J. A. Schmoll gen. Eisenwerth Erste Begegnungen mit der Saarbrücker Ludwigskirche. Persönliche, familien- und zeitgeschichtliche Erinnerungen. In: Ludwigskirche 1982. Dokumente, Erinnerungen, Studien. Hrsg. anläßlich der Wiederindienstnahme der Ludwigskirche 1982 von Horst Heydt. Saarbrücken 1982, S. 209-224. SONDERDRUCK Ludwigskirche 1982 Dokumente, Erinnerungen, Studien herausgegeben anläßlich der Wiederindienstnahme der Ludwigskirche 1982 herausgegeben von Pfr. Horst Heydt und der Görres-Buchhandlung Saarbrücken 1982 Erste Begegnungen mit der Saarbrücken Ludwigskirche - Persönliche, familien- und zeitgeschichtliche Erinnerungen Es gibt Bauwerke, die für ganze Städte kennzeichnend sind. Das Straßburger, das Ulmer Münster verkörpern den Rang, das Alter, die Würde, die Geschichte, die Bedeutung des topographischen Ortes, den sie überragen. Aber auch bescheidenere Städte werden oft bildhaft in einem Gebäude zusammengefaßt wie in einem Wappenzeichen. Für Saarbrücken ist dies unbestritten die Ludwigskirche. Es gibt hier ältere Gotteshäuser - die Deutschherrnkapelle, die Schloßkirche und weiter draußen die ehrwürdige Stiftskirche St. Arnual - aber im Herzen der Stadt gelegen und im Rahmen des mit ihr erbauten Ludwigsplatzes übertrifft sie als reine Architekturschöpfung alle übrigen Kirchen, auch die ihres Jahrhunderts, die Friedenskirche in ihrer Nähe, die beiden Kirchen in St. Johann. Die Ludwigskirche hat ihren eigenen Rang: landesgeschichtlich, urbanistisch, kunsthistorisch. Damit steht sie auch über der konfessionellen Zugehörigkeit zur evangelischen Kirche im Saarland, obwohl ihre Form und ihre charakteristische Inneneinrichtung ganz evident protestantischen Geist bekunden und einzig aus der Geschichte des gesamtdeutschen protestantischen Kirchenbaus denkbar und deutbar sind. Wie beim rekathol isierten Straßburger, bei dem durch die Reformation protestantisch gewordenen Ulmer Münster spielt zwar die religionsgeschichtliche Entwicklung eine gewichtige Rol le für die Gemeinde und zum Verständnis des Bauauftrags, aber letztlich entscheidet über den Rang des Bauwerks allein seine künstlerische Gestalt. Daher besteht auch für die Gemeinde, der ein derartig kostbares architektonisches Gefäß als Gotteshaus anvertraut ist, eine Verpflichtung und Verantwortung über die übliche Betreuung eines Kirchengebäudes hinaus, wie auch der Staat mit seiner Denkmalpflege- Behörde, dem Staatlichen Konservatoramt, und mit allen übrigen Zuständigkeiten über der Erhaltung der Ludwigskirche zu wachen 209 hat und tatsächlich auch wacht, wie das Ereignis der Wieder- indienststel lung bezeugt. Denn es ist nur mögl ich geworden durch koordinierte Anstrengungen von Gemeinde, Stadt, Staat und Bevölkerung. Es darf ruhig daran erinnert werden, daß eine mög^ liehst der ursprünglichen Gestaltung außen wie innen entsprechende Wiederherstellung der Ludwigskirche umstritten war und zu einer der ersten Bürgerinitiati ven der BundesrepubI ik Deutsch lands mit denkmalpf leger i scher Zielsetzung führte, zur Gründung der "Vereinigung Ludwigskirche zum Schutze saarländischer Kulturdenkmäler". Da ich bei der Gründungsversammlung zum ersten Vorsitzenden gewählt wurde und bis zu meiner Übersiedlung nach München 1966 als solcher tätig war, sei mir erlaubt, meine Ausführungen mit einem Dank an alle Mitglieder und Helfer dieses Vereins und mit einem Wort zum Gedächtnis des verstorbenen langjährigen zweiten Vorsitzenden Justizrat Dr. Heinrich Schneider zu verbinden: er hat sich um den Wiederaufbau der Saarbrücken Ludwigskirche verdient gemacht. Da mich die Ludwigskirche während meiner Saarbrücker Berufsjahre so intensiv beschäftigte, möge man verstehen, wenn ich von den mir bedeutungsvoll erscheinenden ersten Begegnungen mit diesem Bauwerk berichte, auch wenn es sehr persönliche, teils familien-, teils zeitgeschichtliche Erinnerungen sind, die keinerlei Anspruch auf wissenschaftliche oder schriftstellerische Bedeutungen erheben. I I Unsere Familie ist mit dem Saar I and verbunden, lebte dort in verschiedenen Zweigen schon vor der Mitte des 18. Jahrhunderts, seitdem einer meiner Vorfahren als Rat bei der Regierung des Fürsten Wilhelm Heinrich war. Aber