J. A. Schmoll gen. Eisenwerth: Kunst im Raum der Architektur. In: Kunstreport 3' 78. Katalog [26. Jahresausstellung des Deutschen Künstlerbundes vom 18.11.1978 bis 03.01.1979 in Berlin]. Berlin 1978, S. 19-22. 19 Artikulation des Raumes J. A. Schmoll gen. Eisenwerth KUNST IM RAUM DER ARCHITEKTUR Vor 20 Jahren hätte man bei diesem Ausstellungstitel schlicht auf »Kunst am Bau« geschlossen. Inzwischen haben sich die künstlerischen Aktivitäten im Bereich des Raumbegriffs und im Umfeld der Architektur vielfach gewandelt. Ein kurzes Resümee der Phänomene kann keine künstliche Einheit vorgaukeln. Wir leben in einer pluralistischen Gesellschaft und habenesfolglichauchmitstilpluralistischen Erscheinungen in der Kunst zu tun. »Stileinheit« war ein romantischer Wunsch, derderWirklichkeitnicht entsprach. Esgibt gewisse Tendenzen und modische Oberströmungen, aber in der Tiefewirkenoftganzandere Kräfte. DasStilbildderKunstmo- den ist wie ein dünner Ölfilm auf bewegtem Meer, man lasse sich von dieser schillernden Haut nicht verführen, die eine gewisse »Einheit« vortäuscht. Das lebendige Wesen der Kunst besteht in Kräften und Gegenkräften, die aus derTiefe hervorbrechen. I »Kunst am Bau« war die Formel, mit der in der Bundesrepublik Deutschland ein vom Staat reglementiertes Mäzenatentum durch das öffentliche Bauwesen seit der Währungsreform praktiziert wurde. Unbestritten ist, daß durch die Verordnung der Abzweigung von einem oder mehr Prozent von der Gesamtbausumme für künstlerische Ausstattung vielen Künstlern zu Aufträgen und zur Realisierung ihrer Ideen verholten wurde. Die Regelung hatte einen sozialen und einen kunstfördernden Aspekt. Aber unzweifelhaft ist das Ergebnis in künstlerischer Hinsicht insgesamt nicht so befriedigend, wie man es erhofft hatte. Vielfach geschah unorganisches Flickwerk, und Kunst wurde zum beliebigen »Zusatz am Bau«. Unorganisch wurden irgendwelche Reliefs oder Mosaiken oder Fresken oder Bronzen dem fertigen Baukörper angeheftet, appliziert. Vieles wirkte austauschbar, nicht funktional mit der Architektur verbunden. Es ist darüber schon oft geklagt worden. Man hatte die Grundhaltung der Architektur seit dem sogenannten Neuen Bauen (das sich bis heute auswirkt) nicht verstanden: ein Funktionalismus, der in seinen puristischen Bauwerken bildende Kunst abstieß. Die Trennung von Architektur und bildender Kunst, einmal anfangs dieses Jahrhunderts vollzogen, wurde nur mühsam in Einzelwerken zu überbrücken versucht und konnte durch eine »Kunst-am-Bau«-Verordnung nicht wieder geschlossen werden. Hie und da gelangen dennoch einzelne bemerkenswerte Lösungen, im ganzen stellt sich die »verordnete« Kunst als verfehlt dar. Sie »faschistisch« im Ansatzpunkt zu nennen, ist zwar eine Vergröberung und eine nicht ganz ungefährliche Verallgemeinerung, aber sie trifft einen Nerv der Grundhaltung der »gutgemeinten« Verordnung: ihre geheime Romantik, als könne man zu »heilen Zeiten« einer organischen Bauskulptur, Wandmalerei usw. auf dem staatlichen, gesetzlichen Bestimmungswege zurückfinden. Dennoch möchte man diese Kunst-Prozent- Verordnung nicht einfach ersatzlos gestrichen sehen. Zu viele Künstler (und natürlich auch nur um Kunst »Bemühte« und modische Mitläufer, wie überall) leben davon