständigen Betriebe unter 2 ha. Während diese nun % aller Betriebe ausmachen, entfällt nur etwa Ve der Fläche auf sie, und während nur 3 % Großbauern (20—100 ha) vorhanden sind, bewirtschaften sie doch fast % des landwirtschaftlich genutzten Landes; rechnet man den Großgrundbesitz noch hinzu und bedenkt man ferner, daß der allergrößte Teil der forstwirtschaftlich genutzten Fläche auch zu dieser Kategorie gehört, so wird das Bild noch ungünstiger. Selbst die Mittelbauern *) Stat. d. Deutschen Reiches, Bd. 112. ") Ebenda, Bd. 212, 2a. 3 ) Wirtschaft u. Statistik, 7. Jg., 1927, Nr. 9, S. 396/97. — 201 — (5—20 ha), die eigentlich das Rückgrat bilden sollten, besitzen nur % der Anbaufläche, und die Kleinbauern (2—5 ha) gar nur %. Zwar sind die Verhältnisse im Vergleich zu früher insofern etwas günstiger geworden, als gegen 1895 der Großbesitz zugunsten der übrigen Klassen kleiner geworden ist und auch die Zahl der Großbauern und Großgrundbesitzer abgenommen hat. Doch will das bei der steigenden Bevölkerung nicht viel bedeuten, auch hat ja dafür die Gesamtfläche um rund 2500 ha abgenommen, die auf Wege, Bahnen und Neubauten entfallen dürften, und die Zahl der Zwergbetriebe sich um 2303 erhöht. Nach der Statistik von 1925 hat eine weitere Reduzierung der 3 mittleren Betriebsgrößenklassen stattgefunden. Die Betriebe über 100 ha haben zwar absolut um 3 zugenommen, nicht aber auch ihren relativen Anteil vergrößert. Zu besonders ernsten Bedenken aber gibt die überaus große Zahl der Zwerg- und Parzellenbetriebe Anlaß, namentlich deshalb, weil sich bis zur Gegenwart diese Verhältnisse noch verschlechtert haben. Denn nach den ersten Reichsergebnissen der landwirtschaftlichen Betriebszählung von 1925 ist die Zahl dieser unselbständigen Betriebe gegenüber 1907 um 1191 auf 22 821 angewachsen. Dabei muß aber noch berücksichtigt werden, daß 1925 für die Kleingärten unter 5 a als selbständige Betriebe kein Fragebogen ausgefüllt wurde, während 1907 diese Kleingärten als „landwirtschaftliche Betriebe" besonders erfaßt waren 1 ). Sonst würde sich obige Zahl noch um 1348 Kleingärten 2 ) unter 5 a erhöhen. Die Zwerg- und Parzellenbetriebe machen 81,5 % aller landwirtschaftlichen Betriebe aus. Damit gehört Lippe im Deutschen Reiche zu den wenigen Staaten mit einem sehr hohen Prozentsatz dieser Art Besitzungen. Es wird nur noch von Anhalt übertroffen, das mit 81,9 % an der Spitze steht, wenn wir von den Stadtstaaten Ham- *) Sonderabdruck aus Wirtschaft u. Statistik, 7. Jg., Nr. 9, S. 7. 3 ) Nach dem Urmaterial des Stat. Büros, Detmold. — 202 — bürg:, Bremen, Lübeck absehen. Die Relativziffern für die übrigen Länder Deutschlands seien hier zugleich mit dem Anteil dieser Größenklasse an der landwirtschaftlich benutzten Fläche angeführt 1 ): Land Zahl der Zwerg» u. Parzellenbetriebe in % aller Betriebe Anteil an der landwirtschaftlich benutzten Fläche pro 100 ha Preußen 62,8 5,7 Bayern 36,0 4,4 Sachsen 61,1 5,5 Württemberg- 52,9 10,1 Baden 62,2 17,0 Thüringen 63,9 9,7 Hessen 65,0 14,1 Mecklenburg-Schwerin 72,0 3,7 Oldenburg 53,4 4,6 Braunschweig 80,6 12,4 Anhalt 81,9 9,6 Mecklenburg-Strelitz 80,6 3,3 Waldeck 48,2 6,7 Schaumburg-Lippe 80,2 19,3 Da der Reichsdurchschnitt 59,5 % für unselbständige Betriebe unter 2 ha beträgt, erkennt man, wie erheblich Lippe über dieser Ziffer liegt. Auffallend ist, daß z. B. Baden und Württemberg mit ihrer streng durchgeführten Realerbteilung bei weitem nicht soviel Parzellenbetriebe haben wie Lippe mit seinem Anerbenrecht, so daß sich daraus die Schlußfolgerung ergibt: Die Realteilung beim Erbgange begünstigt die Bildung von Zwerg- und Parzellenbetrieben nicht so sehr wie die Gebundenheit des Grundbesitzes durch Anerbenrecht. Es ist dabei jedoch auch auf die übrigen Größenklassen hinzuweisen, wodurch insofern eine Verschiedenheit festgestellt werden kann, als bei Realteilung die Größenklassen) 2—5 ha und 5—20 ha einen wesentlich höheren Prozentsatz ausmachen als bei Gebundenheit. Vergleichs- *) Wirtschaft u. Statistik. 7. Jg., Nr. 9, S. 396/397. weise seien diese Klassen für Baden, Württemberg und Lippe einander gegenübergestellt 1 ): Land Größenklassen Anteil an 100 ha landwirt- schaftl. benutzter Fläche 2-5' ha 5—20 ha 2—5 ha 5-20 ha Baden Württemberg- Lippe 24,60/ 0 26,7°/o 9,6o/„ 12,4% 1W 0 /. 64% 31,0 25,0 12,6 41,2 47,4 25,1 Wir führen diese Dinge hier an, um darzutun, daß die Freiteilbarkeit des Grundbesitzes die Wanderarbeit nicht so stark begünstigt wie die Gebundenheit, weil sie zugunsten der mittel- und kleinbäuerlichen Betriebe, als zum größten Teile selbständiger Ackernahrungen, wirkt. Daß Lippe soviel unselbständige Zwerg- und Parzellenbetriebe hat, ist auf die Unmöglichkeit der Besitzaufteilung infolge des Anerbenrechtes und auf die damit verbundene Absplitterung von Parzellen zu Bauplätzen für bisherige Einlieger zurückzuführen. So fördert das Anerbenrecht die Vermehrung unselbständiger Betriebe, hemmt die Bildung neuer und Vergrößerung bestehender Klein- und Mittelbetriebe und wird damit zur Hauptursache für die ungünstige Besitzverteilung, die die Abwanderung hervorruft und konserviert. Denn die Inhaber der unselbständigen Betriebe sind alle, die der kleinbäuerlichen und mittelbäuerlichen zum Teil auf anderen Erwerb angewiesen, sie betreiben die Landwirtschaft nur als Nebenbeschäftigung. Ein Teil dieser Personen gehört dem Handwerkerstande an, eine kleinere Anzahl geht auf Tagelohn zu den Bauern, eine andere Gruppe ist in heimischen Gewerbebetrieben tätig, und die übrigen Besitzer wandern mit ihren Söhnen ab. Ob nun aber die eben aufgestellte Behauptung wirklich als „Gesetz" Gültigkeit hat, bedarf noch einer ge- *) Nach Wirtschaft und Statistik, a. a. O. — 204 — naueren Darlegung. Dazu benötigen wir Hilfsmaterial, und insbesondere haben wir die einzelnen Bezirke daraufhin zu prüfen. Denn, wie wir in § 20 gesehen haben, ist die Verteilung der Wanderarbeiter in den einzelnen Bezirken recht ungleichmäßig. Es erscheint deshalb zweckmäßig, zunächst nachzusehen, wie die Größenklassen der landwirtschaftlichen Betriebe in den verschiedenen Bezirken verteilt sind. Leider erhalten wir durch die Betriebszählung von 1907 darüber keine Auskunft, weil nur die Gesamtziffern für Lippe bekanntgegeben wurden. Wir müssen deshalb eine andere Statistik, und zwar des Jahres 1910 x ) heranziehen, aus der wir die Anzahl der steuerpflichtigen Privatgrundbesitzungen ersehen. Da es uns hier lediglich darauf ankommt, die Tatsachen für die Ursachenergründung der Wanderarbeit anzuführen, wollen wir die Städte, weil von untergeordneter Bedeutung, ausschalten. Die Zahlen seien hier jedoch der Vollständigkeit halber summarisch gesondert aufgeführt: Hausbesitz: bis 0,5 ha: 4 435 Besitzungen Grundbesitz: über 0,5— 2 ,, 3 354 „ „2—5 „ 480 „ 5—20 „ 190 „ 20—40 „ 12 „ 40—55 „ 2 55 „ 3 „ Betriebe mit einem landwirtschaftlichen Grundbesitz bis 2 ha waren vorhanden: absolut Prozent aller Betriebe des Amtes im Amte Blomberg . . 575 70,0 „ '„ Schieder ... 790 81,1 Schwalenberg . 989 78,5 Brake .... 972 72,6 „ „ Hohenhausen . 583 56,4 , k Sternberg . . 1263 62,1 Varenholz . . 666 71,2 Detmold . . . 1274 71,7 Horn .... 920 68,6 Lage .... 1416 65,0 Oerlinghausen . 1001 74,1 Schötmar .' . 1378 74,2 *) Kataster B 15, vom 31. 12. 1910. — 205 — Wir möchten an dieser Tabelle folgendes zeigen: Es überwiegen zwar in allen Bezirken die unselbständigen Betriebe bis 2 ha, doch ist der Anteil in den einzelnen Ämtern recht verschieden. Wenn wir die Zahl des Amtes Hohenhausen gleich 100 setzen, dann ergibt sich für Schieder 143,8. Die Differenz von 43,8 wollen wir als Spannung bezeichnen, die hier zugleich als Maximalspannung auftritt. Für Schötmar ist diese Spannung 31,5, für Oerlinghausen 31,4 und für Schwalenberg 39,2. Nun wäre es aber falsch, daraus ohne weiteres Schlußfolgerungen für die Abwanderung zu ziehen, d. h. etwa Bezirke mit den meisten unselbständigen Betrieben auch als Bezirke mit der größten Zahl Wanderarbeiter anzusehen. Denn daß dieser Schluß irrig ist, erkennen wir, wenn wir die Wanderarbeitertabelle zum Vergleich heranziehen. Da sehen wir, daß z. B. Oerlinghausen, Schieder, Schötmar, Detmold, mit den hohen Prozentsätzen für unselbständige Betriebe, nicht auch die meisten Wanderarbeiter hatten, vielmehr gerade mit dem Durchschnitt für Lippe (19,4 % der männlichen Bewohner) übereinstimmten oder sogar, wie Schötmar und Detmold, darunter lagen; daß wiederum Hohenhausen mit dem Minimum an unselbständigen Betrieben 1910 23,4 % Wanderarbeiter aufwies. Lage, Horn, Varenholz, Brake und Schwalenberg allerdings mit den recht erheblichen Anteilen an Betrieben bis 2 ha zeigten 1910 auch hohe Prozentsätze für Wanderarbeiter, so daß damit der Zusammenhang zwischen dem Vorwiegen der Zwergbetriebe und der Abwanderung klar wird 1 ). x ) Während der Drucklegung sind uns auch die Zahlen für 1925 auf Grund des Urmaterials bekannt geworden. Eine Verarbeitung war nicht mehr möglich. Auch würde ein Vergleich mit den Ziffern für Wanderarbeiter aus dem Jahre 1910 untunlich sein, und ebenso würden Schlußfolgerungen beim Heranziehen der Wanderarbeiter-Enquete von 1923 deshalb nicht in Frage kommen, weil zu sehr neue Faktoren, die mit der Qrundbesitzverteilung nicht mehr unmittelbar zusammenhängen, von vordringlicher Bedeutung geworden sind. Wir möchten jedoch wenigstens die Relativziffern zum Vergleich mit 1910 hier wiedergeben. Betriebe mit landwirtschaftlich benutzter Fläche bis 2 ha waren 1925 vorhanden: — 206 — Es ist aber nötig, auch noch die anderen mit dem Grundbesitz zusammenhängenden Ursachen innerhalb der einzelnen Bezirke hervorzuheben. Drei Faktoren scheinen uns doch sehr beachtenswert, nämlich Anteil des Großgrundbesitzes, des Waldes und der geringen Weide am Grund und Boden in den Ämtern. Am klarsten werden wir all die Beziehungen erkennen, wenn wir einmal Ackerland, Wald, geringe Weide und Großgrundbesitz in ihrem prozentualen Anteil an der Fläche der einzelnen Bezirke ermitteln und die Relativziffern der unselbständigen Betriebe und der Wanderarbeiter vergleichsweise heranziehen. Wir legen dabei das Jahr 1910 zugrunde, weil die Ziffern der Wanderarbeiter für 1923 bereits zu stark durch andere Faktoren beeinflußt sind. bi G tu u CD ■a o .Q IV -o CD s V CD M e o 2 *ö to u ta s u CO S X u CO I. Acker- u. Gartenland 41,9 32,1 26,5 51,2 n. Großgrandbesitz 13,7 22,5 14,4 11,4 III. Geringe Weide 3,4 1,1 2,8 1,4 IV. Wald 29,7 29,4 44,3 24,1 V. Unselbst. Betriebe 70,0 81,1 78,5 72,6 VI. Wanderarbeiter % der männl. Bevölk. 1910 21,2 19,4 24,8 24,4 im Amt Blomberg . 68,1% „ Schieder . . 78,2% „ „ Schwalenberg 60,8% „ Brake . . . 81,2% „ „ Hohenhausen 70,6% „ „ Sternberg . . 65,6% c S hu N c CD in u mhaus ernberi renho] 3tmold Horn Lage 3 to J= bo .C hötma X o CO CO > Q hl V u CO X o 64,4 46,0 33,8 25,9 31,9 51,4 42,2 54,1 3,5 12,2 17,4 12,4 7,1 4,1 12,5 12,9 2,0 2,7 0,7 14,3 7,7 15,9 15,8 0,8 19,8 26,0 34,8 36,9 31,6 17,5 19,4 16,8 56,4 62,1 71,2 71,7 68,6 65,0 74,1 74,2 23,4 22,1 25,4 18,2 26,3 30,1 19,4 15,2 im Amt Varenholz . . 76,6% , Detmold . . 83,7% „ „ Horn .... 76,8% „ Lage .... 85,5% „ Oerlinghausen 87,1% „ „ Schötmar . . 79,9% Die Prozentzahlen beziehen sich wieder auf die Gesamtzahl der Betriebe in den einzelnen Ämtern. — 207 — Die meisten Wanderarbeiter über dem Landesdurchschnitt stellte Amt Lage, weil es neben einer hohen Zahl unselbständiger Betriebe den höchsten Prozentsatz für geringe Weide aufweist. In diesem Bezirke liegen 3 Gemeinden mit einem erheblichen Areal Heideboden, nämlich 1 ) Augustdorf mit 1036,9 ha = 55,0 % der Gemeindefläche Pivitsheide „ 218,8 „ = 32,1 % „ Hörste . . „ 728,9 „ = 37,5 % „ Auf diese Besonderheit müssen wir noch etwas genauer eingehen, weil die Beziehungen zwischen Boden und Wanderarbeit hier in einem eigenartigen Lichte erscheinen. Dabei wollen wir auch gleich den Ort Hastenbeck aus dem Amte Detmold mit 57,6 c /o Heideland 2 ) heranziehen, um an den beiden größten und typischen Heidegemeinden des Landes zu zeigen, wie sehr die Wanderarbeit örtlich durch die Bodenverhältnisse bedingt ist. Acker- und Gartenland machten in Haustenbeck 29 % 2 ), in Augustdorf gar nur 23,8 % 2 ) der Gemarkungsfläche aus, so daß auf 1 Teil Acker- und Gartenland 2 Teile Heide kommen 3 ). Da auch das Ackerland als kultivierter Heideboden zu den geringwertigen Bodenklassen gehört, so muß eine Besitzung, soll sie eine Familie aus den Erträgnissen der Landwirtschaft voll ernähren, bedeutend größer sein als auf besseren Böden. Nun sind zwar in Haustenbeck und Augustdorf relativ viel mehr landwirtschaftliche Betriebe über 2 ha vorhanden als in anderen Bezirken des lippischen Landes, nur ca. 30 % fallen auf unselbständige Betriebe, aber die eigenartige Wirtschaftsform (Ms Acker % Heide) hat es mit sich gebracht, daß nur 35 % der Besitzungen mehr als 3 ha Ackerland bewirtschaften. Davon ist ein großer Teil auch noch nicht lebensfähig, und so kommt es denn, daß aus beiden Gemeinden, trotz der großen Anzahl kleinbäuerlicher (in *) Beilage zu Nr. 124 d. Amtsblattes für Lippe v. 14. 10. 1916. J ) Beilage zu Nr. 124 d. Amtsblattes für Lippe v.'l4. Okt. 1916. 3 ) Für die Beziehungen von Acker- u. Heideland vgl. Fleege, Die Kultivierung der Senne, Detmold 1916, S. 36 ff. — 208 I lausten neck 56 %, in Augustdorf 64 °/o) und großbäuerlicher (in Haustenbeck 12, in Augustdorf 6 %) Betriebe, sehr viel Besitzer von Höfen abwandern, nämlich 1910 in Haustenbeck 34,9 %, in Augustdorf 35,6 % der männlichen Personen. Damit haben wir auch für Amt Lage neben dem hohen Prozentsatz unselbständiger Betriebe, der sich noch erheblich höher stellen würde, wenn man die Verhältnisse der Heideortschaften berücksichtigte, eine zweite Hauptursache für den erheblichen Anteil an der Abwanderung. An zweiter Stelle stand Amt Horn, das bei 63,8 % kleinen Betrieben unter 2 ha auch noch 7,7 % geringe Weiden in den Ortschaften Schlangen und Kohlstädt aufweist, daneben aber einen ziemlichen Waldkomplex hat, der 31,6 % der Bodenfläche ausmacht, so daß die beiden letzten Faktoren als die Wanderarbeit mit verursachend oder doch verstärkend in Frage kommen. Im Amte Varenholz sind es neben den vielen unselbständigen Betrieben zwei Faktoren, die als Wanderungsursache herausspringen, nämlich in erster Linie der hohe Prozentsatz Wald, und sodann teilweise der Anteil des Großgrundbesitzes an der Bezirksfläche. Im Bezirke Schwalenberg liegen die Verhältnisse ähnlich, nur daß der Wald mit dem höchsten Prozentsatz aller Bezirke überwiegt 1 ). Gegenüber den beiden letzten Bezirken treten in den Ämtern Brake, Hohenhausen und Sternberg Wald und Großgrundbesitz wieder etwas zurück. Doch wirken sie auch hier, besonders in den betreffenden engeren Bezirken, verstärkend auf die Wanderarbeit ein. Größer ist der Prozentsatz wieder für Blomberg und- Detmold. Daß der Prozentsatz der Wanderarbeiter niedriger ist als in den bisher erwähnten Bezirken und für Detmold sogar unter dem Landesdurchschnitte liegt, ist zum Teil auf den Einfluß der beiden Städte, auf günstigere *) Die Domäne Schwalenberg ist inzwischen von der Stadt Schwalenberg gepachtet und teils zur Erweiterung bisher unselbständiger Betriebe, teils für neue landwirtschaftliche Betriebe aufgeteilt. — 209 — Verkehrsverhältnisse und auf den Fremdenverkehr (Hermannsdenkmal) zurückzuführen. Im Bezirke Detmold würde sonst die Ziffer für Wanderarbeiter höher liegen, da der hohe Prozentsatz für Wald und dazu der für geringe Weiden (Haustenbeck) verstärkend wirkt. Etwas eigenartig liegen die Verhältnisse im Amte Schieder, wo der Wald 29,4 % und der Großgrundbesitz 22,5 °/o (höchste Ziffer) einnimmt. Die Folge dieses gebundenen Besitzes ist die hohe Zahl der unselbständigen Betriebe, womit Amt Schieder an erster Stelle steht. Daß die Relativzahl für Wanderarbeiter gerade den Landesdurchschnitt erreicht und trotz der an sich ungünstigen Vorbedingungen nicht höher ist, darf man zum Teil auf den Fremdenverkehr (Schieder) und auf die Beschäftigungsmöglichkeit (Wald, 6 Domänen und Rittergüter, verschiedene größere Höfe und Industrie [Essigfabrik, Molkereien]) zurückführen. Auch in den Ämtern Oerlinghausen und Schötmar sind Verkehr und Industrie die stärkeren Faktoren, so daß trotz der hohen Zahlen für Betriebe unter 2 ha die Ziffern für die Wanderarbeiter bereits 1910 zu den niedrigsten gehören. Damit glauben wir den wichtigsten Faktoren für die Ursachenergründung der Wanderarbeit, soweit sie mit der Bodenbesitzverteilung zusammenhängen, im ganzen und für die einzelnen Bezirke nachgegangen zu sein. Wir hätten nun noch weiter die hohen Ziffern für einzelne Orte, wie es für Haustenbeck und Augustdorf bereits geschehen ist, zu begründen; doch wollen wir darauf zuletzt zu sprechen kommen und hier zunächst noch den Anteil der Wanderarbeiterbesitzungen an der Grundfläche in den einzelnen Bezirken einer Betrachtung unterziehen. Der größte Teil der Wanderarbeiter gehört auch heute noch der grundbesitzlosen Bevölkerungsklasse an. Zahlenmäßige Angaben darüber sind nicht möglich. . Nur aus der Menge der Kolonate und der Haushaltungen lassen sich Schlußfolgerungen ziehen. Um aber einigermaßen Fleege-Althoff, Wanderarbeiter 14 — 210 — zutreffende Anhaltspunkte zu bekommen, wurde auf Grund des Katasters die Zahl der Wanderarbeiterbesitzungen und deren Größe festgestellt (Anlage 2). Danach gab es 1915: 7811 Wanderarbeiterstätten == 30,4% aller Besitzungen. Diese Zahl, wonach auf jeden zweiten Wanderarbeiter eine eigene Besitzung, auf etwa jeden siebten Verheirateten kein Besitz käme, mutet recht hoch an, so daß die Angaben zweifelhaft erscheinen könnten. Es mag auch sein, daß in den Mutterrollen, die als Grundlage der Erhebung dienten, verschiedentlich noch Besitzungen unter „Ziegler" oder auch „Maurer" aufgeführt sind, wofür in Wirklichkeit eine andere Berufsbezeichnung hätte eingetragen werden müssen. Auch mögen die Inhaber einiger Ziegler- und Maurerbesitzungen nicht zu den Wanderarbeitern gehören, sondern in der Heimat als ortsansässige Ziegler und Maurer tätig sein. Wir müssen diese Mängel der Erhebung mit in Kauf nehmen und alle Ziffern unter dieser Fehlerberücksichtigung werten. Nun war auch 1923 im Fragebogen I der Wanderarbeiterenquete unter Ziffer 6 die Frage nach Landbesitz ohne und mit Haus gestellt. Nach dem Ergebnis dieser Ermittlungen 1 ) hatten 2758 Wanderarbeiter (28,7% der Gesamtzahl) eigene Besitzung, die bei rund 75 % von ihnen in Landbesitz mit eigenem Haus bestand. Wenn man von dieser Zahl bei Annahme von 14 220 Wanderarbeitern auf 1915 schließen würde, dann käme man nur auf rund 4080. Diese Zahl scheint uns aber sehr gering. Nun weiß man auch nicht, ob die 1923 ermittelte Zahl den tatsächlichen Verhältnissen entsprochen hat. Es ist kaum anzunehmen, daß bei der Mehrzahl der Fälle die Gemeindevorsteher auf Grund genauer Erhebung ihre Feststellungen getroffen haben, vielmehr wird man meist eine Schätzung unterstellen können, so daß nicht alle Wanderarbeiterbesitzungen erfaßt wurden. Aber auch wenn obige Zahl der Wirklichkeit annähernd entspricht, *) Jahresbericht des lippischen Gewerbeaufsichtsamtes 1923/24, S. 6. — 211 — wird die Schlußfolgerung für 1915 zu falschen Ergebnissen führen. Denn man muß berücksichtigen, daß von den der Wanderarbeit nicht mehr obliegenden Personen die meisten verheiratet waren, und daß sehr viele verheiratete Wanderarbeiter den Kriegstod erlitten bzw. als Kriegsbeschädigte nicht mehr abwandern konnten. Nach der Erhebung von 1923 ist der Prozentsatz für Wanderarbeiter unter 20 Jahren denn auch beträchtlich höher als früher, nämlich 26 %, gegenüber 20 % des Jahres 1910. Unter Berücksichtigung obiger Darlegungen wollen wir nun die demnach als recht hoch anzusehende Beteiligungsziffer der Wanderarbeiter am Grundbesitz analysieren. Die Besitzungen verteilten sich folgendermaßen auf die einzelnen Größenklassen: bis 1 ha 5780 1 — 2 „ 1163 2 - 3 „ 429 3 - 4 „ 176 '4 - 5 „ 96 5 -10 „ 120 10 —20 „ 47 Trotz des scheinbar recht erfreulichen Verhältnisses entfallen im ganzen nur 7 043,03 ha Fläche auf die Wanderarbeiterbesitzungen, d. s. 5,8 % des lippischen Landes und 10,8 % des Acker- und Gartenlandes. Die Besitzungen über 5 ha liegen hauptsächlich in der Senne, wo — wie bereits erwähnt — der größte Teil eines Kolonates (55—70 %) aus Heideboden besteht. Zieht man die Rittergüter und Domänen von der Gesamtfläche Lippes ab, so ergibt sich ein Prozentsatz von 7,7, und berücksichtigt man wieder nur das Acker- und Gartenland, so erhöht sich der Anteil auf 13,3 %. In der Statistik ist für jeden Bezirk die Gesamtfläche ohne Domänen und Rittergüter berechnet. Am geringsten ist der Anteil im Amte Schötmar, weil hier außer dem Großgrundbesitz auch das Großbauerntum besonders vertreten ist; ähnlich liegen die Verhältnisse in den Ämtern Brake, Hohenhausen und dem Verwaltungsamte Blom- l* — 212 — berg. Bedeutender, fast doppelt so stark, ist der Anteil im Verwaltungsbezirk Detmold, wo die an der Senne beteiligten Ortschaften den ausschlaggebenden Faktot bilden. Schon hieraus ersieht man, wie unregelmäßig die Verteilung der Zieglerbesitzungen in den Ämtern ist. Noch deutlicher tritt diese Tatsache hervor, wenn man alle Orte nach dem prozentualen Anteil zusammenstellt. Es ergibt sich dann folgende Übersicht: Zieglergrundbesitz Prozent der Ortsfläche Zahl der Orte absolut Prozent 0,1— 5 68 43 5,1—10 60 38 10,1—20 21 13,3 20,1—30 6 3,8 30,1 und mehr 3 1,9 Also in 81 % aller Orte beträgt der Anteil keine 10 % und nur in 19 % mehr als 10 %. Daraus könnte man folgern, daß in jenen Orten die Abwanderung stärker sein müßte als in diesen; doch wäre ein solcher Schluß fehlerhaft, weil nicht die Größe der einzelnen Besitzungen in Betracht gezogen ist. Da zeigt uns nun die Statistik, daß die Mehrzahl zu den unselbständigen Betrieben, und zwar zu den kleinsten gehört. Von 100 Zieglerbesitzungen entfallen im Verwaltungsamt auf Größenklasse bis 2 ha 2—5 ha mehr als 5 ha Blomberg .... 93,1 5,6 1,3 Brake...... 84,9 13,2 1,9 Detmold..... 84,4 11,2 4,4 Schötmar..... 91 8 1 Lippe (Land) . . . 88,3 9,5 2,2 Die Bedeutung der Landwirtschaft für die Wanderarbeiter erhellt auch aus der Zahl jener landwirtschaftlichen Betriebe, die ausschließlich Pachtland bewirtschaften, und auch hier fällt wieder der hohe Prozentsatz — 213 — der Zwergbetriebe auf. Von den im Jahre 1907 gezählten 11148 Pachtbetrieben entfielen 1 ) An den 10 744 Pachtbetrieben bis 2 ha haben die Wanderarbeiter am meisten Anteil, der Rest verteilt sich auf Handwerker, einheimische gewerbliche Arbeiter und Tagelöhner 2 ). Immer aber bleibt der Anteil der Wanderarbeiter am Grundbesitz sehr gering; doch zeugt die relativ hohe Zahl der eigenen Betriebe von Fleiß und Sparsamkeit. Auch läßt sie das unter den Wanderarbeitern herrschende Bestreben zum Erwerb einer eigenen Besitzung erkennen. § 26. Landarbeiterfrage und Wanderarbeit. Zeigten die Ausführungen im vorigen Paragraphen das Mißverhältnis zwischen Bevölkerung und Grundbesitzverteilung, so drängt sich uns im Anschluß daran die Frage auf, weshalb trotz der auch in der Gegenwart noch immer auftauchenden Klagen der Landwirte über Mangel an Arbeitspersonal die landwirtschaftlichen Betriebe nicht imstande sind, Wanderarbeiter in stärkerem Maße zu beschäftigen. Denn da wir festgestellt hatten, daß der größte Teil der landwirtschaftlich genutzten Fläche auf Betriebe über 5 ha entfällt, liegt es nahe, auf Beschäftigungsmöglichkeiten in diesen landwirtschaftlichen Betrieben durch Verwendung entsprechender Arbeitskräfte zu schließen. Wenn trotzdem ein noch erheblicher Prozentsatz namentlich der ländlichen Bevölkerung abwandert, so müssen schon besondere Gründe vorhanden sein, die zum größten Teil in der Landwirtschaft selbst, zum kleineren Teil aber auch auf seiten der Abwandernden zu suchen sein werden. *) St. d. D. R., Bd. 212 I. 2 ) Nach Wirtschaft und Statistik, Jg. 7, Nr. 3, S. 112, entfielen Betriebe mit ausschließlich Pachtland auf Größenklasse bis 2 ha: 11 782; 2—5 ha: 183; 5—20 ha: 82; über 20 ha: 76. auf die Größenklassen bis 2 ha „ „ „ von 2— 5 „ „ „ „ „ 5—20 „ „ „ „ über 20 „ 10 744 212 97 95 — 214 — Diese Dinge hängen mit der Landarbeiterfrage aufs engste zusammen, und wir glauben deshalb, daß hier Beziehungen mit dem Wanderarbeiterproblem vorhanden sind, die der genaueren Aufdeckung bedürfen. Es scheint am zweckmäßigsten, auch da zunächst von den tatsächlichen Verhältnissen auszugehen und an die landwirtschaftliche Betriebszählung unter besonderer Berücksichtigung der Ergebnisse über das Personal der landwirtschaftlichen Betriebe anzuknüpfen. Die Statistik gruppiert bekanntlich das landwirtschaftliche Personal nach seiner Stellung im Betriebe in Familienangehörige und fremde Arbeitskräfte, wobei jedesmal wieder zwischen ständig und nicht ständig im Betriebe tätigen Personen unterschieden wird. Für das Wanderarbeiterproblem ist es nun bedeutungsvoll, zu erfahren, wieviel von den vorhandenen Betrieben überhaupt fremde Arbeitskräfte beschäftigen und in welchem Verhältnis diese zur Zahl der Familienangehörigen stehen. Nach den bisher vorliegenden Veröffentlichungen 1 ) der landwirtschaftlichen Betriebszählung vom 16. Juni 1925 waren unter den 27 995 landwirtschaftlichen Betrieben des Landes nur 3341 = 11,93%, die fremde Arbeitskräfte beschäftigten. Setzt man diese Zahl noch ins Verhältnis zu den Größenklassen über 2 ha, dann ergibt sich ein Anteil von 64,57 fo, so daß also noch zum mindesten 35,43 % der kleinbäuerlichen Betriebe von 2—5 ha nur eigenes Familienpersonal beschäftigten. Es überwiegen demnach bei weitem auch in Lippe die landwirtschaftlichen Betriebe mit nur familieneigenen Arbeitskräften diejenigen mit fremdem Personal. Das zeigt sich auch, wenn man die beschäftigten Personen für sich betrachtet. Von den Mitte Juni 1925 in der lippischen Landwirtschaft tätigen 69 674 Personen entfielen auf 2 ): ') Wirtschaft und Statistik, 7. Jg., Nr. 15, S. 652/653. ') Ebenda. — 215 — I. Betriebsleiter........ 20 798 IL' Angehörige: a) ständig mitarbeitende . . . 14 617 b) vorübergehend mitarbeitende 21530 III. fremde Arbeitskräfte: a) ständige 1. Aufsichtspersonal .... 488 2. Knechte und Mägde . . . 4 896 3. Tagelöhner....... 2 229 b) nicht ständige....... 5 116 Daraus ergibt sich, daß von dem landwirtschaftlichen Personal 81,74 % Familienangehörige und nur 18,26 % fremde Arbeitskräfte waren, wobei noch zu berücksichtigen ist, daß von den 12 729 fremden Arbeitskräften 7613 ständig = 59,81 % der fremden, bzw. 10,93 % aller Arbeitskräfte und nur 5116 = 40,1 % der fremden, bzw. 7,34 % aller Arbeitskräfte vorübergehend Beschäftigung fanden. Bevor wir Schlußfolgerungen aus den bisherigen Angaben und Betrachtungen ziehen, ist die Frage berechtigt, ob der geringe Prozentsatz der in der lippischen Landwirtschaft beschäftigten fremden Arbeitskräfte als für die Landwirtschaft überhaupt normal oder anormal zu bezeichnen ist. Wir müssen deshalb zunächst zu dem Zwecke noch andere Länder zum Vergleich heranziehen- Da entnehmen wir der Statistik 1 ), daß 1925 von der Gesamtzahl der landwirtschaftlichen Betriebe fremde Arbeitskräfte beschäftigten in: " Bayern........ 24,67 % Sachsen........ 21,43 % Oldenburg....... 20,84 % Hessen........ 15,08 % Mecklenburg-Schwerin . . 14,50 % Württemberg...... 14,34 % Mecklenburg-Strelitz . . . 13,64 % Schaumburg-Lippe .... 13,11 % Baden......... 11,49 % Braunschweig...... 11,32 % Anhalt........ 10,44 % Bei einem Vergleich dieser Ziffern müßte man nun selbstverständlich insbesondere auch den Anteil der ver- *) Wirtschaft und Statistik, Jg. 7, Nr. 2, S. 60, Nr. 15, S. 652. — 216 — schiedenen Besitzgrößenklassen berücksichtigen; denn der Anteil der Betriebe mit fremden Arbeitskräften an der Gesamtzahl der Betriebe wächst im allgemeinen mit dem Betriebsumfang 1 ). Doch vermögen wir ohne weiteres aus den prozentualen Angaben zu erkennen, daß Lippe zu den Staaten gehört, die am wenigsten fremde Arbeitskräfte beschäftigen, und daß dieser Anteil nur in den Staaten Baden, Braunschweig und Anhalt noch etwas geringer ist. Lippe steht also in dieser Beziehung weit unter dem Reichsdurchschnitt. Hinzu kommt nun als verstärkender Faktor für die geringe Beschäftigung fremder Arbeitskräfte und damit als Ursache der Wanderarbeit die fortwährend gesteigerte Benutzung landwirtschaftlicher Maschinen, wodurch eine Anzahl bisher beschäftigter Personen frei wurde. Von 100 landwirtschaftlichen Betrieben benutzten Maschinen 2 ): in der Größenklasse 1882 1895 1907 1925 3 über 100 ha 96,55 97,30 96,67 100,00 20—100 „ 71,81 93,54 98,44 100,00 V 5— 20 „ 27,02 53,89 83,72 97,34 2- 5 „ 9,35 23,03 49,61 71,55 kleiner als 2 „ 2,96 5,66 10,53 9,85 Insbesondere sind es gerade die klein- und mittelbäuerlichen Betriebe, die im letzten Menschenalter! eine ganz erhebliche Steigerung der Maschinenbenutzung aufweisen, so daß man die Schlußfolgerung ziehen kann, daß selbst in der Betriebsgrößenklasse von 5—20 ha, in der sonst noch mancher Tagelöhner ständig tätig sein konnte, jetzt eine solche Beschäftigungsmöglichkeit nicht mehr gegeben ist. Nun muß es aber als besonders eigenartig erscheinen, daß trotz der großen Zahl der aus Lippe Abwandernden ausländische Wanderarbeiter auch in der lippischen Land- *) Wirtschaft und Statistik, 7. Jg., Nr. 15, S. 653. *) Stat. d. D. R. N. F. Bd. 112; 212, 2a. ') Nach dem stat. Urmaterial. — 217 — Wirtschaft beschäftigt werden. Nach den uns vom Landesarbeitsamt Westfalen und Lippe in Münster mitgeteilten Zahlen waren an genehmigten ausländischen Wanderarbeitern tätig: im Arbeitsnachweisbezirk 1924 1925 1926 1927 59 115 109 65 52 106 85 46 48 60 66 31 Zusammen 159 281 260 142 Die Ergebnisse in „Wirtschaft und Statistik" 1 ) zeigen als Höchstzahl der in der Zeit von Mitte Juni 1924 bis Mitte Juni 1925 gleichzeitig beschäftigten deutschen und ausländischen Wandersaisonarbeiter für Lippe 1022. Es müssen also doch noch andere Gründe vorhanden sein, wodurch die Abwanderung begünstigt wird, Gründe, die mehr auf seiten der Arbeitenden selbst zu suchen sind. Unverkennbar ist die Tatsache einer gewissen Abneigung gegen landwirtschaftliche Beschäftigung in neuerer Zeit überhaupt. Sie hängt zusammen mit der längeren Arbeitszeit 2 ), den niedrigeren Löhnen 3 ), der längeren kontraktlichen Bindung, oder auch der in der Eigenart des landwirtschaftlichen Betriebes begründeten, nur zeitweisen Beschäftigungsmöglichkeit, und vor allem mit dem *) Jg. 7, Nr. 15, S. 653. *) Die Arbeitszeit soll nach Artikel III des Rahmentarifs für Landarbeiter v. 1. Juni 1927 zwar 2700 Stunden Jahresarbeitszeit nicht überschreiten und im Winter nicht unter 7, im Sommer nicht über 10 Stunden täglich betragen. Wer die Verhältnisse kennt, weiß, daß diese Vereinbarungen vielfach nur auf dem Papier stehen. 3 ) Über die Einkommensverhältnisse der Landarbeiter genaue zahlenmäßige Angaben zu machen, hält deshalb sehr schwer, weil die Grundlagen der Berechnung ganz verschieden sind (z. B. nur Barlohn, Barlohn mit Kost und Wohnung, ohne und mit Deputatlieferung, reine Deputatlieferung). Der Lohntarif sieht mit Wirkung vom 1. Juli 1927 ab beispielsweise folgende Lohnsätze vor: Arbeiter über 20 Jahre, ohne Kost und Wohnung, pro Stunde 32 Pfennig, bei voller Kost und Wohnung pro Woche Mk. 10,—, pro Monat Mk. 43,35. Dazu kommen noch für Sonderleistungen (z. B. Erntezulagen) Zuschläge. Tatsache bleibt jedenfalls, daß der Bar* lohn ganz erheblich hinter den Bareinkommensverhältnissen anderer Arbeitergruppen zurückbleibt (Einzelheiten im Landarbeitertarif). — 218 — Gefühl der großen Abhängigkeit und der sozialen Unselbständigkeit. Insbesondere der letzte Faktor, worauf in neuerer Zeit wiederholt hingewiesen worden ist 1 ), darf bei der zugenommenen besseren Allgemeinbildung und Aufklärung nicht außer acht gelassen werden. Und selbst wenn man berücksichtigt, daß der Unterschied zwischen „Herrn und Knecht" nicht mehr so schroff ist wie früher, und auch die Behandlung des Gesindes und der Tagelöhner menschlich-mildere Formen angenommen hat, bleibt doch bei den landwirtschaftlichen Arbeitern das Gefühl der Abhängigkeit und des Dienens namentlich dann viel stärker als bei der gewerblichen Arbeiterbevölkerung bestehen, wenn es sich um die grundbesitzlose Klasse der Bewohner handelt. Daran wird auch durch den Zusammenschluß der landwirtschaftlichen Arbeiter in Landarbeiterverbänden und durch Abschluß von Tarifverträgen wenig geändert. Selbst wenn zuzugeben sein wird, daß sich auch in Lippe insofern die Verhältnisse dieser Bevölkerungsgruppe gegenüber früher nicht unwesentlich gebessert haben, als in der halbamtlichen Berufsvertretung Landwirtschaftskammer auch die Landarbeiter durch selbstge- wählte Mitglieder vertreten sind, und der lippische Land- arßeiterverband nicht untätig geblieben ist, so bleibt doch immer die Tatsache bestehen, daß Knechte und Tagelöhner nicht die Möglichkeit zum Vorwärtskommen und zur Besitzergreifung sehen. Daher ist wohl begreiflich, wenn diese Bevölkerungsklasse lieber die Nachteile der Wanderarbeit auf sich nimmt, wo ein höherer Verdienst, eine gewisse freiere Bewegung und die leichtere Möglichkeit eines späteren Erwerbes von Grundbesitz und Eigentum besteht als in der landwirtschaftlichen Betätigung. § 27. Volksdichte und Wanderarbeit. Es liegt nahe, nach den bisherigen Betrachtungen noch zu untersuchen, inwieweit der für Abwanderungen *) Philippovich, Grundriß der politischen Ökonomie, 2. Bd., 1. Teil, 12. Aufl., S. 86. — 219 — häufig als Vorbedingung genannte Faktor Übervölkerung 1 ) für die Ursachenergründung der lippischen Wanderarbeit von Bedeutung ist. Wir sind allerdings der Meinung, daß Übervölkerung lediglich als sekundäre Ursache in Frage kommt, als Folge primärer anderer Ursachen. Insofern ist Übervölkerung kein absoluter, sondern ein relativer Begriff; denn was in dem einen Gebiete noch als normale Volksdichte anzusehen ist, muß im andern bereitsals starkeÜbervölkerungbezeichnetwerden. Es ist deshalb mit der Errechnung einer Volksdichteziffer 2 ) als Durchschnittszahl für ein größeres Gebiet nicht getan. Vielmehr wird man nur dann einigermaßen zutreffende Folgerungen zu ziehen vermögen, wenn man kleinere Bezirke bildet und hier noch die Faktoren berücksichtigt, welche die Dichteziffern besonders beeinflussen, z. B. Wald-, Moor-, Heidekomplexe und auch größere Gutsbezirke. Auf Lippe angewandt heißt das, nicht lediglich die durchschnittliche Dichteziffer des ganzen Landes errechnen und daraus Schlüsse ziehen, sondern vor allem auch die der einzelnen Amtsbezirke berücksichtigen. Nach den Ergebnissen der Volkszählung vom 16. Juni 1925 3 ) ergab sich für Lippe unter Zugrundelegung der Wohnbevölkerung eine Volksdichteziffer von 134,6. Damit steht Lippe über dem Reichsdurchschnitt. Und schon daraus könnte allgemein auf ungünstige Bevölkerungsverhältnisse geschlossen werden. Nun müssen wir aber einmal die Konzentration der Bevölkerung in den Städten und einzelnen Bezirken auf der einen Seite und wiederum die großen unbewohnten Wald- und Heidekomplexe auf der anderen Seite berücksichtigen, um ein klares Bild von der Verteilung der Bevölkerung über das Land zu bekommen. *) Neuerdings Elster im Handw. d. St., 4. Aufl., Bd. II, S. 815 ff., wo auf andere Autoren zurückgegriffen wird. *) Volksdichte ist das Verhältnis der Bevölkerung eines Gebietes zur Gesamtfläche desselben Gebietes; Volksdichteziffer ist der Quotient aus Bevölkerungszahl und Größe des Gebietes in qkm. 3 ) Staatsanzeiger für das Land Lippe, Nr. 79 v. 2. 10. 1926. Zusammenstellung der Ergebnisse der Volkszählung v. 16. 6. 25. — 220 — Die Volksdichteziffer für die Städte allein betrug 1925 447, die für die Landbezirke allein 96. Zieht man die größten Wald- und Heideflächen ab, dann ergibt sich für Lippe im ganzen eine Volksdichteziffer von 181 und unter Ausschaltung der Städte eine solche von 135. Wenn man demnach diese beiden Faktoren (Bevölkerungskonzentration und unbewohnte Gebiete) in Betracht zieht, dann darf die für das ganze Land errechnete Durchschnittsdichteziffer von rund 135 gegenüber der des Deutschen Reiches erst recht als hoch angesehen werden. Doch gilt auch hier, was vorhin allgemein gesagt war, daß damit nun durchaus noch nicht ein Kennzeichen der Übervölkerung gegeben ist. Um darüber im klaren zu sein, ist es nötig, die Verteilung in den einzelnen Bezirken zu kennen. Dabei ist es zweckmäßig, eine Gruppierung mit Städten und ohne sie vorzunehmen. Das ist in folgender Übersicht geschehen: Bezirke Wohnbevölkerung auf 1 qkm ohne Städte mit Städten 65,1 97,0 75,4 Schwalenberg ............ 68,7 73,7 Verwaltungsamt Blomberg 70,0 83,2 131,6 193,4 87,7 Sternberg-Barntrup.......... 73,1 79,1 95,5 Verwaltungsamt Brake 92,1 113,9 86,9 189,9 75,5 86,4 Lage................. 122,1 165,0 Verwaltungsamt Detmold 96,7 151,9 131,9 160,3 131,9 240,3 Verwaltungsamt Schötmar 131,9 208,2 95,9 134,6 Betrachtet man zunächst die Verwaltungsämter, dann erkennt man die zunehmende Volksdichte von Osten nach — 221 — Westen 1 ). Das hängt einmal mit der Siedlungsweise (im Osten vorwiegend geschlossene Ortschaften, im Westen Streusiedlung), dann mit den großen Waldkomplexen im Osten und mit der Konzentration der Bevölkerung in einzelnen Bezirken des Westens zusammen. Nicht so einheitlich ist die Tendenz der zunehmenden Volksdichte von Osten nach Westen, wenn man die Ämter für sich betrachtet. Aber auch da erkennt man die niedrigeren Dichteziffern in den waldreichen östlichen und nördlichen Bezirken. Daß in den Ämtern Detmold und Horn die Dichteziffer verhältnismäßig niedrig liegt, ist auf den großen Waldkomplex des Teutoburger Waldes und die ihm vorgelagerte Senne zurückzuführen. Im Verwaltungsamt Brake fällt die Konzentration der Bevölkerung im Bezirke Brake auf, wovon hauptsächlich die dichte Besiedlung in der Nähe der Bahn der Grund ist. Zieht man nun zu diesen Dichteziffern die Zahl der Wanderarbeiter mit in Parallele (s. S. 206), dann ergibt sich die eigenartige Tatsache, daß gerade die Bezirke höchster Volksdichte die wenigsten Wanderarbeiter aufweisen, und daß in dieser Beziehung in den übrigen Ämtern die Verteilung ganz verschieden ist. Das tritt so recht in Erscheinung, wenn wir die Volksdichteziffern und Prozentzahlen der Wanderarbeiter rangmäßig geordnet einander gegenüberstellen: Ämter, nach dem prozentualen Ämter, nach der Volksdichteziffer Anteil der Wanderarbeiter an der männlichen Bevölkerung- geordnet (1925) geordnet (1923) ohne Städte mit Städten Varenholz Blomberg Schwalenberg Schieder Schwalenberg Schieder Hohenhausen Sternberg Sternberg Sternberg Schieder Horn Lage Horn Hohenhausen Schwalenberg Detmold Varenholz Blomberg Hohenhausen Blomberg Horn Varenholz Oerlinghausen Brake Lage Lage Detmold Brake Detmold Schötmar Oerlinghausen Brake Oerlinghausen Schötmar Schötmar *) Vergl. dazu auch Hagemann a. a. O., S. 64 ff. * — 222 — Im allgemeinen kann man also sagen, daß bei Brake, Detmold, Schötmar und Oerlinghausen, als den Bezirken größter Volksdichte, die wenigsten Anteilziffern für Wanderarbeiter vorliegen. Soll danach eine Übervölkerung als Ursache der Wanderarbeit angesehen werden, dann kann die Volksdichteziffer als Kennzeichen nur dann gelten, wenn man sie individuell für einen bestimmten Bezirk feststellt. Eine Grenze jedoch dafür anzugeben, ist nicht möglich. Vielmehr kann die Zahl der Wanderarbeiter ein Maßstab für Übervölkerung sein. Doch ist auch dieser Maßstab zur Kennzeichnung einer Übervölkerung reichlich problematisch, weil ja immer noch die Frage offen bleibt, ob tatsächlich alle Mittel zur Erweiterung des Nahrungsspielraumes in dem betreffenden Bezirk bereits erschöpft sind, d. h. mit anderen Worten, ob jene Dichteziffer als Grenzzahl nicht noch erheblich erhöht werden kann. Denn wir wissen ja aus früheren Darlegungen, daß die Zahl der Wanderarbeiter fast überall abgenommen hat, obwohl gegenüber 1910 in den meisten Bezirken eine Zunahme der Bevölkerung und damit eine Erhöhung der Volksdichteziffer, wenn auch minimal, eingetreten ist. Es erscheint deshalb müßig, darüber zu streiten, wann diese Grenzzahl zur Kennzeichnung einer Übervölkerung vorliegt. Vielmehr ist es richtiger, die Frage zu stellen, wie jene Grenzzahl erhöht werden kann, d. h. wo der Hebel für eine positive Wanderarbeiterpolitik angesetzt werden muß. Das aber hängt wieder wesentlich von den örtlichen Verschiedenheiten ab. Infolgedessen muß man gerade für diese Zwecke die Volksdichtezahlen mit den Prozentziffern der Wanderarbeiter für die einzelnen Ortschaften in Beziehung setzen. Da wir nicht jeden Ort für sich herausgreifen können, wollen wir auch hier wieder zum Mittel der Gruppenbildung greifen und 4 Wanderarbeitergruppen in Prozenten der Bevölkerung mit 4 Volksdichtestufen in Parallele bringen: — 223 — Wander- arbeitergruppe in % der Bevölkerung Bezirk V I 1 pn _ 1 b. 50 Bewohner o 1 k s d i c II Kf\ 1 w_ mn 50,1 D1S 1UÜ h t e s t u ni ■f ftf\ A 1- " i Cf\ 11X1,1 bis I5U ' e n IV über 150 0,1—5 Blomberg Maspe _ — _ 1 (0) - (2) _ - (1) Schieder SiebenhÖfen _ 1 (1) _ _ — Schwalenberg Ruensiek — - 1 il) 1 K 1 ) — ni i * * Sternberg- Barntrup Schönhagen 1 rn i (i■ Detmold Hornoldendorf Niederschönhg, Remmighausen Schönemark Detmold Heiligenkirch. Spork 1 (2) 3 (4) 3 (4) Horn Wehren Grevenhagen 1 (1) 1 10) - (2) - (1) Lage — Hedderhagen — 1 (4) - (1) - (2) Oerlinghausen — — Oerlinghausen -d) - (2) - (2) 1 (3) Schötmar Salzuflen Schötmar - (2) — (3) 2 (2) 6 (8)i) 5 (15. 