ich bin in Berlin geboren und aufgewachsen und die Verbindung zur Familie meines Vaters, der zu Beginn des ersten Weltkriegs am Westhang der Vogesen fiel, war locker geworden, bis ich sie wieder enger knüpfte. Vor al lern zu zwei Brüdern meines Vaters, dem Maler Karl Schmoll von Eisen werth, der als Professor an der technischen Hochschule 210 Stuttgart lehrte, und dem Bi Idhauer Fritz Schmol I gen. Eisenwerth, der in München lebte. Im Saarland waren nur noch Onkel, Kusinen und Vettern zweiten Grades, die Elektro-Schmol I-Fami I ie und die des Architekten Gustav Schmoll gen. Eyszenwerth, beide in Saarbrücken ansässig. Mein Wandertrieb wurde gereizt, als nach der Volksabstimmung 1935 das Saargebiet dem Reich wieder eingegliedert worden war: ich wollte die alte Heimat meiner Sippe väterlicherseits kennenlernen. Wie so oft in den Schulferien zuvor, nutzte ich meine ersten Sommersemesterferien 1935 zu einer groß angelegten Radtour. Sie führte mich von Berlin über Magdeburg, Braunschweig, Bielefeld, Düsseldorf, Aachen, Köln, Bonn, Maria Laach, Cochem, die Mosel aufwärts bis Trier und von dort um den 20. August nach St. Wendel. Aus diesem, mir nur dem Namen nach vertrauten Städtchen stammten mein Urgroß- und mein Großvater. Urgroßvater Alexander Schmoll gen. Eisenwerth war Geometer. Da er sich im Revolutionsjahr 1848 an einer Demonstration gegen das Herzogliche Haus Coburg, dem damals die Herrschaft St. Wendel gehörte, betei I igt hatte, konnte er beruflich nie reüssieren. Er war mit einer größeren Zahl von Bürgern der Stadt vor das "Palais" gezogen, in dem eine Prinzessin residierte, um das ferne Fürstenhaus Sachsen-Coburg-Gotha zu repräsentieren . Man verIangte wie überaII in Europa .gewisse Liberalisierungen. Aber das galt als aufrührerisch und die Polizei registrierte mit anderen braven Bürgern auch mei nen Urgroßvater "erkennungsdienstlich" {wie man heute sagt). Daraufhin bekam er zeitlebens keine feste Anstel Iung bei einer Behörde, auch nicht in Preußen, wo er zwar jahrelang, aber immer nur in befristeten Werkverträgen bei Trassen Vermessungen für neue Ei sen- bahnlinien im Ruhrgebiet und dann in Saarbrücken tätig gewesen 'St. (Das war die Art der Berufsverbote in jener Zeit!) Mein Großvater, 1834 in St. Wendel geboren, hatte es dann weiter gebracht. Er wurde ein gesuchter Brücken- und Wasserbau! ngenieur, der über fünfzehn Jahre in Frankreich und seinen nordafrikanischen Kolonien Brücken und Hafenanlagen gebaut hat und 1869 nach Wien ging, wo er die Kronprinz-Rudolf-Brücke (die spätere 211 Reichsbrücke) bis 1875 mit konstruierte und zahlreiche Eisenbahnbrücken in der Monarchie baute. Als Ritter des kaiserlichen Franz-Josephs-Ordens errichtete er von Wien aus auf dem elter- I ichen Grundstück in St. Wendel sein Haus, einen gediegenen Sandsteinquaderbau mit säulenflankiertem Portal. Das Haus in der Balduinstraße steht noch, aber es gehört nicht mehr unserer Fami I ie. Heute befindet sich die Stadtbibl iothek darin. 1935 sah ich es zum ersten Mal. Eine Berufsschule war dort untergebracht. Und ich ging zu einem zweiten Haus, das mit unserer Fami lie zusammenhing, zum evangelischen Pfarrhaus. Ich wußte, daß hier einst ein angeheirateter Onkel gewohnt hatte, Pfarrer Beck, der mich getauft hatte. Er war schon anfangs der zwanziger Jahre verstorben und seine Frau, die Schwester meines Vaters, war dann zu Verwandten nach Österreich gezogen. I ch kannte das Haus von Photographien aus der Jugendzei t meiner Mutter, denn es war von einem Bruder meines Vaters, Architekt Gustav Schmoll gen. Eisenwerth um 1908 erbaut und von einem weiteren Bruder, Fritz Schmol I gen. Eisenwer'h, Bi Idhauen und Kunstgewerbler in München, eingerichtet worden. Es vertrat den gemäßigten Jugendstil und die Landhausbewegung in St. Wendel. Ich dachte, vielleicht könnte ich einen Blick hineinwerfen und fragen, ob man dem Wanderer ei n Notquat ier empfeh len könne, da es in St. Wendel keine Jugendherberge gab. (Für einen Gasthof oder gar für ein Hotel reichte mein Reisegeld nicht, ich mußte mit 1,70 DM pro Tag auskommen.) Ich klingelte an der Gartenpforte. Plötzlich öffnete sich die Haustür und des geschah etwas Merkwürdiges. Die alte