oder profitieren wenigstens ab und zu von den Brosamen dieser Einrichtung: hier ein Wandteppich, dort ein Glasfenster, da ein Mosaik, hierein Relief, dort eine Figur, ein Brunnen, eine farbige Wandgestaltung aus Kacheln oder Kunststoffplatten usw. usw. . . . Die Schwierigkeiten liegen ja keineswegs nur bei den bildenden Künstlern selbst. Wieviel hängt von den einzelnen Architekten ab! Nicht immer haben sie das richtige Gespür für die echten Möglichkeiten, die ihr eigener Bau manchmal bietet, oft wollen sie auch innerlich gar keine »zusätzliche Prozent-Kunst« - und man kann es ihnen keineswegs verdenken. Und dann die Bauherren! Private oder Vertreter öffentlicher Dienste, der Kommunen oder der Regierungen werden oft unvorbereitet zu Kunstrichtern bestellt. Meist besteht keine innere Beziehung zu künstlerischer Gestaltung. Oft wird dies aber verhehlt, selten ein solcher Mangel eingestanden. Niemand gibt gerne zu, wie hilflos er in Wirklichkeit vor einer künstlerischen Entscheidung steht. Und dann geben anstelle von Kompetenz und Kennerschaft seltsame Vorurteile oder modische Zufälligkeiten den Ausschlag. Was für manche Wettbewerbsrichter nur ein lästiger Verwaltungsakt mit Atelierbesuchen, Modellstudium und Jury-Versammlungen ist, wo eine im Grunde unverstandene Sprache gesprochen wird, ist für die beteiligten Künstler oft eine Schicksalsentscheidung. »Kunst am Bau« wird weiter gemacht, wir müssen damit rechnen und sollten versuchen, das Beste dabei herauszuholen. Es wäre aber eine Überlegung wert, wie dieser Mechanismus kultiviert werden könnte. Kunst im Raum der Architektur wird vorläufig in der »Kunst am Bau« weiterhin eine Art Basis finden, man sollte davor nicht die Augen verschließen, weder verachtungsvoll, noch resignierend, auch wenn mittlerweile Kunst im Raum der Architektur in ganz andere Bereiche und Möglichkeiten aufgebrochen ist. Nicht »Kunst am Bau«, sondern Kunst im und mit dem Bau sollte vielleicht eine neue Formel lauten, die sich sowohl an die Künstler als auch an die Architekten und Bauherren wendet. Es gibt bedeutende Versuche dazu. Teilweise sind sie von Architekten selbst unternommen worden. Le Corbu- siers Wallfahrtskirche in Ronchamps (1955) wäre ein früheres Beispiel, die Bauten von Louis I. Kahn in Amerika (bis 1973) spätere, bei diesen insbesondere das Bemühen ornamentale Gliederungen in engster Beziehung zur brutali- Artikulation des Raumes 20 stischen Baustrukturzu entwickeln. Andererseits haben aber auch Künstler, die als Malerund Bildhauerbegannen,diesen Weg eingeschlagen und sich der Architekturalsdes wichtigsten »Anwendungsgebietes« ihrer Gestaltungsmöglichkeiten zugewandt, wie Victor Vasarely, Yaacov Agam, Mathias Goeritz und Otto Herbert Hajek. Der Agam-Saal des Kulturfo- rums Leverkusen (1970) ist auf deutschem Gebiet das interessanteste Exempel einerausden Erfahrungen derOp- Art entwickelten Farbgestaltung auf reliefartigen Gliederungen, deren Wirkungen sich nur dem im Raumsich Bewegenden ganz erschließen. Goeritz, der Deutsche in Mexiko, hat am entschiedensten den Grenzfall einer monumentalen Architekturplastik realisiert, besonders in den Türmen an der Autobahn Mexico-Stadt nach Guernavaca. Hajek wiederum fand in der engen Zusammenarbeit mit Architekten