0 (9)2) | 6 (15)3) 5,1—10 Blomber g _ Donop Dalborn Mossenberg- Wöhren Blomberg -CD 3 (2) - (1) 1 (0) Schieder Schieder Herrentrup Wellentrup i (d) 2 (4) - (1) SchwalenSabbenhaustin berg - (i) — - (1) 1 (3) Brake _ Wienbeck Brake Lemgo 1 (3) 2 (3) Hohenhausen Brosen Henstorf Osterhagen Welstorf Hohenhausen 4 (4) - (1) 1 (2) Sternberg- Barntrup Göstrup Alverdissen Barntrup 1 (1) 1 (4) 1 (2) - (1) Varenholz Varenholz Erder 1 (0) 1 (0) Detmold Berlebeck Schmedissen Hakedahl Fromhausen Hiddesen 2 (1) 2 (3) - (1) 1 (1) Übertrag 9 (8) 9 (17) 3 (8) 5 (8) *) Einschließlich Amt Varenholz mit 1 Gemeinde. ') Einschließlich Amt Varenholz mit 1 Gemeinde. 3 ) Einschließlich Amt Brake mit 2 Gemeinden. — 224 — Wanderarbeitergruppe in % der Bevölkerung Bezirk V c i b ^\f\ R f> tat nKnor U« *J\J De W VJ111 It^I 1 k s d i c II ^0 i hi* 100 \j\jfi uir> i \7\j h t e s t u i III 100 1 bis 1*t0 i\j\jfi uio i e n IV über 150 5,1—10 Übertrag 9 (8) 9 (17) 3 (8) 5 (8) Horn Heesten Brüntrup I Iorn 1 (1) 1 (0) i (i) Lage Niewald Lage - t (1) - (6) 1 (3) Oerlinghausen Bechterdissen 1 ((U l [V) - CD Schötmar Unterwüsten Ehrsen-Breden Oberwüsten Biemsen- Ahmsen Nienhagen Werl-Aspe 1 (2) 4 (3) 1 (1) SQ\ w 13 (20) 8 (18) | 7 (13) Eschenbruch Großenmarpe Altendonop appei 10,1—15 Blomberg 1 (1) 3 (2) i dl Schieder Billerbeck Höntnm i lui in uu Tintrup Belle Reelkirchen Wöbbel — 3(0) 3 (1) Schwalenberg Schwalenberg Köterberg Wörderfeld Rischenau Elbrinxen 1 (0) 1 (0) 1 (2) 2 (2) Brake Lütte Sommersell Hillentrup Wendlinghausen Hasebeck Leese Entrup Kluckhof - 4 (2) 2 (3) 2 (1) Hohenhausen — Bavenhausen Brüntorf Wpctnrf w eston Asendorf Lüdenhausen 4 (3) 1 (2) — Sternberg- Barntrup Bremke Asmissen Sonneborn Rott Humfeld Bega Bösingfeld 4 (2) 2 (1) 1 (0) Varenholz Kalldorf Langenholzhsn. Stemmen 2 (2) 1 (2) Detmold Barkhausen Haustenbeck Brokhausen Oberschönhagen Mosebeck Heidenoldendf. 4 (3) 1 (1) 1 (0) Horn Veldrom Bellenberg- Vahlhausen Meinberg Leopoldstal 2 (3) 1 (1) 1 (0) Übertrag 2 (1) , 25 (15) 14 (14) 8 (5) — 225 — 13 o. bc i O.U C it 3 " 3 fl> L-ri u ts bi cd c a£°\o ^'S.S S -a » cd Bezirk V < I b. 50 Bewohner \ 1 ic q t\ i c ' i IV O l_J X II 50,1 bis 100 K f A G t II ' IL L C o L U III 100,1 bis 150 e n rv über 150 10,1—15 Übertrag 2 (1) 25 (15) 14 (14) 8 (5) Lage — Hardissen Nienhagen Ottern-Bremke Trophagen Bentrup Dehlentrup Ohrsen Waddenhausen Jerxen-Orbke Pivitsheide V.H A 10\ 9 \C) 3 (0) 3 (4) Oerlinghausen Senne — Asemissen Greste Hovedissen Wellentrup 1 (0) - 2 (0) 2 (0) Schötmar Grastrup- Hölsen Wülfer-Bexten Retzen- Papenhausen Holzhausen Bexterhagen Lockhausen 4 (0) 2 (1) 3 (1) 33 (17) 21 (151 | 13 (9) über 15 Blomberg — — Kleinenmarpe 1 (0) Schieder Brakelsiek - - (1) - (1) 1 (0) Schwalenberg — — Niese Hummersen Lothe - - 1 (0) 2 (0) Brake — — Lüerdissen Loßbruch Lieme - - 1 (0) 2 (0) Hohenhausen — — Talle Bentorf Matorf 3 (1) Sternberg- Barntrup - Nalhof Laßbruch Schwelentrup 2 (11 i (i) Varenholz — Heidelbeck Silixen Almena — 1 (1) 2 (1) Detmold Leistrup- Meiersfeld Vahlhausen 1 (0) 1 (0) Horn Schlangen Kohlstädt Holzhausen 1 (1) 2 (0) Lage ■ Heßloh Augustdorf Hörste Wissentrup Hörstmar Müssen Pottenhausen Hagen Ehrentrup Billinghausen Heiden Pivitsheide V.L. 3 (2) 4 (0) 5 (0) Oerlinghausen Währentrup Mackenbruch 1 (0) 1 (0) 1(1) 1 8.(5) | 14(3) 13 (1) Fleege-Althoff, Wanderarbeiter 15 In diesen Tabellen sind für die Volksdichtegruppen die Berechnungen nach Hagemann 1 ) zugrunde gelegt. Die Angaben für die namentlich aufgeführten Ortschaften gelten für das Jahr 1910, während die eingeklammerten Ziffern dem Jahre 1923 entstammen, wobei jedoch die neuen Gemeinden wieder wie 1910 eingeordnet worden sind 2 ). Die genauen Ziffern der einzelnen Gemeinden sind niedergelegt in den Anlagen 1 und 3. Fassen wir zunächst die Volksdichtestufen ins Auge, dann zeigt sich, daß die meisten Gemeinden zur II. Dichtestufe gehören, und daß von da aus in ziemlichen Abständen die HL, IV. und I. folgen. Sieht man demnach das Vorhandensein von Wanderarbeitern als. Symptom einer Übervölkerung an, so erkennt man an der Verteilung in der Tabelle, daß die Volksdichteziffern für die Erforschung der Wanderarbeiterursachen ohne weiteres keine Bedeutung haben, sondern nur in Verbindung mit anderen Verhältnissen zu gebrauchen sind. Ganz besonders fällt diese Tatsache auf, wenn man die Extreme herausgreift und zu dem Zwecke noch die Volksdichtestufe IV aufteilt in eine Stufe 150,1—200 und über 200. Denn dann würden z. B. für 1923: 19 Gemeinden der Dichtestufe I 27 Gemeinden der Dichtestufe V gegenüberstehen. Wir messen nun aber den Volksdichteziffern in Verbindung mit den Wanderarbeiterzahlen deshalb größeren Wert bei, weil namentlich die niederen Stufen bis 100 die Frage nahe legen, welches denn der Grund ist, daß z. B. in 19 Gemeinden mit der doch gewiß sehr niedrigen Volksdichteziffer bis 50 noch Wanderarbeiter vorhanden sind, oder daß die Zahl der Gemeinden in der IV. bzw. V. Dichtestufe hinter der in der IL Stufe nicht unwesentlich zurückbleibt. Insbesondere sind solche Fragen beim Vergleich der verschiedenen Bezirke miteinander wertvoll und instruktiv. So fordert z. B. die Differenzierung der Beteiligungs- *) A. a. O. 2 ) Für 1923 kommen 2 Gemeinden (Siebenhöfen und Grevenhagen) nicht mehr in Frage. — 227 — Ziffern für die 4 Verwaltungsämter an den verschiedenen Dichtestufen zum Nachdenken auf. Stellt man aus der Tabelle die entsprechenden Ziffern zusammen, so erhält man folgende Übersicht: Zahl der Gemeinden mit Wanderarbeitern in den Volksdichtestufen im Bezirk des I II III IV 1910 1923 1910 1923 1910 1923 1910 1923 Verw.-Amt Blomberg 6 5 12 12 7 8 7 6 „ Brake 7 7 17 17 15 15 10 10 „ Detmold 6 6 23 22 13 13 15 15 „ Schötmar 1 1 7 6 8 9 7 7 20 19 59 57 43 45 39 38 Das Hervortreten der II. Stufe in den Bezirken Detmold, Brake und Blomberg, sowie das Überwiegen der III. Stufe bzw. erhebliche Zurücktreten der I. Stufe im Bezirke Schötmar wird deutlich. Bei weiterer Ordnung ergibt sich, daß in den Ämtern Blomberg, Schieder, Sternberg und Detmold die II. Stufe, in den Ämtern Hohenhausen, Horn und Schötmar die III. Stufe, bei Schwalenberg, Brake und Oerlinghausen die IV. Stufe! überwiegt, während im Amte Varenholz die Stufen III und IV und im Amte Lage die Stufen II und IV gleichmäßig stark vertreten sind. In den Ämtern Brake, Lage und Schötmar fällt die I. Stufe, in dem Amte Hohenhausen die IV. Stufe ganz fort. Auf die die verschiedenen Volksdichteziffern bedingenden Verhältnisse brauchen wir hier nicht noch einmal einzugehen, denn es sind ohne weiteres die Beziehungen namentlich zu den Ausführungen der §§ 23 und 25 einleuchtend. Während in den Volksdichtestufen gegenüber 1910 keine stark ins Gewicht fallende Verschiebungen eingetreten sind, weist die Gegenüberstellung der Wanderarbeiterziffern wesentliche Veränderungen auf. 15* — 228 — Zahl der Gemeinden mit Wanderarbeitern in der Wander- in den Volksdichtestufe n I I I I I V arbeitergruppe : • 1910 1923 1910 1923 1910 1923 1910 1923 0,1-5 6 8 5 15 9 6 15 5,1-10 10 9 13 20 8 18 7 13 10,1-15 3 1 33 17 21 15 13 9 über 15 1 1 8 5 14 3 13 1 20 19 59 57 43 39 38 45 Von den 59 Gemeinden der II. Volksdichtestufe entfielen 1910 die meisten Wanderarbeiter auf die 3. Wanderarbeitergruppe, während im Jahre 1923 von 57 Gemeinden die Gruppe von 5,1—10 % überwog. Dieselbe Verschiebung erkennt man bei den Gemeinden der III. Volksdichtestufe. Etwas krasser liegen die Verhältnisse bei den Gemeinden der IV. Volksdichtestufe; denn während 1910 hier die beiden stärksten Gruppen von Wanderarbeitern tiberwogen, trat 1923 die niedrigste Gruppe mit 0,1 bis 5 % an die erste Stelle; die letzte Gruppe war sogar nur noch mit einer Gemeinde beteiligt. Lediglich in der I. Volksdichtestufe, wo 1910 die 2. Wanderarbeitergruppe an erster Stelle stand, war auch 1923 keine Verschiebung in der Rangordnung eingetreten. Im einzelnen auch hier noch auf die Tabellen einzugehen und insbesondere die Verhältnisse innerhalb der einzelnen Bezirke darzulegen, erscheint nicht nötig, da die tatsächlichen Verhältnisse und die Verschiebungen 1923/1910 ohne weiteres erkennbar sind. Es kam uns hier in der Hauptsache darauf an, darzulegen, daß nicht einfach generell gesagt werden kann, die Übervölkerung ist eine Ursache der Wanderarbeit, sondern daß man höchstens von der Wanderarbeiterziffer auf Übervölkerung schließen möchte, daß es aber nötig ist, hier im einzelnen den Verhältnissen genauer nachzugehen. — 229 — Wir wagen nicht die Behauptung aufzustellen, Lippe sei übervölkert; denn wir glauben nicht, daß die Möglichkeiten zur Erweiterung des Nahrungsspielraumes bereits erschöpft sind, sondern werden im letzten Teil darzutun versuchen, daß Lippe durchaus imstande ist, die vorhandene Bevölkerung zu ernähren und darüber hinaus auch noch einer Zunahme der Bevölkerungszahl mit Ruhe entgegenzusehen. § 28. Die Pluralität der wirtschaftlichen und sozialen örtlichen Ursachen. Im folgenden wird nun noch der Versuch unternommen, die wirtschaftlichen und sozialen Ursachen für die verschiedenen Gemeinden zusammenzufassen. Dies soll nicht in der Weise geschehen, daß die Ursachen jedesmal einzeln namentlich aufgeführt werden; vielmehr wollen wir die „Pluralität der Ursachen" durch eine Zahl wiedergeben, um daraus auf die Arten der Ursachen schließen zu können. Es handelt sich bei dieser Untersuchung darum, festzustellen, welche Erwerbsmöglichkeiten in den einzelnen Orten oder deren Nähe vorhanden sind. Einen Anhalt haben wir in dem Grundsteuerreinertrage, der für jeden Ort und jede Bodenart in den Grundbüchern besonders angegeben ist. Selbst wenn die Ziffern der heutigen Zeit nicht mehr ganz entsprechen, bieten sie uns doch eine geeignete Basis. Auf dieser Grundlage hat Kaerger die Ursachen der Wanderarbeit für die Sachsengänger in der Weise berechnet, daß er den Reinertrag pro Person für die einzelnen Orte ermittelte und dann die sich daraus ergebenden Erwerbsklassen den Abwanderungsgruppen gegenüberstellte. Er berücksichtigt also nur die landwirtschaftliche Erwerbsmöglichkeit, wodurch die ganze Berechnung für unsere Verhältnisse unvollständig bleibt und nicht anwendbar ist. Wir wollen deshalb auch die anderen, besonders gewerblichen Erwerbsmöglichkeiten mitl in die Berechnung einzubeziehen versuchen. Wir legen dabei die Ziffern und Verhältnisse für 1910 zugrunde, weil sie uns genauer und vor allem normaler zu sein scheinen als die neueren Zahlen, und weil für den speziellen Zweck die Zeit gleichgültig ist. Ja, wir glauben, daß durch das Zurückgehen auf 1910 eine gute Grundlage für spätere Vergleiche geschaffen wird, und Änderungen der Zukunft nach der Indexmethode wichtige Schlußfolgerungen zulassen. Das Jahr 1910 ist noch insofern geeignet, als die damalige Zahl der Wanderarbeiter relativ auch die Verhältnisse der Vergangenheit widerspiegelt und eine wesentliche Abnahme erst nachher eingetreten ist. Suchen wir zunächst eine geeignete Zahl als Maßstab für unsere Feststellungen zu ermitteln, die wir Erwerbskoeffizient nennen wollen 1 ). Das ist nur möglich, wenn wir solche Orte herausgreifen, die infolge günstiger landwirtschaftlicher Verhältnisse keine oder doch nur sehr wenig Wanderarbeiter aufweisen. Auf Grund genauer persönlicher Untersuchungen ergab sich z. B. für Niederschönhagen im Amte Detmold ein Erwerbskoeffizient von 45,5 und für Hornoldendorf im Amte Detmold ein solcher von 51 2 ). Wir dürfen demnach als Durchschnittskoeffizienten die Zahl 50 aufstellen, die volle Erwerbsmöglichkeit bedeutet, also auch für Orte mit nur gewerblicher und anderer, aber keiner landwirtschaftlichen Beschäftigung angewandt werden kann. Auf dieser Grundlage und unter Berücksichtigung aller anderen Arbeitsmöglichkeiten kann für jeden Ort ein Koeffizient berechnet werden. Dabei wollen wir uns folgender Methode bedienen: *) Die zugrunde gelegten Ziffern sind entnommen: Hagemann, Siedlungsgeographie. S. 112 ff. 2 ) Art der Berechnung, z. B. Niederschönhagen: Qrundsteuerreinertrag pro ha . . 25,52 Bevölkerung pro qkm .... 56 2552 Erwerbskoeffizient pro Person '—'-= 45,5 — 231 — 1. Die Zahl, die sich aus der Division von Reinertrag und Bevölkerungszahl ergibt, sei „Reinertragskoeffizient" genannt. 2. Da, wo sich aus dem Vorhandensein großer Güter und Waldungen Arbeitsmöglichkeiten ergeben, entsteht der „landwirtschaftliche Erwerbskoeffizient". 3. Bei Orten mit Industrie, Handel usw. ergibt sich der „gewerbliche Erwerbskoeffizient". 4. Durch Addition der einzelnen Zahlen miteinander erhalten wir für den betreffenden Ort den „tatsächlichen Erwerbskoeffizienten". Den Koeffizienten unter 2 setzen wir je nach dem Umfange der Güter und Waldungen gleich 5 und 10. Bei der Feststellung des Koeffizienten unter 3 haben wir folgende Gruppen zu unterscheiden: 1. Industrie-, Handels- und Verkehrszentren, wie Detmold, Salzuflen usw., wo vor dem Kriege rege Nachfrage nach Arbeitskräften vorhanden war........ . =50 2. Reichlich industrielle Tätigkeit und Verkehr im Orte selbst oder in der Nähe = 40—45 3. Örtliche Industrie, aber nur geringe Verkehrsmöglichkeit ..........= 30-^0 4. Kein moderner Verkehr, nur Landstraßen, etwas Industrie........= 20—30 5. Geringer Verkehr, nur gewerbliche (handwerkliche) Kleinbetriebe....... = 10—20 An einigen Beispielen sei die Methode genauer erläutert: Hohenhausen, ein Ort mit 1600 Einwohnern, liegt 12 km von der nächsten Bahnstation entfernt, in bergiger Gegend, mit dem Reinertragskoeffizienten 14, es besitzt aber mehrere kleine Zigarrenfabriken, Kalkwerke und eine Seidenzwirnspinnerei, so daß der gewerbliche Koeffizient 20 eingesetzt werden kann, womit sich ein tatsächlicher Erwerbskoeffizient von 34 ergibt. Für Werl-Aspe bei Schötmar mit dem Reinertragskoeffizienten 13 bietet die Industrie von Schötmar und Salzuflen reichlich Erwerbsmöglichkeiten dar, auch liegt ein Gut von 373 ha in unmittelbarer Nähe; unter Berücksichtigung dieser Faktoren wird als gewerblicher Koeffizient 35 und demnach als tatsächlicher Erwerbskoeffizient 48 richtig sein. Haustenbeck, ein Senneort, 13 km von der Bahn, mit dem Reinertragskoeffizienten 7, hat keine anderen Erwerbsmöglichkeiten, auch die landwirtschaftlichen Betriebe erfordern keine fremden Hilfskräfte, nur im Winter finden einige Wanderarbeiter im Walde Beschäftigung. Die Zahl 10 darf als tatsächlicher Erwerbskoeffizient genannt werden. In dieser Weise ist der Erwerbskoeffizient in der Tabelle von Anlage 3 unter Erwerbsmöglichkeit berechnet, aus der auch die Größe des Ortes, die Zahl und Dichte der Bevölkerung, sowie der Anteil der Wanderarbeiter an der Bevölkerung hervorgeht, so daß ein Rückschluß auf die Erwerbsmöglichkeiten — wenn auch etwas problematisch — gezogen werden kann. Nach dieser Tabelle erhält man folgende Übersicht: Erwerbskoeffizient Zahl der Orte absolut Prozent 10—19 16 9,9 20—29 44 27,3 30—39 29 18,0 40—49 39 24,2 50—59 19 11,8 60—69 7 4,4 70 und mehr 7 4,4 Hieraus ersieht man, daß im Jahre 1910 128 Orte = 79,5 % unter und nur 33 Orte = 20,5 % über der Normalzahl 50 lagen, wodurch die Ungunst der Erwerbsverhältnisse in Lippe zum Ausdruck kommen dürfte. Aus den 128 Orten unter dem Koeffizienten 50 müßten demnach Personen abwandern, aus den übrigen dürfte an sich keine Abwanderung stattfinden; wenn dies doch der Fall war und auch heute noch ist, sind andere Faktoren, auf die schon teilweise hingewiesen war (§§ 22 und 27), die Ursache. — 233 — Wie verteilt sich nun die Abwanderung auf die einzelnen Erwerbsgruppen? Folgende Übersicht als Zusammenstellung aus Anlage 3 gibt uns Aufschluß: Orte mit Wanderarbeitern: Erwerbskoeffizient 0,1- 10%' 10,1- -20°/ 0 20,1- -30'/o absolut % absolut % absolut "to I. 10-29 3 5,4 51 52,1 6 85,7 II. 30—49 26 46,4 41 41,8 1 14,3 III. 50 und mehr 27 48,2 6 6,1 Aus dieser Tabelle ergibt sich: l.Orte mit stärkster Abwanderung fallen mit einer Ausnahme in die Erwerbsgruppe mit einem niedrigen Koeffizienten von 10—29. 2. Die Orte mit 10,1—20 % Wanderarbeitern bilden bei weitem die Mehrzahl, sie gehören mit 52,1 % zur Erwerbsgruppe I, mit 41,8 % zu Gruppe II, nur 6,1 % zur Vollerwerbsgruppe. 3. Orte, die bis 10 % Wanderarbeiter stellen, fallen überwiegend in die mittlere und höchste Erwerbsgruppe. In ähnlicher Weise könnte man nun auch etwa für 1923 oder 1925 Berechnungen und Zusammenstellungen vornehmen. Dabei würden manche Orte in andere Gruppen einrücken, und wahrscheinlich würde eine Konzentration nach der Mitte zu erfolgen. Wir müssen jedoch hier auf diese Feststellungen verzichten, weil sie grundsätzlich nichts Neues bringen könnten und dadurch nur eine unnötige Überspannung des Rahmens dieser Abhandlung einträte. § 29. Ursachen wirtschafts- und sozialpolitischer Art. Aus den bisherigen Darlegungen vermögen wir zu erkennen, daß die Ursachen der heutigen Wanderarbeit in den wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen Lippes liegen, die aber nicht lediglich ein Ergebnis der neuesten — 234 — Zeit sind, sondern — wie wir bereits im 1. Teile sahen — im wesentlichen auch in der geschichtlichen Entwicklung ihre Erklärung finden. Daß diese Verhältnisse noch heute so ungünstig liegen, hat seinen Grund zum Teil auch in der bis vor kurzem vom Lippischen Staate betriebenen Wirtschafts- und Sozialpolitik, die wir deswegen hier noch einer besonderen Betrachtung zu unterziehen haben. Nun ist aber diese lippische Wirtschafts- und Sozialpolitik nur recht zu verstehen, wenn uns auch der allgemeine Hintergrund, den uns die Verhältnisse in Deutschland darbieten, bekannt ist. Die nationale Verbrüderung im Jahre 1870, als Folge der durch den Zollverein gekennzeichneten wirtschaftlichen Einigung, bedeutete für Deutschland nicht nur den Eintritt in die Weltpolitik als Großmacht, sondern vor allem auch die intensivere Verflechtung dieser jetzt im Inneren freien und geeinten, von gemeinschaftlicher Zollgrenze umgebenen Volkswirtschaft mit der Weltwirtschaft. Es ergab sich daraus eine entsprechende „Deutsche" Wirtschaftspolitik, von der man bis dahin nicht hatte reden können, und die nach außen hin namentlich in völkerrechtlichen Bindungen über den Handel zum Ausdruck kam. Für die innerdeutschen und damit auch einzelstaatlichen Wirtschaftsverhältnisse bedeutungsvoll war zunächst das vom Norddeutschen Bunde übernommene Grundprinzip der Gewerbe- und Vertragsfreiheit. An die Stelle der jahrhundertealten autoritativen Regelung und Bindung traten jetzt freie Betätigung, freie Berufswahl und vor allem auch freier Arbeitsvertrag im Sinne einer Freiheit des Individuums. Damit war gegeben, daß auch in der Bewegung jedes einzelnen eine freiere Gestaltung als bis jetzt eintreten mußte, wofür das ebenfalls vom Norddeutschen Bunde übernommene Freizügigkeitsgesetz die rechtliche Grundlage darbot. Daß mit dieser freieren Gestaltung des beruflichen und gewerblichen Lebens auch Nachteile verbunden waren, — 235 — ergab sich ganz von selbst in der Folgezeit. Durch das gewaltige Anwachsen der Lohnarbeiterschaft, die Zusammenballung der Bevölkerung in großen Städten und die rapide Zunahme fabrikmäßiger Unternehmungen entstand nach und nach ein neuer Zweig der inneren Politik, dessen manchmal recht schwierige und komplizierte Fragen ständig zum Gegenstand lebhafter Debatten wurden und zum Erlaß von Verordnungen und zur Schaffung entsprechender Gesetze führten. Es war das Gebiet der Sozialpolitik, das notgedrungen der besonderen' Pflege bedurfte. Im Laufe der Zeit wurde dann die Wirtschafts- und Berufsfreiheit des Individuums sowie die Wirtschafts- und Sozialpolitik des Staates insofern stark beeinflußt, als bald hemmende, bald fördernde neue Kräfte im wirtschaftlichen Leben auftraten, sich festigten und allmählich zu einem Machtfaktor wurden. Man kann sie unter dem Ausdruck „Organisationen von Kapital und Arbeit" zusammenfassen. Organisiert wurden auf der einen Seite die Betriebsinhaber von Landwirtschaft, Gewerbe und Handel als Vertreter des Kapitals; organisiert wurden auf der anderen Seite aber auch die übrigen beruflich Tätigen, insbesondere die Arbeitnehmer jener 3 wichtigsten Berufsabteilungen. Die Einzelpersönlichkeit tritt seitdem mehr und mehr zurück, wie das namentlich bei Streiks und Lohndifferenzen bemerkbar wird. Wenige Personen führen die Verhandlungen und zwingen der „Masse", die willig folgt, ihre Beschlüsse auf. Auch im Staatsorganismus spielen diese Vertretungen heute eine soi wichtige Rolle, daß ohne sie eine Wirtschafts- und Sozialpolitik nicht mehr denkbar ist. Wenn wir versuchen, in diesen großen Rahmen auch die lippische Wirtschafts- und Sozialpolitik einzuspannen, dann müssen wir berücksichtigen, daß bis zu den Novemberereignissen des Jahres 1918 in den maßgebenden Stellen, nämlich Ministerium, Regierung und Landtag, Personen saßen, die infolge ihres Herkommens, Bildungsganges und ihrer Stellung in eine bestimmte Gedanken- richtung gezwängt waren, deren Folge eine einseitig gestaltete Wirtschaits- und Sozialpolitik sein mußte. Von maßgeblichem Einfluß auf den Gang der Politik war stets der Landesherr mit der ihn umgebenden „Hofkaste", die sich zusammensetzte in erster Linie aus den adeligen Besitzern und Pächtern der Rittergüter und Domänen. Es ist zum mindesten zweifelhaft, ob diese Personen mit Interesse das Wohl und den Aufstieg der arbeitenden Bevölkerungsklasse verfolgten, oder ob ihnen nicht vielmehr in erster Linie Standesinteressen zu sehr am Herzen lagen und man ihnen infolgedessen zu stark ausgeprägten Egoismus vorwarf, so daß in weiten Bevölkerungsschichten dieser Eindruck feste Wurzeln faßte und bis auf die Gegenwart nachwirkt. Bei den Personen, welche die Regierungs- und Verwaltungsgeschäfte in Händen hatten, konnte es nicht wesentlich anders sein, und auch die Zusammensetzung des Landtages, in dem die Konservativen infolge des auf agrarische Verhältnisse zugeschnittenen Dreiklassenwahlrechtes die Mehrheit bildeten, vermochte nicht eine Politik hochkommen zu lassen, die als arbeiterfreundlich im strengsten Sinne des Wortes bezeichnet werden konnte. So ist denn verständlich, wenn die Landesgesetzgebung einseitig wohl auf die Hebung der landwirtschaftlichen Verhältnisse abgestellt war, daß im übrigen aber für die arbeitende Bevölkerungsklasse im wesentlichen nur die Reichsgesetze notgedrungen zur Durchführung kamen. Vor allem kann es auch nicht verwunderlich erscheinen, wenn wir seit Aufhebung des alten Zieglergewerbe- gesetzes in den Landesgesetzen und Verordnungen keine positiven Maßnahmen vorfinden, die auf die Fürsorge der Wanderarbeiter gerichtet wären. Erst recht sind keine Bestrebungen feststellbar, die mit der Eindämmung oder gar Beseitigung der Abwanderung zusammenhängen. Wohl haben einzelne Vertreter wiederholt im Landtage (Asemissen, Zeiß, Panneke, Neumann-Hofer) versucht, Ihren Einfluß dahin geltend zu machen, daß etwas für die — 237 — lippischen Wanderarbeiter getan würde, aber zu irgendwelchen wesentlichen, positiven Handlungen und Ergebnissen ist es nie gekommen, es sei denn, daß man aus der Anordnung der Wanderarbeiterzählungen in den Jahren 1905 und 1910 Folgerungen zugunsten einer positiven Wanderarbeiterpolitik ziehen könnte. Straffes Festhalten am Teilungsverbot und Widerstreben gegen die Durchführung einer großzügigen inneren Kolonisation, Passivität gegen eine schnellere Industrialisierung des Landes und damit Interesselosigkeit gegenüber der Besserung der gewerblichen Beschäftigungsmöglichkeiten der Arbeiterklasse; nur sehr langsam vorwärtsschreitende günstigere Gestaltung der modernen Verkehrsverhältnisse und nicht zuletzt mangelhafte Förderung des Volksbildungswesens: das sind kurz zusammengefaßt die Hauptfaktoren, die hier als wirtschafts- und sozialpolitische Ursachen der lippischen Wanderarbeit der besonderen Erwähnung bedurften. Im einzelnen diesen Dingen auf Grund spezieller Forschungen nachzugehen, wäre eine verlockende und dankbare Aufgabe; denn gerade auch Fehler und Mängel der Vergangenheit sind wertvolle Lehrmeister der' Zukunft; doch müssen wir uns hier mit der Hervorhebung des Grundsätzlichen begnügen. Inwiefern seit der Revolution bezüglich der lippischen Wirtschafts- und Sozialpolitik für das Wanderarbeiterproblem Änderungen eingetreten und Erfolge erzielt worden sind, werden wir im letzten Teile der Abhandlung darzulegen haben. Zweites Kapitel Die wirtschaftliche und soziale Lage der lippischen Wanderziegler § 30. Der Ziegeleibetrieb in seiner Bedeutung für die lippischen Ziegler. I. Produktionsprozeß und Arbeitsverrichtungen. Die Beurteilung der wirtschaftlichen Lage der Ziegler setzt eine genügende Kenntnis der Art und Weise des Betriebes voraus. Beschäftigen wir uns daher zunächst mit der Herstellung der Ziegel. Dabei wollen wir uns jedoch nicht mit den mannigfachen rein, technischen Fragen im einzelnen befassen, sondern den Produktionsprozeß nur insoweit durchgehen, als es zur Erkenntnis und Beurteilung der wirtschaftlichen Zusammenhänge von Bedeutung ist 1 ). Das zu den Ziegeln erforderliche Rohmaterial, den Ton, finden wir fast überall auf der Erde, in der Ebene, im Gebirge, an den Flüssen. Hier bildet er ein Lager von 20—50 m Mächtigkeit, dort trifft man ihn nur als dünne Schicht an; hier ist er frei von jeglichen unreinen Bestandteilen, dort vermengt mit groben Verunreinigungen; hier tritt er direkt zutage, dort liegt er unter Abraumschichten, die für die weitere Verarbeitung wertlos sind und beiseite geschafft werden müssen; hier kommt er als Schlamm aus den Flüssen, dort ist er eine zähe, feste Masse, dort wieder felsenähnliches Gestein. Mächtigkeit, Lagerung und Güte des Tones sind für die Anlage einer Ziegelei von ausschlaggebender Bedeutung, weil davon Betriebsart und Rentabilität des Unternehmens abhängen. Wie verschieden nun auch das Vorkommen des *) Unter Verwendung des Buches: Benfey, Die heutige Ziegelindustrie, Berlin 1908; siehe auch Böger, a. a. 0., S. 121 ff., oder das umfangreiche Handbuch der Ziegelei von Dümmler, Halle 1914. — 239 — Tones ist, überall ist eine Gewinnung und Weiterverarbeitung notwendig, um daraus einen bildsamen, plastischen Stoff herzustellen. Wo der Ton nicht offen zutage tritt, müssen erst die unbrauchbaren Abraumschichten beseitigt werden. Ist dies geschehen, so wird der Ton vom „Tongräber", je nach der Beschaffenheit, mit Spaten und Hacke gelockert, vom „Tonlader" mit der Schaufel auf Karren oder Loren geladen und vom „Tonfahrer" an die Verarbeitungsstelle gebracht. In kleinen Betrieben werden alle einzelnen Tätigkeiten gewöhnlich von einer Person verrichtet. Größere Betriebe bedienen sich da, wo große, gleichmäßige Tonschichten anstehen und eine bedeutende Fördermenge erforderlich ist, besonderer Baggermaschinen. Die Gewinnung des Tones geschieht auf einzelnen Ziegeleien schon im Winter, namentlich da, wo er zwecks besserer und leichterer Verarbeitung „durchwintern" muß, und wo eine genügende Anzahl ortsansässiger Arbeitskräfte zu beschaffen ist. Die ganze Gruppe von Arbeitern heißt Lehmbergarbeiter. Sie haben schwere Arbeit zu leisten, die einen gesunden Körper, große Muskelkraft und fortwährende Aufmerksamkeit erfordert. Der Rohton findet sich in den seltensten Fällen so vor, daß er unmittelbar zur Herstellung von Ziegeln verwendet werden kann. Er muß fast durchweg vorher bearbeitet werden. Die groben Beimischungen, namentlich Steine und der sehr schädliche Kalk, erfordern eine intensive Reinigung; manche Tonarten bedingen besondere Zusätze zur Erreichung der gewünschten Härte, Wasserdurchlässigkeit, Leichtigkeit usw. Zu fette Tone müssen gemagert werden, da sie, wollte man sie im Naturzustande verarbeiten, zu stark schwinden, sich verziehen und reißen würden. Alle diese Vorarbeiten, wodurch das natürliche Gefüge des Tones verändert wird, bezeichnet man als „Aufschließung" des Tones. Sie hat im Laufe der Entwicklung manche Änderungen und Vervollkommnungen erfahren. — 240 — Ursprünglich wurde der Ton mit einer Hacke kleingeschlagen, dabei von den gröbsten Verunreinigungen befreit, dann angewässert und durch die nackten Füße der Arbeiter, an deren Stelle man später Pferde verwandte, getreten. Diese primitive Form der Aufschließung kommt heute nicht mehr vor. Um den Ton zu einer gleichmäßigen, formbaren Masse zu gestalten, wird er in einer Grube, dem Sumpfe, angefeuchtet und längere Zeit gelagert. Diese Arbeit verrichtet der „Sümpfer". Beimischungen von Kalk sucht man durch das „Schlämmen" zu beseitigen. Hierbei wird der Ton vollständig aufgelöst und in diesem Zustande durch ein engmaschiges Sieb getrieben, von wo er in den Absatzkasten gelangt, in welchem er sich allmählich wieder aus dem Wasser abscheidet., — .* Sümpfen und Schlämmen werden heute noch auf vielen Ziegeleien angewendet, da man hierin das billigste Mittel sieht, Beimengungen des Tones zu beseitigen. Die neuerdings hergestellten Tonreiniger und Steinaussonderungs- Walzwerke finden außer auf großen Betrieben noch wenig Verwendung. Zur weiteren Verarbeitung des durch Sumpf und Schlämmerei vorbereiteten Tones dient der Tonschneider, der auf manchen Ziegeleien noch im Gebrauch ist. In seiner ursprünglichen Gestalt besteht er aus einem vierkantigen oder runden, länglichen Kasten, in dem an einer in der Mitte aufrechtstehenden starken Wehe mehrere Messer befestigt sind, die den oben eingeworfenen Ton zerschneiden und durch ihre schräge Stellung nach unten drängen, bis er durch eine Öffnung am Boden des Kastens herausgedrückt wird. Ersetzt wird auf manchen Ziegeleien der Tonschneider durch die Walzwerke und den Kollergang. Die Arbeiter, welche den Ton der betreffenden Einrichtung zuführen, werden als „Einspetter, Walzen- oder Kollerwerfer" bezeichnet. Ist der Ton durch die Aufschließung gehörig vorbe- — 241 reitet, so erfolgt die Formgebung. „Fast in gleichberechtigter Würdigung sehen wir heute den Handstrich, die ursprünglichste Ziegelherstellung, wie sie sich fast ohne Änderung durch Jahrtausende überliefert hat, neben der hochentwickelten amerikanischen Ziegelpresse mit ihrer fast vollständig selbsttätigen Herstellung von % Million (!) Ziegel täglich". (Benfey S. 11). Bei der Handformerei empfängt der „Streicher" oder ,,Former" den aufgeschlossenen Ton vom „Aufkarrer", der ihn vom Tonschneider auf den Streichtisch bringt. Das Hauptwerkzeug des Streichers ist eine rechteckige, einfache oder doppelte, hölzerne oder eiserne Form, in die er einen für einen bzw. zwei Ziegel ungefähr erforderlichen Tonklumpen mit Kraft hineinwirft, so daß alle Teile der Form gleichmäßig angefüllt sind; nötigenfalls hilft er durch den Druck der Hand nach. Der überflüssige Ton wird mit dem Abstreichholz, einem flachen Brett mit genau geraden Kanten, von der Oberkante der Form abgestrichen. Die Form mit den Steinen wird alsdann vom Streichtisch — manchmal durch einen besonderen jüngeren Arbeiter, den „Abträger" — abgenommen und nach der breiten Seite hin umgestülpt, so daß die Formlinge auf die besonders vorbereitete ebene Bahn gleiten. Die Tätigkeit des Formers ist sehr anstrengend. Es kommt hinzu, daß der betreffende Ziegler durch die feuchten Lehmspritzer am ganzen Körper beschmutzt und durchnäßt wird. Bei Maschinenbetrieben wird das Formen von den Ziegelpressen übernommen, deren es heute verschiedene Arten gibt. Eine genaue Beschreibung gehört nicht in den Rahmen dieser Arbeit; nur die dabei erforderlichen Arbeitsverrichtungen interessieren uns. Wesentlich ist, daß die Pressen den Ton durch eine bestimmte Form drücken, von wo aus der entstehende Tonstrang auf den Abschneidetisch tritt 1 ), an dem an einer Seite ein Arbeiter, *) Nach einem neuen Verfahren in Trockenpressen fällt der „Tonstrang" fort, an seine Stelle tritt, ähnlich wie bei der Brikettherstellung, die Exzenterpresse. Fleege-Althoff, Wanderarbeiter 16 — 242 — der „Abschneider", steht, der mit den Drähten des Abschneideapparates jedesmal 2—3 Steindicken von dem Tonstrange abschneidet. Auch diese Arbeit erfolgt heute vielfach durch die Maschine. Der „Abnehmer" an der anderen Seite des Tisches nimmt die abgetrennten Formlinge fort und setzt sie auf den Preßkarren, der von dem „Preßkarrenschieber" zum Trockenplatz geschoben wird. Zu diesen Arbeiten werden besonders jüngere Arbeiter von 16—20 Jahren verwendet, weil sie Raschheit und Behendigkeit erfordern. In den modernsten Ziegeleien trifft man das „fließende Band" an, auf dem die Formlinge von der Presse aus zum Trockenplatz befördert werden. Die durch Handstrich oder Presse hergestellten Formlinge werden entweder den Einflüssen der Luft, der Sonnenwärme und des Windes zum Trocknen ausgesetzt oder auf künstlichem Wege durch die Ofenwärme getrocknet. Bei der natürlichen Trocknung werden die auf dem sauber geebneten Streichplatze flachliegenden Ziegel nach einigen Tagen hochkant gestellt, und darauf, wenn sie genügend ausgetrocknet sind, entweder an den Seiten des Platzes oder im Trockenschuppen zur völligen Trocknung vom „Hagensetzer" aufgestapelt. Auf vielen Werken werden die frisch geformten Ziegel unter Dach in ein- oder mehrstöckigen Trockenschuppen untergebracht, um so die Vorteile des fast unbehinderten Luftzuges zu genießen, gleichzeitig aber, um gegen die schädlichen Einflüsse der Witterung gesichert zu sein. Die vom „Preßkarrenschieber" oder durch den Elevator zum Trockenplatze beförderten Steine setzt der „Gerüstsetzer", auch „Ein- und Holtensetzer" genannt, auf die Trockengerüste. Um nicht von der Witterung abhängig zu sein, gehen größere Betriebe mehr und mehr zur künstlichen Trocknung über, die darin besteht, daß die überschüssige Wärme des Brennofens in einem diesen umgebenden Ge- — 243 — bäude festgehalten wird und so zum Trocknen der dort aufgestellten Steine dient. Sind die Ziegel auf natürlichem oder künstlichem Wege genügend getrocknet, so werden sie dem wichtigsten Prozesse unterworfen, dem Brennen. Durch dieses wird die bisher in Wasser aufweichbare Ware in einen unauflösbaren Zustand überführt, womit sie die für ihre spätere Verwendung erforderliche Festigkeit erhält. In der Ziegelindustrie bestehen die verschiedensten Ofensysteme nebeneinander. Die primitivste Form ist der Feldofen, der kurz vor dem Kriege noch auf einigen Handstrichziegeleien im Gebrauch war, heute aber nicht mehr häufig vorkommen wird. Die Feldbrandöfen bestanden nur solange, bis das im Abbau befindliche Feld ausgeziegelt war. Das Charakteristische an ihm war, daß er jedesmal für die zu brennende Menge Ziegel aus schwach gebrannten oder auch ungebrannten Steinen aufgebaut wurde und mit der Vollendung des Brennprozesses wieder verschwand. Einen wesentlichen Fortschritt bedeuteten schon der „Deutsche" und „Kasseler Ofen", deren Umfassungsmauern aus feuerfesten Steinen bestehen. Nachdem die Ziegel fertig gebrannt und abgekühlt sind, wird der ganze Ofen geleert und darauf wieder von neuem gefüllt. Man bezeichnet diese Öfen wohl als „periodische", weil jeder Brand eine in sich abgeschlossene Arbeitsperiode umfaßt. Erst mit der Einführung des sehr vollkommenen Ringofens wurde ununterbrochener Brennprozeß ermöglicht. Zu erwähnen sind schließlich noch die Kanalöfen, bei denen die Steine auf einem Wagen einen Kanal durchlaufen, in dem sie angewärmt, gebrannt und abgekühlt werden. Welche Funktionen hängen nun mit dem Brennen zusammen? Der „Einkarrer" bringt die ihm vom „Aufsetzer" auf die Karre gesetzten Steine vom Trockenplatze in den Ofen, wo sie der „Ofensetzer" so aufeinanderstellt, daß nachher die Glut hindurchschlagen kann. Statt der drei 16* — 244 — Personen ist häufig dafür nur ein Ofenmann vorhanden. Die Arbeit des Brenners besteht darin, daß er sorgfältig den Brand überwacht, nicht zu früh die Vollglut eintreten läßt, und dafür sorgt, daß bei Erreichung der für die spätere Festigkeit erforderlichen Temperatur eine allmähliche Abkühlung eintritt. Die abgekühlten Steine werden vom „Ausschieber" aus dem Ofen auf den Stapelplatz gebracht und hier gewöhnlich so aufgestellt, daß jedesmal 150 oder 200 Steine einen Stapel bilden, wodurch das spätere Nachzählen erleichert wird. Wenn wir den ganzen Fabrikationsgang noch einmal überblicken, so erkennen wir, daß er einen in sich zusammenhängenden Produktionsprozeß bildet, der in einzelne für sich selbständige Abschnitte zerfällt. Während nun heute auf den größeren Ziegeleien die Produktionsabschnitte gleichzeitig nebeneinander in Betrieb stehen und infolgedessen jeder eine besondere Gruppe von Arbeitern erfordert, werden sie auf kleinen Ziegeleien nacheinander immer von denselben Arbeitern betrieben, so daß also, wenn wir einen ganz kleinen Betrieb von 3—5 Personen ins Auge fassen, zunächst der Ton herbeigeschafft und aufgeschlossen, dann zur Formung von 6—10 000 Ziegelsteinen geschritten wird, die nach gehöriger Trocknung dem Ofen übergeben und gebrannt werden. Mit fortschreitender Betriebsvergrößerung macht sich die Tendenz der Arbeitsteilung mehr und mehr geltend, die heute besonders auf großen Handstrich- und Maschinenziegeleien ausgeprägt ist, wo die einzelnen Ziegler die ganze Arbeitsperiode hindurch mit derselben Arbeit beschäftigt sind. Die Personen der einzelnen in sich geschlossenen Abschnitte bilden eine Gruppe von Arbeitern, die auf manchen Stellen für einen gemeinsamen Lohnsatz — Gruppenakkord — die Arbeit übernehmen. Solche Gruppen sind: Tongräber, -lader und -fahrer; Aufkarrer, Former, Einspetter und Abträger; Abschneider, Abnehmer, Preßkarrenschieber und Gerüstsetzer; — 245 — Auf setzer, Einkarr er und Ofensetzer; Ofenein- und -auskarrer (Ofenleute). Die einzelnen Arbeiten sind zwar in sich selbständig, hängen aber in ihrem Fortschreiten voneinander ab, unterstützen einander und bilden zusammen ein Ganzes. In den Ziegeleibetrieben herrscht eine bunte Mannigfaltigkeit. Die älteren Ziegeleien mit vorwiegend Handbetrieb und einer Belegschaft von 3—10 Arbeitern sind