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Die vorliegende Dissertation untersucht in Werk und Person von Ernst Robert Curtius (1886-1956), einem der bis heute meistbeachteten und sicherlich dem am kontroversesten diskutierten deutschen Romanisten, einen exponierten Fall von fachlichem Selbstverständnis und metaliterarischer Reflexion, der zwar vielfach in einzelnen Aspekten und häufig in impressionistischer Weise als von besonderer Bedeutung gewürdigt worden ist, der aber bislang weder einer eingehenderen Betrachtung unterzogen noch vor allem in seinem fundamentalen Charakteristikum, einer dezidierten Verknüpfung (berufs)ethischer und epistemologisch-methodologischer Überzeugungen und Postulate, wahrgenommen wurde. Das erste Kapitel „Methode und Moral“ beginnt mit einem deontologischen Profil Curtius’, das auf einschlägigen Textstellen und Selbstzeugnissen sowie auf Erinnerungen und Bewertungen von Schülern und Kollegen beruht und vor allem durch die Postulate Energie und Strenge konturiert wird. Das Curtiussche Denken speist sich aus der Überzeugung, dass die Welt von einem allgegenwärtigen Antagonismus von Kräften bestimmt ist, die er als komplementäre Gegensatz-Paare auffaßt, denen die „Synthese als onto-dento-logisches Prinzip“ vorgeschrieben ist (2. Kap.). Curtius’ Konzeption eines restaurativen Humanismus steht ebenso unter diesem Vorzeichen wie seine Vorstellung von einer Anbindung der wissenschaftlichen Analyse an synthetische Begriffe. Am Beispiel von Ortega, Eliot, Vergil und Balzac zeigt sich, daß seine Wertschätzung von Autoren gleichermaßen an dualistische Prämissen gekoppelt ist. Für die Literatur wie für die Metaliteratur wird ein Sichzusammenfinden von Intuition und Intelligenz gefordert. Die Dissertation folgt den Manifestationen dieses Denkens nicht nur von den deutsch-französischen Vermittlungs-, später Aufklärungsbemühungen über die Phase der Nationaldeontologie und der Propagierung eines restaurativen Humanismus bis zur Eurodeontologie des Spätwerks, in der die „imperiale Idee Roms“ als „zeitlos gültiges Maß des Menschtums“ zur soteriologischen Vision wird (1946), sondern sie betrachtet Curtius vor allem auf seinen genuinen Betätigungsfeldern der „Literaturkritik“ (3. Kap.) und der „Philologie“ (4. Kap.). Die Kritik steht bei Curtius ganz im Zeichen der Affinität, denn ihr „metaphysischer Hintergrund ist die Überzeugung, daß die geistige Welt sich nach Affinitätssystemen gliedert“ („T. S. Eliot“, 1927); aus dem Umstand, daß ihr „Grundakt“ „irrationaler Kontakt“ ist, erklärt sich, dass das Gewicht der Intuition schwerer wiegt als das der Intelligenz. Dies erweist sich nicht nur, wenn Curtius in Anlehnung an Marcel Proust „Die Aufgabe des Kritikers“ definiert (1925); auch auf dem Gebiet der Philologie zeigt sich bei allem Wandel doch die Dauerhaftigkeit der Episteme. So ergibt sich letztlich eine Biographie konstanter Topoi: noch im späten Selbst-Portrait des philologischen „Rutengängers“ mit der „Wünschelrute“ (Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, 1948) finden sich wieder die intuitive Primordialität – wenn auch dissimuliert: Glanz und Elend der Intuition – und das zirkelförmige Denken in synthetischen Begriffen und erspürten Konzeptionen, die der streng wissenschaftlichen Analyse zwingend vorausgehen müssen, wenn diese zu einer synthetischen Gesamtschau führen soll.

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