die Integration plastischer Formen und Farbgebungen im Baukörper - kühn im frühen Werk des Studentenhauses (mit Mensa und Restaurants) der Universität Saarbrücken (1965-1968). Hier kann nicht mehr von »Kunst am Bau«, hier muß von organischer Durchdringung beider Medien gesprochen werden - wie sie ähnlich nur in älterer Baukunst (Mittelalter, Barock) begegnet. Dies sind Idealfälle, die nicht so leicht Schule machen, weil unseren heutigen Architekten im allgemeinen die Dimension des außerfunktionalen Gestaltungssinnes weitgehend fehlt, der in früheren Zeiten als selbstverständlich galt und daher geschult wurde. III Eine Stahl-Glas-Architektur, eine Bauweise auf Rastergrundrissen, mit Wandfertigteilen und höchstens »Fassaden-Schürzen« zur notdürftig-notwendigen Verkleidung der Skelettstruktur der Gehäuse, eine Architektur der glatten Flächen, der scharfen Kanten und Linien und der durch große Volumen wirkenden Baumassen hat ihre inbestrittene Berechtigung und trägt ihre ästhetische Wirkung in sich, - wenn sie nicht zur Verödung, zu Leere und Ausdruckslosig- keit verkommt wie leider in der großen Masse - nicht nur der Zweckbauten. Eine solche Architektur will gar keine unkonstruktiven Elemente, keinen zusätzlichen »Schmuck«, keine »fremden« Akzente. Sie findet sich rein und konsequent ohne Beteiligung von bildender Kunst. Es entspricht eine solche Haltung auch der modernen nüchternen Einschätzung der »Obrigkeit«, für die früher Repräsentanz gefordert wurde: Regierungs- und Verwaltungsbauten, auch Kulturbauten und selbst Kirchen unterliegen der Forderung nach Zweckmäßigkeit. Theater und Museen sind keine Musentempel mehr, ein Justizgebäude nicht mehr-wie in Brüssel Poelaerts zyklopischer Neurenaissance-Palast (um 1880) oder auch F. v. Thierschs Münchner Kuppelbau - Symbole der Staatsgewalt, Bahnhöfe sind nicht mehr Lokomotiv- Opern mit Hallen für Staatsempfänge, Nationalbanken nicht mehr Sinnbilder unerschütterlichen Geldwertes mit kraftmeierischen Hausteinsäulen und wuchtigen Giebeln. Der Strukturwandel der Öffentlichkeit (J. Habermas), daszuneh- mende öffentlich-kritische Räsonnement und die kritische parlamentarische und Medienkontrolle lassengarnichtmehr zu, daß Repräsentanz von Staat und Kommunen so verstanden werden kann wie es in den öffentlichen Bauten bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, z.T. noch länger, zum Ausdruck kam. Somit entfällt auch die früher der Repräsentanz dienende Kunst des Dekors und der sym bolischen Ausschmük- kung öffentlicher, aber auch - in bescheidenerem Maßstabprivater Bauten: eine Folge der Entmythisierung der Architektur. Der allgemeinen Ernüchterung, die sich über die gesamte Architektur verbreitete, folgte aber auch der Protest. Es wäre wohl ohne diese als Verarmung empfundene Ernüchterung nicht zu den Erscheinungen einer Wiederentdeckung des Jugendstils, einer Aufwertung des Historismus und der allgemeinen Nostalgie, dem Heimweh nach Dekor, Schmuck und Einrichtung der Zeiten vor dem Ersten Weltkrieg gekommen. Die rückgewandte Antwort ist aber nur ein Symptom. Größere schöpferische Kräfte erfordert die Schaffung eigener, neuer Systeme der Raumbelebung, um der Verödung unserer Städte und unserer Landschaftzu entgehen. Dies ist eine soziale