Kleinbetriebe, jene mit modern eingerichteten Maschinen und wenigstens 20 Arbeitern Großbetriebe. Doch werden auch auf kleineren Ziegeleien für einzelne Verrichtungen, namentlich für die Formerei, mehr und mehr Maschinen eingeführt, besonders gern da, wo elektrische Energie zur Verfügung steht. Der Kleinbetrieb mit Handarbeit wird da seinen Platz behaupten, wo die Beschaffenheit des Tones die Einführung von Maschinen nicht gestattet, wo aus Mangel an billigen Transportmitteln und durch zu weite Entfernung von größeren Städten kein so großer Absatz garantiert ist, daß kostspielige maschinelle Vervollkommnungen vorgenommen werden können. In der Nähe eines bedeutenden Absatzgebietes werden die Großbetriebe mit ihren vollkommenen maschinellen Einrichtungen die Kleinbetriebe nach und nach verdrängen, vorausgesetzt, daß der Ton eine Verarbeitung durch Maschinen gestattet. Damit ist gegeben, daß eine Verdrängung der Menschenkraft, namentlich der gelernten Wanderarbeiter eintreten wird, wodurch zugleich eine Beschränkung des Arbeitsfeldes für die Lipper-Ziegler stattfindet. Die lippischen Wanderziegler waren bis 1914 vornehmlich in Betrieben mit vorwiegend Handarbeit beschäftigt, weil hier in erster Linie gelernte Arbeiter erforderlich waren, dann aber auch' der Verdienst höher war als auf Ziegeleien mit Maschinenbetrieb. Der Krieg hat auch hier eine Verschiebung veranlaßt, denn gerade die kleineren Handstrichziegeleien sind mehr und mehr eingegangen. — 246 II. Betriebsübernaißne und Ziegelmeister. Bei der Bedeutung, die gerade der lippische Ziegelmeister im Laufe der Jahrhunderte bis in die neueste Zeit innerhalb des Zieglergewerbes gehabt hat, dürfen wir an dieser Stelle auch noch auf die viel umstrittene Frage eingehen, welche Stellung der Ziegelmeister im Verhältnis zum Ziegeleibesitzer einnimmt. a) Da ist es zunächst notwendig, die Merkmale der nach und nach entstandenen Formen der Ziegeleiübernahme kurz hervorzuheben. Die ursprünglichste Form war die Gesamtübernahme, d. h. alle Arbeiter übernahmen gemeinsam den ganzen Betrieb. Alle waren an sich rangmäßig gleichgestellt. Auch der Ziegelmeister hatte keine besonderen Rechte. Für die mehr übernommen Pflichten erhielt er eine vorher mit den übrigen Annehmern vereinbarte besondere Summe, den „Meister-Vorzug", von der am Schluß der Arbeitsperiode errechneten und vom Ziegeleibesitzer ausgezahlten Gesamtsumme vorweg. Im übrigen arbeitete der Ziegelmeister selbst intensiv mit, und zwar meist sogar an den wichtigsten und verantwortungsreichsten Stellen innerhalb des Produktionsprozesses. Der Arbeitsvertrag mit dem Ziegeleibesitzer wurde nach diesem System von allen Arbeitern gemeinsam abgeschlossen. Der Ziegelmeister selbst war danach lediglich eine Art Vorarbeiter, ein Kolonnenführer. Dieses System war als „Lipperkommune" noch im vorigen Jahrhundert bekannt und bald auch bei anderen Arbeiterkolonnen, die Nichtlipper waren, beliebt geworden, so daß es vielfach Nachahmung fand. Die Gewerbeinspektionen der 90er Jahre berichten von der segensreichen Wirkung dieses eigenartigen Arbeitssystems 1 ), so daß sein allmähliches Zurückgehen bedauert wurde 2 ). Bereits an der Wende des 20. Jahrhunderts war dieses System fast verschwunden. In ganz abgelegenen Gegenden hat es sich nach *) Bernhard, Akkordarbeit, S. 93. ') Ebenda, S. 94. — 247 — Aussage älterer Ziegler auf kleineren Handstrichziegeleien noch einige Jahre erhalten. Aus dieser Form entwickelte sich ein hier und da vor dem Kriege noch übliches System, das Annehmersystem, wonach mit dem Meister gemeinsam nur ein Teil der Ziegler am Übernahmevertrage und damit am Risiko beteiligt war. Die übrigen Arbeiter, insbesondere die jüngeren Ziegler und auch Nichtlipper, bekamen lediglich ihren Lohn und nahmen an der Endabrechnung nicht teil. Bereits im Laufe des 19. Jahrhunderts hatte sich neben den bisher besprochenen Systemen ein anderes entwickelt, das bald zum vorherrschenden überhaupt wurde. Es war die Form der Einzelübernahme, die wieder Variationen nach dem Inhalt des Vertrages zeigte. Der Ziegeleibesitzerschloß nur nochmitdemZiegelmeister den Vertrag ab. In diesem verpflichtete sich der Meister zur Fertigstellung einer gewissen Anzahl fehlerfreier Steine für einen bestimmten Preis, der meistens für 1000 Stück festgesetzt wurde. Für die Dauer der Arbeitsperiode übergab der Besitzer dem Meister die Ziegelei mit allem Zubehör, also Gebäude (auch die Wohnräume für die Arbeiter), Maschinen, Geräte, Ofen, Rohmaterial usw. Meistens übernahm der Ziegelmeister auch noch alle sonst mit einem Gewerbebetriebe verbundenen Verpflichtungen, z. B. Unfall- und Invalidenversicherung. Bei dieser Form der Ziegeleiübernahme trug der Meister allein das Risiko, während es sich bei den früheren Formen auch mit auf die Annehmer verteilte. Damit trat der Ziegelmeister zwischen den Ziegeleibesitzer und die Arbeiter und wurde damit auf der einen Seite allein abhängig vom Besitzer und dessen Zahlungsfähigkeit und war auf der anderen Seite angewiesen auf die Arbeiter, denen gegenüber er jetzt eine andere Stellung einnahm als früher. Diese Form der Betriebsübernahme wird auch als „Zwischenmeistersystem" bezeichnet. Nur noch ein Schritt war es, und aus dem Ziegelmeister wurde, wenn die Möglichkeit einer käuflichen Er- — 248 — Werbung oder der Eigengründung durch entsprechende finanzielle Mittel vorhanden war, ein Ziegeleibesitzer, der sich dann meistens auch insofern von seinen Mitarbeitern loslöste, als er die Wanderarbeit aufgab und seinen Wohnsitz an den Standort der Ziegelei verlegte. Die übrigen Formen haben für lippische Ziegelmeister eine untergeordnete Rolle gespielt, doch wollen wir sie auch hier der Vollständigkeit halber kurz erwähnen. So kam es vor, daß der Besitzer die Ziegelei eine oder auch mehrere Perioden an den Meister gegen ein festes Entgelt verpachtete, so daß damit das Risiko für den Ziegelmeister jetzt noch größer wurde, weil zum Produktions- auch noch das Absatzrisiko hinzutrat, das bei der vorherigen Form ja auf den Schultern des Ziegeleibesitzers lastete. Damit unterlag der Ziegelmeister auch den Schwankungen der Konjunktur, so daß auf der einen Seite zwar die Möglichkeit eines bedeutenderen Gewinnes gegeben war, andererseits aber auch erhebliche Verluste eintreten konnten. Auf einzelnen Stellen stand der Ziegelmeister auch wohl in festem Gehalt, zu dem meistens dann noch Prozente für fertige Steine traten. Der Ziegelmeister wurde damit Angestellter und lediglich technischer Leiter. In modernen Großbetrieben wird dann auch nicht mehr vom Ziegelmeister gesprochen. Seit Einführung der Tarifverträge geschah die Übernahme zunächst meistens nur formell, weil auch der Meister, wie alle übrigen Ziegler, Lohn bezog, der allerdings — wie wir noch sehen werden — etwas anders bemessen war als der der Arbeiter. Doch hat sich bereits seit 1921 das alte Einzelübernahme-System wieder eingebürgert. b) Die am meisten vorkommende Form der Betriebsübernahme, die Einzelübernahme, hat im Laufe der Zeit wiederholt zu Meinungsverschiedenheiten über die Frage geführt, ob der Ziegelmeister Arbeiter, wie jeder andere Ziegler auch, oder aber selbständiger Gewerbetreibender und Unter- — 249 — nehraer sei. Es ist nicht leicht, diese Frage mit einem eindeutigen Ja oder Nein zu beantworten, denn man muß dabei zwischen der juristischen und der wirtschaftlichen Auffassung unterscheiden. Da sich wiederholt die Rechtsprechung gelegentlich verschiedener Klagen zwischen Ziegelmeistern und Ziegeleibesitzern, sowie zwischen Ziegelmeistern und Steuerbehörden, mit dieser Frage zu beschäftigen hatte, und über den Ausgang der Streitigkeiten Urteilsbegründungen vorliegen, sei zunächst der juristische Standpunkt kurz hervorgehoben 1 ). Nach der Rechtsprechung scheidet der Ziegelmeister aus der Reihe der Arbeiter aus. Schon sein Berufsname weise auf die besondere Stellung sowie die berufliche und soziale Abstufung zwischen ihm und den Zieglern hin 2 ). Auch sei seine Arbeitsaufgabe nicht dieselbe wie die der Ziegler, denn — so führt das Reichsgericht aus 3 ) — „zu den Arbeitern gehören nicht solche Personen, welchen eine selbständige Leitung und Beaufsichtigung des ; betreffenden Gewerbe- oder Fabrikbetriebes oder des in demselben beschäftigten Personals zusteht, welche eine dirigierende und kontrollierende Stellung einnehmen. Der Ziegelmeister hat eine solche Stellung gehabt, und einen Teil des Fäbrikbetriebes, die Anfertigung der Steine und Ziegel bis zum Brennen unter eigener Verantwortlichkeit selbständig übernommen, so daß ihm für diesen Teil des Fabrikbetriebes die Leitung und Beaufsichtigung des Betriebes und Personals zustand". Der Ziegelmeister hatte „sonach eine höhere Stellung als ein gewöhnlicher Arbeiter". Daraus kann man aber noch nicht erkennen, ob der Ziegelmeister auch selbständiger Gewerbetreibender ist, denn jeder ähnliche Betriebsleiter, selbst eines ganzen Betriebes, ist als Angestellter immer noch Arbeitnehmer, und als solcher müßte der Ziegelmeister auch dann noch *) Zum Teil nach: Luetgebrune, Der Akkordvertrag zwischen Ziegeleibesitzer und Ziegelmeister, Berlin 1912. *) Luetgebrune, S. 11. 8 ) R.Q.Z., Bd. 13, S. 60. — 250 — aufgefaßt werden, wenn berücksichtigt würde, daß er die erforderlichen Arbeiter engagierte und entlohnte und ihnen gegenüber als Arbeitgeber angesehen werden könnte. Infolgedessen ist von wesentlicher Bedeutung nicht so sehr die äußere Stellung des Ziegelmeisters im Produktionsprozeß, sondern der Inhalt des mit dem Ziegeleibesitzer abgeschlossen Vertrages. In dieser Hinsicht sind die Meinungen geteilt. Luetgebrune l ) sieht in dem Vertrage nur einen Dienstvertrag, weil als Gegenstand der Leistungspflicht nicht ein Werk, sondern im wesentlichen eine Aufsichts- und Betriebsleitungspflicht, also eine Dienstleistungspflicht, vorläge. Das Reichsgericht 2 ) sieht dagegen in dem Vertrage zwischen Ziegelmeister und Ziegeleibesitzer einen Werkvertrag; denn — so führt es aus — „seinen unmittelbaren Gegenstand bilden nicht bloß vom Kläger zu leistende Dienste, insbesondere Arbeitsleistungen in der Ziegelei, sondern ein durch Arbeit herbeizuführender Erfolg, nämlich die Herstellung von mindestens 5 Millionen Hintermauersteinen zu einem bestimmten Preise für das Tausend Steine"; und an anderer Stelle heißt es: „Der Ziegelmeister ist nicht bloßer Angestellter der Gesellschaft, unter deren Aufsicht er ihr Arbeiten zu leisten hatte, sondern er hatte auf Grund seines Vertrages die Eigenschaft eines selbständigen, die Herstellung der Ziegel unter eigener Gefahr betreibenden Unternehmers". Das Reichsgericht geht sogar so weit, dem Ziegelmeister den rechtlichen Besitz an den hergestellten Ziegeln zuzusprechen, weil er sie in seiner Verfügungsgewalt gehabt habe. Auch „stellten die Steine gegenüber dem zu ihrer Herstellung gelieferten Ton neue bewegliche Sachen dar". Endlich erscheine es ausgeschlossen, daß der Ziegelmeister die „tatsächliche Gewalt über die Ziegel nur für die Ziegeleigesellschaft in deren Erwerbsgeschäft als Besitzdiener ausgeübt habe, da er hinsichtlich der l ) A. a. O., S. 17. ') R.Q.Z., Bd. 72, S. 281 ff. — 251 — Steine bis zur Abnahme die Gefahr trug, also ein eigenes Interesse daran hatte, die tatsächliche Gewalt über die Steine auszuüben". Es ergibt sich demnach aus dieser Reichsgerichtsentscheidung, daß hier der Ziegelmeister sogar als selbständiger Unternehmer aufgefaßt wird. Auch das preußische Oberverwaltungsgericht erblickt in ständiger Rechtsprechung in dem Ziegelmeister einen selbständigen Gewerbetreibenden 1 ). Darauf wird neuerdings besonders von Erler 2 ) hingewiesen, wenn er z. B. sagt: „Selbständig ist die Tätigkeit der sog. Zwischenmeister (Werkmeister, Ziegelmeister, Akkordmeister), wenn sie ihrerseits die Fertigstellung des Produktes auf eigene Rechnung und Gefahr übernommen haben, wenn sie also ihrerseits die erforderlichen Lohnarbeiter annehmen, wenn sie persönlich den Gewinn und etwaigen Verlust zu tragen haben". Demgegenüber betont das Reichsversicherungsamt 3 ), der Ziegelmeister sei nicht selbständiger Gewerbetreibender, da er nicht Arbeitgeber im Sinne des Unfallversicherungsgesetzes, sondern: Versicherter sei. Denselbe;. Standpunkt nimmt einmal auch dasReichsgericht") ein, wonach der Ziegelmeister auch nicht Arbeitgeber im Sinne der Gewerbeordnung sei. Auch die 1 Gewerbeaufsichtsbeamten haben wohl infolgedessen den Ziegelmeister nicht als selbständigen Gewerbetreibenden betrachtet 5 ). Daher kommt es denn, daß bezüglich der öffentlich-rechtlichen Stellung dem Ziegeleibesitzer die versicherungsrechtlichen und gewerbepolizeilichen Verpflichtungen auferlegt werden, weil diese Verpflichtungen nicht „den Arbeitgeber als den Vertragskontrahenten des Arbeiters l ) Nach: „Der Ziegler", 5. Jg. 1898, Nr. 21. *) Erler, Das Reichsbewertungsgesetz, Berlin 1927, S. 149/150. 3 ) Schmidts Sammlung der Bescheide des Reichsversicherungsamtes, Band I, Seite 211; Lippischer Kalender 1915, S. 74, und Der Ziegler, Beilage Nr. 13 vom 1. Juli 1900. *) R.Q.St. vom 12. 3. 1886, Bd. 8. B ) Z.B. Mitteilungen der Gewerbeaufsichtsbeamten 1894, S. 394 ff., 1895, S. 314, 315, 310, 245. — 252 — aus einem Arbeitsvertrage, sondern den selbständigen Gewerbetreibenden, in dessen Gewerbebetriebe Arbeiter tätig sind, treffen" 1 ). So ist also danach die rechtliche Stellung des Ziegelmeisters eine recht eigenartige. Man kann sie vielleicht so präzisieren: Er ist Arbeitgeber gegenüber den Zieglern; er ist Arbeitnehmer gegenüber dem Ziegeleibesitzer, dabei aber doch Werkunternehmer. Seine öffentlichrechtliche Stellung ist keine selbständige im Sinne eines Gewerbetreibenden, so daß er nicht etwa mit einem selbständigen Handwerksmeister auf die gleiche Stufe gestellt werden darf. Und daraus erklärt es sich dann auch wohl, daß man ihm die Stellung eines Zwischenmeisters, wie sie der Zwischenmeister bei der Heimarbeit hat, zuweist. Will man die Stellung des Ziegelmeisters in wirtschaftlicher Hinsicht charakterisieren, dann hat man u. E. zweierlei besonders zu betonen, nämlich einmal die Funktionen innerhalb des Produktionsprozesses und sodann das übernommene Risiko. Dabei ist es aber noch nötig, den Inhalt des Vertrages, so wie er am meisten vorkommt, nach einer Richtung scharf abzugrenzen. In der Regel übernimmt es der Ziegelmeister, eine bestimmte Anzahl Steine, unter besonderer Betonung auch des Anteils der verschiedenen Sorten, während einer bestimmten Periode zu einem festgesetzten Preise, meist für je Tausend der einzelnen Sorten, verkaufsfertig und verkaufsbereit (bestimmter Platz) herzustellen, und auch den etwa aus der Verladung unbrauchbarer Steine entstandenen Schaden zu tragen. — Und noch eins erscheint uns wesentlich: Die Produktionsstätte und die Produktionsmittel sind nicht Eigentum des Ziegelmeisters. Ja, man ist sogar zu der Annahme berechtigt, daß sie sich nicht einmal in seinem Besitz befinden, sondern daß sie ihm lediglich zu treuen Händen vom Ziegeleibesitzer übergeben sind: *) Luetgebrune, S. 14/15. — 253 — Die Funktionen sind in der Hauptsache: 1. Verpflichtung der Arbeiteranwerbung und Berechtigung der Arbeiterentlassung; 2. Technische Leitung und Überwachung der Ziegelherstellung und ihrer Verladung; 3. Auszahlung oder Verteilung der Lohnsummen, bzw. Übergabe der fertig gefüllten Lohntüten. Es sind demnach lediglich technische, aber keinerlei kaufmännische Funktionen, die für den Ziegelmeister in Frage kommen. Hinsichtlich des Risikos findet eine Beschränkung statt auf das Produktionsrisiko. Denn da ein fester Preis für die in einer Periode herzustellenden Steine vertraglich festgelegt ist, und es für den Ziegelmeister gleich ist, ob tatsächlich alle hergestellten Ziegelsteine verkauft werden, kann von einem Absatzrisiko im strengen Sinne des Wortes nicht die Rede sein. Höchstens könnte man dann davon sprechen, wenn der Ziegeleibesitzer durch eine große Absatzstockung in Zahlungsschwierigkeiten, und damit auch der Ziegelmeister in eine prekäre Lage geriete. Die einem Unternehmer sonst noch eigentümlichen Funktionen der Finanzierung, Kalkulation und Absatzgestaltung des Betriebes fallen beim Ziegelmeister fort. Da demnach wesentliche Begriffsmerkmale eines Unternehmers fehlen, kann man den Ziegelmeister nicht als Unternehmer im wirtschaftlichen Sinne, sondern nur als Arbeitgeber mit besonderen Befugnissen bezeichnen. III. Betriebsperiode und Arbeitstag. Wenn mit den ersten Strahlen der Frühlingssonne die Erde zu neuem Leben erwacht ist, dann beginnen die lippischen Ziegler sich zum Kampf der harten Arbeit ums tägliche Brot zu rüsten. Die ersten Trupps verlassen bereits im März zu etwa erforderlichen Vorarbeiten die Heimat; das Gros wandert aber erst gewöhnlich Anfang und Mitte April ab, so daß als Beginn der Betriebs-, der Arbeitsperiode, der Kampagne, wie sie von den Zieglern genannt wird, der 1. April bzw. 15. April zu bezeichnen ist. Richtet sich der Anfang schon sehr nach den Witterungsverhältnissen, so ist dies noch mehr bei Schluß der Kampagne der) Fall. Ist der Herbst gut, und sind die Absatzverhältnisse günstig gewesen, so wird in der Regel bis zum 15. Oktober gearbeitet; nur Brenner und Ofenleute bleiben noch 4—8 Wochen länger, bis alle Steine fertig gebrannt sind. Von kleineren Ziegeleien, die efne schon vorher bestimmte Anzahl Steine während der Kampagne herstellen, kehren die Arbeiter auch wohl schon Ende September und Anfang Oktober zurück. Doch bleibt auch ein großer Teil länger aus, wie dies die Ergebnisse der Sonderzählungen beweisen, wonach z. B. am 1. Dezember 1910 4771 Ziegler, also 35,21 %, heimatabwesend waren. Diese arbeiteten auf großen Betrieben, die nicht so sehr von Naturverhältnissen abhängen. Zwar gibt es heute viele Ziegeleien, die auch für den Winterbetrieb eingerichtet sind; doch werden die meisten noch Sommerbetriebe sein und im Winter stilliegen. Während diese fast ausschließlich Wanderarbeiter beschäftigen, besitzen die größeren Tonwerke einen festen Stamm von Arbeitern, die in der Nähe wohnen oder aus ansässig gewordenen Wanderarbeitern hervorgegangen sind und durch den nie stillstehenden Betrieb das ganze Jahr hindurch Beschäftigung haben. Etwas genauere Anhaltspunkte über die Dauer der Abwesenheit außerhalb der Heimat erhalten wir durch Verwertung der Ergebnisse auf Grund der Wanderarbeiter-Enquete aus dem Jahre 1923, wo im Zählformular I unter 4 und 5 entsprechende Fragen gestellt waren. Nach dem Urmaterial sei im Anschluß an die Verarbeitung des Gewerbeaufsichtsamtes folgende Tabelle angeführt : — 255 — Ab wesen heit von de r Heimat Bezirke bis 30-40 über 30 Wochen Wochen 40 Wochen Verw. Blomberg .... 220 466 567 908 1 143 1264 ,, Detmold .... 1 116 1018 960 „ Schötmar .... 249 272 351 Ländliche Bezirke zus. 2 493 2 899 3142 Städte zus. 272 449 341 Lippe im ganzen 2 765 3348 3 483 Es waren also danach 28,8 % aller Wanderarbeiter bis 30 Wochen, 34,9% 30—40 Wochen und 36,3% über 40 Wochen außerhalb der Heimat beschäftigt. Die Rückkehr in die Heimat erfolgte*) bei 26 % aller Wanderarbeiter vor dem 1. Oktober, bei 39 % nach dem 1. Dezember und bei 28 % zwischen dem 1. Oktober und 1. Dezember. Den Rest von etwa 7 % bilden in der Hauptsache Zechen- und Fabrikarbeiter, aber auch einige Maurer und Ziegler, die als Dauerwanderer das ganze Jahr hindurch in der Fremde arbeiten und nur besuchsweise zu den Hauptfesttagen oder auch wohl im Frühjahr zur Bestellung des Ackers und im Sommer oder Herbst zur Zeit der Ernte für einige Tage in die Heimat zurückkehren 2 ). Hinsichtlich der Dauer des Arbeitstages, der täglichen Arbeitszeit, sind namentlich in den letzten 20—30 Jahren, wesentliche Änderungen eingetreten. Ursprünglich richtete sie sich nach der Länge der Tage. Die Arbeit begann mit Sonnenaufgang und endigte mit eintretender Dunkelheit, so daß auf einzelnen Stellen mit Einschluß der Eßpausen. 18 Stunden gearbeitet wurde. Es hat lange gedauert und harte Kämpfe gekostet, bis diese unmenschliche Arbeitsdauer eingeschränkt wurde. *) Jahresbericht des lippischen Gewerbeaufsichtsbeamten für 1923/24, S. 6. ') Wenn auch in obigen Zahlen nicht nur Ziegler enthalten sind, so muß doch berücksichtigt werden, daß sie die Mehrzahl bilden — 256 Sowohl Ziegeleibesitzer als auch sehr viel Ziegler sträubten sich gegen die Einführung einer kürzeren Arbeitszeit, weil sie hierin eine Verschlechterung ihres Verdienstes erblickten. Die Besitzer fürchteten, daß durch die Verkürzung nicht das erforderliche Quantum Steine geliefert würde, ohne indes zu berücksichtigen, daß dadurch die Intensität der Arbeit gesteigert wird 1 ). Die Ziegler folgerten, daß mit der Einschränkung der Arbeitszeit schließlich das Akkordsystem völlig schwinden und ihnen dadurch die Möglichkeit eines höheren Verdienstes genommen würde. Es kam hinzu, daß durch eine möglichst lange Arbeitszeit die Konkurrenz fremder Arbeiter ferngehalten wurde, weil diese nicht so lange zu arbeiten pflegen, wie Lipper. Es ist hauptsächlich das Verdienst des Zieglergewerkvereins in Lippe, der seit seinem Bestehen mit unermüdlichem Eifer erfolgreich für die Verkürzung der täglichen Arbeitsdauer eingetreten ist und es erreicht hat, daß 1914 auf den meisten von Lippern betriebenen Ziegeleien nicht länger als 12 Stunden gearbeitet wurde. Auf einzelnen Stellen war bereits der 11- und 10-Stundentag eingeführt. Wie sehr die Arbeitszeit eine Einschränkung erfahren hatte, zeigt folgende Übersicht 2 ): Tägliche Arbeitszeit exklusive Eßpausen: Stunden 1897 1906 1914 1. Rheinland und Westfalen . . 14—16 12^—13 10—12 2. 14—16 12—14 12 3. Brandenburg, Bremen, Hannover 14 12—14 12 4. Braunschweig....... 12 10—12 5. Sachsen ......... 16 10—16 10—12 6. 14^—15 12 Jungen bis 16 Jahre durften nach § 135, Abs. 3 der R.G.O. nicht länger als 10 Stunden täglich beschäftigt werden. Doch fanden hier noch häufig Übertretungen *) Böger, a. a. O., S. 128. 2 ) Nach den Protokollen der Generalversammlung des Ziegler- Gewerkvereins und nach persönlichen Angaben von Zieglern. — 257 — statt. Ebenso gab es noch vereinzelt lippische Meister, die in falscher Beurteilung ihrer Interessen nicht nur geneigt waren, einer längeren Arbeitszeit Vorschub zu leisten, sondern auch tatsächlich \2 x /i, 13 und sogar 14 Stunden arbeiten ließen. Sie wurden energisch bekämpft und durch Veröffentlichung solcher Fälle in Zeitungen an den Pranger gestellt. Nachdem der Gewerkverein die 12stündige Maximalarbeitszeit erreicht hatte, begann er allmählich einer weiteren Verkürzung bis 10 Stunden die Wege zu ebnen; doch ließ er sich überall von dem Gesichtspunkte leiten: Nur dann Verkürzungen der Arbeitsdauer, wenn nicht eine Verdiensteinschränkung dadurch erfolgt. Die Arbeitsstunden lagen auf den meisten Ziegeleien zwischen 5 Uhr morgens und 7 Uhr nachmittags, auf andern zwischen 5^2 und 7V2, auf noch anderen zwischen 5 und 7Y2. Hierin waren eingeschlossen: morgens und nachmittags je V2 Stunde und mittags 1 bzw. IV2 Stunden Pause. An Sonn- und Festtagen ruht die Arbeit. In dieser Beziehung genießen auch die Ziegler den Schutz des § 105b der R.G.O., wonach die den Arbeitern zu gewährende Ruhe mindestens für den Sonn- und Feiertag 24, für 2 aufeinanderfolgende Sonn- und Festtage 36, für das Weihnachtsfest, Oster- und Pfingstfest 48 Stunden dauern muß. Doch herrschten bis 1919 auf einigen Ziegeleien in dieser Hinsicht noch manche Übelstände, unter denen besonders der Brenner zu leiden hatte. Da seine Arbeit nach § 105 c der R.G.O. an Sonntagen erlaubt ist, weil dies der regelmäßige Fortgang des Betriebes bedingt, so kam es vor, daß auf einzelnen Stellen ein Brenner den ganzen Sonntag, ja mehrere Sonntage hintereinander tätig sein mußte. Bedenkt man dann, daß er bei kleinen, primitiven Öfen fast ständig in rauchiger 50—70° heißer Luft arbeitete, dazu nicht die nötige Ruhe erhielt, weil er meist alle 20 Minuten zu feuern hatte und selten abgelöst Fleege.-Althoff, Wanderarbeiter 17 — 258 — wurde, so erkennt man, wie gesundheitsschädlich dieser Dienst war. Um Absatz 3 des § 105 c der R.G.O., wonach die Gewerbetreibenden verpflichtet sind, jedem Arbeiter entweder an jedem 3. Sonntage volle 36 Stunden oder an jedem 2. Sonntage mindestens die Zeit von 6 Uhr morgens bis 6 Uhr abends von der Arbeit frei zu lassen, falls die Arbeiten an Sonn- und Festtagen länger als 3 Stunden dauern oder die Arbeiter am Besuche des Gottesdienstes hindert, kümmerte man sich auf kleineren Ziegeleien wenig. Auf größeren Betrieben lösten sich zwei Brenner alle zwölf Stunden ab. Um zu ermöglichen, daß jeder Brenner jeden zweiten Sonntag von morgens 6 Uhr bis abends 6 Uhr frei war, fand der Schichtwechsel von Dienstag bis einschließlich Sonntag 6 Uhr morgens und 6 Uhr abends statt. Am Montag wurde 12 Uhr mittags gewechselt, so daß also der eine Brenner von Sonntag 6 Uhr abends bis Montag 12 Uhr mittags, also 18 Stunden, und der andere von Montag 12 Uhr mittags bis Dienstag 6 Uhr morgens, also auch 18 Stunden tätig war. Durch diesen Schichtwechsel trat auch der wöchentliche Übergang der Nacht- bzw. Tagesschicht auf den anderen Brenner ein. Es kam also dann nur je einmal wöchentlich eine Brennerzeit von höchstens 18 Stunden heraus. Der jahrzehntelange Kampf der Ziegler um Verkürzung der Arbeitszeit hatte mit einem Male ein Ende, als durch Verordnung des Reichsamtes für die wirtschaftliche Demobilisierung vom 23. Nov. 1918 grundsätzlich die regelmäßige tägliche Arbeitszeit, ausschließlich der Pausen, auf 8 Stunden festgesetzt wurde. Auf dieser Grundlage sind dann auch alle Tarife in der Ziegelindustrie seit 1919 abgeschlossen. (Siehe Muster eines Manteltarifs im Anhang, Anl. 4.) Da nun aber obige Verordnung Ausnahmebestimmungen enthielt, wonach in bestimmten Betrieben auf Antrag des Arbeitgebers und unter Zustimmungserklärung 1 ' der Arbeiterschaft nach behördlicher Genehmigung eine — 259 — Ausdehnung der täglichen Arbeitszeit stattfinden durfte, so wurde sowohl 1919 als auch in den folgenden Jahren während der Sommermonate auf fast allen Ziegeleien 10 Stunden — wovon 2 als Überstunden galten — gearbeitet. In richtiger Erkenntnis nämlich der Tatsache, daß bei der Kürze der Arbeitsperiode, sowie bei der Abwesenheit von Heimat und Familie eine achtstündige Arbeitszeit für die Lipperziegler nicht zweckmäßig sei, traten diese mit wenigen Ausnahmen überall für 10 Stunden ein, und fast alle Tarife sahen für April bis September diese Arbeitszeit, für März und Oktober die neunstündige, vor. Rein wirtschaftliche Gründe der Arbeiter also, in Verbindung natürlich mit denen der Besitzer, sind es hauptsächlich, die in der 1 Ziegelindustrie zur Einführung der 10-Stunden-Arbeit führten. Das muß besonders hervorgehoben werden im Hinblick namentlich auf die von gewerkschaftlicher Seite mit Vorliebe ins Feld geführten Gründe, wie dies z. B. aus folgender Stelle des Vereinsorgans der Ziegler hervorgeht: „Daß die Arbeitszeit über 8 Stunden ausgedehnt worden ist, ist weder auf das Drängen der Arbeiter zurückzuführen noch Schuld der Arbeiterorganisationen. Die Behörden und die Besitzer waren es, die für die Kampagnebetriebe Ausnahmen wünschten und sich auf die große Wohnungsnot, den Steinmangel, die Eigenarten der Ziegelbetriebsverhältnisse usw. beriefen. Die Arbeiter und ihre Organisationen konnten und durften sich in der Zeit größter wirtschaftlicher Notlage des Volkes den berechtigten Gründen der Behörden und Besitzer nicht verschließen. Ganz besonders traf dies zu auf die Frage der Wohnungsnot. Wir wußten, daß es in Deutschland an mehr als 700 000 Wohnungen fehlt. Wem fehlen in erster Linie diese Wohnungen und wer leidet unter dem Wohnungsmangel? Das sind nicht die Kapitalisten und Grundbesitzer, sondern das sind in der Mehrzahl unsere Arbeitsbrüder: Arbeiter und Angestellte. Diesen zu helfen, hatten wir alle Veranlassung, denn wir wollten und mußten das praktische Beispiel geben, daß eine Berufsgruppe gewillt ist, der andern in der Notlage beizuspringen. Wir lassen unsere Arbeitsbrüder nicht im Stich und wir üben Arbeitersolidarität, wenn es notwendig erscheint. Deswegen haben sich ja auch diejenigen Kollegen, die gern festhalten mochten an der Ausdehnung der Arbeitszeit auf 9 oder 10 Stunden, einverstanden erklärt 1 )." f) Gut Brand 1920. 17* — 260 — Mag die Arbeitersolidarität bei einzelnen Zieglern bestanden haben, die übergroße Zahl ist sicherlich sehr weit davon entfernt und hat gewiß nur die mit der zehnstündigen Arbeitszeit verbundenen Vorteile, besonders die finanziellen, im Auge gehabt. § 31. Arbeitsmarkt und Arbeitsvermittlung. a) Zum richtigen Verständnis der im Laufe der Jahrhunderte bei den lippischen Wanderzieglern herausgebildeten eigenartigen Arbeitsvermittlung muß zunächst auf dreierlei hingewiesen werden: Es ist einmal die große räumliche Trennung zwischen der meist dazu noch abseits gelegenen Arbeitsstätte, als dem Standorte der Ziegeleiunternehmung, und dem ständigen Wohnsitze der Arbeitsuchenden, wodurch eine besondere Art des Arbeitsausgleichs sich entwickelte. Denn eine Deckung des Arbeiterbedarfes in der Weise, daß, wie im Handwerk, auf der Wanderschaft begriffene Personen einfach eingestellt wurden, war bei der Eigenart des Ziegeleibetriebes nicht möglich; auch gab es bei den Zieglern selbst kein „Wanderburschenleben". Sodann erforderte der Produktionsprozeß, der ja früher ausschließlich Saisonarbeit war, eine bestimmte Anzahl von Facharbeitern, die eine geschlossene Arbeitsgemeinschaft darstellten, und in der jeder Arbeiter wiederum eine bestimmte Teilarbeit verrichtete. Dabei war nicht jeder Arbeiter zu gebrauchen, vielmehr mußten die einzelnen Personen, verschieden an Kraft, Intelligenz und Geschicklichkeit, entsprechend ihrer speziellen Arbeitsverrichtung aufeinander abgestellt sein und dabei doch Gang und Tempo des ganzen Produktionsprozesses überschauen. Die Einordnung in diese Arbeitsgemeinschaft konnte daher nicht erst bei Beginn der Saison erfolgen, sondern erforderte ein vorheriges Überlegen und Organisieren, damit der Trupp, der „Pflug", wie die zum Betriebe einer Ziegelei erforderliche Arbeitergruppe früher genannt wurde, bereits beim „Abrufen" durch den Ziegelei- — 261 — besitzer im Frühling zusammengestellt und sofort zur Abreise aus der Heimat bereit war. Es war daher verständlich, wenn der Ziegeleibesitzer nach Möglichkeit diese gesamte Arbeitsgruppe durch Abschluß des Vertrages nur mit einer Person, als dem primus inter pares, zu bekommen suchte. Diese Art der Arbeitsübernahme wurde im Laufe der Zeit zur Tradition und der Hauptgrund, weshalb für die Arbeitsvermittlung sich besondere Formen herausbildeten, die sich wesentlich von denen anderer Berufsgruppen unterschieden, und die sich im Prinzip bis in die Gegenwart erhalten haben. So darf denn gesagt werden, daß auch heute noch der individuelle, unmittelbare Arbeitsausgleich zwischen Unternehmung und Arbeiter nicht üblich ist, wenigstens nicht für die Gruppen von Zieglern, die als Facharbeiter gelten. Ursprünglich nur für die Arbeitsvermittlung lippischer Ziegler typisch, hat das System sich im Laufe der Zeit auch auf andere Ziegler übertragen. b) Als Hauptzeichen dieses Systems können folgende gelten: 1. Der Ziegeleibesitzer wendet sich nicht direkt an den einzelnen Ziegler, sondern bedient sich des Ziegelmeisters, als den von ihm für die Anwerbung der Ziegler Beauftragten. Dabei bleibt es gleichgültig, ob diese Verbindung mit dem betreffenden Ziegelmeister direkt vor sich geht, oder ob die Anwerbung durch eine Mittelsperson (früher Ziegelboten, Agenten) bzw. durch eine dazu besonders eingerichtete Arbeitsvermittlungsstelle (Arbeitsnachweis) erfolgt. 2. Die durch den Ziegelmeister angeworbenen Ziegler waren ursprünglich nur Bekannte bzw. Verwandte aus demselben Heimatsorte oder dessen nähere Umgebung. Erst im Laufe der Zeit ergab sich auch hier mit der Zunahme der Ziegler die Notwendigkeit, den Radius des Arbeitsmarktes zu erweitern und auch auf andere Personen überzugreifen. So ist es denn — 262 — heute vielfach so, daß in dem von einem lippischen Ziegelmeister geleiteten Betriebe Arbeiter der verschiedensten Nationalitäten beschäftigt sind. 3. Es ist eine gewisse Tradition in der Weise unverkennbar, daß nicht nur der Ziegelmeister Jahre und Jahrzehnte hindurch jährlich zur selben Ziegelei zurückkehrt, sondern daß auch die Ziegler nicht gern einen Standortswechsei vornehmen. 4. Die Anwerbung der Ziegler durch die Ziegelmeister erfolgt fast in allen Fällen bereits im Laufe des Winters, während der Vertragsabschluß zwischen Ziegeleibesitzer und Ziegelmeister in der Regel ohne besondere Formalitäten, von Jahr zu Jahr stillschweigend weitergilt. c) Im folgenden werden nun die Besonderheiten besprochen, wobei wir an die alte Art der Arbeitsvermittlung anknüpfen, die nach dem Zieglergewerhegesetz von 1851 grundsätzlich durch Agenten und nur in Ausnamefällen durch Ziegelmeister geschah. Man darf nun nicht etwa annehmen, daß mit der Aufhebung des Gesetzes i. J. 1869 auch das Agententum verschwunden sei. Gewiß, staatlich konzessionierte Agenten gab es nicht mehr, doch die vier alten übten weiter ihre Tätigkeit aus, und neben ihnen beschäftigten sich infolge der Gewerbefreiheit bald noch manche andere Personen mit der Arbeitsvermittlung der Ziegler, weil sie hierin eine lohnende Erwerbsquelle erblickten. Bis unmittelbar vor dem Kriege hatte sich diese Form der Stellenvermittlung noch vereinzelt erhalten; doch ist sie dann mehr und mehr dem modernen Arbeitsnachweise gewichen. Die Agenten betrieben ihre Tätigkeit als Nebengeschäft und gehörten den verschiedensten Berufsständen an. Wirte, alle möglichen Geschäftleute und Geschäftsreisende, die mit den Ziegeleibesitzern, Meistern und Gehilfen in irgendwelche Beziehung traten, suchten aus diesem Nebengewerbe Vorteil zu ziehen. Manchmal waren es auch invalide Ziegler, die in der Heimat meist die — 263 — Zieglerkrankenkassen und -Vereine leiteten, wodurch sie schon einen gewissen Einfluß auf ihre Mitglieder besaßen und von diesen entsprechende Vermittlungsgebühren erhielten l ). Die alten Klagen über die Agenten verstummten auch in unserem Jahrhundert nicht. Sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber tadelten die manchmal sehr hohen Gebühren — ein Meister zahlte 26 Mk. pro Mann 2 ), und für gute Meister sollen bis 700 Mk. entrichtet worden sein — 3 ), die Bevorzugung der Meistbietenden und die häufig unsaubere, unehrliche Handlungsweise der Agenten. Diese betrachteten eben die Vermittlung als Selbstzweck und interessierten sich nur für das Zustandekommen des Vertrages, um die Provision einstreichen zu können. Es darf angenommen werden, daß die Agenten heute keine Rolle mehr spielen. Den Stamm der Arbeiter beschaffte und beschafft noch heute in der Regel der Ziegelmeister bereits im Winter. Ist es ihm möglich, so wirbt er auch jetzt noch Bekannte und Verwandte seines Heimatortes und dessen nächster Umgebung an. Früher suchte er auch die „Zieglermärkte", besonders von Lage, Lemgo und Detmold auf. Bereits seit Ende des 18. Jahrhunderts nämlich kamen im Dezember, Januar und Februar jeden Mittwoch- und Sonntagmorgen Ziegler aus ganz Lippe, namentlich in den genannten Orten, zusammen, um sich dort für die Arbeitsperiode zu „verkaufen". An erster Stelle standen die Zusammenkünfte auf dem Marktplatze in Lage, für die der Ausdruck „Ziegler-Börse" gebräuchlich war. Auf diesen Märkten wurden die erforderlichen Vereinbarungen zwischen Meister und Gesellen getroffen, und sehr oft kam es dabei zu ernsten Ausschreitungen, so daß die Polizei eingreifen mußte. Heute haben diese „Zieglermärkte" keine große Bedeutung mehr. Daß sie jedoch 4 ) Böger, a. a. 0., S. 117. 2 ) Ebenda, S. 118. 3 ) Protokoll der 4. Generalversammlung S. 7 u. 8. noch bestehen, darf z. B. aus einer Anzeige in der Lippischen Landeszeitung 1 ) geschlossen werden: „Ziegler! Wie in Vorkriegszeiten finden bei mir jeden Mittwoch und Sonntag, vorm., Zusammenkünfte statt. August Engelsmeier, Gastwirt, Hohenhausen i. Lippe." Die Arbeitsverträge zwischen Meister und Gesellen wurden meistens nur mündlich abgeschlossen. Gegen schriftliche Kontrakte hatten die Lipper im allgemeinen eine Abneigung; sie waren schwer zu bewegen, ihre Unterschrift zu geben und begründeten dies damit, daß sie sagten, „sie wollten sich nicht den Strick um den Hals legen". 'Das Mißtrauen erklärte sich wohl hauptsächlich aus zwei Gründen. Einmal brachte es die lange Gewohnheit mit sich. Früher, da man überhaupt nichts Derartiges schriftlich zu machen pflegte, hatte das einfache Ja und Nein eben mehr Bedeutung und Wert als in neuerer Zeit. Einen eingefleischten Brauch aber ohne weiteres ad acta zu legen und an seine Stelle etwas anderes, wenn auch Besseres, zu setzen, hält gewöhnlich riesig schwer. Hinzu kam, daß die Ziegler fürchteten, und manchmal nicht ganz ohne Grund, durch den schriftlichen Vertrag werde der im allgemeinen erfahrenere und kenntnisreichere Meister mehr geschützt als sie. Diese einseitige Abfassung der Kontrakte suchte man durch Kommissionen, die aus gleichviel Meistern und Gesellen gebildet wurden und die Vertragsformulare ausarbeiteten, zu verhindern. Hier und da waren sie eingeführt, im allgemeinen aber blieb es bei der mündlichen Abmachung. Meister und Gesellen vereinbarten danach bis 1919 in der Regel für die Arbeitsperiode — gewöhnlich April bis Oktober — je nach Art der Arbeit einen bestimmten Tage-, Wochen- oder Akkordlohnsatz und auch die Zahlungsweise. Seit Einführung der Tarife beschränkt sich die Anwerbung durch den Ziegelmeister lediglich darauf, J ) Nr. 21 v. 26. 1. 1927. — 265 — daß dem Ziegler das Versprechen abgenommen wird, „mitzugehen" und eine bestimmte Arbeit zu verrichten. Es ist nicht zu verkennen, daß die mündlichen Kontrakte, namentlich vor Einführung der Tarife, manche Nachteile im Gefolge haben konnten. Das Verhältnis von Arbeitslohn und Arbeitsbedingungen konnte sich leicht zuungunsten der Gesellen verschieben, indem die zu leistende Arbeit größere Anforderungen an die Arbeiter stellte, als vertragsmäßig angenommen wurde, was namentlich bei Akkord der Fall war. Der Meister konnte die verabredete Zahlungsweise leichter ändern, als dies bei schriftlichen Abmachungen möglich war. Ja, es sind Fälle nachgewiesen, wo einem Gesellen weniger Lohn als der ihm versprochene gezahlt wurde. Wenn nun auch ein schriftlicher Vertrag nicht alle Nachteile beseitigt, so hat er doch den Vorteil, daß er Klarheit und Gewißheit schafft, und daß bei eintretenden Streitigkeiten und Prozessen, die namentlich durch die Abrechnungen am Ende der Arbeitsperiode hervorgerufen werden, leichter festzustellen ist, was versprochen wurde und nicht, während bei mündlichen Verträgen erst eine lange Zeugenvernehmung stattfinden muß und dann auch oft noch vieles hinzugefügt wird. Konnte früher den lippischen Zieglern im allgemeinen nachgerühmt werden, daß sie sich nur sehr wenig Kontraktbrüche und schwere Streitigkeiten zuschulden kommen ließen, so hört man doch neuerdings mehr und mehr Klagen darüber. Um so nachdrücklicher müßte daher als eine berechtigte Forderung unserer Zeit der schriftliche Kontrakt angestrebt und durchgeführt werden. Gegenüber der eben besprochenen, auch heute noch vorherrschenden Art der Arbeitsvermittlung, spielt die in neuerer Zeit auftretende Zeitungsanzeige eine nicht so bedeutende Rolle. Doch kann man in den Wintermonaten, namentlich in der „Lippischen Landeszeitung", die in der Zieglerarbeitsvermittlung bereits eine gewisse Tradition besitzt, wiederholt Anzeigen einzelner Ziegler, die eine Stelle als Ziegelmeister, Brenner, Ofensetzer, — 266 — Ausschieber usw. suchen, Aufforderungen von Ziegelmeistern an Ziegler, sich für eine bestimmte Stelle zu melden, und auch Stellenausschreibungen von Ziegeleibesitzern feststellen. In diesem Zusammenhange seien noch einige Mißstände im Zieglergewerbe hervorgehoben, die bei der Bewerbung und Besetzung von Meisterstellen zutage traten, und die zum Verständnis des Folgenden und als Überleitung angebracht sind. Schon bei der Besprechung der früheren Verhältnisse haben wir auf die Unterbietungen einzelner, namentlich unfähiger Meister bei Annahme einer Ziegelei hingewiesen. Das Zieglergewerbegesetz hatte jene Übelstände in etwa beseitigt. Als nun aber 1869 die Gewerbefreiheit eingeführt wurde, da trat die alte Schmutzkonkurrenz bald wieder in Erscheinung. Junge, ehrgeizige, aber sehr häufig unreife und unfähige Ziegler suchten dadurch, daß sie durch billigere Angebote die Preise drückten, alte, bewährte Meister aus ihren Stellungen zu verdrängen. Diese Unterbietungen haben bis auf unsere Tage fortgedauert. Fast in jedem Protokoll der Generalversammlungen des Ziegler-Gewerkvereins kann man von Klagen über derartige Mißstände lesen. . Hiermit hing die Besetzung der Stellen durch „freie Engagierung", d. h. Empfehlung durch andere Meister, eng zusammen. Sie wirkte insofern nachteilig, als sie leicht zur „Vetternwirtschaft" führte. Als weiterer Ubelstand wurde vielfach der bezeichnet, daß einzelne Gegenden und Orte bei der Besetzung von Meisterstellen bevorzugt würden; während in einzelnen Dörfern 50—60 Ziegelmeister seien, hätten andere mit gleich viel Zieglern nur 1—2 Meister, eine Behauptung, die nach den Ergebnissen der Zieglerzählung entschieden übertrieben war. Endlich hörte man viele Klagen über die Kautionsstellung der Meister. Es herrschte nämlich vielfach der Brauch, daß die Meister bei Annahme einer Ziegelei eine Summe von Mk. 2000.