Wirtschafterin, die, wie ich dann hörte, schon verstorbenen Pfarreronkel gedient hatte, fragte kurz nach meinem Anliegen und als ich meinen Namen nannte, rief sie erfreut aus: "Ei, da wird sich aber Ihre Frau Tante freuen, sie wohnt nämlich seit der Abstimmung, für die sie als Stimmberechtigte eigens aus Osterreich herkam, bei uns. Sie genießt es, nach so I anger Abwesenheit mal wieder in "ihrem" alten Pfarrhaus zu sein." Die Frau nahm an, wir hätten uns verabredet. Keine Spur! Ich hatte keine Ahnung, daß Tante Joseph ine, genannt Peppi - die 212 Namen waren alle österreichisch, weil mein St. Wendeler Großvater in Wien eine Wienerin geheiratet hatte - hier sein könnte! Ich bat die Haushälterin, nicht zu verraten, wer da sei, ich wollte sie überraschen. Aber die Tante stand am Fenster des Obergeschoßes und sah mich über den Gartenweg kommen. Als ich das Haus betrat, stürzte sie berei ts die Treppe h i nab und rief: "Das kann nur der Adi aus Berlin sein!" Sie hatte mich das letzte Ma I gesehen, als ich elf Jahre alt war und während der Schulferien in Österreich Indianer spielte. Wie konnte sie den jetzt Zwanzigjährigen sofoert erkennen? "Du hast Figur und Gang dei nes Vaters! 11 rief sie. Das hatte mir noch n iemand gesagt und es durchrieselte mich freudig, denn meinen Vater kannte ich nur von Photographien aus der Zei t vor 1914, vor mei ner Geburt. Und ich hatte ein etwas mystisches Verhä I tnis zu mei nem unsichtbaren Erzeuger, besonders stark in diesen Entwicklungsjahren . Ich durfte ins Pfarrhaus ziehen. Es waren wenige Tage, die ich in St. Wendel blieb, denn ich hatte ja als Wendepunkt meiner großen Tour einen Besuch in Straßburg und Kolmar vor. (Das Straß burger Münster und der I senheimer AI tar gehörten zu den hei ß ersehnten Höhepunkten mei ner Pi I gerfahrt, aber auch der Besuch auf dem Soldatenfriedhof bei St. Die in ( Lothringen, wo das Grab meines Vaters - erst vor ei n igen Jahren umgebettet liegen sollte. Ich erfüllte mir diese Zielwünsche, wenn auch unter einigen Schwierigkeiten, da die Devisensperre der NS-Regierung nur erlaubte, jewei Is 10.—RM über die Grenze mi t zu nehmen. ) I I I Ich habe vergessen, zu berichten, daß mir auf der Fahrt nach St. Wendel auf ei ner abschüssigen Straße die Fahrradgabel brach. Der Sturz war glimpflich, aber die Reparatur langwierig, da die kleine Werkstatt das Ersatzteil erst aus Westfalen anfordern mußte. So ließ ich das Rad dort stehen und kam mit dem freundlichen Meister überein, daß er mir das reparierte Rad per 213 Nachnahme bahnlagernd nach Karlsruhe schicken sollte, was auch klappte. Ich war also für die Zwischenzeit auf Fußmärsche mit schwerem Tornistergepäck angewiesen, - wie so viele "Jugendbewegte" in jenen Jahren. So kam ich auch schon als Fußwanderer mit dem "Affen", einem alten fei I überzogenen Weltkriegs-Eins- Tornister, nach 5t. Wendel. Und so wollte ich auch weiterziehen. Aber Tante Peppi bestand darauf, daß ich die nächste Etappe meiner "Weltreise" fahren sol Ite. Sie kannte einen Fuhruntern- nehmer in St. Wendel, der in Niederlinxweiler etwas abzuholen hatte, und sie beschloß, daß wir mit ihm gemeinsam dorthin fahren. Sie würde mit dem Kutscher wieder nach St. Wendel zurückkehren, während ich mit der Eisenbahn nach Saarbrücken reisen könnte. Sie hatte mit Bedacht diese Tour gewählt, um mir noch ein zweites Pfarrhaus zu zeigen, das familiengeschichtlich von Bedeutung sei. Mein Interesse für Genealogie, Geschichte, Kunstgeschichte und Familienkunde war ihr aufgefallen und brachte Wasser auf ihre Mühle. Denn sie redete während der ganzen Fahrt mit dem im Schritt rumpelnden Pferdefuhrwerk von unseren Ahnen und natürlich besonders eindringI ich von meinem UrUrgroßvater Johann Jakob Schmol I gen. Eisenwerth, einst Pfarrer zu Niederl inxwei ler. Sie hatte schon al les vorbereitet und so wurden wir im Pfarrhaus mittags gastlich aufgenommen. Ich erinnere mich, daß ich unwillkürlich grinsen mußte, als ich den Namen des Pfarrers erfuhr, der 1935 in Niederlinxweiler amtierte: Richard Wagner. Ich war damals kein Freund der Wagnerschen Musik, kein Wunder, da in meinem Elternhaus klassische und romantische Musik bis Schumann, aber dann erst wieder neuere