Aufgabe, die die Kunstzu erfüllen hat. Sie betrifft unsere Umweltgestaltung. Sie geht Hand in Hand mit der Besinnung auf Werte, die der verwalteten Welt entgegengesetzt werden können: die Natur, die Landschaft, die ursprünglich gewachsenen Städte und Dörfer. Umweltschutz im weitesten Sinne: von der Bändigung der Industrie, dem Schutz vor ihren Schäden, dem Bremsen des Abbaus unserer natürlichen Ressourcen bis zur Denkmalpflege mit ihrem Ensembleschutz gewachsener Bausubstanzen reicht ein weiter Fächer. Aberdiesen passiv-bewahrenden Schutz ergänzen erst schlüssig die neuen Gestaltungen unserer Lebensräume durch kreative Kräfte, durch die Kunst, durch eine Kunst im Sinne der Erweiterung ihres bisherigen Begriffs - wie dieses erweiterte Verständnis des Kunstbegriffs nicht allein Joseph Beuys unermüdlich fordert. Die Durchdringung architektonischer Räume ist die eine Seite, auf der heutige Künstler neue Wege beschritten haben. Hajek hat mit der Gestaltung der Festival-Plaza von Adelaide (Südaustralien) - 1977 vollendet - ein Signal gegeben, wie man einen öden Urbanen Raum plastisch und farblich einheitlich »revitalisieren« kann. Goeritz arbeitet an 21 Artikulation des Raumes entsprechenden Projekten für amerikanische Städte und für Jerusalem. Die andere Seite zeigt sich jedoch im Gegensatz hierzu in einem ausgesprochenen Kontrastverhalten. IV Kontraste Mit der Entwicklung der Architektur des sogenannten Neuen Bauens seit dem Ersten Weltkrieg, deren Auswirkungen noch immer nicht abgeschlossen sind, läufteine Kontrastbewegung der modernen Plastik, die sich gegenüber der Block- und Skelett-Bauweise absetzt, behaupten will, sich zu ihr entweder im »kontrapunktischen Einklang« oder in bewußtem Kontrast empfindet. Plastische Akzente vor und gegenüber einer Fassade, einem Block - oder auch in einem Innenhof und Foyer - gibt es in zahlreichen Varianten. Aus zurückliegenden Jahrzehnten seien genannt Pevsners »Bienenkorb«-Skulptur vor einem Kaufhaus in Rotterdam, Bellings »Segelmotiv« vor der Bank für Gemeinwirtschaft in der Hamburger Innenstadt, Wilhelm Loths »Lippenrelief« im Haubrichhof der Kölner Volkshochschule, Fritz Koenigs »Kugel« zwischen den Wolkenkratzern des World Trade Centers in New York-Manhattan - um wenige und verschiedenartige Beispiele zu nennen, deren Liste freilich gut verlängert werden könnte. Aber gerade diese Beispiele zeigen ein bewußtes Zusammenspiel mit der Architektur, auf die sie sich beziehen, auch als Gegenkräfte, Sammelpunkte, Signale, Sinnzeichen im Gegenüber zum Bauwerk. Indieser Weise besteht für die Plastik zweifellos ein weiter Spielraum, dessen Grenzen wir heute noch nicht absehen können. Im Bereich der Plastik geht es dabei um sehr unterschiedliche inhaltliche und stilistische Motive. Die ungegenständliche (abstrakte) Richtung besteht neben einer das körperliche Erscheinungsbild des Menschen durchaus weitertreibenden Strömung, die sich der Infragestellung des Menschen verstärkt zugewandt hat (die Torsi und Fragmente von Wilhelm Loth, die surreal-symbolistischen Figurationen von Ipouste- guy und vieler anderer, auch jüngerer Bildhauer, die Votiv- und Grabgestalten von Fritz Koenig, die neoexpressionistischen und neorealistischen Bronzen von Hrdlicka, Szy- manski