— bis Mk. 5000.— als Sicherheit für versprochene Arbeit hinterlegen mußten. Dagegen war an und für sich nichts einzuwenden, wenn dem Hinterleger zugleich die Garantie gegeben wurde, daß er nach Ablauf des Arbeitsvertrages die Summe zurückerhielt. Wenn nun aber eine Reihe von Meistern dem Besitzer selbst eine Kaution anboten und durch möglichst hohe Summen ihre Kollegen zu verdränge^ suchten, wenn ferner die Besitzer bei dem geringsten Vergehen des Meisters und seiner Leute sich an der Kaution schadlos hielten, und wenn namentlich solche Unternehmer, die auf schwachen Füßen standen und die die Kaution zu den ersten Einkäufen von Kohlen und sonstigen Bedarfsartikeln benutzten, eine derartige Sicherheit verlangten, dann waren das allerdings Mißstände, die einer Beseitigung bedurften. All die erwähnten Mängel, die besonders bis zur Einführung der Tarife mit der Arbeitsvermittlung im Zieglergewerbe zusammenhingen, hat man namentlich auf den Generalversammlungen des lippischen Ziegler-Gewerkvereins oft genug hervorgehoben. Dabei wurden wiederholt auch die Mittel und Wege zur Abstellung der Übelstände beraten. . Bereits die im Jahre 1898 abgehaltene Generalversammlung des Ziegler-Gewerkvereins beschäftigte sich daher eingehend mit der Gründung eines allgemeinen paritätischen Arbeitsnachweises für das Zieglergewerbe. Nachdem Justizrat Asemissen in einem ausführlichen Referate die Notwendigkeit und Nützlichkeit nachgewiesen hatte, kamen zwei Anträge zur Annahme, nämlich 1 ): 1. „Der Gewerkverein möge Schritte tun, zu bewirken, daß sich die Reichsregierung und der Reichstag aufs neue mit der Frage einer reichsgesetzlichen Regelung der Arbeitsnachweise befasse". 2. a) Es ist ein mit der Geschäftsstelle zu verbindender, allen Mitgliedern gleichmäßig zugängiger Stellen- ') Protokoll des G.-V. v. 29. 1. 1898. — 268 — und Arbeitsnachweis einzurichten, welcher gleichmäßig in den verschiedenen Bezirken Filialen unterhält; b) Fürstliche Regierung ist zu ersuchen, einen Beitrag aus Landesmitteln zu dem Stellen- und Arbeitsnachweis zu bewirken und die oberste Kontrolle über denselben auszuführen". Während die Erfüllung des ersten Antrages späterer Zeit vorbehalten blieb, war der zweite von Erfolg gekrönt. Denn am 1. April 1899 konnte der nach dem Vorbilde des Verbandes deutscher Arbeitsnachweise gegründete paritätische Arbeitsnachweis des, Zieglergewerk- vereins seine Tätigkeit beginnen. Auch bewilligte der Landtag am 1. März 1900 eine Summe von Mk. 500.— 1 ). Als Ziele schwebten allen Gründern vor 2 ): 1. eine gleichmäßige Verteilung der offenen Meisterstellen und eine bessere Arbeitsvermittlung der Ziegler herbeizuführen; 2. dem Unfug und dem Schacher, der oft mit der Vermittlung von offen Meisterstellen getrieben wurde, entgegenzuwirken; 3. die Begünstigung einzelner Gegenden bei Arbeitsvermittlungen durch gleichmäßige Verteilung von Filialen über das ganze Land auszuschließen. Zur Erreichung dieser Ziele wurden gleich 14 Filialen — 13 in Lippe, 1 in Hessen — gegründet; Zentralstelle war Lage i. L. Trotzdem erlangte er nicht die Bedeutung, die man von ihm erhofft hatte. Obgleich er unter Aufsicht eines Ausschusses, der aus einem Vertreter der lippischen Regierung, dem Geschäftsführer, zwei Ziegeleibesitzern, zwei Ziegelmeistern und zwei Zieglern bestand, Meister- und Arbeiterstellen in unparteiischer Weise zu vermitteln suchte, und die Gebühren gesetzlich geregelt waren, wurde er doch verhältnismäßig wenig in Anspruch genommen. *) Gut Brand, 1900, Nr. 10. a ) Ebenda. Die Gebühren betrugen nach den Festsetzungen der lippischen Regierung 1 ): l.Für die Vermittlung einer Ziegelmeister- oder Ofen- meisterstelle mit: 1—10 Mann einschl. Meister M. 10.— 11—20 >» »t »» „ 20.— 21—30 tt i* »» „ 35.— 31—40 i» »» tt „ 50.— 41—50 tt tt tt „ 65.— 51—60 tt tt tt „ 85.— 61 und mehr „ „ „ 120.— 2. Für die Vermittlung einer Stelle als Brenner, Heizer, Ofensetzer und Dachpfannenstreicher Mk. 4.— 3. Für die Vermittlung einer Stelle als gewöhnlicher Ziegelarbeiter Mk. 2.— Diese Gebühren erhielt der Geschäftsführer bis zum 1. Januar 1916 als Vergütung für seine Arbeit und für entstandene Barauslagen. (§ 7 der Satzungen.) Außer diesem Arbeitsnachweis bestand in Lippe noch der des Zentralverbandes deutscher Ziegelmeister, welcher in einen direkten und indirekten Stellennachweis zerfiel. Die Satzung schrieb darüber folgendes vor: a) Für den direkten Stellennachweis: „Der Verband empfiehlt sich in den verschiedenen Fachblättern (Deutsche Töpfer- und Zieglerzeitung, Tonindustrie-Zeitung, Ziegelei-Anzeiger) den Ziegeleibesitzern zur kostenlosen Vermittlung von Meisterstellen. Jedes Mitglied, welches einen Jahresbeitrag bezahlt hat, hat Anspruch auf diese Stellenvermittlung. Will ein Stellung suchendes Mitglied von dieser direkten Vermittlung Gebrauch machen, so hat dasselbe bei der Geschäftsstelle den hierfür vorgedruckten Fragebogen einzufordern und denselben ausgefüllt sofort an die Geschäftsstelle zurückzusenden. Die etwa in der Geschäftsstelle eingehenden Meistergesuche werden dann in der Weise an die Mitglieder vergeben, wie die Betreffenden die Fragebogen der Reihe nach eingesandt haben. *) Amtsblatt, Nr. 93, 1910. — 270 — Zur Bestreitung der durch die Stellenvermittlung entstehenden Unkosten werden von den Mitgliedern, die durch den Verband neue Stellen erhalten haben, folgende Gebühren gehoben: Bei Betrieben von 1—10 Mann 15 M. 11—20 „ 25 „ 21—30 „ 30 „ 31—40 „ 40 „ 41—50 „ 50 „ 51—60 „ 60 „ über 60 Mann gleichmäßig 75 „ Die Gebühr muß 6 Wochen nach Antritt der Stellung entrichtet werden". Mit dem 1. 1. 1914 wurde dieser Gebührentarif aufgehoben und damit die direkte Stellenvermittlung seit der Zeit kostenlos. b) Für den indirekten Stellennachweis: „Dieser besteht in folgender Weise: Der Verband abonniert die verschiedenen Fachzeitungen, welche wöchentlich bis zu dreimal erscheinen. Sofort nach Erscheinen der Fachblätter werden die in diesen stehenden Meistergesuche herausgenommen und vervielfältigt. Alle Mitglieder, welche einen vollen Jahresbeitrag gezahlt haben und außerdem zwei Mark an die Geschäftsstelle im voraus einsenden, erhalten hierfür dann wöchentlich dreimal ein Vierteljahr lang diese ausgezogenen Stellenangebote sofort zugesandt. Hat ein Mitglied durch diese Vermittlung eine Stelle bekommen, so muß dasselbe dieses unverzüglich der Geschäftsstelle mitteilen, damit eine unnütze Portoausgabe erspart wird". Daß beide Ziegler-Arbeitsnachweise nicht in befriedigendem Maße zur Entfaltung gekommen sind, ist einmal auf den Mangel an Mitteln, sie in zweckmäßiger, großzügiger Weise auszubauen, zurückzuführen und sodann in dem Umstände zu suchen, daß die Ziegler sich mit dem — 271 — Gedanken, sich der Arbeitsnachweise zu bedienen, nicht recht vertraut machen konnten, weil die alte Art der Vermittlung zu stark eingewurzelt war. In richtiger Erkenntnis der Mißstände, die bei der Vermittlung von Arbeitskräften für die Ziegelindustrie, namentlich vor dem Kriege zutage traten, suchten führende Personen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände einen Arbeitsnachweis auf öffentlicher Grundlage durch Unterstützung kommunaler Mittel ins Leben zu rufen. Zu dem Zwecke fand am 9. Juni 1914 in Lage i. L. eine Konferenz statt, die von Vertretern des „VerbandesWestfälischer Arbeitsnachweise" und des „Verbandes Niedersächsischer Arbeitsnachweise" besucht war, und an der auch Vertreter der lippischen Staatsregierung, des Zentralverbandes deutscher Ziegelmeister, des Gewerkvereins der Ziegler und des paritätischen Arbeitsnachweises der Ziegler teilnahmen. Obwohl man nicht die Schwierigkeiten verkannte, unter denen ein der gesamten Ziegelindustrie dienender Arbeitsnachweis zu arbeiten haben würde, kam man doch zu dem Entschluß, daß die Verhandlungen und Vorbereitungen so gefördert werden sollten, daß tunlichst noch im Jahre 1914 eine Geschäftsstelle errichtet werden könne 1 ). Diese Hoffnungen zerstörte der Krieg, der dann aber dafür in anderer Weise Ersatz geschaffen hat. Eine Bundesratsverordnung vom 14. Juni 1916 2 ) gab nämlich den Landeszentralbehörden das Recht zur Errichtung oder zum Ausbau öffentlicher unparteiischer Arbeitsnachweise. Auch für Lippe wurde in Detmold eine Arbeitsnachweiszentrale mit 12 Zweigstellen in den größeren Orten errichtet; letztere sind auf Grund einer Verordnung vom 10. 8. 20 durch Bezirksarbeitsnachweise ersetzt worden, die ihre Zentrale im „Arbeits- und Berufsamt für Lippe" erhielten. 1 ) Ziegler-Anzeiger, Nr. 14 v. 4. 7. 1914. a ) RGBl. 1916, S. 519. — 272 — Für die lippische Zieglerschaft und zugleich auch für die gesamte deutsche Ziegelindustrie besonders wertvoll schien die Schaffung einer Fachabteilung für Vermittlung vonZieglernim Februar 1919. Damit war endlich für diese wichtige lippische Berufsgruppe eine staatliche Zentrale der Arbeitsvermittlung entstanden, deren Arbeitsfeld sich über das ganze Deutsche Reich erstreckte. In allen Gegenden mit bedeutender Ziegelindustrie, namentlich solchen, wo Lipper arbeiteten, sollten Zweigstellen errichtet werden, so daß dadurch eine Arbeitsnachweisorganisation für ein und denselben Berufszweig geschaffen worden wäre, deren Bedeutung sich erst in der Folgezeit recht ausgewirkt hätte. Trotz gebührenfreier Vermittlung wurde diese Fachabteilung jedoch nicht in dem Maße in Anspruch genommen, wie es eigentlich zu erwarten gewesen wäre. Der Grund lag wohl darin, daß sie noch zu jung und infolgedessen vielen Interessenten unbekannt war, und daß die Hauptvermittlung immer noch in alter Weise erfolgte. Vermittelt wurden z. B. nur *): Februar bis März 1919 . . 35 Ziegler April bis September 1919 . 178 „ Oktober 1919 bis März 1920 . 79 „ April bis August 1920 . . 200 „ Sept. bis November 1920 . 71 „ Weitere zahlenmäßige Angaben liegen uns nicht vor. Mit dem Inkrafttreten des Reichsarbeitsnachweisgesetzes vom 22. 7. 1922 traten auch in der Organisation des lippischen Arbeitsnachweises 2 ) Änderungen ein: 1. Das Arbeits- und Berufsamt für Lippe wurde aufgelöst; an seine Stelle trat das gemeinsame Landesamt für Arbeitsvermittlung (Westfalen und Lippe) in Münster. *) Mitteilungen des Arbeitsnachweises. 5 ) Ausführungsbestimmungen zum Reichsarbeitsnachweisgesetz im „Lippischen Staatsanzeiger" Nr. 15 v. 21. 2. 1923. — 273 — 2. Die bestehenden Bezirksarbeitsnachweise Detmold, Lemgo, Schötmar wurden als öffentliche Arbeitsnachweise neu gebildet. Durch diese Neuorganisation trat eine Dezentralisation auch für die Fachabteilungen ein, und der Gedanke einer zentralen Reichsarbeitsvermittlung für das gesamte Zieglergewerbe wurde damit illusorisch. Auch das neue Gesetz für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 16. Juli 1927 ändert an der alten Organisation grundsätzlich nichts. Lediglich die Bezeichnungen „Arbeitsämter" usw. treten an die Stelle von „öffentlichen Arbeitsnachweisen" usw. Obwohl durch diese reichsgesetzlichen Regelungen die Möglichkeit vorhanden ist, auch in der Arbeitsvermittlung von Zieglern sich dieser Stellen zu bedienen, glauben wir, daß vorerst noch der private Arbeitsausgleich alter Form, mit dem Ziegelmeister als Hauptvermittler, die erste Stelle beibehalten wird. Es mag aber sein, daß sich mit zunehmender Mechanisierung des Ziegeleibetriebes, wodurch eine stärkere Aufnahme ungelernter Arbeiter möglich wird, der öffentliche Arbeitsnachweis durchsetzt. Dazu bieten besonders die §§ 26 und 27 des Gesetzes für Arbeitsvermittlung, in denen die Einrichtung von Fachabteilungen geregelt ist, die Möglichkeit. Bei richtiger Handhabung dieser gesetzlichen Bestimmungen besteht die Aussicht, daß auch im Ziegeleigewerbe eine zeitgemäße organisierte Arbeitsvermittlung die alten Formen nach und nach verdrängt. § 32. Gruppierung und Klassifizierung der Ziegler. Die Ziegler setzen sich aus den verschiedensten Altersklassen zusammen. Gleich nach der Konfirmation wandern Knaben, „Jungen", mit ab, und bis weit ins Greisenalter hinein wird die Ziegelarbeit ausgeübt. Folgende Tabelle 1 ) möge die Verteilung der Ziegler auf die einzelnen Altersklassen zeigen. *) Zusammengestellt nach den Ergebnissen der Volkszählung vom 1. Dez. 1910, Amtsblatt 1911, Beil. zu Nr. 87. Fleege-Althoff, Wanderarbeiter 18 274 — Zahl der Ziegler nach dem Alter: Im Alter von Zahl Proz. der Gesamtzahl 14—16 Jahren (Jugendliche) 1219 17—20 „ 2077 21—30 „ 3362 31—40 i, 2821 41—50 „ 2301 51—60 „ 1342 über 60 „ _ 415 9,00 15,35 24,84 20,84 17,00 9,90 3,07 13 537 100,00 Wir erkennen, daß die Hauptabwanderung bis zum 40. Lebensjahre dauert; allein 70% aller Ziegler entfallen auf das Alter von 14—40 Jahren, und nur % umfaßt die Altersklassen über 40 Jahre. Gewiß muß man sich wundern, daß noch 415 Personen über 60 Jahre der sicherlich nicht leichten Ziegelarbeit nachgehen. Immerhin ist es aber nur ein winziger Prozentsatz. Die Not und der Kampf ums Dasein zwingen diese Personen dazu. Die Tatsache, daß nur 17 % der Ziegler im Alter von 41—50 Jahren stehen, liefert einen Beweis dafür, daß die vor dem Kriege vorgenommenen Erhebungen des Vereins für Sozialpolitik in Verbindung mit den Feststellungen der Gewerbeaufsichtsbeamten bezüglich der Beziehungen zwischen Alter und Berufstätigkeit der Arbeiter der Wirklichkeit entsprechen, wonach „in den Betrieben der schweren Großindustrie und in allen Unternehmungen, wo körperliche Kraft und körperliche Regsamkeit die Vorbedingungen der Tätigkeit sind, nach dem 40. Lebensjahre ein fast sprunghaftes Abfallen eintritt" 1 ). Die obige Zahl wird in das rechte Licht gerückt, wenn man andere Berufe heranzieht. Von allen beschäftigten Arbeitern standen im Alter von 40—50 Jahren in der Kalk- und Zementindustrie 23,8%, in der Textilindustrie 21 % 2 ). Wenn man die Ziegler in einzelne Gruppen oder Klassen einzuteilen versucht, so muß man sich von verschiedenen Gesichtspunkten leiten lassen. Wir wollen bei *) Soz. Praxis 1913, zitiert nach Gut Brand 1913, Nr. 30. 2 ) Dr. Engel in Soz. Praxis 1913, s. Gut Brand 1913, Nr. 30. — 275 — der Einteilung die Vorbildung, die Art der Vergütung und die Rangstellung der einzelnen Ziegler als Grundlage wählen. Es ergibt sich dann folgende Einteilung: 1. Nach der Vorbildung unterscheidet man: a) gelernte und b) ungelernte Arbeiter. 2. Nach der Art der Vergütung gibt es: a) Akkordanten, und zwar 1. Vollakkordanten und 2. Stückakkordanten, von letzteren wieder a) Gruppenakkordanten und b) Einzelakkordanten. b) Zeitlohnarbeiter. 3. Nach der Rangstellung zerfallen sie in Gehilfen und Meister. Wenn man von gelernten und ungelernten Arbeitern spricht, so darf man nicht daran denken, daß die ersteren eine Lehrzeit nach Art anderer Berufe durchgemacht hätten; eine solche kennt das Zieglergewerbe nicht. Unter gelernten Arbeitern versteht man diejenigen, deren Tätigkeit gewisse Vorkenntnisse erfordert. Sie gehen in der Regel aus den Personen hervor, die vom 14. Lebensjahre an die Ziegelarbeit betrieben haben und so nach und nach in die ganze Betriebsweise eingeführt, mit allen Tätigkeiten bekannt geworden sind. Zu ihnen gehören in erster Linie die Brenner und Former, dann aber auch die Aufkarrer, Ofensetzer, Einspetter, Kollergangwerfer und Hagensetzer. Für die ungelernten Arbeiter sind keine besonderen Vorkenntnisse notwendig. Wenn sie nur tüchtige Muskelkraft besitzen, so genügt das zur Ausübung ihrer Tätigkeit. Hierzu sind zu rechnen: Tongräber, -auflader und -fahrer, Ofenein- und -auskarrer, Abnehmer, Abschneider und Preßkarrenschieber. Zu diesen Arbeiten werden in erster Linie Ausländer herangezogen, dann aber auch Jungen und in der Nähe der Ziegelei ansässige Personen. Die genannten Arbeiter arbeiten entweder in Akkord 18* — 276 — oder Lohn, weshalb man sie einteilen kann in Akkordanten und Lohnarbeiter. Die Akkordanten zerfallen wieder in Voll- und Stückakkordanten. Während bei den letzteren eine bestimmte Menge Steine — wohl überall 1000 Stück — die Berechnungsgrundlage bildet, richtet sich der Verdienst der Vollakkordanten nach der in der ganzen Arbeitsperiode fabrizierten Gesamtzahl der Ziegelsteine. Diese „Annehmer", wie sie früher bezeichnet wurden, weil sie den Vertrag, den der Meister mit dem Ziegeleibesitzer abschloß, mit annahmen und auf diese Weise am Gewinn und Verlust beteiligt waren, gehören heute der Vergangenheit an. Wo dieses Lohnsystem nicht im Gebrauch war, da arbeiteten die Ziegler entweder in Stückakkord oder Zeitlohn. Beide Systeme kommen auch heute noch vor. Eine allgemeine Regel darüber, wer Akkordant und wer Lohnarbeiter ist, kann man nicht aufstellen, da auf manchen Ziegeleien nur Akkord, auf anderen nur Lohn gezahlt wird, auf den meisten aber beide Systeme zusammen vorkommen. (Siehe Lohnverhältnisse.) Nach der Rangstellung — wenn man von einer solchen reden will — stehen sich Gehilfen und Meister gegenüber. Wir vermeiden ausdrücklich das Wort „Geselle", weil man dabei auch leicht an Lehrlinge denken könnte, die es, wie schon an anderer Stelle bemerkt, nicht gibt. Man kann in etwa der Lehrlingszeit anderer Berufe die Zeit vom 14. bis 17. Lebensjahre des Zieglers gegenüberstellen. Für diese Arbeiter hat sich der Ausdruck „Jungen" bis auf den heutigen Tag erhalten. Die frühere Unterscheidung zwischen „großen" und „kleinen" Jungen (letztere auch „Jungsjungen") ist heute fast nirgends mehr im Gebrauch. Die nach der Konfirmation mit abwandernden Jungen werden zu leichten Arbeiten als Koch, als Abträger der geformten Steine, als Aufkanter und Gehilfe des Brenners herangezogen und genießen den Schutz jugendlicher Arbeiter, die nicht länger als 10 Stunden tätig sein dürfen. Das Gros der Ziegler bilden die Gehilfen, die die ver- — 277 — schiedensten Arbeiten verrichten und allen Altersklassen angehören. Folgende Tabelle 1 ) gibt Aufschluß über die Verteilung auf die einzelnen Kategorien: Zahl Proz. der Gesamtzahl 1. Jungen von 14—16 Jahren . . 1219 9.00 2. Gehilfen: a) von 17—60 Jahren..... 10967 80.93 b) über 60 Jahre und unbekannten Alters........ . 375 2.77 c) weibliche Personen . . . . 14 0.10 3. Meister....... . . . 976 7.20 13 551 100.00 Die mit aufgeführten 14 weiblichen Personen sind keine wirklichen Zieglerinnen, sondern Ehefrauen und Töchter der Ziegelmeister, auch wohl Zieglerfrauen, die für die Arbeiter Küche und Wäsche besorgen: Nach der Erhebung von 1923, deren Ergebnisse auf Grund des Urmaterials in Anlage 1 für die einzelnen Gemeinden niedergelegt sind, verteilten sich Ziegelmeister und Ziegelarbeiter wie folgt auf die einzelnen Verwaltungsbezirke : Ziegelmeister Bezirke relativ Ziegler absolut "/o aller o/o d. Ziegl. Ziegreim. d. Bezirkes Verw. Blomberg 19 5,15 2,36 805 ,, Brake 111 30,08 3,76 2953 „ Detmold 138 37,40 5,58 2 479 „ Schötmar 52 14,09 7,77 669 Ländl. Bezirke zus. 320 86,72 4,63 6 906 Städte zus. 49 13,28 7,06 694 Lippe im ganzen 369 100,00 4,85 7 600 Aus dieser Tabelle ergibt sich, daß von der Gesamtzahl aller Ziegelmeister der Landbezirk Detmold die meisten stellte. Dieser Anteil erhöht sich auf 43 %, wenn 1 ) Zusammengestellt nach den Ergebnissen der Volkszählung vom 1. Dezember 1910. Amtsblatt 1911, Beil. zu Nr. 87, S. 42—55. — 278 — man die Städte Detmold, Horn und Lage einreiht. Unter den Städten selbst nahm Lemgo mit 15 Ziegelmeistern die erste Stelle ein. Als einzige Stadt, die keinen Ziegelmeister stellte, ist Blomberg aufgeführt. Den Ausschlag im Bezirke Detmold gibt das Amt Lage, das mit 79 Ziegelmeistern obenan stand. Ordnet man die Bezirke unter Einschluß der Städte nach der Zahl der Gemeinden, die Ziegelmeister stellten, dann erhält man folgende Übersicht: Bezirk Zahl der Gemeinden mit 10 und mit 5—9 mit l^t ohne mehr Zglm. Ziegelmstr. Ziegelmstr. Ziegelmstr. Verwaltungs-Amt Blomberg- 14 , 19 „ „ Brake 3i) 4 31 13 „ „ Detmold 3 2 ) 9 34 12 „ „ Schötmar 5 15 6 6 18 94 50 Von den 168 lippischen Gemeinden mit Zieglern hatten danach 118 = 70 % Ziegelmeister. Auch hier steht wieder der Bezirk Detmold mit 80 % an erster Stelle. Es folgt der Bezirk Schötmar mit 76 %, der Bezirk Brake mit 74,5 % und erst in weitem Abstände der Bezirk Blomberg mit 42 %. Wie man sieht, enthalten auch nur die beiden Bezirke Brake und Detmold Gemeinden — und zwar in gleicher Anzahl —, die sogar 10 Ziegelmeister und mehr haben. Etwas anders gestaltet sich allerdings die Verteilung, wenn man die Zahl der Ziegelmeister ins Verhältnis setzt zur Zahl der Ziegler; denn dann steht das Verwaltungsamt Schötmar an erster Stelle. Doch bleibt auch dabei das Verwaltungsamt Blomberg im weiten Abstände zurück. An der Reihenfolge der Bezirke wird auch nichts geändert, wenn man die Städte eingruppiert, denn dann enthält der Bezirk Schötmar 8,05%, Detmold 5,64%, *) Lieme mit 15 Zglm., Lemgo mit 15 u. Schwelentrup mit 12. 2 ) Heidenoldendorf mit 10 Zglm., Augustdorf mit 18 u. Lage mit 11. — 279 — Brake 4,03 % und Blomberg 2,52 % Ziegelmeister der Ziegler in diesen Bezirken. Vergleicht man die Gesamtzahl der Ziegelmeister im Jahre 1923 mit der im Jahre 1910, dann fällt die gewaltige Abnahme auf, ein Zeichen, daß die Vorzugsstellung des „lippischen" Ziegelmeisters mehr und mehr geschwunden ist. Eine fortwährende, manchmal brennende und heiße Streitfrage hat, namentlich in den letzten 10 Jahren vor dem Kriege, die der „Meister und Gesellen" 1 ) gebildet. Sollen beide zusammen oder getrennt gehen und ist der Meister Arbeitgeber oder Arbeitnehmer? Das waren die beiden Hauptpunkte, die auf vielen Versammlungen der Ziegler zu interessanten und lebhaften Erörterungen Veranlassung gaben. Während in anderen Berufszweigen die Führung des Meistertitels von dem Nachweis der technischen Befähigung durch Ablegung einer Prüfung abhängig ist, kann sich im Zieglergewerbe jeder Meister nennen, der eine Ziegelei annimmt. Die unausbleibliche Folge muß sein, daß es unter den Ziegelmeistern manche unfähige und unwürdige gibt. In dieser Beziehung wirkte die Bestimmung des alten Zieglergewerbegesetzes günstig, wonach nur der als Ziegelmeister auftreten durfte, der 25 Jahre alt war, sich die nötigen technischen Kenntnisse erworben hatte und hierüber, sowie über sein Verhalten glaubhafte Zeugnisse beizubringen vermochte. (§ 17 des Ges.) Es wäre wohl an der Zeit, heute von jedem Ziegler, der eine Meisterstelle anzunehmen gedenkt, den Befähigungsnachweis zu verlangen; gewiß würden dann einzelne Mißstände bei" der Bewerbung um solche Stellen beseitigt werden. Diese Übelstände machen sich namentlich da bemerkbar, wo fremde Ziegler mit Lippern in Konkurrenz treten. Der Mehrzahl der lippischen Ziegelmeister wird von *) Das Wort Geselle ist bei den Zieglern in diesem Zusammenhange überall in Anwendung; damit meint man alle Ziegler, die nicht Meister sind. — 280 — jeher Zuverlässigkeit und Ehrenhaftigkeit nachgerühmt. Es sind in der Regel die strebsamsten und tüchtigsten unter den Zieglern. Sehr viele von ihnen, namentlich die jüngeren, haben in den Wintermonaten die Zieglerschule zu Lemgo*) besucht oder sich durch Privatstunden geistig weitergebildet. Die Tätigkeit der Ziegelmeister richtet sich nach der Größe der Ziegeleibetriebe. Ihnen liegt die Anwerbung der erforderlichen Gehilfen, die Leitung der Betriebe, vielfach auch die Berechnung der Akkordarbeit, die Auszahlung der Löhne und schließlich die Abrechnung am Schlüsse der Arbeitsperiode ob. Während nun aber der Meister größerer Betriebe in der Regel an der Fabrikation der Ziegel nicht selbst mitarbeitet, sondern nur alles überwacht und kontrolliert und gelegentlich mit eingreift, übt der Meister kleinerer Ziegeleien eine bestimmte Tätigkeit aus. Meist ist mit seinem Posten der des Brenners oder Formers vereinigt. Hier bilden also die allgemeinen Funktionen eines Meisters nur die Nebenbeschäftigung, bei größeren Betrieben dagegen stellen sie die Haupttätigkeit dar. Auf den meisten Ziegeleien sorgt der Meister auch für die Kommune, auf deren Mißstände wir bei der Besprechung der Verpflegung genauer zurückkommen werden. Die Ansichten über das Verhältnis zwischen Meistern und Gehilfen weichen erheblich voneinander ab 2 ). Es wird vielfach angenommen, daß auf den Ziegeleien, die der Hauptsache nach von Lippern betrieben werden, das alte patriarchalische Verhältnis fortbestehe. Da Meister und Ziegler häufig aus demselben Orte sind, dieselbe Mundart sprechen, sich als Glieder derselben sozialen Klasse fühlen und der eine die Privatverhältnisse des anderen ziemlich genau kennt, so ist an sich denkbar, daß der Meister weniger als ein Vorgesetzter, denn vielmehr als Freund und Mitarbeiter erscheint, der das Vertrauen 1 ) Neuerdings Lage. 3 ) Vergl. Böger, a. a. O., S. 133 ff. — 281 — der Arbeiter genießt und sich durch meistens ruhige, sachliche und wohlmeinende Befehle und Ratschläge die erforderliche Autorität verschafft. Allerdings liegt in diesem „Sichkennen" auch häufig eine Gefahr für den Fortbestand des guten Verhältnisses, weil der Meister nicht mit der oft erforderlichen Strenge seinen Gehilfen gegenübertreten kann. Andererseits vermag das allzu große Vertrauen namentlich dann zu Mißbräuchen- und Konflikten zu führen, wenn der Ziegelmeister seinen geldlichen Verpflichtungen nicht nachkommt und seine Stellung dazu benutzt, die Ziegler in ein zu großes Abhängigkeitsverhältnis zu bringen. Und hier besonders setzen die Vorwürfe ein, die lippischen Ziegelmeistern wiederholt gemacht worden sind: Reichtumsstreben auf Kosten der Ziegler, rigorose Behandlung der Gehilfen, Herrschsucht u. dgl. m. Wenn nun auch hier und da durch ein allzu großes Vertrauen Mißbräuche und Gesetzwidrigkeiten vorgekommen sein mögen, wenn auch nicht zu leugnen ist, daß es manche Meister gegeben hat, die durch übertriebenes Streben Reichtümer zu erwerben suchten, so muß man im allgemeinen auch heute noch den lippischen Ziegelmeistern Ehrlichkeit und Gerechtigkeit nachrühmen, wie sie auch auf das Wohl ihrer Arbeiter bedacht sind. Seitdem in vielen Ziegeleien die Lohnzahlungen direkt vom Lohnbureau alle 14 Tage in geschlossenen Lohntüten erfolgen, sind die Hauptursachen von Streitigkeiten zwischen Meistern und Gehilfen beseitigt. § 33. Die Einkommensverhältnisse. I. Der Verdienst in der Fremde. a) Die Lohnverhältnisse bis zum Jahre 1914. Obwohl die auf rein gedächtnismäßiger Mitteilung älterer Ziegler beruhenden Angaben über die Lohnverhältnisse in den 70er und 80er Jahren an Ungenauigkeit leiden, bieten sie uns doch immerhin hinreichende Stützen — 282 — zur Vervollständigung der geschichtlichen Entwicklung des Verdienstes der Ziegler. Es verdiente durchschnittlich ein erwachsener Ziegler in Rheinland-Westfalen vom 1. April bis 1. Oktober: 1873 120—130 Taler 1876 160—180 „ 1878 130—140 „ 1880 130—150 „ 1884 150—160 „ 1888 160—180 „ 1890 600—S00 Mark Asemissen 1 ) führt als durchschnittlichen Wochenlohn für 1885 an: 1. Der Arbeiter: a) unter 16 Jahren . . 11.00 Mark b) von 16—18 Jahren 15.00 „ c) über 18 Jahre . . . 17.00 „ d) über 50 Jahre . . . 15.00 „ 2. Der Annehmer .... 18.00—20.00 „ 3. Der Ziegelmeister . . . 25.00—30.00 „ und für letztere noch einen Vorzug von 15.00 M. pro Mann. Einwandfreies Material hat uns für den Zeitraum 1892 bis 1902 in den Anschreibe- und Abrechnungbüchern eines Ziegelmeisters 2 ) zur Verfügung gestanden, so daß folgende Feststellungen den tatsächlichen Verhältnissen jener Zeit entsprechen: Bruttoverdienst in Mark: Jungen im Jahre Meister Annehmer Lohnarbeiter ältere jüngere 1892 885 550 440 350 1893 1445 1070 540 425 330 1894 1700 1325 700 525 390 1899 3824 1500 880 600 440 1900 4529 1340 720 475 400 1901 3425 1315 720 460 420 1902 3080 1190 670 420 350 *) Asemissen, DieLippischen Ziegler in „Arbeiterfreund" 1885, S. 4. *) Der Erbe, der uns die Unterlagen übergab, bat, den Namen geheim zu halten. — 283 — Für die Zeit von 1903—1913 haben uns für einzelne Jahre Kontobücher verschiedener Ziegler vorgelegen, deren Ergebnisse folgende Tabelle aufweist: Bruttoverdienst in Mark: im Jahre Akkordanten Lohnarbeiter ält. Jungen jung. Jungen 1903 730 575 422 237 1905 740 545 425 319 1908 825 625 482 397 1911 1130 902 620 400 1912 1110 859 — 400 Für die Verhältnisse kurz vor dem Kriege haben wir persönliche Erkundigungen von einer größeren Menge von Ziegelmeistern und Zieglern eingezogen, um daraus der Wirklichkeit nahekommende Angaben abzuleiten. Wir haben jedoch von vornherein in Betracht zu ziehen, daß sehr viele Ziegler, namentlich die ehrlichsten unter ihnen, nicht gern Auskunft über ihren Verdienst geben, daß ein großer Teil übertreibt, ein nicht geringerer zu wenig angibt, und nur einzelne Personen wahrheitsgemäße Angaben machen. Je mehr Zahlen einem daher über dieselbe Materie vorliegen, desto genauer wird das Ergebnis. Die Lohnverhältnisse der Ziegler vor dem Kriege 1 ) weisen eine bunte Vielgestaltigkeit auf. Es waren alle Lohnarten vertrete«: Stunden-, Tage-, Wochen-, Gesamt- und Akkordlohn, und zwar bestanden auf den meisten Ziegeleien alle nebeneinander, doch gewöhnlich so, daß eine Art vorherrschte. Wenn wir die beiden Hauptgruppen Zeit- und Akkordlohn ins Auge fassen, so kann man im allgemeinen sagen, daß in Betrieben mit maschinellen Einrichtungen und auch auf großen Handstrichziegeleien der Akkordlohn, auf den kleineren Betrieben der Zeitlohn vorherrschte. Als besondere Art ist noch der Anteillohn der Ziegler zu erwähnen, die als Annehmer gemeinsam mit dem Ziegelmeister den Vertrag abschlössen. Je nach der Bemessungsgrundlage des Lohnes kommen drei Systeme in Betracht: der Zeitlohn, der Akkord- *) Die Lohnsätze im folgenden beziehen sich auf das Jahr 1914. — 284 — lohn und der Anteillohn, die wir jetzt der Reihe nach betrachten wollen. I. Der Zeitlohn ist das älteste und am längsten allein in Anwendung gewesene System. Der Ziegler erhält für eine gewisse Zeit eine ganz bestimmte Summe, die sich nicht ändert, wenn er einmal mehr, einmal weniger leistet. Der Zeitlohn tritt uns entgegen als Stunden-, Tage-, Wochen- und Jahreslohn. a) Der Stundenlohn war auf den Ziegeleien nur da üblich, wo Überstunden geleistet oder außer der regelmäßigen Betriebsarbeit, etwa bei Betriebsstörungen, besondere Arbeiten verrichtet werden mußten. Nur moderne Großbetriebe waren schon vor dem Kriege allgemein dazu übergegangen. Als Lohnsätze wurden uns für 1914 genannt: 1. Rheinland-Westfalen 0.40—0.50 M. pro Stunde 2. Frankfurter Gegend 0.35—0.45 „ Das ergibt: bei 1 pro Tag 4.80-6.00 JC; pro Woche 28.80—36.00 Mi pro 25 Woch. 720—900 JC „ 2 ,. „ 4.20—5.40 ....., 25.20—32.40 ,. „25 „ 630—810 „ b) Tagelohn bezogen auf manchen Ziegeleien die losen Arbeiter, die bald diese, bald jene Arbeit verrichteten; auch Jungen, Erdarbeiter, Ofensetzer und Aufkarrer waren hier und da in Tagelohn beschäftigt. Bei 11—12stündiger Arbeitszeit verdienten 1914: 1. in Rheinland-Westfalen: a) Lehmarbeiter 4.00—5.00 M. b) Ofensetzer . 5.00—5.50 „ c) Aufkarrer. . 6.00—6.50 „ 2. in der Frankfurter Gegend: Lose Arbeiter 4.00—5.00 M. Danach betrug der Gesamtverdienst: bei la pro Woche 24.00—30.00 M., pro 25 Wochen 600.00—700.00 M. „ lb „ „ 30.00—33.00 „ „ 25 „ 750.00—825.00 „ „ lc „ „ 36.00—39.00 „ „ 25 „ 900.00—975.00 „ „ 2 „ „ 24.00—30.00 „ „ 25 „ 600.00—750.00 „ c) Häufiger als die bisher besprochenen Lohnarten kam der Wochenlohn vor. Er war die Regel auf kleinen — 285 — Ziegeleien mit Handbetrieb und richtete sich in seiner Höhe nach der Art der Beschäftigung und der Leistungsfähigkeit des Arbeiters. Fast durchweg Wochenlohn bezogen Jungen und Brenner. Für 1914 sind Uns folgende Sätze bekannt geworden: Rheinland- Frankfurter Oldenbu Westfalen Gegend M. M. M. Jungen von 14—16 Jahren . • 14—.18 12- -16 Tongräber, -Lader u. -Fahrer 26—28 27- -28 27 Einspetter, Kollergang- und Walzenwerfer..... 28 27- -28 26—27 Junge Leute von 17 bis 20 J. bei der Presse . . . . 20—24 Aufkarrer....... 26—28 30—33 30—32 30 32- -35 32 Ofeneinkarrer ..... 26 24 -25 26—27 Ofensetzer....... 32 30- -35 28—33 Ofenauskarrer..... 26—28 30- -33 28 Hagensetzer...... 27- -28 26—27 Brenner........ 32—36 30- -35 28—34 Um das Interesse der in Wochenlohn arbeitenden Ziegler an der Produktion wachzurufen, wurde auf einigen Stellen, namentlich großen Ziegeleien, eine Prämie gewährt, die in Oldenburg z. B. für Lehmarbeiter, Walzenwerfer, Abschneider und Abnehmer pro 1000 fertiger Steine 2 Pfg. betrug. In Großbetrieben, die eine Jahresleistung von 4, 6, 8, 10 Millionen Steinen und darüber hatten, wuchs diese Prämie schon zu einer annehmbaren Summe an. d) Der früher sehr häufig auftretende Gesamtlohn für die ganze Arbeitsperiode wurde nur noch in vereinzelten Gebieten, z. B. in Oldenburg, jugendlichen Arbeitern gewährt, die als Koch- oder Brennergehilfe tätig waren. Es erhielten in Oldenburg Jungen von 14 Jahren .... 380.00—400.00 M. Jungen von 15—16 Jahren . . 400.00—450.00 M. II. Der Akkordlohn war besonders auf Maschinenziegeleien, doch auch auf den größeren Handbetrieben, — 286 — das vorherrschende Lohnsystem. Er wurde gewährt als Stücklohn — Einzelakkord — und als Gruppenakkord. a) Beim Stücklohn richtet sich der Lohn nach der Menge der hergestellten Steine. Er hat den Vorteil, daß er die Produktivität der Arbeit ungemein steigert. Je mehr der Arbeiter leistet, um so mehr Lohn empfängt er. Es ist daher erklärlich, daß dieses Lohnsystem zur Übereilung führt, wodurch die Qualität der Ware sehr leidet. Es kann deshalb da vorteilhaft angewandt werden, wo die Maschine die Ausführung der Arbeit selbst übernimmt, der Arbeiter sie jedoch nur aufmerksam und schnell zu bedienen hat. Garantiert der Stücklohn zwar einen verhältnismäßig hohen Verdienst, so hat er doch den großen Nachteil, daß der Arbeiter sehr oft über sein Können tätig ist, wodurch seine Gesundheit nachteilig beeinflußt wird, so daß man die Akkordarbeit der Vorkriegszeit — oft gewiß mit Recht — als Mordarbeit zu bezeichnen pflegte. Nicht allzu kernfeste Naturen würden bei fortgesetzter Akkordarbeit sehr häufig in wenigen Jahren erschöpft sein, wenn nicht die lange Ruhezeit im Winter eine Ansammlung neuer Kräfte bewirkte. Durch Verkürzung der Arbeitszeit suchte man die nachteiligen Folgen dieses Lohnsystems zu beseitigen. Gewiß wurde hierdurch zunächst während der Arbeitszeit eine Anspannung aller Kräfte bewirkt, weil doch jetzt der Arbeiter in 12 Stunden möglichst dasselbe zu leisten suchte, wie früher in 13—14 Stunden, doch fand dafür durch die um so längere Nachtruhe eine Neustärkung des Körpers statt. Über die Höhe der Stücklohnsätze haben wir folgendes für 1913/14 erfahren: Rheinland-Westfalen pro 1000 Wochenleistung 4 Lehmarbeiter .... Einspetter, Kollergangwerfer 1 Aufkarrer...... 2 Former........ 1 Ofeneinkarrer .... 2 Ofensetzer....... 1 Auskarrer...... M. 1.00 0.55 0.80 ca. 60 000 60—65 000 55—65 000 100 000 100 000 60 000 110 000 Steine 1.70—1.75 0.40 0.64 0.80 — 287 — Frankfurter Gegend (gewöhnl. 2- Wochenleistung a. 60—110 000 Steine 60 000 60 000 60 000 65 000 , 60—65 000 , 60—65 000 60 000 pro 1000 M. Lehmarbeiter (gewöhnl. 2—4) . 1.00 Einspetter ........0.55—0.60 Aufkarrer ........0.75—0.80 2 Former.........1.50—1.55 Hagensetzer........0.55—0.65 Ofeneinkarrer....... 0.45 Ofensetzer........ 0.50 Ofenauskarrer.......0.70—1.00 Der Unterschied der Leistungen in den verschiedenen Gegenden ist auf die zur Verfügung stehenden Hilfsmittel zurückzuführen; es ist z. B. wesentlich, ob die Ofenleute Schiebkarren oder auf Schienen laufende Wagen haben, ob ein Ring- oder ein Kammerofen in Benutzung ist. Nach den Einzellohnsätzen und nach Angabe von Ziegelmeistern und Gehilfen stellte sich der Gesamtverdienst während einer Arbeitsperiode von 25 Wochen folgendermaßen: Rheinl.-Westfalen Frankfurt . Gegend Oldenburg in in in in in Wochenl. Akkord Wochenl. Akkord Wochenlohn Jungen von M. M. M. M. M. 14—16 Jahren . 350-450 300-400 380-450 Lehmarbeiter . 650-700 675-750 675-700 700-800 675 Einspetter . 700 775 675-700 775-850 650-700 Aufkarrer . 650-700 900-1100 750-825 1000-1100 750-850 Former . . . 750-850 1000-1200 800-875 1100-1200 800 Hagensetzer 675-700 850-1000 650-700 Ofeneinkarrer 30 Wochen . 780-800 1000-1100 720-800 900-1100 780-850 Ofensetzer 30 Wochen . 900-960 960-1100 900-1000 1000-1100 840-990 Brenner 30 Wochen . 960-1100 900-1000 850-1050 Ofenauskarrer 30 Wochen . 780-850 1000-1100 900-990 1000-1100 850 Daß diese Zahlen nicht ganz genau sind, ergibt sich aus den schon im Anfang dieses Abschnittes angeführten Gründen. Wir vermögen uns aber trotzdem auf Grund dieser Zusammenstellung einigermaßen ein Bild von dem Verdienste der Ziegler in der Fremde zu machen 1 ). *) Es gab Ziegler, welche auch 1200.00—1400.00 M. verdienten; von einem 15jährigen Jungen erfuhren wir, daß er 1913 vom 1. April bis 30. November einen Verdienst von 600.00 M. gehabt habe. — 288 — Vor allem ist erkennbar, daß die Akkordarbeit einen höheren Verdienst gewährte als die Lohnarbeit, woraus das Sträuben der Ziegler auf Einführung einer kürzeren Arbeitszeit verständlich wird. Auf die Unkosten während einer Kampagne kommen wir in anderem Zusammenhange zu sprechen. b) Auf einzelnen Ziegeleien übernahmen und übernehmen noch heute mehrere Arbeiter gemeinsam einen Produktionsabschnitt in Gruppenakkord, z. B. mehrere Ziegler — die Lehmarbeiter — die Herbeischaffung des Tones, eine andere Gruppe — die Ofenleute — das Ein- und Auskarren sowie das Einsetzen der Steine. In der Frankfurter Gegend wurde als Gruppenakkord 1914 gezahlt: an Lehmarbeiter pro 1000 1.00 M. „ Ofenleute. . „ 1000 2.00—2.20 „ III. Die Ziegler, welche als Annehmer gemeinsam mit dem Meister den Ziegeleibetrieb annahmen, bekamen Anteillohn, Anteilakkord 1 ). Der reine Anteillohn, wonach der Arbeiter erst dann seinen Lohn erhält, wenn der Gewinn festgestellt' ist, konnte schon deshalb nicht angewandt werden, weil der Arbeiter in der Regel unvermögend und der Reinertrag erst am Schluß der Arbeitsperiode klar erkennbar war. Deshalb erhielten die Annehmer je nach ihrer Leistung zunächst einen Zeit- oder Stücklohn und teilten am Schluß der Kampagne mit dem Meister den noch verbleibenden Gewinn. Die Abrechnung geschah in der Weise, daß von der vom Besitzer gezahlten Gesamtsumme die Löhne der - Arbeiter, der Meistervorzug und allgemeine Unkosten zunächst abgerechnet wurden und dann der verbleibende Rest unter die Annehmer nach Köpfen zur Verteilung gelangte. Genaue Angaben über dieses Lohnsystem für die letzten Jahre vor dem Kriege waren aus leicht erkenn- *) Vergl. auch Bernhard, Die Akkordarbeit in Deutschland, Leipzig 1903, — 289 — baren Gründen nicht zu erhalten; eine Abrechnung aus dem Jahre 1900 *) sei hier jedoch als Beispiel angeführt: a) Rechnung für den Ziegeleibesitzer . . . 