von Brahms und Reger gepflegt wurde. Wagner galt als zu schwülstig und wurde ignoriert. Aber Pfarrer Richard Wagner war ein sehr ernster und freundlicher Mann und äußerst mißtrauisch gegen das nationalsozialistische Neuheidentum, das sich "aus dem Reich" neuerdings ins Saarland vorarbeitete. Er atmete auf, als er merkte, daß ich keiner NS-Formation angehörte. Nach Tisch gingen wir auf den Friedhof und mir wurde der Grabstein meines Pfarrerahns gezeigt, den er selbst einst entworfen hatte: 214 eine Säule, von Rosen und Efeu in flachem Steinrelief umwunden, gekrönt von einer Urne- Auf den Hauptseiten des Vasenkörpers sah man in zartem Relief je eine halbe Sonne mit Strahlen über einer Horizontlinie. Darüber schwang sich der Vers "Sinkt abends auch die Sonne nieder - weine nicht, sie kommt ja wieder". Das war typische Biedermeier-Metaphori k, die harmloseste poetische Fassung des Auferstehungsgedankens, vom Pfarrer-Dichter, wie man meinen Ururgroßvater gelegentlich euphemistisch genannt hatte, in Reime gesetzt. Ich mußte über die Naivität des Glaubensbekenntnisses I ächel n, aber es k I ang echt. Leider ist dieser anmutige Grabstein aus Unverstand zerstört worden. Um 1956 etwa ließ die Gemeinde alle alten Steine vom Friedhof räumen und als billiges Straßenbaumaterial zertrümmern. Vom in jener Zeit amtierenden Pfarrer benachrichtigt, eilte ich aus Saarbrücken herbei und kam zu spät. Ich fand unter dem Schutt nur noch eine halbe Urne mit einer Sonne und dem nun doppelt beziehungsreichen Versende: "weine nicht, sie kommt ja wieder ...Und dieses Fragment nahm ich mit. Es begleitete mich seither bei al len Umzügen. Vom Friedhof, wo also 1935 noch das alte Pfarrergrab des Johann Jakob Schmoll genannt Eisenwerth stand, wendeten wir uns dann unter Führung von Pfarrer Richard Wagner zur Kirche. Er und meine Tante unterrichteten mich: dieser sch I ichte Saal bau des späten 18. Jahrhunderts mit seinem schon klassizistisch wirkenden Turm, war das Gotteshaus des Ururgroßvaters, er hatte den Neubau erlebt, ja viel leicht sogar in die Wege gel ei tet, denn der Architekt Balthasar Wilhelm Stengel war sein "Schwippschwager", da er eine Schmol I-Eisenwerth zur Frau hatte. Ihr Mann, der Erbauer der Kirche, sei der Sohn des berühmten Saarbrücker Baumeisters Friedrich Joachim Stengel gewesen und beider Eheleute Bildnisse könne man im Saarbrücker Museum sehen. Nun sei aber die Kirche von Niederlinxweiler ein ganz bescheidener Bau gemessen an der Ludwigskirche zu Saarbrücken, die Stengel senior errichtet habe: die müßte ich sehen! So wurde ich über die Familiengeschichte auf das Erlebnis der Ludwigskirche., ein- 215 gestimmt, von der ich zuvor noch nichts gehört hatte. IV Am Nachmittag dieses Tages traf ich in Saarbrücken ein und wurde von der Familie eines mir von Berlin her bekannten Ingenieurs, der am Staden wohnte, mit Hallo aufgenommen. Man hatte ihn an die Saar versetzt, um die von einem französischen I ngenieur nach der Rückgl iederung des Saargebiets aufgegebene Stelle bei der Bergwerksverwaltung zu übernehmen. Er zeigte mir als Kuriosum kopfschüttelnd das Souterrain seiner Vorkriegsvilla, das zum größten Teil verkachelt war. Beim Abzug seines Vorgängers hatte jemand mit großem Fleiß alle blau wei ß-gemuster- ten Wandfliesen mit einem Hammer zerschlagen und die Lichtleitungskabel aus Decken und Wänden herausgerissen. Ein Wut- und Racheakt privater Enttäuschung über die Folgen der Volksabstimmung? Die Menschen sind seltsam. Später sollte ich derartige si nn lose Zerstörungen noch oft genug sehen können, etwa die durch Handgranaten würfe zerstörten verspiegel ten Räume einer Pariser Vorortvi I la, die deutsche Panzeroffiziere bewohnt hatten. Am Vorabend ihrer Abkommandierung an die russische Front hatten sie ein Abschiedsfest veranstaltet ____ Aber solche Erinnerungen, die sich mir jetzt beim Schreiben einstel len, greifen mei ner Er zäh I ung wei t voraus. Am folgenden Morgen wanderte ich durch Saarbrücken. Die Familie meines Onkels, des Architekten Gustav Schmoll gen. Eyszenwerth, der ei n für mei ne Begriffe ungeheuer großes, selbst gebautes Haus an der Unteren Lauerfahrt, Ecke Bismarckstraße, bewohnte (es wurde vor