usw.). Sie bilden immer Kontraste zur Architektur, wollen Anstöße geben zur Besinnung oder Alarmierung, möchten auch Maßstäbe setzen gegen eine allgemeine Nivellierung im Urbanen Verkehrsraum, - wie Rufe von Ertrinkenden. In einem ganz anderen Bereich sind die Raumgebilde angesiedelt, die - ebenfalls von großer Kontrastwirkung - zunächst um sich selbst zu kreisen scheinen: die aus einfachen Großformen komponierten Eisenskulpturen etwa von Richard Serra- sie erscheinen gelegentlich wie Monu- mentalisierungen der zuerst in Innenräumen entwickelten Minimal Art. Allen diesen »Skulpturen« (der Ausdruckstimmt technisch freilich nicht für geschweißte Stahlplattenkonstruktionen und Kunststoffmontagen, ist aber international geläufig als Oberbegriff für alle dreidimensionalen Schöpfungen) ist eigen, daß sie Raumerfahrungen sensibilisieren wollen und können. In einer Zeit der zunehmend unräumlichen Bildaufnahme durch Fotografie, Film und Fernsehen - vom Lesen ganz zu schweigen-kommtderartigen Impulsen zum räumlichen Erlebnis eine hohe Bedeutung zu. Der- wörtlich gemeinten-Nivellierung, nämlich einer zunehmenden Zweidimensionalisierung unseres Sehens und Empfindens, könnte mit der Kontrastierung durch stark-räumliche Gebilde gesteuert werden. V Vorstöße in völlig neue Raumerlebnisse vermitteln neben der breitgefächerten kinetischen Plastik die Experimente der Land-Art und der Erdskulpturen. Walterde Marias Kilometerbohrung während der letzten Kasseler Documenta sollte etwas sichtbar machen, was eigentlich nur gedacht sein will- wie es sein ursprüngliches Projekt für den Schuttberg des Münchner Olympiageländes 1972 vorsah: ein »Denkloch«, wie der Volksmund sagte. Der Kasseler Messingstab ist eine Materialisierung dieser »Seele«, dieser gedachten Bohröffnung in die Tiefe der Erde. Der Erdraum als Denk- und Vorstellungsraum, wie er in alten Höhlenkulturen lebendig war, wird hier - neuzeitlich-technisch-perfekt - in einer Art Erdverletzung schmerzlich bewußt gemacht. Unter die Wasseroberfläche stößt Jürgen Claus mit seinen Farbelementen (schwimmenden Plastikballons, -Schläuchen und -»Blumen«) vor, den Meeresraum erlebbarer zu gestalten als er uns bislang bewußt ist. Korallenriffe und Schiffsfriedhöfe bilden bevorzugte Tiefseestätten seiner utopischen Unterwasserraumphantasie, die nurderTaucher ganz erfassen kann, dessen Farbfilme und Dias uns Erdenbürgern davon nachzuempfindende Bilder vermitteln. Das Utopische dieser Raumerlebnisse gehört zu ihren Reizen und ergänzt die Luftfahrt- und Astronauten-Fernsehübertragungen, die bereits zu unserem TV-Alltag geworden sind, in farbigster Weise. Hier werden Raumerlebnisse zu Sensationen, die kein früherer Mensch erfahren konnte und die vermutlich noch einige Zukunft haben. Anderer Art sind die Raumbeschwörungen, die Christo mit der Verfremdung von Landschaften und Stadtbildern durch riesige Verpackungsaktionen vornimmt. Hier drückt sich auch die Suche nach vorübergehenden flüchtigen, fata- morgana-ähnlichen Effekten aus, die uns in der Veränderung (abgesehen von der Aktion selbst, die als kreativer Akt erlebt Artikulation des Raumes 22 werden soll) das Wesen eines verhüllten Gegenstandes, einer »verschleierten« Steilküste als bestimmte dreidimensionale Formation