29 961.40 M. b) Ausgaben: 1. Löhne für Lohnarbeiter 12 404.43 M. 2. „ „ Annehmer . 10 489.00 „ 3. Meister-Vorzug 3K % von 30 000.00 M. 1050.00 „ 4. Allgemeine Auslagen . 739.96 „ 24 683.39 „ c) Rest zur Verteilung unter 12 Annehmer 5278.01 „ IV. Neben diesem auch als Akkordmeistersystem mit Beteiligung der Arbeiter am Akkordgewinn bezeichneten Lohnsystem, das heute in der Ziegelindustrie nicht mehr vorkommt, gab es auf einzelnen Stellen auch das Akkordmeistersystem ohne Beteiligung der Arbeiter am Akkordgewinn, ein System also, bei dem die Ziegler nur ihren Zeitlohn bzw. Einzel- oder Gruppen-Akkordlohn erhielten, während dem Ziegelmeister allein die Differenz zwischen der während der Arbeitsperiode verdienten Gesamtakkordsumme und den ausgezahlten Löhnen zufiel 2 ). Auch dieses vor dem Kriege noch vorherrschende Lohnsystem kam gleich nach dem Kriege'nicht mehr vor. Wie weit es heute wieder Eingang gefunden hat, entzieht sich unserer Kenntnis, doch hat man bereits seit 1921 von dessen Wiedereinführung gesprochen. V. Über die zwischen Ziegeleibesitzer und Ziegelmeister vereinbarten Abschlußpreise für 1000 fertige Ziegelsteine sind uns für 1914 folgende Angaben gemacht worden: Rheinland-Westfalen.......8.00 M. Frankfurter Gegend 7.50; 8.00; 8.65; 9.00 „ Oldenburg: a) gepreßte Steine I. Sorte 11.45 M. II. „ , 9.45 „ III. „ 8.45 „ IV. „ 7.95 „ V. „ 6.95 „ VI. „ 5.45 „ b) ungepreßte Steine I. „ 7.10 „ ._ II. „ 5.60 „ ') Nach dem Abrechnungsbuch des auf Seitei 282 erwähnten Ziegelmeisters. 2 ) Vgl. Bernhard, a. a. O., S. 181. Fleege-AIthoff, Wanderarbeiter 19 — 290 Auf Grund dieser Preise fand am Schluß der Kampagne die Abrechnung zwischen Ziegeleibesitzer und Ziegelmeister statt. Die volle Summe wurde nur für die fertig gebrannten fehlerfreien Steine gezahlt. Für die ungebrannte Ware erhielt der Meister nur eine Abschlagszahlung, der Rest, gewöhnlich %, blieb bis zum nächsten Jahre stehen. Uber den Verdienst der Ziegelmeister vor dem Kriege haben wir nur ungenaue Auskunft erhalten. Er war sehr schwankend und richtete sich nach der Größe der Betriebe und den Witterungs- und Absatzverhältnissen. Auf den kleineren Handstrichziegeleien dürften Einkommenssätze über Mk. 2000.— zu den Seltenheiten gehört haben. Meister größerer Betriebe verdienten jedoch auch Mk. 3000.— bis 4000.— und 5000.—, ja selbst Jahreseinkommen von Mk. 8000.— bis 12 000.— sind vereinzelt vorgekommen.-- Die Zahlung der Löhne geschah in der Weise, daß je nach Übereinkunft alle 8 oder 14 Tage eine Abschlagszahlung und am Schluß der Saison die endgültige Abrechnung stattfand, und zwar zunächst zwischen Ziegeleibesitzer und Meister, dann zwischen letzterem und den Zieglern. Die Ziegler selbst kümmerten sich wenig um die während der Kampagne von ihnen zu leistenden Abgaben, als Steuern, Beiträge zur Kommune und Krankenkasse, Unfall-, Invaliden- und Altersversicherung. Darüber wurde fast überall einseitig vom Meister Buch geführt, der diese Beiträge gewöhnlich schon bei den Abschlagszahlungen von dem verdienten Lohne abzog. b) Die Lohnverhältnisse der Nachkriegszeit. Als im Frühjahr 1919 viele der seit 1914 bis dahin stillgelegenen Ziegeleien den Betrieb wieder aufnahmen, und die inzwischen aus dem Kriege heimgekehrten Ziegler zum ersten Male wieder ihre Wanderbündel schnürten, da standen sie ganz anderen Verhältnissen gegenüber als — 291 — 1914. Die Revolution hatte den Achtstundentag gebracht, den Akkordlohn abgeschafft und überall das Tarifwesen eingeführt, so daß auch die Ziegler nach diesen Neuerungen handeln mußten und mit den Ziegeleibesitzern für die Entlohnung Tarife zugrunde legten, die genau wie in allen anderen Berufen im Laufe der Jahre häufig abgeändert wurden. Neu war auch besonders, daß der Lohnvertrag nicht mehr individuell zwischen den einzelnen Ziegeleibesitzern und Ziegelmeistern abgeschlossen wurde, sondern von nun ab generell für einen größeren Bezirk durch Vereinbarung zwischen Vertretern der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisation zustande kam. Das Streben der Zieglerschaft ging unter Führung des Gewerkvereins Deutscher Ziegler dahin, einen Reichstarif als Rahmentarif für die gesamte deutsche Ziegelindustrie einzuführen, der die Arbeitszeit, den Urlaub, die Lohnzahlung und andere wichtige Fragen einheitlich regeln sollte. Trotz häufiger Zusammenkünfte der Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist es bis heute noch nicht zu einem solchen Tarif gekommen. Zwar kam am 26. April 1920 nach langen, schwierigen Verhandlungen der Reichstarif für die gesamten Industrien der Steine und Erden zum Abschluß; in Kraft getreten ist er für die Ziegelindustrie jedoch nicht. Neue Verhandlungen im Februar 1921 und in der Folgezeit führten auch zu keinem Ergebnis. So bildeten und bilden 1 ) deshalb überall Bezirks- und Ortstarife, seltener Einzeltarife, die Grundlage für die Lohnbemessung. (Beispiel s. Manteltarif im Anhang, Anlage 4.) Alle Tarife basieren auf dem Stundenlohn, doch enthalten einzelne für bestimmte Arbeiten auch noch Wochenlohn, z. B. für Brenner, und Monatslohn, z. B. für Heizer und Maschinisten. In allen Tarifen wird auch der Akkordlohn grundsätzlich zugelassen, doch so, daß ein Mindestlohn garantiert wird, der im allgemeinen 20—30 % über dem Stundenlohne liegt. *) Out Brand 1927, Nr. 12. 19* — 292 — Überstunden (anfangs die über 8 Stunden, später häufig erst die über 10 Stunden täglich) werden meistens mit 25 %, Nacht- und Sonntagsstunden mit 50 % Aufschlag berechnet; doch war und ist die Regelung nicht einheitlich. Die Auszahlung der Löhne findet nach den meisten Tarifen wöchentlich am Freitag statt. Stimmen alle Tarife in diesen Grundzügen ziemlich überein, so weichen sie doch hinsichtlich der Lohnsätze sehr voneinander ab. Das gilt nicht nur für die verschiedenen Gebiete, sondern sehr oft auch in den einzelnen Bezirken für die verschiedenen Orte und Werke. Folgende Tabelle, die als Beispiel aus der Inflationszeit nach den Tarifen zusammengestellt ist, gibt über die örtliche und zeitliche Verschiedenheit der Lohnsätze Aufschluß: Stundenlöhne 1919 1920 Westdeutschland Frühjahr 1. Dezbr. Jheinland-Westfalen) M. M. M. Erwachsene Ziegler 1.50—2.00 4.00—5.20 4.80—6.25 Jugendliche 14-17 J. 1.00—1.60 1.95—4.25 2.35—3.85 Hannover Erwachsene Ziegler 1.40—1.80 3.50—4.00 Jugendliche . . '. 0.90—1.40 3.00—3.30 Braunschwelg Sommer Erwachsene Ziegler 1.30—1.75 2.60—3.10 3.50—4.00 14- bis 17jährige . . 0.90—1.30 1.80—2.10 2.20—3.00 Schlesien über 18 Jahre alte 1.30—1.80 3.00—3.80 unter 18 Jahre alte 1.20—1.40 1.50—2.10 Bayern Sommer über 20 Jahre alte . 2.40—3.10 3.40—4.10 18 — 20 „ 80 % 80 % 14—18 „ 70 % 70 % Baden über 20 Jahre alte . 2.00—3.00 16 — 20 „ 1.10—2.50 14-16 „ „ 0.90—1.40 Württemberg über 20 Jahre alte . 2.65—3.95 18 — 20 „ 2.10—3.05 14—18 „ 1.20—2.15 — 293 Nach dieser Aufstellung verdienten die erwachsenen Ziegler unter Annahme einer Arbeitsperiode von 25 Wochen im Jahre 1919: 1950.— bis 3000.— M. 1920: 4000.— „ 9000.— „ Einzelne Ziegler, die den ganzen Winter beschäftigt waren, hatten nach verschiedenen Lohnausweisen im Jahre 1920 einen Verdienst von 14—16 000 — Mk. Wenn wir die Löhne von 1920 mit denen vor dem Kriege vergleichen, so erkennen wir, daß die Ziegler auch zu jenen Berufsschichten gehörten, die das 10—12fache der Friedenszeit verdienten, also ein „zeitgemäßes" Einkommen hatten. Die übrige Zeit der Inflation zu behandeln, hat keinen Sinn, da grundsätzliche Änderungen nicht vorkamen, und es sich in den Tarifen nur um die Lohnsätze drehte. Goldmarklöhne sind nicht bezahlt worden. Nur sei noch erwähnt, daß 1919 auch in der Entlohnung des Ziegelmeisters zunächst insofern eine Änderung eintrat, als dieser die Ziegelei nicht wie früher im Akkord übernahm, sondern in der Regel laut Tarif ein Mindestgehalt bezog, das in einer Woche das 60fache des Stundenlohnes des bestbezahlten Arbeiters in seiner Ziegelei betrug, zuzüglich 25 % Aufschlag, oder statt dieses Aufschlages 50 Pfg. für je 1000 Stück gebrannte Ziegelsteine. Diese Art der Lohnregelung bedeutete für den Ziegelmeister eine starke Herabminderung seines Risikos. Sie hat sich aber nicht gehalten. Bereits 1921 sind manche Ziegeleibesitzer, wie bereits erwähnt, zu der früheren Form zurückgekehrt. Nachdem mit der Stabilisierung der Mark die Möglichkeit der Berechnung auf Rentenmark-, bzw. Goldmark-, später Reichsmarkbasis gegeben war, setzte auch in der Ziegelindustrie zwischen Ziegeleibesitzern und den Gewerkschaften der Kampf um die Normierung der Lohn- — 294 — Sätze auf Grundlage des Stundenlohnes für die verschiedensten Bezirke, Orte und Zieglergruppen ein. Nicht selten mußte der Schlichter eingreifen und ein Schiedsspruch die Parteien zur vorübergehenden Einigung führen. Wir übergehen diese manchmal heftigen Tarif- und Lohnkämpfe, da wir hier ganz objektiv lediglich die tatsächlichen Lohnverhältnisse, soweit sie für die lippischen Wanderziegler von Bedeutung sind, darzustellen haben, und uns weder in der „Parteien Haß und Streit" einmischen, noch mit der Problematik der gerechten Lohnhöhe beschäftigen wollen. Im allgemeinen läßt sich sagen, daß die 1924 zunächst vereinbarten Lohnsätze in den folgenden Jahren nicht unerheblich gesteigert wurden. Sowohl Grundlohnsätze als auch die Entwicklung waren jedoch nicht einheitlich, wie folgende Übersicht zeigt: Spitzenlöhne in einzelnen Lohngebieten 1 ) Abschluß tag Loh n g e biet des Tarifes A A I A II B C D. s. D. n. Pfennig Pfennig Pfennig Pfennig Pfennig Pfennig Pfennig 8. 4. 1924 42 41 40 38 35 34 27. 9. 1924 45 43 42 41 37 37 1. 3. 1925 56 55 54 50 46 45 15. 4. 1925 63 62 60 57 52 51 1. 7. 1925 70 69 67 65 63 58 56 28. 5. 1926 63 62 61 59 57 52 50 Wohl dem Beispiele der Beamten- und Angestelltenbesoldung folgend, wurden auch in den Lohntarifen der Ziegelindustrie innerhalb eines Lohngebietes verschiedene Ortsklassen (Teuerungsklassen), in der Regel jedoch nicht mehr als 3, gebildet, und für diese je nach der Art der Arbeit die Grundlöhne für die verschiedensten Lohngruppen festgesetzt. Bezeichnung und Zahl der Lohngruppen, die in einzelnen Gebieten auch Lohnklassen heißen, sind nicht ') Gut Brand Nr. 7 v. 2. 4. 1927. — 295 — gleichmäßig. Ebenso ist die Einordnung der auf einer Ziegelei beschäftigten Arbeiter in die einzelnen Lohngruppen uneinheitlich. Nach den vorliegenden Tarifen kann man 2 Gruppen unterscheiden: 1. Direkte Einordnung der Zieglergruppen in entsprechende Lohnklassen, wie z. B. in den Bezirken Hannover und Frankfurt a. M. 2. Keine direkte Einordnung, sondern Lohngruppenbildung nach dem Alter, wobei als Ausgangsgrundlage für den Spitzentariflohn ein Alter von 21 Jahren dient.. Alle Arbeiter über 21 Jahre befinden sich danach in der ersten Lohngruppe, und von da aus erfolgen die Abstufungen, häufig in Prozentsätzen des Spitzenlohnes, nach unten bis zum Alter von 14 Jahren. Die eigentlichen Ziegler, die als Facharbeiter gelten, erhalten dann meist Zuschläge zum entsprechenden Tariflohn. Folgende Beispiele, die zugleich die Höhe der Lohnsätze für 1927, die wieder über denen von 1926 liegen, erkennen lassen, zeigen die Buntscheckigkeit im Lohntarifwesen der Ziegelindustrie: Lohnabkommen für Frankfurt a. M. 1 ). Das Lohnabkommen gilt für den gesamten Bereich der Vereinigten Ziegeleien von Frankfurt' a. Main und Umgebung (alle Ziegeleien, Tonwaren- und Dachziegelfabriken im Bezirke der Stadt Frankfurt a. M., Kreis Offenbach, Stadt und Landkreis Höchst und Unter- Taunuskreis). Die Löhne betragen pro Stunde: ab 1. April ab 16. Juni 1927 bis bis Gruppe A: 15.Juni 1927 31.März 1928 Brenner, Ofenarbeiter (Einsetzer und Auskarrer) im Handbetrieb, Aufkarrer und Former (Streicher), Lehmbergarbeiter (Lehmlader), Einsumpfer, Einspetter, Hagensetzer, Packensetzer 87 Pf. 89 Pf. *) Out Brand Nr. 9 v. 30. 4. 1927. — 296 — Q r u p p e B: Alle übrigen Betriebsarbeiter einschließlich Fuhrleute, über 21 Jahre 84 Pf. 86 Pf. 20 „ 76 „ 77 » 19 „ 67 „ 69 „ 18 „ 59 „ 60 „ 17 „ 50 „ 52 „ 16 „ 42 „ 43 „ 15 „ 35 „ 36 „ 14 „ 29 „ 30 „ Q u p p e C Arbeiterinnen über 18 Jahre 17 „ 16 „ 15 „ 14 „ 55 Pf. 47 „ 39 „ 33 „ 28 „ 55 Pf. 47 „ 39 „ 33 ..„ 28 „ Handwerker, Maschinisten und Heizer erhalten pro Stunde 1 M., angelernte Spezialarbeiter, wie Motorenführer usw., erhalten pro Stunde 95 Pf. Die Akkordsätze werden bei Beginn der Saison von der Lohnkommission für jede einzelne Ziegelei in deren Betrieb festgelegt. Alle Abmachungen zwischen dem einzelnen Arbeitgeber und der Arbeiterschaft sind ungültig. Dieser Vertrag kann erstmalig mit vierwöchiger Frist zum 31. 3. 28 gekündigt werden. Lohnabkommen für den Bezirk Hannover 1 ) Gültigkeit 20. 4. 27 bis 31. 3. 28. Lohngruppe 1: Ofenleute (Einsetzer u. Auskarrer)...... Lohngruppe 2: Brenner, Heizer und Maschinisten, Tongräber, Tonlader, Packensetzer, Zuschieber, Zwischenschieber, Pressenleute (Ein- werfer, Abschneider, Abnehmer, Absetzer und Preßkarrenschieber), soweit sie an einer Presse mit einer durchschnittl. Stundenleistung von mehr als 1500 Stück Normalformats beschäftigt sind........ Lohngruppe 3: Alle Arbeiter über 20 Jahre . sonstigen *) Gut Brand Nr. 10 v. 14. 5. 27. Ortslohnklasse I II III 68 Pf. 65 Pf. 60 Pf. 66 Pfl. 63 PL 58 Pf. 64 Pf. 61 Pf. 56 Pf. — 297 — Lohngruppe 4 a: Arbeiter von 18 bis 20 Jahren........ 62 Pf. 59 Pf. 54 Pf. Lohngruppe 4b: Arbeiter von 16 bis 18 Jahren........ 44 Pf. 42 Pf. 39 Pf. Lohngruppe 4c: Arbeiter von 14 bis 16 Jahren, soweit sie nicht zur Lohngruppe 1 und 2 gehören . . . 33 Pf. 29 Pf. 27 Pf. Lohngruppe 5a: Arbeiterinnen - an Pressen und Transporteuren, Sortiererinnen über 18 Jahre . . . 44 Pf. 42 Pf. 39 Pf. Lohngruppe 5b: Arbeiterinnen von 16 bis 18 Jahren...... 33 Pf. 29 Pf. 27 Pf. Lohngruppe 5 c: Arbeiterinnen von 14 bis 16 Jahren...... 24 Pf. 22 Pf. 20 Pf. Lohnabkommen für den Bezirk Rheinpfalz 1 ). Gültigkeit: 18. 4. 27 bis 28. 2. 28. Männliche Arbeiter: Ortsklasse I IA II III über 21 Jahre 74 70,5 66,5 63 „ 20 >» 66,5 63,5 60 58 » 19 59 56,5 53 50,5 „ 18 52 49,5 46,5 44 ,. 17 ti 44,5 42,5 40 38 „ 16 »i 37 35,5 33,5 31,5 „ 15 >» 29,5 28 26,5 25 ,. 14 »» 22 21 20 19 Facharbeiter erhalten folgende Zuschläge: Ein- und Aussetzer 8 Proz.; Arbeiter in der Trockenanlage, soweit sie Rauch- und Rußbelästigungen ausgesetzt sind, 8 Proz.; Brenner 6 Proz.; Grubenarbeiter bei Arbeiten mit nassem Untergrund und anderen schwierigen Verhältnissen bis 5 Proz.; Handwerker mindestens 20 Proz.; Maschinisten, Heizer und Lokomotivführer mindestens 10 Proz. Außerdem erhalten in den Dachziegelwerken Former, Gipser, Abnehmerinnen, Färberinnen, Erdkellerleute, Sortierer, Lader, Fahrstuhlleute 6 Proz.; Einsteller 5 Proz. zum Tariflohn. Für andere Gebiete möge hier die Angabe einiger Spitzenlöhne genügen: Rheinisch-Westfälisches Industriegebiet 2 ): Lohngebiet A: 75 Pf. pro Stunde B: 71 „ „ ■i C: 66 „ „ „ *) Gut Brand Nr. 14 v. 9. 7. 27. ') Gut Brand Nr. 9 v. 30. 4. 1927. — 298 — Bremer Bezirk 1 ): Lohngruppe I: 75 Pf. pro Stunde II: 72 „ „ III: 69 „ „ Hamburger Bezirk 2 ): Für Lohngruppe: I II I: 80 Pf. 77 Pf. II: 74 „ 71 „ III: 67 „ 64 „ IV: 61 „ 59 „ Wenn wir diese Lohnsätze mit den Lohnverhältnissen vor dem Kriege und mit den Löhnen von Arbeitern anderer Berufszweige vergleichen, dann darf gesagt werden, daß realiter, d. h. unter Berücksichtigung des höheren Lebenshaltungsindex, die Ziegler heute zwar ein höheres Einkommen haben als etwa 1914, daß sie aber nur teilweise zu den besser bezahlten Lohnberufsschichten gehören. Zum Vergleich folgt hier zunächst eine Lohnnachweisung, die Stundenlöhne und Akkordsätze für Sommer 1927 enthält. Auch Abzüge und Bemerkungen dafür seien mit wiedergegeben. Es handelt sich um einen modernisierten Betrieb, in dem 10 Stunden gearbeitet wurde. Alle angeführten Arbeiter waren Lipper. Ziegler-LohnnachWeisung aus dem Sommer 1927. Fachbezeichnung Lohnsatz in Pfe. Gesamtverdienst in RM. Krankenkasse und Erwerbsl.- Beitrag Steuern Invalidenbeitrag Bemerkungen Lehmgräber 69 82,80 4,62 3,60 1,50 ledig Ofenmann Akkord 111,80 1,50 verh.4Kind. Ofenmann Akkord 111,80 2,20 1,50 verh.2 Kind. Absetzer 66 73,16 4,62 2,50 1,50 ledig Aufsetzer 52 62,43 3,85 1,40 1,50 ledig Loser Arbeiter 48 51,36 3,85 0,30 1,20 ledig Brenner 69 106,26 4,62 4,45 1,50 verh.keine Kinder Brenner 69 106,26 4,62 5,00 1,50 ledig Pressemann 69 76,48 4,62 2,80 1,50 ledig Pressemann 69 68,79 4,62 0,95 1,50 verh. Loser Arbeiter 66 77,15 4,62 2,90 1,50 ledig *) Gut Brand Nr. 9 v. 30. 4. 1927. 2 ) Ebenda, Nr. 13 v. 25. 6. 1927. — 299 — Es liegt eine 14tägige Lohnperiode zugrunde, d. s. 12 Arbeitstage. Nur für Brenner kommen volle 14 Tage in Frage. Vergleicht man damit z. B. die in den Vierteljahrsheften zur Konjunkturforschung angegebenen „Wochenlöhne im Reich" 1 ), wonach z. B. im Juli 1927 gelernte Arbeiter wöchentlich 49,09 Mk., ungelernte Arbeiter 36,63 Mk. verdienten, dann erkennt man, daß einzelne Zieglergruppen nicht unwesentlich über diesen Durchschnittssätzen standen. Es muß dabei allerdings die 10- stündige Arbeitszeit berücksichtigt werden; denn wenn man nur die Stundenlöhne in Vergleich setzt zu anderen Berufsgruppen, bleiben allerdings die Löhne der Ziegler im allgemeinen noch erheblich zurück. Das erkennt man, wenn man die Stunden- und auch Wochenlöhne von Arbeitern wichtiger Gewerbegruppen heranzieht, wie es in folgender Übersicht 2 ) für das Jahr 1927 geschehen ist: Z e i t Gewerbegruppe März April Juli Stunde Woche Stunde Woche Stunde Woche Baugewerbe 4 »» ,» ungek. 1.20—1.30 „ 1.80 „ Nadelholz „ „ „ gek. 1.30 1.87 „ »» t» tt ungek. 1.20 1.75 „ Laubholz, Knüppel u. Nutzkn. gek. 1.20—1.60 „ 2.05 „ »• , »» l» •» ungek. 1.10—1.20 „ 1.67 „ Nadelholz „ „ „ gek. 1.20 1.75 „ »» »» »» u ungek. 1.10 1.58 „ Durchforstungsreisig . . . . . 0.30—0.36 „ 0.50 „ 0.20—0.26 „ 0.37 „ 0.65 „ Der Verdienst einer Wanderarbeitergruppe im Winter 1926/27 ergibt sich aus folgender, auf Grund eines Arbeitsnachweisbuches zusammengestellter Tabelle, aus der auch einige die Höhe des Verdienstes beeinflussende Faktoren ersichtlich sind. Die Wirkung dieser Faktoren ergibt sich aus dem durchschnittlichen Stundenverdienst der ein- — 304 — uapunjssjiaqJY jap ouiumc; 'puni^ Ol 1132 ■ sii3qjy'-i39X CA CS JS u co & u H 3 Q a S o- -9 co n, P-, 3 t-i ü h ja ^ 's -2 u 5 -zi « CO Ii S o^N Ph U tu -ä i. 11,11 cu £ > 5 N 13 "O C ►2 » £ 3 o X ailBlssiraqjy nSumiqo^ g uaipsiMz Bunuiajiug Ii (i) i« w < S jaiiaqjy jap iqaz -J[ N -3 PJ1 S^t-i CO 00 CM 00 CO CM t-- in Ol CM lf) O tu Q CO I— CO ob rn in CO CO »-h CO 00 CO CO O CM CM CO CM Ol CO CO CO Ol 00 0000 00 00 00 00 0000 00 oo t—< oi in cm oi r- o in O CO CM in CM in Ol oo co r— oo in co O* O" O CO COCM Tf CO CO Ol 00CM CS 00 in Tfin o i ro ^ co in o co^ o" ind t-" -*" t—" cd lnoo" *-<" cm co cocM in co co cm co cm co co T-C c» oh n o cor-^ co k in oTin in oo CM Ol cm co cm co r~ o oi oioo o co Ol oo CM in ^ oo in cm i-<_ in co oo oi" oo" r—" 3"cm" co" oo" r-" oi" oi o o co oo co co oi r- f N COi-h CO CM CM i-H CM 0) T# J3 °- 1 o m „t ü CM CM CO w a I—I T-H I—t » CO Ol 1 od 1—» CM 1 CM 1 oi 1 3 1 cd 22 oi CM CM CM CM CM CM >-h _ HH-H-^ ä s«sj i. a I Ä 3 | « | co' oi O —< e t-~' -i CM CO CM tj CM 13 CD 0) •3 r- I co "5 r^ ii 3 E C C <5 CO CO CO Jl CO CO CO c CO -Q CO bp c c co o ja £ <» JÜÄ '53 'S ß- ba co Eii Cja s? 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Jeder Arbeiter verdiente in 3 Monaten Mk. 420,58. Arbeiter in Tagelohn erhielten pro Stunde Mk. 0,63, so daß die Akkordanten demnach im Durchschnitt fast 50 % mehr verdienten. Zu dem hier zahlenmäßig wiedergegebenen Wintereinkommen ist noch zu bemerken, daß die Waldarbeiter das Deputatholz meist 20 % unter dem bei den Holzverkäufen erzielten Durchschnittspreise, häufig aber auch unter der Taxe erhalten und auch sonst noch andere Vergünstigungen (Streumaterial, Viehweide) genießen. Hier und da werden auch Ziegler zu Waldwegebauten herangezogen, doch ist hier gewöhnlich ein fester Stamm von Waldarbeitern vorhanden, die das ganze Jahr hindurch im Forste Beschäftigung finden. Manche Ziegler arbeiten im Winter in den zahlreichen Kalk- und Sandsteinbrüchen, wo sie vor dem Kriege täglich Mk. 2.50 bis 3.00 verdienten, heute aber auf das Doppelte kommen. Andere beschäftigen sich mit Holzschuhmacherei und Korbflechterei, wieder andere sind als Handwerker tätig. Eine geringe Anzahl Wanderziegler hat die Haus- schlachterei erlernt, die ihnen neben freier Kost früher Mk. 2.50 bis 3.00 pro Schwein einbrachte. Seit der Markstabilisierung kommen Sätze von Mk. 5,00 bis 8,00 vor. Da in den ländlichen Ortschaften fast jede Familie 1—2, manche 3—5 Schweine schlachten, so kamen ein- Fleege-Althoff, Wanderarbeiter 20 — 306 — zelne Ziegler dadurch früher auf einen Winterverdienst von Mk. 200.— bis 300.— und darüber. Von einem Schlachter erfuhren wir, daß er im Winter 1913/14 mit seinem Sohne gemeinsam über 200 Schweine geschlachtet habe. Heute wird man einen Winterverdienst von 600—1000 Mk. annehmen können. Die in der Nähe der Städte wohnenden Ziegler suchen dort im Winter als Industriearbeiter Beschäftigung, und seitdem die peripherisch um Lippe gelegenen größeren Städte Paderborn, Bielefeld, Herford, Minden und Hameln durch Bahnen leicht zu erreichen sind, fahren im Winter aus lippischen Zieglerorten, besonders aus den an der Grenze liegenden, jeden Tag zahlreiche Ziegler dorthin, namentlich zu Erdarbeiten. Endlich müssen noch die Ziegler erwähnt werden, welche den Landwirten bei der Winterarbeit behilflich sind. Als Arbeiten kommen Korndreschen, Futterschneiden, Holzzerkleinern, Einzäunen von Weiden, Instandsetzen der Wiesen usw. in Betracht. Bei freier Verpflegung erhielten sie früher pro Tag Mk. 2.00. Die Wanderarbeiter, welche keinem winterlichen Erwerbe nachgehen, machen sich Arbeit auf ihrem Anwesen oder liegen auf der Bärenhaut und zehren von dem, was im Sommer verdient wurde. Kurz vor der Abreise im Frühling sorgen die in ländlichen Bezirken ansässigen Ziegler dafür, daß ihr Acker zur Bestellung fertig ist; sie fahren Dünger, graben oder lassen pflügen, beschneiden und dichten etwa vorhandene Hecken. Um einmal auch für die Beteiligung der Wanderarbeiter an der Winterbeschäftigung Anhaltspunkte zu bekommen, war in dem Fragebogen I der Zieglerenquete von 1923 die Frage gestellt: Wieviel Wanderarbeiter haben besondere Winterbeschäftigung in der Heimat? a) Waldarbeit, b) Wegebau, c) Hausschlachterei, d) sonstige Beschäftigung (welche?).: Das Gewerbeaufsichtsamt hat auf Grund der ausgefüllten Fragebogen allgemein — 307 — eine geringe Beteiligung festgestellt. Im Jahresbericht für 1923/24 heißt es Seite 6: „Nur wenige Wanderarbeiter übernehmen im Winter in der Heimat eine regelmäßige Beschäftigung. Es wurden 1 745 Wanderarbeiter (18 %) mit regelmäßiger Winterbeschäftigung gezählt. Von diesen beschäftigten sich die meisten (45 %) mit Waldarbeit, einige (12 %) mit Wegebau, als Hausschiachter (14 %) und etwa 29 % mit sonstigen Arbeiten. Diese letzten bestehen meist in landwirtschaftlicher Tätigkeit. Auch die Zuckerfabrik in Lage bietet einer Reihe von Wanderarbeitern regelmäßige Winterbeschäftigung" 1 ). Die Beteiligung in den einzelnen Bezirken Lippes ist ziemlich gleichmäßig, wie folgende Übersicht, aufgenommen nach dem Urmaterial, zeigt: Bezirk Zahl der Wanderarbeite r, die 1923 im Winter eine regelmäßige Beschäftigung übernahmen Waldarbeiter Wegebau Haus schlach terei andere Arbeit zusammen Verwalt.-Amt Blomberg „ „ Brake „ „ Detmold „ ,, Schötmar 116 232 325 53 2 62 64 37 43 106 61 14 29 261 62 44 190 661 512 148 15,1 19,9 16,6 17,0 Zusammen Städte_ Zusammen 726 64 790 165 42 207 224 20 396 108 244 504 1511 234 68,6 22,0 1745 18,2 Auffallend ist der hohe Anteil der Waldarbeit in den waldreichen Bezirken. Nur im Verwaltungsamte Brake überwiegen andere Arbeiten. b) Der Erwerb durch die Frau und die Kinder des Zieglers. Außer dem Ziegler selbst suchen auch die Frau und die Kinder des Zieglers mit für den Lebensunterhalt zu sorgen. Da, wie wir „gesehen haben, der Ziegler aus der landwirtschaftlichen Bevölkerung hervorgegangen ist, so steckt in ihm das Streben, ein kleines Besitztum sein eigen zu nennen. Die meisten verheirateten lippischen *) Sie beschäftigte Arbeiter: 1919: 258; 1920: 257; 1921: 280; 1922: 270; 1923: 272; 1924: 264; 1925: 225. 20* — 308 — Ziegler haben daher auch ein Häuschen und einige Scheffelsaat*) Ackerland. Der übrige Teil wohnt als Ein- lieger zur Miete und hat fast stets eine Fläche Land gepachtet. Eigene und gepachtete Grundstücke haben in der Regel eine Größe von V2—2 ha, wie aus der an anderer Stelle gegebenen Übersicht hervorgeht. Die Bestellung des Ackers besorgt die Frau mit den Kindern. Ist das Stück Land nicht übermäßig groß, so wird es mit dem Spaten umgegraben, sonst geschieht dies durch den „Ackersmann". Die Gegenleistung für diese Arbeit besteht auf einzelnen Stellen noch darin, daß Weib und Kind des Zieglers dem Landwirte durch Mithilfe in dessen Wirtschaft den Ackerlohn abverdienen. Die eigene kleine Landwirtschaft ist für den Ziegler von Vorteil, liefert doch der Acker einen wichtigen Beitrag zum Unterhalt, namentlich insofern, als der eigene Bedarf an Gemüse und Kartoffeln gedeckt wird. Außerdem ist es jeder Familie möglich, Ziegen und Schweine zu halten. Von den durch die Viehzählungen festgestellten Ziegen und Schweinen entfiel die Mehrzahl auf kleine Betriebe. Einen Einblick in den Viehbestand solcher Wirtschaften gibt folgende Tabelle 2 ): Größe Zahl Darunter mit Zahl der der Betriebe Viehhaltung Kühe Schweine Ziegen 2—5 ar 720 360 3 110 498 5—20 „ 2911 2212 44 789 3329 0,2—1 ha 10767 10379 1264 9190 19863 1—2 „ 3289 3235 3308 5471 3300 Man sieht, daß sogar in ganz kleinen Betrieben noch eine Kuh gehalten wird. Auch heute noch liegen die Verhältnisse ähnlich, wie die kleine Statistik zeigt. Die Ziegen liefern den Bedarf an Milch und Butter. Von den Schweinen wird manchmal eines verkauft, die übrigen werden für den eigenen Bedarf geschlachtet. Schinken, Speck und auch Würste nehmen die im *) 1 Scheffelsaat = 17,17 a. -) Meyer, W., Teilungsverbot, S. 86. — 309 — Sommer abwesenden Männer als Hauptfleischspeisen mit auf Ziegelarbeit, so daß sie in der Fremde für solche Nahrungsmittel nicht allzuviel Barauslagen haben. Mag nun auch der Ertrag aus Acker und Viehhaltung meistens die Bedürfnisse des Haushaltes nicht völlig befriedigen, so darf doch der Wert nicht verkannt werden, ist doch damit eine Nebeneinnahme gegeben, die allein der Arbeit der zurückbleibenden Familienglieder zu danken ist 1 ). Manche Zieglerfrauen sind auch Hebammen, Näherinnen, Plätterinnen, Wäscherinnen, manche als Putzfrauen tätig. Während der freien Zeit gehen viele Zieglerfrauen in Tagelohn auf die Bauernhöfe, wo sie neben freier Kost früher Mk. 0.80—1.20 pro Tag verdienten. Heute schwanken die Sätze zwischen 2 und 3 Mk. Auch die Kinder verdienen sich zur Zeit der Ernte durch landwirtschaftliche Beschäftigung manchen „Groschen". Viele Knaben vermieten sich während des Sommers als Kuh- und Schweinehirten und manche Töchter als Kindermädchen. Ein anderer Teil der Jungen sucht durch Steineklopfen am Erwerbe teilzunehmen, wieder andere helfen bei den Wegebauten und an den Kulturarbeiten im Walde. Die der Schule entwachsenen weiblichen Personen vermieten sich als Dienst-, Küchen- und Zimmermädchen, wodurch sie je nach Alter jährlich 180—800 Mk. neben freier Kost und Wohnung und außer Trinkgeldern erhalten. In Augustdorf, Pivitsheide, Lage und Lemgo gehen diese Personen zur Seidenspinnerei, und in der Oerling- hauser, Lageschen und Schötmarschen Gegend arbeiten *) C. Fuchs hat in seiner Arbeit „Die Verhältnisse der Industriearbeiter in 17 Landgemeinden bei Karlsruhe", Karlsruhe 1914, Rentabilitätsuntersuchungen des landwirtschaftlichen Zwergbetriebes angestellt und dabei nur recht bescheidene Reinertragsergebnisse errechnet. Wie weit in Lippe ähnliche Verhältnisse vorliegen, kann nur durch eine Spezialuntersuchung, die an sich sehr begrüßenswert wäre, aufgedeckt werden. — 310 — sehr viel Zieglerfrauen und Mädchen als Heimarbeiterinnen für Wäschefirmen von Bielefeld und Herford. Aus der Umgegend von Detmold gehen viele auf die Klingenbergsche Fabrik, und in der Lemgoer und Barntruper Gegend sind manche in der Zigarrenindustrie tätig. Viele Frauen und Kinder von Wanderarbeitern nützen auch vielfach die günstige Lage ihres Wohnortes aus, um im nahen Walde Beeren (Heidelbeeren und Himbeeren) zu pflücken, die sie dann an Händler oder Fruchtsaft- pressereien bzw. auch direkt an Privatpersonen zum Selbstkonsum verkaufen. III. Das Gesamteinkommen. Es wäre nun außerordentlich wertvoll, wenn von einer größeren Anzahl der verschiedensten Zieglergruppen genaue Aufzeichnungen über die einzelnen Teile des Gesamteinkommens und damit über letzteres selbst zur Verfügung ständen. Aber leider stößt man bei dem Bestreben, exakte Unterlagen zu beschaffen, auf große Schwierigkeiten. Das liegt einmal an der allgemeinen psychologischen Einstellung der Ziegler selbst, auf die bereits hingewiesen war, und sodann an der Fehlerhaftigkeit, mit der die Schätzungen des Einkommens aus eigener Wirtschaft, sowie der Frau und Kinder verbunden sind. Wir haben wiederholt versucht, Zieglerfamilien zum genauen Anschreiben sämtlicher Einnahmen und Ausgaben zu bewegen, nachdem ihnen Anleitung gegeben, der Zweck vor Augen geführt und die privatwirtschaftliche Bedeutung einer solchen Haushaltsbuchführung klar gemacht war. Bei manchen Zieglern fanden unsere Anregungen auch Anklang, und verschiedene gaben das Versprechen, Aufzeichnungen zu machen. Aber leider ist es meist bei dem Versprechen geblieben, und die uns schließlich ausgehändigten Notizen waren so lückenhaft und unvollkommen, daß eine Auswertung für diese Abhandlung nicht in Frage kommen konnte. Sind wir daher nicht in der Lage, auf Grund solcher zahlenmäßigen Unterlagen Zusammenstellungen über das — 3J1 — Gesamteinkommen der Ziegler zu 1 machen, so glauben wir doch, auf dem Wege der Schätzung einiges zu erreichen. Denn schließlich kennt man durch die vielen Nachforschungen und Beobachtungen die Verhältnisse doch so genau, daß man mit ruhigem Gewissen zum Mittel der Schätzung greifen kann. Wir wollen folgende Beispiele zugrunde legen: Beispiel 1: 40jähriger Lehmgräber, verheiratet, 3 Kinder (2 Jungen von 13 und 9 Jahren, 1 Mädchen von IOV2 Jahren); Hauseigentümer, eine Wohnung vermietet; Eigentümer von Vz Scheffelsaat Gartenland, je 1 Scheffelsaat Roggen und Kartoffeln, % Scheffelsaat Klee gepachtet, 2 Ziegen, 3 Schweine, 5 Hühner. Der Ziegler arbeitet ca. 30 Wochen als Wanderarbeiter und 9 Wochen als Hauer im Walde; die Frau tagelöhnert zeitweise, im gawzen etwa 40 Tage im Jahre; die Kinder holen Holz, Streu und Beeren, auch weiden sie die Ziegen. Das Jahreseinkommen dieser Zieglerfamilie wird Mk. 2400,— nicht übersteigen, vielmehr zwischen Mk. 2 200 — und Mk. 2400,— liegen. Beispiel 2: 36jähriger Ofeneinsetzer, verheiratet, 2 Kinder (1 Jungen von 11 Jahren, 1 Mädchen von 9 Jahren), Einlieger, 2 Scheffelsaat Pachtland, wovon benutzt wird: 1 Scheffelsaat Roggen, % Scheffelsaat Kartoffeln, M Scheffelsaat Gartenland; 2 Ziegen, 2 Schweine, 4 Hühner. Der Ziegler ist ca. 25 Wochen als Akkordarbeiter tätig, im Winter Schlachter; die Frau tagelöhnert etwa 120 halbe Tage, der Junge ist im Sommer Kuhhirt. Als Jahreseinkommen wird man Mk. 2000,— bis Mk. 2200,— ansetzen können. Wir glauben nicht, daß die hier angegebenen Einkommen wesentlich überschritten werden. Lediglich die Ziegelmeister werden höhere Einkommen haben. § 34. Die Lebenshaltung. I. Die Beköstigung. Die Speisekarten des in deV Fremde weilenden Zieglers weisen kein allzu buntes Bild auf. Erbsen, Linsen, — 312 — Bohnen, Kartoffeln, Speck, Schinken, Wurst, Butter und Brot sind die hauptsächlichsten Lebensmittel. Des Morgens vor der Arbeit genießt der Ziegler Kaffee (meist ohne Milch) und Brot mit Schmalz oder Butter (Margarine); als Frühstück verzehrt er Brot mit Speck, Schinken oder Wurst. Das Mittagessen besteht an Werktagen aus dickgekochter Erbsen-, Linsen- oder Bohnensuppe mit Kartoffeln und Speck, Sonntags auch wohl aus Rindfleischsuppe mit Kartoffeln. Nachmittags wird zu Kaffee wieder Brot (auch wohl Schinken dazu) gegessen, und als Abendessen dient in der Regel der aufgewärmte Rest des Mittagsmahles. Diese Ernährung, so einfach sie ist, hat doch den großen Vorteil, daß sie mit der Billigkeit einen hohen Nährstoffgehalt vereinigt. Durch den täglichen Genuß von Hülsenfrüchten, Brot, Speck und Butter werden dem Körper die für seinen Bestand unentbehrlichen Baustoffe, wie Eiweiß, Kohlenhydrate und Fett in reichlichen Mengen zugeführt. Als Beleg für diese Tatsache möge folgendes, den Berichten der Gewerbeaufsichtsbeamten entnommenes Beispiel hier angeführt sein 1 ): „Auf einer von Lippern betriebenen Ziegelei mit 21 Mann wurden in 182 Tagen auf gemeinsame Rechnung (Kommune) verzehrt: 350 kg Erbsen, 588 kg Kartoffeln, 1234 1 Milch, 150 kg Reis, 61,5 kg Speck und 25,5 kg Rindfleisch. Der Brotverbrauch war bei denen, die am schwersten arbeiten, am größten; es entfiel eineBrotmenge von höchstens220kg und mindestens 110 kg, im Mittel 165 kg, auf den Mann. Der Verbrauch an Speck zum Frühstück und Vesperbrot ist sehr verschieden, wird jedoch mit 100 g für den Kopf täglich nicht zu hoch geschätzt werden. Berechnet man hiernach den durchschnittlichen Verzehr für den Mann und Tag und setzt für jedes einzelne Nahrungsmittel die auf Grund von Analysen ermittelten - • *) Nach den amtlichen Mitteilungen aus den Jahresberichten der Gewerbeaufsichtsbeamten von 1894, S. 393. — 313 Bestandteile an Nährstoffen ein, so ergibt sich im ganzen eine tägliche Zufuhr von: Stickstoffsubstanz (Eiweiß)..... 110,1 g Fett.............. 67,0 g Stickstoffreien Extraktstoffen (Kohlenhydrate) ........... 535,0 g Nach den Untersuchungen verschiedener Chemiker (C. Voit und König) muß ein mittelkräftiger Arbeiter bei mittelmäßiger Arbeit durchschnittlich täglich in der Nahrung erhalten: Eiweiß .............118 g Fett ..............56 g Kohlenhydrate .......... 500 g Die Ernährung der Lipper entspricht daher ziemlich genau den von der Wissenschaft für die Erhaltung des Körpers gestellten Forderungen und ist mit Rücksicht darauf als gut zu erachten, daß Butter, Käse und Bier nicht in Betracht gezogen sind". Auf den Ziegeleien, deren Arbeiterbestand sich in der Mehrzahl aus Lippern zusammensetzt, hat sich die alte Lipper-Kommune erhalten, und auch Ziegler anderer Gegenden haben diese Einrichtungen nachgeahmt. Die Hauptbeköstigung — Morgenkaffee, Mittag- und Abendessen — erfolgt gemeinschaftlich meist unter der Verwaltung des Ziegelmeisters, der die hauptsächlichsten Lebensmittel (früher auch Branntwein und Bier) einkauft, Abkommen mit Fleischern, Milchverkäufern usw. abschließt, seinen Leuten Rechnung vorlegt und den auf jeden entfallenden Teil vom Lohne abhält 1 ). Das Kochen besorgt ein Junge oder einer der Arbeiter — sehr häufig der Brenner — und in neuerer Zeit auch wohl eine extra für Zubereitung der Speisen und Reinigung der Unterkunftsräume angenommene Frau. *) Auf manchen Ziegeleien überwacht eine besondere Kommission diese Tätigkeiten des Ziegelmeisters; auch wird der auf jeden entfallende Beitrag zur Kommune nicht vom Lohne abgehalten, sondern besonders eingesammelt. — 314 — Speck, Schinken und Wurst bringen die meisten Lipper aus der Heimat mit, so daß sich die Ernährung verhältnismäßig billig stellt. Als wöchentliche Beitragssätze zur Kommune wurden für 1914 Mk. 2,40 bis Mk. 3.— genannt, wonach ein Ziegler für diesen Teil der Beköstigung während einer Kampagne von 25 Wochen Mk. 60.— bis Mk. 75.— Ausgaben hatte. Rechnet man für Brot, Speck und Butter usw. Mk. 60.— bis Mk. 90.— (nach Angaben normal), so würde die gesamte Ernährung in der Fremde Mk. 120.— bis Mk. 165.— kosten. Zu diesen Ausgaben kommen dann allerdings noch die für Getränke — Schnaps und Bier. 1926 und auch 1927 zahlten die Kommunemitglieder wöchentlich nur Mk. 2.