etwa zwanzig Jahren abgerissen), war in die Sommerferien verreist. Zur Familie der Firma Elektro-Schmol I bestanden noch keine neueren Verbindungen. Ich pilgerte über die Alte Brücke und steuerte zum Ludwigsplatz, durch die Stengel - Straße am Haus des Bai thasar W. Stengel vorbei, wo ja einst auch seine "Ehel iebste", die geborene Schmol I, nicht nur als Hausfrau gelebt, sondern auch als Partnerin bei den Theater- 216 aufführungen unter Ifflands Regie Rollen gelernt hatte ... Es war ein schöner Augusttag. Der Platz lag im Schatten der Platanen, wie still verträumt. Ich umkreiste die Ludwigskirche. Der Bau kam mir, gemessen an den Ki rchen jener Zei t i n Nieder- linxwei ler und in St. Johann, auch vergl ichen mit der Friedenskirche, mächtig vor. Aber die Leichtigkeit der Gliederungen nahm dem kreuzförmigen Block alle Schwere. Es war der Ausdruck jenes vornehmen, zum Fl ächenhaf ten nei gen den Spätrokoko, das die Nähe des Klassizismus ankündigt, die mir von Bauten in Berlin und Potsdam vertraut war. Dieser Eindruck verstärkte sich noch, als ich durch eine Seitentür eintrat: eine leicht verstaubte Helligkeit, Zartgrau, Weiß und etwas Gold breiteten einen Schimmer aus, der zwischen hei I iger Nüchternhei t und festl icher Beschwingtheit die Mitte hielt. Die hölzernen, hei (gestrichenen Emporen und die majestätische Orgel fesselten den Blick. Erst dann bemerkte ich die Kanzel über dem Altar. Ich dachte an meine Belehrung in Niederlinxweiler zurück: von dieser Kanzel herab hielt also Dein Ururgroßvater Johann Jakob im Jahre der großen französischen Revol ution 1789 seine Antrittspredigt als Vikar, ehe er Pfarrer in Wiebelskirchen, dann in Niederl inx- wei ler wurde. Ein Mann war im Raum. Er fegte zwischen den Bänken. Er schien Küster zu sein. Er trat auf mich zu mit leicht fragender Kopfhaltung. Ich stellte mich vor, sei aus Berlin, hieße Schmoll, habe Verwandte in Saarbrücken und wollte mich umschauen. "Schmol I ?" fragte er zurück -" so hei ßt auch der Archi tekt, der hier die Gemeinde bei Ausbesserungsarbeiten am Turm und beim Heizungseinbau beraten hat." "Ja, das ist ein Onkel von mir - leider ist er mit seiner Frau auf Sommerreise." "Na ja", meinte der Küster, "der hat ja auch einiges mitgemacht, das haben Sie wohl gehört. Erst ein oder zwei Tage vor der Volksabstimmung hat er sich mit seiner kleinen Hausbesitzer-Partei zum "Ja" für den Anschluß an das Reich entschlossen, - obwohl alle hier wußten, daß er mit den Braunen nichts im Sinn hat. Die haben dem schwer eingeheizt ____" Plötzlich brach er das Gespräch 217 achselzuckend ab und machte sich in einer Ecke zu" schaffen.- Ich ging. Natürlich hatte ich auch in Berlin von diesen Vorgängen gehört, die die Fami I ie beschäftigten. Später erfuhr ich Näheres über die Seelenqualen meines Saarbrücker Architektenonkels Gustav Schmol I gen. Eyszenwerth (so näml ich schrieb sich dessen Zweig nach der barocken Orthographie). Zur Verzweiflung seiner Frau und seiner Töchter verstummte der einst so unternehmende Mann mehr und mehr. Die Entwicklung gab ihm recht. Er hatte immer an der Vernunft des "Führers" gezweifelt. Das unerwartete Gespräch mit dem Küster, so kurz es war, warf Schatten in meine Stimmung. Aber ich ahnte noch nicht, daß ich die Ludwigskirche, diesen kostbaren Bau, nie mehr in jenem Zustand sehen sollte, in dem ich ihn damals antraf. V Ich kam vorerst nicht mehr an die Saar. I ch studierte wei ter in Berlin, seit November 1935 bei dem aus München dorthin berufenen Wilhelm Pinder. Sein populäres Buch über den deutschen Barock gehörte zu den ersten VerÖffentt ichungen, die ich von ihm kennenlernte. Daß auch ein Bild der Stengel sehen Ludwigskirche darin war, erfü 11 te mich mi t Freude, bedeutete es doch ihre Anerkennung durch den kompetentesten deutschen Kunsthistoriker. 