plötzlich ins Bewußtsein rücken kann und soll. Der Mensch erprobt hierauch spielerisch die gefährliche technische Möglichkeit der Umwälzung ganzer Landschaften wie in einem Tagebaugrubengebiet oder eine Atombombenzone. Auch die Licht- und Wasser-Plastik von Heinz Mack, die Einbeziehung des Luftraums, der Luftspiegelungen in künstlichen Wasserwolken, ruft Raumerfahrungen und das Spiel mit den flüchtigen Elementen auf den Plan. Der Schweizer Bildhauer Luginbühl ist zu Verbrennungsaktionen von Holzskulpturen und »plastischen Scheiterhaufen« (in Linzan der Donau 1978) übergegangen, Voth läßt ein Floß mit einer Art Mumienskulptur den Rhein hinabschwimmen: es lassen sich noch viele Aktionen ausdenken, in denen Raumerfahrungen, Erlebnisse der Wirkung von Elementen, Verfremdungen, Verflüchtigungen für einige Zeit sichtbar werden und uns zum Nachdenken anstoßen sollen und zur kreativen Schau ungewöhnlicherVorgänge, denen Symbolgehalt beizumessen ist. In vielem erinnert diese Seite heutiger »Raum-Kunst« an die Feuerwerke, Wasserschlachten, Fontänenspiele des 17. und 18. Jahrhunderts. Auch die Anfertigung von plastischen Gebilden aus »Wegwerf-Materialien« kann dazugerechnet werden. Hat man doch im Barock durch Künstler Ehrenpforten und Trauerkatafalke und andere Zeremonialaufbauten mit großem Aufwand an Zeit, an Erfindungsgeist, Entwurfsarbeit und Programmplanung für nur einen oder wenige Tage ausführen lassen, um sie dann abzuräumen, zu verbrennen oder wegzuwerfen . . . (wie heute für Fastnachtszüge). Heute fehlt uns bei solchen Aktionen die damals durch die Auftraggeber und ihr Publikum verstandene Sinngebung. Heute ist sie allein vom Künstler her intuitiv entworfen und subjektiv erdacht wie für einen erst noch zu erfindenden Kult. Das Nur-Ästhetische daran würde die Gestalter selbst keineswegs befriedigen, sie suchen durchaus den Kontakt zu den Menschen und wollen ihnen meistens mehrals nur eine Bereicherung ihrer sinnlichen Erfahrung schenken. Auch in diesen und vielen anderen ephemeren Aktionen steht wohl an erster Stelle der Drang nach gesteigertem Raumerlebnis und gesteigerter sinnlicher Fülle einer immer nüchterner werdenden Existenz. Diese Raumerfahrungen sind unabhängig von Architektur-Räumen. Dies ist eine klare Konsequenz aus der eingangs skizzierten Trennung von Funktionsarchitektur und bildender Kunst. Nun ist die bildende Kunst z.T. »hinausgestoßen« in die weiten Räume des Unbebauten und Kosmischen, des Schweifenden und Provisorischen, Vorübergehenden, wie es teilweise ja bereits zur Lebensgewohnheit großer Menschenmassen gehört im Zeitalter des weltumspannenden Verkehrs, der sich steigernden Geschwindigkeiten, der immer schnelleren Medienkommunikation, des Massentourismus, schließlich der Raumerfahrungen der Astrophysik und Astronautik. Alle diese im Raum agierenden Künste empfinden sich als im höchsten Kontrast zum be- und umbauten Raum der Architektur agierend. Hier wirkt sich also ein dialektisches Verhältnis aus, dessen Entwicklung mit der Abstoßung der bildenden Kunst durch die Architektur begann. Freilich handelt es sich dabei um extreme Phänomene, denen die Integrationsbeispiele einer neokonstruktivistischen plastisch-farbigen Raumkunst im Bereich der Architektur gegenüberstehen.