— bis Mk. 2.50. Über die Lipper-Kommune sprach man sich früher in sehr lobenswerter Weise aus, da Übervorteilungen einzelner Mitglieder durch den Kommune-Verwalter selten vorkamen. In den letzten Jahren vor dem Kriege jedoch mehrten sich die Klagen über Unredlichkeit der Ziegelmeister. Sie hatten ihren Grund hauptsächlich in der etwas veränderten Form der Beköstigung. Der Einfachheit wegen vereinbarten nämlich manche Meister mit den Arbeitern für die gemeinsamen Mahlzeiten, Frühstück, Mittag- und Abendbrot, ein bestimmtes Kostgeld im voraus und lieferten außerdem gegen besondere Bezahlung sogenanntes Zubrot, d. h. Wurst, Speck, Brot, Heringe, ferner Bier, Branntwein, Zigarren und Tabak. Alle Beträge des Kostgeldes und der weiter entnommenen Nahrungs- und Genußmittel wurden bei der Lohnzahlung in Anrechnung gebracht. Es kam nun häufig vor, daß der Meister den Arbeitern mehr anschrieb und berechnete, als sie in Wirklichkeit von ihm erhalten hatten. Bei der äußerst mangelhaften Art des Anschreibens der kreditierten Waren war natürlich eine Kontrolle für den Arbeiter nicht möglich, und dieser mußte sich manchmal die hoch angerechneten Ab- — 315 — züge vom Lohne ruhig gefallen lassen, weil das Recht der Entlassung in der Hand des Meisters lag. Durch den Einkauf der Waren im großen wurden dem Meister selbstredend niedrige Preise und manchmal besondere Gratifikationen von den Lieferanten gewährt, so daß er durch den Verkauf an die Arbeiter, wenn auch zu ortsüblichen Preisen, einen nicht unerheblichen Gewinn erzielte, dessen Verteilung unter die Mitglieder der Kommune ihm aber nicht einfiel. Ein noch größerer Mißstand lag in dem Verkauf von Alkohol, an dem die Meister noch mehr verdienten, als an der Kommunekost. Die Versuche, diesen verderblichen Branntwein- und Bierausschank durch gerichtliche Klagen wegen Steuerhinterziehung oder wegen unerlaubten Kleinhandels zu unterdrücken, sind fast stets gescheitert, weil der Nachweis, daß an dem Verkauf verdient wurde, selten gelang. In einigen Ziegeleien wurden die Arbeiter in Kantinen unter unmittelbarer Aufsicht des Ziegeleibesitzers oder eines seiner Angestellten beköstigt und ihnen die nötigen Lebensmittel zum durchschnittlichen Selbstkosten- oder zum Anschaffungspreise verabfolgt. Neben! der bisher betrachteten Art der Beköstigung fand man auf manchen Stellen auch die ohne Anrechnung bei der Lohnzahlung. Es waren besondere Kantinen eingerichtet, die entweder an Wirte verpachtet, oder vom Ziegelmeister geleitet waren. Da, wo ein Wirt Pächter war, wurden die Preise für Lebensmittel durch den Besitzer festgesetzt; die Güte der Ware unterlag einer Beaufsichtigung, und gegen den übermäßigen Verkauf von geistigen Getränken im Interesse des Wirtes waren Bestimmungen getroffen. Die Zahlung des Lohnes erfolgte ohne Abzüge an die Arbeiter selbst. Ungünstiger gestalteten sich die Verhältnisse, wenn der Meister die Leitung der Kantinen übernommen hatte, wie das bis 1914 häufig der Fall war. Ganz abgesehen davon, daß an dem Verkauf von Waren, besonders von Bier und — 316 — Schnaps, viel Geld verdient wurde, so daß eine Anzahl Meister in verhältnismäßig kurzer Zeit dadurch recht wohlhabend geworden ist, bestand der große Nachteil dieses Systems darin, daß der Meister den Arbeitern die gekauften Waren auch kreditierte und ihnen dann die Beträge „mit ihrer Genehmigung" vom Lohne abhielt. Diese Art der Beköstigung glich also der schon vorhin besprochenen neueren Kommune. Der Meister hatte auch hier die Arbeiter völlig in der Hand, so daß Übervorteilungen sehr leicht vorkommen konnten, ja, daß ein gewisser Zwang der Arbeiter, sich die Löhne durch Abzüge kürzen zu lassen, unbestreitbar war. Man geht daher wohl nicht zu weit, wenn man beide Arten als ein verschleiertes Trucksystem bezeichnet, über dessen Beseitigung früher oft gesprochen und geschrieben wurde, das aber trotz der verbesserten Beaufsichtigung und Kontrolle und trotz mancher Bestrafungen der Ziegelmeister bis 1914 bestanden hat. Die §§ 115—119 der Reichsgewerbeordnung, welche das Trucksystem treffen, wurden von den Kantineninhabern mit Leichtigkeit umgangen, da ihnen, wie schon gesagt, eine Übertretung schwer nachzuweisen war. Heute dürften diese Art Kantinen nicht mehr vorkommen. Ein großer Mißstand, der früher in der übermäßigen Verabfolgung von Spirituosen auf einzelnen Ziegeleien bestanden hat und worüber wiederholt Klage geführt wurde, ist in der Nachkriegszeit nicht wieder eingerissen. Die Einfachheit der Ernährung erstreckt sich auch auf die Familie des Zieglers daheim, sowie auf sein Leben im Winter. Frau und Kinder bestellen den Acker und sorgen dafür, daß im Herbst bei der Ankunft des Familienoberhauptes Küche und Keller gefüllt sind und ein fettes Schwein zum Schlachten bereit liegt. An dem auf diese Weise angesammelten Nahrungsvorrat tut sich der Ziegler im Winter etwas zugute, um neue Kräfte für die nächste Arbeitsperiode zu sammeln. — 317 — II. Die Wohnungsverhältnisse. Mit der Schilderung der Wohnungsverhältnisse in der Fremde kommen wir zu einem der dunkelsten Kapitel in der Betrachtung des Zieglergewerbes, und fast möchte man sich den aus Goethes Faust zitierten Worten anschließen, mit denen Luise Zietz ihren Artikel „Zieglerelend" in der „Neuen Zeit" beginnt 1 ): „Der Menschheit ganzer Jammer faßt mich an!". Um das Leben und Treiben der lippischen Ziegler an ihrer Arbeitsstätte aus eigener Anschauung kennen zu lernen, besuchten wir viele Zeigeleien in Rheinland, Westfalen und der Frankfurter Gegend und erhielten so einen Einblick in die manchmal geradezu traurigen, wenn man nicht sagen will menschenunwürdigen, Unterkunftsräume der Ziegler. Über die Wohnräume in anderen Gegenden Deutschlands haben wir uns bei einigen Reisenden, welche die Ziegler im Sommer besuchten, und bei Ziegelmeistern genau erkundigt. Endlich dienten uns die Berichte der Gewerbeaufsichtsbeamten als wichtiges Quellenmaterial. Wenn auch durch die Tätigkeit der maßgebenden Polizeibehörden in den letzten 10—20 Jahren vor dem Kriege auf vielen Ziegeleien eine wesentliche Besserung eingetreten war, so fand man doch noch Wohnungsverhältnisse, die gegen Sitte und Anstand verstießen, die eine Versündigung gegen die Gesundheit der-Arbeiter bildeten und in denen eine „Verhöhnung der Menschlichkeit" lag. Hier bildete eine dünnwandige, lückenhafte Bretterbaracke die klägliche Behausung, dort ein früherer Kuhoder Pferdestall; hier waren es sehr niedrige, taubenschlagähnliche, enge Räume, dort große, gleich unter dem Dache liegende, jeder Unbill der Witterung preisgegebene Böden; hier fand man die Schlaf- und Aufenthaltsräume direkt neben oder über den heiße, gasreiche Luft ausstrahlenden Ziegelöfen, dort über oder unmittelbar neben stinkenden Stallungen, manchmal kaum von diesen getrennt; hier fehlte jeglicher Bodenbelag, dort jede Ventilation; hier wies die Bedielung zahlreiche schadhafte *) Neue Zeit, 24. Jahrg., Bd. II, S. 596—604. — 318 — Stellen auf, dort war das Mauerwerk defekt geworden oder weder verputzt noch geweißt; hier schliefen die Arbeiter auf altem, fast verfaultem Stroh, dort auf zerrissenen Decken. Mögen in der Nachkriegszeit viele dieser Mängel abgestellt sein, teilweise sind sie noch heute vorhanden. Daß den Zieglern nur ein Raum zum Wohnen und Schlafen zur Verfügung steht, dürfte heute wohl kaum mehr vorkommen. Fast überall findet man außer diesen Räumen noch eine besondere Vorratskammer; auf vielen Stellen werden jedoch Speck, Würste und Schinken unter der Decke des Schlafzimmers aufgehängt. Für die Ziegelmeister größerer Betriebe ist in der Regel ein Extraraum eingerichtet, auf kleineren Ziegeleien schläft er mit den Arbeitern zusammen. Besondere Krankenzimmer, die früher fehlten, sind heute meist vorhanden. In den auch zu den Mahlzeiten verwandten Räumen trifft man gewöhnlich einigermaßen auf Sauberkeit, wenn auch hier in dieser Beziehung noch vieles besser sein könnte. Dagegen starren die Schlafräume manchmal von Schmutz und Unordnung. Schränke oder gar nur Riegel und Haken zum Unterbringen der Kleider fehlen sehr oft. Die Bettwäsche wird zwar meistens alle 4—6 Wochen gewechselt, doch soll es auch vorkommen, daß man während der ganzen Kampagne nicht daran denkt. Genügend Waschschüsseln sind auf den allerwenigsten Ziegeleien vorhanden, so daß manche Ziegler ohne die erforderliche körperliche Reinigung zur Arbeit gehen. Die erwähnten Mißstände sind zum Teil auf die Ziegeleibesitzer zurückzuführen; die meiste: Schuld jedoch tragen die beteiligten Personen selbst. Die Gewerbeaufsichtsbeamten klagen darüber, daß die Arbeiter die Übelstände nicht vorbrächten, so daß ihnen ein Einschreiten manchmal unmöglich wäre. Und was nützen schließlich noch so bequeme und sauber eingerichtete Unterkunfts- — 319 — räume sowie alle gesetzlichen Bestimmungen und Inspektionen, wenn der Sinn für Reinlichkeit und Ordnung fehlt! „Was nützt es z. B., wenn entsprechend der Polizeivorschrift die Bettwäsche alle 4—6 Wochen gewechselt wird und sich die Arbeiter in den Pausen mit Stiefel und Sporen ins Bett legen!" (Ellerkamp). Mit Recht wird daher behauptet, daß die größten Übertreter der in dieser Beziehung erlassenen Polizeiverordnungen die Ziegler oft selbst seien. Eine Besserung kann nur eintreten, wenn da, wo der Ziegeleibesitzer die Schuld hat, dieser zunächst zur Abstellung aufgefordert wird, und wenn damit keine Änderung erzielt wird, eine Anmeldung bei der Ortspolizeibehörde oder dem zuständigen Gewerbeaufsichtsbeamten erfolgt. Um Ordnungs- und Reinlichkeitssinn zu fördern, empfiehlt sich die auf manchen Ziegeleien eingebürgerte Sitte, eine Arbeitsfrau am Arbeitsort mit Reinigen der Wäsche, täglichem Bettmachen und Säuberung der Wohn- und Schlafräume zu beauftragen, wofür sie von jedem Beteiligten eine der Arbeit entsprechende Vergütung empfängt. Eine schon seit langem, namentlich vom Zieglerge- werkverein angestrebte gesetzliche Regelung zur wirksamen Bekämpfung der vielfachen Mißstände ist für Lippe durch die Polizeiverordnung vom 13. Nov. 1925 erfolgt 1 ): Polizeiverordnung vom 13. November 1925 über die Unterbringung von Arbeitern aui Ziegeleien. Auf Grund des § 120 e der Reichsgewerbeordnung wird folgende Verordnung erlassen: § 1. Diese Verordnung findet nur Anwendung auf solche Ziegeleien, in denen in der Regel mindestens 5 Arbeiter beschäftigt werden. § 2. 1. Auf jeder Ziegelei müssen Räume zum Aufenthalt der Arbeiter in den Arbeitspausen, Waschgelegenheit, Trink- und Waschwasser *) Lipp. Gesetzsammlung. Nr. 34, v. 21. 11. 1925. •.."'•.>' — 320 — in ausreichender Menge und von einwandfreier Beschaffenheit, Gelegenheit zur sauberen und sicheren Aufbewahrung der Straßenkleidung, sowie ausreichende, den Anforderungen der Gesundheitspflege und des Anstandes entsprechende Bedürfnisanstalten vorhanden sein. 2. Wo Arbeiter auf Ziegeleien übernachten, müssen außerdem geeignete, ausreichend bemessene und eingerichtete Schlafräume vorhanden sein. § 3. 1. Die Räume müssen zugdicht und so gelegen und beschaffen sein, daß Grundwasser oder Regenwasser in sie nicht eindringen kann. Schlafräume auf dem Ziegelofen oder in geringerer Entfernung als 4 m vom Ofen sind unzulässig. 2. Mit Aborten, Düngerstätten, Viehställen dürfen die Räume nicht in unmittelbarer Verbindung stehen, abgesehen von den Schlafräumen der Kutscher, deren Lage neben den Ställen zulässig ist. Die Räume müssen so von den Aborten, Düngerstätten, Viehställen getrennt sein, daß Ausdünstungen nicht hineingelangen. § 4. 1. In jedem Schlafraum dürfen nur soviele Personen untergebracht werden, daß auf jede von ihnen ein Luftraum von mindestens 10 cbm und eine Fußbodenfläche von mindestens 4 qm entfällt. Die Höhe der Schlafräume muß mindestens 2,50 m betragen, 2. Jedem Arbeiter, der auf der Ziegelei übernachtet, ist ein besonderes Bett, bestehend aus einer eisernen oder hölzernen Bettstelle, einer Matratze oder einem Bettstrohsack, einem Bettlaken, einem Kissen- und Bettbezug, zwei wollenen Bettdecken oder einer Federdecke und einem Kopfkissen zur Verfügung zu stellen. 3. Die Bettwäsche ist mindestens alle 2 Wochen, das Bettstroh zu Beginn der Hauptarbeitszeit (Kampagne) zu erneuern. 4. Die Schlafräume dürfen nicht als Speise- oder Kochräume und nicht zum Lagern von Nahrungsmittelvorräten oder von Geräten und Betriebsmaterialien dienen. § 5. Auf jeder Ziegelei ist den Arbeitern ein genügend großer, in der kalten Jahreszeit heizbarer Raum zum Aufenthalt in den Arbeitspausen und zur Einnahme der Mahlzeiten zur Verfügung zu stellen. Der Raum muß für jeden im Betrieb beschäftigten Arbeiter einen Luftraum von mindestens 7 cbm und eine Fußbodenfläche von mindestens 3 qm enthalten. Die Höhe des Raumes muß mindestens 2,50 m betragen. Der Raum ist mit Tischen und Sitzgelegenheiten auszustatten, die so zu bemessen sind, daß jeder im Betriebe beschäftigte Arbeiter ausreichenden Platz findet. § 6. Auf jeder Ziegelei, auf welcher Arbeiter regelmäßig übernachten, muß ein besonderer Raum mit Kochherd zur Zubereitung von Speisen und ein verschließbarer Raum zur Aufbewahrung von Nahrungsmittelvorräten vorhanden sein. Feuerung und Kochgeschirr ist den — 321 — Arbeitern zu stellen. Auf jeder Ziegelei, auf welcher die Arbeiter nicht regelmäßig übernachten, muß ihnen Gelegenheit gegeben sein, mitgebrachte Speisen zu erwärmen. § 7. Alle hiernach erforderlichen Räume müssen mit einem gut gepflasterten und gefugten, zementierten oder gedielten Fußboden und mit einer Zugdichten, verschließbaren Tür versehen sein. Dichtschließende Fenster müssen in solcher Zahl und Größe vorhanden sein, daß die Räume an allen Stellen vom Tageslicht gut beleuchtet sind. Die lichtdurchlässige Fensterfläche muß mindestens */i2 der Fußbodenfläche jedes Raumes betragen. Mindestens die Hälfte dieser Mindestfensterfläche muß zum Öffnen eingerichtet sein. Für ausreichende künstliche Beleuchtung ist während der dunklen Jahreszeit zu sorgen. Die Wände und die Decke sind jährlich vor dem Beginn der Hauptarbeitszeit (Kampagne) mit gelöschtem Kalk zu weißen oder, wenn sie in Öl gestrichen sind, naß zu reinigen. Sämtliche Räume sind täglich gründlich zu reinigen und zu lüften. Abfälle dürfen nicht in oder neben den Speise- und Schlafräumen angehäuft werden. Spül- und Waschwasser sind in einwandfreier Weise abzuleiten. § 8. 1. Allen Arbeitern ist Gelegenheit und Gerät zum Waschen zu geben. Die Waschgelegenheit muß aus einem Waschbecken mit Abfluß oder besonderem Ausgußeimer und einem Wasserbehälter oder — bei fließendem Wasser — einer Zapfstelle bestehen. Für je drei Arbeiter muß mindestens eine Waschgelegenheit vorhanden sein. 2. Die Wascheinrichtungen sollen möglichst so beschaffen sein, daß sie nicht fortgetragen und zu anderen Zwecken benutzt werden können. § 9. Auf jeder Ziegelei muß ein Brunnen oder eine Wasserzuführung vorhanden sein, die die Gewähr für das Vorhandensein einer ausreichenden Menge einwandfreien Wassers zu Trink- und Waschzwecken bietet. § 10. 1. Jedem Arbeiter ist Gelegenheit zu geben, während der Arbeitszeit seine Straßenkleider sauber und sicher aufzubewahren. 2. Wo die Arbeiter die Nacht auf den Ziegeleien verbringen, ist jedem Arbeiter ein für ihn allein bestimmter verschließbarer Kleiderschrank von mindestens % m Tiefe und 1^ m Höhe zu überweisen. Außerdem ist allen auf den Ziegeleien übernachtenden Arbeitern ein verschließbarer Schubkasten oder ein kleines verschließbares Wandspind zur Aufbewahrung von Lebensmitteln, Eßgerät usw. zur Verfügung zu stellen. 3. Den übrigen Arbeitern sind mindestens Kleiderhaken in ausreichender Zahl in einem sauberen, abschließbaren Raum zu überweisen. Fleege-Althoff, Wanderarbeiter — 322 — § 11. 1. Den Arbeitern sind den Anforderungen der Gesundheitspflege und des Anstandes entsprechende Abortanlagen zur Verfügung zu stellen. Für 15 Arbeiter muß mindestens ein Abortsitz vorhanden sein. Jeder Abortsitz muß sich in einem getrennten, allseitig abgeschlossenen und mit von innen verschließbarer Tür versehenen Raum befinden. Die Abortsitze müssen mit gutschließenden Deckeln versehen sein. 2. Mit jedem Abort ist eine Pissoirrinne zu verbinden. 3. Die Abortgruben müssen ausgemauert und gut abgedichtet werden. Sie sind regelmäßig zu entleeren und in der warmen Jahreszeit zu desinfizieren. 4. An entfernten Arbeitsstellen (Lehmberg) ist ein besonderer Abort zu errichten. 5. Die Abortanlagen sind regelmäßig zu reinigen. § 12. Wo Arbeiterinnen beschäftigt werden, sind diesen besondere Schlaf-, Speise- und Aufenthaltsräume, Wascheinrichtungen, Kleiderablagen und Aborte zur Verfügung zu stellen, die von den Räumen für die männlichen Arbeiter vollständig zu trennen und durch Aufschrift an der Außenseite der Tür deutlich als für Arbeiterinnen bestimmte Räume zu kennzeichnen sind. § 13. Alle durch diese Verordnung vorgeschriebenen Räume und Einrichtungen sind dauernd in gutem Zustand zu erhalten. Schadhaft gewordene Teile sind sofort auszubessern. § 14. Von einzelnen Bestimmungen dieser Verordnung können in dringenden Fällen für bestehende Betriebe Ausnahmen durch das Gewerbeaufsichtsamt gewählt werden. § 15. 1. An den Türen der Schlaf-, Speise- und Aufenthaltsräume ist ein Anschlag anzubringen, aus dem Länge, Breite, Höhe, Flächen- und Rauminhalt sowie die Zahl der zulässigen Belegung des Raumes hervorgeht. 2. Diese Verordnung tritt am 1. Mai 1926 in Kraft. Zuwiderhandlungen werden mit Geldstrafe bis zu 150 RM. und im Fall des Unvermögens mit Haft bis zu 6 Wochen bestraft. Auch durch die beabsichtigte reichsgesetzliche Regelung 1 ) über Betriebsgefahren, wie sie in dem Regierungs- ») Gut Brand, 1927, Nr. 8. — 323 — entwurf zum Arbeitsschutzgesetz niedergelegt sind, werden ■— so darf man hoffen — manche Mißstände im Zieglergewerbe zu beseitigen sein. Denn diese neuen Schutzvorschriften beziehen sich nicht nur auf die Arbeitsstätten, sondern auch auf die Unterkunfts- und Schlafräume. Im Regierungsentwurf, § 4, Abs. 2, sind ferner Bestimmungen hygienischer Art vorgesehen, die auch wiederum ihre gute Wirkung in Ziegeleibetrieben haben werden. Zu diesem Regierungsentwurf sind von Seiten der organisierten Zieglerschaft Abänderungsvorschläge, wonach einige verschärfende Bestimmungen gewünscht werden, dem Reichswirtschaftsrat eingereicht. Wie ganz anders sehen die Wohnungen der lippischen Ziegler in der Heimat aus! Die Mehrzahl der verheirateten Personen hat ein eigenes Häuschen, das einen sauberen, freundlichen Eindruck macht. Sehr viel trifft man gerade unter den Zieglerhäusern noch den alten Fachwerkbau an, mit schwarzen Pfosten und Riegeln sowie weiß getünchten Feldern. Schmutzige, verfallene Bauten sieht man in lippischen Dörfern, selbst wenn die Häuser schon sehr alt sind, heute nur noch ganz vereinzelt. Die älteren Fachwerkhäuser ähneln fast alle dem westfälischen Bauernhause. Durch ein breites Einfahrtstor, dessen oberer Bogen mit der lippischen Rose und einem alten Hausspruche, sowie meist mit dem Namen des erbauenden Ehepaares geziert ist, gelangt man auf die Diele. Zum Unterschiede von den Bauernhäusern befinden sich auf der einen Seite die Yiehställe, auf der anderen die Wohnräume und im Grunde, am „oberen Ende" der freie Herd, der neuerdings auf Grund polizeilicher Vorschriften durch eine Wand von der Diele getrennt ist, wodurch die früher offene Küche jetzt einen abgeschlossenen Raum bildet. 21* — 324 — Die neueren Häuser sind kleine, meist ein- oder ein- einhalbstöckige Familienhäuser aus Ziegel- oder Kalksteinen. Sie sind sämtlich unterkellert und enthalten im Erdgeschoß gewöhnlich für 2 Familien 2 Stuben, 2 Kammern und eine gemeinsame Küche, im Dachgeschoß mehrere Kammern und außerdem in einem Anbau Ställe. Ein solches Haus stellte sich vor dem Kriege auf Mk. 5000.— bis 7000.—; heute wird es 9000.— bis 11000.— Mk. kosten. Von diesen einfachen Zieglerwohnungen unterscheiden sich schon durch ihr Äußeres die Häuser vieler Ziegelmeister. Sie stellen in manchen Orten, z. B. Stapelage, Pivitsheide, Heiden, Hörste tatsächlich Villen dar, wie wir sie oft schöner nicht in Städten antreffen, ein Zeichen, daß manche Meister ein Einkommen bezogen haben, von dem sie bedeutende Summen als Spargelder zurücklegen konnten. Die Ziegler, welche kein eigenes Haus haben, wohnen zur Miete, deren Höhe sich nach der Art des Hauses, der Zahl der Räume und den allgemeinen örtlichen Verhältnissen richtet. Die Höhe der Jahresmiete für Zieglerwohnungen dürfte nicht unter Mk. 90.— hinabreichen und Mk. 240.— nicht übersteigen. Durchschnittssätze sind bei Fachwerkhäusern Mk. 100.—, bei neueren Bauten Mk. 160.— bis Mk. 180.—. Das Innere der meisten Zieglerhäuser zeichnet sich durch Einfachheit und Sauberkeit aus. Die Ausstattung ist zwar manchmal recht primitiv und veraltet, in der Regel aber völlig ausreichend. Direkt ärmliche Verhältnisse trifft man nur sehr selten an. Auch von Unordentlichkeit und Schmutz kann im allgemeinen keine Rede sein. Man merkt, daß in den Räumen ein weibliches Wesen schaltet und waltet. Durch den Dienst als Mädchen oder Fräulein in fremden Haushaltungen haben sich die Zieglerfrauen die für ihr späteres Leben notwendigen Kenntnisse an- — 325 — geeignet und sind darauf bedacht, durch Ordnung und Reinlichkeit dem aus der Fremde heimkehrenden Familienvater ein gemütliches Heim zu bieten. Ausnahmen gibt es natürlich auch hier. Wer eben im Schmutz aufgewachsen, von Jugend auf nicht an Ordnung gewöhnt ist, der wird auch als Erwachsener schwerlich Sinn für derartige Dinge haben. Auch auf die engste Umgebung des Hauses, Hof und Garten, legt der Lipperziegler Wert. Typisch ist vielfach die „Holzfinne" oder auch der Holzschuppen „vor der Tür" oder neben dem Hause. Denn in den Wintermonaten daheim hat der Ziegler in der Regel für den Holzvorrat des kommenden Jahres gesorgt, und zwar entweder selbst tagtäglich mit der Schieb- oder Zugkarre oder auch dem Handwagen trockenes Fallholz aus dem nahen Walde geholt oder aber auf den winterlichen öffentlichen Holzauktionen eine „Klafter" bzw. einen „Haufen" gekauft. Wohl zerkleinert und sorgfältig aufgestapelt steht das Holz dann der Frau oder den Eltern im Sommer und nächsten Winter zur Verfügung. — Durch eine schmucke Hecke, ein Stakett, ein Eisengitter oder auch eine Mauer wird häufig das Anwesen von dem des Nachbars oder von der Straße getrennt. Dieses so gepflegte Heim ist die Freude sowie der Stolz des Zieglers, und man kann es verstehen, wenn es für den Einlieger die Sehnsucht und das Ziel seines Schaffens bedeutet. § 35. Die steuerlichen Verhältnisse. Es ist hier von vornherein zu betonen, daß der allgemein anerkannte Grundsatz, wonach die Besteuerung sich nach der Grenze der Steuerfähigkeit richten muß, d. h. nur der das Existenzminimum übersteigende Betrag des Einkommens besteuert werden darf, in Lippe lange Zeit wenig Beachtung gefunden hat. Bis zum neuen Ge- — 326 — setz über die staatliche Einkommensteuer vom 12. Juni 1912 unterlag noch ein Einkommen von Mk. 300.— mit jährlich 12 Mk.*) der Steuer; dabei wurde manchmal der auf vielen Stellen übliche Naturallohn recht hoch berechnet, so daß selbst Dienstmädchen, junge Knechte usw. bei einem jährlichen Barlohn von 120 bis 150 Mark noch zur Steuer herangezogen wurden. Eine Besserung brachte das neue Gesetz von 1912 insofern, als die niedrigste steuerpflichtige Stufe auf Mk. 500.— festgesetzt wurde. Es betrug 2 ): bei einem Einkommen von mehr als bis einschl. die Einkommensteuer M. 500 600 M. 600 700 in einfacher Hebung M. 0,25 0,50 im Jahressatz M. 3 6 und stieg bei einem höheren Einkommen von mehr als bis einschl. in Stufen von in einf. Hebg. um M. 700 3100 über 6900 M. 3100 6900 M. 100 200 300 M. 0,25 0,50 1 Wenn man sich das Einkommen der Ziegler aus damaliger Zeit ansieht, so erkennt man, daß nur die Jugendlichen bis 17 Jahre keine, die übrigen durchweg Steuern * zu zahlen hatten; es konnten höchstens noch ältere Ziegler, deren Verdienst nicht mehr sehr hoch war, auch steuerfrei bleiben. Deshalb kann es auch nicht verwunderlich sein, wenn die Steuern der Wanderarbeiter anteilsmäßig recht; erheblich waren. Es ist einmal der Versuch gemacht, den Anteil der Wanderarbeiter an den lippischen Gemeinde- Einkommensteuern zu ermitteln. Diese Berechnungen scheinen uns bedeutsam genug, zur Charakterisierung früherer Zustände hier festgehalten zu werden. *) Einkommensteuergesetz v. 28. August 1894. -) Einkommensteuergesetz v. 12. Juni 1912, § 17. — 327 Übersieht über die Gemeinde-Einkommensteuer für 1906/07 und den Anteil, welchen lippische Wanderarbeiter zahlen 1 ) Bezirk GesamtWanderarbeiteranteil betrag absolut °/ 0 / 0 Sädte: Detmold 147 581,60 550,— 0,37 Lemgo 32 070,84 2 246,04 7,0 Salzuflen 62 500 — nnn J uw,— R () ö,u Lage 14000- 1 520 — 10,86 Blomberg 11 076 — 547,92 4,95 Horn 1 043,— 134,24 12,87 Barntrup 1 292 — 140,- 10,83 Schwalenberg 2 515,20 114,70 4,57 Städte zusammen: 272 078,64 10 252,90 3,76 Amter: Brake 21 521,04 5 568,— 25,41 Hohenhausen 22 564,— 5 721,60 25,35 Varenholz 13 702,98 4 185,99 30,54 S t ernb erg-B arntrup 22 513,76 5 703,12 25,33 Detmold 33418,56 5 060,— 15,14 Lage 41 091,57 14 864,40 36,17 Horn 18702,- 4 812,70 25,73 Oerlinghausen 30 595,14 5 418,— 17,71 Schötmar 34371,68 5 238 — 15,24 Blomberg 7 308,03 958,81 13,12 Schieder 11531,27 2 211,78 19,18 Schwalenberg 10 384,08 2 293,88 22,09 Amter zusammen: 267 704,11 62 036,28 23,17 Lippe im ganzen: 539 782,75 72 289,18 13,39 Mehr als % aller Gemeinde-Einkommensteuern des ganzen Landes brachten die Wanderarbeiter auf. In den Landbezirken ohne Städte waren sie mit 23 fo und in einzelnen Ämtern, wie Varenholz und Lage, sogar mit über 30 % beteiligt. Es wäre interessant, einmal zu erfahren, wie heute die Verhältnisse liegen. Bedenkt man nun, daß außer den Staatssteuern noch Kommunalsteuern und Beiträge zur Brandkasse, sowie Kirchen-, Synodal- und Schulsteuern zu zahlen waren, so ist leicht ersichtlich, daß die Ziegler, namentlich dann, wenn sie ein eigenes Besitztum hatten, einen ziemlichen Betrag an Steuern aufbringen mußten. *) Gut Brand 1907, Nr. 25. — 328 — Immerhin konnte von einem Steuerdruck nicht die Rede sein, waren doch die Steuersätze nicht allzu hoch. Was nun aber lange Zeit als harter Mißstand und als Last empfunden wurde, das war die Doppelbesteuerung. Der Wanderarbeiter, d. h. der lippische Ziegler, mußte sowohl am Beschäftigungsorte als auch in der Heimatsgemeinde die vollen Steuerbeträge zahlen. Auf den ersten Blick scheint diese Doppelsteuer berechtigt; denn in beiden Gebieten kamen dem Ziegler die für die Allgemeinheit geschaffenen staatlichen und kommunalen Einrichtungen zugute. „Führt 1 ) nun aber eine derartige Doppelbesteuerung schon im Einzelfalle eine Mehrbelastung der Steuerzahler herbei, so muß sie sich besonders da als drückend erweisen", wo, wie in Lippe, die Mehrzahl der Bevölkerung von der Wanderarbeit lebt. „Nimmt man an, daß jeder der 16000 Wanderarbeiter nur jährlich Mk. 10.— an Steuern doppelt zahlte, so ergibt das einen Betrag von Mk. 160 000, um den diese Arbeiter in dem kleinen Lippe stärker belastet wurden, als die gleiche Anzahl von Arbeitern anderer Gegenden Deutschlands". In richtiger Erkenntnis des in dieser Doppelbesteuerung liegenden Druckes wurde bereits vor der Gründung des Deutschen Reiches das „Gesetz wegen Beseitigung der Doppelbesteuerung vom 13. Mai 1870" erlassen, das die Hauptschäden, wenigstens auf dem Gebiete der direkten Staatssteuern, so ziemlich beseitigte. Doch andauernd kamen noch Fälle doppelter Besteuerung vor, die zu vielen Klagen und Beschwerden Anlaß gaben. Einen Mangel barg das Gesetz noch insofern in sich, als unverheiratete Ziegler am Beschäftigungsorte nicht von der Staatssteuer entbunden waren, weil sie nicht zu jenen Personen gerechnet wurden, „die einen Wohnsitz an dem Orte besäßen, an welchem sie eine Wohnung unter Umständen inne hätten, welche auf die Absicht der dauernden Beibehaltung schließen lasse". „Wenn man 1 ) Im folgenden zitieren wir Kirchberg, der in d. Lipp. Landeszeitung v. 1. 6. 1913 ausführlich und instruktiv die Doppelbesteuerung besprochen hat. — 329 — noch unklar darüber sein konnte, was unter der Absicht der „dauernden Beibehaltung einer Wohnung" zu verstehen sei, so ließ eine Entscheidung des preußischen Finanzministers von Miquel keinen Zweifel mehr zu". Es heißt daselbst 1 ): „Zum Merkmal der Innehabung einer Wohnung gehört nach der zuständigen Rechtsprechung des preußischen Oberverwaltungsgerichtes die faktische Herrschaft über die Wohnung, und zwar mit dem ausschließlichen Verfügungsrechte über dieselbe. Diese Merkmale treffen bei den in Rede stehenden Personen (unverheiratete Ziegler und Maurer) nicht zu. Die wirtschaftlich selbständigen, aus dem elterlichen Haushalt entlassenen jungen Leute werden danach in Zeiten, in denen sie keine Arbeit finden, in den Wohnungen der Eltern geduldet. Von einer faktischen Herrschaft der Söhne über die Wohnung der Eltern kann keine Rede sein". „Die lippischen Behörden hielten nun aber im Interesse ihres Landes daran fest, daß auch die unverheirateten Ziegler ihren Wohnsitz in Lippe hätten, weil sie sich nach ihrer Verheiratung in der Heimat ansässig machten und es sich für die wenigen Jahre, in denen sie als wirtschaftlich selbständige Wanderarbeiter den Wohnsitz mit ihren Eltern teilten, nur um eine Übergangszeit handelte". Nachdem nun, namentlich von den beiden Abgeordneten Zeiß und Dr. Neumann-Hofer, im Landtage für ein neues, vollkommenes Gesetz Propaganda gemacht war, nachdem ferner das Zieglergewerbegericht' eine entsprechende Eingabe 2 ) an den Bundesrat gerichtet hatte, kam es unter tatkräftiger Mitwirkung des damaligen lippischen Vertreters im Reichstage, Dr. Neumann-Hofer, zum Reichsdoppelbesteuerungsgesetz vom 22. März 1909. Durch dieses neue Gesetz wurden die Lücken des alten Gesetzes ausgefüllt und frühere Mißstände beseitigt. Ein Unterschied zwischen Verheirateten und Unverheirateten wurde nicht mehr gemacht, weil auch der *) Entscheidung vom 4. April 1900 in Sachen Lange aus Tintrup, Wallbaum aus Siekholz und Büte aus Glashütte. 2 ) Abgedruckt bei Böger a. a. O. S. 286 ff. — 330 - letztere durch seine regelmäßige Rückkehr zu den Angehörigen die „Absicht der dauernden Beibehaltung der Wohnung" bestätige und dieser Rückkehrort als Wohnsitzgemeinde im Sinne des § 1, Absatz 2, gelte". Das ausdrücklich oder stillschweigend eingeräumte Recht auf die Mitbenutzung der Wohnung ergebe sich aus dem durch die Wanderarbeiter zu den Haushaltungskosten gezahlten Beiträgen oder der geleisteten Wirtschafts- oder Hausarbeit". Wichtig war auch, daß die doppelte Erhebung von Einkommensteuer aus dem Grundbesitz und Gewerbebetrieb beseitigt wurde (§ 3). Infolgedessen brauchte z. B. ein Ziegelmeister stets nur einmal aus einem Arbeitsverdienst Steuern zu bezahlen, selbst wenn er hier und da als selbständiger Gewerbetreibender angesehen wurde und aus diesem Grunde auch am Orte seiner beruflichen Tätigkeit steuerpflichtig wäre; es fiel dann dafür die Steuer in Lippe fort. Sodann war im neuen Gesetz (§ 2, Abs. 2) ausdrücklich betont, daß die staatliche Einkommensteuer auch nur einmal zu entrichten sei, wenn wirklich zwei Wohnsitze vorlägen; die Steuer war dann stets im Heimatstaate fällig. Endlich waren noch die Bestimmungen von großer Bedeutung, wonach bei trotz des Gesetzes vorkommenden doppelten Staatssteuerveranlagungen auf Antrag Stundung der Steuer bis zur endgültigen Entscheidung über das Maß und das Recht der Besteuerung zu gewähren war (§ 4), und die Fristen zur Einreichung von Beschwerden bei vorgekommenen Doppelbesteuerungen erheblich verlängert wurden (§ 6). Obwohl nach dem Gesetz vom 22. März 1909 die staatliche Doppelbesteuerung in Deutschland so ziemlich als beseitigt gelten durfte, so drückten doch die doppelten Gemeindesteuern noch ganz erheblich, namentlich in den Staaten, die Wegebau und Schullasten den einzelnen Gemeinden allein aufbürdeten, und in denen die Kommunalsteuern manchmal mehr als doppelt so hoch waren wie Staatssteuern. Gerade Lippe hatte aber an der Beseiti- — 331 — gung dieser Steuern unter allen Bundesstaaten das meiste Interesse, weil einmal der Hauptteil der erwerbstätigen Bevölkerung aus Wanderarbeitern bestand, sodann aber bei dem Fehlen größerer Industrien eine Zuwanderung von Arbeitern nicht stattfand. Lippe mußte daher in dieser Beziehung vorangehen und zunächst selbst bestehende Härten zu mildern suchen. Es hat hiermit den Anfang gemacht durch das Gesetz betr. die Gemeinde-Doppelbesteuerung der Wanderarbeiter vom 13. Dezember 1909, auf Grund dessen die Wanderarbeiter einen Teil der am Arbeitsorte für die Zeit ihres Aufenthaltes entrichteten Gemeindeeinkommensteuer in Lippe zurückerhielten. Gesetz, betreffend die Gemeindedoppelbesteuerung der Wanderarbeiter vom 13. Dezember 1909. § l. Deutsche Reichsangehörige, welche in Lippe ihren Wohnsitz haben, sich aber zur Erzielung von Arbeitsverdienst wenigstens fünf Monate im Steuerjahr außerhalb dieser Wohnsitzgemeinde aufhalten und für diese Zeit an ihrem Arbeitsorte zur Gemeinde- einkommensteuer herangezogen werden, haben ihrer lippischen Wohnsitzgemeinde (Stadtgemeinde, Amtsgemeinde, Dorfgemeinde) gegenüber Anspruch auf Vergütung eines Teiles der an diese Wohnsitzgemeinde für das nämliche Steuerjahr zu entrichtende Gemeindeeinkommensteuer. Der zu vergütende Teil beträgt bei den Stufen 1—4 des Anhangs zum Einkommensteuergesetze vom 28. August 1894: 40 vom Hundert, bei den Stufen 5—8: 30 vom Hundert, bei den höheren Stufen 20 vom Hundert der veranlagten Gemeindeeinkommensteuer 1 ). Sollte in einer Dorfgemeinde die Summe aller nach diesem Gesetz zu vergütenden Beträge den Gesamtbetrag eines Einzelsatzes Einkommensteuer übersteigen, so wird auf Antrag des Gemeindeausschusses die den Betrag des Einheitssatzes übersteigende Summe auf die Landkasse übernommen. § 2. Die Vergütung erfolgt auf Antrag der aus § 1 Berechtigten oder ihrer gesetzlichen Vertreter. Der Antrag ist bei Meidung des Ver- 1 ) Nach dem neuen Gesetze vom 12. Juni 1912 betrugen die Entschädigungen bei einem Einkommen von 500— 700 M. 40 % 700—1100 „ 30 % über 1100 „ 20 % i — 332 — lustes des Vergütungsanspruches bis zum 31. Januar des laufenden Steuerjahres beim Verwaltungsamt oder Magistrat oder beim Bauerrichter anzubringen. Dem Antrage sind die zum Nachweise des Anspruchs erforderlichen Unterlagen beizufügen. § 3. Die Staatsregierung ist ermächtigt, zur Vermeidung von Doppelbesteuerung bei Heranziehung zu direkten Kommunalsteuern in Lippe und in einem anderen Bundesstaate Vereinbarungen zu treffen, durch welche die Steuerpflicht unter Wahrung des Grundsatzes der Gegenseitigkeit auch abweichend von den in Lippe geltenden Vorschriften geregelt wird. Ein weiterer Schritt zur Besserung war dann endlich in der am 1. April 1913 in Kraft getretenen „Vereinbarung zur Vermeidung von Doppelbesteuerungen der Wanderarbeiter bei Heranziehung zu direkten Kommunalsteuern im Königreich Preußen und im Fürstentum Lippe" zu erblicken. Hiernach durften die betr. Personen von der Aufenthaltsgemeinde zur Gemeindeeinkommensteuer nur mit der Hälfte des Steuersatzes herangezogen werden, zu dem sie veranlagt waren, wenn sie eine Bescheinigung ihrer Heimatsbehörde darüber beibrachten, daß sie an ihrem Wohnsitze Familienangehörige zurückgelassen hatten, zu deren Unterhalt sie in Erfüllung ihrer gesetzlichen Pflicht beitrugen. Waren so im Laufe der Jahre durch gesetzliche Maßnahmen steuerliche Härten der Wanderarbeiter gemildert und beseitigt, so kam noch hinzu, daß durch die Bemühungen des Gewerkvereins in Verbindung mit denen einzelner einflußreicher Parlamentarier auch in steuertechnischer Hinsicht die eigenartigen Verhältnisse der Wanderarbeiter Berücksichtigung fanden. Ursprünglich durfte bei der Veranlagung zur Einkommensteuer in Lippe für den doppelten Haushalt kein Abzug gemacht werden; doch schon einige Jahre vor dem Kriege war ein Betrag von Mk. 50.— dafür abzugsfähig, der dann 1919 von der Regierung auf Mk. 800.— erhöht wurde 1 ). Durch die neue reichsgesetzliche Regelung der Besteuerung wird zwar das Einkommen der Ziegler auch stark belastet, doch darf nicht verkannt werden, daß ge- *) Gut Brand Nr. 5 v. 30. 4. 1919. — 333 — rade die für die Ziegler in erster Linie in Frage kommenden Reichs-Einkommensteuergesetze zahlreiche Bestimmungen mit sozialem Einschlag enthalten, die auch für Wanderarbeiter von Bedeutung waren. Für die Ziegler besonders wichtig war die unter dem 4. Mai 1920 auf ein Schreiben des Gewerkvereins erteilte Antwort des Reichsfinanzministers, wonach die durch Führung des doppelten Haushaltes entstandenen Ausgaben der Wanderarbeiter als Werbungskosten im Sinne des § 13 des damaligen Gesetzes bei der Veranlagung zur Einkommensteuer abgezogen werden konnten 1 ). Von einer besonderen Berücksichtigung des doppelten Haushaltes beim steuerlichen Lohnabzug ist uns jedoch nichts bekanntgeworden. Auf die Bedeutung der Wanderarbeiter für den Finanzausgleich ist in § 42 näher eingegangen. § 36. Die Vermögensverhältnisse. Um über die Vermögensverhältnisse der Ziegler ein einigermaßen zutreffendes Bild zu gewinnen, bedarf es solcher Zusammenstellungen, die, auf der Wirklichkeit fußend, als typisch bezeichnet werden können. Zu dem Zwecke wurde folgendes Material als Unterlage benutzt: 1. Die Eintragungen im Grundbuche über Größe und Wert des Grundbesitzes und Wert der Gebäude; 2. verschiedene Feuerversicherungen über häusliches Mobiliar und andere bewegliche Sachen; 3. Sparkassenbücher und Mitteilungen von Sparkassenbeamten, letztere natürlich ohne Nennung der Namen. Sämtliche Angaben entstammen der Vorkriegszeit, die uns wertvoller erscheinen, als die heutigen Werte. Berücksichtigt sind in folgendem die Vermögensverhältnisse 1. eines Ziegelmeisters mit Grundbesitz, 2. eines Zieglers mit Grundbesitz, 3. eines Einliegers ohne Grundbesitz. Die Grundbesitz- und Wohnungsverhältnisse im allgemeinen waren schon in den betreffenden Paragraphen genügend geschildert, hier handelt es sich lediglich um *) Gut Brand Nr. 8 und 10 von 1920. — 334 — die Wertangabe einzelner Besitzungen, über die uns folgende Tabelle Aufschluß gibt: Größe Wert des Wert der Wert der Ort Bodens Gebäude gz. Besitzung ha M. M. M. 1. Barntrup . . 1,2619 HQAtZ oy4o.— snfin ÖUUU.— 1304^ loy-to.— 2. Lage . . . 0,0799 fidy/.— 43nn — fifiQ7_ uuy/.— 3. Schwalenberg 4,18 137fl 5 lO 1 \JiJ.—' ] 1800._ 25505_ &\J\J VJ\J • 4. Cappel . . . 0,3434 1715.— 8100.— 9815.— 5. Brake . . . 0,2964 2070.— 6900.— 8970.— 6. Lieme . . . 0,5207 3120.— 6800.— 9920.— 7. Haustenbeck . 0,5273 1266.— 5000.— 6266.— 8. Heiligenkirchen 0,2801 2100.— 6000.— 8100.— 9. Almena . . . 0,1856 1206.— 5900.— 7106.— 10. Hohenhausen. 0,3261 2120.— 6700.— 8820.— 11. Meinberg . . 0,3094 3720.— 7700.— 11420.— 12. Schlangen . . 0,7001 2471.— 7700.— 10171.— 13. Augustdorf 5,1501 3104.— 5860.— 8964.— 14. Hörste . . . 0,4291 2124 — 5400 — 7524.— 15. Heiden . . . 0,2124 1804.— 8200.— 10004.— 16. Schötmar! . . 0,4815 5208.— 5800.— 11008.— 17. Reelkirchen . 0,1410 608.— 4300.— 4908.— 18. Rischenau 0,1072 744.— 7600.— 8344.— Es sind die verschiedensten Bezirke berücksichtigt, damit den Bodenqualitäten und den örtlichen Verhältnissen entsprochen wurde. Die Preisunterschiede, z. B. in der Bewertung des Bodens zwischen 13 und 16, werden nur verständlich, wenn man weiß, daß die Besitzung von Augustdorf zu etwa % aus Heideboden besteht, und daß auch das Ackerland hier minderwertig ist, während Schötmar sehr guten Boden hat und dazu an der Bahn in der Nähe Salzuflens liegt. Im einzelnen zeigt uns folgende Zusammenstellung die Vermögensverhältnisse. eines eines Zieglers eines Einliegers Ziegelmeisters mit Grundbesitz ohne Grundbesitz 1. Grund und Boden. . 4550.— 2506.— — 2. Gebäude..... 7700.— 5100.— 3. Möbel...... 1900.— 1200.— 4. Betten, Wäsche, Kleidg. 2500.— 1800.— 5. Uhren, Schmucksachen 120.— 80.— 6. Glassachen, Porzellan 200.— 180.— 645.- 1200.- 35.- 50.- Übertrag: 16970.- 10866.- 1930.— — 335 — eines eines Zieglers eines Einlegers Ziegelmeisters mit Grundbesitz ohne Grundbesitz Übertrag: 16 970.— 10 866.— 1 930.— 7. Bilder, Spiegel . . . 55.— 46.— 18.— 8 Bücher . 30.— 30.— 10._ 9. Vorräte f. d. Haush. 600.— 350.— 185.— 10. Heizmaterial . . . . 40.— 25.— — 11. Arbeitsgerät . . . . 90.— 30.— 20.— 12. Viehfutter und Ernte- frii pfiff» 160._ 125._ 65._ 13. Vieh: 1 Kuh...... 360.— 1 Ziege...... 25.— 55.— 60.— 2 Schweine .... 200.— 220.— 1 Schwein . . . . 100.— 14. Sparkassenguthaben . 6 360.— 2 450.— 980.— 24 890.— 14 197.— 3368.— 15. Hypotheken . . . . 2 300.— 2 700.— 22 590.— 11 497.— 3368.— § 37. Die Organisationsbestrebungen der lippischen Ziegler. I. Entwicklung bis zur Gründung des Gewerkvereins. a) Wenn wir die Organisationsbestrebungen der lippischen Zieglerschaft rückblickend verfolgen, so erkennen wir, daß sie bis zu jenen verworrenen Zuständen der 70er und 80er Jahre zurückgehen, da die bedenkliche Zunahme der unqualifizierte« und pekuniär unsicheren Meister das alte Vertrauen in die Tüchtigkeit, Solidität und Leistungsfähigkeit der Lipper im In- und Auslande zu erschüttern drohte. Die in den ersten Jahren nach dem deutsch-französischen Kriege erheblich gesteigerten Preise sanken bald von ihrer Höhe herab, und eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen trat als natürliche Folge der schrankenlosen Konkurrenz im Zieglergewerbe ein. In dieser Zeit des wirtschaftlichen Niedergangs der Ziegelindustrie erkannte man die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit einer berufsgenossenschaftlichen Vereinigung, und eine sehr große Zahl der Ziegler, welche t — 336 — der Aufhebung des Zieglergewerbegesetzes von 1851 zugejubelt hatten, sehnte sich jetzt nach Wiederherstellung der alten staatlichen Zieglerzunft. Um wenigstens die hauptsächlichsten Bestimmungen jenes Gesetzes, namentlich die über Stellenvermittlung, Qualifikation der Meister, Kranken- und Sterbekassen, wieder einzuführen, traten 1874 unter Leitung der früheren Agenten Schütz und Hanke viele Ziegelmeister und Ziegler zu einer Beratung in Lage zusammen, wo die Bildung eines gemeinschaftlichen Hauptvereins und je eines Zweigvereins für die Geschäftsbezirke der beiden Agenten beschlossen wurde 1 ). Die Statuten, welche das Gesetz von 1851 zur Grundlage hatten, genehmigte die Regierung und erteilte der unter dem Namen ,,L i p p i s c h e r Ziegler-Verein" gebildeten Organisation Korporationsrechte 2 ). Als Aufgabe stellte sich der Verein „die gemeinsame Förderung und Wahrung der gemeinsamen Interessen und bessere Betreibung und Regelung des Zieglergewerbes, insbesondere auch zur Stiftung einer Unterstützungskasse". Dieser Verein scheint sich günstig entwickelt zu haben, denn im Jahre 1885 wird die Zahl der Mitglieder auf ca. 7000 angegeben 3 ). Außerdem bestanden noch folgende kleinere Zieglervereine 4 ): Verein des früheren Nebenbolen Siekmann in Lage .... mit ca. 800 Mitgliedern Verein des Gastwirts Rosemeier in Lage......, „ 200 Verein des Kaufmanns Alberti in Lage 150 Verein des Gastwirts Frohne in Schötmar ...... 