1 939 promovierte ich bei Pinder {und Roden wa Id) und wurde nach Kriegsausbruch eingezogen. Wer konnte voraussehen, daß man, sofern man überlebte, die Uniform sechse Jahre lang tragen mußte? Im Spätsommer 1944, als die Fronten sich wieder den deutschen Grenzen näherten, stand ich als vorgeschobener Artilleriebeobachter in Stellungen, mit denen die schwer angeschlagene Wehrmacht die Amerikaner nach ihrem Durchbruch in der Normandie und ihrem Blitzzug an Paris vorbei in Ostfrankreich aufzuhalten versuchte. Erst hieß es, wir seien zur Verteidigung oder gar zur Wiedereinnahme von Paris ausersehen. Dann aber trafen wir Pattons Panzerspitzen schon im Raum Toul. Hier spielte für mich eines meiner nervenauf reibendsten Kriegserleb- 218 nisse, ein Negativerfolg, keine der üblichen Kriegstaten, für die Orden verliehen wurden. Ich konnte eine zweite Beschießung der Kathedrale von Toul, die bereits im Frankreichfeldzug 1940 schwer beschädigt worden war, verhindern. Zufall oder Schicksal, ich hockte in dem Vorposten loch auf dem östlichen Moselufer, von dem aus man die Kathedrale wie ein mächtiges Schiff aufragen sah. Ich erhielt den Befehl, die weit rückwärts stehende Artillerie auf die Türme einzuschießen. Ich sollte per Funk die Werte errechnen und melden. Ich weigerte mich. Es wurde ein Feldtelefon gelegt und ich sprach mehrmals mit meinem Kommandeur. Ich erklärte ihm, eine Arzt habe auch das Leben eines verwundeten Feindes zu retten, ich als Kunsthistoriker würde niemals ein solches Bauwerk wissent I ich zerstören. Es ging hin und her. Hier ist nicht Ort und Platz, die Einzelheiten zu berichten. Natürlich wußte ich, welche Schande den Deutschen die Beschießung der Kathedra le von Reims im Ersten Weltkrieg eingebracht hatte, - auch wenn französische Beobachter auf den Türmen gesichtet worden waren. I n TouI befanden wir uns in der selben 5i tuation. Mein Kommandeur zei gte Verständnis, wurde aber vom höheren Stab bedrängt. Wir spiel ten auf Zeit. Nach zwei Tagen wurde die Front zurückverlegt und damit geriet die Touler Kathedrale außer Reichweite unserer Geschütze. Ich habe sie seither auf vielen Reisen immer mit besonderer Zuneigung betrachtet. VI Der ganze September 1944 ging in schweren Abwehrkämpfen in Lothringen dahin. Anfang Oktober erhielt ich den Befehl, mich beim Stab zu melden. Ich war einer der wenigen Frontleutnants, die lebend und sogar un verwundet diese Wochen überstanden hatten. Gönnte man mir ei ne Atempause trotz der Bef eh l Verweigerung vor Toul ? Der Kommandeur, der mich sch I ieß I ich gedeckt hatte, erteilte mir einen geheimen Kurierauftrag. Ich sollte bei der Reichsbahndirektion in Saarbrücken einen Spezi altransport unserer gepanzerten Fal Ischirm-Jäger-Arti I lerieabtei lung organi- 219 sieren. Ich ahnte, daß der logistische Auftrag einem jener Manöver galt, mit denen das Oberkommando heimlich und verzweifelt versuchte, Löcher an einer Front zu stopfen, indem es andere Abschnitte von dort bewährten Truppenteilen entblößte. Mit einem VW-Jeep, dessen Fahrer ich kannte, rasten wir los. Der Regen, der uns in unseren Erd löchern zuletzt so geplagt hatte, war einer milden Sonne gewichen. Es war ein schöner Frühoktobertag. Zunächst fanden wir die Dienstreise mit dem Sonderausweis, der uns alle Sperren öffnete, amüsant, fast wie einen Ferienausflug aus der gefährlichen Frontzone in eine noch fried- I iche Wel t bisher verschonter rückwärtiger Gebiete. Zwischen St. Avold und Forbach sahen wir lange Reihen von Feldarbeitern beim Kartoffelbuddeln. Aber als wir näher kamen, erkannten wir staunend, daß es Frauen, alte Männer und Halbwüchsige waren, die Gräben aushoben. Panzergräben, die kei nen Panzer aufha I ten würden, Schützengräben wie Anno 1870 oder 1914, die keine moderne Armee stoppen könnten. Wir schüttet ten die Köpfe. Uber uns schössen Beobachtung- und Jagdflugzeuge der Alliierten durch den blaßblauen Himmel. Als wir hinter der Goldenen Bremm das Saarbrücker Stadtgebiet erreichten, heulten die Sirenen: Fliegeralarm . Wir stel I ten unseren Wagen zwischen Bäumen ab und stiegen zu ei ni gen al ten, verängstigten Leuten i n ei nen der Felsenkeller an der Forbacher Straße. Als wir bald wieder weiterfahren konnten, sah ich im Vorüberhasten rauchende Trümmer auf der linken Straßenseite und dahinter, dort, wo der Ludwigsplatz liegen mußte. Ich hatte mir die Situation 1935 eingeprägt. Ich suchte und fand den Turm der Ludwigskirche, aber nicht ihr Dach. Was war geschehen? Unser Auftrag erlaubte keinen Aufenthalt. Wir mußten so schnei I wie mögl ich zum Hauptbahnhof. Die