150 Verein d. Handelsmannes Moses Lebach in Schwalenberg . . 150 *) R.R. Fach 145, Nr. 14. 2 ) 19. Mai 1875. 3 ) Bericht vom 15. März 1885. 4 ) Ebenda. — 337 — Erwähnt werden muß in diesem Zusammenhange auch der im Jahre 1880 gebildete „Verein von Ziegelmeistern" des früheren 1. Agenturbezirks, dessen Bestand aber nur von kurzer Dauer war. b) Alle diese Vereine litten an dem Mangel, daß sie entweder von Ziegelagenten gegründet waren, unter deren Leitung standen und infolgedessen durch sie einseitig beeinflußt wurden, oder Kaufleute und Gastwirte zu Gründern und Leitern hatten, die natürlich mehr ihr eigenes, als das Interesse der Ziegler zu wahren suchten. Diese Mißstände in der Organisation führten dazu, daß 1884 aus der Mitte der lippischen Zieglerschaft eine Petition betr. Abänderung der Reichsgewerbeordnung und des Reichskrankenkassengesetzes an den Bundesrat gesandt wurde 1 ), um auf diese Weise eine Reorganisation der gewerblichen Verhältnisse der lippischen Ziegelarbeiter auf der Grundlage des Gesetzes von 1851 und insbesondere die Errichtung einer allgemeinen Krankenkasse zu ermöglichen. Der lippischen Regierung wurde ein Abdruck der Petition nebst einer Abschrift der Petitionsbegründung mit de 1 r Bitte um Befürwortung und Unterstützung überreicht. Der Inhalt der Petition lautete: 1. „es der hiesigen Landesgesetzgebung zu überlassen, die gewerblichen Verhältnisse der lippischen Ziegelarbeiter auf der durch das frühere Gesetz vom Jahre 1851 gegebenen Grundlage von neuem zu ordnen, 2. eine Abänderung des Reichsgesetzes über die Krankenversicherung der Arbeiter zu erstreben, wonach es der hiesigen Landesgesetzgebung gestattet werden solle, die Errichtung einer allgemeinen Ziegler- Krankenkasse, welche alle Ziegler des Landes umfasse, unter Aufsicht Fürstl. Regierung stehe und im übrigen den Bestimmungen des betr. Reichsgesetzes entsprechen würde, in die Wege zu leiten". *) R.R. Fach 145, Nr. 14. Fleege-Althoff, Wanderarbeiter 22 Zwar blieb diese Petition erfolglos, doch gab sie die Veranlassung zu einer eingehenden Untersuchung über die Mißstände in der lippischen Zieglerschaft. c) Die bereits erwähnten Zieglervereine blieben bestehen. Eine Vereinigung sämtlicher Vereine in Lippe zu einem geschlossenen Verbände kam nicht zustande. Diesem Ideal strebte man seit Mitte der 80er Jahre zu, indem man im Nordosten des Landes anfing, zunächst Orts- zieglervereine zu gründen, die sich sämtlich gegen das frühere Agentenwesen richteten und die Erhaltung und Förderung des Zieglergewerbes als Hauptaufgabe ansahen. Der erste dieser Vereine bildete sich 1885 in Alverdissen, dessen Beispiele bald die Ziegler in allen größeren Orten des Landes folgten. Sobald sich die Ortsvereine über das ganze Land verbreitet hatten, beabsichtigten die Gründer Bundes- und Delegierten-Versammlungen einzuberufen, um auf diese Weise die Einigung zustande zu bringen. Zwar haben sich die Vereine in zufriedenstellender Weise entwickelt, ihre Zentralisation. ist aber nicht gelungen 1 ). Im Jahre 1909 gab es in Lippe 28 solcher Orts-Zieglervereine, mit zusammen 2148 Mitgliedern. In allen Statuten kehrt als Zweck des Vereins wieder „die Wahrung und Förderung des Ziegler-Gewerbes, die Pflege der Kameradschaft und Zusammengehörigkeit des Standes und Berufes und die Unterstützung hilfsbedürftiger Kollegen". Diesen Vereinen, die noch heute zum größten Teil bestehen, ist es weniger darum zu tun, für das Wohl der gesamten Zieglerschaft zu wirken, als vielmehr im Winter Gelegenheit zu geselligen Zusammenkünften — Versammlungen und Bällen — zu geben. Nur ganz wenige unter ihnen betreiben energisch die Vertiefung und Hebung der geistigen Bildung durch Vorträge, sowie die Stärkung und Förderung des Zusammengehörigkeitsgefühls. Es sind eben nur Verbindungen von lokaler Bedeutung, wenn man nicht gar sagen will Ball- und Vergnügungsvereine. *) Nach Staercke, Die lippischen Ziegler, S. 40 u. 41. — 339 II. Der Gewerkverein der Ziegler. a) Gründung und Entwicklung. 1. Ein neuer Versuch zur Gesamtorganisation der Ziegler wurde im Jahre 1895 gemacht. Die Anregung hierzu gab der in der lippischen Zieglerschaft allbekannte und für die Hebung des Zieglerstandes hochverdiente Pastor Zeiß. Nachdem in den Zeitungen und Lokalblättern der Plan eines allgemeinen Zusammenschlusses lang und breit besprochen war, fand am 11. Dezember 1895 *) eine große, aus allen Teilen Lippes stark besuchte Zieglerversammlung in Lage statt, in der mit großer Begeisterung die Gründung des „Gewerkvereins der Ziegler in Lippe" beschlossen wurde. In der am 9. Januar 1896 einberufenen ersten Generalversammlung setzte man die Statuten fest und vollzog die Vorstandswahlen. Die anfängliche Entwicklung gab zu den schönsten Hoffnungen Anlaß, zählte der Verein doch bereits am 10. März 1896 in 35 Bezirksvereinen ca. 2500 Mitglieder 18 Febr. 1897 „ 63 Jan. 1898 „ 71 1899 1900 1901 1902 1904 1905 77 79 36 3500 2623 3112 3180 3560 3705 1946 2100 2. Der Gewerkverein stellte eine Vereinigung von Meistern und Gesellen dar, indem er von dem Gedanken ausging, daß das Zieglergewerbe nur dann gedeihen könne, wenn beide zusammenhielten. Er suchte für Erhaltung eines guten Verhältnisses zwischen Meistern J ) Vereinsbericht des Gewerkvereins der Ziegler in Lippe über 1897. 3 ) Der plötzliche Rückgang erklärt sich daraus, daß nur noch zahlende Mitglieder aufgeführt und die nur auf dem Papier stehenden ausgeschieden wurden. 3 ) Durch die notwendig gewordene Erhöhung des jährlichen Mitgliedsbeitrages von 1.20 M. auf 2.40 M. traten viele Einzelmitglieder und Bezirksvereine aus. *) Sämtliche Zahlen entstammen den Berichten des Gewerkvereins über die einzelnen Jahre. 22* — 340 — und Gesellen zu wirken und bekämpfte zu dem Zwecke alle Ungerechtigkeiten und Ungesetzlichkeiten in bezug auf Abrechnung, Kommunerechnung und dergl. Er wollte Klarheit, Gerechtigkeit und Gesetzmäßigkeit im Verhältnis der Meister und Gesellen vertreten, um dadurch gegenseitigem Mißtrauen und ungerechten Klagen vorzubeugen. Indem er von dem Prinzip ausging „Jedem das Seine", gelang es ihm, Meister und Gesellen zu gemeinsamem Wirken zusammenzuhalten 1 ). Daß beide Gruppen von Zieglern zunächst vereinigt waren, lag besonders auch an dem damals noch weit verbreiteten „Annehmersystem", das den Meister nicht so sehr herausstellte, wie in neuerer Zeit. Die Organisation beschränkte sich nicht allein auf Lippe, sondern nahm auch andere deutsche Ziegler auf. Als Ziel schwebte dem Verein ein großer deutscher Zieg- ler-Gewerk-Verband vor. Zu diesem Zweck wurde von Anfang an agitiert, wodurch bald in manchen andern deutschen Gebieten Bezirksvereine gegründet wurden, die sich dem Gewerk-Verein der Ziegler in Lippe anschlössen. Im Jahre 1900 z. B. bestanden bereits folgende außerlippische Vereine: Hessen-Thüringischer Landesverband mit 10 Bezirksvereinen und...... 360 Mitgliedern 1 Bezirksverein in Westfalen mit ... 40 „ 2 Bezirksvereine in Oldenburg mit ... 42 „ 2 Bezirksvereine in Westpreußen mit . . 59 Landesverband Maingau mit..... 184 „ 3. Doch nur zu bald sollten ernste Krisen den jungen Verband in seiner Entwicklung hemmen. Bereits 1903 hatten außerlippische Mitglieder die Streichung der lippischen Benennung des Vereins beantragt. Im Jahre 1904 wurde dem Antrage stattgegeben, indem von nun ab der Name „Gewerkverein Deutscher Ziegler" üblich war, der aber schon nach 2 Jahren wieder in die alte Bezeichnung umgeändert wurde, als nämlich der Gewerkverein aus dem Verbände christlicher Gewerkschaften *) Vereinsbericht über 1898. — 341 — Deutschlands, dem er seit seiner Gründung angehörte, am 16. Dezember 1905 austrat. Der Gewerkverein hatte sich dem Gesamtverbande angeschlossen, um nach Kräften an der sich erfolgreich entwickelnden nationalen Arbeiterbewegung mitzuhelfen. Als nun aber der Vorstand der christlichen Gewerkschaften Deutschlands die Umwandlung des Gewerkvereins in eine reine Gesellenorganisation unter Ausschluß aller Meister als unbedingt notwendig hinstellte und eine Erhöhung der jährlichen Beiträge auf das vierfache, nämlich 10 Mk., wünschte, da hielt es der Zentralvorstand deutscher Ziegler für zweckmäßig, das Verhältnis mit dem Gesamtverbande zu lösen. Nicht „grundsätzliche, noch weniger konfessionelle Gründe" bildeten den Anlaß zum Austritt, sondern nur die eben genannten Forderungen. In der Begründung heißt es dann weiter: „Die lippischen Meister und Ziegler haben ungeheuer viel gemeinsame Interessen. Seit Jahrhunderten haben sie zusammen gearbeitet, mit den Meistern haben sich die lippischen Ziegler eine maßgebende, einflußreiche Stellung im Zieglergewerbe errungen. Diese Stellung würden wir verlieren, wenn sich beide Kategorien trennen. Eine Beitragserhöhung ist aus Gründen, die erprobt sind, nicht möglich, wenn wir nicht sehr viele Mitglieder verlieren wollen. Wir geben aber gerne zu, daß die Verhältnisse der außerlippischen Ziegler anders geartet sind, weshalb wir auch der Ansicht sind, daß die lippischen Ziegler am besten in einem Lokal- bzw. Landesverband, die außerlippischen Kollegen in einem Zentralverband organisiert werden. Selbstverständlich werden wir aber, ohne Mitglied des Gesamtverbandes zu sein, auch in Zukunft an dem Ausbau der christlichnationalen Arbeiterbewegung mithelfen, uns immerdar als Glieder der deutschen Arbeiterbewegung fühlen und mit den Kollegen da draußen, wo es angängig ist, für eine soziale Besserstellung des Arbeiterstandes arbeiten" 1 ). Inzwischen hatte sich der Zentralverband christlicher 1 ) Schreiben des Gewerkvereins Deutscher Ziegler an den Gesamtausschuß der christlichen Gewerkschaften Deutschlands vom 16. Dezember 1905. — 342 — Keramarbeiter gebildet, der nun anfing, gegen den Gewerkverein zu agitieren, um die Gegensätze zwischen Meister und Gesellen zu verschärfen. Der Kampf, der manchmal in gehässiger und schmutziger Weise geführt wurde, mußte notwendigerweise für die gesamte Zieglerorganisation nachteilig und gefahrbringend wirken. Doch fachte er andererseits das Interesse, namentlich der lippischen Ziegler, für den Gewerkverein an. Ziegler und Meister strebten innerhalb des Vereins in Gemeinschaft mit den alten Gründern und den Gewerkschaftsfreunden für die Ausbreitung des Vereins und seiner Grundsätze, so daß in dem Geschäftsberichte über 1907 bemerkt werden konnte: „Die Gegner unserer Bestrebungen haben ihre hemmenden Einflüsse völlig eingebüßt; das Fortbestehen unserer Vereinigung ist nicht nur aufs beste gewährleistet, es gilt auch heute schon als sicher, daß sie als einzige reine Zieglerorganisation berufen sein wird, bahnbrechend und führend auf dem Gebiete sozialer Kämpfe und Reorganisation zu wirken. Innerhalb Lippes stoßen wir kaum noch auf merkliche Spuren der Tätigkeit des Keramarbeiterverbandes. In allen Orten sind unsere Kollegen zu der Überzeugung gekommen, daß nur eine reine Berufsorganisation, aufgebaut auf Bestrebungen nach Frieden und Einigkeit, auf das Zusammengehen der Meister und Gesellen, ihren Interessen erfolgreich dienen kann. Nur in wenigen Orten des äußersten Ostens unseres Landes findet man noch Spuren der zersetzenden Tätigkeit der Devise: Kampf der Gesellen gegen die Meister". So rosig, wie hier die Stellung des Gewerkvereins geschildert wird, war sie nun allerdings nicht. Die Forderung, Trennung von Meistern und Gesellen, war doch nicht ohne Wirkung gewesen. Schon früher waren innerhalb des Verbandes besondere Meister- und Gesellenausschüsse gebildet worden, welche die Sonderinteressen der beiden Kategorien vertreten sollten. Immer brennender wurde nun die Trennungsfrage. Sie bildete den Kernpunkt fast jeder Generalversammlung, dies umsomehr, als dem Verein in dem „Zentralverbände Deutscher Ziegelmeister" ein neuer Gegner entstanden war, der die Kluft zwischen Meister und Gesellen naturgemäß vergrößern mußte. In den ersten Jahren konnte ein Meister beiden Organisationen angehören, was nach einem Beschlüsse des Meisterverbandes vom 1. Oktober 1911 nicht mehr möglich war. Lehnte noch die Generalversammlung des Gewerkvereins am 25. Februar 1911 mit überwältigender Mehrheit einen Antrag auf Trennung von Meistern und Gesellen ab, so wurde 1913 bei der Statutenänderung stillschweigend das Prinzip der Gesellenorganisation anerkannt. Bei derselben Gelegenheit wurde eine abermalige Namensänderung in „Gewerkverein der Ziegler" {Sitz Lage in Lippe) vorgenommen. 4. Es waren schwere Jahre, die der Gewerkverein von 1906 an durchzumachen hatte. Doch schienen seit 1909 wieder günstigere Zeiten für ihn einzutreten. Da aber fiel in diese erfreuliche Entwicklung wie ein Reif der politische Ehrgeiz verschiedener Mitglieder des Gewerkvereins, der „für diesen in der Hinsicht verhängnisvoll werden sollte, indem, gewerkschaftlich betrachtet, der Verein zurückging und in jene Krise verwickelt wurde, die alle Freunde des Zieglerstandes so schmerzlich berührte". Wenn erst politische Treibereien in einer Gewerkschaftsbewegung Platz greifen und aus politischen Meinungsverschiedenheiten der Führer persönliche Feindschaften entstehen, da ist es in der Regel mit einer günstigen Entwicklung vorbei, da pflegt die Allgemeinheit — hief war es der Gewerkverein — die nachteiligen Folgen zu tragen. Eine ausführliche Darstellung des politischen Kampfes gehört nicht an diesen Ort 1 ). Erst als 1912 ein anderer Geschäftsführer gewählt war, traten wieder ruhige Zustände ein, und von da ab hat der neue Aufstieg des Vereins begonnen. *) Ausführliches in Lippische Tageszeitung und Lippische Landeszeitung mit den Beilagen „Ziegelmeister-Zeitung" und „Gut Brand" der Jahre 1910—1912. — 344 — In den kritischen Zeiten hat man niemals die Mitgliederzahl genau angegeben, der Jahresbericht über 1913 weist 2920 Personen auf, der von 1914: 3022. 5. Während des Krieges ruhte das gewerkschaftliche Leben fast ganz, und die Mitgliederzahl des Vereins sank auf ca. 1000 in Jahre 1918. Sofort aber nach der Rückkehr der Krieger in die Heimat begannen die Führer des Gewerkvereins für das Wohl der schwer geschädigten Ziegler zu sorgen, und bald waren die Arbeiten soweit fortgeschritten, daß nach 5 Jahren, im Februar 1919, die erste Generalversammlung wieder stattfinden konnte. Von besonderer Wichtigkeit war, daß der Gewerkverein seine Basis durch Anschluß an den „Christlichen Keram- und Steinarbeiterverband" vergrößerte, mit dem er fortan eine Interessen- und Kassengemeinschaft bildete. Dadurch wurde die Änderung des Namens in „Gewerkverein deutscher Ziegler" nötig. Die Verbindung erfolgte lediglich, um bei den im Jahre 1919 bevorstehenden Tarifabschlüssen überall die nötige Stoßkraft zu besitzen. Im Laufe des Sommers" zeigte sich, daß auch diese Organisation für die Vertretung der Berufsinteressen nicht ausreichte, weil es nicht möglich war, überall in Deutschland die erforderlichen Beamtenstellen zur Sicherung der Zieg- lerinteressen einzurichten. Es erfolgte daher im Oktober 1919 die Verschmelzung mit dem ,,Zentral- verbande christlicher Fabrik- und Transportarbeiter" zu einem Industrieverbande in der Weise, daß innerhalb dieses Verbandes folgende Berufsgruppen gebildet wurden: 1. Berufsverband Deutscher Keramarbeiter, Sitz Berlin, 2. „ „ Steinarbeiter, „ „ 3. „ „ Glasarbeiter, „ „ 4. Gewerkverein „ Ziegler, „ Lage i. L. Durch diese Neugruppierung wurden alle bisher zerstreut in den früheren Verbänden stehenden Ziegler in ihren Berufsverband aufgenommen, so daß die Mitglieder- zahl des Gewerkvereins gleich im Herbst 1919 auf 860O und durch die von da ab überall in deutschen Gauen einsetzende Werbearbeit auf über 20 000 im Sommer 1920 stieg. Durch den Gesamtverband christlicher Gewerkschaften, dessen Mitglied der Gewerkverein der Ziegler ist, wird er auch im deutschen Gewerkschaftsbunde vertreten. 6. Wir wollen nicht unterlassen, auch ganz kurz hier der Krisenmonate Januar und Februar 1926 zu gedenken, in denen die schon länger hinter den Kulissen sich abspielenden heftigen Organisationskämpfe 1 ) zwischen der langjährigen Geschäftsführung des Gewerkvereins Deutscher Ziegler und dem Zentralverbande christlicher Fabrik- und Transportarbeiter an die Öffentlichkeit drangen und' zur Entscheidung führten. Den äußeren Anlaß gab die Weigerung der Geschäftsführer des Gewerkvereins, den Beschluß des Zentralverbandes auf Verlegung der Hauptgeschäftsstelle des Gewerkvereins von Lage nach Berlin durchzuführen. Sie wurden deswegen ihres Amtes enthoben 2 ) und traten dann gegen den Gewerkverein auf, indem sie einen besonderen „Verband Deutscher Ziegler" gründeten, der sich schon bald dem freigewerkschaftlichen Fabrikarbeiterverbande Deutschlands anschloß. Wieweit diese Kämpfe für den Gewerkverein von Schaden und dem Fabrikarbeiterverbande nützlich gewesen sind, läßt sich jetzt noch nicht sagen. Doch scheint es, nach Zeitungsberichten zu urteilen, als wenn namentlich der letzte Verband Vorteile aus den Zwistigkeiten gezogen hätte. b) Organisation und Bedeutung. 1. Wenden wir uns jetzt der inneren Organisation und Tätigkeit des Gewerkvereins zu. Bestand er noch bis vor dem Kriege aus Meistern und Gesellen, so darf *) Vergl. die lippische Tagespresse, z. B. Volksblatt, Tageszeitung, Landeszeitung vom Januar und Februar 1926. ") Die Rechtmäßigkeit dieser Amtsenthebung wurde von den Geschäftsführern bestritten und angefochten, doch ohne Erfolg. — 346 — er heute wohl als reine Gesellenorganisation angesprochen werden. Der geschäftliche Mittelpunkt befindet sich seit 1926 in Berlin. Der Gesamtverein, dessen Geltungsgebiet sich über das ganze Deutsche Reich erstreckt, hat Verwaltungsstellen in den Verbandsgauen, deren es in Deutschland 11 gibt. Jeder Gau hat Bezirksstellen und in Orten mit mindestens 10 Mitgliedern Ortsgruppen. An der Spitze eines jeden Gaues steht ein Gauleiter, dem insbesondere folgende Aufgaben obliegen: 1. Die Entfaltung einer eifrigen und geregelten Werbearbeit; 2. Ausbau und Beaufsichtigung der Ortsgruppen; 3. Einleitung und Durchführung von Lohnbewegungen, sowie Abschluß von Tarifverträgen. Die Arbeit der Ortsgruppen erstreckt sich hauptsächlich auf eine geordnete Kassenführung mit den Mitgliedern und der Gau- und Zentralkasse. So hat der Gewerkverein endlich das ihm schon in früheren Jahren vorschwebende Ziel erreicht, sein Geschäftsgebiet netzförmig über ganz Deutschland zu verbreiten. Der Verein will auf „christlicher und gesetzlicher Grundlage die wirtschaftliche Lage der Mitglieder verbessern und ihre gewerbliche und geistige Bildung fördern; er erstrebt die gleichberechtigte Mitarbeit der Arbeiterschaft im Wirtschaftsleben und Produktionsprozeß und ein einheitliches fortschrittliches Arbeiterrecht, den organischen Auf- und Ausbau der sozialen Versiche- rungs- und Arbeiterschutzgesetzgebung sowie die entscheidende Mitwirkung der Arbeiter bei der Durchführung dieser Gesetze" 1 ). Er achtet die „religiöse und parteipolitische Überzeugung seiner Mitglieder. Religiöse und parteipolitische Fragen dürfen im Verbände nicht erörtert werden" 2 ). *) § 1, 2 der Satzung. 2 ) § 1, 4 der Satzung. — 347 — Mittel zur 1 Erreichung des Verbandszweckes sind 1 ): a) Statistische Erhebungen; b) Herbeiführung und Aufrechterhaltung guter Lohn- und Arbeitsverhältnisse unter möglichster Wahrung eines friedlichen Ausgleichs zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern; c) Rechtsschutz und Raterteilung in; Fragen des Arbeitsverhältnisses ; d) Unterstützung der Mitglieder nach den in den Satzungen niedergelegten Bestimmungen; e) Herausgabe von Verbandszeitungen, Veranstaltung von Vorträgen und Versammlungen, Errichtung von Büchereien und Verbreitung geeigneter Schriften. Mitglieder können alle im Zieglergewerbe beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen werden, wenn sie die Grundsätze der christlichen Gewerkschaftsbewegung anerkennen 2 ). An Beiträgen sind zu entrichten: 1. eine von der Verwaltungsstelle festgesetzte Aufnahmegebühr; 2. Wochenbeiträge, die die Höhe eines Stundenlohnes betragen sollen und durch Markenkleben in jährlich mindestens 40 Wochen zu leisten sind; sie betragen nach neueren Feststellungen bei einem Wochenverdienste bis RM. 8.— 20 Pfg. und steigen bei Abstufungen von RM. 4.— des Wochenverdienstes um je 10 Pfg., bis zum Höchstsatze von RM. 2.—. Der Verband gewährt seinen Mitgliedern Unterstützung 3 ) a) bei Erwerbsunfähigkeit durch Krankheit und Erwerbslosigkeit ; b) wenn verheiratete Mitglieder durch unverschuldete Arbeitslosigkeit gezwungen sind, nach einem anderen Arbeits- und Wohnort überzusiedeln; x ) § 1, 3 der Satzung. 2 ) § 2, 1 der Satzung. 3 ) § 10 der Satzung. — .348 — c) bei wichtigen Reisen; d) bei allen von der Verbandsleitung bewilligten Streiks; e) bei allen Maßregelungen und Aussperrungen; f) weiblichen Mitgliedern eine Beihilfe zur Aussteuer oder Versorgung; g) weiblichen Mitgliedern im Falle ihrer Niederkunft; h) bei allen rechtlich begründeten Klagesachen, die aus den Arbeiterschutz- und Versicherungsgesetzen und aus dem Arbeitsverhältnis entsprungen oder auf die Tätigkeit des Mitgliedes für den Verband zurückzuführen sind; i) in Sterbefällen. 2. Überblickt man die jetzt mehr als 30jährige Tätigkeit des Gewerkvereins, so muß zugegeben werden, daß er sehr viel zur Besserung der wirtschaftlichen und sozialen Lage des Zieglergewerbes beigetragen und manche Erfolge erzielt hat. In anderem Zusammenhange haben wir schon einzelne dieser Erfolge gestreift, doch mögen sie hier noch einmal kurz erwähnt sein. Seit seinem Bestehen ist er stets energisch für die Verkürzung der Arbeitszeit eingetreten und hat. trotz manchmal hartnäckigen Widerstandes vieler Ziegeleibesitzer, Meister und Ziegler, erreicht, daß schon 1914 fast überall der 12-Stundentag, auf einzelnen Ziegeleien bereits die 11- und lOstündige Arbeitszeit eingeführt war. In Verbindung hiermit hat von 1895 bis 1914 eine Lohnerhöhung um 30 % stattgefunden. Wenn schon 1898 allein im Gebiete der unteren Elbe, Oste und Este der dadurch erzielte Mehrverdienst der Ziegler bei einem Aufschlage von 18 % auf rund Mk. 125 000.— berechnet wurde 1 ), wie erheblich mußte da die Steigerung 1914 im Gesamtarbeitsgebiet der lippischen Ziegler sein! Auch die J ) Vereinsbericht 1897. — 349 — vorteilhaften Lohntarife der Nachkriegszeit sind nicht zuletzt das Verdienst des Gewerkvereins. Der Rechtsschutz, eine der wichtigsten und segensreichsten Einrichtungen des Vereins, ist von Jahr zu Jahr mehr in Anspruch genommen worden. Er hat sich als eine dringende Notwendigkeit für die Ziegler erwiesen. Jährlich werden mehr als 80 % aller Streitigkeiten — namentlich zwischen Meister und Gesellen — ohne Kosten für die Mitglieder geschlichtet. Rechtsschutz wurde beispielsweise gewährt 1 ): 1906 in 267 Fällen 1907 „ 354 „ 1908 „ 423 ., 1909 „ 586 „ 1910 „ 681 „ 1911 „ 630 „ Im einzelnen erstreckte sich der Rechtsschutz z. B. im Jahre 1913 1914 1. auf erledigte Klagesachen in 96 Fällen 88 Fällen 2. „ „ Steuersachen „ 181 „ 145 3. „ mündliche Raterteilung,, 768 „ 613 „ 4. „ schriftiche Auskünfte „ 460 „ 384 „ Dem Gewerkverein verdanken die lippischen Ziegler auch die Errichtung eines Zieglergewerbegerichts in Lippe, des einzigen Fachgewerbegerichts in Deutschland. Es wurde auf Grund des deutschen Gewerbegerichtsgesetzes vom 29. Juli 1890 im Jahre 1902 in Lage gegründet und trat am 1. Januar 1903 in Tätigkeit 2 ). Auf die allgemeine Bedeutung der Gewerbegerichte überhaupt und deren Vorzüge vor den ordentlichen Gerichten mit ihrem weit umständlicheren Verfahren und ihren langen Fristen, ihrer Berufsvertretung und Kostspieligkeit sei hier nur kurz hingewiesen. Neben die allgemeinen traten die besonderen Vorzüge des lippischen Zieglergewerbegerichts. Hierhin gehören zunächst die *) Berichte und Protokolle der einzelnen Jahre. 2 ) Protokolle des Gewerkvereins vom 7. Februar 1901 und 25. Februar 1911. — 350 — sehr geringen Gebühren. Je nach der Höhe der Streitsumme wurde eine einmalige Gebühr erhoben, und zwar: 0.50 M. bis zu 20.00 M. Wert des Streitobjektes 1.00 „ „ „ 50.00 „ 1.50 „ „ „ 100.00 „ Für jede weiteren Mk. 100.00 stieg die Gebühr um Mk. 1.50 bis zur Höchstgebühr von Mk. 30.00. Bei Klagezurücknahme vor streitiger Verhandlung wurde nur die halbe Gebühr erhoben; Vergleiche waren stets gebührenfrei. Ursprünglich auf den Stadtkreis Lage beschränkt, war es bald für das ganze Gebiet des Freistaates Lippe, mit Ausnahme der Städte Detmold und Lemgo, zuständig. Der Hauptvorzug dieses Fachgerichts bestand jedoch in seiner Besetzung, die neben dem Vorsitzenden regelmäßig vier Beisitzer des Zieglerstandes aufwies. Nach den Zusatzstatuten war das Gericht zusammengesetzt aus] dem Vorsitzenden, dessen Stellvertreter, 4 Beisitzern und 8 stellvertretenden Beisitzern 1 ). In den 19 Jahren seines Bestehens hat sich das Ziegler- gewerbegericht regsten Zuspruchs zu erfreuen gehabt und sich als eine segensreiche Einrichtung erwiesen, die dem lippischen Zieglerstande in materieller und sozialer Hinsicht große Vorteile gebracht hat. Die vorgebrachten Ansprüche beruhten oft nur in einseitigem oder gegenseitigem Mißtrauen, das namentlich bei Streitigkeiten über die Kommune hervorgetreten war. Vielfach drehte sich der Rechtsstreit um nicht hinreichend klare und bestimmte vertragliche Festlegungen der gegenseitigen Rechte und Pflichten über das Arbeitsverhältnis. Durch die Tätigkeit des Gerichtes fand in den meisten Fällen bald eine Klärung und infolgedessen sehr häufig ein völliger Vergleich statt. An Streitfällen kamen vor 2 ): *) Statuten des Zieglergewerbegerichts. 2 ) Mitteilungen des Gewerbegerichts und Gut Brand Nr. 18 von 1913. V — 351 — 1903—1910 1911 1912 1913 471 45 56 61 Am 1. April 1922 wurde das Zieglergewerbegericht aufgelöst. Sehr großes Gewicht hat der Gewerkverein stets auf die Besserung der Wohnungsverhältnisse gelegt und auch die Beseitigung mancher Mißstände, von denen an anderer Stelle bereits die Rede war, durch Petitionen an die maßgebenden Behörden und gemeinsame Beratungen mit den Gewerbeinspektoren erzielt 1 ). Auch muß hier hervorgehoben werden, daß der Gewerkverein seit seinem Bestehen den Kampf um die Beseitigung der den Zieglerstand drückenden doppelten Besteuerung des in der Fremde so mühsam errungenen Arbeitseinkommens mit Ausdauer und Zähigkeit geführt und nach langen Bemühungen erreicht hat, sowohl die Regierung als auch den Landtag für dieses Ziel zu gewinnen 2 ). Als Erfolg der Bestrebungen ist das „Gesetz, betreffend die Gemeinde-Doppelbesteuerung der Wanderarbeiter vom 13. Dezember 1909" und die zwischen Preußen und Lippe getroffene „Vereinbarung zur Vermeidung von Doppelbesteuerungen der Wanderarbeiter bei Heranziehung zu direkten Kommunalsteuern vom 1. April 1913" anzusehen. Sodann sei in diesem Zusammenhange auf die Bemühungen des Gewerkvereins bezüglich der Beschäf- tigungjugendlicherundweiblicherArbeiter hingewiesen. Wenn ihm auch das vollständige Verbot der Frauenarbeit auf Ziegeleien bis heute nicht gelungen ist, so hat doch eine wesentliche Einschränkung dieser Arbeiten stattgefunden. Bereits 1903 nahm der Bundesrat Rücksicht auf die vom Gewerkverein in dieser Be- *) Protokolle des Gewerkvereins, bes. 189S, 1900, 1902, 1914. 2 ) Protokolle des Gewerkvereins, bes. 1898, 1900, 1901, 1902, 1905, 1906, 1908. — 352 — Ziehung vorgebrachten Wünsche. Meister, die Mitglieder des Vereins waren, durften Frauen überhaupt nicht beschäftigen. Insonderheit sind auch die Verdienste der Nachkriegszeit hervorzuheben. Als mit der Demobilisierung des Kriegsheeres die vielen lippischen Wanderarbeiter zurückkehrten, da trat der Gewerkverein sofort mit Regierung und Privaten in Beziehung, um Arbeitsmöglichkeiten in Lippe zu schaffen. Bei Erledigung zahlreicher Notstandsarbeiten sind denn auch sehr viele Ziegler tätig gewesen. Auch die Erreichung der Eisenbahnvergünstigungen für die lippischen Wanderarbeiter, die im Industriegebiet beschäftigt sind, ist zum Teil mit auf das Eingreifen des Gewerkvereins zurückzuführen. In den Bestrebungen auf dem Gebiete der inneren Kolonisation haben die Führer des Gewerkvereins stets das Interesse der Ziegler zu wahren gewußt, und mancher Miet- und Pachtvertrag ist in den letzten Jahren durch ihre Vermittlung zustandegekommen. Durch die Wahl des früheren Geschäftsführers zum Landtagsabgeordneten und durch dessen Betätigung im Landtage und Landespräsidium wurde in einer für die Wanderarbeiter günstigen Weise auf die Gesetzgebung eingewirkt. III. Der Verband der Fabrikarbeiter Deutschlands. War der Gewerkverein Jahrzehnte hindurch die wichtigste, zeitweise sogar die einzigste Organisation der Lipperziegler, so spielen heute neben ihm auch andere Verbände eine Rolle. Bereits mit dem Auftauchen organisatorischer Bestrebungen unter der Zieglerschaft begannen auch die Sozialdemokraten die Agitation. Ihre früheren Versuche, die lippischen Ziegler in der freien Vereinigung der Ziegler Deutschlands zu sammeln, hatten anfangs keine nennens- — 353 — werten Erfolge, so daß die Zahl der Mitglieder eine zweistellige blieb*). Erst neuerdings ersieht man aus den Ergebnissen der Landtags- und Reichstagswahlen, daß sich auch unter den Zieglern sozialdemokratische Ideen mehr und mehr verbreitet haben. Die Nähe der großen Städte während der Kampagne und der Einfluß zahlreicher sozialdemokratischer Ziegler anderer Gegenden, die Erinnerung an den Krieg und seine verheerenden Folgen, nicht zuletzt die rege und erfolgreiche Tätigkeit sozialdemokratischer Parlamentsvertreter (Land, Städte, Gemeinden) und die Gründung einer besonderen Zeitung haben viele Ziegler aus dem demokratischen ins sozialdemokratische Lager gezogen. Insbesondere ist es der „Verband der Fabrikarbeiter Deutschlands", dem heute viele Lipper- ziegler angehören. Seitdem nämlich eine besondere Fachabteilung für Ziegler in Hannover und eine „Ziegler-Zentrale" in Detmold 2 ) errichtet sind, und dadurch die besonderen Interessen der Ziegler ohne ausdrückliche starke Betonung des politischen Standpunktes, aber unter Heraushebung der Ziegler als Facharbeiter aus der großen Masse der ungelernten Fabrikarbeiter, vertreten werden, haben sich manche Ziegler, die früher fern standen, weil sie sich nicht mit „Fabrikarbeitern" auf die gleiche Stufe stellen wollten, angeschlossen. Gewerkschaftliches Organ des Verbandes der Fabrikarbeiter Deutschlands, Bezirk Lippe, Sektion der Ziegler, ist „Der Lippische Ziegler", eine jeden zweiten Donnerstag erscheinende Sonderbeilage zum „Volksblatt". Bis Frühjahr 1920 konnte man häufig schmutzige Artikel in den Fachzeitungen lesen, wodurch sich Gewerkverein und Fabrikarbeiterverband gegenseitig heftig bekämpften. Seit der Entschließung vom 14. 4. 1920, in der die Notwendigkeit der Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiete zum Ausdruck kam, ist die Agitation im allgemeinen sachlich und ruhig ge- *) Mitteilung des Verbandes der Fabrikarbeiter. 2 ) Letztere erst am 1. September 1921. Fleege-Althoff, Wanderarbeiter 23 blieben. So sind denn auch die Tarifverträge in der Regel von beiden Verbänden unterzeichnet. Richtiger erscheint es uns allerdings, wenn nur! ein Verband als parteilose Gewerkschaft die Interessen der Lipperziegler verträte. Jede Zersplitterung ist unrationell und führt zu Reibungen, und viele Ziegler bleiben deshalb lieber jedem Verbände fern. Vielleicht siegt mit der Zeit auch beim Gewerkverein und der Zieglerfachgruppe des Fabrikarbeiterverbandes die Vernunft, so daß bald dieselbe notwendige einheitliche Organisation erzielt wird, wie sie auf Arbeitgeberseite im „Reichsverbande der deutschen Mauerstein-, Ziegel- und Tonindustrie E. V." vorhanden ist. Eine solche, die gesamte deutsche Zieglerschaft umfassende Fachorganisation, würde natürlich eine viel stärkere Stoßkraft auszuüben vermögen, als es den einzelnen Gruppen, selbst wenn sie in wirtschaftlichen und sozialen Fragen zusammenzugehen versuchen, möglich ist. Die bisherige Zersplitterung und die vielen Außenseiter bilden natürlich ein Hindernis in der Erreichung mancher Zieglerziele. Auch die Zieglerschaft sollte sich an anderen Verbänden, wie z. B. der schon vor dem Kriege mustergültig arbeitenden Bauhandwerker-Organisation, ein Vorbild nehmen. IV. Der Zentralverband Deutscher Ziegelmeister. Wichtig für die lippische Zieglerschaft ist auch der „Zentralverband Deutscher Ziegelmeister", Sitz Lage in Lippe, der zum Schutze der besonderen Interessen der Meister bereits am 23. Oktober 1904 gegründet wurde, aber erst seit dem Jahre 1910 an Bedeutung gewann, nachdem das alte „Annehmersystem" fast ganz verschwunden war, und die Ziegelmeister mehr und mehr als eine Art „Arbeitgeber" hervortraten und als Sondergruppe mit Sonderinteressen den Zieglern gegenüberstanden. Der „Zentralverband deutscher Ziegelmeister" erstreckt sich auch über ganz Deutschland und erstrebt 1 ) *) Nach der Satzung. — 355 — unter „Ausschluß aller politischen und religiösen Ziele einzig die Förderung und Pflege der Standesinteressen seiner Mitglieder". Seine besonderen Bestrebungen, die namentlich auch im Verbandsorgan „Deutsche Ziegelmeister-Zeitung" 1 ) vertreten wurden, bildeten früher die Hochhaltung der Akkordsätze, die Verhinderung der Unterbietung bei Bewerbung um Meisterstellen, die Unterstützung von Mitgliedern, die Regelung der täglichen Arbeitszeit und die Herbeiführung eines guten Verhältnisses zwischen Besitzern, Meistern und Gehilfen. Ein Arbeitsnachweis vermittelte den Meistern nach besonders festgesetzten Vermittlungsgebühren (s. S. 269 ff.) Stellen und Arbeiter. Für Streitigkeiten war ein besonderes Rechtsbüro eingerichtet, das die Prozesse der Mitglieder auf Vereinskosten führte. Dem Zentralverbande Deutscher Ziegelmeister haben sich nach und nach fast alle lippischen und nach Aussage der Geschäftsführung auch die meisten übrigen deutschen Ziegelmeister angeschlossen. Während der Inflationszeit erfolgte die Koalition mit dem christlichen „Deutschen Werkmeisterbunde" in Essen; doch blieb die Gruppengeschäftsstelle Lage bestehen, so daß an der eigentlichen Leitung nichts geändert wurde. Es erweckt nun allerdings den Anschein, als wenn sich auch in der Ziegelmeisterorganisation ähnliche Dinge wie beim Gewerkverein Deutscher Ziegler abspielten. Denn wiederholt wurden bereits im Laufe des Jahres 1926 Stimmen laut, die einen selbständigen Ziegelmeisterverband für ratsam hielten. Dabei war ein ganz neuer Gedanke beachtenswert, wonach alle deutschen Ziegelmeister sich zu einer Innung zusammenschließen sollten, um vor allem einen besseren Schutz des Meistertitels zu erreichen. Wenn auch zwar in der Generalversammlung *) Seit 1. Aug. 1926 ersetzt durch „Neue Deutsche Ziegelmeister- Zeitung", nach Volksblatt vom 7. Juli 1927 weitere Änderung in „Der Meister und Betriebsleiter". 23* — 356 — 1926 noch eine Trennung vom deutschen Werkmeisterbunde abgelehnt wurde, so scheint doch der Innungsgedanke festen Fuß gefaßt zu haben, wie man das aus der Gründung eines „Reichsverbandes der deutschen Ziegler- Innungen" schließen darf. Wieweit diese Bestrebungen zum Ziele führen, und zum Nutzen für die Ziegelmeister sich gestalten werden, läßt sich heute noch nicht überschauen 1 ). § 38. Die lippischen Zieglerkrankenkassen. a) Die segensreichen Wirkungen der namentlich in den 50er Jahren gegründeten Sterbe- und Krankenkassen, die allmählich sich auch unter den Zieglern verbreitende Einsicht ihrer Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit, und nicht zuletzt das persönliche Interesse der alten Ziegleragenten als Leiter dieser Kassen, bildeten die Grundlage, auf der auch nach Abschaffung des Zieglergewerbege- setzes ein Fortbestand bzw. eine Weiterbildung dieser sozialen Einrichtungen ermöglicht wurde. Sie können daher mit Recht als die Vorläufer der späteren Hilfskassen bezeichnet werden, und ihre Bedeutung tritt besonders hervor, wenn man bedenkt, daß es in jener Zeit einen allgemeinen Versicherungszwang noch nicht] gab. In dieser Tatsache liegt aber auch zugleich die Unvoll- kommenheit der damaligen Kassen begründet; denn ganz gewiß wird der größte Teil der Ziegler ihnen nicht angehört haben, wie dies von älteren Zieglern auch tatsächlich bestätigt wird. Es war daher für die gesamte Zieglerschaft und auch für die einzelnen Gemeinden recht bedeutungsvoll, als mit der Einführung des sozialen Versicherungswesens der Versicherungszwang Eingang fand und damit eine sichere Grundlage zur Abwendung wirtschaftlicher Not bei Un- 1 ) Während der Drucklegung wird bekannt, daß der Zentralverband Deutscher Ziegelmeister im August 1927 aus dem Werkmeisterbunde ausgeschieden ist (Lippische Landeszeitung Nr. 225 v. 25. September 1927). Die Folge scheint eine rege Propaganda für eine „Reichsfachgruppe der Ziegelmeister im Bund" und eine Bekämpfung des Zentralverbandes zu sein. — 357 — fall-, Krankheits- und Sterbefällen in Arbeiterfamilien geschaffen wurde. Zwar bestand vor Einführung der sozialen Reichsgesetze der 80er Jahre vielfach schon insofern Versicherungszwang, als auf Grund landesgesetzlicher Regelung — preuß. Gewerbeordnung vom 17. Jan. 1845, Ges. vom 10. April 1854 — bzw. durch die Gewerbeordnung von 1869 den Gemeinden das Recht gegeben, den Bergwerksgesellschaften die Pflicht auferlegt wurde, für die gewerblichen Arbeiter Krankenkassen mit Beitrittszwang zu errichten. Doch blieb die Zahl der Kassen und ihrer Mitglieder verhältnismäßig gering, und auch das Hilfskassengesetz vom 7. 4. 1876 mit seinem Versicherungszwange vermochte nicht allseitig zu genügen, wenn es auch für Wanderarbeiter eine geeignete Grundlage war. Die 4 ältesten lippischen Zieglerkrankenkassen haben unter diesem Hilfskassengesetz bereits bestanden, nämlich die Kasse des Zieglervereins I, Lage, die des Zieglervereins II, Lage, die des früheren 1. Botenbezirkes, seit 1885 zu Kluckhof, und die des Zieglervereins Schötmar. Die eigentliche Entwicklung beginnt aber erst nach Einführung des Krankenversicherungsgesetzes vom 15. 4. 