Stadt hatte einen Luftangriff erl i tten, der tiefe Wunden geschlagen hatte, - gestern erst, vorgestern? AI les sah verstört aus. In der Reichsbahndirektion traf ich auf hektisches Gewimmel von Soldaten, Bahnbeamten, Polizei, blassen Angestellten. Ich fragte mich zur Wehrmacht-Transportlei tung durch. Dort wurde al les 220 Nötige knapp besprochen. Es ging darum, einen Leerzug für unser schweres Material auf einen bestimmten Tag nach Lothringen zu beordern. Als Verladebahnhof war Chäteau-SaI ins bestimmt, in der Sprachregelung der deutschen Besatzungsmacht "Salzburgen". Aber wir verabredeten auch noch einen Ausweichbahnhof weiter nordöstl ich für den Fal I einer Gleisstörung oder einer bis dahin notwendig gewordenen Rückverlegung der Front. Ich sollte in etwa einer Stunde wieder vorsprechen, dann wäre aI les verbind I ich gek I ärt. Mir wurde deut I ich, daß bei dem vor zwei Tagen erfolgten Luftangriff auch viele Telephonverbindungen zerrissen waren. Auch deshalb also mein Kurierauftrag! Ich nutzte die Zeit zu einer Fahrt durch die Stadt. Ganze Straßenzüge waren zerbombt und ausgebrannt. Jedoch geradezu gespenstisch war der Anblick des Ludwigsplatzes. Aus den Trümmern der ausgebrannten Kirche stieg Rauch auf und selbst einige Platanen in ihrer Nähe hatten Feuer gefangen, waren angekohlt und zeigten sogar noch glimmende Borkenteile. Glas und Eisen der Kirchenfenster waren geschmolzen. Überall häufte sich der Schutt. Auch die Häuser der Umgebung boten sich als leere Hülsen dar, ohne Dächer und gefüllt mit Steintrümmern, Balkenresten und Asche. Die Archi tekturidy He, wie ich sie vom Hochsommer 1935 im Gedächtnis hatte, war zu einem Szenarium des Untergangs, zu ei nem ei nzi gen Memento mori verwände! t. I n heftigem Kontrast wechselten die beiden Bilder, das der friedlichen Erinnerung und jenes vor mir, das ich sprachlos anstarrte. Natürlich hatte man als Soldat während der letzten fünf Jahre viele Zerstörungen gesehen, sogar schon in Berl in. Aber hier, am Rande dieses noch rauchenden PI atzes wurde die Si nn losi g- keit des ganzen Krieges wie in einem Bühnenbild zusammengefaßt. Ich mußte an mei n kürzl iches Ringen um die Nichtbe- schießung der Kathedrale von Toul denken ... Und hier nun diese einst auch zum Lobe Gottes errichtete Kirche, hohl wie ein ausgebrannter Krater, gerade dort getroffen, wo sich die den Himmel symbol isierende Wöl bung mi t dem Auge Gottes i n der Witte über Altar und Gemeinderaum ausgespannt hatte: als hätte 221 eine satanische Gewalt ausgerechnet dieses Zentrum zertrümmern wol ten. Neun Jahre lagen zwischen den beiden Begegnungen mit Stengels Ludwigskirche. Gewiß, es gab auch tausendfache Zerstörungen anderer Orte und Bauten und die Deutschen waren, wenn nicht sogar direkt, so zumindest mittelbar daran schuld. Aber für das erst 1935 "heimgekehrte" Saargebiet war es schon eine besonders bittere Lektion. Sollte diese Ruine als Mahnmal verstanden werden? Sollte sie für alle Zukunft deshalb Trümmerstätte bleiben? Es kamen mir unwillkürlich Gedanken im Sinne jener merkwürdig-denkwürdigen Worte des großen französischen Spätromantikers und Freiheitsverteidigers Victor Hugo: "Vergessensein und Verfallenheit lassen ein Gotteshaus wachsen ... Ein verlassenes, gar verfallenes Heiligtum ... wird wieder ursprungsnah ... Nur diese Stätten sind in Wahrheit geheiligt ..." Ähnliches stammelte ich in mich hinein, als ich gehen mußte. VI I Gute drei Jahre später "verschlug" es mich schon wieder nach Saarbrücken. Wie beim Kurierbesuch im Oktober 1944 kam die Reise völlig unvorhergesehen, - soll ich sagen: schicksalshaft? Es war schon merkwürdig, daß mich Berufswege immer wieder dorthin führten, wo einst mein Vater, meine Großeltern und Vorfahren gelebt und gewirkt hatten: nach Darmstadt und Saarbrücken, obwohl alle Beziehungen persönlicher Art abgerissen waren. Nach Verwundungen, längeren Lazarettaufenthalten, letzten Frontkommandos und kurzer Gefangenschaft fand ich mich im Oktober 1945 ins Zivilleben zurückversetzt. Schließlich holte mich Oskar Schürer, damals Ordinarius für Kunstgeschichte an der Architekturfakultät der Technischen Hochschule Darmstadt, als Assistent mit Lehrauftrag für