1883 in Verbindung mit der Novelle zum Hilfskassen- gesetze vom 1. Juni 1884, wodurch eingeschriebene Hilfskassen nur auf Grund freier Vereinbarung möglich waren, deren Mitglieder dann allerdings keiner Zwangskasse anzugehören brauchten, wenn die Leistungen der Kasse den Anforderungen des § 75 a des K.V.G. entsprachen. In diesem vorwiegend privatrechtlichen Charakter der Hilfskassen lag zugleich ihr Wert, den sie für bestimmte Gewerbegruppen erlangen sollten. Da nämlich ihr Geltungsbereich sich über das ganze Reich erstreckte, waren sie namentlich für solche Arbeiter ge-* eignet, deren Arbeitsstätte weit vom Heimatsorte entfernt lag und häufig gewechselt wurde; und so ergab sich von selbst, daß auch die Ziegler als Wanderarbeiter diese Art der Kassen wählten. Die bereits bestehenden Ziegler- — 358 — krankenkassen wurden als eingeschriebene Hilfskassen weitergeführt, manche neue kamen im Laufe der Jahre hinzu, wie folgende Übersicht zeigt: Jahr Zahl der Hilfskassen 1885 4 1886 7 1888 8 1890 13 1894 17 1896 19 1897 22 1899 24 1900 25 1901 26 1908 28 1909 29 Name und Sitz der Kasse bzw. Neugründungen Schötmar, Kluckhof, Zieglerverein I Lage, Zieglerverein II Lage Schlangen, Oerlinghausen, Lemgo Alverdissen Schwalenberg, Blomberg Lieme, Lüdenhausen, Zieglerverein Lage Brakelsiek, Leopoldshöhe, Bösingfeld, Elbrinxen Kohlstädt, Talle Haustenbeck, Heidenoldendorf, Ziegelmeister - Verein Schötmar Diestelbruch, Stemmen Brake, Großenmarpe, Kluckhof ausgeschieden Silixen Hohenhausen, Ziegelmeister- Zentral-Verband Lemgo Barntrup Überblickt man, unter Berücksichtigung der Mitgliederzahl und der örtlichen Verteilung, die ganze Entwicklung, so kommt man zu dem Ergebnis, daß ein Bedürfnis zur Gründung so vieler Kassen sicher nicht vorlag. Denn einmal betrug die Durchschnittszahl der Mitglieder z. B. zur Zeit der stärksten Beteiligung am 1. Juli jeden Jahres 1888: 2628 1897: 1396 1907: 1660 1912: 1370 Sodann ist zu beachten, daß einzelne Kassen nicht einmal eine Mitgliederzahl von 300 hatten, und endlich berechtigt die örtliche Verteilung über Lippe obige Behaup- tung, hatte doch z. B. Lage allein 4 Kassen, Schötmar 2, und lagen doch einzelne Kassen knapp 1 Stunde auseinander (Schlangen — Haustenbeck — Kohlstädt; Brakelsiek — Schwalenberg; Lemgo — Lieme — Brake) „so daß sich die Kassenführer", wie es in einem Berichte heißt, „gegenseitig in die Fenster sehen konnten". Folgende Gründe geben uns Aufklärung: 1. Manche Kassen sind durch die örtlichen Zieglervereine gegründet, die darin ein Mittel sahen, ihre Mitglieder fester zusammenzuschließen. 2. Hinzu kam, und bei einzelnen Kassen war es die alleinige Ursache, daß die Ziegler die Mühe und den Weg scheuten, sich einer benachbarten Kasse anzugliedern, oder auch wohl aus Mißgunst und Ängstlichkeit, die Ziegler des Sitzes der Kasse könnten Vorteile haben, zur eigenen Gründung übergingen. 3. Ziegler desselben Ortes, die auf einer Ziegelei oder in der Nachbarschaft arbeiteten, hielten eine eigene Kasse für-das zweckmäßigste. 4. Als besonders wichtige Ursache wird der persönliche finanzielle Vorteil angegeben, den einzelne Personen sich direkt oder indirekt von einer eigenen Kasse versprachen. Tatsache ist denn auch, daß bei vielen Kassen, vielleicht den meisten, Kaufleute und Wirte oder deren Verwandte und gute Freunde die Gründer und Leiter gewesen sind. 5. Ob auch Mediziner und Apotheker sich um eine örtliche Kasse bemüht haben, und ob örtliches Allgemeininteresse bei der Gründung mitgesprochen hat, entzieht sich unserer Kenntnis; möglich wäre beides. Eine wesentliche Änderung im Hilfskassenwesen trat ein, als mit Inkrafttreten der neuen Reichsversicherungsordnung von 1911 durch die §§ 503—525 auch für die freien Hilfskassen neue grundlegende Bestimmungen getroffen wurden, das Sondergesetz vom 5. Dezember 1911, — 360 — das Hilfskassengesetz vom 7. 4. 1876 (l. 6. 1884) aufhob und diese Kassen als Ersatzkassen dem Gesetz über private Versicherungsunternehmungen unterstellte, wenn ihnen als eingeschriebene Hilfskassen vor dem 1. April 1909 eine Bescheinigung nach § 75 a des Krankenversicherungsgesetzes erteilt worden war, sie vor dem 31. Dezember 1912 einen Antrag auf Zulassung als Ersatzkasse einreichten, und ihnen dauernd mindestens 250 Mitglieder angehörten. Die Folge davon war, daß von den 29 lippischen Zieglerkrankenkassen 8 Kassen eingingen, und nur die übrigen 21 als Ersatzkassen weiterbestehen blieben, die dann endlich die schon so lange erstrebten einheitlichen Satzungen in gemeinsamer Beratung unter Fühlungnahme mit dem Aufsichtsamte für Privatversicherung mit Wirkung vom 1. Januar 1914 aufstellten. Alles das bedeutete einen Schritt vorwärts. Immer aber blieb noch eine zu große; Zersplitterung bestehen. Erst der Krieg sollte die von führenden Personen der Gewerkschaftsbewegung und des Krankenkassenwesens schon lange gewünschte straffere, einheitlichere Organisation vorbereiten und schließlich wenigstens teilweise vollenden. Bereits im Sommer 1915 kamen Vertreter der 21 Kassen zusammen und gründeten den „Verband lippischer Zieglerkrankenkassen", der zwar Vorsitzenden und Schriftführer hatte, in Wirklichkeit aber nur dem Namen nach bestand und nur gelegenlich bei gemeinsamen Eingaben in Tätigkeit trat. Die Widerstände einer von vielen Mitgliedern, auch einzelnen Kassen und dem Aufsichtsamte gewünschten Verschmelzung zu einer Kasse mit örtlichen Unterempfangsstellen, gingen hauptsächlich von den Kassenführern und deren Anhängern aus, die sich in ihrer Stellung bedroht glaubten, und die — das ist wohl das wesentlichste — eine Schmälerung ihrer persönlichen finanziellen Vorteile fürchteten. Als nun aber in den Jahren 1917, 1918 und namentlich 1919 trotz mehrfacher Beitragserhöhung, infolge ver- — 361 — stärkter Inanspruchnahme, bei den meisten Kassen der Reservefonds angegriffen werden mußte, und mancher Rechnungsführer seine Stirn in Falten legte, da schlössen sich am 1. Januar 1920 10 Kassen zusammen, ohne aber auch da noch zunächst ihre Selbständigkeit aufzugeben. Einer von dem „Verband lippischer Ortskrankenkassen" gewünschten Verschmelzung beider Gruppen von Kassen standen fast alle Ziegler aus Gründen, die bei Hervorhebung der Bedeutung erwähnt werden, ablehnend gegenüber. •Im Jahre 1921 endlich ist eine teilweise Zentralisation in der Weise durchgeführt, daß sich 10 Kassen (Blomberg, Bösingfeld, Großenmarpe, Haustenbeck, Heidenoldendorf, Lieme, Lüdenhausen, Leopoldshöhe, Schlangen und Stemmen) zur „Zieglerkrankenkasse, Ersatzkasse, Blomberg" vereinigten. Später hat sich auch Diestelbruch angeschlossen. Die Kasse hat ihren Sitz in Blomberg; die früheren selbständigen Ersatzkassen sind jetzt nur noch örtliche Verwaltungsstellen. Sie haben jährlich einen Jahresbericht nach vorgeschriebenem Muster der Zentralstelle einzureichen, die dann nach entsprechender Zusammenfassung dem Reichsaufsichtsamt für Privatversicherung einen Gesamt-Jahresbericht zu übersenden hat. b) Auf die näheren Bestimmungen des Gesetzes und auf die Satzungen einzugehen, würde über den Rahmen dieser Arbeit hinausführen. Von Wichtigkeit erscheint jedoch ein kurzer Hinblick auf die zahlenmäßige Entwicklung und Bedeutung der Zieglerkrankenkassen. Die jährlich veröffentlichten Statistiken geben die Möglichkeit dazu. Die Gesamtentwicklung zeigt folgende Übersicht 1 ): *) Ziffern von 1885 bis 1912 nach den Berichten des Handels- und Gewerbevereins bzw. der Handelskammer; für 1917 und 1918 nach den Veröffentlichungen des Aufsichtsamtes für Privatversicherung; für 1914, 1922 bis 1925 Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1926, S. 373, 1927, S. 416. — 362 — Jahr Zahl der Mitglieder Einnahmen Ausgaben Reservefonc 1 885 looO A 4 O OAQ ö ö4ö 78 70(1 53 / O / UU,UO fi5 47fi 01 U*J T / X 1886 rr / 1 n rn 1 1U yll 108 016 77 l w i U) i i 114 206 35 III taUU^'ll 1887 7 / i 3 firifi lo DUO 143 025 36 X I U \JuyJ)U\J 144 289,05 1888 O o 9i rnn Cx UOU 178 708,50 151 465,16 1889 Q O OQ OQ1 co yyi 214 620,02 206 251,18 37 600,— 1890 1 3 Lo 9^ ft3fi UoO 256 291,04 246 362,57 48 737,50 1891 14 \*± oc oin CD CID 243 977,81 229 762,65 67 537,50 1892 14 Irr £0 40/ 260 877 88 tsVJVJ Vw> 1 I jUU 250 417,89 70 897,50 1893 1 tz 10 94 fiR7 C*t 00/ 264 677,85 255 498,14 79 031,24 1894 1 7 I / 99 fiQQ ^6 oyy 278 183,82 251 329,27 89 261,77 1895 1 7 1 / 93 QQ3 ^o yyo 272 707,18 249 753,55 112 277,93 1896 1 0 iy 97 317 Ct OH 304 227,14 276 620,46 131 240,90 1897 99 cc 3fl 71 k OD / 10 334 955,58 310 065,08 146 726,93 1898 93 CO 37 9R4 O / iOTt 379 427,73 345 693,02 164 848,92 1899 94 C*± 3fi 994 OU - 414 173,66 379 866,38 175 285,76 1900 9R CD 38 KA7 OO DtC 408 391,56 373 421,84 187 395,99 1901 9fi CD 3fi £01 OO OU1 408 450,79 359 636,77 192 595,46 1902 9fi CD 3R 1 OD UDO 405 664,95 366 404,01 205 096,64 1903 ?f\ CD 3R fi97 OO DC 1 432 229,13 384 412,56 216 113,29 1904 7f\ CD 41 ni i *xl Ol 1 489 009,23 437 343,51 217 342,19 1905 9fi £Ö 43 Ö07 *to oyi 542 904,53 487 219,07 252 047,92 1906 otz co viQ 4o oo^t'a> -<-3cococor^ HH r-l PO in H a>coo">i---3 t- rtco^in^ co~co a>* cm>o~^V-*cTco ■^cNrHtNHtDaioiin »^'Woo"in>«~cN~©io"iri co es r--a> a> in in t- o_r» crTao r^c»VfcoV-*c& in~©co" ->Hr-i CMCM CM — CM ■iairaq-iB -lapuefa jap suuuins oinprtOiiDPJow o^fcococo-*troror~ CM NfH J9]I3qJ8 -Japueyxv ojapuy m i-i m oo co cm * rH-^ in CN) T J9jnej\[ cocm in — ocococo i-i rf — thN (M t~- CO 00 CM CS CO co 8! -iooo i CO — T-t CDthCO cm CO J? et 0 N O CT CO CM r« COrtCOrfr-ONTf t- — o> —< es es mco j "IQAaquqoyXV in — t— oooxdnih mcsm[^incot~co-* cscso-tcOT*r^incs .-i CO CO CM CO —' 00 incoinoococMcomcocscs cscsr-cscMCMin-SfcoocM '-"CO-rHco-tcDCD'd'CMpqcN BV[ UJ }(BqUI -ugqoBjj NcincoaitocoON cooi^r-ia)inin-*Tf co^HOicD'q'incM^f- i-i CM — co *-< -*r~Tt Im co ja 'S 2 » P(?| « CO £T :o £ hoS'Oj3 co co co u u 0,&>T3 3 CO — u n O cß 6 85* . 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Amt Oerlinghausen | Amt Schötmar Bexterhagen 83 Biemsen-Ahmsen 140 Ehrsen-Breden 84 Grastrup-Hölsen 144 Holzhausen 66 Lockhausen 117 Nienhagen 100 Oberwüsten 53 Papenhausen 105 Retzen 105 Unterwüsten' 130 Werl-Aspe 120 Wülfer-Bexten 121 Sa. Amt Schötmar »-CNCOTfinCDt^OOfflO»- »- T-H <-cMco-*incor^ooc)OT--icNco T-H t—l — T—I ;e u i-j—, a> v'o^O ins i;tn => ßer (Ö X. 1 e n kla « X, X sser o 7 i 1* © 7° ä x A. Städte Summe 11078,21 667,46 6,03 1110 257 123 31 12 5 3 B. Land-Bez. I. Verw.-Amt Blomberg 1. A. Blomberg 2. A. Schieder 3. A. Schwalenberg" 4415,30 3160,73 OKK7 Q9 ooo i ,y^ 271,14 194,52 214,42 6,14 6,15 (Yi D,UO 168 280 "31 O Ol» 49 30 R/1 D4 37 23 Qft OD 14 13 1 *3 lo 6 5 A 4 5 1 8 o 1 2 2 QC l i loo^yo 680,08 R 11 0,11 7fi7 /O/ AAI 140 GR yo A(\ 4U 1 ^ 10 ß 0 in 1U A 4 II. Verw.-Amt Brake 1. A. Brake 2. A. Hohenhausen 3. A. Sternberg 4. A. Varenholz 6182,81 7587,58 11538,64 3562,36 335,24 431,12 834,14 279,35 5,24 5,68 7,23 7,84 278 119 306 239 124 57 152 48 78 66 139 37 34 30 67 18 7 23 29 11 4 8 20 5 3 12 14 5 2 28871,39 1879,85 6,5 942 381 320 149 70 37 34 2 III. Verw.-Amt Detmold 1 & T"\&*-»th-»1 A 1. j\. JL/etmoia 2. A. Horn 3. A. Lage QAR1 07 ouoi,y / 5936,11 12412,03 982,09 675,74 1414,64 IT IQ 16, lö 11,38 11,4 OÖD 326 305 1 lOo 107 339 ifii IUI 86 246 *3R OD 57 70 1 A 14 21 26 1 "> lo 17 12 nfi zo 13 29 1 1 1 / 3 17 26410,11 3072,47 11,64 996 584 433 163 61 42 68 37 IV. Verw.-Amt Schötmar 1. A. Oerlinghausen 2. A. Schötmar 6079,34 7680,00 455,31 287,86 7,49 3,75 126 241 149 84 108 83 22 24 11 7 3 3 5 3 1 13759,34 743,17 5,4 367 233 191 46 18 6 5 4 Zus. Lippe 91253,00 7043,03 7,72 4182 1598 1163 429 176 96 120 47 — 485 — Anlage 3 Areal in ha Bevölkerung 1910 bs- keit ■son # * S-S g Nr. Gemeinde »•5» ja 1 tS&S cslü B.tJ-C^ Ge- Gutsabpro & * : s £ meinde bezirk solut qkm E°- Ih o CO CQ 1 Pivitsheide V. L. 464,2 1433 308 10 20,4 2 Loßbruch 55,7 298 485 10 22,1 3 Haustenbeck 693,5 1123 161 10 17,8 4 Augustdorf 544,9 1550 284 10 18,5 5 Silixen 347,3 788 227 13 17,8 6 Almena 393,1 861 219 14 18,9 7 Holzhausen, Amt Horn 173,5 422 133 16 27,5 8 Hummersen 217,9 383 176 18 18,8 9 Veldrom 399,8 67 274 69 18 15,0 10 Schwelentrup 526,6 728 138 18 15,2 11 Rüterberg 1 102,0 94 92 18 13,8 12 Bentorf 568,3 7R4 / U*i 138 18 16,1 13 Kohlstädt 940,1 952 101 19 18,5 14 Talle 482,2 121,3 528 110 ± i \j 19 17,8 15 Niese 292,8 338 •JOO 11^ iij 19 15,1 16 Rott 375,7 516 138 19 14,9 17 Kluckhof 100,8 368 368 20 11,9 18 Leopoldstal 285,8 512 179 20 12,5 19 Nalhof 700,8 566 81 20 15,4 20 Lüdenhausen 750,9 779 104 20 13,9 21 Lieme 507,5 1278 252 21 17,9 22 Heidelbeck 510,5 88,9 630 123 21 17,0 23 Waddenhausen 255,3 650 251 21 14,6 24 Schlangen 1156,0 264,5 1935 167 21 17,8 25 Bremke 685,6 626 91 22 12,9 26 Westorf 495,4 422 85 22 14,9 27 Billingshausen 365,4 725 205 22 17,1 28 Stemmern 242,4 624 257 22 12,2 29 Pivitsheide V. H. 177,1 778 437 22 14,5 30 Heiden 617,1 1273 206 24 21,8 31 Wörderfeld 410,4 414 101 24 12,8 32 Bösingfeld 867,4 1699 196 24 11,2 33 Alverdissen 696,7 294,8 940 11 25 9,8 34 Senne 315,4 Af\Ci 40U 1 AK 140 OK /ZD 10,7 35 Elbrinxen 438,7 1123 234 25 11,2 36 Meinberg 685,4 1364 147 25 10,5 37 Hillentrup 845,1 1323 168 25 14,7 38 Lüerdissen 514,3 537 105 25 21,8 39 Mackenbruch 216,7 451 206 25 16,6 40 Rischenau 463,3 303,8 741 160 26 11,8 41 Sabbenhausen 449,8 865 193 26 9,4 42 Brakelsiek 512,2 762 148 26 19,7 43 Asmissen 1343,4 1125 84 26 10,8 44 Langenholzhausen 537,9 143,8 960 178 26 13,5 45 Matorf 312,1 164,1 658 210 26 15,5 46 Sonneborn 1112,9 932 84 26 10,5 47 Hagen 440,5 766 174 26 20,5 48 Heidenoldendorf 492,9 183,5 1715 349 27 11,5 49 Ehrentrup 454,1 951 211 27 15,8 — 486 Areal in ha Bevölkerung 1910 Ii. c S-SS ■gj= 2 fe o i?C # bc u c 5 «— E Nr. Gemeinde e » *£ C JÜ-TJ^ GeGutsabpro 5 bfi ä l.l Wa arbei Bevcx meinde bezirk solut qkm 50 Währentrup 477 4 826 173 27 17,3 51 Müssen 6150 QO^ iJlAJ 147 28 18,4 52 Hörste 714*1 / 1 irifiQ 1UUC7 14Q iiy 28 19,7 53 Oberwüsten 74(1 7 / / fiQ7 oy / 191 i z i 28 10,0 54 Vahlhausen 944 Z44,J ojy 147 1*4/ 29 16,7 55 Leistrup-Meiersfeld ^49 4 ud£ R9 0£ 29 15,7 56 Kleinenmarpe ^49 ^ 3-tc,,J /MQ '4*40 19Q x^y 29 16,9 57 Lothe 41=19 9 tiDCfZ 7/lfi 1 ftU 1UJ 29 19,2 58 Bellenberg'-Vahlhausen T39 Fi OjZ,0 ^1Q oiy Qfi yo 29 14,5 59 Wöbbel 99p; Fi 6tZD,0 94 A A z44,4 F»fi1 OOl 9/iR x£4o 29 14,8 60 Humfeld RAQ 7 o4y, / 91/19 Z14,z imi lUol 19t iz I 29 13,2 61 Reelkirchen 99t> p; ZZD,0 Qfl f: yu,o ^7fi OiO 1fi7 10/ 30 13,9 62 Jerxen-Orbke 1t=\C\ c\ OOU,U Jf^A /Oft 91 £iLO 31 10,9 63 Hasebeck 99P» 9 £iZ,D t c 9R1 ZOl 1 1 fi HO 31 10,4 » 64 Brüntorf A^R 9 4oo,Z Kflfi ouu qp; yo 31 13,4 65 Wellentrup, Amt Oerlinghausen 503 T tJUJjJ 885 177 32 12,3 66 Holzhausen, Amt Schötmar PiQp; 4 •jy«j,<± if)p; 7 1UO, / ßcn oyj 1^0 liJU 32 13,2 ; 67 Mosebeck Ol K 013,0 ööj 1HP1 luO 32 11,7 68 Bega fi^R 7 UJUj / 686 104- IUI 32 12,8 69 Bentrup ^97 4 ooo 1 1UO 32 12 7 9 70 Greste 74fi 7 |40, / 11Q7 1 lif 1 1 AR ifto 32 11,4 71 Leese AAR A 440,4 ■-■, r i(i OOO 1 9/1 1Z4 32 12 4 —, . 72 Laßbruch 7QQ 4 i yy, 1 * 7CH / Oft yu 32 15,6 73 Bavenhausen P»7fi ß o/u,o /1G9 *±ÖCi ßp; oo 3o 12,0 74 Kalldorf ftnn ß ÖUU,o G/lfi y^o 118 1 lö 33 109 75 Entrup 9A7 7 ZU/, / T71 ül 1 1 7Q i /y 33 13,5 76 Hohenhausen Rm p» oui,o i finn lOUU 1 ^Ifi loO 34 83 77 Hovedissen 1nnß o iuuo,y 177,1 IRfiPi 1ÖOO irp; lOO 34 11,3 78 Dehlentrup PiRn fi oou,o P\7F\ O/O im 1UO 34 10,1 79 Wissentrup 9QR ^ iyu,j l^fi OiJU 1 1R X iO 34 20^5 80 Hörstmar 4QP. 4 4yj,4 RflP\ DUO 1 99 ICi/C 34 15,2 81 Cappel 377,0 386 102 34 12,7 82 Asendorf EOO £i OöJ,0 Q9K JJD K*7 0/ 34 14,9 83 Bexterhagen 198,1 75,4 286 144 35 1!,9 84 Ehrsen-Breden 742,9 1049 141 35 9,5 85 Pottenhausen 444,1 327,1 617 139 35 16,0 86 Asemissen 313,3 306,9 418 133 37 10,8 87 Trophagen 159,1 108 68 37 13,0 88 Horn 1642,0 2064 126 39 89 Sommersell 773,2 643 83 39 12,3 90 Ohrsen 436,4 464 106 40 13,8 91 Berlebeck 438,7 1078 107 41 8,5 92 Wendlinghausen 499,2 422,2 469 102 41 14,3 93 Belle 780,7 819 105 43 13,0 94 Oberschönhagen 402,6 337 83 43 12,4 95 Lage 499,3 5773 1148 43 96 Wiembeck 937,7 719 78 43 8,3 - 487 Areal in ha Bevölkerung 1910 ."S C ' ü O 2 bs i° c § «— u X7_ Nr. . Gemeinde 0) «.Ho, T3 U U 0> c ® Q-X fZa GeGutsabpro S 'hn _ i. ,™o W-2 c ft *| % meinde bezirk solut qkm a « 97 Erder 424,0 537 127 43 9,1 98 Hiddesen 370,8 nie 1710 COfl 520 44 6,8 99 Brake 257,2 270,0 1918 746 44 8,9 100 Nienhagen, Amt Schötmar 243,9 147,3 286 117 44 7,7 101 Fromhausen 305,8 232 76 44 7,2 102 Brosen 753,7 339 45 45 9,4 103 Heiligenkirchen 417,2 1071 257 45 3,9 104 Henstorf 601,4 273 45 45 8,1 105 Retzen-Papenhausen 629,3 139,6 755 120 45 12,1 106 Grevenhagen 248,9 224 90 46 4,0 107 Göstrup 619,8 302 46 46 8,9 108 Kirchdonop 439,0 374 85 46 9,6 109 Billerbeck 377,0 366 97 46 10,5 110 Heßloh 288,1 275 96 46 19,6 111 Oettern-Bremke 324,7 205 63 46 13,7 112 Niederschönhagen 250,2 139 56 46 4,3 113 Mossenberg-Wöhren 341,3 220 64 46 8,2 114 Oerlinghausen 676,0 2774 416 47 4,9 115 Schieder 178,9 552,0 681 381 47 5,2 116 Barntrup 919,5 1200,3 1662 122 47 117 Lockhausen 832,5 75,4 1051 126 47 10,4 118 Varenholz 114,4 568,6 454 397 47 119 Schötmar 240,5 4018 1617 48 3,3 120 Werl-Aspe 558,0 373,1 2042 365 48 F8.6 121 Wülfer-Bexten 453,9 192,2 718 174 48 13,6 122 Eschenbruch 520,5 206,0 593 114 48 10,3 123 Großenmarpe 923,4 694 75 48 12,5 124 Barkhausen 452,3 235 52 49 11,9 125 Lütte 656,1 448 68 49 10,5 126 Brokhausen 373,8 282 76 49 11,7 127 Istrup 753,7 583 77 49 11,1 128 Brüntrup 453,5 342 75 49 8,8 129 Remmighausen 369,4 367 97 50 4,1 130 linterwüsten 901,7 104,1 909 108 50 5,1 131 Lemgo 3554,6 9969 281 51 132 Blomberg 1888,8 213,3 3612 191 51 6,1 133 Hedderhagen 152,6 95 62 51 4,2 134 Schönhagen 1088,6 445 41 51 3,6 135 Detmold 781,8 15295 1829 52 136 Salzuflen 1257,6 6544 520 52 ,137 Nienhagen, Amt Lage 367,6 309 84 52 12,6 138 Herrentrup 385,1 346 90 52 7,3 139 Spork 211,0 210,6 689 332 53 3,0 140 Biemsen-Ahmsen 519,0 68,1 ' 656 126 53 6,0 141 Welstorf 712,1 348 49 55 9,2 142 Bechterdissen 491,8 467 95 55 6,2 143 Osterhagen 283,7 96 34 56 5,2 144 Grastrup-Hölsen 789,2 618 78 56 10,5 — 488 Gemeinde Areal in ha Gemeinde Gutsbezirk Bevölkerung 1910 absolut pro qkm Dalborn Niewald Schönemark Hardissen Hakedahl Höntrup Tintrup Schwalenberg Wehren Altendonop Wellentrup, Amt Schieder Hornoldendorf Schmedissen Heesten Ruensiek Maspe Siebenhöfen 289,1 137,6 463,2 626,8 253,7 184,8 352,1 533,3 496,7 177,6 279,7 215,7 173,9 429,0 216,3 319,9 170,5 62,2 133,1 254,5 256,3 174,1 93,9 138,1 161 119 271. 441 170 134 291 801 221 154 217 132 71 197 104 185 60 56 87 59 70 67 73 84 151 45 50 78 61 41 46 48 58 35 Anlage 4 Manteltarif für Minden-Ravensberg-Lippe Zwischen dem Verbände der Minden-Ravensberg-Lippischen Ziegeleibetriebe E. V., Sitz in Minden i. W., einerseits und dem Verbände der Fabrikarbeiter Deutschlands und dem Gewerkverein Deutscher Ziegler, Sitz in Lage in Lippe, andererseits wurde folgender Vertrag abgeschlossen: §1. Geltungsbereich. Dieser Vertrag gilt für alle Arbeitsstätten des Verbandes der Minden-Ravensberg-Lippischen Ziegeleibetriebe E. V., sowie für die in diesen Betrieben organisierten Arbeiter und Arbeiterinnen. §2. Arbeitszeit. Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt täglich 8 Stunden ausschließlich der Pausen. Bei den in nicht unterbrochener dreiteiliger Arbeitsschicht beschäftigten Arbeitern, die ihre Maschinen und Apparate während der Pausen weiter bedienen, werden diese eingerechnet. Wird im Einverständnis mit der gesetzlichen Arbeitervertretung die Arbeitszeit an Vorabenden von Sonn- und Feiertagen auf weniger als 8 Stunden gekürzt oder den Erfordernissen des Betriebes oder den Witterungsverhältnissen entsprechend die Arbeitszeit geändert, so werden die dadurch ausfallenden Arbeitsstunden ohne Uberstundenzuschlag auf die übrigen Wochentage möglichst gleichmäßig verteilt, jedoch unter Zugrundelegung der 48stündigen Arbeitszeit innerhalb der sechs Werktage. Abänderungen dieser Bestimmungen sind zwischen den vertragsschließenden Parteien zulässig (vgl. Mehrarbeitszeitabkommen am Schluß). §3. Beginn und Ende der Arbeitszeit sowie der Pausen sind zwischen Betriebsleitung und gesetzlicher Arbeitervertretung zu regeln. §4. Die Ausführung von anderweitigen regelmäßigen Lohnarbeiten bei einem anderen Arbeitgeber außerhalb der festgesetzten Arbeitszeit ist unzulässig. §5. Arbeitslöhne. Die Arbeitslöhne werden in besonderen Tarifen, welche einen Teil des Rahmenvertrages darstellen, zwischen dem Verband der Minden-Ravensberg-Lippischen Ziegeleibetriebe E. V. und den beteiligten Arbeiterorganisationen geregelt. Ist ein Lohnvertrag gekündigt, so muß vor Ablauf desselben neu verhandelt werden. § 6. Der Lohn wird nur für die wirklich geleistete Arbeitszeit gezahlt. Ist der Arbeiter an der Dienstleistung verhindert, so wird er nur — 490 — dann entschädigt, wenn es sich um die Erfüllung der folgenden staatlichen und kommunalen Pflichten handelt, soweit sich diese nicht außerhalb der Arbeitszeit erledigen lassen und Gebühren hierfür nicht gezahlt werden. Anzeigen beim Standesamt in Geburts- und Todesfällen, soweit hierfür das Erscheinen des Betreffenden gefordert wird, das Erscheinen auf Vorladungen an Gerichtsstellen in Vormundschafts- und anderen behördlichen Angelegenheiten, in die der Arbeitnehmer ohne sein Verschulden hineingezogen worden ist, nicht verschuldete polizeiliche Vorladungen und Vernehmungen, Feuerlöschdienst auf Grund öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen. §7. Als Entschädigung erhält der Verhinderte den Lohn für die Zeit der Verhinderung, höchstens jedoch für vier Stunden. § 8. In Anrechnung (bis zu vier Stunden) kommt nur die Zeit, die der Arbeiter zur Erledigung der betr. Angelegenheit nötig hat. Bleibt er darüber hinaus schuldhaftweise weg, oder ist er zur Fortsetzung der Arbeit durch sein Verschulden nicht imstande, so verliert er jeden Anspruch auf Entschädigung für die versäumte Zeit. Von der Verhinderung ist der Betriebsleitung möglichst rechtzeitig Mitteilung zu machen. §9. Wenn dagegen infolge von Witterungsverhältnissen, Mangel an Rohstoffen, Betriebskraft, Heizung und künstlichem Licht sowie aus sonstigen, zwingenden Anlässen die Arbeit ruhen muß, so kann der Arbeiter keinen Lohn beanspruchen. In allen Fällen sind die Arbeiter, soweit es im Betriebe möglich ist, mit Neben- und Notstartds- arbeiten zu beschäftigen. § 10. Die Festsetzung der Löhne für minderleistungsfähige Arbeiter, insbesondere für solche, die wegen Invalidität oder hohen Alters in ihrer Leistungsfähigkeit beschränkt sind, bleibt unter Hinzuziehung der gesetzlichen Arbeitervertretung freier Vereinbarung vorbehalten, wobei die Anrechnung irgendwelcher Renten, bei der Bemessung der Löhne nicht statthaft ist. § 11. Alle im Betriebe beschäftigten Arbeiter sind sowohl bei Zeitlohn, als auch bei Akkordlohn zu einer angemessenen Gegenleistung verpflichtet. § 12. Ü b e r a r b e i t. Zur Aufrechterhaltung des geregelten Betriebes notwendige Uberarbeiten werden auf Verlangen der Betriebsleitung nach Benehmen mit der gesetzlichen Arbeitervertretung geleistet. Andere Überarbeiten bedürfen besonderer Vereinbarung mit der gesetzlichen Arbeitervertretung. § 13. Als Überstunden gelten alle Arbeitsstunden, die über die in § 2 festgelegten Arbeitsstunden hinausgehen. Die über 8 Stunden hin- — 491 — ausgehenden Arbeitsstunden in Dauerbetrieben pro Tag werden mit einem Aufschlag von 25 v. H. vergütet. Abänderungen dieser Bestimmungen sind zwischen den vertragschließenden Parteien zulässig (vgl. Mehrarbeitszeitabkommen am Schluß). § 14. Überarbeit an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen wird mit einem Aufschlag von 50 v. Ii., an den ersten Oster-, Pfingst- und Weihnachtsfeiertagen mit 100 v. H. bezahlt. § 15. Jede regelmäßige Schichtarbeit, ob Tag oder Nacht geleistet, ist zuschlagfrei. Die Arbeitszeit der Brenner beträgt täglich 10 Stunden, ausschließlich der Pausen, die Pausen werden zu zwei Stunden gerechnet und gelten als Arbeltsbereitschaft. Die Bezahlung erfolgt für zwölf Stunden zum tariflichen Stundenlohn ohne Aufschlag. Alle über 72 Stunden einschließlich der bezahlten Pausen' geleisteten Stunden der Brenner werden mit 25 v. H. Aufschlag vergütet, gleichgültig, ob sie als Uberstunden zur Tages- oder Nachtzeit oder an Werk- oder Feiertagen geleistet werden. § 16. Die Regelung der Bezahlung der Überstunden findet auf Pförtner und Wächter, sofern sie in ihrer Entlohnung berücksichtigt ist, keine Anwendung. § 17. Bei Heizern, Maschinisten, Lokomotivführern und Rangierern ist die Überstundenregelung, sofern sie in ihrer Entlohnung nicht berücksichtigt ist, vorbehalten. § 18. Die Dauer der Sonntags- und gesetzlichen Festtagszeit berechnet sich auf 24 Stunden. § 19. Uber Beginn und Ende der Sonn- und Festtagsschicht entscheidet der Arbeitgeber im Einverständnis mit der gesetzlichen Arbeitervertretung. §20. Akkordarbeit. Akkordarbeit ist grundsätzlich zulässig. Wo sie bereits besteht, wird sie auf Verlangen der Betriebsleitung beibehalten. Neueinführung der Akkordarbeit ist im Einverständnis mit der gesetzlichen Arbeitervertretung zulässig. § 21. Die Berechnung der Sätze über Akkordarbeit erfolgt im Einverständnis mit der betr. Betriebsgruppe in der Weise, daß bei vollwertiger Arbeit 30 v. Ii. über die Tariflöhne erreicht werden. § 22. Die Akkordsätze und Akkordbedingungen sind jedem Akkordarbeiter auszuhändigen oder durch Anschlag zugängig zu machen. — 492 — § 23. Wenn Akkord- oder Facharbeit nicht in genügendem Umfange vorliegt und deshalb die betr. Akkord- oder Facharbeiter oder ein Teil derselben bei der nämlichen oder einer anderen Arbeit vorübergehend in Stundenlohn bzw. nicht in ihrem Fach beschäftigt werden, so erhalten sie den Grundlohn (Zeitlohn) ihrer bisherigen Arbeitergruppe. Hält dagegen der Mangel an Akkord- oder Facharbeit über die vereinbarte Kündigungsfrist hinaus an, so erhalten Akkord- oder Facharbeiter, die nicht im Akkord bzw. in Kündigungsfrist, ihren bisherigen Grundlohn, nach Ablauf der Kündigungsfrist den Lohn derjenigen Arbeitergruppe, bei der sie beschäftigt werden. Wird aus einem anderen Grunde ein Akkord- oder Facharbeiter auf ausdrückliches Verlangen der Betriebsleitung aus der Akkordbzw. Facharbeit herausgenommen, so erhält er seinen bisherigen Durchschnitts-Akkordlohn bzw. Fachlohn bis zum Ablauf der Kündigungsfrist. Das Recht auf Auflösung des Vertragsverhältnisses wird durch diese Bestimmungen nicht berührt. Diese Bestimmungen gelten nicht für Akkordarbeiter, deren Beschäftigung es mit sich bringt, daß ein Teil der Arbeit im Akkord, ein Teil im Tagelohn geleistet wird. §24. Lohnzahlung. Die Lohnzahlung erfolgt im allgemeinen wöchentlich am Freitag im Anschluß an die Arbeitszeit. Wo sich dies aus technischen Gründen nicht ermöglichen läßt, erfolgt am gleichen Tage der Zwischenwoche ein Lohnvorschuß von etwa 90 v. H. des Durchschnittsverdienstes. Die Lohnzahlung muß 15 Minuten nach Schluß der Arbeitszeit beendet sein. § 25. Urlaub. (Allgemeine Bestimmungen.) Allen Arbeitern wird ein Urlaub gewährt, der nach den jeweiligen Lohnsätzen vergütet wird. Bei Akkordarbeit wird der tarifliche Stundenlohn der betreffenden Gruppe zugrunde gelegt. § 26. Alle unentschuldigten Arbeitsversäumnisse werden ohne Bezahlung auf den zustehenden Urlaub angerechnet. § 27. Die Arbeiter sind verpflichtet, ohne das Einverständnis der Betriebsleitung während der Dauer des Urlaubs Arbeiten gegen Entgelt nicht auszuführen. Bei Zuwiderhandlungen hiergegen wird für den Urlaub ein Lohn nicht gezahlt. Ein bereits gezahlter Vorschuß kommt bei der nächsten Lohnzahlung in Abzug. § 28. Vor dem Antritt des Urlaubs kann die Hälfte des Lohnes im voraus gezahlt werden. — 493 — § 29. Die Erteilung des Urlaubs erfolgt durch Vereinbarung zwischen Betriebsleitung und gesetzlicher Arbeitervertretung und unter Berücksichtigung der Betriebsverhältnisse und der besonderen Wünsche des Urlaubnehmers. Erholungsurlaub wird im allgemeinen im Anschluß an die Sonn- und Feiertage bzw. am Schluß der Preßkampagne bewilligt. § 30. Urlaub für Kampagnearbeiter. Allen Kampagnearbeitern wird ein Urlaub gewährt, der bei einer Beschäftigungsdauer in demselben Unternehmen nach 3 Monaten . . 2 Tage „5 „ . . 4 „ „7 „ . . 6 „ beträgt. § 31. Kampagnearbeitern, welche ihren Urlaub während der Kampagne nicht beanspruchen, wird derselbe nach Beendigung der Preßkampagne vergütet. § 32. Urlaub für dauernd beschäftigte Arbeiter. Allen dauernd beschäftigten Arbeitern wird bei einer ununterbrochenen Beschäftigung in demselben Unternehmen ein jährlicher Urlaub gewährt, der nach 1 — 2 Jahren . . . 4 Tage 3 — 4 Jahren ... 5 5 — 6 Jahren ... 6 7 — 8 Jahren ... 7 9—10 Jahren ... 8 11 und mehr Jahren 9 beträgt. § 33. Die dem Arbeiter zustehenden Urlaubstage sind zusammenhängend zu nehmen. Ausnahmen sind zulässig. § 34. Tritt der Arbeiter wieder in einem Betrieb, in dem er schon früher beschäftigt war, in Arbeit, so wird ihm die frühere Arbeitstätigkeit bei der Bemessung des Urlaubs angerechnet, wenn der damalige Austritt infolge Arbeitsmangels oder auf Veranlassung der Firma erfolgt ist und seit dem Austritt nicht mehr als drei Jahre verstrichen sind. §35. Nachgewiesene Krankheit und Aussetzen des Betriebes gelten nicht als Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses. § 36. Unbenutzter Urlaub wird nicht vergütet. Bis Jahresschluß nicht beanspruchter Urlaub gilt als verfallen. §37. Wohnung und Verpflegung. Den Arbeitern wird auf Wunsch gestellt: a) Aufenthaltsraum zum Essen mit Tischen, Bänken und Kochgelegenheit, außerdem ein verschließbarer Kleider- und Eß- schrank, sowie Feuerung, Licht und Kochtöpfe; b) für Wanderarbeiter gemeinsame Schlafräume mit je einem Bett für jede Person, bestehend aus einem Strohsack oder Matratze, einem Laken, einem Kopfkissen und einer Federdecke oder zwei Wolldecken, sowie Waschgelegenheit. § 38. Bei Beginn der Kampagne müssen die Strohsäcke gefüllt, und mindestens einmal im Monat muß die Bettwäsche gewechselt werden. Die Reinigung der Räume und der Bettwäsche veranlaßt der Arbeitgeber. Zu den Kosten der Reinigung der Räume und der Bettwäsche können die Arbeiter herangezogen werden. § 39. Verläßt der Arbeiter seine Arbeitsstätte, so ist er verpflichtet, die sämtlichen ihm zur Verfügung gestellten Sachen vollzählig und in gutem Zustande unter Berücksichtigung der normalen Abnutzung wieder abzugeben, andernfalls hat er Ersatz dafür zu leisten, bzw. wird ihm ein entsprechender Betrag hierfür abgezogen. § 40. Wo Ziegler auf einer Ziegelei Wohnung haben, ist ihnen bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zur Räumung der Wohnung eine Frist von 3 Tagen zu lassen. Die Bestimmung trifft nicht zu, wenn der Arbeiter das Arbeitsverhältnis selbständig löst oder Grund zur sofortigen Entlassung gibt. § 41. Soweit eine Verpflegung der Arbeiter im Betriebe stattfindet, muß eine Verpflegungskommission gebildet werden, die allein oder gemeinschaftlich mit der Betriebsleitung die Verpflegung regelt. Die Kosten der Verpflegung werden anteilmäßig auf die Teilnehmer verrechnet und vom Lohn abgezogen. Den Koch oder die Köchin stellt der Arbeitgeber. § 42. Schlichtung von Streitigkeiten. Streitigkeiten, die sich bei der Durchführung der einzelnen Bestimmungen dieses Vertrages und des Lohntarifes einschließlich Lohnhöhe ergeben und die nicht zwischen der Betriebsleitung und der gesetzlichen Arbeitervertretung geschlichtet werden, sind unter Hinzuziehung beiderseitiger Organisationsvertretungen zu regeln. Kommt hierbei eine Einigung nicht zustande, so ist die Angelegenheit dem fachlichen Schlichtungsausschusse zu unterbreiten, der aus je 4 Arbeitgebern und 4 Arbeitnehmern besteht, die von den beiderseitigen Vertragsparteien ernannt werden evtl. unter Hinzuziehung eines Unparteiischen. Auf Anrufung hat der Schlichtungsausschuß binnen einer Woche zusammenzutreten. §43. Vertragsdauer. Dieser Vertrag gilt bis zum 31. Januar 1926. Wird der Vertrag nicht von einer der vertragschließenden Parteien drei Monate vor Ablauf der Vertragsdauer schriftlich gekündigt, so läuft er mit der gleichen Kündigungsfrist jeweilig auf ein Jahr weiter. Mehrarbeitszeitabkommen. In Abänderung der §§ 2 und 13 des Rahmenvertrages kann für die Zeit vom 15. 4. bis 30. 9. vom Arbeitgeber auf Grund der Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923 im Falle wirtschaftlicher oder betriebstechnischer Notwendigkeit die wöchentliche Arbeitszeit auf 54 Stunden ohne Zuschlag ausgedehnt werden. Nach Rücksprache mit der gesetzlichen Betriebsvertretung kann die Arbeitszeit auf wöchentlich 60 Stunden erhöht werden; in diesem Falle ist für die 55. bis 60. wöchentliche Arbeitsstunde ein Zuschlag von 25 v. H. zu vergüten. Minden, den 18. Juni 1925. Verband der Minden-Ravensberg-Lippischen Ziegeleibetriebe E. V., Minden i. W. Gewerkverein Deutscher Ziegler, Lage i. Lippe. Verband der Fabrikarbeiter Deutschlands. Gau I. Literaturnachweis I. Archivalische Quellen. R.R. = Regierungsakten des lippischen Haus- und Landesarchivs zu Detmold, Fach 145, Nr. 1—16, Fach 146, Nr. 1 und 3. K.A. = Konsistorialakten, Fach 110—112, 1860—1892, 1894—1913. R.St. = Akten des Statistischen Büros und der Regierungsregistratur. II. Gedruckte Quellen. a) Bücher und größere Abhandlungen: Asemissen, Oskar: Kleinstädte und Kleinstaaten auf industriellen und gewerblichen Gebieten, Bielefeld 1885. — Die lippischen Ziegler, „Arbeiterfreund", 23. Jg., S. 1—13. Bernhard, Ludwig: Die Akkordarbeit in Deutschland, Leipzig 1903. Böger, Rieh.: Die Wanderarbeiter des Weserberglandes; als Manuskript gedruckt, Freiburg i. B. 1909. Bröker, Wilh.: Die Grafschaft Lippe am Ende des 18. Jahrhunderts, Detmold 1924. — Lippe als selbständiger Staat, oder Anschluß an Preußen? Detmold 1926. Bücher, K.: Die Entstehung der Volkswirtschaft, Tübingen 1904. Chajes, B.: Grundriß der Berufskunde und Berufshygiene, Detmold 1919. v. Cölln, F .W.: Historisch-geographisches Handbuch des Fürstentums Lippe, Leipzig 1829. v. Donop, L.: Historisch-geographische Beschreibung der Grafschaft Lippe, Lemgo 1790. Falkmann, A.: Beiträge zur Geschichte des Fürstentums Lippe 1847—52. — u. Preuß: Lippische Regesten, Lemgo und Detmold 1860—68. — Historische Bemerkungen über die sog. Frieslandsgänger, Vaterl. Blätter, 4. (1.) Jg., Nr. 4—9, 11, 13, 22—25, 28. Fleege, F. A.: Die Kultivierung der lippischen Senne, Detmold 1916. Führer, G. Ferd.: Kurze Darstellung der meierrechtlichen Verfassung in der Grafschaft Lippe, Lemgo 1804. Hagemann, J.: Beiträge zur Siedlungsgeographie des Fürstentums Lippe und seiner Umgebung, Detmold 1912. Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 3. Aufl.: Artikel „Wanderarbeiter"; 4. Aufl.: Artikel „Binnenwanderung". Hausmann, Ernst: Das lippische Siedlungswesen, ungedruckte Dissertation der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät Münster i. W. 1922. Huneke: Lilienthal und Falkenhagen, Detmold 1898. Huxoll, A.: Versuch der Fürstin Pauline, ihrem Lande eine Verfassung zu geben, Detmold 1914. Kaerger, K.: Die Sachsengängerei, Berlin 1890, und Landwirtschaftliche Jahrbücher, 19. Bd., S. 239—522. 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Wolff, Hellm.: Die inneren Wanderungen unter besonderer Berücksichtigung der Wanderungen mit fester Wohnstätte, Jahrb. für Nat. und Stat. III. Folge, Bd. 39, 1910/11. Zietz, Luise: Zieglerelend, „Neue Zeit", Jg. 24, Bd. 2. b) Jahresberichte, Zeitschriften, Zeitungen, Verordnungen usw. Amtsblätter für das Fürstentum Lippe, fortgeführt als Lippischer Staatsanzeiger bis 1927. Blätter für lippische Heimatkunde, Detmold 1900 ff. — 499 — (Fürstlich) lippischer Kalender, Detmold 1870—1927. Lippischer Landeskalender, Detmold seit 1925. Lippische Intelligenzblätter, Lemgo 1767—1842. Lippische Landeszeitung, besonders die Jahrgänge 1911—1927. Lippische Tageszeitung, besonders die Jahrgänge 1911—1927. Lippische Landesverordnungen, Bd. I—VIII, 1779—1844, fortgesetzt als Gesetzessammlung für das Fürstentum Lippe, Bd. IX—XXVIII. Jahresberichte des lippischen Handels- und Gewerbevereins, 1885 bis 1904. Jahresberichte der Handelskammer für das Fürstentum Lippe, 1905 bis 1913. Jahresberichte der Preußischen Gewerberäte, 1894 ff. Jahresberichte des Gewerbe-Aufsichtsbeamten des Staates Lippe, 1921—1926. Gut Brand, Organ des Gewerkvereins Deutscher Ziegler, 1896—1927. Ziegler-Anzeiger, Beilage zur Lippischen Tageszeitung, 1913. Lippisches Magazin, 1835—1843, fortgesetzt als Vaterländische Blätter, 1844—1849. Mitteilungen aus der Lippischen Geschichte und Landeskunde, Bd. I—XI. Protokolle der Generalversammlungen des Gewerkvereins der Ziegler in Lippe, 1898—1914. Geschäftsberichte des Gewerkvereins der Ziegler in Lippe, 1897 bis 1914. Protokolle der Landtagsverhandlungen. Veröffentlichungen des Aufsichtsamtes für Privatversicherung, 1918, Nr. 2; 1919, Nr. 2. Volksblatt, Lippische Zeitung, seit 1920. III. Statistiken. a) Veröffentlichte: Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, besonders für 1925 und 1926. Statistik des Deutschen Reiches: Erste Reihe, Bd. 35; Neue Folge, Bd. 2, 4, 5, 105, 109, 112, 113, 209, 211, 212, 213, 214. Wirtschaft und Statistik, 1926 und 1927. Ergebnisse der Volkszählungen in Lippe von 1900, 1905, 1910, 1919, 1925. Statistische Ubersichten über den Bestand und die Besteuerung der Liegenschaften und Gebäude und die Verteilung des Grund und Bodens nach Kulturarten, Beilage zu Nr. 124 des Amtsblattes für das Fürstentum Lippe, 1916. b) Nicht veröffentlichte: Statistik über die in den Jahren 1908—1912 dauernd aus Lippe Abgewanderten (Regierungsstatistik 16, Fach 16, Nr. 2, Bd. 1, • vom Jahre 1913). — 500 — Zusammenstellung von Ermittlungen über die landwirtschaftliche Bodenbenutzung im Sommer 1913 (Statistisches: Büro der lippischen Regierung in Detmold). Statistik über die in den Jahren 1876—1914 in Lippe verstorbenen Ziegler auf Grund der Sterberegister. Statistik über den Grundbesitz der Ziegler auf Grund des Katasters. Statistik über die in' den Jahren 1860—1918 in der Irrenanstalt Lindenhaus in Brake untergebrachten Ziegler. Wanderarbeiterstatistik aus dem Jahre 1923 (Gewerbeaufsichtsamt für Lippe). — 499 — (Fürstlich) lippischer Kalender, Detmold 1870—1927. Lippischer Landeskalender, Detmold seit 1925. Lippische Intelligenzblätter, Lemgo 1767—1842. Lippische Landeszeitung, besonders die Jahrgänge 1911—1927. Lippische Tageszeitung, besonders die Jahrgänge 1911—1927. Lippische Landesverordnungen, Bd. I—VIII, 1779—1844, fortgesetzt als Gesetzessammlung für das Fürstentum Lippe, Bd. IX—XXVIII. Jahresberichte des lippischen Handels- und Gewerbevereins, 1885 bis 1904. Jahresberichte der Handelskammer für das Fürstentum Lippe, 1905 bis 1913. Jahresberichte der Preußischen Gewerberäte, 1894 ff. Jahresberichte des Gewerbe-Aufsichtsbeamten des Staates Lippe, 1921—1926. Gut Brand, Organ des Gewerkvereins Deutscher Ziegler, 1896—1927. Ziegler-Anzeiger, Beilage zur Lippischen Tageszeitung, 1913. Lippisches Magazin, 1835—1843, fortgesetzt als Vaterländische Blätter, 1844—1849. Mitteilungen aus der Lippischen Geschichte und Landeskunde, Bd. I—XI. Protokolle der Generalversammlungen des Gewerkvereins der Ziegler in Lippe, 1898—1914. Geschäftsberichte des Gewerkvereins der Ziegler in Lippe, 1897 bis 1914. Protokolle der Landtagsverhandlungen. Veröffentlichungen des Aufsichtsamtes für Privatversicherung, 1918, Nr. 2; 1919, Nr. 2. Volksblatt, Lippische Zeitung, seit 1920. III. Statistiken. a) Veröffentlichte: Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, besonders für 1925 und 1926. Statistik des Deutschen Reiches: Erste Reihe, Bd. 35; Neue Folge, Bd. 2, 4, 5, 105, 109, 112, 113, 209, 211, 212, 213, 214. Wirtschaft und Statistik, 1926 und 1927. Ergebnisse der Volkszählungen in Lippe von 1900, 1905, 1910, 1919, 1925. Statistische Übersichten über den Bestand und die Besteuerung der Liegenschaften und Gebäude und die Verteilung des Grund und Bodens nach Kulturarten, Beilage zu Nr. 124 des Amtsblattes für das Fürstentum Lippe, 1916. b) Nicht veröffentlichte: Statistik über die in den Jahren 1908—1912 dauernd aus Lippe Abgewanderten (Regierungsstatistik 16, Fach 16, Nr. 2, Bd. 1, vom Jahre 1913). — 500 — Zusammenstellung von Ermittlungen über die landwirtschaftliche Bodenbenutzung im Sommer 1913 (Statistisches; Büro der lippischen Regierung in Detmold). Statistik über die in den Jahren 1876—1914 in Lippe verstorbenen Ziegler auf Grund der Sterberegister. Statistik über den Grundbesitz der Ziegler auf Grund des Katasters. Statistik über die in den Jahren 1860—1918 in der Irrenanstalt Lindenhaus in Brake untergebrachten Ziegler. Wanderarbeiterstatistik aus dem Jahre 1923 (Gewerbeaufsichtsamt für Lippe). i Übersichtskarte von Lippe Maßstab 1: 300000 = === ^ ßrtHKfn dar Vt t ualttxn ja i m t i » - ——- Crmit« *«* Ämter- II l,UI IT Lltktrittk» Bahnen H0»ter(!