Baugeschichte an sein Institut. Dort erreichte mich Ende 1947 die Anfrage, ob ich einen, vielleicht gar drei Gastvorträge an der neugegründeten "Staatlichen Schule für Kunst und Handwerk" in Saarbrücken zu halten be- 222 rei t wäre. Ich hatte von dieser I nsti tution' noch nichts gehört. Aber der vom Bauhaus kommende Architekt Ernst Neufert, Professor in Darmstadt, der 1947 Gastvorlesungen an der Staatlichen Werkkunstschule Saarbrücken gehalten hatte, empfahl mich dort, ohne daß ich davon wußte. So trat ich im Dezember 1947 und nochmals im Januar 1948 meine ersten Reisen von Darmstadt nach Saarbrücken an, denen so viele folgen sol I ten, denn man gab mir ab Frühjahr 1948 einen festen Lehrauftrag an der Saar- brücker Kunstschule, den ich von Darmstadt aus bis 1951 vierzehntägig wahrnahm. Bei einem dieser ersten Nachkriegsbesuche fand ich die Saar über die Ufer getreten und der St. Johanner Markt stand unter Wasser. Der Ludw igsplatz war zwar nicht überschwemmt, sah aber fast noch trostloser aus als im Oktober 1944. Regengüsse, Frost, Trockenheit hatten im Laufe der drei bis vier Jahre nach der Bombardierung die ungeschützten Mauerkronen zersetzt. Alle Gebäude verfielen. Es roch modrig und der Wi nternebel h ing trist zwischen den kahlen Wänden. Und doch regte sich schon ein neuer Ordnungswi I le. Aufräumungs— arbeiten hatten hie und da den Schutt beseitigt, an einem der Häuser war ein Dach notdürftig repariert, bei anderen die Fensterhöhlen geschlossen. Und ich hörte in der Stadt, daß man sich Gedanken um den Wiederaufbau der Kirche machte. 1951 erhielt ich den Ruf auf den neuen Lehrstuhl für Kunstgeschichte an der Universität des Saarlandes. Als Abschiedsgeschenk an meine Darmstädter Studenten organisierte ich zum Ende des Sommersemesters eine Paris-Exkursion mit zwei Bussen. (An ihr nahm als Gast auch Prof- Dr. Friedrich Gerke, Ordinarius für Kunstgeschichte an der Universität Mainz, und von der Darmstädter Technischen Hochschule der damalige wissenschaftliche Assistent Dr. Martin Kiew; tz, später Landeskonservator des Saarlandes, teil.) Wir machten in Saarbrücken Station, wo ich einen Kurzeindruck von meiner neuen ständigen Wirkungsstätte vermitteln wollte, Den Höhepunkt bildete der Besuch des Ludwigsplatzes. Die urba- nistische Anlage um die Ludwigskirche, noch immer Ruine, interessierte die Studenten der Architektur und der Bau- und Kunstgeschichte, aber auch der neue Ausbau des ehema it gen Mi Iitärwaisen- 223 hauses als neue Unterkunft für die Werkkunstschule. Hier fand gerade die Aufsehen erregende erste Ausstellung "subjektive foto- grafie" statt, die Dr. Otto Steinert, seit kurzem neuer Direktor der Kunstschule, organisiert hatte. Der Ludwigsplatz belebte sich plötzl ich wieder. Auch die Gastwirtschaft "Zum Fürsten Ludwig", von uns despektierlich "Zum feuchten Ludwig" genannt, hatte wieder eröffnet und hier fanden noch bis in die Nacht hinein mancherlei Diskussionen statt. Bei Gelegenheit unseres Besuchs zeigte mir Steinert mein neues Dienstzimmer, denn ich führte den Lehrauftrag an seinem I nstitut trotz der Berufung an die Uni versi tat wei terhi n aus. Im Pro vi so- rium der Kunstschule von 1947 bis 1950, im ruinösen Knappschaftsgebäude gegenüber der Hauptpost in der Trierer Straße, hatte ich eine Dachkammer mi t Frans Masareel, dem f Iämisehen AI tmeister des expressionistischen Holzschnitts, zu teilen gehabt. Jetzt erhielt ich ein Zimmer im Erdgeschoß der neuen Werkkustschule zugeteilt, dessen zwei Fenster auf den Ludwigsplatz gingen. Zwischen den Platanenstämmen sah ich die Turmseite der Ludwigskirche. Mir schien dieser Arbeitsplatz ideal und - verpf l ichtend. Ich mußte an die drei ersten, besonders an die beiden frühesten Begegnungen mit der Ludwigskirche zurückdenken. Ihr subjektives Erlebnis mitsamt den daran haftenden zeitgeschicht I ichen und persön l ichen Hintergründen floß nun ein in den objektiven Entschluß, al les zu tun, einer der ursprünglichen Gestalt dieses kostbaren Bauwerks gerecht werdenden Wiederherstellung gedanklich zum Durchbruch zu verhelfen. Welche Freude, daß sich im Laufe der Jahre viele Menschen in dieser Zielsetzung zusammenfanden! J. A. Schmoll gen. Eisenwerth 224